Nerds (m/w). Eine Analyse und eine Frage.

Über Nerds wollte ich eigentlich gar nichts schreiben, weil ich mir nicht sicher bin, ob es so etwas überhaupt gibt. Jedenfalls hatte ich noch nie das Bedürfnis, die Menschen, mit denen ich es im Alltag zu tun habe, in Nerds und Nicht-Nerds aufzuteilen. Nur aus Erzählungen kenne ich ein, zwei, die dem Klischee vielleicht halbwegs nahe kommen.

Aber das Thema kommt ja aus den Medien gar nicht mehr raus, und deshalb komme ich wohl mittelfristig nicht drum herum, mir dazu eine Meinung zu bilden. Zumal im Zusammenhang mit Nerds immer auch von Frauen die Rede ist. Und zwar nicht nur indirekt, insofern der Nerd nach allgemeiner Auffassung männlich ist, sondern auch ganz direkt: Immer steht die Frage im Raum, ob Frauen sich in Nerds verlieben oder nicht.

Das interessiert mich, denn die Vorstellung, das Sich-Verlieben einer Frau würde etwas über die objektive, gesellschaftliche Qualität eines Mannes aussagen, ist ein fester Bestandteil unseres Kulturwissens. So heißt es zum Beispiel in „De Amore“, einem im Mittelalter weit verbreiteten Liebes- und Erotik-Lehrbuch: „Sie selber aber (d.h. die Frauen) sind dringend gehalten, jeden entsprechend seinen Verdiensten zu belohnen. Denn was immer die Menschen (d.h. die Männer) an Gutem tun und sagen, sie pflegen alles dem Lob der Frauen zuliebe zu tun, und es in ihrem Dienst zu vollbringen, damit sie sich der Belohnung durch sie rühmen können.“

Spätere Varianten dieses Motivs handeln davon, dass verantwortungsbewusste Frauen einen gut verdienenden Langweiler dem charmanten Hallodri bei der Gattenwahl vorziehen sollen und so weiter. Jedenfalls geht es durch die Jahrhunderte bei der Frage, wen eine Frau „erwählt“, so gut wie nie um das weibliche Begehren selbst, sondern darum, die Männer und ihre Taten letztlich zu evaluieren – und zu belohnen.

Und jetzt also die Nerds. Die im Kommen sind. Die immer wichtiger werden. Vor denen wir eventuell Angst haben müssen, weil sie die einzigen sind, die bei diesem ganzen Computerkram noch durchblicken. Die Frauen sind es, die mit ihrem gewandelten Urteil den letztgültigen Beweis dafür liefern, dass die Nerds aus der Schmuddel-kalte-Pizza-Autisten-Ecke heraus sind: „Und ja, es gibt Frauen, die Nerds ziemlich erotisch finden“ – so endet der Artikel zum Thema in der aktuellen brandeins, und es klingt fast wie eine Drohung.

Bei der Diskussion über die Nerds geht es um einen Konflikt zwischen Männern. Verhandelt wird daran ein sich veränderndes Männerbild. Der visionäre, polternde, machtbewusste, charismatische Macher-Mann, der seit einigen Jahrzehnten das männliche Role-Model war (nicht zufällig denke ich hier an Frank Schirrmacher) wittert Konkurrenz durch eine neue Sorte Mann, der er der Einfachheit halber den Namen „Nerd“ gibt.

Und ich, eine Frau? Was habe ich mit all dem zu tun?

Zunächst ist natürlich einmal das Selbstverständliche festzuhalten, nämlich dass es auch Frauen gibt, die kalte Pizza essen, geselligen Small-Talk meiden, nicht viel auf Mode geben und sich extrem gut mit Computern auskennen. Der Punkt ist nicht, dass es keine weiblichen Nerds gäbe, sondern dass es offenbar nicht notwendig ist, sie so zu nennen. Niemand hat das Bedürfnis, diese Frauen zu einer bestimmten „Sorte“ Mensch zu erklären, sie mit einem eigenen Label zu belegen.

Ich bin der Meinung, das hängt eben genau damit zusammen, dass die Nerd-Diskussion in Wahrheit eine versteckte Männlichkeits-Diskussion ist: Während verunsicherte Nicht-Nerd-Männer die Selbstverständlichkeiten, an die sie immer geglaubt haben, in Gefahr sehen (einfach weil es immer mehr Männer gibt, die es anders machen, eben die „Nerds“), gibt es auf Seiten der „Nicht-Nerd-Frauen“ (wie ich zum Beispiel eine bin) keine Notwendigkeit, sich irgendwie konzeptionell von „Nerd-Frauen“ zu unterscheiden. Es besteht einfach an diesem Punkt keinerlei Unsicherheit im Bezug auf die eigene Weiblichkeit oder die Bedeutung, die wir jeweils dem Frausein beimessen. Wie gut eine Frau mit Computern kann und wie viel sie im Netz unterwegs ist, ist schlicht unerheblich im Bezug auf das Frausein. Die einen machen es eben so und die anderen so (was nicht heißt, dass Frauen bei diesem Thema keine Konflikte untereinander hätten, aber dazu ein andermal).

Was können am Thema interessierte Frauen also nun mit dieser Diskussion um die Nerds tun? Mein Vorschlag wäre, dass wir nicht so sehr darauf hinweisen, dass es auch „weibliche Nerds“ gibt, sondern eher versuchen, die der Debatte eigentlich unterliegende Konstruktion (beziehungsweise Dekonstruktion) von Männlichkeit aufzudecken und als solche zu thematisieren.

Denn da hätten speziell die Feministinnen unter uns ja durchaus vieles beizutragen. Zum Beispiel haben wir Regalweise feministische Analysen darüber verfasst, warum sich der Schirrmacher-Typus eigentlich überholt hat und was genau das Problem an seiner Vorherrschaft ist. Was die Nerds betrifft, so bin ich mir, wie gesagt, nicht sicher, ob es sie überhaupt gibt, aber eventuell ist so ein Begriff, wenn auch sicher pauschalierend, ganz nützlich, um zu benennen, dass sich gegenwärtig alternative Typen von Männlichkeit herausbilden. Dann könnten wir auch untersuchen, inwiefern sie sich von den klassischen unterscheiden oder nicht.

Ich persönlich finde an diesen ominösen „Nerds“ zum Beispiel positiv, dass sie, anders als die Schirrmacher-Machos, kaum noch Geschlechterklischees und patriarchales Überheblichkeitsgetue an den Tag legen. Problematisch finde ich allerdings, dass sie ihre eigene (männliche) Partikularität oft nicht sehen und gerne mal glauben, alle Menschen (nicht nur, aber speziell auch Frauen) wären genauso wie sie selbst.

Eine erste Ahnung für einen möglichen Grund für dieses Desinteresse an der Differenz kam mir gestern beim Lesen des genannten brandeins-Artikels. Neben den üblichen Klischees war es folgende Beschreibung der Nerds, die bei mir hängen blieb und mich interessierte: „Unverdrossene und pedantische Wahrheitssucher, die auf Daten, Fakten und Logik pochen, die Letzten, die noch zwischen null und eins, zwischen Kompetenz und Inkompetenz unterscheiden können.“

Genau dieser Punkt war es, der mich vor einem halben Jahr an vielen „nerdigen“ Kommentaren zu meinem Blogpost über die Piraten vor allem gestört hat. Nicht, dass sie anderer Meinung waren als ich (nämlich der Meinung, der Frauenanteil in einer Partei sei irrelevant, während ich der Meinung war, er sei relevant), sondern dass sie ihre Meinung so verkündeten, als ginge es dabei um eine objektive Wahrheit, eine universale Logik, und ich sei nur zu blöde, um sie zu verstehen.

Diese Vorstellung, es gebe hinter allem eine „Wahrheit“ und es gehe nur darum, sie möglichst zweifelsfrei herauszufinden, stimmt aber nur für abgeschlossene Systeme und nicht für Politik. Es ist zum Beispiel schlicht nicht möglich, zu „beweisen“, ob der Frauenanteil in einer Partei relevant ist oder nicht. Sondern genau das ist der Gegenstand politischer Urteile, darüber gibt es Differenzen, und nirgendwo ist ein Schiedsrichter, der sagt, wer recht hat: Sobald ich, eine einzige Frau, beschließe, dass der Frauenanteil in einer Partei relevant ist, dann ist er nämlich relevant (zunächst einmal für mich, aber bald auch für die Welt, denn ich werde dann entsprechend handeln).

Der Bereich des Politischen führt immer aus dem jeweiligen System hinaus, das ist sein Wesen. Politik zeichnet sich (nach Hannah Arendt) durch die Möglichkeit des Neuanfangs aus, durch die Fähigkeit jedes einzelnen Menschen, etwas Anderes, Neues, noch nie da Gewesenes zu tun. Die alten, bisher existierenden Logiken und Maßstäbe haben im Bezug auf dieses Neue keine Gültigkeit. Man befindet sich in der Politik in einem undefinierbaren und schwammigen und unsicheren Bereich, wo einem nichts anderes übrig bleibt, als real existierende Unterschiede auszuhandeln und sich mit Menschen abzugeben, die (aus eigener Perspektive) Blödsinn reden, nichts kapiert haben, kein bisschen durchblicken und so weiter.

Daher meine Frage an die „Nerds“ (und jetzt meine ich explizit auch die Frauen, die sich dazu zählen): Könnt Ihr mit diesem Unterschied zwischen offener, unbeweisbarer, überraschender, nicht vorhersagbarer Politik (Differenz) und verstehbarem, allgemein gültigem und logisch beweisbaren Systemen (Universalismus) etwas anfangen? Habt ihr darüber schon diskutiert? Ergebnisse? Texte? Links? Danke!

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

66 Gedanken zu “Nerds (m/w). Eine Analyse und eine Frage.

  1. Nach meiner Erfahrung liegt das Problem nicht bei Nerd oder Nicht-Nerd, sondern darin, ob ein Mensch genug Intelligenz und Integrität besitzt, zwischen objektiv (sofern möglich) und subjektiv zu unterscheiden. Wahrheiten, möglichst einfacher Art, werden nicht nur von Computerhockern, sondern von allen verkauft, die Denken in Wirklichkeit viel zu anstrengend finden. Auch und gerade, wenn es eigentlich zu ihrem Jobprofil gehört.
    Die Kategorie „Nerd“ also solche interessiert mich exakt bis zum Ende des Gary Larson oder Dilbert-Cartoons. Für reale Menschen finde ich Kategorien jeder Art einfach nur lästig und unpassend. Weil Menschen vielschichtig und kompliziert sind. Und großartig.
    Beste Grüße von einer komplizierten Frau (die bestimmt Nerd-Anteile besitzt, sonst säße sie jetzt nicht vor dem PC),
    Ute Weber

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  2. @Petra Gabriel – versteh ich nicht. Meine Frage am Ende hatte doch gar nichts mit Gender zu tun, sondern mit dem Unterschied zwischen System und Politik???

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  3. Kluge Beobachtungen, die ich nicht 100% teile.

