Geborgenheit und Mut

Muenkler_Sicherheit Sicherheit und Unsicherheit sind die großen Themen des 21. Jahrhunderts. Vom Abbau der sozialen Sicherungsnetze über Terrorismus und Datensicherheit im Internet bis zu Finanzkrisen, Ölpest, Tsunami und Klimawandel. Unter dem Titel „Sicherheit und Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert“ rollt ein neuer Sammelband das Thema auf. Er ist aus einer Ringvorlesung an der Berliner Humboldt-Uni hervorgegangen.

Im einführenden Beitrag zeigt Herfried Münkler aus ideengeschichtlicher Perspektive, wie sich im Übergang von Mittelalter zu Neuzeit der Umgang mit Gefahren verändert hat: nämlich weg von dem „die Sicherheit der Burg verlassenden und in die Welt hinausziehenden Ritter“, der bedingungslos agiert, hin zum „Risikokalkül des Kaufmanns“, der die Gefahren und das Wagnis „durch Berechnung zähmt“.

Eine interessante Analyse, die offensichtlich eng verknüpft ist mit Vorstellungen von Männlichkeit: „Den Helden interessiert der Sieg, den Kaufmann der Gewinn.“ Und die Frau? Wie ist sie von all dem betroffen, und vor allem, was denkt sie dazu?

Die Frage habe ich mir beim Lesen der sehr unterschiedlichen und teilweise disparaten Beiträge des Buches häufig gestellt, beantwortet wird sie aber nicht, da sich der Band ganz auf die männliche Ideengeschichte beschränkt. Das ist wohl auch der Grund, warum das Thema unter einer dualistischen Perspektive betrachtet wird – die Welt dualistisch, also in vermeintlichen Gegensätzen zu verstehen ist das wesentliche Merkmal der männlichen symbolischen Ordnung.

Die politische Herausforderung, so etwa Münklers Analyse, bestehe darin, „Kulturen der Sicherheit“ und „Kulturen des Risikos“ miteinander zu vermitteln. Eine reine Kultur der Sicherheit, die ein paternalistischer Staat gewährleisten soll, führe zu dem Dilemma, dass die Sicherheitserwartungen in der Bevölkerung immer weiter steigen, sodass sie am Ende nicht erfüllt werden können. Eine reine Kultur des Risikos hingegen tendiere dazu, die schädlichen Folgen und Konsequenzen auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Deshalb, so Münklers Schlussfolgerung, müsse man beides ausbalancieren, so „dass die sich selbst antreibende Spirale wachsender Sicherheitsbedürfnisse angehalten, wird, während gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass die Kulturen des Risikos nicht hegemonial auf die sie umgebenden Welten der Sicherheit übergreifen.“

Das ist kurzfristig pragmatisch wahrscheinlich gar nicht falsch, allerdings spricht derzeit wenig dafür, dass dieser Balanceakt gelingen könnte, wie ein beliebiger Blick in die Zeitung zeigt.

Deshalb denke ich, dass wir zusätzlich auch den grundlegenden Wandel von der „Gefahr“ zum „Risiko“ noch einmal neu denken müssen. Was mir in Münklers Analyse fehlt, ist vor allem der Aspekt der Beziehung, oder konkret die Frage: Wer bezahlt den Preis? Um es an einem der im Band vorgestellte Beispiele selbst zu erläutern: Der Kaufmann, der fünf Schiffe von Indien nach Europa auf die Reise schickt, riskiert zwar den Verlust seines Vermögens. Für die Seeleute auf den Schiffen ist die Havarie aber kein Risiko, sondern weiterhin eine Gefahr, der sie sich – wie ehedem die Ritter – bedingungslos aussetzen: Geht das Schiff unter, sind sie zu hundert Prozent tot.

Die qualitative Veränderung, die die ideengeschichtliche Umwandlung von „Gefahren“ in „Risiken“ bedeutete (die sich am Beginn der Neuzeit vollzog und auch die rational-wissenschaftliche Epoche in Westeuropa einläutete), war schlichtweg deren Ökonomisierung: Indem man sich gegen Unglücksfälle versichert, kann man Verluste bis zu einem gewissen Grad abmildern. Doch das ist nur möglich, wenn man auch die damit einhergehenden Beziehungen abstrahiert. Man trauert nicht um die toten Matrosen, sondern verbucht sie als Verluste.

Die Betrachtung einer Unternehmung unter der Risikoperspektive (banal ausgedrückt in der betriebswirtschaftlichen Frage: Rechnet sich das?) ist also nur aus einer Herrschaftsperspektive möglich. Ihre Problematik kommt nur deshalb jetzt in die öffentliche Debatte, weil so langsam klar wird, dass diese monetäre Absicherung nicht mehr nur qualitativ, sondern auch quantitativ nicht mehr funktioniert: Der Schaden, der durch Ölkatastrophen wie jetzt im Golf von Mexiko oder durch die heutigen Finanzmarktblasen entsteht, ist schlichtweg nicht mehr bezahlbar. Das Konzept „Risiko kalkulieren“ hat sich längst ins Absurde gewandelt.

