Andere arbeiten immer. Ich arbeite nie.

Es wird viel darüber geredet, wie mobiles Internet und die jederzeitige Erreichbarkeit der Menschen über Smartphones sich auf das Leben auswirkt. Oft ist dabei von Befürchtungen die Rede, viele fühlen sich gestresst dadurch, dass sich starre Grenzen zwischen „Arbeitszeit“ und „Freizeit“ auflösen. Man müsse heutzutage jederzeit verfügbar sein, wird geklagt.

Ich denke, das liegt daran, dass wir das, was sich da verändert, noch nicht richtig nutzen. Dass die alten Konzepte von „Arbeit“, die im Industriezeitalter entstanden sind, noch immer in unseren Köpfen herumkreisen. Ich denke, dass es möglich ist, die neuen Möglichkeiten so zu nutzen, dass daraus eine Befreiung von alten, überflüssigen Zwängen wird. Einfach deshalb, weil es bei mir so ist.

Eben zum Beispiel hatte ich eine Stunde Aufenthalt in Braunschweig, weil ich den Anschlusszug verpasst habe. Früher hätte ich mich darüber sehr geärgert: eine Stunde geklaute Lebenszeit, in der ich herumstehe und zum Nichtstun verdammt bin. Meine Termine und Vorhaben für den Nachmittag wären gefährdet gewesen, es wäre in Stress ausgeartet. So setzte ich mich ins Café, klappte das Notebook auf und redigierte ein paar Texte für die Zeitung, bei der ich arbeite. Ich machte genau dasselbe, wie ich ansonsten nachher im Büro gemacht hätte, nur eben wann anders und wo anders.

Oder neulich, als ich am Sonntagmorgen aus unerfindlichen Gründen um sieben Uhr glockenhellwach war. In der Wohnung Stille, es war klar, in den nächsten zwei Stunden würde ich keine Frühstücksgesellschaft haben. Also kochte ich mir einen Kaffee, machte es mir im Bett gemütlich und widmete mich den Mails, die in den vergangenen Tagen zu kurz gekommen waren. Als dann am Montag herrlichster Sonnenschein war, fuhr ich den Computer nach der ersten Stunde Neuigkeiten-Checken gleich wieder runter, setzte mich aufs Fahrrad und fuhr in der Gegend herum. Unerreichbar für alle.

Sicher ist meine Arbeitssituation ein wenig besonders, weil ich – auch in meiner „festangestellten“ Seite – hauptsächlich projektbezogen arbeite. Also Dinge tue, die relativ zeit- und ortsunabhängig sind und keine anderen Arbeitsmittel benötigen als eben einen Computer mit Internetzugang. Aber der Anteil dieser Tätigkeiten am Gesamtarbeitsvolumen steigt, und würden die technischen Möglichkeiten des mobilen Internets konsequent angewandt, könnte er wahrscheinlich noch viel größer sein, als er derzeit ist. Viele fragen sich aber: Ist das wünschenswert?

Ich sage: definitiv. Allerdings ist es dafür notwendig, sich von dem alten Konzept von „Arbeit“ zu verabschieden. Dieses Konzept sah eine klare Menge dessen vor, was ein Mensch zu tun hatte. Vierzig Stunden. Nine to five. In diesem Büro, in dieser Lagerhalle. Soundsoviel Menge Arbeitskraft für soundsoviel Geld, und das unabhängig von den Notwendigkeiten, dem Sinn, den persönlichen Befindlichkeiten.

Überhaupt die Befindlichkeiten. In der alten Logik gab es nicht nur eine klare Grenze zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“, sondern in deren Gefolge auch eine klare Grenze zwischen „Gesund“ und „Krank“ – entscheidend dafür war der Stempel vom Arzt.

Bei mir gibt es zwischen diesen beiden Zuständen aber jede Menge dazwischen. Es gibt Tage, da fühle ich mich stark wie ein Ochse und schaffe ein ganzes Wochenpensum weg. An anderen Tagen bin ich lustlos und duddele unproduktiv vor mich hin, aber natürlich würde kein Arzt mich dafür krankschreiben. Manchmal bin ich auch „richtig“ krank, etwa mit einer Grippe, aber deshalb noch keineswegs unfähig, irgendetwas zu tun. Ein paar Mails lesen kann ich durchaus, oder telefonisch Dinge delegieren und Termine verlegen. Oder dieses Buch lesen, zu dem ich vor lauter Arbeitswut in den Wochen zuvor nicht gekommen war.

Mir kommt ein Vergleich für meine Art zu „arbeiten“ in den Kopf: die klassische Hausfrau. Auch die konnte sich nicht krank schreiben lassen – oder nur in Extremfällen. Auch die hatte keine geregelten Arbeitszeiten, sondern war rund um die Uhr im Einsatz und erreichbar, vor allem, wenn auch Kinder zu ihrem Haushalt gehörten. Auch ihre Arbeit hörte niemals auf, war niemals erledigt, irgendetwas gab es immer zu tun. Wie hat sie das eigentlich gemacht?

Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir den Begriff der „Arbeit“ durch den des „Tätigseins“ ersetzen. Anstatt von der „Arbeit“ auszugehen, die mir von anderen (dem „Arbeitgeber“) aufgetragen wird und die zu verrichten ich mich verpflichtet habe, gehe ich von mir und meinen Möglichkeiten aus, etwas zu tun. Ich tue das, was ich kann und will, und dann sehen wir ja, wie viel „Getanes“ dabei herauskommt.

Dies ist die einzige Haltung, so meine ich, die uns in der Flut der möglichen Dinge, die nach uns schreien, nicht untergehen lässt. Ich kann nicht alles lesen, ich kann nicht alles tun, was wünschenswert ist, ich kann nicht die ganze Welt retten. Aber ich kann meinen Kräften entsprechend in dieser Welt tätig sein.

Das bedeutet nicht einfach nur Spaß und Lust und Laune. Ein wichtiger, eigentlich der entscheidende Faktor ist dabei natürlich die Notwendigkeit. Wenn meine Nachbarin sich das Bein bricht und ins Krankenhaus gebracht werden muss, und ich bin die einzige, die da ist, muss ich das machen, egal ob ich grade müde oder in ein spannendes Buch vertieft bin. Wenn ich jemandem etwas versprochen habe (zum Beispiel, dann und dann einen Vortrag zu halten oder ein Manuskript abzugeben), dann muss ich das einhalten.

So jedenfalls verstehe ich meine Aufträge, auch als festangestellte Redakteurin: Nicht als Verpflichtung, zu der mich ein „Arbeitgeber“ zwingt, sondern als Versprechen, das ich anderen Leuten gegeben habe und das ich mich daher auch einzuhalten bemühe. Nicht mehr Aufträge annehmen als ich realistischerweise abarbeiten kann, bedeutet auch einen sorgsamen Umgang damit: Man darf nicht Sachen versprechen, die man nicht halten kann.

