Menschen, die in Dinger starren

Immer mehr Leute gucken unterwegs in ihre Smartphones und nicht mehr auf die Leute, die ihnen gegenüber sitzen. And so what?

Diesen Artikel hier möchte ich euch zur Lektüre empfehlen. Johnny Haeusler beschäftigt sich darin mit der Frage, wie sich unsere Kultur verändert, wenn wir nicht mehr analoge Medien nutzen (also zum Beispiel Bücher, auf deren Rücken draufsteht, was drinsteht), sondern digitale Medien, denen man nicht ansieht, was sie enthalten. Italienischkurs, Musik, Pornovideo oder Businessmails, das alles sieht für Danebenstehende gleich aus, wenn es per Smartphone und Stöpsel im Ohr konsumiert wird.

Nun ist die Frage müßig, ob diese Veränderung gut oder schlecht ist, denn sie ist einfach eine Tatsache. Aber sie ist dennoch ein bisschen des Nachdenkens wert. Denn gerade was das Smartphonisisieren in der Öffentlichkeit betrifft, so geht damit eine Tendenz einher, die durchaus problematische Aspekte hat: und zwar die, immer weniger mit Fremdem, Anderem konfrontiert zu sein. Beispiel: Früher habe ich es mitbekommen, wenn die Frau im Zug mir gegenüber Eva Herman las oder den Sportteil der FAZ, und mich darüber zwangsläufig gewundert. Bewusst oder unbewusst speicherte ich das im Kopf ab: Aha, es gibt also Leute, die so was lesen. Nicht nur theoretisch, sondern direkt hier vor meiner Nase. Heute gibt es solche Irritationen kaum noch: Ich sehe nur, wie die Frau gegenüber in ihr Smartphone guckt – und kann mir gut einbilden, dass sie eigentlich so ähnlich ist wie ich selbst.

Und deshalb kann ich es durchaus verstehen, wenn manche Menschen den Trend zum „In diese Dinger Starren“ bedauern, weil dadurch das „Zwischenmenschliche“ verloren gehe. Denn es tatsächlich etwas verloren. Vielleicht nicht das Zwischenmenschliche, denn das war zwischen mir und der Eva Herman-Leserin nie besonders großartig. Aber eben etwas anderes: Früher, als wir diese Dinger noch nicht hatten, in die wir reingucken können, und also gezwungen waren, uns unterwegs oft zu langweilen, konnten wir gar nicht umhin, unsere Umgebung anzustarren und also wahrzunehmen. Und was wir da sahen, war vielleicht nicht immer erfreulich, aber auf jeden Fall lehrreich.

(Kleine Randbemerkung: Das Leute Anstarren war früher ja verboten, denn es gehörte sich nicht. Irgendwie scheint mir manchmal, es sind dieselben Leute, die mir früher sagten, man dürfe Fremde in der Öffentlichkeit nicht anstarren, die sich jetzt darüber beklagen, dass ich sie nicht mehr anstarre).

Man sollte sich also schon bewusst machen, dass diese neue Art des „In der Öffentlichkeit Seins“ die Wahrnehmung faktisch einschränkt und uns anfälliger für Selbsttäuschungen macht. Denn indem wir im Bus, auf der Straße, in der Kaufhauskantine nicht mehr mit den Leuten zusammen sind, die sich auch gerade dort befinden (den anderen also, den Fremden, denen, die wir uns nicht ausgesucht haben und die wir nicht kennen und von denen wir nicht wissen, ob wir sie mögen oder nicht), sondern mit unseren Freundinnen und Freunden, unserer eigenen Szene, mit all den vertrauten Feeds, die uns niemand aufdrückt, sondern die wir uns selber nach eigenen Vorlieben zusammengestellt haben, verringert sich die Notwendigkeit, sich dem unangenehmen Gefühl auszusetzen, mit Unbekanntem, Fremdem, Anderem konfrontiert zu sein. Und das führt in der Tat leicht zu Realitätsverlust und dann gegebenenfalls auch zu Herumtrollerei: Leute, die sich immer nur unter Ihresgleichen aufhalten, neigen dazu, die eigenen Moden und Ansichten für die einzige realen und möglichen zu halten.