Was wäre aber die Alternative? Ich denke, ein erster Schritt wäre es, die Gegenüberstellung von „Risiko“ und „Sicherheit“, diesen alten Streit unter Männern (Abenteurern auf der einen, Spießbürgern auf der anderen Seite), aufzugeben. Münkler selbst legt dazu bereits eine Fährte, wenn er den Begriff der Geborgenheit einführt: „Geborgenheit bezeichnet einen Zustand, in dem Selbst und System nicht in einem Verhältnis der Komplementarität für die Herstellung von Sicherheit bzw. Sicherheitsgefühlen zuständig sind, sondern beides gegeben ist und durch eine übergeordnete Macht in Ordnung gehalten wird. In dieser Vorstellung von Geborgenheit werden immer auch Erinnerungen an eine glückliche und behütete Kindheit aufrechterhalten. Man kann darum auch von einer paternalistischen Sicherheit sprechen, wobei der familiale Vater durch den Landesvater, den Staat oder Gott abgelöst werden kann bzw. abgelöst werden muss.“

Aber: Ist es denn wirklich der Vater, der (ideengeschichtlich wie konkret) für kindliche Geborgenheit steht – oder ist es nicht vielmehr die Mutter? Immerhin befinden wir uns hier ja in der Analyse klassischer, patriarchaler Familienstrukturen, die mütterliche und väterliche Aufgaben strikt voneinander unterschieden haben. Und der Part des „Geborgenheit Gebens“ war eher der mütterliche, während der Part des Vaters eher das „Ordnung Schaffen“ war: Geborgen fühlte man sich im Schoß der Mutter, in den man sich flüchtete, um sich nach den väterlichen Stockschlägen auszuweinen.

Münkler beschreibt sehr zutreffend, welche fatalen Folgen das patriarchale, also vom pater familias abgeleitete Staatsverständnis hatte, das „zum Einfallstor für autoritäre politische Ordnung werden“ kann. Und weiter: „Hier liegt zugleich der Quellgrund für die zuletzt häufig apostrophierte Entgegensetzung von Sicherheit und Freiheit, die keineswegs prinzipieller Art ist, sondern aus bestimmten Sicherheitsvorstellungen erwächst.“

Die Frage müsste also nicht lauten, wie wir Sicherheit, so wie sie bisher definiert wurde (als möglichst große Risikominimierung), herstellen können, sondern ob wir nicht ein anderes Verständnis von Sicherheit erwerben könnten. Ein eher mütterliches als ein väterliches? Und: Müsste man dann nicht auch das Verständnis von Risiko und Freiheit verändern?

Der erste, wichtigste (und damit zusammen hängende) Schritt wäre es jedenfalls, die ideengeschichtliche Analyse nicht länger auf die Ideen von Männern zu beschränken, sondern auch die Ideen von Frauen zu Rate zu ziehen. Schließlich haben sie inzwischen nicht nur dem Patriarchat ihre Gefolgschaft aufgekündigt (das ja für Frauen durchaus nicht nur unterdrückerisch war, sondern auch den Schutz eines „goldenen Käfigs“ beinhaltete), sondern auch schon zahlreiche postpatriarchale Analysen und Ideen hervorgebracht.

Zum Beispiel wird in den meisten feministische Theorien längst die Gegenüberstellung von „Freiheit“ und „Sicherheit“ hinterfragt und grundsätzlich angezweifelt. Wie sich überhaupt gezeigt hat, dass wenn man den grundlegenden Dualismus von Mann und Frau nicht mehr akzeptiert, auch die meisten anderen vermeintlich grundlegenden Dualismen in sich zusammenfallen.

Wenn aber Freiheit nicht länger als Autonomie (also als „Selbstgesetzgebung“, als Unabhängigkeit und beziehungsloser Individualismus) verstanden wird, sondern als „Freiheit in Bezogenheit“, dann lässt sich der männliche Risikobegriff eigentlich nicht mehr aufrechterhalten, der für den eigenen Profit das Leid anderer in Kauf nimmt. Die Herausforderung bestünde also nicht darin, Sicherheit und Risiko gegeneinander „auszubalancieren“, sondern an einer Kultur zu arbeiten, die beides gar nicht mehr als Gegensätze versteht.

Ein guter Ausgangspunkt ist in der Tat die von der Mutter geschenkte „Geborgenheit“. Dabei können wir ja alle auf eigenen Erfahrungen zurückgreifen, schließlich sind wir alle Söhne und Töchter. Und schon eine oberflächliche Beobachtung kindlichen Verhaltens macht klar, dass Kinder keineswegs Sicherheit und Risiko gegeneinander abwägen, sondern dass beides für sie Hand in Hand geht: Gerade weil das Kind sich in Gegenwart der Mutter (und auch der „neuen“, also nicht patriarchalen Väter) geborgen und sicher fühlt, traut es sich, Risiken einzugehen. Allerdings nicht unbedingt die kalkulierenden Risiken des Kaufmanns, die das Leid anderer für den eigenen Vorteil in Kauf nehmen (Da würde die Mutter nämlich schimpfen). Die “Risiken”, die auf der Grundlage von Sicherheit im Sinne von Geborgenheit möglich werden, sind eher solche, bei denen das Terrain des Bekannten und des “Es-war-schon-immer-so” verlassen werden kann, um etwas Neues auszuprobieren. Der Mut zum Ungewissen.

Genau diese Art des Mut habens brauchen wir auch als Erwachsene. Nicht nur für Kinder hat das Sich etwas Trauen in erster Linie mit Vertrauen zu tun – nicht mit dem Blick auf eine Versicherungsprämie, die mich für eventuelle Verluste entschädigt, sondern mit dem Vertrauen auf jene  Geborgenheit, die nur andere Menschen und die Beziehungen, die ich zu ihnen habe, mir gewähren können.