    Einerseits gibt es unter denen, die sich Nerds nennen, tatsächlich die Tendenz, das nicht sehen zu wollen, was als Elefant im Raum steht, nämlich u.a. das völlig ungleich verteilte Geschlechterverhältnis im Umfeld der technisch-kreativ Begeisterten, was dann gerne beiseite gewischt wird mit dem Hinweis, es würde doch niemand ausgeschlossen: „Bei uns können doch Jungs aller Geschlechter mitmachen, wo ist denn da die Diskriminierung?“

    Andererseits weiss ich nicht, ob es — trotz der Tatsache, dass Nerds in Aussen- und Innensicht synonym mit Männer benutzt wird — gegenüber denjenigen Frauen, die aus dem Rahmen fallen und in der Identität als Nerd etwas Befreiendes finden es nicht unfair ist, davon zu reden, dass es sich beim Reden über Nerds nur um eine verdeckte Männlichkeitsdebatte handelt.

    In Bezug auf Wahrheit und Logik, die absolut auf Politik und Gesellschaft angewendet werden, sprichst du mir aus dem Herzen. Meine Theorie ist, dass Problemlösungsstrategien aus Technik und Programmierung von manchen Nerds direkt auf den Rest des Lebens übertragen werden. Meine Arbeit als Programmierer besteht darin, Abweichungen zu erkennen und auszumerzen — würde ich dies auf die Gesellschaft anwenden, wäre ich schnell bei einer schrecklichen, faschistischen Welt. Oder andersherum: Über eine poststrukturalistisch-dekonstruierte Brücke möchte ich nicht fahren, aber das heisst nicht, dass Ingenieure und Ingenieurinnen die Gesellschaft bestimmen und Menschen wie Dinge behandeln sollten.

    Die Notwendigkeit, das eigene Handeln zu reflektieren und zu ändern und sich nicht in die Nerd-Identität zu kuscheln, haben u.a. zu dem Text „Hacking the Spaces“ geführt, der im letzten Teil Ausschlüsse benennt und kritisiert: http://www.monochrom.at/hacking-the-spaces/

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  4. Nie ist etwas ganz schwarz oder weiss, und vermutlich auch nicht in der Politik. Ob der Frauenanteil in einem Aufsichtsrat „relevant“ ist, erschließt sich über die Kriterien der Forderung. Wenn ich also sage „… relevant, weil dann das Geschäft besser läuft“ wäre die Behauptung einer echten Faktenanalyse zugänglich und es gäbe ein Argument jenseits von persönlicher Meinung.

    Ich finde aber gerade derzeit interessant, dass -gerade von Männern – politische oder sonstige Andermeinungen abgeschmettert werden mit einer Bemerkung, man solle emotionsfrei diskutieren. Das insinuiert, es gäbe für alles eine Sachebene und nur wer sich auf dieser tummelt, hätte das Recht auf seine Meinung. Aber gerade dann, wenn man leidenschaftlich für oder gegen etwas ist, sich empört, etwas großartig findet oder wundervoll, entstehen überhaupt erst Handlungsanreize. Warum soll ich über etwas diskutieren, was mich völlig kalt lässt?

    Über Nerds weiss ich nicht genug, aber es ist richtig, dass Frauen evolutionär dazu tendieren, sich die Väter ihrer Kinder nach Erfolgskriterien auszusuchen. Die Evolutionsbiologen haben da gutes Material und Evidenz gesammelt. Auch hier gilt: Vom statistischen Durchschnitt auf die einzelne Person zu schließen ist unzulässig. Das kleine Pflänzchen Chaos blüht überall.

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  5. Anrtje, hiermit erkläre ich dich aber doch zum geheimen Nerd – du weißt es nur noch nicht:)

    Ich wette, dass es eine Menge Leute in deinem Umfeld gibt, für die du insgeheim als nerdig giltst, du twitterst, du bloggst, du stellst Audio-Dateien auf nerdige Web 2.0-Plattformen – die Grenze verschiebt sich immer, wobei die Abgrenzung zwischen Nerd und Geek ja viel (auch sinnlos, da in verschiedenen Ecken unterschiedlich gedeutet) debattiert wird. Von den Hackern fangen wir am besten gar nicht erst an (cih selbst identifiziere mich ja als Webnerd, ums noch komplizierter zu machen, und dann haben wir auch noch die Girl Geeks….http://girlgeekdinner.at/)

    Zum Punkt: Ist die Nerd-Debatte eine verdeckte Männlichkeitsdebatte? Hm. Natürlich wird das in einzelnen Artikeln so iteriert – die Frage, ob Frauen Nerds erotisch finden ist natürlich überhaupt nicht hilfreich, sondern nur mal wieder eine erbärmliche Reduktion der Männer/Frauenverhältnisse auf gegenseitige Attraktion.

    Um mich aber mal auf diese Frage einzulassen, ohne sie wortwörtlich zu behandeln:
    Ich selbst schätze Geeks und Nerds ausgesprochen, was z.T. damit zu tun hat, dass mich der ganze Techkram doch fasziniert (auch wenn ich nicht im Ansatz das kann, was ich gerne können würde – aber ich studiere gerne in Code geschrieben Gleichnisse wie z.B. Nietzsche-Zitate in LISP, etc. pp.), z.T. damit, dass mir ein Kommunikationsstil liegt, den ich eher als themenorientiert als interaktionsorientiert bezeichnen würde.

    Ich mag die Experimentiererei (und hier könnte man dann mal fragen, ob das ‚coolen Code schreiben‘ dann nicht schon wieder dem ‚das wildeste Pferd reiten‘ entspricht), ich mag die eher zurückhaltenden Persönlichkeiten, die dann vielleicht dazu führen, dass man selten von Geeks ‚deppat angebraten‘ wird. Poltergeeks mag ich aber auch:) Mir unterhält es hervorragend, wenn ich sehe, wie Problemlösungsstrategeien aus dem IT-Bereich auf Alltagshandeln übertragen werden (also: geschlossenes System).

    Gleichzeitig stelle ich an den Nerds, die ich kenne, aber fest, dass sie dies häufig sehr ironisch tun, sich also bewusst sind, welche Art von Rationalität sie da reproduzieren (auch wenn ich viele davon nicht in die vordereste Front eines Streits für Gleichbehandlung stellen würde, oh nein, sicher nicht, da fallen mir eher immer wieder diese nervtötenden Diskussionen ein, in denen jede Unterstützung für Frauen als Benachteiligung von Männern gewertet wird).

    Wozu führt das alles? Den Durchschnittsnerd gibt es nicht, im Zweifelsfall ziehe ich, meinem Umfeld nach zu schließen, Nerds den (mal ein anderes Klischee!) Sozialpädagogen vor (den Durchschnittssozialpädagogen gibt es auch nicht). Aber lasst und da mal drüber reden: Finden Frauen Sozialpädagogen erotisch? (Genauso falsche Frage).

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  6. Auf Nerds habe ich (glaube ich) auch nur eine Außensicht. Deine Vermutung kommt mir aber auch plausibel vor. In bezug auf die Piratenpartei habe ich darüber spekuliert: http://fxneumann.de/2009/09/08/piraten-gender-und-pragmatik/

    Diese scheinbare Objektivierbarkeit von Politik, diese Ideologie der Pragmatik scheint mir nicht nur ein spezifisches Nerd-Phänomen zu sein: Ähnliches passierte ja schon in der europäischen Sozialdemokratie mit New Labour und Neuer Mitte. Politik wird dort weniger als Aushandeln von Werten als vielmehr als Sozialingenieurswissenschaft verstanden. Blair und Schröder scheinen mir auch mehr Schirrmacher als Nerd zu sein.

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  7. Liebe Antje Schrupp,

    „Immer steht die Frage im Raum, ob Frauen sich in Nerds verlieben oder nicht. “

    Ich muss gestehen, dass ich nicht ganz verstehe, weshalb diese Frage in Ihrem Text (den ich ansonsten mit großem Interesse lese) und in Leserkommentaren (digiom) so disqualifiziert wird. Erst einmal finde ich es sehr plausibel, dass die eigene Männlichkeit teilweise auch vom sexuellen Erfolg beim präferierten Geschlecht abhängt. Leider wird eben der Lebensstil männlicher geeks vor allem immer noch von Frauen als unmöglich angesehen, was dazu führt, dass die geeks nicht akzeptiert sind. Die Einsamkeit oder der sexuelle Misserfolg zahlreicher geeks ist ganz sicher nicht freiwillig. Es geht nicht um eine kollektive Belohnung von geekigen Männern in Form von Frauen, die als Trophäen fungieren, sondern es geht darum, dass auch geekige (heterosexuelle) geeks trotz/aufgrund ihrer Lebensweise auch sexuell oder ganz allgemein in Liebesdingen von Frauen akzeptiert werden – und eben nicht für ihren Internetanschluss von der Leine gelassen werden.

    In diesem Sinne auch folgende Bemerkung zu Ihrer Aussage

    „Mein Vorschlag wäre, dass wir nicht so sehr darauf hinweisen, dass es auch „weibliche Nerds“ gibt, sondern eher versuchen, die der Debatte eigentlich unterliegende Konstruktion (beziehungsweise Dekonstruktion) von Männlichkeit aufzudecken und als solche zu thematisieren.“

    Dieser Vorschlag ist ganz sicher lobenswert und zu verfolgen, da tatsächlich immer noch eine Art Kampf der richtigen Lebensweise vor allem bei jungen Männern meiner Generation herrscht, die mit Konsolen, Internet und PCs aufgewachsen ist. Aber es sollte nicht dabei bleiben. Dieser Konflikt und die Herausschälung einer sinnvollen, menschlicheren Männlichkeit ist nicht allein durch eine solche Dekonstruktion zu erreichen. Eines der entscheidenden Kriterien ist, dass die neuen Männer, von denen der moderne geek eine Ausformung ist, auch von Frauen akzeptiert werden, und zwar nicht allein in Form diskursiver Anerkennung, sondern ganz handfest auch durch Anziehung, Liebe, Begehren.

    Damit will ich keinen Mann und keine Frau zu irgendetwas verpflichten. Ich will lediglich sagen, dass ihr Vorschlag beiderseitige Bemühung voraussetzt, um ganz zu werden.

    Ganz allgemein ist es absolut wichtig, dass Sie diesen Bereich thematisieren, weil dieses Problem schon lange unter der gesellschaftlichen Apfelhaut heranwächst und nur auf seine Sichtbarmachung wartete. Ich bin selber kein geek, aber habe viele Freunde, die geeks sind, und keine Akzeptanz finden.

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  8. als alt-nerd haben programmieren und strukturiertes denken großen einfluß auf mein sonstiges handeln gehabt und haben es noch. der umkehrschluss, daß ich das ohne entsprechendes interesse nicht gemacht hätte, trifft zu. andererseits liegt mir gruppenarbeit sehr, und ich war auch lange in einer partei aktiv. Dabei verfahre ich allerdings wieder nach dem Fischgrätenprinzip: erst den Plan, dann die Zeichnung.

    Deine Frage kann ich also nur mit den zwei Seelen, ach, in meiner Brust, beantworten. Klappt aber.

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  9. Zum Thema „Wer über Nerds redet, redet eigentlich über Männer“ (was impliziert „Weibliche Nerds gibt es ja eigentlich nicht“) empfehle ich den richtig toll gemachten Vortrag „Revenge of the Female Nerds: Busting Myths about Why Women Can’t Be Technical“ von Annalee Newitz: http://chaosradio.ccc.de/23c3_m4v_1709.html

    Immer, wenn das Thema Nerds und Feminismus aufkommt und ich das Gefühl habe, dass da Grundbegriffe fehlen, empfehle ich Annalees Vortrag (na gut, meistens empfehle ich ihn Männern).