Zum Glück hat das Internet selbst schon ein Gegenmittel erfunden, nämlich die so genannten „schwachen Kontakte“. Also diese ganzen Leute, die man nicht kennt, mit denen man sich aber irgendwie doch mal lose vertwittert hat, und die Sachen in die Timeline schreiben, die man sich selber niemals ausgesucht hätte. Sachen, denen man aber dann doch ein Quentchen Aufmerksamkeit widmet. Da liest man dann vor lauter Langeweile, während man an der Bushaltestelle herumsteht und in dieses Ding starrt, Sachen, von denen man ansonsten nie etwas mitbekommen hätte. Ich zum Beispiel habe mich im vergangen Jahr mit der Piratenpartei, mit Queertheorie und mit Veganismus beschäftigt, worauf ich im Leben nicht von selbst gekommen wäre. Ohne „schwache Kontakte“ wären mir diese Themen keine Aufmerksamkeit wert gewesen. Denn von „Fremden“ hätte ich mich niemals dazu animieren lassen. Und meine „echten Freundinnen“ interessieren sich dafür genauso wenig wie ich selbst.

Das Paradoxe und geradezu Gefährliche an der derzeit in den Mainstreamdiskursen verbreiteten Panikmache vor den sozialen Netzwerken ist daher, dass sie gerade die „Selbstheilungskräfte“ der mobilen Internetkultur schwächen. Ihr Tenor ist ja oft die Warnung vor allzu vielen „falschen Freunden“, davor, zu viel vor „Fremden“ von sich preis zu geben und so weiter. Diese Angst nimmt inzwischen zum Teil irrationale, paranoide Züge an, wie ich selbst ein paar Mal erlebt habe.

Natürlich gibt es berechtigte und notwendige Kritik an Facebook und Co. Aber der Sinn dieser Kritik kann doch nur sein, diese Angebote zu verbessern, im Hinblick auf Datenschutz vor allem, aber auch im Hinblick auf alles Mögliche sonst. Wenn die Kritik dazu dient, Menschen aus den sozialen Netzwerken fernzuhalten oder die Kontakte dort nur auf ihre wahren, echten, engen Freundinnen und Freunde zu beschränken, dann ist sie nicht nur altbacken, sondern gefährlich – gerade wenn man das „Zwischenmenschliche“ aus der alten Vorinternetkultur retten oder ein entsprechendes Äquivalent etablieren möchte.

Die Angst vor „schwachen Kontakten“ macht blind dafür, dass gerade sie ein Heilmittel sind, das wir meiner Ansicht nach dringend brauchen, um den problematischen Nebenwirkungen des „In die Dinger Starrens“ entgegenzusteuern. Und vielleicht sind sie ja sogar noch mehr als nur ein Heilmittel, nämlich eine neue Kulturtechnik und Beziehungsform, die uns langfristig nicht nur nicht verschlossener, sondern sogar offener für das Andere macht, als wir es früher waren. Aber das ist jetzt Optimismus.


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

18 Gedanken zu “Menschen, die in Dinger starren

  1. Guten Abend

    Ohne jetzt den gesamten Artikel schon gelesen zu haben, möchte ich vielleicht mal eine These in den Raum stellen: Durch Handies, ob Smartphone oder sonstwas, werden zukünftig sehr viel mehr Kinder an Sprachentwicklungsstörungen leiden, als heute. Es wird häufiger auftreten und in immer früheren Entwicklungsphasen. Die Begründung ist einfach: die Eltern lassen sich immer öfter von ihrem Handy ablenken, statt mit ihrem Kind zu reden. Selbst bei Spaziergängen ist es zu beobachten, dass Mütter lieber mit ihrem Telefon reden, als mit ihrem Kind.

    Ich bin auf Deine Meinung gespannt. 🙂

    Gruß
    Chris Wunderlich

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  2. deinen optimismus finde ich bestätigt, antje. ich erlebe es gar so, dass ich mich, seitdem ich mehr in smartphones starre, auch viel mehr mit den menschen in meiner realen umgebung auseinandersetze. dass ich durch schwache kontakte oder durch bis dato unbekannte seiten von engeren kontakten mit so viel fremden wie noch nie in meinem leben konfrontiert bin. und manchmal träumt man dann sogar von einem eher fernen kontakt, weil auch davon etwas hängenbleibt, nachhaltig beeindruckt und etwas über sich selbst aussagt.
    und das macht mich noch neugieriger, auch mal einen blick hoch zu riskieren. um mich herum. mutig genug, das smartphone dann auch mal in die tasche zu stecken. oder auch genervt, wenn andere mir da reinstarren. oder offen zu schauen, was mir andere spiegeln, wenn ich mich zeige.
    für mich haben beide welten, in denen ich mich bewege, an realität zugenommen und verflechten sich immer mehr zu einer. ins blaue getippt nehme ich an, das geht jugendlichen heut schon ganz natürlich so. und die, die heut noch warnmeldungen rumposaunen, sind in den seltensten fällen jene, die sich mal in mit voller wucht in den datenstrom gestürzt und treiben lassen haben. eine woche tiefseetauchen im internet bei nerds, das würd ich manchen gern verordnen dürfen. das tiefe erleben erst ist doch, was der sicht auf die dinge die nötige breite verleiht.