An diesem Risiko ist nichts Heldenhaftes und nichts Kaufmännisches. Und das ist auch gut so. Beides sind nämlich überkommene patriarchale Männerrollen, und weder Helden noch Kaufmänner sind in der Lage, uns heute weiter zu helfen. Auch nicht in einem „ausbalancierten“, vermittelten Zustand. Was wir hingegen brauchen, das sind mutige Menschen, die sich nicht am Überkommenen festklammern, sondern die Neues wagen.

Herfried Münkler, Matthias Bohlender, Sabine Meurer (Hg): Sicherheit und Risiko. Über den Umgang mit Gefahr im 21. Jahrhundert. Transcript, Bielefeld 2010, 26,80 Euro. Inhaltsverzeichnis (pdf)

Hier ein Vortrag von mir zum Thema “Mit (Un)Sicherheit leben”


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

21 Gedanken zu “Geborgenheit und Mut

  1. Die Mutter gibt also Geborgenheit und eine Art sichere Basis, von der heraus Risiken eingegangen werden können. Weil das Risiko eine gewisse Geborgenheit hat ist es gut. Neue Väter machen das auch.

    Der „klassische Mann“ hingegen agiert nicht aus der Geborgenheit heraus, sondern betrachtet nach dieser Vorstellung abstrakt Risiko und Gewinn und handelt auch ohne sichere Basis, wenn im das Risiko im Verhältnis zum Gewinn interessant ist. Weil er nicht aus der Geborgenheit kommt interessiert ihn nur diese Rechnung und nicht das drumherum.

    Verstehe ich das richtig?

    Dazu erst einmal der Einwand, dass Väter einen Großteil der Sicherheit für die Kinder schaffen, weil sie das Familieneinkommen verdienen. Das Kind muss sich nicht um Essen, Kleidung, Wohnung, Schutz kümmern. Der Vater stellt letztendlich auch die Mutter mit seiner Arbeit von der Erwerbstätigkeit frei, so dass sie erst dadurch die Betreuungsarbeit ausführen kann. Aus dieser Sicherheit heraus kann es lernen, sich entwickeln etc (wenn du den Sozialstaat dazu nimmst, so ist zu bedenken, dass dieser zum größten Teil durch die Steuereinnahmen der Männer unterhalten wird).

    Das „männliche System“ der Risiko-Nutzen-Betrachtung hat auch klassische Vorteile:
    Der Kaufmann, der überlegt, ob er sein Schiff nach Indien schickt würde also zunächst versuchen eine Geborgenheit zu erreichen. Wie genau würde er das tun? Durch kurze Reisen, die die Seeleute aneinander gewöhnen? Durch ein Höchstmass an Sicherheit und ein Begleitschiff, dass Schiffbrüchige aufnimmt? Oder würde er es einfach sein lassen, weil er sagt, dass die Risiken für seine Seeleute, für die er ja mütterlich sorgen sollte, zu groß ist?
    Das Problem das ich da sehe ist, dass das den Wettbewerb nicht berücksichtigt. In dem Beispiel oben würde es Konkurrenten geben, die eine Risiko-Nutzen Rechnung anstellen und entscheiden, dass der Gewinn aus dem Handel das Risiko wert ist. Sie würden dann Seeleute suchen, die entscheiden, dass sie zB entscheiden, dass Lohn und Brot der Reise (und vielleicht eine Gewinnbeteiligung) die Risiken der Reise wert sind. Diese würden dann aufbrechen und schneller sein als der Konkurrent, der mütterlich handelt. Vielleicht geht ein schiff unter und eins kommt durch. Der der durchkommt etabliert eine Handelsbasis, sichert sich die Kontakte, schirmt vielleicht durch Verträge schon gegenüber Konkurrenten ab, kann billiger liefern, dank geringerer Kosten. Bevor der Konkurrent aus seiner Geborgenheit heraus handelt und diese entsprechend ausgeweitet hat, hat der andere schon gehandelt. Das macht das System bei dem Risiken eingegangen werden attraktiv.

    Meiner Meinung nach hat das wenig mit männlich und weiblich zu tun. Frauen sind vielleicht weniger bereit Risiken einzugehen, wobei Testosteron hier eine große Rolle spielen wird, aber das sie diese nicht eingehen, weil sie damit beschäftigt sind Geborgenheit zu errichten halte ich doch etwas für verklärend.

    Hier ein paar weitere Anwendungen, mal sehen ob ich es richtig verstanden habe:

    – Einer Frau wird die Beförderung angeboten. Sie kennt die Geborgenheit des alten Jobs, die Leute dort, hat persönliche Verhältnisse zu diesen aufgebaut, diese geben ihr Sicherheit. Die neuen Leute kennt sie nicht, auch weiß sie nicht ob ihr die Führungsposition gut gefallen wird. Da sie keine Möglichkeit hat die Geborgenheit des alten Jobs zu behalten und aus dieser heraus den neuen Job anzunehmen lehnt sie ab und bleibt im alten.
    Einem Mann wird der selbe Job angeboten. Er wägt Risiken (neue Leute, höhere Anforderungen, ungewohnte Arbeit) gegen den Nutzen (mehr Geld, mehr Status, Aussicht auf weitere Karriere) ab und nimmt nach Abwägung an.