    Von Annalee Newitz und Charlie Anders herausgegeben gibt es auch ein tolles Buch zum Thema Weiblichsein und Nerdsein: „She’s such a geek!: women write about science, technology & other nerdy stuff“ http://books.google.com/books?id=HeUviLPHStkC&sitesec=reviews&source=gbs_navlinks_s

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  10. „Ich bin der Meinung, das hängt eben genau damit zusammen, dass die Nerd-Diskussion in Wahrheit eine versteckte Männlichkeits-Diskussion ist.“

    Liebe Anke, ich dachte eigentlich, das sei einer der Schlüsselsätze. Deswegen meine Bemerkung zur Gender-Diskussion. Ich hab aufgehört, mir Gedanken über die Männer, die Frauen, ob Nerd oder nicht, ob reich, arm, oder Alpha- zu machen und akzeptiere Menschen. Nicht Systeme. Katalogisiere diese höchstens nach Nützlichkeit und ob sie in menschlichem Sinne funktionieren. Gleich welcher Art (Politik). Aber vielleicht habe ich da etwas falsch verstanden.

    Ähnlich geht es mir mit dem Thema Wahrheit.( „Unverdrossene und pedantische Wahrheitssucher, die auf Daten, Fakten und Logik pochen, die Letzten, die noch zwischen null und eins, zwischen Kompetenz und Inkompetenz unterscheiden können.“. Oder Dein Arendt-Zitat) Die absolute Wahrheit gibt es nicht. Höchstens eine Annäherung daran. Mir ist – auch als Journalistin – Wahrhaftigkeit wichtiger. Aber ich glaube, da liegen wir gar nicht so weit auseinander. Wir drücken die Dinge nur anders aus.

    Nochmal zu Deiner Frage: Daher meine Frage an die „Nerds“ (und jetzt meine ich explizit auch die Frauen, die sich dazu zählen): Könnt Ihr mit diesem Unterschied zwischen offener, unbeweisbarer, überraschender, nicht vorhersagbarer Politik (Differenz) und verstehbarem, allgemein gültigem und logisch beweisbaren Systemen (Universalismus) etwas anfangen? Habt ihr darüber schon diskutiert? Ergebnisse? Texte? Links? Danke!

    Die Antwort ist also noch immer: Nein.

    Das soll aber nicht heißen, dass ich Deinen Text nicht bedenkeneswert finde. Sonst hätte ich nicht gleich zweimal geantwortet. *g*

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  11. Möchte hier etwas später, weil mich die Frage noch beschäftigt, auf dieses zurück kommen:

    Könnt Ihr mit diesem Unterschied zwischen offener, unbeweisbarer, überraschender, nicht vorhersagbarer Politik (Differenz) und verstehbarem, allgemein gültigem und logisch beweisbaren Systemen (Universalismus) etwas anfangen?

    Falls mit diesem Unterschied jetzt der zwischen ‚Nerds‘ und (welchen?) anderen Menschen gemeint sein soll (das legt jetzt der Titel des Artikels nah), dann macht der da eine Unterscheidung auf, die nicht stimmt.

    Zum einen, wie schon oben beschrieben, weil es ‚den Nerd an sich‘ nicht gibt, weil der Begriff Nerd auch nicht viel hilft, da er sowohl als Schimpfwort, zur Identifikation als auch als ‚irgendwie‘ Hipsterbezeichnung und Buzzword verwendet wird, ohne klären, was es ist.

    Der Link zu den Piraten erscheint mir auch unklar – ja, es haben sich Piraten mit universalistischen Ansprüchen in die Diskussion über sie eingeklinkt, die Überlappungen zwischen Piraten und Nerds sind wohl hoch, dabei könnte ein Argumentieren mit universalistischen Ansprüchen auch von allen anderen möglichen Fundamentalisten ausgehen.

    Richtig ist sicher: Die Piraten werden nicht unsere Partei, um für Gleichbehandlung aufzutreten, sie bearbeiten ersteinmal ein Spezialthema, das in vielen anderen Parteien Dilettanten überlassen wird, mit dramatischen Konsequenzen für unsere Rechte in netzbasierten Szenarien (ich sag nur: Censilia Malmström).

    Man kann – ohne damit dann den verschiedenen Verwendungen von Nerd gesamt gerecht zuwerden – durchaus eine Diskussion aufmachen zwischen Systemlogik und Politik in dem von dir beschriebenen Sinn (den ich von wenigen PolitikerInnen vertreten sehe, btw, egal welcher Partei). Vielleicht könnte man sogar einen Zusammenhang zwischen Geschlecht und Präferenz für eine Position, bis hin zu Nerds und FeministInnen ausmachen – mir fällt dabei ein, dass ich mit einer Freundin während des Studiums zu scherzen pflegte, dass Systemtheorie ja besonders viele Männer anziehen würde, weil sie damit die Welt ohne semiotischen Rest in binären Oppositionen verwalten können.

    Da könnte man dann die Aspergerdebatte heranziehen, eine Pathologie betreiben, die sich besonders Männer bezieht, Facebook-Gründet Zuckerberg und die Anekdoten seiner sozialen Inadäquanz hervorholen. Möglicherweise ist es, dass die Erklärung der Welt anhand eines Universalsystems in bestimmten Wissenschaften besonders betrieben wird – und da könnte man als PolitikerIn in deinem Sinne dann gut sagen: Die delegieren ja ihre Verantwortung, ihr Handeln an ein System.

    Für mich bleibt aber doch unterm Strich, dass auch die Personen, die solche Wissenschaften betreiben, Personen sind, dass – Achtung, Pathos! – die historische Menschheit als ganzes an dem zusammenwirkt, was wir jetzt haben, im Guten wie im Bösen (ich sympathisiere übrigens mit der Idee der Neurodiversität und gehe insgeheim davon aus, dass wir ohne solche an Universalsystemen Arbeitenden jetzt nicht über Blogs kommunizieren würden, weil es keine Rechenmaschinen a.k.a Computer gäbe.

    In der Medienwissenschaft wird diese Debatte (immer noch und zu Tode) unter dem Schlagwort „Analog oder Digital“ geführt, und hier mal ein bisschen Copy/Paste aus einem Text, an dem ich gerade arbeite:

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    Wesentlich ist hier der Hinweis auf den Kontext der jeweiligen diskursiven Praktiken, welche durch dichotome ontologische Zuweisungen und die Asymmetrien, die diese produzieren (analog/digital = real/unwirklich) verdeckt würden. Dass digitale Medien bzw. digitale Medialität auf binären Berechnungsprozessen, Algorithmen auf formalen Operation, Datenbanken auf diskreten Unterscheidungen beruhen und dass dies auch Konsequenzen für die sich entwickelnden Kulturtechniken hat, steht außer Frage – ebenso wenig wie die Tatsache, dass weder ästhetische Wahrnehmung noch soziale Realität ebenfalls entlang solcher formalen und diskreten Unterscheidungen umschlagen. Erst in dieser Konfrontation wird die Unterscheidung von analog und digital für die Erforschung der Praxis produktiv: Es geht damit im Folgenden weniger um die Frage, ob das Analoge und das Digitale eine klare Opposition oder zwei Pole in einem Kontinuum darstellen, als darum, wie sich technische Diskretheit und das Kontinuum der Wahrnehmung, Automatisierung und menschliche Performanz (ohne diese als ‚Lebendigkeit’ zu hypostasieren), wie sich medientechnisch und individuell-sozial bedingte Aspekte in der diskursiven Praxis, im Gemenge zu- und miteinander verhalten.
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    Da geht’s übrigens um 4chan.org. Hier ein zauberhafter Guide zu 4chan, bei dem wir mitten in der Nerds / Rest der Menschheit-Debatte sind:

    http://freepicturesforyou.net/4CHAN_vs_the_Internet.html

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  12. Zu obigem Link noch: /b/ ist das nerdigste, aberwitzigste, zugleich rassistischste und sexistische Forum von allen auf 4chan. Und Lolcats wurden auf 4chan erfunden.

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  13. Ich möchte da eine Erfahrung beitragen, wo mich durchaus interessieren würde, ob es weitere Frauen gibt, die das so erfahren haben.

    Für mich war ein wichtiger Strang meiner feministischen Sozialisation (gibts sowas?) der Kontakt mit – ich nenne sie mal so – Nerd-Frauen, Nerd-Feministinnen, damals wirklichen Internet-Pionierinnen, die vom Netz phasziniert waren als noch niemand davon geredet hat. Irgendwie ist mir damals als Studentin gerade über diese Frauen bewusst geworden, wie schwer das Eindringen in männliche Sphären ist – und wie lustvoll gleichzeitig. Jetzt seit einiger Zeit gehts mir fast ähnlich wie damals in den frühen 1990ern, ich erfahre noch immer, dass da fast rundherum nur Männer sind in den Techniksphären und das was ganz eigenes ist als Frau da einzudringen – denn Social Web Anwendungen zu benutzen und Content zu produzieren, was ja ganz viele Frauen tun, ist doch was anderes. Geändert hat sich aber auch, dass jetzt die Netzwerke irgendwie besser klappen …

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  14. Hi Andrea, ich bin da bei dir, auch wenn’s in meinem Fall nur ein Abglanz ist – in meinem technophoben GeisteswissenschafterInnenumfeld anno 1996 war es z.B. so, dass die Computerlabs an der Uni voll von Jungs waren. Für mich waren Herausforderungen wie das Überwinden einer Unix-Shell Login-Prompts damals gewaltig – und ich bin von Lab zu lab geschlichen, bis ich es irgendwann mal raushatte, ich wollte naemlich die immer männliche Aufsicht nicht fragen. Das war extrem lustvoll, als es dann geklappt hat, und ich war stolz wie Oskar, als ich vier Jahre später einen Webdeveloper-Job hatte (jaja, mit bloßem HTML und CSS, ginge heute kaum noch). Im Techteam waren da übrigens mehr Frauen als Männer – war für eine Dating Community. Und aus der Erfahrung heraus will ich auch jetzt immer soviel wie möglich an der Technik verstehen, auch wenn ich bei ‚echter‘ Programmierung dann schon bei Javascript aufgegeben habe.

    Hier gibt’s übrigens ein Bild aus der Zeit – habe meinen obigen Kommentar nochmal gepostet, weil ich das für mich auch noch mal auf meinem Blog dokumentieren wollte, und das Bild dazu gegeben, weil ich es als schöne Ergänzung zu Antjes Bild von neulich (warum ich nicht queer bin) empfinde: http://wp.me/peBnE-EJ

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  15. Der Nerd unterscheidet sich vom Macho allein dadurch, dass er Frauen weder beleidigen, noch kontrollieren und auch nicht demütigen, geschweige denn, sich mit ihnen einigen muß – er ignoriert sie und ihr Geschlecht einfach. Ein Macho übt sich noch in Rollenzuweisungen an Frauen und Differenz zu Frauen, gibt ihnen Anweisung und Befehle und bestraft Zuwiderhandlungen, der Nerd ignoriert hingegen konsequent die Welt um sich herum, inclusive Frauen. In Bezug auf das Internet heißt das: Der Macho (klassisch: Männerrechtler) trägt die Diskriminierung von Frauen (auch) ins Internet, der Nerd aber lediglich die Männlichkeit heraus. Frauen muß er nicht abwerten, weil sie (für ihn) in vielerlei Hinsicht aufgehört haben, zu existieren. Ein Geschlechterdifferenz wird er weder hinnehmen, noch vertreten oder darübre diskutieren, denn alle im Internet sind einfach wie er und einen Gegenbeweis kann im Internet nicht erbracht werden!

