Zum Tod von Mary Daly

Ich kann mich noch erinnern, dass ich auf Mary Daly ganz schön sauer war. Es muss irgendwann Ende der 1980er Jahre gewesen sein, da hielt sie einen Gastvortrag in Frankfurt und ich war Volontärin beim Evangelischen Pressedienst. Ich hätte an diesem Tag eigentlich frei gehabt, ein Kollege sollte den Termin wahrnehmen. Aber dann musste ich hin – denn Mary Daly ließ mitteilen, dass Männer zu ihren Veranstaltungen nicht zugelassen sind.

Manche Leute müssen eben zu ihrem Glück gezwungen werden. Jedenfalls fand ich ihre radikale Christentumskritik so interessant, dass ich mir sofort ihr Buch „Jenseits von Gottvater, Sohn und Co.“ kaufte. Und offenbar hab ich es gründlich gelesen und viel Interessantes darin gefunden. Rund um das Inhaltsverzeichnis habe ich nämlich massenweise Stichworte mit Seitenverweisen notiert, von Aristoteles und Spinoza über Marxismus und Männer bis zu Krankheit und dem Heiligen Geist:

Ich habe diesen Weg der Religionskritik, die Daly zu einer weiblich-lesbischen Neuerfindung von Spiritualität führte, jedoch nicht weiter verfolgt, sondern mich überhaupt von der Theologie ab- und der Politikwissenschaft zugewendet. Dabei verlor ich auch Mary Daly irgendwann aus den Augen. Noch einmal erlebte ich sie live – es muss Ende der neunziger Jahre gewesen sein, im Bürgerhaus Bornheim – , aber ich erinnere diese Veranstaltung mit einem gewissen Unbehagen. Wie ein Popstar kam sie damals auf die Bühne, umjubelt von Hunderten von begeisterten Frauen, die ohne jede kritische Nachfrage jedes Wort von ihr in sich aufsogen. Ich fühlte mich nicht wohl, weil es dort keinen Platz gab für meine Kritik, für meinen Widerspruch. Andererseits: Wer wollte den Frauen vorwerfen, dass sie auch das Bedürfnis nach Heldinnen haben?

Aus Anlass ihres Todes – Mary Daly starb am 3. Januar im Alter von 81 Jahren – kamen all diese Erinnerungen wieder hoch. Und ein bisschen wehmütig nehme ich Abschied von einer Frau, die den Mut zu einer denkerischen Radikalität hatte, die es heute im Feminismus viel zu selten gibt. Ihre Bücher sind es nach wie vor Wert, gelesen zu werden. Stehen Sie eigentlich heute auf der „Mustread“-Liste im Studium der Theologie, der Philosophie, der Gender-Studies? Ich hoffe doch sehr, denn da gehören sie definitiv hin.

Zum Schluss noch ein Lesetipp zum Thema: Im Internetforum  „Beziehungsweise weiterdenken“ erzählen Michaela Moser, Ina Praetorius und Astrid Wehmeyer von ihrem persönlichen Weg mit Mary Daly.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