Es gibt also zwei Kriterien für mein Tätigsein: Die Notwendigkeiten der Welt (etwas muss getan werden) sowie das Versprechen, das ich gegeben habe (jemand verlässt sich auf mich). Beides ist aber nichts Neues. Das ist schon immer Maßstab des menschlichen Tätigseins gewesen, nicht nur lange vor der Erfindung des mobilen Internet, sondern auch schon lange vor dem Industriezeitalter. Das moderne Verständnis von „Arbeit“ hat diese natürlichen Grundlagen von menschlichem Tätigsein eher behindert und durch starre Verträge, Zeitregimes und so weiter ersetzt. Sodass Menschen auch Sinnloses taten, weil irgendwer ihnen die entsprechende Anweisung gab, und dass Menschen Versprechen nicht eingelöst haben, weil irgendeine gesetzliche Regelung es ihnen ermöglichte, sich zu drücken.

Vorschlag: Die Grenze, der wir unsere Aufmerksamkeit widmen sollten, ist nicht die zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“, sondern die zwischen „Tätigsein in der Welt“ und „Zurückgezogenheit von der Welt“. Die Welt ist immer da und wartet auf mein Mitwirken, sowohl die analoge als auch die, zu der mir das Internet Zugang gewährt. Aber ich bin nicht ständig aktiv. Ich bin nicht immer öffentlich präsent, ich ziehe mich manchmal zurück, schalte ab, bin im Privaten. Weil das Wetter schön ist, weil ich schlapp bin, weil eine alte Freundin zu Besuch kommt, weil ich mit einem Kind spiele oder weil ich bloß grade keine Lust habe und auch nichts Dringendes anliegt. Dann ist die Welt natürlich trotzdem da, und ich verpasse für eine Weile, was da geschieht. So what. Die Welt dreht sich auch ohne mich, zum Glück.

Die Voraussetzung dafür, dass das klappt, ist eine neue Vorstellung von „Echtzeit“. Alles Wesentliche passiert im Hier und Jetzt. Ich mag es deshalb nicht, wenn man mir Nachrichten und Aufträge „hinterlässt“. Ich bin in der Gegenwart präsent, und es belastet mich, wenn sich Unerledigtes anhäuft. Überflüssiges Unerledigtes.

Das Unerledigte ist nämlich selber ein Phänomen der alten industriellen Arbeitsstrukturen: Um fünf Uhr fiel der Hammer, und weitere eingehende Anliegen hatten bis zum nächsten Morgen um Neun zu warten. Sie sammelten sich an, das schöne Bild vom Berg gestapelter Akten. Mein persönlicher Horrorapparat für diese Art der Anhäufung von Unerledigtem ist der Anrufbeantworter. Eine ebenbürtige Nachfolgerin ist natürlich längst die E-Mail. Beides – E-Mails und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter – haben bei mir ziemlich schlechte Karten, denn sie stehlen mir Freiheit. Ich widme mich ihnen nur, wenn sie wirklich ganz dringlich sind, oder wenn ich Sonntagsmorgens mal zu früh aufwache. Ansonsten behandle ich sie wie Echtzeit-Kontakte: Entweder ich bearbeite sie sofort, also dann, wenn ich sie zum ersten Mal lese oder höre, oder sie rutschen immer weiter nach hinten und geraten in Vergessenheit.

Die Hausfrau früher hatte ja auch keine E-Mail und keinen Anrufbeantworter. Sie war da oder nicht, und wer etwas von ihr wollte und sie nicht persönlich antraf, musste eben später wiederkommen. Und so könnten wir das auch heute wieder handhaben: Wer potenziell rund um die Uhr präsent ist, kann nicht auch noch jede Menge Unerledigtes in der Pipeline haben – denn das ist es, was den Stress erzeugt.

Auf diese Weise – mit einer langen Liste von Unerledigtem – mag ich nicht mehr leben. Ich will so nicht arbeiten. Ich will übrigens gar nicht arbeiten. Ich will tätig sein, hier und jetzt, eintauchen in die Welt um mich herum oder in meinen Timelines, in den Strom der Neuigkeiten und Menschen, die Gespräche und Ideen. Ich möchte meine gegebenen Versprechen einlösen oder mich den Notwendigkeiten zuwenden, die auf mein Aktivwerden warten, aber nicht irgendwelche Verträge erfüllen. Ich möchte etwas beitragen zu dieser Welt, und nicht Aufgaben abarbeiten.

Früher nannte man genau das mal „Leben“.


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

56 Gedanken zu “Andere arbeiten immer. Ich arbeite nie.

  1. Wie wahr. Manchmal frage ich mich, ob all die sinnlosen Tätigkeiten, die nur auf Anweisung von oben getan werden, und all die sinnvollen Tätigkeiten, die aus Zeit-, Geld- und Motivationsmangel leider unterbleiben, sich in etwa die Waage halten.

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  2. Alter Hut. Schon vor dreissig Jahren haben sich Leute, die ein deutliches Verhältnis zu Freiheit und Notwendigkeit hatten, ins Café gesetzt, um endlich Zeitung zu lesen, wenn sie den Anschluss verpasst hatten.

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  3. Stimmt alles. Und es liegt meiner Meinung nach nicht an Arbeitnehmern oder Gewerkschaften, die nicht in der Lage sind, auf die veränderte Arbeitspraxis einzugehen, sondern ausschließlich an den Arbeitgebern, die die Vorstellung nicht aushalten, keine Kontrolle mehr darüber zu haben, wann der Arbeitgeber was erledigt. Mit dem Notebook am verwaisten Bahnhof Texte redigieren? Un wie rechnet man das dann in Arbeitsstunden um? No way.

    (Wer einmal versucht hat, gegenüber dem Arbeitgeber ein Gleitzeitmodell in einem Betrieb durchzusetzen, in dem bislang Nine to Five gearbeitet wurde, weiß, was ich meine.)

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  4. Jemand hat einmal gesagt, wenn man liebt, was man tut, dann arbeitet man keinen Tag in seinem Leben. Ich teile diese Meinung, aber vielleicht muss man ab und zu etwas tun, das einem nicht gefällt, um das zu erreichen, was man will.

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  5. Auf der Strecke bleibt natürlich die Bemessbarkeit von Arbeit. Ein universelles Maß dafür kann es nicht geben. Und so hat man die Arbeitszeit erfunden. Das war auch eine Maßnahme des Arbeitsschutzes. Außerdem will auch der Arbeitgeber Sicherheit haben für das Entgelt, das er vertraglich verspricht. Vieles erledigt sich nicht in „Echtzeit“, sondern über einen längeren Zeitraum. Vielleicht scheitert es sogar. Wenn der Auftragnehmer nun nicht für die Zeit bezahlt wird, wie soll das Risiko für das Scheitern aufgeteilt werden? Wenn der Auftraggeber für die Anordnung der Tätigkeit und ihre(r) Rahmenbedingungen verantwortlich ist?

