Gezwungen, das Gesetz zu unterschreiben?

In einem taz-Artikel über den Antrittsbesuch der litauischen Präsidentin Dalie Grybauskaite in Schweden geht es um ihre Kritik an dem neuen so genannten „Moralgesetz“ in Litauen. Ein Satz darin hat mich ins Grübeln gebracht. Sie wird  zitiert mit den Worten: „Ich bin empört über das Gesetz, es rückt Litauen in ein schlechtes Licht und es erinnert an Sowjetzeiten. Aber ich bin gezwungen, es zu unterschreiben und in Kraft zu setzen.“

Dalia Gybauskaite - wer zwingt die Präsidentin, das so genannte litauische "Moralgesetz" zu unterschreiben?
Dalie Gybauskaite - wer zwingt die Präsidentin, das so genannte litauische "Moralgesetz" zu unterschreiben?

Was bedeutet diese Aussage „Ich bin gezwungen“ in diesem Zusammenhang? Wie kann Grybauskaite das meinen, dass sie „gezwungen“ ist, das Gesetz zu unterschreiben? Von wem wird sie gezwungen? Was würde passieren, wenn sie es nicht tut? Würde sie ermordet? Enteignet? Ins Gefängnis geworfen? Ihres Postens enthoben?

Leider geht der Artikel dieser Frage nicht nach. Grybauskaites Aussage „Ich bin gezwungen, es zu unterschreiben“ wird vielmehr als selbstverständlich akzeptiert. Man kann nur ahnen, was gemeint ist: Offenbar würde ein Veto ihrerseits das Gesetz nicht mehr verhindern können. Aber ist das gleichzusetzen mit „gezwungen“ sein? Ehrlich, ich verstehe es nicht.

Das Thema „Müssen“ und wodurch eigentlich Pflichten entstehen, beschäftigt mich schon seit einer Weile, und meine These ist, dass die westlich-moralische Pflichtethik à la Kant gescheitert ist.  Dabei bin ich von der Beobachtung ausgegangen, dass „Müssen“ heutzutage schlicht mit „Zwang“ gleichgesetzt wird: Wozu ich nicht gezwungen bin, das muss ich auch nicht.

Interessant ist daher, wie „Zwang“ definiert wird. Spontan stelle ich mir dabei eine gewaltvolle Macht vor: Jemand „zwingt“ mich mit der Pistole auf der Brust, etwas zu unterschreiben. Ich bin in einer Situation, in der ich „nicht anders kann“, oder jedenfalls nur um einen sehr hohen, eigentlich unbezahlbaren Preis.

Offenbar hat sich aber längst an eine andere Bedeutung von „Zwang“ ausgebreitet: Viele Menschen fühlen sich, wie Grybauskaite, schon zu etwas „gezwungen“, wenn ihnen andernfalls bloß kleinere Nachteile drohen, wie zum Beispiel finanzielle Einbußen oder der Verlust eines Amtes. Wie anders wäre es  zu erklären, dass wir bereitwillig die Erklärung akzeptieren, sie sei „gezwungen“, das Gesetz zu unterschreiben?

Wenn man beides nun zusammen denkt, die Gleichsetzung von „Müssen“ mit „Zwang“ auf der einen Seite und die Gleichsetzung von „Zwang“ mit „andernfalls kleinere Nachteile in Kauf nehmen müssen“ – dann ist das Ende jeder moralisch-ethischen Grundlage augenfällig. Dann ist nämlich jede nicht-mainstreamige Handlung logisch ausgeschlossen: Es gibt keine Verpflichtung mehr jenseits des Zwanges, andererseits aber sind wir ständig zu vollkommen angepasstem Verhalten „gezwungen“, weil nicht mehrheitskonformes Handeln ja mit großer Wahrscheinlichkeit den einen oder anderen materiellen oder statusbezogenen Nachteil mit sich bringt.

Das würde natürlich den außerordentlichen Grad an Konformismus erklären, der für die heutigen Gesellschaften charakteristisch ist. Und es ist eine Bankrotterklärung für unsere Kultur, die sich von jedem ethischen Anspruch offenbar ganz verabschiedet hat. Da wundert es dann auch nicht mehr, dass menschenfeindliche Ideologien sich, wie eben in Litauen, ganz ungeniert als „Moralgesetze“ ausgeben können. Es gibt ja schließlich nichts, was ihnen diesen Platz streitig machen könnte.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

3 Gedanken zu “Gezwungen, das Gesetz zu unterschreiben?

  1. In der historischen Perspektive halte ich deinen Beitrag für sehr fragwürdig. Die gesellschaftlichen Zwänge – die du hier als die kleineren im Vergleich zur Morddrohung bezeichnest – waren doch noch nie aufgehoben. Frag doch mal Immanuel Kant, unter welchen gesellschaftlichen Zwängen er gelebt hat. Unsere heutige Demokratie hat diese Zwaänge nicht aufgehoben – das mag in der Perspektive der Idealisten ein Entäuschung sein. Aber realistisch gesehen: Wann genau und wo gab es diesen Zustand? In welcher Gesellschaft, in welchem Land herrscht oder herrschte kein „Konformismus“?

    Like

  2. das was antje schrupp sagt stimmt schon auf seine weise,
    würdest du etwas unterschreiben, dass dir verluste einbringt???? nein. natürlich nicht, keiner von uns würde das.
    dieses moralgesetz ist schon stark.wenn man homosexuell ist ist das genetisch veranlagt, man kann also nichts dafür,dieses gesetz hebt das „gleichtheitsgesetz“ gesetz auf…les mal in unserem gesetzbuch nach, alle gesetze heben sich durch ein anderes auf.

    Like

  3. Fakt ist doch: sie wurde von Männern gezwungen, dieses Gesetz zu unterschreiben! Ich vermute sogar makulistische Männer am Schalthebel der Macht!

    Like

Datenschutzhinweis: Die Kommentarangaben und die Mailadresse werden an Automattic, USA (die Wordpress-Entwickler) übermittelt. Details hierzu in der Datenschutzerklärung (Link links). Sie können gerne Pseudonyme und anonyme Angaben hinterlassen.