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  16. Um es mal am Beispiel zu verdeutlichen. Sobald ich als Frau etwas sage, was einem Nerd und einem Macho nicht paßt (die Befindlichkeiten gestalten da recht ähnlich), wird der Macho antworten, dass es mir als Frau nicht zusteht, mich überhaupt dazu zu äußern, ich eigentlich sowieso den Mund zu halten habe und viel besser meiner natürlichen Aufgabe nachzukommen habe: Kinder hüten und kochen. Die klassische Argumentationslinie der Männerrechtler. Eine Auseinandersetzung mit meinen Aussagen verweigert der Macho natürlich konsequent. Er wendet dabei eine sexistische Argumentation an, die aber durchaus auf Wirklichkeit abstellt und sich daran orientiert, er bedient sich tatsächlicher Klischees und gewisser Rollenstereotypen, er nimmt mich als Frau wahr. Er verweigert mir eben „nur“ das Recht, daran etwas ändern zu wollen und auch zu dürfen. Der Macho ist ein Sexist.

    Der Nerd hingegen wird darauf abstellen, dass in meiner Aussage ein logischer Fehler enthalten ist und dass dieser der Beleg dafür sei, dass ich sowieso nicht rund laufe. Er wendet also rationale Prinzipien und Argumentationsmuster an, die sich aber allein auf seinen (!) Erfahrungshorizont beziehen, der meist mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Natürlich wird er sich hüten, auf das Klischee der Mängel einer „weiblichen“ Logik abzustellen, denn er möchte kein Sexist sein und hält sich auch jeden möglichen Vorwurfs darum frei. Der Nerd ist ein Postsexist.

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  17. Interessant! Mir kommen dabei im Wesentlichen 2 Gedanken:

    1. Nerds als Männlichkeitsdiskussion? Warum nicht? Auch, wenn Nerds immer eine Nische repräsentieren werden, bietet dieser Stil doch immerhin eine Möglichkeit, ein neues Rollenverständnis für sich selbst zu finden. Jedenfalls für ein paar Wenige. Was sollte daran falsch sein? Warum sollte unbedingt jede Nische der Gesellschaft, die als männlich definiert oder gesehen wird, gleichbedeutend mit schlecht, sexistisch, chauvinistisch oder wie man auch immer das sonst bezeichnen mag, gelten? Was übrigens, gerade und besonders unter Nerds, Nichts damit zu tun hat, dass Frauen genauso „nerdig“ sein können. Und durchaus auch, abhängig oder unabhängig davon, erotisch.

    2. Es gibt keine Differenz zwischen Politik und System. Jedenfalls keinen prinzipiellen, nur einen graduellen. Der graduelle Unterschied besteht im Anteil Dynamik und Chaos, der in der Politik wie allgemein in jeder Gesellschaft von vornherein höher ist als bei einer Maschine. Eine Maschine kann man sinnvoll betreiben mit einem festen und unveränderlichen Regelsatz, eine Gesellschaft nicht. Auch deswegen, weil die meisten Fragen zu einem Teil selbstreferenziell sind. Ob z.B. der Frauenanteil in einer Partei relevant ist, oder nicht, wird weniger von Fremdfaktoren bestimmt als mehr dadurch, ob diese Frage als relevant definiert wird oder nicht. Wenn diese Frage relevant definiert wird, hat das wiederum Auswirkungen auf andere Themen, die wiederum mehr oder weniger direkt Auswirkungen auf die Relevanz dieser Frage haben können. Politik mit einem statischen Regelsatz anzugehen ist daher unangebracht. Politik ist eher ein Balanceakt, ein feiner Regelalgorithmus, der ständig angepasst werden muss und daher aus Prinzip niemals vollkommen sein kann. Aber so unüberwindbar sind die Unterschiede zwischen einer Maschine und einer Gesellschaft auch nicht. Auch die Regelsätze einer Maschine müssen von Zeit zu Zeit angepasst werden. Erkenntnisse aus der Automatentheorie sind durchaus adaptierbar an die Bedürfnisse einer Gesellschaft. Ebenso sind die Erkenntnisse aus der Psychologie und der Verhaltensforschung adaptierbar auf Maschinen. Klar kann man das nicht 1:1 übernehmen, aber Ähnlichkeiten und Parallelen sind da. Das Ganze mag sehr polymorph sein, aber dahinter steckt ein- und dieselbe Struktur.

    Ach so, ja: Ob ich ein Nerd bin? Keine Ahnung. Manche bezeichnen mich so, Andere eher nicht. Mir ist es egal, in welche Schublade Andere mich stekcen wollen, ich stecke mich selber immer nur in meine eigene persönliche Schublade.

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  18. @Jens – mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, die Mythen à la „Frauen können keine Technik“ zu hinterfragen und abzuschaffen, rennst du in einem feministischen Blog natürlich offene Türen ein. Ich will aber noch ein Stück weiter. Du schreibst, meine These: “Wer über Nerds redet, redet eigentlich über Männer” würde implizieren, dass es weibliche Nerds eigentlich nicht gibt. Das stimmt aber nicht. Meine These sagt: Wer über Nerds diskutiert und damit unterschwellig Männerkonkurrenzen austrägt, wird nie zu den Themen vorstoßen, die weibliche Nerds interessieen und die ihnen wichtig sind. Das könnte evtl. ein Grund sein, warum Frauen sich an diesen Debatten weniger beteiligen als Männer. Eigentlich wäre also die Frage nicht: Wie kriegen wir mehr Frauen in die Netzdiskussion? Sondern: Was würde von der Netzdiskussion übrig bleiben, wenn man die Männerkonflikte davon sozusagen substrahierte? Meine Vermutung war eben: Die Nerd-nichtNerd-Debatte würde dann nicht mehr stattfinden, sondern wir würden über anderes (Interessanteres aus meiner Sicht) diskutieren.

    Wie zum Beispiel das, was @fxneumann anspricht, nämlich „diese Ideologie der Pragmatik scheint mir nicht nur ein spezifisches Nerd-Phänomen zu sein: Ähnliches passierte ja schon in der europäischen Sozialdemokratie mit New Labour und Neuer Mitte“ – Dem würde ich nämlich zustimmen. Der von mir im Post angesprochene Konflikt zwischen einer „systemischen“ und einer „politischen“ Herangehensweise an gesellschaftliche Fragen spielt sich nicht entlang der Linie Nerd und Nicht-Nerd ab. Sondern es ergeben sich ganz andere Koalitionen und Trennungslinien.

    So ähnlich wie es ja auch @digiom schreibt: Ich gebe dir da vollkommen recht. Es geht bei der Unterscheidung systemisch vs. politisch-offen auch nicht darum, was besser und was schlechter ist (Feminismus besteht ja ohnehin ganz oft im Hinterfragen von falschen Dualismen), sondern mir liegt eher daran, zu Unterscheiden: Wo ist das Systemische angemessen (wie Jens schreibt: Brücken bauen z.B.) und wo ist das Offene, Politische angemessen? Und wo findet eine schädliche Vermengung von beiden Perspektiven statt – und, Ja, die passiert sowohl im Netz als auch in der analogen Welt (TINA-Prinzip), und es sind auch hier auf beiden Seiten Frauen beteiligt. Ich denke aber, dass Frauen und speziell Feministinnen sehr viel Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit dem „Anderen“ haben (weil die Zuweisung des „Andersseins“ eine ist, mit denen Frauen einfach von klein auf konfrontiert sind), die hier hilfreich sind und in die Diskussion einfließen müssten.

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  19. @andreame @digiom (schönes Foto übrigens!!!) – ich kann auch noch ein bisschen von meiner Nicht-Nerd-Genese erzählen. Ungefähr zu der Zeit meines Nicht-Queer-Fotos habe ich mit meinem allerersten Computer (Schneider Joyce, wenn ich mich nicht irre) mein erstes Programm geschrieben, das die WG-Telefonrechnungs-Ausrechnerei automatisiert hat. Fand ich klasse. Aber ich habe bald gemerkt, dass ich für diese Art Arbeit viel zu ungeduldig und Flüchtigkeitsfehleranfällig bin. In dem Moment, wo ich etwas im Prinzip verstanden habe, ist es mir dann schnell langweilig, für die genaue und fehlerfreie Ausführung fehlt mir dann die Geduld. Wahrscheinlich gibt es da einfach unterschiedliche Menschentypen, die einen, die sich eher für prinzipielle Entwürfe etc. interessieren und andere, die es eben gerne ganz genau ins Detail wissen wollen, und wie du, @digiom, ganz richtig schreibst: Als Gesellschaft brauchen wir beide, sonst funktioniert es nicht. Wichtig ist eben nur, dass man unterscheidet, mit welchem Thema und Problemfeld man es grade zu tun hat und dass beide „Typen“ jeweils selbstkritisch hinterfragen, was sie gut können und was sie eben nicht gut können. Vielleicht wäre auch das so ungefähr das, was das Interessante an der Netzdiskussion ist, wenn man die Männerkonkurrenz davon abzieht.

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  20. @Siegfried – das ist eine interessante Frage. Ich tendiere vorläufig eigentlich eher zu der Ansicht, dass die Unterschiede zwischen System und Politik keine graduellen, sondern prinzipielle sind.

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  21. Zur Begriffsbestimmung Nerd: Ein Nerd ist Jemand, der den Dingen bis ins Detail auf den Grund geht, indem er sie auseinander nimmt und wieder zusammensetzt. Dabei ist weder Art und Menge der eingesetzten Werkzeuge relevant, noch die Art der „Dinge“, sondern nur die Vorgehensweise.

    So gesehen bist Du auch eine Art Nerd. Die Dinge, die Du auseinander nimmst, sind im Besonderen geschlechtsspezifische Aspekte gesellschaftlicher Interaktion und ihre Bedeutung resp. Auswirkung. Die Resultate misst Du dann anhand Deiner Selbsterkenntnis. Die Vorgehensweise ist durchaus nerdig.

    Dass der Begriff Nerd ursprünglich im Computerumfeld entstanden ist, ändert Nix an dieser etwas allgemeineren Definition.

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  22. Ha, Routinen für die WG-Telefonabrechnung schreiben, you closeted nerd you:) (just kidding)

    Evtl. gibt’s da die Unterschiede im Denken – wobei ich mich immer im Verdacht hatte, dass eine Html-Seite bauen und Zopfmuster stricken mich in einer nicht unähnlichen Weise entspannt.

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  23. @@antje, 22

    Das könnte evtl. ein Grund sein, warum Frauen sich an diesen Debatten weniger beteiligen als Männer.

    Ich glaube eher, daß Frauen das einfach in ihr Selbstverständnis einbauen, während Männer sich zum Teil darüber definieren.