    – Eine Frau hat eine gute Idee, die sie in einem Startup vermarkten könnte. Sie müsste dazu ihren Job aufgeben, Kredite aufnehmen und hoffen, dass die Idee tatsächlich gut ist. Aus ihrer Geborgenheit heraus kann sie dies nicht tun. Sie verkauft also die Idee an jemanden anders und bleibt in ihrer Geborgenheit. Dieser andere ist ein Mann, er nimmt eine Risiko-Nutzen-Analyse vor, beschließt, dass es klappen könnte und wird entweder untergehen oder sehr erfolgreich werden.

    Habe ich das Konzept so richtig angewendet?

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  2. Mal abgesehen davon, dass ich die Beispiele in diesem Artikel konstruiert und an den Haaren herbeigezogen finde zugunsten des Ausspielens einer angeblich „guten“ Mütterlichkeit zugunsten einer „schlechten“ Väterlichkeit ( was ich wirklich unglaublich manipulativ und unsymphatisch finde – wahrscheinlich, weil ich einen liebevollen und bemühten Vater hatte, wie die meisten Menschen ), frage ich mich, ob wirklich ein angebliches frühkindliches Gefühl von „Geborgenheit“ ein Modell für Erwachsene sein kann.

    Erstens halte ich die Behauptung, Kinder würden Geborgenheit verspüren, für eine Projektion von Erwachsenen auf Kinder, wie man schon am Bemühen von Frau Schrupp sieht, die Ursache dieses angeblichen Gefühls zu funktionalisieren.

    Ich selber habe als Kind nie Geborgenheit als Lebensgrundgefühl verspürt, sondern hatte manchmal Todesangst, war mit vielen Problemen alleine, ohne mich jemanden anvertrauen zu können, habe meine Mutter oft als ablaufendes Kinderversorgungs-Programm empfunden und war froh, wenn endlch mal mein Vate nicht zum Geldverdienen ausserhalb war usw. usf. und ich weiss, dass es vielen anderen Kindern genauso ging und geht, wie mir mancher Erwachsene erzählte.

    Des weiteren: Ein kleines Kind hat kleine Befürfnisse – die Beziehung eines Vaters zu seinem Kind z.B. wird nicht so wesentlich dadurch belastet, dass das Kind ausserdem noch Ansprüche bzgl. Essen, Kleidung, Schule etc. hat.

    Die Ansprüche von Erwachsenen sind groß – in der Regel gibt es keine Autorität, zu der ich eine Beziehung aufbauen kann und die meine Ansprüche und Wünsche erfüllen kann, sondern ich zerstöre diese Beziehungen, wenn ich von diesen erwarte, dass die klassische Versicherungsaufgaben übernehmen – selbst engste familiäre oder freundschaftliche Bande halten in der Regel solche Belastungen nicht dauerhaft aus.

    Was mich dazu bringt, anzumerken, dass mir der Vertraglichkeit freier Indivduen sehr viel lieber und auch menschlicher vorkommt als die Freiheit in nicht selbst gewählter Bezogenheit.

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  3. @Christian – nein, du hast es nicht richtig verstanden. Erstens ist „männlich“ und „weiblich“ nicht identisch mit „Männern“ und „Frauen“. Zweitens sind die Beispiele (etwa mit den Kaufleuten) nicht von mir, sondern aus dem Buch. Drittens geht es nicht um eine Konkurrenz zwischen „männlichen“ und „weiblichen“ Systemen. Deine letzten beiden Beispiele zeigen auch, dass du nicht verstanden hast, worauf ich hinaus wollte, denn du setzt da ja immer noch „Geborgenheit“ und „Risiko“ einander gegenüber. Meine Idee ist eben, dass dies eine falsche Gegenüberstellung ist. Um es nur kurz an deinem letzen Beispiel zu erläutern: Ein Mensch hat eine Idee für ein Startup. Das zu versuchen ist aber riskant, weil man nie vorher wissen kann, ob das klappt. Lebt dieser Mensch in einer Situation der „Geborgenheit“, hat also Freund_innen, auf die er sich verlassen kann und von denen sie oder er weiß, dass sie auch im Fall eines Scheiterns befreundet bleiben und evtl. unter die Arme greifen, lebt in einem Sozialstaat, der Arme nicht ausgrenzt usw., wird sie oder er wahrscheinlich eher den Mut habe, dieses Risiko einzugehen, als wenn im Fall des Scheiterns die Einsamkeit und das materielle Aus drohen.

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  4. „Lebt dieser Mensch in einer Situation der „Geborgenheit“, hat also Freund_innen, auf die er sich verlassen kann und von denen sie oder er weiß, dass sie auch im Fall eines Scheiterns befreundet bleiben und evtl. unter die Arme greifen,…“

    In der Regel wird der Mensch so verantwortlich gegenüber seinen Freunden sein, dass er die Risikobeteiligung seiner Freunde gegen eine angemessene Gewinnbeteiligung herstellt.

    Den Gewinn allein einfahren, das Risiko aber im Namen der Freundschaft sozialisieren zu wollen ist nicht gerade das, was ich mir unter Freundschaft vorstelle – das erinnert mich eher an die letzte Finanzkrise.

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  5. @antje
    Warum verwendest du dann die Bezeichnungen, wenn du sie nicht auf das Geschlecht zumindest im Schnitt anwendest?