    Für weitgehend selbständige Tätigkeiten, die keiner Teamwork bedürfen, ist schon heute freie Mitarbeit üblich. Aber wenn im Team die Verantwortlichkeiten unscharf sind, bewahrt nur die Vergütung von Zeit den Auftragsnehmer vor einem unangemessenen (Nicht-) Vergütungsrisiko.

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  6. Ich verspreche mir nichts von einer Neuetikettierung. Wer wie ich arbeitslos ist, muss noch lange nicht untätig sein. Er wäre dann nur „tätigkeitslos“.
    Mir ist es egal, wie es genannt wird. Ich würde mich nur freuen, wenn ich mit dem, was ich kann und was ich gerne tue, auch meinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Dann müßte ich mir auch weniger Gedanken darüber machen, ob mir die Arbeit Zeit nimmt, die ich eigentlich lieber für mich hätte.
    Oder es gäbe das bedingungslose Grundeinkommen. Aber in dem Punkt scheinen wir einer Meinung zu sein.

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  7. Was aber passiert, wenn das unerledigte ewig liegen bleibt. Wenn sich nach 5 die unerledigten Akten stapeln, werden sie sich auch nach 22 Uhr stapeln – es sei denn, du bist gewillt mehr zu arbeiten. Der Stapel des unerledigten ist erst dann so richtig bedrohlich, wenn man ihn als Selbstständiger selber zu verantworten hat, wo sich der Angestellte noch durch die vertraglich vereinbarten Arbeitszeit schützen kann. Ein unerledigter Stapel bedeutet immer Überlastung, sonst wäre er ja erledigt worden. Ob diese Überlastung nun 9to5 im Büro stattfindet oder 24/7 im Homeoffice und unterwegs, spielt doch eher eine untergeordnete Rolle. Auf den ersten Blick erscheint das Homeoffice verheißungsvoller, bis man merkt, dass die Anforderung, die man da an sich selber stellt, wesentlich größer sind als beim 9to5-Job. Und wie funktioniert eigentlich dieses Prinzip der Nicht-Annahme von Mails, wenn du mal Urlaub machst? Muss ich befürchten, dass du meine Mail ignorierst, bloß weil ich sie dir im falschen Moment schicke? Mails sind immer noch der Ersatz für Briefe. Lässt du auch die Post vom Finanzamt unbeantwortet liegen, weil sie an einem stressigen Montag eintrag? Last not least: Natürlich arbeiten wir nicht sondern leben, wenn wir tun, was wir lieben. Ändert aber nichts daran, dass ich eher nicht an Müllwerker glaube, die ihren Job springend und in der Luft die Hacken zusammenschlagend vor lauter Liebe zum Abfall erledigen.

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  8. Liebe Antje,
    das war richtig schön für mich zu lesen…;
    denn genau so habe ich im Prinzip 20 Jahre lang gelebt gehabt
    und das zu einer Zeit, als PCs noch nicht mal in Sicht waren.
    Schon damals war es unser Wunsch gewesen,
    aus den einengenden Vorgaben des Berufsleben rauszugehen;
    wir nannten das, was wir wollten, „alternativ leben“.
    Es war ab 1979 zu Zeiten der Frauenbewegung
    und wir verstanden das als unsere politische Radikalität:
    „wir gingen aufs Land“ und LEBTEN…

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  9. @Fidi – Wahrscheinlich werden sowieso viele Dinge unter „Internet“ diskutiert, die in Wirklichkeit gar nichts damit zu tun haben oder nur dadurch sichtbar gemacht werden…

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  10. @Enno – Deshalb habe ich ja vorgeschlagen, statt über „Pflicht“ über „Notwendigkeit“ zu sprechen und statt über „Anforderungen an sich selbst stellen“ über „Versprechungen geben“. Ich finde, damit bekommen dieselben Sachverhalte eine andere Bedeutung. Das Bewusstsein, etwas Notwendiges zu tun (Müll wegräumen) verleiht der Tätigkeit einen anderen Stellenwert. Etwas sinnvoll finden ist eine große Motivation, auch wenn das, was da notwendigerweise getan werden muss, nicht unbedingt „Spaß“ macht. Mit den Mails im Urlaub mache ich das übrigens genau so: Ich antworte „Bin grade im Urlaub, bitte fragen Sie mich dann und dann nochmal“. Und: Ja, wenn du mir eine Mail schickst, in der nichts wirklich Dringendes drinsteht, kann es sein, dass sie „runterrutscht“ und ich sie nicht beantworte. Genau das meine ich, dass wir diese Kompetenz brauchen, das im Bezugssystem „Echtzeit“ richtig einzusortieren – wenn ich keine Antwort bekomme, dann kann das daran liegen, dass die Person grad keine Zeit hat oder mit was anderem beschäftigt war und es muss nicht bedeuten, dass sie desinteressiert ist oder mich nicht leiden kann. Wir wir es uns beim Bloggen oder Facebooken ja auch schon einüben, aber bei Mails interpretieren wir ausbleibende Antworten immer noch als Unhöflichkeit.

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  11. @Ingo – Genau. Bei Arbeitslosigkeit kommen ja zwei Themen zusammen: Untätigsein und kein Geld haben. Zwei verschiedene Probleme, die getrennt diskutiert werden müssten und für die es nicht eine gemeinsame Lösung geben muss. Trennung von Arbeit und Einkommen eben = Grundeinkommen.

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  12. Ich denke, dass es möglich ist, die neuen Möglichkeiten so zu nutzen, dass daraus eine Befreiung von alten, überflüssigen Zwängen wird. Einfach deshalb, weil es bei mir so ist.

    Naja, das ist ein Beispiel, wie es für manche sein könnte.

    Als dann am Montag herrlichster Sonnenschein war, fuhr ich den Computer nach der ersten Stunde Neuigkeiten-Checken gleich wieder runter, setzte mich aufs Fahrrad und fuhr in der Gegend herum. Unerreichbar für alle.

    Dass eine Freiberuflerin oder Heimarbeiterin mehr freie Zeiteinteilung hat als Leute mit Stechuhr-Job, das war auch vor dem Internet schon so.

    So lange diese Diskussion nur von Akademiker/innen mit großer Zeitsouveränität geführt wird, sind die Resultate halt auch nur für Akademiker/innen mit großer Zeitsouveränität relevant.

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  13. Lässt du auch die Post vom Finanzamt unbeantwortet liegen, weil sie an einem stressigen Montag eintrag?