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  24. @Antje

    Du hast natürlich deutlich geschrieben, dass es dir um die Frage „weibliche Nerds gibt es eigentlich nicht“ gar nicht ging; das hast du ja auch in dem Post sehr deutlich gemacht. Und trotzdem erwarte ich von so einem Artikel wie in der brand eins, dass er eben weibliche Nerds auch sichtbar macht. Ich hab insofern einen Nebenschauplatz beackert, der mir aber trotzdem am Herzen liegt 🙂

    Und ja, in der Tat: der Konflikt zwischen einer “systemischen” und einer “politischen” Herangehensweise an gesellschaftliche Fragen spielt sich nicht entlang der Linie Nerd und Nicht-Nerd ab. Er berührt auch eine allgemeine Tendenz zu Entpolitisierung der Politik und das angebliche Ende des konflikthaften Verhandelns von Interessen im öffentlichen Raum, also das, was z.B. Slavoj Žižek als „Post-Politik“ bezeichnet:

    „Damit verbinde sich eine „Herrschaft von aufgeklärten Technokraten“ und „liberalen Multikulturalisten“: „Post-Politik betont […] die Notwendigkeit, die alten ideologischen Trennlinien hinter sich zu lassen und sich den neuen Problemen zu stellen, bewaffnet mit dem notwendigen Expertenwissen und freier Beratschlagung, die die konkreten Bedürfnisse und Forderungen der Menschen in Betracht ziehen.“ (Zizek 1998: 37f.)“

    http://www.copyriot.com/unefarce/no3/zizek.htm

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  25. Ich frage mich jetzt ja doch, ob zum vollständigen Bild, was ein Nerd ist, ein Leseabstecher zum Asperger Syndrom, einer Form des Autismus ( der taucht ja auch mal oben im Text auf), hilfreich wäre.

    Zum Vergleich:
    In der Literatur wird die derzeit bekannteste Nerdin Lisbeth Salander der Millenium Trilogie als mit dem Asperger Syndrom lebend (ich schreibe ausdrücklich lebend, nicht darunter leidend) dargestellt.

    Nun bin ich da kein Experte, trotzdem wage ich mal dies: Mir springt eine wahrnehmbare, deutlich Übereinstimmung von mit dem Asperger Syndrom lebenden und den typischen Nerd Eigenschaften auch bei der Diskussion hier ins Bild.

    Falls man eine Übereinstimmung von Asperger Syndrom „typischem“ mit den Nerd Eigenschaften akzeptieren kann, tritt dann damit nicht auch auch die Frau/Mann Relevanz in den Hintergrund ?

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  26. @Jens: Das Zitat geht mir zu sehr in eine zu reaktiv fokussierte Sichtweise von Politik. Reaktion ist notwendig, aber nicht ausreichend. Bedürfnisse entstehen zwar auch von alleine, aber können auch geweckt werden. Eine gezielte, wenn auch behutsame, Beeinflussung setzt allerdings ein deutlich definiertes Ziel voraus.

    Leider ist eben diese Zieldefinition der große Schwachpunkt heutiger realer politik.

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  27. @Peter Löwenstein: Männer denken tendenziell eher differenzierend, Frauen tendenziell eher integrierend. Die mit Autismus oft einhergehehde extrem einseitige Begabung („Inselbegabung“) hat wiederum Parallelen zu extremer Differenzierung. Ebenso ist Differenzierung („auseinandernehmen“) eine typisch nerdige Denk- und Handlungsweise. Insofern ist der Zusammenhang mit männlich/weiblich durchaus vorhanden.

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  28. Nein, das Nerd/Geek-Phänomen ist kein rein männliches. Und es hat auch nicht notwendigerweise etwas mit Technik zu tun. Ich kenne da z.B. eine Ägyptologin, die Hieroglyphen liest und auch ein bißchen assyrisch spricht; eine Mediavistin mit Spezialisierung auf Mittelaltermusik, die Mensuralnotation decodiert; eine Molekularbiologin, die gerade ihren Doktor in der Krebsforschung macht; eine Netzwerk-Technikerin, die Ingenieur am größten Internetknoten der Welt ist.

    Auffällig finde ich, daß diese Frauen alle ebenfalls nicht dem traditionellen Rollenmuster ihres Geschlechts entsprechen. Ich finde es entsprechend falsch, von Nerds als dem Muster eines neuen Männlichkeitsmodells zu reden, nur weil männliche Nerds ebenfalls ihre tradierten Rollenmodelle über Bord geworfen haben.

    Aber um deine Abschlußfrage zu beantworten: ich würden den allermeisten technisch geprägten Nerds unterstellen, sich mit Denkmodellen außerhalb des Universalismus nie beschäftigt zu haben. Geisteswissenschaft findet nicht statt, leider.

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  29. @Peter Löwenstein – Das Thema Asperger wird auch in dem brandeins-Artikel aufgegriffen. Demnach seien 9 von 10 Autisten Männer. Asperger selbst habe Autismus für eine „Extremvariante der männlichen Intelligenz gehalten“.

    @Jens – Ja, ich finde auch, dass Zizek einer der klugen Vordenker dazu ist. Allerdings wirkt er auf mich auch immer ein bisschen wie ein Männerdarsteller 🙂 – Was mich wundert ist, wie wenig in diesen Debatten die Erkenntnisse feministischer Philosophie berücksichtigt werden. Irigaray, Kristeva, Muraro u.v.a. beschäftigten sich doch schon so lange damit, wie dieses unfruchtbare Patt zwischen „modernem Universalismus“ und „postmodernem Relativismus“ überwunden werden kann, nämlich über die Beziehung, die immer konkret ist, in erster Person. Indem ich eine Beziehung mit dem „Anderen“ eingehe, bin ich aus dieser Alternative raus, das Andere entweder einer allgemeinen Norm einzuverleiben oder aber es „gleichgültig“ nebeneinander stehen zu lassen. Das war mir übrigens auch schon bei deinem ersten Link oben „Hacking the Spaces“ aufgefallen. Aus feministischer Sicht war 1972 nicht das Ende einer Bewegung, ihr Scheitern, sondern der Aufbruch. Die Frauenbewegung hat den Niedergang der linken Utopien nicht geteilt, sondern sich im Gegenteil prächtig entwickelt, vieles in der Gesellschaft verändert, vor allem auf Seiten der Frauen selbst, und viele neue Erkenntnisse gebracht (die ich nicht alle teile, aber dass es so viele verschiedene „Feminismen“ gibt, ist eine großartige Sache). Leider wird das aber weithin nicht als Beitrag zu einer allgemein-menschlichen Kultur wahrgenommen, sondern viele Männer tun so, als wäre der Feminismus nur für die Frauen selber von Interesse….

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  30. Hallo Antje,

    ich kann dir nur meine eigene, wahrscheinlich etwas nerdige, Antwort auf deine Frage geben, auch wenn ich annehme, dass diese Meinung teilweise von anderen Menschen geteilt wird.

    Aus meiner Sicht ist die Frage nach „der einen objektiven Wahrheit“ müssig. Es mag eine zugrundeliegende physikalische Realität geben, aber jede „Wahrheit“ ist nur ein subjektives Denkmodell, welches idealwerse diese physikalische Realität approximiert und soziale und psychologische Kontexte mitmodelliert.

    Meine Forderung nach Fakten, Logik, etc. ist in diesem Verständniss keine Forderung nach der „einen Wahrheit“ sondern nach stimmigem Denken, also in sich widerspruchsfreiem, auf beobachtbaren und reproduzierbaren Beobachtungen aufbauendem Denken.

    Das führt zum einen dazu, dass widersprüchliche oder auf unhaltbaren Prämissen aufbauende Argumentationen erkannt werden können – und so z.B. in vielen Bereichen auch Schlüsse auf eine sinnvolle Politik gezogen werden können.

    Zum anderen wird aber der Gedanke vermieden, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein und damit eine Bereitschaft erzeugt von anderen zu lernen, bzw. deren Weltbild, ihre subjektive Wahrheit auch als ernstzunehmend einzustufen, auch wenn man nicht übereinstimmt.

    Auf mein Engagment bei den Piraten bezogen bedeutet dies für mich, dass ich sehr viele etablierte politische Ansätze aufgrund von Inkosistenz oder Nichtübereinstimmung mit den Fakten ablehne und selbst danach trachte Vorgehensweisen zu identifizieren, welche stimmig sind und sich in Richtung meines angestrebten Ideals der maximal möglichen Gleichberechtigung und Chancengleichheit aller bewegen.

    Ich bin mir aber auch bewusst, dass es viele Bereiche gibt, wo dieser Ansatz zu kurz greift, so wie von dir beschrieben, z.B. die Genderdebatte.

    An diesem Punkt existiert Gesprächsebedarf, sobald er artikuliert wird und die Vorgehensweise lässt sich auch nicht so klar ableiten.

    Allerdings bin ich auch bestürzt darüber, wieviel Anfeindung entsteht, wenn man mit den bisher erdachten Lösungen nicht übereinstimmt und wieviele Menschen gleich bereit sind einem abzusprechen, generell für Gleichberechtigung und Chancengleichheit einzutreten.

    LG

    Gerald

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  31. @Gerald – Danke für diese Erkärung, dadurch wird mir etwas deutlich. Die, wie du schreibst, Forderung „nach stimmigem Denken, also in sich widerspruchsfreiem, auf beobachtbaren und reproduzierbaren Beobachtungen aufbauendem Denken“ ist interessant – weil ich merke, dass ich sie nicht teile. Ich mache jedenfalls die Erfahrung, dass es oft ein diffuses, nicht rational erklärbares „Unbehagen“ bei mir gibt, das es aber dennoch Wert ist, ausgesprochen und in die Runde geworfen zu werden. Und das wäre ein solcher grundsätzlicher Unterschied: Im Bereich des Politischen sind Inkonsistenzen aus meiner Sicht oft fruchtbar, und um etwas zu bewegen, etwas zu sagen, etwas „gut“ zu machen, ist es nicht notwendig, es 100prozentig zu durchblicken und zu verstehen oder restlos aufzuklären. Im Bereich des Politischen gibt es immer etwas Rätselhaftes, Verborgenes, Unaussprechliches, das aber nicht unwichtig ist. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.

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  32. @Antje – Da würde ich dir auch nicht widersprechen. Das Problem ist aus meiner Sicht, dass die Intuition in der Lage ist Einsichten zu liefern, die der Ratio verborgen bleiben, aber auch sehr, sehr leicht in die Irre geführt und manipuliert werden kann.

    Und natürlich werden AFAIK 99% aller Entscheidungen nicht rational getroffen.

    Meine Forderung nach stimmigem Denken ist für mich daher erstmal ein Weg um sicherzustellen, dass ich bemerke, wenn es einen Widerspruch(auch zwischen Intuition und Analyse) gibt. Diesen dann aufzulösen ist dann immer noch der zweite Schritt.

    Das kann, wie am Beispiel Netzsperren, dazu führen, dass ich die vorgeschlagene politische Lösung für gefährlich halte und mich engagiere um sie zu verhindern.

    Oder, am Beispiel Genderdebatte, dass ich durch meine intuitive Verwunderung darüber, dass diese Debatte so heftig losgebrochen ist, einige der Prämissen hinterfrage – auch wenn ich immer noch stark zu einem dekonstruktivistischen Ansatz neige.

    LG

    Gerald

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  33. In meinem letzten Post, letzter Absatz ist vermutlich „meine Prämissen“ unmissverständlicher als „der Prämissen“.

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  34. Intuition gegen logisches Denken? Das muss kein Gegeneinander sein. Das Eine ist so notwendig wie das Andere.

    Ich halte es allerdings, zumindest für mich, für falsch, Dinge einfach so als „mysthisch“ stehen zu lassen, ohne sie zu hinterfragen. Ich weiss, dass die allermeisten Fragen nicht beantwortet werden können. Trotzdem stelle ich diese Fragen. Und wenn ich von 100 Fragen nur eine beantwortet bekomme, hat es sich schon gelohnt.

