Gegen welche Krankheit helfen nochmal Quoten, und wer ist überhaupt der Patient?

Würde diesem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine Frauenquote gut tun? Wahrscheinlich schon. Foto: Bundestag.de Lichtblick/Achim Melde

Mit dem Cortison-Vergleich in ihrer gleichstellungspolitischen Grundsatzrede hat Bundesministerin Kristina Schröder das Thema Quoten mal wieder in die Debatte gebracht. Ich finde den Vergleich interessant – und einer genaueren Überlegung wert.

Denn wenn Quoten ein Medikament sind, das – wie Schröder sagte – lediglich die Symptome einer Krankheit heilt, nicht aber ihre Ursachen beseitigt, dann stellt sich ja die spannende Frage: Was genau ist die Krankheit, um die es hier geht? Und vor allem: Wer ist eigentlich der Patient?

Ich gebe Schröder nämlich völlig recht in ihrer prinzipiellen Diagnose: Dass „Strukturen und Kulturen in der Arbeitswelt nicht nur Frauen benachteiligen, sondern zu einer Benachteiligung von Menschen, von Männern und Frauen, führen, wenn sie Fürsorgeaufgaben in der Familie übernehmen.”

Und mit ihr stelle ich auch die folgende Frage:

„Wir kritisieren zu Recht, dass Frauen immer noch deutlich weniger verdienen als Männer. Wir kritisieren zu Recht, dass auf höheren Hierarchieebenen, in Führungspositionen, insbesondere in Vorständen und Aufsichtsräten sehr wenige Frauen vertreten sind. Aber warum reden wir so wenig über die kulturellen und strukturellen Ursachen in der Arbeitswelt, die diesen Beobachtungen zugrunde liegen?”

Also gut, reden wir über die kulturellen und strukturellen Ursachen. Die liegen nämlich in einem falschen Wirtschaftsverständnis, das traditionell zwischen „produktiver” Arbeit in „der Wirtschaft” und „unproduktiver” Arbeit wie Putzen, Kochen, Krankenpflege, Kindererziehung unterschieden hat. Die diese Bereiche geschlechtlich konnotiert hat (Männer sind für das eine, Frauen für das andere zuständig) und sie dann auch noch hierarchisch zugeordnet hat. Weshalb es, nur so zum Beispiel, für das eine viel Geld gibt und für das andere keines oder nur wenig. Aber man könnte hier auch von Anerkennung, von Status, von gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten generell sprechen.

Ich gebe Schröder völlig Recht in ihrer Diagnose, dass die Abwesenheit der Frauen aus der einen Sphäre (und umgekehrt die Abwesenheit der Männer aus der anderen) nur ein Symptom ist. Die Krankheit heißt nicht „Frauendiskriminierung”, sondern sie heißt „falsches Wirtschaftssystem, falsche kulturelle Denkmuster”.

Und der Patient sind nicht die benachteiligten Frauen, sondern die Gesellschaft, in der vieles nicht funktioniert. In der die Menschen nicht genug Zeit und Muße für so wichtige Dinge wie Kindererziehung, Krankenpflege und vieles andere mehr haben, weil sie ständig damit beschäftigt sein müssen, in der ersten, „wichtigen” Wirtschaft einen Stich zu machen, also zum Beispiel Geld zu verdienen.

Und was machen wir also nun?

Der Patient, die Gesellschaft also, ist ziemlich krank. Sie leidet unter ganz heftigen Symptomen, auch die Finanzkrise war so eines. Die Armutsschere ist so eines. Die Misere der so genannten „bildungsfernen Schichten” ist so eines. Der allseits gefürchtete Pflegenotstand ist eines. Die Tatsache, dass der Ausbau von Kinderkrippen daran zu scheitern droht, dass es schlichtweg nicht genug Erzieherinnen für den Job gibt, von Erziehern ganz zu schweigen. Die Aufzählung ließe sich noch lange weiter führen.