    Mich würde interessieren, wie du das Beispiel der Kaufleute und der weiten Reise mit deinem Konzept umsetzt. Er muss ja so oder so die Seeleute auf die Reise schicken oder es sein lassen und das Risiko bleibt gleich oder wie wirkt sich hier die mütterliche Geborgenheit aus? Warum sollen die geschilderten Mechanismen bei der Frage, ob man eine Beförderung annimmt nicht greifen und hier der Wunsch nach Geborgenheit dazu führen, dass man auf der bisherigen Stufe stehenbleibt?
    Genauso bei der Unternehmensgründung: Ob ich mich bei Freunden und Familie geborgen fühle ändert nichts daran, dass man riskiert bei einem Misserfolg vollkommen pleite zu sein, weil man nicht erwarten kann, dass einen diese auffangen.

    Ich wollte mit meinen Ausführungen deutlich machen, wo die Vorteile der Risikoanalyse gegenüber der Geborgenheit liegen. Mehr Risiko einzugehen kann für den Einzelnen und für die Gesellschaft eine schnellere Entwicklung bedeuten.
    Es ist eine ähnliche Lage wie bei Kapitalismus und Kommunismus. Zuviel Risiko rausnehmen und alles durch die Geborgenheit gebende Gemeinschaft abzufangen führt eher dazu, dass die Leute weniger Risiko eingehen.

    Deinem Artikel würde ich aber in seiner Wertung insoweit zustimmen, dass Frauen weniger risikobereit sind, was dann eben auch daran liegt, dass Testosteron die Risikobereitschaft erhöht.

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  6. @Antje: Danke erstmal für den Artikel. Auch wenn da für mich ein paar Dinge problematisch sind, finden ich diese Überlegungen über eine „Alternativ-Kultur“, also was wäre wenn man ein paar alteingesessene Kulturmaßstäbe durch Neue austauschen würde, immer sehr spannend und auch notwendig.

    Wo bei mir aber die Augenbraue skeptisch nach oben gegangen ist, ist die Verknüpfung von „Geborgenheit“+“Mütterlichkeit“. Bei mir war’s leider so das niemand von meinen Eltern mir wirklich Geborgenheit gegeben hat und ich auch meine gesamte Familie als „dysfunktional“ bezeichnen würde. Geborgenheit habe ich erst durch einen Freundeskreis kennengelernt.
    Was mich auch am Begriff der „Geborgenheit“ stört, das der hier bei Dir im Artikel scheinbar fehlerlos ist. Du schreibst im dritt-letzten Absatz:

    „Allerdings nicht unbedingt die kalkulierenden Risiken des Kaufmanns, die das Leid anderer für den eigenen Vorteil in Kauf nehmen (Da würde die Mutter nämlich schimpfen).“

    Meiner Meinung nach klammerst Du da aber alle Umstände aus, in denen Mütter auch negative Verhaltensweisen aktiv unterstützen. Es gibt ja zum Beispiel auch rassitsiche Mütter die den Rassimus dann an die Kinder weitervermitteln. Aus dem amerikanischen erz-evangelikalen Raum kenne ich auch Geschichten von Müttern die ihren Kindern die Homosexualität asutreiben möchten. Und ich kaufe diesen Frauen ab das sie es damit ehrlich meinen, also von Herzen glauben das Richtige zu tun, gleichzeitig verhalten sie sich aber absolut menschenverachtend. Die Geborgenheit die diese Mütter bieten wollen, ist in diesem Fall also eine die ich nicht für nachahmenswert halte.

    Wie gesagt, ich kenne und gebe selbst Geborgenheit und will den Begriff nicht verdammen, aber in deinem Text kommt es so rüber als könnte ein Mensch der nach dem „Geborgenheitsprinzip“ handelt niemals etwas Falsches tun. Und das halte ich nicht für realistisch.

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  7. @Cassandra – Natürlich gibt es Mütter, die nicht der Rolle entsprechen, die ihnen innerhalb einer politischen Kultur zugeordnet werden und die ich unter dem Begriff des „Geborgenheit gebens“ charakterisiert habe. Aber das ist nicht mein Punkt. Es gibt ja auch Kaufleute, die nicht pur Kosten-Nutzen-Kalkulierend handeln usw. Es geht mir um die „symbolische Ordnung“, also um die Paradigmen, innerhalb deren wir gesellschaftliche Themen verhandeln, und die immer auch mit geschlechtlichen Verknüpfungen konnotiert sind. Es gibt schon eine Wechselwirkung zwischen dem Bild, das wir von „Mütterlichkeit“ oder auch von „Ritterlichkeit“ oder von „Kaufleutementalität“ haben und den konkreten Personen, aber die ist nicht eins zu eins. Mein Vorschlag lautete nur, dieses symbolische Bild des mütterlichen „Geborgenheit Gebens“ in der politischen Diskussion fruchtbar zu machen. Vermutlich hat es auch so seine Macken. Mein Hauptpunkt war auch die Beobachtung, dass wir alle (Frauen wie Männer) so etwas wie „Geborgenheit“ brauchen, um mutig zu sein. Dass wir nicht alle diese Geborgenheit von unseren Müttern in dem Maß bekommen haben, wie es vielleicht wünschenswert wäre, widerspricht dem ja nicht.