    Ich mach das gern mal so 🙂

    Ein Blogbekannter von mir geht sogar nur einmal wöchentlich zum Briefkasten.

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  14. Ich will tätig sein, hier und jetzt, eintauchen in die Welt um mich herum oder in meinen Timelines, in den Strom der Neuigkeiten und Menschen, die Gespräche und Ideen.

    Das würde ich übrigens auch gerne, aber als Freiberuflerin lebe ich nicht davon, dass ich in Infos eintauche oder verbreite, sondern davon, dass mich jemand dafür bezahlt.

    Ja, das liebe Grundeinkommen. Oder die Revolution und die klassenlose Gesellschaft. Auf solche Lösungen zu verweisen ist leicht, wenn man gut verdient. Wenn nicht, sieht es etwas anders aus.

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  15. @Irene – Das ist noch die Frage. Vielleicht könnte man mit entsprechenden Algorithmen und Kommunikationswegen ja auch normale Büroarbeitszeiten flexibel an den Wetterbericht anpassen? Wenns regnet arbeiten alle 10 Stunden und wenn die Sonne scheint nur 6? Es gibt vieles, das in normalen Stechuhr-Jobs auch nicht unbedingt genau zu diesem Zeitpunkt getan werden muss. Ich meine, das ist jetzt ein bisschen Science Fiction, aber mehr als momentan üblich geht da schon. So manche Sachbearbeiterin könnte genauso gut abends oder am Wochenende ihre Arbeit tun. Und sogar bei Leuten mit Kundenkontakt: Die Kunden würden sich auch freuen, bei Regen aufs Amt zu gehen und nicht am einzigen Sonnentag des Monats.

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  16. Manche Leute mögen es, wenn irgendwann Feierabend ist.

    Vielleicht siehst Du die Dinge einfach so positiv, weil Du sehr privilegiert bist?

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  17. Wenn die libertäre Gesellschaft, die Du ja auch willst, tatsächlich kommt, dann verschwindet die Kirchensteuer, und Dein Kirchenjob womöglich auch. Dann kannst Du aufs Grundeinkommen oder aufs Christkind warten.

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  18. Falls der Arbeitnehmerflügel der Union überaltert ist, kommt das Grundeinkommen vielleicht schon in zwei Jahren unter Schwarz-Grün. Dann wird der Sozialstaat an die Wand geklatscht, und jeder kriegt 600 oder 700 Euro, von denen auch die private Krankenversicherung bezahlt werden muss.

    Sprengmann-Kuhn wollte mir mal ernsthaft erzählen, dass es eine Steuerprogression ist, wenn man einen einheitlichen Steuersatz mit einem BGE kombiniert. Die setzen echt drauf, dass die Leute blöd sind.

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  19. @Irene, da Antje einen großen Teil der Ergebnisse ihres Tätigseins großzügig an die Welt verschenkt, wie z.B. diesen wunderbaren Blogartikel, bin ich sehr dankbar, dass durch ihren Kirchenjob ihr halbes Grundeinkommen gesichert ist. Ich hab auch einmal Freundinnen beneidet, die mehr Freiheit in ihren Tätigkeiten hatten – damals war ich noch Lehrerin und Beamtin – , und weil ich wusste, dass in meinem Neid etwas drinsteckt, was mir zeigen kann, wie ich eigentlich leben möchte, habe ich es gewagt, die Sicherheit dieses Berufs wegzuwerfen. Ich habe es nie bereut, auch nicht in der Zeit, als es bei mir finanziell sehr eng war.

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  20. Grundeinkommen ist, glaube ich, gar nicht soo weit weg und undenkbar, wies klingen mag…@Irene, meine ich…
    Wichtig finde ich, gedanklich zu trennen – es braucht beides: ein Einkommen und sinnvolle Tätigkeit (das „Recht auf Arbeit“ umbenennen in Recht auf Einkommen und sinnvolle Tätigkeit). Heute habe ich nach 13 Std „Arbeit“ (fremdbestimmte, für mich nur begrenzt sinnvolle Tätigkeit) bei einem als 50%-Stelle ausgewiesenen Job das Gefühl gehabt, dringend etwas sinnvolle Tätigkeit zu benötigen…
    Ich bin mit dir ganz einverstanden, liebe Antje, aber ich schaffs nicht, es so zu machen, da ich einfach ganz dringend Geld verdienen muss…
    und manchmal finde ich es dann auch ganz schön, keinen Computerzugang zu haben, weil „Ferien“ sind (dann bin ich auch tätig, natürlich, aber keineR sieht es und das mag ich 🙂

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  21. @ Dorothee: Es geht nicht um Neid auf Antjes Freiheit. Ich habe selbst einen sicheren Job für ein Studium aufgegeben und es nicht bereut, obwohl ich hinterher keinen angemessenen Job gefunden habe. Ich habe ja selbst auch meine Freiheiten.

    Antjes Eintrag hat aber was von „ich bin cooler / lässiger / trendiger als andere“, da ist es doch ganz normal, dass auch Kritik kommt. Es geht mir darum, dass Antjes Arbeitsform mit den großen Freiheiten gewissermaßen ein Subventionsmodell ist und man das schlecht als allgemeingültiges Idealbild verkaufen kann.

    Mal angenommen, ich erbe viel Geld, habe dann noch mehr Freiheiten als heute und mache was draus – bin ich dann ein Vorbild in Sachen Arbeits- und Lebensstil der Zukunft?

    @ Caroline: Ich sag ja, ich trau Schwarz-Grün durchaus eine ziemlich reale Sauerei im Namen des Grundeinkommens zu. Der Grüne Strengmann-Kuhn hat z.B. an einem Gutachten der Konrad-Adenauer-Stiftung mitgearbeitet, das besagt, dass ein Grundeinkommen finanzierbar ist. Es ging konkret um das Modell von Dieter Althaus (800 Euro BGE, davon minus 200 Euro für die Gesundheitsprämie).