    Die Logik ist nur eine Methode, das „ist“ zu vereinfachen und handhabbar zu machen. Logik ohne Intuition verpasst die Dynamik der Realität genauso wie die Dynamik der Erkenntnis. Intuition ohne Logik andererseits bleibt ewig nebulös, wird niemals fassbar. Zur Bewältigung des Lebens ist unbedingt Beides notwendig.

    Übrigens, Logik ist nicht synonym zu männlich, und Intuition ist nicht synonym zu weiblich, auch, wenn es hier Tendenzen gibt.

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  35. @Antje Schrupp: Zwei kleine Ergänzungen: Andere Quellen gehen bei Asperger von 8:1 aus. Die Zahl der mit dem Asperger-Syndrom diagnostizierten Menschen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Die Gründe dafür liegen in der besseren Diagnostik und der klareren Abgrenzung zum Autismus.
    Danke für den Hinweis auf Brandeins, überhaupt danke für den Text und die Diskussion hier.

    @Siegfried: Nööh. Sehe ich anders.
    Überspitzt formuliert eine Frage dazu: Sind m/w Nerds vom Asperger Syndrom stärker beeinflusst als von ihrem Geschlecht?

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  36. Was hier stärker ist? Keine Ahnung. Das Geschlecht hat Auswirkungen auf die Denkweise. Asperger hängt damit ebenso zusammen.

    Ich denke eher, dass Nerds durch eine stark differenzierende und analytische Denkweise definiert sind. Zusammenhänge mit dem Geschlecht sind dabei tendenziell vorhanden, aber nicht zwangsläufig.

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  37. Ich glaube nicht das sich Nerd und Macho auschliesst ! den Programmiersprachen bestehen aus Befehlen und auch der nette 0 und 1 Vergleich entbehrt nicht eines gewissen Basta-politik Machismus

    grüsse

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  38. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass die Nerd-Debatte eine versteckte Männlichkeits-Debatte ist. Der anderen These, dass Nerds allgemeine Wahrheiten verkünden, kann ich jedoch nicht zustimmen.

    Ein Nerd zu sein, bedeutet nicht in erster Linie technisch versiert zu sein, sondern es bedeutet, dass man sein Leben darauf ausrichtet, sich mit Sachen zu beschäftigen, die einen interessieren, auch wenn andere das komisch finden.

    Siehe auch den Kommentar von Andreas: „Ich kenne da z.B. eine Ägyptologin, die Hieroglyphen liest und auch ein bißchen assyrisch spricht; eine Mediavistin mit Spezialisierung auf Mittelaltermusik, die Mensuralnotation decodiert; eine Molekularbiologin, die gerade ihren Doktor in der Krebsforschung macht; eine Netzwerk-Technikerin, die Ingenieur am größten Internetknoten der Welt ist.“

    Es geht also darum das Leben anhand eigener Vorstellungen und Wünschen zu gestalten. Dementsprechend sind Nerds auch sehr tolerant gegenüber anders gearteten Lebenskonzepten und -haltungen. Das ist ein wichtiges Wesensmerkmal. Meiner Ansicht nach ist Kant einer der größten Nerds, die es je gab 😉

    Vielleicht ist der Vergleich mit Kant gar nicht so schlecht, der ja auch versucht hat objektive Wahrheiten zu finden, der dabei jedoch ein sehr sozialer und toleranter Mensch war, der sich nicht für unfehlbar hielt.

    Diejenigen jedoch, die am lautesten brüllen und sich für die Verkünder ultimativer Wahrheiten halten, sind und bleiben Machos – wie Isquierda sie charakterisiert hat – sind aber keine Nerds. Informatik ist leider immer noch eine absolute Männerhochburg und dort sind klassische Kämpfe um die Rangordnung beschämenderweise an der Tagesordnung. (Ich studiere selbst Informatik und beobachte das oft genug).

    Das ist jedoch die alte Männlichkeit, die dort balzt und die Frauen (nur) als Bestätigung für ihr Ego braucht. Aber das ist uns Nerds – egal welchen Geschlechts – einfach zu blöd.

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  39. @yuliah – Der Hinweis auf Kant als größten Nerd ist sehr interessant. Auch @benni_b hat bei Twitter kommentiert dass der Nerd die personifizierte Aufklärung sei. Diese Richtung scheint sich also zu verdichten. Die Aufklärung hat ja auch so ihre Schattenseiten, wie schon schonAdorno/Horkheimers in der „Dialektik der Aufklärung“ analysiert haben. Und gerade auch feministisch gesehen, denn die „Gleichheit“ (der Männer) und die „Autonomie und Unabhängigkeit“ des (männlichen) Subjekts wurde erkauft mit der Ungleichheit der Frauen (Ausschluß vom öffentlichen Leben, Verweigerung des Wahlrechtes) und dem weiblichen Objekt, mit der Abspaltung der „weiblichen Sphäre“ in Haus und Haushalt (damit der frei denkende Mann auch was zum Essen und zum Anziehen hat), usw. Die Aufklärung hat trotdem viele großartige Dinge mit sich gebracht, aber sie war gleichzeitig ziemlich ignorant den alltäglichen Lebensnotwendigkeiten gegenüber, weil sie immer irgendwelche abstrakten Modelle erfinden wollte (wie den kategorischen Imperativ), die dann der konkreten Lebensrealität übergestülpt wurden, was oft nicht besonders gut funktionierte. Woran nur erinnert mich das jetzt ? :)))

    Ich denke nun fast, man könnte die verschiedenen konkurrieren Männerbilder vielleicht so beschreiben: Die „alten Machos“ sind Aufklärer, die sich in jede Menge Widersprüche verstricken, weil sie ihre eigenen aufklärerischen Prinzipien noch gar nicht wirklich verstanden haben (zum Beispiel eben so etwas Banales wie dass man nicht die Gleichheit der Menschen auf die Fahnen schreiben und gleichzeitig einen Teil der Menschen – die Frauen, aber auch die „Neger“ usw. – für ungleich erklären kann). Die Nerds hingegen nehmen die Aufklärung ernst und treiben sie in ihrer Logik konsequent und radikal auf die Spitze, womit aber dann auch die Ambivalenzen und Schattenseiten der Aufklärung erst so richtig sichtbar werden.

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  40. Antje,

    „Jedenfalls geht es durch die Jahrhunderte bei der Frage, wen eine Frau „erwählt“, so gut wie nie um das weibliche Begehren selbst, sondern darum, die Männer und ihre Taten letztlich zu evaluieren – und zu belohnen.“

    sorry, aber es geht dabei doch *immer* um das weibliche Begehren, übersetzt in für die darum konkurrierenden Männer verständliche Sprache. Wenn Männer in einem Konkurrenzkampf stehen, dann doch um das weibliche Begehren. Um was denn sonst? Aber glücklicherweise stehen ja auch Frauen im Wettbewerb um das männliche Begehren, auch wenn das von Feministinnen nicht selten als „patriarchale Praxis“ abgetan wird.

    Ansonsten glaube ich, daß in dem Essay zwei fundamentale Probleme auftauchen:

    Zum einen die Annahme, daß die Nerd-Diskussion neu sei und ein Ausfluß männlicher Unsicherheit. Es gibt da eine wundervolle Doku über Hollywood-Teenager-Filme durch die Jahrzehnte – an der Darstellung von derartigen sozialen Hierarchien (Nerd, Mauerblümchen) und der Auflösung der Hierarchie in einem sozialen Machbarkeitsmythos durch ein coming of age als Prinzessin oder neuerdings auch als Geschäftsfrau (13-going-30) oder bei den Jungs durch Cleverness (Can’t buy me love) und Erfolg ist wohl so alt wie die menschliche Geschichtsschreibung. Hier sind zwei der besten Artikel – http://www.paulgraham.com/nerds.html, http://kugelmass.wordpress.com/2007/06/20/absolutely-fun-and-true-fact-4-the-history-of-nice-guys/ . Der zweite beschäftigt sich mit der im Regelfall aus der Nerd Frage hervorgehenden „nice guy“ Frage.

    Zum anderen die Annahme, daß sich das wahrgenommene Problem mittels feministischer Analyse ergründen und am Ende lösen ließe.

    Mein Vorschlag wäre, dass wir nicht so sehr darauf hinweisen, dass es auch „weibliche Nerds“ gibt, sondern eher versuchen, die der Debatte eigentlich unterliegende Konstruktion (beziehungsweise Dekonstruktion) von Männlichkeit aufzudecken und als solche zu thematisieren.

    Denn da hätten speziell die Feministinnen unter uns ja durchaus vieles beizutragen. Zum Beispiel haben wir Regalweise feministische Analysen darüber verfasst, warum sich der Schirrmacher-Typus eigentlich überholt hat und was genau das Problem an seiner Vorherrschaft ist.

    Und das hat ja nun auch sehr zur Verunsicherung von Männlichkeit beigetragen – eben genau deswegen WEIL das weibliche Begehren eben doch essentiell für die Definition von Männlichkeit ist. Ich finde es unmöglich, sowohl das eine als auch das andere zu behaupten. Und ich finde es – gerade aus der Perspektive einer Frau, die immmer wieder betont, wie wichtig ihr die Selbstfindung in einem von Männern unbeeinflußten Diskurs war, etwas problematisch, beim Thema Männlichkeit die Notwendigkeit einer feministischen Lösung zu behaupten. Da führt dann die feministische Diskurshoheit in der Genderdebatte ins argumentativ Absurde.

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  41. @jj – das, was ich unter weiblichem Begehren verstehe, hat gerade nichts mit der Konkurrenz der Männer untereinander zu tun. Wenn das Wünschen und Wollen einer Frau nur als „Schiedsrichter“ für konkurrierende Männer dient (und das zu behaupten, so meine ich, war gerade der „Trick“ der patriarchalen Ordnung) dann ist es eben nicht mehr das eigene Begehren (die weibliche Freiheit zurechtgestutzt auf die Wahl zwischen diesem oder jenem und nicht als Kraft und Weg hin zu etwas Anderem, Offenem).

    Zu deinem letzten Punkt: Ja, ich will doch hoffen, dass der Feminismus zur Verunsicherung der traditionellen Männlichkeit beigetragen hat. Aber nicht, weil das weibliche Begehren essenziell für die Definition von Männlichkeit wäre, sondern weil die Frauen aufgehört haben, den ihnen in diesem Setting zugewiesenen Part auszufüllen. Also weniger wegen der Analyse selbst, sondern weil die Frauen aufgrund ihrer Analyse anders handeln als früher und damit gesellschaftliche Veränderungen notwendig werden, die auch Männer betreffen. Die Vorschläge und feministischen Ideen, von denen ich sprach, betreffen auch nicht die Männlichkeit als solche (du hast recht, da muss die „Lösung“ von Männern ausgehen), aber sehr wohl betreffen die gesellschaftlichen Folgen und Konsequenzen, die aus einer bestimmten Art von Männlichkeit resultieren. Meine Frage ist, warum diejenigen (anderen) Männer, die diese bestimmte alte Art von Männlichkeit ablehnen, sich für diese Analysen von Frauen nicht sonderlich interessieren. Ich bin der Meinung, sie würden darin wertvolle Anregungen finden.