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  3. vor etwa 20 Jahren hat mich ein Sufilehrer eine Lektion gelehrt, es ging um die Frage: “ Wer ist der wichtigste Mensch in deinem Leben? – Immer der, der vor Dir steht“. es ist ganz einfach, aber nicht unbedingt leicht…….

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  4. Das erscheint mir ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Die Fälle, wo ich einen Buchtitel sehen konnte, der mir die Einordnung des Menschen gegenüber erleichtert hätte, sind schon immer superselten gewesen. Genausoviel erkenn ich doch an der Kleidung, an der Mimik, an der Wahl des Verkehrsmittels, an Einkaufstüten, etc. Und nicht zuletzt an Wahlergebnissen und Massenmedienangeboten, die ja die Nachfrage spiegeln. Und dann müssten Menschen, die keine U-Bahnen etc nutzen, schon immer sehr autistisch gelebt haben.

    Und andersrum begegne ich auch im Netz ständig Andersdenkenden, beim ganz normalen Rumsurfen, auch ohne schwache Kontakte.

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  5. Den Artikel, liebe Antje, hatte ich letztens auch angetan gelesen. Es entspannte sich auch eine nette kleine Diskussion in facebook, wo ich ihn bewarb. Ich selber entstoffliche auch das eine oder andere. Bücher lese ich fast nur noch Papierlos, Musik habe ich schon seit Jahren nur noch ohne Plastikhülle im Haus etc…

    Dafür ist es wichtiger geworden, im direktem Umfeld (und das direkteste sind bei mir meine Frau und meine beiden Kinder) zu reden. Das, was ich tagsüber im Netz lese, nach zu erzählen und bei den Kindern zumindest auch zu schauen, das sie wenigstens ab und an mal reagieren. 😉

    Immerhin, eine Wochenzeitschrift haben wir noch rumfliegen, und in die schauen beide Kinder, 9 und 12 Jahre alt, auch rein und sprechen mich ab und an dann an. Aber das reden, das zuhören und bei den leichten Kontakten im Netz auch das reagieren, auch dann, wenn es nicht gerade das eigene aktuelle Lieblingsthema ist, ist schon wichtig. (Was bei facebook leider kaum einer macht, die meisten lassen nur die Werbung für ihre eigenen Äußerungen ab und reagieren selbst da nicht bei Gesprächsversuchen…)

    Damit wir Menschen zusammen kommen und unseren Horizont, und sei es auch nur an gelegentlich, etwas erweitern. Hier und da den Tellerrand verschieben, wenn wir schon so schlecht rüber schauen können.

    Und dann schaffen wir auch den Wandel des Kulturellen Austausches und der Einschätzung des Gegenübers ohne Buchrrücken und Plattencover.

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  6. Der Artikel auf den du verweist, liest sich schon ziemlich kulturpessimisch in meinen Augen. Eine Welt ohne Bücher? Ein Regal ohne CDs oder Schallplatten? Keine Zeitungen in den Familien (nicht, dass es um die meisten wirklich schade wäre)?
    Soweit ich mich erinnere, kommt der Großteil der Menschen durchaus noch aus einer Welt, in der es Bücher, Kassetten, CDs, Schallplatten und Zeitungen gibt. Und darunter sind teils vererbte Sachen oder jugendliche Fehlgriffe. Und die halten sich lang genug um auch die eigenen Kinder und Enkel damit zu konfrontieren.

    Was ich noch interessant fände, wäre eine Betrachtung der monetären Verhältnisse im Umgang mit diesen neuen „schwachen Kontakten“ (die sich in meinen Augen nur verlagern). Als vom Staat finanzierte Studentin kenne ich selbst iPhones, SmartPhones und diverse -Pads nur vom Sehen. Und damit gehöre ich zumindest bildungstechnisch gesehen schon zu den Privilegierteren, die einen ziemlich freien Zugang zu Büchern aller Art haben und notwendigerweise über einen Internetanschluss verfügen.
    Wie sieht das mit Menschen aus, die aus anderen Gründen nichts zum „hineinstarren“ besitzen. Oder das Starren ortsgebunden ist (TV ist gut aber schlecht transportierbar). Oder die Technik zu fremd um überhaupt starren zu können? Und wenn es so viele potentiell Ausgeschlossene gibt – ist diese Veränderung von der du sprichst, wirklich eine Tatsache?