    @Christian – die Geschlechterdifferenz als Kriterium heranzuziehen ist nicht meine Entscheidung, sondern eine notwendige Folge davon, dass diese Differenz unserer Kulturgeschichte wesentlich zugrunde liegt. Ansonsten sind wir einfach unterschiedlicher Meinung: Du glaubst, dass es zwischen Risiko und Sicherheit einen Dualismus gibt und bringst immer neue Beispiele dafür, ich bleibe damit, dass das nicht die einzig mögliche Sichtweise ist und ich eine nicht-dualistische bevorzuge. Dass Frauen per se weniger risikobereit sind als Männer glaube ich übrigens nicht. Ich denke nur, dass die Verhaltensweisen und Rollen, die in unserer Kultur mit „Weiblichkeit“ verknüpft werden, weniger Risikoverhalten erwarten. Das hat zur Folge, dass ein Mann, der wenig risikobereit ist, Gefahr läuft, als „unmännlich“ zu gelten, während eine Frau, die wenig risikobereit ist, nicht Gefahr läuft, als „unweiblich“ zu gelten. Da wir mit unserer Gesellschaft momentan ein Problem damit haben, dass zu viel und zu schnell Risiko eingegangen werden (etwa von BP beim Bohren nach Öl in der Tiefsee), war mein Vorschlag zu überlegen, ob diese „weibliche“ Art des Menschseins nicht eine Quelle der Inspiration sein könnte, um unsere Kultur entsprechend zu verändern.

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  8. @Antje Schrupp:

    „Das hat zur Folge, dass ein Mann, der wenig risikobereit ist, Gefahr läuft, als „unmännlich“ zu gelten, während eine Frau, die wenig risikobereit ist, nicht Gefahr läuft, als „unweiblich“ zu gelten.“

    Vor allem ist es so, dass ein Mann, der nicht bereit zum Risiko ist, wenig oder keinen Gewinn einfährt, während Frauen am Gewinn von Männern, die Risiken eingegangen sind, in unserer Gesellschaft immer noch (zu) stark partizipieren, die Verluste von Männern, die keine Gewinne einfahren, aber nicht mittragen. Frauen haben es schlicht nicht nötig, Männer schon. Ich glaube, das hat wenig mit „männlich“ oder „weiblich“ zu tun.

    Übrigens würde mich mal interessieren, ob die Autoren in dem Buch eine Analyse von risikohaftem Verhalten als Adaption an eine sich auf verschiedenen Zeitskalen, mal schneller, mal langsamer, aber immer unvorhersehbar verändernde Umwelt vornehmen?

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  9. @Andreas – Nee, das ist jetzt Quatsch. Die Folgen der Risiken, die z.B. Bankmanager eingegangen sind, tragen Frauen überall auf der Welt genauso, wenn nicht noch mehr, wie Männer. Die Folgen der Ölverseuchten Meere tragen auch nicht nur die Verursacher. Und auch im Kleinen ist es so, dass etwa nicht-erwerbstätige Ehefrauen auch die Folgen mittragen, wenn ihre Ehemänner Verluste einfahren. Zu deiner letzten Frage: Nein, tun sie nicht.

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  10. Nicht jedes Risiko ist eine Gefahr für Leib und Leben. Und nicht jeder Risikovermeider tut dies, um Leib und Leben zu schützen.

    Beispiele gefällig?

    – Der Karrierewechsel zur Unzeit (Risiko: Erwartungen werden nicht erfüllt, der neue Job ist doof und weniger Geld gibt’s auch noch)

    – Der Absprung aus der lieblosen aber sicheren Beziehung/Ehe (Risiko: Man findet keinen neuen Partner, man ist finanziell weniger abgesichert, usw.)

    – Normen verletzen, Rollenvorgaben nicht entsprechen (Risiko: Ablehnung von der Peer Group, möglicherweise gesellschaftliche Ablehnung, Karrieregift)

    No sailors were killed in these examples!

    Trotzdem handelt es sich um Beispiele für Risiken, die man eingehen kann oder nicht. Wer sie nicht eingeht, dem ist die Sicherheit des Status Quo lieber als das möglicherweise grünere Gras auf der anderen Seite.
    Ja, ich sehe viele unzufriedene Menschen, die das grüne Gras jahrelang anstarren aber nicht in die Puschen kommen.
    Dieses Festhalten am Status Quo, diese Risikoaversion, dieser Konservatismus in der eigenen Lebensgestaltung ist wie in allen Dingen das eine Ende der Skala. Am anderen Ende ist es auch nicht gesund, bleibt die goldene Mitte.
    Ich denke wirklich, dass Risikoaversion ein ganz klein wenig weiblich ist (statistisch irrelevante Erhebung auf Basis anekdotischer Daten). Warum?

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  11. @Antje Schrupp:

    Gut, da sind wir dann wohl unterschiedlicher Ansicht – ich glaube jedenfalls, es ist kein Zufall, dass Männer sowohl bei den Obdachlosen als auch in den Vorständen unter sich sind.

    Zu dem anderen: Schade. Ich persönlich vermisse nämlich mal eine Diskussion von eigentlich ins Auge springenden Vorgängen, wie dem, dass der Mensch, vor allem in seiner männlichen Ausprägung, offenbar eine Adaption an schnelle Umweltveränderungen ist, auf Grund seines Erfolges aber leider genau diese Umwelt immer schneller verändert. Wobei ich behaupten würde, dass Risiko-/Gewinnberechnungen ein einheitlicher Mechanismus sind, der auf allen Zeitskalen Anwendung findet und nur unterschiedlich ausgeprägt wird – die Bedürfnisse von Kleinkindern ändern sich nicht von Generation zu Generation und die Sorge einer Mutter/eines Vaters ist ebenso eine Berechnung wie die Risikoanalyse eines Kaufmanns, der schauen muss, ob morgen sein Schiff untergeht und z.B. Rücklagen bilden muss, falls er die Angehörigen der Toten mitversorgen muss etc.