7 Gedanken zu “Zum Tod von Mary Daly

  1. Liebe Antje Schrupp,
    ich bin ein Mann. Ich bin begeistert von Mary Daly. Von jedem ihrer Bücher. Ich ziehe jedes Wort in mich hinein. Von Reine Lust. Wie von Gyn/Ökologie und besonders von Jenseits von Gott-Vater-Sohn & Co.. Ich bin Buddhist geworden, nachdem ich mit dem Christentum und seiner Lehre gescheitert bin und keine Anwendung mehr fand. Dass dies nicht möglich ist, habe ich durch die Bücher Mary Daly’s erfahren. Besonders in Beyond the godfather bringt Mary Daly Erkenntnisse und Zusammenhänge in der gleichen Weise wie Buddha. Sie spricht vom Schweigen und Rückzug als neue Sprache der Frauen. Genau so spricht der Buddha auch. Ich sehe daher in den Büchern von Mary Daly eine Pflichtlektüre für jeden Mann dieser Erde, um darin sich selbst zu sehen und wie und was er zu üben hat, damit er durch diese durch ihn gegründeten und weiterführenden dämonisch-sexistisch-sadomasochistischen Machtstrukturen zur Einsicht kommt, und ebenso stelle ich diese Pflichtlektüre auch für die Frau dar. Der Gegner lässt nicht mit sich spassen, er ist versessen darauf, das falsche Ich-Bewusstsein weiter am Wirken zu lassen. Was Sie hier schreiben als Feministin, iritiert mich. Denn Sie drücken Erbitterung und Missgunst an Mary Daly aus. Dies kann nur daher stammen, dass Sie noch voll in der christlichen Mythologie des Mythos der Erbsünde verhaftet sind – daran der auch der erwachende Mann leidet.
    Ihre Erinnerungen beziehen sich nicht auf positive Gedanken, sondern Sie wollen rechthaberisch Ihre Form der evangelikalen Situation richtigstellen. Wie das? Dann werfen Sie Mary Daly genau jene Profilierung vor, die Sie nicht ist: Pop-Star. Sie sagen: Auch Frauen brauchen Heldinnen. Dies ist eine sehr negative Bewertung. Frauen brauchen keine Heldinnen. Nur Männer brauchen Helden. Mary Daly hat aufgewiesen, dass die Frau, die alleine kämpft, übermächtige Gegner erhalten wird, weil das System sofort zurückschlagen wird. Was die Frauen ausdrücken ist Begeisterung, Liebe, Erkennung der Essenz des Wahren Geistes, der seine Zugehörigkeit untereinander erkennt. Das erkennen Sie nicht, weil Sie ja noch das Schutzmäntelchen des zerstörerischen Mannes in sich tragen: Das Christentum, den Protestantismus. Sie haben das Buch nicht richtig gelesen. Nicht also in Mary Daly ist das falsche Ich-Bewusstsein, sondern in Ihnen, das Sie nicht erkennen wollen. Mich enttäuscht Ihr Beitrag, wie Sie diesen in Worten, Struktur und Wortwahl aufgebaut haben. Dies zeigt, dass Sie nicht den Inhalt erkannt haben. Gerade durch das Studium des Buddhismus erkenne ich in Mary Daly den ersten und einzigen weiblichen Buddha, von der vor allem jene westlichen Frauen zu lernen haben, die hier im Westen buddhistische Nonnen werden und noch mit diesem Virus des Mannes infiziert sind. Es fällt auf, wie diese vor allem an Krebs sterben. Dass eine buddhistische Nonne an Krebs stirbt, ist aussergewöhnlich, meine ich. Schliesslich lehrt der Buddha die Erwachung und nicht den Krebs.
    Mary Daly ist für mich in all ihren Gedanken eine nicht zu widerlegende Stütze und Erweiterung, um überhaupt die Wahre Lehre des Buddha zu üben. Dieser sollte sich jede Frau auch hingeben, wenn sie ebenso in der Lehre des Buddha ihren Weg gefunden hat. Die einzige Kritik, die ich hege, und darum bedaure ich, dass ich Mary Daly nur noch nach ihrem Tod anschreiben kann – ich bin aber sicher, dass ich sie in der nächsten Daseinsrunde wiedertreffen werden – dass sie mit einer falschen Erkenntnisse über den Buddha andere Frauen ebenfalls animiert, diesen falsch zusehen. Statt, dass sie die Analyse selbst vornimmt, benutzt sie ausgerechnet einen Mann: Max Weber, der irrige Vorstellungen von Buddha hat, die Mary Daly unhinterfragt übernommen hat. Ich bin mir aber sicher, dass dies Mary Dalys einzigster Fehltritt geblieben ist und diesen verzeihe ich ihr. Denn sie bringt unendlich mehr an erweiterter Sicht für die Männer und trägt vielmehr zur Befreiung beider Geschlechter bei, als dass jemand versucht sein sollte, ihr irgendwelche bösen Gedanken zu unterschieben. Mary Daly ist für mich in jeder Hinsicht eine befreiende und erlösende Frau und positiv zu bewerten, wenn das überhaupt einer Frau angetan werden sollte.
    Mögen alle Wesen glücklich sein leidlos und in Frieden leben.

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