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  7. Das Paradoxe und geradezu Gefährliche an der derzeit in den Mainstreamdiskursen verbreiteten Panikmache vor den sozialen Netzwerken ist daher, dass sie gerade die „Selbstheilungskräfte“ der mobilen Internetkultur schwächen.

    Inwiefern?

    (Du setzt das Internet mit kommerziellen Plattformen wie Facebook gleich, und die wiederum mit der Benutzung von Smartphones…?)

    Natürlich gibt es berechtigte und notwendige Kritik an Facebook und Co. Aber der Sinn dieser Kritik kann doch nur sein, diese Angebote zu verbessern, im Hinblick auf Datenschutz vor allem

    Das liegt in der Macht der Betreiber. Man kann apellieren, aber letzten Endes hängt man von ihrem Goodwill ab. Das ist so ähnlich wie in der katholischen Kirche, da ist ein Volksbegehren auch nicht vorgesehen.

    Vielleicht ist es ja doch nicht so gut, das Internet mit einigen wenigen Unternehmen gleichzusetzen?

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  8. Ich bekam schon diese kritische Frage zu hören, ob das Abtauchen ins Smartphone nicht bedeute, dass ich gar nicht mehr „richtig“ da bin, wo ich „eigentlich“ (physisch) gerade bin. Und ob damit der Ort egal werde, an dem ich mich befinde. Nun ja, vielleicht schon, aber ich will doch zu bedenken geben, dass gerade Öffis auch nicht so der Ort sind, wo ich mich ganz und gar auf das Drumherum einlassen möchte, weil es nicht toll ist, sondern ich da durch muss.
    Aber mal überlegen, wie das eigentlich „früher“ war, in der U-Bahn vor der Smartphone-Ära… Nun ja, da saßen die Leute alle hinter ihren Zeitungen. Je bürgerlicher das Blatt, desto weniger Platz hatten die Sitznachbar_innen, „Ich lese die Zeit, da brauch ich schon 2 Plätze, um umblättern zu können.“ Ich hörte echt von Leuten, die den Spiegel kauften, nur weil er halbwegs U-Bahn-kompatibel ist wg. des Formates. Hat mensch Worte?! Wer nicht unter den Sitzenden unterkam, und deshalb selbst quasi keine Zeitung aufzuschlagen brauchte, durfte großzügigerweise bei den Großformatigen auf der Rückseite mitlesen, aber nicht über das Umblättertempo mitentscheiden.
    Ja, da find ich eigentlich so’n Teil ganz gut, mit dem ich nach Bedarf lesen oder hören kann. Was die implizite oder Distinktion angeht, hat sich vielleicht nicht so viel geändert: Welche Zeitung? Welches Gadget? Denn wenn ich Textinhalte auf die Entfernung nicht sehe, so aber meistens doch das Fabrikat. Das sagt Ähnliches wie „Der da drüben liest Sartre in der U-Bahn“…

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  9. @Annekatrin – Ich weiß nicht, ob diese Sufi-Lehre noch stimmt, oder ob sie sich nicht auf eine Situation ohne Kommunikationsmedien bezieht. Was damit doch gemeint ist, ist dass man sich auf das jeweilige Gegenüber einlassen und konzentrieren soll und nicht gedanklich abschweifen. Aber ob das Gegenüber immer derjenige ist, der vor einer steht? Vielleicht müsste der Satz für unseren Kontext heißen: Der wichtigste Mensch ist immer der, mit dem du gerade kommunizierst…

    @Chräcker – Ja, ich denke, dass es auch keine Alternative ist. Die „starken“ Kontakte, die mit denen man kontinuierlich und alltäglich im Austausch ist, die bleiben bestehen und sind auch genauso wichtig wie früher.

    @Kaos.Kind – Eine Veränderung vollzieht sich ja nicht schlagartig für alle. Momentan haben noch nicht alle Smartphones, aber früher hatten auch nicht alle schlagartig Telefon oder E-Mail. Es geht zeitverschoben, aber ich denke, die Richtung insgesamt ist schon diese.