    Siehe http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,478741,00.html

    Grün wählen bedeutet womöglich eine Laufzeitverlängerung für Merkel 😉

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  22. @Irene – sorry, ich hatte deinen letzten Kommentar noch nicht gesehen, bezog mich auf das vorher (auf GE warten), nicht auf das konkrete Beispiel, das natürlich eine Sauerei ist/wäre! GE ist nur sinnvoll, wenn es ein Leben ermöglicht (nicht nur Überleben)
    @Antje – was mir gut gefällt an deinem Beitrag ist (mal wieder:-), dass er zeigt: es gibt nicht „das richtige“. Also 9-5 arbeiten und dann frei haben ist nicht besser und auch nicht schlechter als fliessende Übergänge. Indem du das Ungewohnte – dein „Modell“- zeigst und gut findest, gibst du die Möglichkeit, das auch mal so zu sehen (statt zu denken – ich muss immer erreichbar sein, also immer arbeiten und arbeiten ist etwas Blödes)…Für mich ist die Differenz, bei der ich dann auch werte, diejenige zwischen „arbeiten“ und „Geld verdienen“: arbeiten möchte ich und Geld verdienen muss ich. Wie kann ich es möglichst angenehm gestalten…das ist eine Frage, die sich jede stellen kann, egal, auf welchem Lohnniveau.
    Auch wenn ichs für mich noch nicht gelöst habe, ist es doch schön, dass du es so machen kannst, Antje – mich ermutigt das:-)

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  23. Ein wunderschöner Text, der in meinen Augen den Nerv unserer Zeit trifft.
    Tatsächlich sind viele von ihrer Arbeit entfremdet, manche davon aber sicher auch, weil sie nicht einmal minimal darüber entscheiden dürfen, wann sie arbeiten – und dadurch das Gefühl haben, regelrecht eingesperrt zu werden.

    Ich kann mich jetzt nicht den „Es geht nicht anders“-Stimmen anschließen – es geht sehr wohl anders. Das beweisen unzählige erfolgreiche Unternehmen mit Gleitzeit, die auch ihren Mitarbeitern außerhalb des Büros Freiheit über ihre eigene Zeit schenken. Natürlich gibt’s Zeiten, zu denen die Arbeit stattfinden muss – aber es gibt eben auch die Souveränität, zu sagen: Heute mal nicht (so lang). Damit das klappen kann, sind Vertrauen und eine gute Organisation allerdings unabdingbar – und hier sind sicher nicht nur Arbeitgeber, sondern auch -nehmer in der Bringschuld.

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  24. Nur mal ein kleiner Gedanke aus dem Leben:
    Ich hatte gestern einen furchtbaren Tag, kaum etwas hat funktioniert. Ich musste mich durchbeissen. Ich arbeite derzeit mit an der Formulierung eines neuen Wirkstoffes gegen Krebs. Gerne hätte ich nach 8 Std. hingeschmissen, aber es war einfach notwendig weiterzumachen. Und meine jungen Kollegen der nächsten Generation haben diesbezüglich leider (noch?) keinen Biss.
    Ausgehend von solchen realen Arbeitssituationen möchte ich die Dauer der Entwicklung neuer Wirkstoffe nicht den Schlechtwetterprognosen überlassen, denn so mancher wird froh sein, wenn er eine Chance und Hoffnung bekommt, wenn er es braucht. Und nicht gesagt bekommt, tut uns leid, das Wetter war so gut, wir sind noch nicht so weit.
    Auf dass auch diese Menschen vielleicht den Schnee und Regen und die Sonne auch der nächsten Jahreszeiten erleben können.

    Ds ich befähigt bin, das zu tun, was ich zue, hat mich Energie gekostet und kostet mich Energie. Und natürlich möchte ich für diesen Einsatz auch gescheit entlohnt werden und nicht noch eine dann wachsende Zahl Leute durchfüttern, die sich schön raushalten, alles haben wollen und den Zusammenhang von Tätigsein und Auskommen erfolgreich entkoppelt haben. (Was ich ja eigentlich heute schon, zumindest zum Teil, tue)

    Ich verstehe all‘ das in Bezug auf Erfüllung, aber ich halte es für weltfremd, das auf alle notwendigen Tätigkeiten anwenden zu wollen. Und nur weil es Berufe gibt, die in einer Nische das alles gut erfüllen können, ist es nicht schon auf weite Teile einer funktionierenden Gesellschaft anwendbar.
    Glaubt jemand wirklich, alle Errungenschaften, auf die wir zurückgreifen können, haben keine Mühe gemacht? Und zukünftige Errungenschaften machen heute keine Mühe?

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  25. @Sylvia – Ich verstehe deine Befürchtungen und habe ähnliche EInwände auch in diesem Blog schon gegen eine bestimmte Variante Grundeinkommens-Idealismus vertreten: https://antjeschrupp.com/2010/09/02/wer-macht-die-unbeliebten-arbeiten-zum-blinden-fleck-des-grundeinkommens/
    So wie es jetzt ist (Arbeit an Einkommen gekoppelt), weil dadurch das erste und einzige Kriterium dafür, etwas zu tun, ist, ob man dafür Geld bekommt bzw. sich mit einer Sache Geld verdienen lässt. Es gibt aber viele notwendige Tätigkeiten, die nicht Profitträchtig sind.
    Dass das Problem nicht das „Mühe machen“ ist, hab ich im Post ja geschrieben. Eher wird andersrum ein Schuh draus: Richtige „Mühe“ mache ich mir mit etwas nicht, weil man mir dafür Geld bezahlt, sondern weil ich ich es als notwendig ansehe, genau so wie in deinem eigenen Beispiel. Oder würdest du, wenn du im Lotto gewinnst, einfach mit der Forschung aufhören, weil du es ja nicht mehr nötig hättest, Geld zu verdienen?

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  26. Das funktioniert vielleicht bei Dienstleistungen, aber nicht in der Industrie.

    Wenn in der Industrie Löhne und Leistung entkoppelt werden, weil sie der Staat subventioniert, dann sinken die Arbeitskosten, Deutschland wird wieder Exportweltmeister, und die Weltwirtschaft gerät wieder in Schieflage.

    Siehe auch Heiner Flassbeck (er war Finanz-Staatssekretär unter Lafontaine) zum Grundeinkommen: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/12/15/a0205

    Ein Problem ist, dass sich meisten BGE-Fans sehr für ihre Utopien, aber wenig für Finanzpolitik, Umverteilung und Volkswirtschaft interessieren. Ohne gehts aber nicht bei dem Thema.

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  27. „Sicher ist meine Arbeitssituation ein wenig besonders, weil ich – auch in meiner „festangestellten“ Seite – hauptsächlich projektbezogen arbeite. Also Dinge tue, die relativ zeit- und ortsunabhängig sind und keine anderen Arbeitsmittel benötigen als eben einen Computer mit Internetzugang.“

    „Zeit- und ortsunabhängig“ tätig sein können – besonders dadurch hast du, Antje, die Möglichkeit (auf den ersten Blick) recht uneingeschränkt leben und arbeiten zu können. Das ist schön für dich, dass du diese Freiheit hast. Im Unterschied dazu – auf wie viele Menschen oder Arbeitsgebiete trifft das zu? Hier wird mir der Eindruck vermittelt, das ein beachtlicher Teil der arbeitenden Bevölkerung auch die oben genannten Möglichkeiten hat.