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  42. Antje,

    „die weibliche Freiheit zurechtgestutzt auf die Wahl zwischen diesem oder jenem und nicht als Kraft und Weg hin zu etwas Anderem, Offenem“

    Und was soll das dann sein? Sorry, aber das klingt mir etwas zu esoterisch. Frauen und Männer kommen im Regelfall deswegen zusamman, weil sich die Menschheit sexuell fortpflanzt, ob sie das nun tatsächlich tun oder nicht. Und unser Gehirn hat verschiedene Mechanismen dafür entwickelt, zu erkennen, wer ein genetisch attraktiver Partner ist. Attraktivere Partner sind knapper, also besteht um sie Konkurrenz. So weit so gut. Soweit es die weibliche Auswahl betrifft, bestimmt also das weibliche Begehren die Kategorien in denen Männer konkurrieren. Und das männliche Begehren bestimmt die Kategorien, in denen Frauen konkurrieren. Kultur mediiert.

    „Meine Frage ist, warum diejenigen (anderen) Männer, die diese bestimmte alte Art von Männlichkeit ablehnen, sich für diese Analysen von Frauen nicht sonderlich interessieren. Ich bin der Meinung, sie würden darin wertvolle Anregungen finden.“

    Das Problem ist doch, daß Frauen bei der Partnerwahl im Regelfall überhaupt nicht anders handeln als früher (Nerds sind dann interessant, wenn sie Macht und Geld haben, sonst eher nicht), daß damit all diese Analysen im Regelfall für die Konkurrenz unter den Männern – die Konkurrenz um die Frauen, oft auch die feministischen Frauen – irrelevant sind, weil sich die Frauen bei ihrer Wahl der Männer im Regelfall nicht um ihre eigenen Analysen scheren, und die Männer das eben mitbekommen. Wenn das hier – http://www.imdb.com/title/tt0815236/ – nicht die wahrgenommene Realität wäre, wenn keine Konkurrenz unter Männern und Frauen um reproduktive Ressourcen möglich wäre, weil Präferenzmuster nicht identifizierbar wären, dann würde sich vielleicht etwas ändern. Aber solange das nicht so ist wird sich auch nichts ändern. Anregungen hin oder her.

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  43. Sicher hat das alles auch mit den Gedanken der Aufklärung zu tun, dass jedoch Nerds die Aufklärung rakidal auf die Spitze treiben, würde ich so nicht unterschreiben. (Auch wenn ich den Seitenhieb mit dem kategorischen Imperativ sehr gut finde 😉 )
    Ich denke eher, es waren die „Machos“, die die Aufklärung noch gar nicht so richtig verstanden hatten, die es mit der Vernunft übertrieben haben und sie zu den von Adorno und Horkheimer entdeckten Schattenseiten getrieben haben. (Ein schreckliches Buch übrigens…) Aber nochmal zu Kant:

    Was ihn zu einem so großen Nerd macht, ist weniger sein Denken (wie auch bei den heutigen Nerds nicht die technische Versiertheit der ausschlaggebende Punkt ist), sondern seine ganze Persönlichkeit. Es ist unter anderem seine Schrulligkeit und seine Haltung, die absolut charakteristisch für Nerds ist. Es sind diese vielen kleinen Anekdoten, die man über ihn erzählt: Angefangen davon, dass er nie aus Königsberg herausgekommen ist, über seine seltsame Hypochondrie bis hin zu dem Fakt, dass er seinen Tagesablauf konsequent durchgeplant hatte, sodass die Bewohner Königsbergs anhand seines nachmittäglichen Spaziergangs die Uhr stellen konnten.

    Aber auch sein Pazifismus und Traum von einem Weltbürgertum und sein Respekt vor allem Lebenden sind typische Eigenschaften eines Nerd. Es war ja nicht eigentlich Kant, der die Bedeutung der Vernunft überbetont hat, sondern die die nach ihm kamen. In seinen Schriften lese ich, dass Vernunft und Sinne Hand in Hand gehen müssen und das eine ohne das andere undenkbar wäre, wenngleich die Vernunft die entscheidende Instanz bleibt.

    Es ist diese fast schon kindliche Neugier alles verstehen zu wollen, ohne dabei etwas zerstören zu wollen, die sich durch seine Schriften zieht und die ihn auf der Suche nach Antworten antreibt. Für Nerds ist die ganze Welt ein zauberhaftes Rätsel, dass es zu lösen gilt.

    Das gilt auch für Frauen, die dem Nerd zunächst (auch aufgrund von gesellschaftlichen Fehlinformationen / Vorurteilen) wie ein großes Mysterium erscheinen. ABER: Wenn der (heutige) Nerd mit realen Frauen konfrontiert wird, stellt er schnell fest, dass sie gar nicht so seltsam sind, wie er dachte, sondern ganz normale Menschen.

    Und das ist es, was Nerds für Frauen attraktiv macht und bei traditionell denkenden Männern eine Identitätskrise hervorruft. Dass Frauen ernst genommen werden will, versteht / sieht der Macho nicht und es kränkt seine Männlichkeit (die er durch Abgrenzung definiert) zutiefst, dass er nicht die nötige weibliche Anerkennung bekommt.

    Es haben sich also auf jeden Fall die Frauen verändert (wie du ja schon bemerktest) und die eine andere Art von Männlichkeit fordern. Darum ist die Nerd-Debatte eine Männlichkeitsdebatte.

    Ich habe hier natürlich über Stereotypen geredet und im Einzelfall verhält es sich natürlich nie genau so (Außer bei Kant – zerstört nicht meine Illusionen ^^ ) Aber meiner Meinung nach ist dies auf jeden Fall der Kern des Problems.

    (Es ist auch wahr, dass Nerds ihre Theorien und Imperative gern anderen überstülpen wollen, aber immer vorsichtig und niemals mit Gewalt 😉

    Ah, noch eine Anmerkung: Warum nicht vom weiblichen Nerd geredet wird, liegt einfach daran, dass es für Frauen i.d.R. selbstverständlich ist, Männer für Menschen zu halten und respektvoll zu behandeln, sodass es in dieser Hinsicht einfach keinen Diskussionsbedarf gibt.

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  44. @jj das ist gar nicht esoterisch, sondern einfach ein logischer Unterschied: Freiheit nicht verstanden als Wahl zwischen Erdbeer- und Heidelbeerjoghurt sondern als Möglichkeit, etwas ganz anderes als Joghurt zu wollen. Also nicht aus einer vorgegebenen Auswahl zu wählen, sondern eigene Projekte für die Welt zu haben. Das genau hat die Frauenbewegung mir gebracht. Ich sehe im Verhältnis von Frauen und Männern mehr und in erster Linie anderes als eine biologische Notwendigkeit. Von diesen biologischen Erklärungen für Partnerwahl halte ich gar nichts (wie übrigens von den meisten biologischen Erklärungen für menschliches Handeln). Die sozioloische Vorhersehbbarkeit der „Partnerwahl“ auch heute noch hängt meiner Ansicht nach weniger mit Biologie als mit Status zusammen. Das Entscheidende ist aber (und das Schöne an Politik und Freiheit) ist, dass ich der Horde nicht hinterherlaufen muss.

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  45. Antje,

    „Freiheit nicht verstanden als Wahl zwischen Erdbeer- und Heidelbeerjoghurt sondern als Möglichkeit, etwas ganz anderes als Joghurt zu wollen.“

    schon klar, aber was soll das denn im Zusammengang bedeuten? Homosexualität? Polyamory? Asexualität? Nicht zu wählen, oder etwas anderes zu wählen ist doch genauso Teil der Wahlmöglichkeiten wie Erdbeer- und Heidelbeerjoghurt. Wenn Du Dich nur auf den sozialen Zwang beziehst, daß Frauen und Männer zeitweise nur Joghurt wählen durften (wenn überhaupt, die positiven sozialen Checks waren ja immens bis vor Kurzem), während sie eigentlich was anderes wollten, ok, aber das ist doch implizit in „Begehren“, und es ändert sich nur die Grundgesamtheit derer, die trotzdem Joghurt wollen. Nach wie vor die allermeisten, Frauen und Männer.

    „Ich sehe im Verhältnis von Frauen und Männern mehr und in erster Linie anderes als eine biologische Notwendigkeit.“

    Ich sehe in zwischenmenschlichen Beziehungen mehr als eine biologische Notwendigkeit. Wenn aber für mich das Frausein bei einem anderen Menschen relevant wird, dann hat das meist mit meinem Begehren zu tun und das ist weitgehend körperlich (aka – biologisch).

    „Die sozioloische Vorhersehbbarkeit der “Partnerwahl” auch heute noch hängt meiner Ansicht nach weniger mit Biologie als mit Status zusammen.“

    Aha. Und woher kommt das Statusdenken? Ich kenne keine bessere Theorie dafür als „parental investment“.

    „Das Entscheidende ist aber (und das Schöne an Politik und Freiheit) ist, dass ich der Horde nicht hinterherlaufen muss.“

    Naja, ob ich Politik da einbeziehen würde. Aber es ist immer gut, wenn man der Horde nicht hinterherlaufen muß. Allerdings leben wir heute in einem bizarren Machbarkeitsnarrativ, der uns von den biologischen Grundlagen unserer Existenz merkwürdig entfremdet hat. Daß gerade die aus den 68ern hervorgegangene neue Linke, zu der ich jetzt mal politischen Feminismus und Umweltbewegung zähle, den Widerspruch zwischen Blank-Slate Anspruch an den Menschen und dem Anspruch, ihn wieder näher an seine biolgischen Lebensgrundlagen heranzuführen, nicht erkennt, finde ich höchst bizarr…

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  46. @jj – Was das anderes bedeuten soll: Ich denke, dass geschichtlich in unserer Kultur das Begehren der Frauen quasi patriarchal „umgeleitet“ wurde, weg von der Welt, hin auf den Mann. Männer haben nie in erster Linie eine Frau begehrt, sondern Dinge in der Welt: Die Eroberung unbekannter Territorien, Königswürde, Reichtum etc.etc. Das Begehren der Frauen befreien heißt, es auf die Welt zu richten. Das geht also weit über die Frage hinaus, wie und wo und mit wem sie Sex haben.
    Auch für mich wird daher wie bei dir das Frausein eines anderen Menschen im Zusammenhang mit dem Begehren relevant, aber eben nicht nur in körperlicher Hinsicht, sondern in politischer, weltgestaltender Hinsicht.
    Um das Statusdenken im Bezug auf Partnerwahl zu erklären braucht man keine Biologie, es reicht völlig die Kultur. Die REichen und Mächtigen wollen unter sich bleiben und ihren Reichtum vermehren. Mehr ist da nicht dahinter.
    Zu deinem letzten Punkt: Feminismus bedeutet für mich, gerade diesen (falschen) Dualismus zwischen „Machbarkeit“ und „biologischer Determiniertheit“ zu überwinden. Deshalb Freiheit nicht als „Machbarkeit“, sondern als Offenheit, nicht als Autonomie, sondern als eingebunden in Begehren und damit in Beziehungen. Dies nur in aller Kürze.

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  47. Antje,

    „Männer haben nie in erster Linie eine Frau begehrt, sondern Dinge in der Welt: Die Eroberung unbekannter Territorien, Königswürde, Reichtum etc.etc.“

    aha, schön, daß Du das so genau weißt. Finde ich immer wieder lustig, daß kein Mann annimmt, Frauen verstehen zu können, aber nahezu jede Frau glaubt, ein ziemlich korrektes Bild von der männlichen Psyche zu haben. Interessant, nicht? Also, ich, so als Mann, kann dazu ja auch nur meine 2 Ct. beitragen, aber vielleicht hilft dieser Link weiter –

    http://tierneylab.blogs.nytimes.com/2007/08/20/is-there-anything-good-about-men-and-other-tricky-questions/

    „The “single most underappreciated fact about gender,” he said, is the ratio of our male to female ancestors. While it’s true that about half of all the people who ever lived were men, the typical male was much more likely than the typical woman to die without reproducing. Citing recent DNA research, Dr. Baumeister explained that today’s human population is descended from twice as many women as men. Maybe 80 percent of women reproduced, whereas only 40 percent of men did.