    @Irene – das stimmt schon, aber ich denke, das was ich beschrieben habe, hängt ja nicht vom Nutzen einer bestimmten Plattform ab. Man kann auch ohne Facebook „schwache Kontakte“ pflegen, indem man z.B. regelmäßig bestimmte Blogs liest und dort kommentiert etc.

    @404notfound – Ich bin mir nicht sicher, ob die verschiedenen Gadgets dieselbe Art von Distinktion oder Fremdsein transportieren wie die Frage, welche Bücher oder welche Zeitung man liest. Das eine ist eher eine Sache des sozialen Status oder der Mode, das andere eines der Weltanschauungen. Das überschneidet sich teilweise, aber dann auch wieder nicht…

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  10. Ich weiß nicht, ob das- letztlich- zum Artikel passt, aber im Jahr 2002 war ich in Tokio und mir fiel auf, wieviele Menschen auf das kleine Quadrat ihres Handy blickten. An einem der zentralen U-Bahnstationen konnte ich das beobachten. Ein Gaukler, nette Girls, buntes Treiben, das alles wurde anscheinend nur von wenigen Leuten wahrgenommen – es zählte nur das Quadrat.
    In der Werbung kam auch immer das Handy vor, immer! Egal, ob es um Diätprodukte oder sonstwas ging. Frau fuhr Fahhrad mit dem Handy in der Hand.
    Ich stellte mir damals vor, wie es wäre, wenn man eine Szene an diesem U-Bahnhof einfrieren würde: Man könnte vermutlich in jeder Tasche bzw. Hand MIND. ein Handy vorfinden.
    Ich schreibe das, weil es mal ein erklärtes Ideal gab: Nimm die Gegenwart wahr, sehe, was um Dich ist, nimm das auf, öffne Dich.

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  11. Ach, Khaos.Kind, ich glaube schon auch, das wir „Netznutzer“ zum nicht kleinen Teil unser Verhalten noch zu sehr auf unsere gleichaltrige und älteren Mitmenschen interpolieren. Dennoch: bei den Kindern sehe ich es schon anders. Meine Kinder, 9 und 12 zur Zeit, werden sich wohl nie mehr im Leben Musik in einer Verpackung im Laden kaufen und diese nach hause tragen und „als Musik erkennbar“ rumliegen oder stehen haben. Und das liegt nicht am gadgets-affinen Vater.

    Bücher wird es in den Haushalten, in denen es eben überhaupt noch Bücher gibt, noch sehr sehr sehr viel länger geben, aber das sind eh nur noch wenige Haushalte. In meinem eher schlichten Stadtteil komme ich in viele Wohnungen: Bücher sieht man da wirklich kaum noch. Und auch mein eher bildungsbürgerlicher engerer Freundeskreis knickt am Rand in Richtung Hörbücher da langsam weg.

    Tageszeitungen, wie sie früher zu hause rumlagen, gibt es auch kaum noch. Die Presse hat das stöhnen zwar etwas kultiviert, aber es hat schon einen Grund. Und Jugendzeitschriften habe ich in den Zimmern meiner Kinder und ihrer Freunde noch nie rum liegen sehen.

    Doch, die Trägermedien lösen sich langsam auf.

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  12. Ich meine, die Unterscheidung starker und schwacher Kontakte bleibt ebenso bestehen wie deren Relation (wenige starke, mehr schwache Kontakte). Was sich verändert, ist vor allem die Unmittelbarkeit – und auch sie wird nicht stärker oder schwächer, sondern anders: Sporadische persönliche Kontakte werden zum Teil ersetzt durch regelmäßigere indirekte Begegnungen. Von der physischen zur zeitlichen Direktheit, wenn man so will.

    Was davon zu halten ist, ist aus meiner Sicht ein ganzes Stück weit Geschmacksache. Mir fällt es grundsätzlich schwer, persönliche Kontakte aufrecht zu halten, weil ich gierig bin und so viel Zeit wie möglich für mich allein haben will… ^^ Entsprechend ist mir die hier diskutierte Entwicklung sehr recht, denn sie ist – und das klingt jetzt vermutlich widerlicher als ich es eigentlich meine – effektiver: mehr auf das Wesentliche (oder das, was ich dafür halte) beschränkte, aber deshalb nicht weniger herzliche Kontakte. Geschriebenes lässt sich leichter destillieren als Geplaudertes – wenn man es will. Das Spektrum verbreitert sich, während soziale Gepflogenheiten (oder Zwänge), die häufig anstrengend sind, an Bedeutung verlieren.