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  12. @Karen – Die Frage ist eben, wie man diese Beispiele, die du aufführst, interpretiert. Die klassische Interpretation (und in dem Buch verbreitete) ist: Die Leute gehen kein Risiko ein, weil sie eine Aversion dagegen haben und lieber die Sicherheit des Status Quo vorziehen. Und andere gehen das Risiko ein, versuchen aber im Schadensfall die Folgen auf die Allgemeinheit umzuwälzen. Die Lösung, die Münkler in dem Buch vorschlägt ist: Da diese beiden Positionen sozusagen „normal“ sind und es sie immer geben wird, muss man sie gegeneinander ausbalancieren (ähnlich wie deine „goldene Mitte“). Meine These war: Es könnte auch möglich sein, diese beiden „Typen“ nicht als Gegensätze zu sehen, sondern die Phänomene „Risiko“ und „Sicherheit“ auf neue (nicht-dualistische) Weise zu verstehen, nämlich als „Mut“ und „Geborgenheit“, die sich nicht gegenüberstehen, sondern gegenseitig bedingen.

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  13. @Karen:

    „Ich denke wirklich, dass Risikoaversion ein ganz klein wenig weiblich ist (statistisch irrelevante Erhebung auf Basis anekdotischer Daten). Warum?“

    Weil Frauen sich in den meisten Gesellschaften mit den Aufgaben beschäftigen, deren Erfolgsvoraussetzungen über teilweise sehr lange Zeiträume hinweg konstant bleiben ? Weil die Umwelt von Frauen historisch weit weniger veränderlich war als die von Männern, insofern, als es immer eine gegen Veränderungen abgeschirmte Umwelt war?

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  14. Wer ist besser dran: jemand, der sich gegen alle Risiken mühevoll und teuer absichern muss – oder eine, die sich trauen kann, auch mal zu verlieren, weil das schließlich nicht der (persönliche) Weltuntergang ist?

    Ungefähr in die Richtung verstehe ich Antjes Ideen von „Sicherheit als Geborgenheit“. Wenn ich weiß, dass ich auch als Harz4erin von den Menschen, die mir wichtig sind, nicht anders angesehen, behandelt und wertgeschätzt werde als jetzt, kann ich z.B. unternehmerische Risiken eben viel lockerer eingehen.

    Kürzlich hörte ich einen Fachkundigen erläutern, dass – bezogen auf die Debatte um Regelungen f. Finanzmärkte – die viel gescholtenen CDS (Credit Default Swaps), die wegen Spekulationen schwer in Verruf sind, bei ganz normalen Geschäften und Unternehmungen serienweise anfallen: Jeder Beteiligte reicht das Risiko, das er selbst nicht tragen will, weiter an einen „Versicherer“ – ganze Ketten hintereinander geschalteteter Versicherungswetten entstehen so.

    Das sei die Normalität, auf die auch niemand verzichten wolle – also bittschön aufpassen, wenn man im Ernst ans Verbieten denkt… so der Tenor der Rede.

    Eine andere Wirtschaft würde vielleicht dahin kommen müssen, Risiken einfach wieder selber zu tragen – und zwar quer durch von den Shareholdern übers Management bis hin zum Arbeitnehmer. Dann kracht halt mal ein Opel und einige müssen gar wieder in eine Mietwohnung ziehen…

    Geht aber eben nur „mit menschlichem Antlitz“, wenn es eine ANDERE Geborgenheit gibt also die, die über materielle Bestände und Berechenbarkeiten „Sicherheit“ schaft.

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  15. @Antje:
    Erstmal sorry falls mein erster Kommentar etwas „angespannter“ rüberkam als er eigentlich gemeint war. „Mütterlichkeit“ ist ein Bereich bei dem ich extrem empfindlich reagieren kann und ich denke deswegen habe ich deine Ausführungen über mütterliche Geborgenheit absoluter/normativer wahrgenommen als es vielleicht nötig war.

    Ich denke ich komme deiner Idee von „Geborgenheit“ als Leitidee langsam näher, aber so ganz ist der Groschen noch nicht gefallen.
    Ich beschreib mal wie ich es bisher verstanden habe:

    die bisherige Idee von Risiko&Gefahr geht zu sehr von Gewinnern und Verlierern aus und macht die Opfer, die für ein Risiko draufgegangen sind, unsichtbar.
    Beispielsweise wird der erfolgreiche Kaufmann als Sieger gefeiert und seine Verluste als „notwendig“ verharmlost während der Verlierer-Kaufmann mit dem Spott seiner Mitmenschen leben muss und in die „Verliererecke“ gedrängt wird.

    dem gegenüber stellst Du die Idee von Geborgenheit, die für alle Menschen (Gewinner,Verlierer,Opfer/Instrumentalisierte) gilt und damit einen Grundsatz an Menschlichkeit für alle garantiert. (Und bei längerer Anwendung die vorhergenannten Kategorieren von Gewinnern,Verlierern, etc. auflösen wird)

    Diesen Gedankengang finde soweit sehr gut, aber für mich ist die Idee von Geborgenheit noch irgendwie nicht so richtig griffig .
    Würdest Du zum Beispiel ein Schlagwort wie „soziale Marktwirtschaft“ in den Bereich von Geborgenheit bringen oder wären das zwei völlig unterschiediche Bereiche?