    Ich behaupte, den überwiegend tätigen Menschen geht es anders.
    Fast jede starre Arbeitszeit ist ein kleines Stück variabel, aber nur in engen Grenzen. Sobald ich mit Menschen oder Tieren arbeite; mit dauerbetriebenen Maschinen; in Arbeitsprozessen, die nicht einfach heute unterbrochen und übermorgen fortgesetzt werden können oder in Teams wo eine Hand in die andere greift, da ist die Arbeitszeitflexibilität stark eingeschränkt.

    Da wo es möglich wäre, haben sich verkrustete Strukturen gebildet, an denen nicht gekratzt werden darf.

    @zahnwart

    Obwohl ich aus dem „Land der Frühaufsteher“ komme (wer sich so was einfallen lässt…?), bin ich eine Mittellangschläferin und würde diese Neigung gern in vollen Zügen ausleben. Auf dem Papier habe ich Gleitarbeitszeit, doch die erste Sitzung beginnt pünktlich 7.30 ohne Wenn und Aber.

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  28. Asbolut super Artikel! Oder, noch „profaner“: Was machen denn eigentlich generell die Selbstständigen? Haben die „geregelte“ Arbeitszeiten? Manchmal schon, aber meistens eher auch nicht.
    Wobei man trotzdem immer mit Verstand an die Sache herangehen muss. Es gibt auch einfach ngeative Beispiele, die dieses Prinzip ad absurdum führen und aus einem 8 Stunden Job einen 12 Stunden (oder mehr Job) machen – freilich ohne angepasste Bezahlung.

    IKEA war es (glaube ich) mit dem Slogan: Wohnst Du noch, oder lebst Du schon? Ich würde den Satz gerne anders formulieren: Lebst Du schon, oder arbeitest Du noch?

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  29. Naja, im Großen und Ganzen ist das natürlich richtig. Nur sollte man sich mal genauer angucken, was wir alles schon ‚Arbeit‘ nennen. Unser aufplusternder Etikettenschwindel beginnt bei der unsäglichen ‚Beziehungsarbeit‘ und endet bei sinnlosen Internet- Spielereien.
    In diesem Sinne kann ich nur empfehlen: paradise your life ! 😉
    da machst‘ auch, was Spaß macht. Bloß nützt es Dir und der Welt!

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  30. Dieser Artikel hat mir einen warmen Bauch gemacht, beschreibt er doch, wie es gehn kann und für alle irgendwie machbar sein sollte.
    Sicher sind solche Arbeiten an Maschinen, die möglichst durchlaufen müssen, um finanzierbar zu sein, schwerer so flexibel wie beschrieben zu gestalten.
    Auch der Bäcker wird nicht einfach sagen können, ich schlafe heute mal aus. Dito die Fahrer öffentlicher Verkehrsmittel, denn die müssen auch verlässlich ihre Runden drehen.
    Aber überall dort, wo kreativ gearbeitet wird, sehe ich in meiner Umgebung die Freiräume auch immer mehr kommen, sprich das Verschwimmen von Arbeit und Freizeit.
    Ich selbst arbeite als Produkt Manager in der Software Branche. Ich höre mir an, was unser Kunden brauchen, was der Wettbewerb macht, priorisiere diese neuen Anforderungen im Team, sorge dafür, dass sie seitens der Entwicklung umgesetzt werden, anschließend der Wissentransfer an unseren Service, Vertrieb, und Partner stattfinden, sprich die notwendigen Unterlagen und Demos erstellt sind.
    Das sind viele herausfordernde Aufgaben und machen in der Abwechslung viel Spaß, besonders weil der Prozess ohne viel Hierarchisierung auskommt und die Teammitglieder einander helfen.
    Und es bleiben trotzdem genügend Freiräume für alle, sich die Zeiten so einzuteilen, dass der Spaß nicht verloren geht.
    Man denke sich nur aus, wie viel mehr an Spaß ich noch hätte, wenn ich das freiwillig täte und nicht auch, damit ich leben kann.
    Und da wäre ein Grundeinkommen etwas, was extremst helfen kann, nur das zu tun, was Spaß macht, was dazu führt, dass auch nur sinnvolle Arbeiten und Arbeitsstrukturen existieren werden. Alle unsinnigen Dinge, die wir heute sehen, würden einfach verschwinden.
    Antje hat in dem von ihr erwähnten Artikel noch gefragt, wer denn dann die unangenehmen Arbeiten ausführt, die aber auch dringend gemacht werden müssen.
    Da sehe ich z.B. diese drei Möglichkeiten:
    1. Wir geben für solche Arbeiten einen besonders hohen Bonus, d.h. wir bewerten Arbeit nicht mehr nach der Menge des angewandten Wissens sonder nach dem Negativ-Spaßfaktor
    2.1 Wir wechseln uns ab, sprich Jeder trägt seine gesellschaftliche Verantwortung und beteiligt sich und weiß damit auch, was eine solche Arbeit wert ist
    2.2 Wenn ich dran bin, bitte ich jemand Anderen, die Arbeit für mich zu tun und bezahle ihn dafür.

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  31. Ein Punkt ist noch nicht aufgetaucht: Familie. Mit Kindern hören die von Frau Schrupp gepriesenen Freiheiten ganz schnell auf. Für mich sind das Arbeitsmodelle von großstädtischen akademischen Singles. Für diese Gruppe in der eigenen Lebenswirklichkeit dominierend, aber in der Gesellschaft ein Randphönomen, sowohl quantitativ als auch zeitlich auf eine bestimmte lebensphase begrenzt.

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  32. @Tim – das denke ich nicht. Ich habe ja geschrieben, dass die Arbeitsweise einer Hausfrau dem, was mir vorschwebt, sehr ähnlich ist. Fürsorgearbeit für Kinder hat viel mit Präsenz und dem Tun des Notwendigen zu tun und wenig gemeinsam mit dem Abarbeiten von Aktenstapeln.

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  33. Ich finde, der Eintrag ist ein guter Denkanstoß.
    Nicht jede Arbeit kann natürlich nach dem selben Schema organisiert sein. Wenn wir z.B. Pflegetätigkeiten nehmen, die ja in der Regel in 3-5 Schichten organisiert ist. Da muss einfach jemand um 7 Uhr früh da sein, jemand um 9, um 12, nachmittags, abends und nachts. Aber in meinen Augen lässt sich das gut mit dem sogenannten „Diversity-Management“ regeln. Manche Menschen arbeiten lieber nachts (weil Kinder, weil eben Nachtmenschen) und andere stehen lieber früh auf (und wollen noch was „vom Tag“ haben). Das ließe sich in den Dienstplänen berücksichtigen.