    “It would be shocking if these vastly different reproductive odds for men and women failed to produce some personality differences,” he said, and continued:

    For women throughout history (and prehistory), the odds of reproducing have been pretty good. Later in this talk we will ponder things like, why was it so rare for a hundred women to get together and build a ship and sail off to explore unknown regions, whereas men have fairly regularly done such things? But taking chances like that would be stupid, from the perspective of a biological organism seeking to reproduce. They might drown or be killed by savages or catch a disease. For women, the optimal thing to do is go along with the crowd, be nice, play it safe. The odds are good that men will come along and offer sex and you’ll be able to have babies. All that matters is choosing the best offer. We’re descended from women who played it safe.

    For men, the outlook was radically different. If you go along with the crowd and play it safe, the odds are you won’t have children. Most men who ever lived did not have descendants who are alive today. Their lines were dead ends. Hence it was necessary to take chances, try new things, be creative, explore other possibilities.

    „Das Begehren der Frauen befreien heißt, es auf die Welt zu richten. Das geht also weit über die Frage hinaus, wie und wo und mit wem sie Sex haben.“

    Ok, dann macht das mehr Sinn. Aber „Begehren“ als Begriff ist ja schon eher sexuell konnotiert, vielleicht wäre es sinnvoller, sowas vorher zu definieren, oder einen weniger sexuell konnotierten Begriff für das über das Sexuelle hinausgehende zu verwenden: Selbstverwirklichungsinteresse oder so.

    „Um das Statusdenken im Bezug auf Partnerwahl zu erklären braucht man keine Biologie, es reicht völlig die Kultur. Die REichen und Mächtigen wollen unter sich bleiben und ihren Reichtum vermehren. Mehr ist da nicht dahinter.“

    Also Marx hat seine Analyse ja wenigstens noch historisch begründet. Aber sowas einfach als Axiom zu setzen, ohne sich zumindest die Frage nach den Gründen für die Entstehung solcher Strukturen und deren scheinbar ubiquitäre kulturelle Reproduktion zu stellen, bedeutet irgendwie mit ideologischen Scheuklappen durch die Welt zu laufen.

    „Deshalb Freiheit nicht als “Machbarkeit”, sondern als Offenheit, nicht als Autonomie, sondern als eingebunden in Begehren und damit in Beziehungen. Dies nur in aller Kürze.“

    Irgendwie habe ich das Gefühl, Du hast Spaß daran, Begriffe anders zu definieren, als sie im normalen Sprachgebrauch verwendet werden… macht das Diskutieren nicht unbedingt einfacher.

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  48. @jj – ich schreibe hier als Politikwissenschaftlerin, nicht als Psychologin. Deshalb meinte ich auch nichts, über die Psyche von Männern (und ihr reales Begehren) zu sagen, sondern über die kulturelle-symbolische Bedeutung des männlichen Begehrens in unserer Gesellschaft und Historie. Natürlich begehren reale Männer ebenso wie reale Frauen dieses und jenes, was mich interessiert ist aber, wie dieses reale Begehren symbolisch und diskursiv verarbeitet wird.
    Ansonsten, ja, ich definiere Wörter nicht, bevor ich sie verwende. Das schöne an der Sprache ist nämlich, dass sie nicht eindeutig ist. Deshalb ist sie offen für Verhandlungen und für Veränderungen. Im übrigen finde ich nicht, dass „Begehren“ ausschließlich sexuell konnotiert ist, im allgemeinen Sprachgebrauch.

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  49. Antje,

    „Deshalb meinte ich auch nichts, über die Psyche von Männern (und ihr reales Begehren) zu sagen, sondern über die kulturelle-symbolische Bedeutung des männlichen Begehrens in unserer Gesellschaft und Historie.“

    und

    „Männer haben nie in erster Linie eine Frau begehrt, sondern Dinge in der Welt: Die Eroberung unbekannter Territorien, Königswürde, Reichtum etc.etc. Das Begehren der Frauen befreien heißt, es auf die Welt zu richten.“

    naja, also für mich klingt das schon nach einer Aussage über die Hierarchie der Begierde und weniger nach einer Analyse der kulturellen Bedeutung männlichen Eroberungswillens. Du schaust auf die (vor allem) abhängige Variable, und definierst sie als unabhängige Variable…

    „Im übrigen finde ich nicht, dass “Begehren” ausschließlich sexuell konnotiert ist, im allgemeinen Sprachgebrauch.“

    Also, für alles andere würde ich eher Bedürfnis oder Bedürfnisstruktur verwenden.

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  50. Hm, Nerds, ein Wort, das mir in den Ohren klingt wie Arche oder Wolford oder – smooth!

    Aha, smooth, weich, smoothness – Weichheit!

    Weichheit ist sicherlich kein Begriff, auf den zu viele fliegen. An sich ist doch wohl eher Härte gefragt. Nehmen wir den Warenhüter, der hart feilschen kann, um seinen Preis zu optimieren, oder den Superstar, dessen adamante Hülle uns heimlich echauffiert. Weichheit ist da öffentlich eher nur störend. Bloß manchmal, abends, nachts, in stillen, verschämten Momenten ist sie da. Diese Ahnung eines anderen, die uns so wunderbar und dennoch so gemein unsicher macht.

    Den einen macht sie zum Angstbeißer, den anderen zum Halm im Wind, die eine zum Vamp, die andere zur Mutti. Schämen sollten sich alle. Es tun aber nur die, die es nie ganz schaffen.

    Nehmen wir ein einfaches Beispiel.

    Wer weiß, was morgen sein wird? Der von seinem mühsam des morgens zusammen gestoppelten Windsor-Knoten strangulierte Analyst? Das freche Gör im Minirock, das aber klaro doch in den Himmel kommt, wo es ey! tausend Pro Fußbodenheizung gibt? Der zwischen Riesling und Sangiovese souverän unterscheiden könnende Kammgarnträger mit dem winzig kleinen Erektionsproblem etwa so gegen Elf? Die Cellulite-geplagte und noch den kompliziertesten Haushalt easy managende Mama mit den geheimen Vergewaltigungsphantasien?

    Niemand. Das steht nun einmal fest.

    Und das macht ihnen allen Angst, in welch turbo-gesichertem A-Klasse Daimler oder 700er Volvo sie sich auch nach Hause chauffieren (lassen, ha!).

    Weichheit mag keiner. Sie ist igitt! Ein widerliches Relikt aus früheren Tagen, als du geheult hast, wenn du auf’s Klo mußtest.

    Doch, Mist, sie ist irgendwie immer dabei (in meinem Leben, okay, ihr lebt vielleicht woanders und ich in einem Universum, das noch niemand gehört hat. Keine mir fremde Vermutung!). Aber nur mal angenommen, daß nicht.

    Dann:

    Weich sollst du sein, wenn dein Lover den letzten Kick doch nicht mehr hin kriegte. Weich sollst du sein, wenn ihm am Ende die Argumente ausgingen und du ganz sanft ‚Prost, Schatz!‘ sagen mußtest, damit es nicht gar zu peinlich wurde. Weich sollst du sein, wenn er laut brüllt und du immer noch daran denkst, ob morgen früh der Mann von der Post oder der Telekom wohl endlich kommen wird. Weich sollst du sein, wenn er Schlegel mit Hegel verwechselt oder stottert, wenn du ihn nach Wieland befragst. Weich sollst du sein, wenn nichts anderes mehr hilft.

    Da diskutieren also Frauen über den Nerd. Das ist der Typ, der deinen E-Mail Account repariert, auch wenn du dafür nicht mit ihm ins Bett gehst. Manche scheinen sich zu fragen, ob er sexy wäre. Ich bitte euch! Fandet ihr Bugs Bunny sexy, nur weil ihr über diesen Deppen lachen mußtet? Oder den kleinen Bruder eurer beste Freundin?

    Zugegeben, ich interessiere mich für Weichheit. Weil ich sie mag, weil sie mich scharf macht, weil ich wild werde, wenn ich – unter gewissen Umständen – an sie denke. Picklige oder nicht picklige Jünglinge spielen dabei kaum eine Rolle. Höchstens, weil sie die Pizza für zwischendurch bringen.

    Es ist schon ein Kreuz mit dem Sex. Analysierst du ihn, entschwindet er dir, wie dem Heisenberg das Elementare. Schießen sie bitte nicht auf den Pianisten, wenn sie tanzen wollen, Erwürgen sie eher den Pförtner. Er ist erübrigbar!

    Nein, Nerds sind nicht geil, und Geeks sind es nicht, und eigentlich gleich niemand. Bei Madame Tussaut ist nur Kälte angesagt. Sonst schmelzen die Dummies. Nur der lebende Finger macht mir Spaß, der zuckende, kichernde Schwanz. Oder die zitternde Zunge. Was für einer dahinter steckt – wen juckt’s? Auch ich bin nicht perfekt.

    Könnt Ihr mit diesem Unterschied zwischen offener, unbeweisbarer, überraschender, nicht vorhersagbarer Politik (Differenz) und verstehbarem, allgemein gültigem und logisch beweisbaren Systemen (Universalismus) etwas anfangen?“ fragst Du.

    Naja, antworte ich, wenn eine(r) mich überrascht, schon. Ich hasse Langeweile und Systematik. Aber mal unter uns Betschwestern gefragt: Stehst du auf Logik? Dieser Krücke der furchtsamen Omnipotenz? Mir muß keine(r) etwas beweisen, er/sie täte es nicht.

    Und daß das Allgemeine im Besonderen den Mangel des je Einzelnen nicht aufheben könne, habe ich damals von meinem Philosophielehrer in der Zwölf (ein wirklich netter Mann, nur seine Hemden hätten das Aufpeppen gebraucht) gelernt. Wahrheit ist bloß Münze, pflegte er nach dem zweiten Joint zu lallen, und Recht habe er, dachte ich nach dem dritten. Das an sich Wunderbare läge eh weit jenseits, kam dann später. Wenn ich die Zahl der Tüten nicht mehr im Griff hatte.

    Naja, kurzum: I don’t like neither nerds nor geeks, but I sure do use them, if I can!

    Vermutend, deine Frage nicht gerade erschöpfend (und dem allgemeinen Sprachniveau hier herum entsprechend) beantwortet zu haben, verbleibe ich dennoch recht fröhlich und guter Dinge etc. pp.

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  51. Der Nerd-Begriff wird in dem Artikel meiner Meinung nach einem Klischee und somit falsch ausgelegt. Nicht alle Nerds sehen aus wie Bernard Bernoulli. Nerdig ist jemand , der extrem auf ein Hobby bzw. Leidenschaft fixiert ist und damit mehr Zeit verbringt, als mit dem Versuch seinen sozialen Status zu wahren und zu verbessern. Ich bin ein Comic-Nerd. Ich gebe eher Geld für mein Hobby aus, als mir ein tolles auto zum angeben zu kaufen. Mir ist egal, ob viele Comics peinlich finden. Und Blogger sind für mich generell Nerds, da sie extrem viel Zeit in ihren Blog investieren.
    Das mit den Männlichkeitsmodellen finde ich auch ein wenig zu sehr pauschalisiert.

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