Ich meine, wenn ein Patient so krank darniederliegt: Müsste man da nicht doch einmal über Symptombehandlungen nachdenken? Denn wenn der Patient erst mal tot ist, weil er keine Antibiotika nehmen wollte (den Vergleich finde ich besser als das schreckensbeladene Cortison), dann war’s das.

Allerdings stimmt: Bei der Behandlung von Symptomen kann es nicht bleiben. Dann bleibt der Patient nämlich langfristig krank, höchstwahrscheinlich entwickelt er sogar Resistenzen. Ein gutes Beispiel ist das Finanzthema: Da haben ja Studien unter dem Stichwort Lehman Sisters gezeigt, dass zwar tatsächlich Frauen besser mit Geld umgehen, Risikoanlagen zum Beispiel meiden – aber nicht, weil das in den weiblichen Genen so festgelegt wäre, sondern weil sie schlicht und einfach nicht so viel Geld zum Spekulieren haben, wie Männer (im Schnitt). Die Studien haben auch gezeigt, dass Frauen, wenn sie genauso viel Geld haben, genauso schlecht mit Geld umgehen.

Ein anderes Beispiel für die Ausbildung von Resistenzen habe ich in der März-Ausgabe von „mobil” gefunden, diesem Bahn-Magazin, das in ICEs ausliegt. In einem Interview erzählt Maybrit Illner dort von der Veränderung im Gesprächsverhalten von Politikerinnen, die sie im Talkshow-Business über die Jahre beobachtet hat. Sie sagt:

„Die erste Generation der Frauen hat sich Macht hart und einsam erarbeitet. Die zweite ist über die sogenannte Quote zu Verantwortung gekommen. Sie ist mittlerweise erfahren, souverän und entspannt. Früher sind Politikerinnen nach einem harten Schlagabtausch schon mal weinend rausgerannt. Das passiert heute nicht mehr.”

Mission completed? Ich meine, nicht. Eher: Chance auf Veränderung verschenkt. Über das dissidente Potenzial weiblichen Heulens habe ich an anderer Stelle schon mal nachgedacht. Das Beispiel zeigt, dass Frauen sich anpassen können, natürlich. Alles eine Frage des Trainings. Aber auf diese Weise bleibt dann eben alles, wie es ist – außer dass Frauen mitmachen dürfen. Ist ja vielleicht schon mal was. Mir aber ist es nicht genug. Und vor allem wird es dem Patient Gesellschaft nichts nützen, im Gegenteil, das Antibiotikum wirkt dann irgendwann nicht mehr.

Es ist ja nicht so, dass wir über die Wirkungsweise des Medikamentes „Quoten” noch überhaupt nichts wüssten. Bei den Grünen findet es seit dreißig Jahren Anwendung, wir können also recht gut sehen, wogegen es hilft – und wogegen nicht.

Tatsächlich profitieren die Grünen als Partei von ihrer 50-Prozent-Quote für Frauen, denn sie haben oft die besseren Ideen, die originelleren Aktionen, die zukunftsweisenderen Konzepte (auch wenn ich an manchen Punkten mit ihnen hadere). Das liegt nicht daran, dass Frauen per se die besseren Ideen hätten, sondern daran, dass bei den Diskussionen innerhalb der Grünen immer genügend Frauen da sind, die dafür sorgen, dass es zu fruchtbaren Auseinandersetzungen über Themen kommt, die Männer, wenn sie allzu sehr unter sich sind, leicht mal vergessen – und die aber, siehe oben, von gesellschaftlicher Wichtigkeit sind. Denn, nicht vergessen: Krank sind nicht die Frauen, sondern unsere männerdominierte Kultur.

Allerdings frage ich mich seit einiger Zeit, warum die Grünen denn die Quote eigentlich nach drei Jahrzehnten immer noch nötig haben. Sollte man nicht meinen, die Zeitspanne ist lang genug, um jene tiefgreifenden kulturellen und strukturellen Veränderungen zu bewirken, die ja die eigentliche Krankheit ausmachen?