    Eine freier gestaltete Arbeit heißt ja nicht, dass es keine Fristen gib, bis zu denen irgendwas erledigt sein muss. Sondern, dass die Menge an „Arbeit“ bis zur Frist freier ausgestaltet werden kann. Wenn mal wenig zu tun ist, eine Person MUSS aber bis 17 Uhr irgendwo bleiben, und darf nichts anderes machen, dann zieht sich der Tag auch hin. Die „Arbeit“ passt sich ihren Möglichkeiten an (kenne ich zumindest von mir, dass ich öfter untätig rumsaß, weil die To-Do-Liste leer war – nur hatte ich dann wenigstens die Möglichkeit mir ein Buch zu schnappen und mich weiter zu bilden)

    Was ich ganz wichtig an Antjes Leben finde, ist der Aspekt der Verantwortung. Freiheit ist eben nicht nur „ich tu, wonach mir ist“, sondern durch das Versprechen auch ganz viel „ich organisiere mich selbst“ – eben die Eigenverantwortung, die in fixen Arbeitsorganisationsstrukturen in der Hierarchie nach „oben“ abgegeben wird.
    Diese Verantwortung muss auch erst gelernt werden.

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  34. „Dieses Konzept sah eine klare Menge dessen vor, was ein Mensch zu tun hatte. Vierzig Stunden.“

    Hier darf man ruhig genauer sein: Das Konzept sah eine klare Anzahl von Stunden vor, die der Arbeitnehmer vor Ort zu sein hatte. Heute hingegen ist viel klarer, was die Menge dessen ist, was zu tun ist: Bis es fertig ist, egal wann und egal wo und wie lange, aber Hauptsache Vollgas. Wenn die „Pipeline“ leer läuft, dann füllt der Chef nach. Ich kenne Leute, denen wird im Personalgespräch vorgeworfen, dass sie bei 42h-Woche plus Überstunden nicht wie die Kollegen am Wochenende unentgeltlich (und ggf. zu Hause) arbeiten.

    Was wir alle gut fänden, und in der Richtung geht für mich dieser Artikel, ist zu machen was wir sinnvoll finden, in ausreichender (d.h. aber auch nicht zu hoher) Dosis, und dafür irgendwie Geld bekommen. Dann können wir glücklich sein. Die Belohnung für unser Tun kommt aus dem Tun selbst heraus und für genug Geld zum Leben ist gesorgt.

    Für viele Menschen dürfte es aber eher so sein, dass Geld die einzige Belohnung für die Schinderei ist. Belohnung 1x im Monat, dazwischen heißt es: Durchkämpfen, gegen sich und den Chef. Gottlob wenn es nach 8 Stunden heute wieder rum ist. Notwendig ist es sicher nicht, hier am Fließband zu stehen, notwendig ist nur das Geld am Ende.

    Es kommt auf die Belohnung an und dass diese oft genug kommt. Wer einen Text schreibt und gerne Texte schreibt, der fühlt sich danach belohnt: Ich habe etwas erschaffen. Das kann man glücklicherweise in vielen Bereichen erleben. Wenn man ein Programm schreibt, einem Menschen hilft, manche sogar beim Putzen (ich nicht, weil dreckig wird’s eh wieder), etc. – für viele Jobs gibt es dieses Gefühl aber nicht. Als Student kennt man das auch, jahrelang schuftet man, und am Schluss gibt einem eine griesgrämige Sekretärin ein Abschlusszeugnis. Und man hält den Zettel in der Hand und kann mit der Belohnung in der Form nichts anfangen…

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  35. nun – ich kenne alle Modelle. Festanstellung, Freiberuflichkeit, dann Freiberuflichkeit mit eigenen Angestellten/Zuarbeitern, schließlich Familie und zuletzt Familie plus Freiberuflichkeit.
    Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Klar umrissene Abreitszeiten haben sehr was für sich. Weil jeder dann sagen kann, jetzt ist gut, jetzt gehe ich. Jetzt lasse ich dieses oder jenes Thema sein, wechsle mein Spielfeld und widme mich anderem.
    Als Mutter von ein paar Kindern fällt das weg.
    Als Freiberufler mit Personalverantwortung fällt das weg.
    Als Mutter plus Freiberuflerin fällt das leider auch weg.
    Da gibt es keine Chance auf kreative Gestaltung meiner Arbeitsabläufe nach Gusto und Schönwetterlage. Da gilt es, knallhart seine eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen und dem Redaktionskunden zu sagen, bis da und da kann ich liefern und dann zu beten, dass keines der Kinder krank wird unterdessen.
    Wie jemand anders schon schrieb: sobald man Verantwortung hat für einen anderen, der sie selber nicht tragen kann, sei es ein Kind, ein alter Mensch, ein Mitarbeiter, der auf meine Akquisefähigkeiten angewiesen ist, kann ich mir nicht leisten, nur an mich zu denken.
    Was ich aber gemacht habe ist ganz konsequent umzudenken. Und jedes „ich muss“ in ein „ich will“ umzuwandeln.
    Denn: ganz am Anfang einer Phase stand eine Entscheidung, in genau diese Phase eintreten zu wollen. Und wenn ich bereit bin, auch die Dinge zu akzeptieren, die ich nicht vorausgesehen hatte, kann ich innerhalb der neuen Regeln und Grenzen (Projektunterlagen fiebern nicht, sie schreien keine Nächte durch…) zu einer Zufriedenheit kommen. Die ich mir natürlich sehr gerne vergüten lassen würde – nur lässt die Anerkennung von Fürsorge für unsere Mitmenschen noch immer auf sich warten.

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  36. @Frau ziefle – Ich würde die von mir beschriebene Praxis nicht als „nur an mich zu denken“ verstanden haben wollen! Deshalb war es mir ja so wichtig, die Notwendigkeit zu betonen, die einer Arbeit den Sinn gibt. Diese Notwendigkeit ist immer ein Zusammenspiel von „Bedürfnissen anderer, die an mich herangetragen werden“ und „Mein Sehen dieser Notwendigkeit“. Es geht NICHT um Selbstverwirklichung und Spaß haben, sondern um Sinn.