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  16. @Cassandra – ja, so ungefähr. Vor allem geht die bisherige Idee von Risiko und Gefahr (wobei sich ja laut Münkler zweites aus ersterem heraus entwickelt hat) von der Autonomie der Handelnden aus. Also „Geborgenheit“ ist ja nicht nur eine abstrakte Forderung, sondern die Ritter und Kaufleute wurden überhaupt nur zu dem, was sie sind, weil sie Geborgenheit erfahren haben, weil sie als Babies gepflegt, ernährt, ausgebildet wurden usw. Nur dass diese „Bedürftigkeit“, die zum Menschsein gehört, als unwichtig und nebensächlich und nur auf die Kindheit beschränkt gilt (Erwachsen wird man dadurch, dass man unabhängig wird, ist die vorherrschende Meinung, ich finde eben, das stimmt nicht). Dass viele so empfindlich auf das Reden über Mütterlichkeit reagieren, ist mE eine Folge dieser kulturellen Bewertung. Dadurch wird auch die Arbeit des Geborgenheit Gebens nicht in ihrer Bedeutung wahrgenommen, sondern Frauen, die nicht erwerbstätig sind, tendenziell als Schmarotzerinnen gesehen, die sich von ihren Männern aushalten lassen, wie auch in manchen Kommentaren hier anklingt. Das Ganze steht aber quer zu den bereits vorhandenen Kategorien, d.h. ich kann nicht sagen, Geborgenheit steht für Sozialstaat, irgendwie ist es so, irgendwie aber auch nicht. Ich plädiere eher dafür, bei aktuellen politischen Diskussionen diese Perspektive einzunehmen, also zu fragen: Schafft diese oder jene Maßnahme so etwas wie „Geborgenheit“ oder geht sie davon aus, dass „selbstständige“ Menschen das nicht brauchen. So ähnlich, wie es Claudia ja beschrieben hat.

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  17. Also: Wir sollten Leute nicht mehr als Gewinner und Verlierer sehen, sondern versuchen Geborgenheit zu errichten, damit jeder Mensch sich traut sein Potential voll zu entfalten, ist es das?
    Wenn wir also jemanden scheitern sehen, dann würden wir nicht sagen, dass er verloren hat, sondern lieber darüber nachdenken, wir wir ihm die nötige Geborgenheit errichten können, damit er wieder auf die Beine kommt und neuen Mut für neue Versuche hat.
    So richtig?

    Warum du weiblich und männlich als Begriffe gebrauchst verstehe ich immer noch nicht.Eine notwendige Folge, weil die Geschlechterdifferenz unserer Kulturgeschichte wesentlich zugrunde liegt? Was genau würdest du denn in deiner Argumentation verlieren, wenn du das Eingehen von Risiko nicht als männlich bezeichnest sondern die Konzepte ohne Geschlechtszuweisung in den Raum stellst? Ich meine nichts. Damit sehe ich die Notwendigkeit nicht. Du setzt ja insoweit die Kulturgeschichte fort und verstärkst sie damit.
    Warum Frauen zB für Geborgenheit stehen, Männer aber nicht sehe ich nicht. Schließlich ist auch in der klassischen Rolle des Mannes mit dem Aspekt „Beschützen und Versorgen“ ein großer Geborgenheitsanteil vorhanden. Wir können auch noch „Führen“ hinzunehmen, was ebenfalls einen starken Geborgenheitsaspekt haben kann.
    Als Atheist versuche ich mich auch noch mal an einem theologischen Argument: Nicht umsonst wird der väterlicher Gott ebenso wie Jesus im christlichen Glauben ebenfalls stark mit Geborgenheit verbunden.

    Tests haben gezeigt, dass Testosteron die Risikobereitschaft erhöht. Männer haben mehr Testosteron als Frauen. Das spricht dafür, dass die Unterschiede nicht nur auf der Gesellschaft und der Rolle beruhen, sondern vielmehr die Rolle auf den Unterschieden. Wenn du darauf abstellst, dass Männer als Einzelpersonen nicht per se risikobereiter sind als Frauen als Einzelpersonen dann würde ich zustimmen. Es gilt insoweit nur im Schnitt.

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  18. @Antje
    Ah, über den Begriff „Autonomie“ komme ich dem was Du unter „Geborgenheit“ verstehst näher.
    Darüber hatte ich glaube ich schonmal etwas hier im Blog gelesen und damals heftig mit dem Kopf genickt. Wenn ich mir Geborgenheit als Gegenbegriff zu Autonomie (im Sinne von „Du musst allein klargekommen und wenn Dir was schlechtes passiert haste halt Pech gehabt“) wird das für mich mich schlüssig.
    Zu „Narrationen der Mütterlichkeit“:
    Da stimme ich dir mit einer kleinen(?) Einschränkung zu. Ich denke auch das wir neue Narrative über Mütterlichkeit braucen (und alte Narrative mehr wertschätzen/ in einem neuen Licht sehen müssen), allerdings ist für mich auch immer wichtig den Menschen die Freiheit darüber zu geben welche Narrative sie auf ihre Lebenserfahrung beziehen wollen. Also nicht nur darüber nachzudenken wie man bestehende Narrative durch bessere austauscht, sondern auch darüber nachzudenken wie man die „Mächtigkeit“ von Narrativen entschären kann. Also zum Beispiel statt einem großen Narrativ davon was Mütterlichkeit ist, viele verschiedene Narrative anzubieten und dafür Sorge zu tragen das die Menschen in der Lage sind ihre eigenen Narrative zu erstellen

    Aber ich glaube ich habe deine Geduld lange genug in Anspruch genommen, Danke nochmal für deine Rückmeldungen!

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