    Die Möglichkeit, andere Präferenzen zu haben, geht meines Erachtens dabei nicht verloren. Es wird auch weiterhin möglich sein, auf der Zugfahrt mit der Person auf dem Nebensitz über das Buch, das sie gerade liest, zu philosophieren. Das hängt nicht von der Implementierung des mobilen Internets, sondern nach wie vor von Laune, Redseligkeit und Aufgeschlossenheit der Mitreisenden ab. Ich glaube nicht, dass alle Buchrücken aus unserem Blickfeld verschwinden und wir nur noch zombieesque in unsere kleinen schwarzen Kistchen glotzen werden. Warum sollten wir?

    Neue Kulturtechniken lösen alte nur ganz selten vollständig ab – nämlich nur dann, wenn sie unzweifelhaft besser sind (bye bye VHS. hello DVD!). Aber: Trotz der Erfindung des Autos fahren die Menschen weiterhin mit dem Rad. Wichtig ist allein, die Wahl zu haben.

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  13. Manchmal ist Abtauchen auch richtig gut. Im ewig besseren Früher war die Reizüberflutung in manchen Situationen wohl geringer. Man merkt es kaum bewusst, aber eine der besten Eigenschaften von Aldi ist einfach, dass dort keine Musik läuft. Das permanente Auf-mich-Eindreschen von mir nicht gefallender Musik, durchmischt mit für mich uninteressanten Angeboten, kann ich andernorts allerdings ganz gut mit Ohrstöpseln und meinem eigenen Sound in den Griff bekommen. Leider tu ich es zu selten. Früher bin ich viel mit den Öffentlichen unterwegs gewesen. Wenn man nicht viel Zeit hat, dann verlagert man seine Prioritäten: Das anscheinend unwichtige wie ein paar nicht so interessante Artikel in einer Zeitung oder online lesen, die Entspannung und der Müßiggang, all das ist nötig aber es wird rarer. Also nutzen wir die Zeit im Zug doch gerne dafür. Einfach mal für sich sein, wenn auch in der Menge.

    Die Welt verändert sich gerade (wie immer). Wir wissen noch nicht, was davon schlecht ist. Aber es ist gut, darüber nachzudenken.

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  14. @canesco – Ich denke, dass mit der Kategorie „schwache Kontakte“ eine neue Form von Beziehungen hinzu kommt, die früher so gar nicht möglich war. Früher war bei „schwächer werdenden“ Kontakten die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sich ganz aus den Augen verlor. Einfach weil es keine Möglichkeit gab, miteinander ohne großen Aufwand in Kontakt zu bleiben und man zu dem Aufwand aus irgendwelchen Gründen nicht mehr bereit war.

    Heute gibt es die Möglichkeit der Zwischenform. Ich unterscheide das so: „Schwache Kontakte“ würde ich ohne das Internet nicht kennen/haben, „starke Kontakte“ schon. Also wenn morgen das Internet kaputt ginge zum Beispiel. Dann würde ich die einen anrufen oder besuchen, die anderen nicht. Aber dennoch sind diese schwachen Kontakte eben nicht unwichtig, denn sie beeinflussen mich u.U. sogar mehr als die starken, einfach weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich auf Sachen stoßen, die mir bislang unbekannt oder egal waren, größer ist als bei den starken Kontakten, da die sich tendenziell eher für dieselben Dinge interessieren, wie ich selbst.

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  15. Ob ich mich in einem Buch vertiefe oder auf einen Schirm starre, ist doch ganz gleich. Wenn ich die Umwelt nicht wahrnehmen will, nehme ich sie nicht wahr. Ein Buch oder ein Smartphone — beides kann ich sinken lassen oder mir vors Gesicht halten. Das Medium mag verschieden sein, das Verhalten nicht. Und seien wir doch mal ehrlich: Sooo interessant sind die U-Bahnmitreisenden dann doch auch wieder nicht …

    Was das Abkapseln angeht: Auch hier hat sich doch nichts verändert gegenüber präelektronischen Zeitaltern. Man hat sich zu allen Zeiten die Freunde ausgewählt und den Umgang mit Menschen gesucht, die einem guttun — und den mit solchen vermieden, die einem gleichgültig sind oder sogar schaden. Schließlich aber müssen ja auch die Twitterer und Smarttelephonierer ihre Freunde mal kennengelernt haben — und sich probehalber dem Unbekannten öffnen müssen.

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