Offenbar nicht. Alle grünen Frauen, mit denen ich darüber geredet habe (und ich spreche das Thema seit einigen Jahren an, wo immer sich eine Gelegenheit ergibt), sind überzeugt: Hätten die Grünen die Quote nicht, dann wäre auch bei ihnen der Männeranteil recht schnell wieder deutlich höher als der Frauenanteil. Die Symptome würden zurückkehren, wenn das Medikament abgesetzt wird, der Patient ist also nicht geheilt.

Von daher: Quoten ja – aber nicht, um den Frauen zu helfen, sondern um denjenigen Institutionen zu helfen, die unter dem Mangel an Frauen, dem Mangel an weiblicher Dissidenz leiden. Institutionen, die Frauenquoten einführen, tun nicht den Frauen einen Gefallen damit, sondern sich selbst.

Aber sie doktern nur an den Symptomen herum, sie gehen noch nicht an die Wurzel des Übels. Dazu müssten sie die Ruhepause, die ein solches Medikament ihnen verschafft, nutzen, um tiefer zu gehen, um grundsätzlichere Fragen zu stellen, um prinzipielle Dinge zu ändern. Stellen sie sich dieser Herausforderung nicht, geben sie sich damit zufrieden, dass die Symptome kurzweilig unterdrückt sind – dann laufen sie Gefahr, dass sich Resistenzen ausbilden, dass das Mittel irgendwann nicht mehr wirkt.

Und dann stünde der Patient am Ende schlechter da als vorher.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

11 Gedanken zu “Gegen welche Krankheit helfen nochmal Quoten, und wer ist überhaupt der Patient?

  1. Dazu fällt mir ein, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wurde im letzten Jahr gerügt, dass er in seinen oberen Gremien zu wenig Frauen benennen würde.

    Zur gleichen Zeit suchte man eine Nachfolge für die Abteilung QS und sektorübergreifende Versorgungskonzepte, es gab im eigenen Haus eine Kandidatin, die die Kompetenz dazu besessen hätte und sich beworben hatte.

    Der Posten wurde nun durch einen Herren besetzt. Die sehr kompetente Mitarbeiterin hat den G-BA verlassen. Logisch.

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  2. Was Du vorschlägst, ist für mich logisch die nächste Stufe der Emanzipation. Muß aber bei denen, die etwas bewegen könnten, wohl erst mal sacken… (siehe auch @creezy) Ich rechne dann noch mal 30 Jahre; wenn ich Glück hab, erleb ich’s noch.

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  3. Die Grünen hier als Argument für die fehlende Nachhaltigkeit der Quote zu nennen ist wenig überzeugend, da die Partei kein geschlossenes System ist. Ansonsten gute Analyse, ich denke aber, dass du den möglichen Wert der Quote zur Schaffung neuer Vorbilder unterschätzt.

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  4. Bingo! Über was ich einzig etwas gestolpert bin, ist die Formulierung »Muße für so wichtige Dinge wie Kindererziehung, Krankenpflege«. Die halte ich nämlich für ganz elementare gesellschaftliche und menschliche Aufgaben, deren Ausführung sich auch gar nicht immer wie Muße anfühlt. Können wir dann also bitte mal mit Stufe 2 anfangen, also mit der Entmachtung der »Wirtschaft« und der Besinnung auf das, was für ein funktionierendes menschliches und gesellschaftliches Miteinander elementar nötig ist?

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  5. Whow!

    Im Detasil komme ich allerdings zu einem etwas anderen Schluss. Die krankheit ist nicht die Männerdominanz. Diese Dominanz ist oft genug aufgezwungen und eher Bestandteil der Krankheitssymptome als deren ursache.

    An einer Stelle hast Du Etwas geschrieben, das ich schon geradezu genial finde:
    „Also gut, reden wir über die kulturellen und strukturellen Ursachen. Die liegen nämlich in einem falschen Wirtschaftsverständnis, das traditionell zwischen „produktiver” Arbeit in „der Wirtschaft” und „unproduktiver” Arbeit wie Putzen, Kochen, Krankenpflege, Kindererziehung unterschieden hat. Die diese Bereiche geschlechtlich konnotiert hat (Männer sind für das eine, Frauen für das andere zuständig) und sie dann auch noch hierarchisch zugeordnet hat.“

    Und ich meine, dass dieses falsche Wirtschaftsverständnis die Ursache ist. Oder, um es mal etwas populärer auf den Punkt zu bringen: Gier. Wenn Du das mal aus der Warte der Spitzenkassierer siehst, dann ergibt das Ganze durchaus Sinn. „Teile und herrsche“ ist ein bewährtes strategisches Prinzip. Die Arbeit und damit auch das Selbstverständnis zu teilen in „produktiv“ und „nicht produktiv“ ist aus dieser Sicht eine logische Konsequenz. damit können sich die „Produktiven“ und die „Unproduktiven“ prima gegenseitig bekämpfen. Das Einziehen einer Hierarchie verschärft diesen Konflikt weiter und macht das Leben „oben“ noch bequemer.

    Etwas vereinfacht gesagt wird die Menschheit unterteilt in „Schmarotzer“, „Arbeiter“ und „Leistungsträger“. Die Schmarotzer sind der unproduktive Hackklotz, auf dem die Arbeiter herumhacken können. Die Arbeiter arbeiten. Bringen aber keine Leistung. Das tun die Leistungsträger. Nur diese bringen Leistung. Und damit das so bleibt, wird dafür gesorgt, dass das Alle auch so glauben. Eine Abweichung davon führt automatisch zu Schuldgefühlen. Die eigene Schuld an der eigenen Kaste wird noch dadurch verstärkt, dass ja Jeder eine angebliche Chance hat, seine Klasse zu wechseln. Im früheren Indien war die Schuld für die Zugehörigkeit zu einer Kaste wenigstens in einem vorherigen Leben zu suchen. Die Schuld an der Zugehörigkeit zu einer heutigen Kaste ist im aktuellen Leben zu suchen.

    Allerdings gibt es noch mehr Trennungslinien als nur zwischen Mann und Frau. Und die allermeisten dieser Trennunglinien sind im Laufe der Industrialisierung künstlich errichtet worden und werden seitdem mit allen Mitteln aufrecht erhalten.

    Quoten als Medizin? Na, ich weiss nicht. Jede Medizin hat auch Nebenwirkungen. Wir haben heute schon die Meinung, dass sogenannte Quotenfrauen schmarotzend auf Kosten leistungsfähigerer Männer auf einem hierarchisch höheren Posten sitzen.

    Ich kann Deine Argumente pro Quote nachvollziehen. Wer weiss, vielleicht hilft es ja wirklich Etwas. Aber bei den Nebenwirkungen wird mir mulmig.

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  6. Völlig off topic:

    Kortison ist Hormon das in den Nebennierenrinden produziert wird und für das Überleben eines Menschen notwendig ist. Es hat dazu eine stark entzündungsbekämpfende Wirkung. Den schlechten Ruf hat es, weil es früher oft in stark überhöhten Dosen verabreicht wurde. Ohne die tägliche Einnahme dieses Hormons weilte ich schon längst nicht mehr unter den Lebenden.

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  7. Mit niedrig dosiertem Cortison kann übrigens nicht nur Morbus Addison behandeln, sondern auch subklinische, reversible Ausprägungen der Nebennierenrinden-Erschöpfung. Eine derartige Erschöfpung der Nebennieren entsteht durch Überlastung (die Nebennierenrinde produziert ja Stresshormone) und ist gewissermaßen eine körperliche Entsprechung zum Burn-Out. Womit wieder halbwegs ans Thema angeknüpft wäre 🙂

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  8. Eine Einlassung zur Quote. Für alle die mit Personalrekrutierung zu tun haben ist eines klar. Wenn Stellen zu besetzen sind, geht es nach Leistung, Eignung und Befähigung. Gerade bei den sogenannten Quotenfrauen wird sehr darauf geachtet. Wir haben erst dann eine wirkliche Gleichberechtigung erreicht, wenn wir genauso viele unfähige Frauen in den Führungsetagen aushalten können, wie wir es bei Männer auch müssen.

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