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  37. @antje
    ich weiß, dass du das nicht so meinst.
    Aber in der Realität desjenigen, der nicht nur für sich entscheiden kann, stößt das Modell wie du es beschreibst augenblicklich an Grenzen. Früher, als es noch „wir nennen es Arbeit“ hieß, war klar, hier wird etwas getan, das vielleicht im Oberholz stattfindet, aber es wird bezahlt. Klar – ist ja Arbeit (und damit etwas, das man tendenziell gegen seinen Willen erledigt und DAFÜR bezahlt wird. Oder eben wegen Max Weber….).
    Wenn du aber hergehst und sagst, jetzt ist das alles „Leben“ wird das ohne ein Modell von Grundeinkommen nichts.
    Der Vergleich mit der Hausfrau (die ja keinen direkten Cent sieht für ihre Arbeit (!)) tut ein Übriges.
    Wie du weißt verfechte ich immer und überall die Anerkennung ebendieser Leistung. Ebenso wie die Bereitschaft, sich 24 Stunden zur Vefügung zu stellen für ein paar Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. DAS aber sieht niemand als bezahlungswürdig an. Die 3 Jahre, die pro Kind in die Rentenkasse eingezahlt wird, das bringt mir genau 80 Euro. Für 3 Kinder.
    Ja, ich nenne das ja auch „Leben“.
    Und unter spirituellen Aspekten, die ich nicht so gerne im elektrischen Netz anführe, unter diesen ist es mit Sicherheit besser und richtiger, keine Gegenleistung zu verlangen für etwas, das ich geben kann weil es meinen Talenten entspricht. Aber ich kann davon kein Essen kaufen.
    Insofern – eigentlich bei dir, aber noch ein langer Weg bis dahin. Solange tröste ich mich mit meiner „ich will“ Haltung :))

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  38. Prolog:
    Beitrag gelesen. Vor ein paar Tagen. Keine Zustimmung, aber interessanter Ansatz. Kommentare gelesen. Stirn gerunzelt und nachgedacht. Beitrag ein zweites Mal gelesen. Widerspruch. Muss formuliert werden. Leider: Keine Zeit. Also keine Echtzeit. Falsche Zeit. Trotz mobilem Internet. Was nun? Chance vertan? Zu spät? Interessiert nicht mehr? Egal. Mich schon. Ich hinterlasse eine Nachricht. Jetzt erst. Mal sehen.

    Ich widerspreche nachdrücklich, weil der Beitrag zwar interessante Fragen aufwerfen könnte, stattdessen aber: gewagte Behauptungen aufstellt, Zusammenhänge falsch beschreibt und verkehrte Schlussfolgerungen zieht. Hier werden Ursache und Wirkung verwechselt und vieles nicht zu Ende gedacht.

    Vieles hängt mit vielem zusammen und Veränderungen, wie wir sie zuletzt in immer kürzeren Zyklen erleben, bleiben meist nicht ohne Auswirkungen an anderer Stelle, haben weitreichenden Einfluss. Auf unser Handeln, unser Denken, die Art zu Kommunizieren. Auf Wirtschaft, Arbeit, Leben – auf unsere Umwelt.

    Aber was genau verändert sich? Und was nicht? Und ist diese Veränderung gut für uns? Was folgt daraus? Haben wir etwa keine Wahl? Warum? Oder: warum nicht?

    Sie beschreiben eine spezielle Form der ‚Arbeit‘, die geistige, künstlerische (oder auch journalistische) ‚Tätigkeit‘, die dank des technologischen Fortschritts losgelöst von ihrer zeitlichen und örtlichen Gebundenheit ‚überall‘ ausgeführt werden kann. Einfach dort wo es gefällt oder zeitlich gerade passt.

    Doch was daran ist neu? Galt dies für derartige Tätigkeiten nicht schon immer? So ist kein Journalist je seinem Beruf alleine am Schreibtisch nachgegangen, höchstens das Schreiben selbst war ortsgebunden. Und selbst dies wurde oft genug vor Ort und ohne Schreibmaschine erledigt, der fertige Text anschließend per Telefon übermittelt.

    Juristen, Forscher, Denker – die Mehrzahl der geistig Arbeitenden war nie an einen Schreibtisch gebunden oder festen Arbeitszeiten unterworfen. Schon immer entstanden die besten Ideen oft dort, wo der Geist sich frei entfalten konnte: Abends im Bett, in der Natur, auf der Straße oder auf Reisen: im Zug und natürlich auch im Café. So konnte auch ‚freie‘ Zeit immer schon produktiv genutzt werden. Auch heute noch sind hierfür weder Laptop noch mobiles Internet notwendig. Und auf wie vielen der aufgeklappten Notebooks im ICE sehe ich immer nur Filme laufen…

    Was hat das alles mit einem alten oder neuen Konzept von Arbeit zu tun? Schon immer war die Arbeit ein prägendes, ja entscheidendes Element gesellschaftlicher Entwicklung – und zugleich ein Spiegelbild derselben. Seit jeher stehen sich die geistige, freie Tätigkeit und die körperliche, unfreie (Zwangs-)Arbeit gegenüber. War letztere vor allem der Notwendigkeit, konkreter und unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung geschuldet, bedurfte erstere der ‚Muße‘, welche nur derjenige aufbringen vermochte, dem es gelang, sich der harten Arbeit und ihrer Mühen zu entziehen. Historisch betrachtet war dies meist dem Adel vorbehalten.

    Erst während der Aufklärung gelang es, einen Zusammenhang zwischen Arbeit und der Schaffung von Eigentum herzustellen. Hieraus wurde fortan nicht nur ein Recht auf Arbeit formuliert, sie wurde gar zum Symbol individueller Freiheit erklärt. Gleichwohl wurde Arbeit auch als Grundbedingung menschlicher Existenz verstanden.

    In der Folge führten kultureller und technischer Fortschritt zu einer weiteren ‚Befreiung‘ der Arbeit. Zur gleichen Zeit jedoch reduzierte sich der Anteil menschlicher Arbeitskraft im Verhältnis zu anderen Produktionsfaktoren. Mit dem Überangebot an Arbeitskraft sank ihr Wert kontinuierlich. Unmenschliche Arbeitsbedingungen und die Entfremdung des Arbeiters von seiner Tätigkeit waren die Folge.

    Eine angemessene Entlohnung, geregelte Arbeitszeiten, soziale Absicherung, mithin erträgliche Arbeitsbedingungen: All dies musste von der Arbeiterschaft erkämpft werden, in langen und harten Auseinandersetzungen. Und sie entwickelten sich nicht nur zum Schutz der Arbeiter, sondern der gesamten Bevölkerung. Sie schufen eine Basis für die weitere Entwicklung einer Gesellschaft, wie wir sie heute kennen und gemeinhin schätzen.

    Diese Zusammenhänge nun zu ‚überflüssigen Zwängen‘ zu erklären, zeugt nicht nur von einem falschen Verständnis oder Unwissenheit, es offenbart zugleich eine ebenso naive wie elitäre Haltung.

    Noch immer kann sich der weitaus größere Teil der arbeitenden Weltbevölkerung (und glücklich kann sich schätzen, wer überhaupt Arbeit hat) auf keinerlei derartige Rechte berufen. Doch das Beste daran ist: Genau darauf beruht unser Wohlstand – auf Ausbeutung und billigen Arbeitskräften im Überfluss. Erst diese erschaffen uns Computer und iPhone. Und sorgen dabei gleichzeitig noch für die Gewinne unserer Aktienfonds. Damit wir nicht mehr arbeiten müssen, sondern uns überlegen können, was wir stattdessen tun wollen: z. B. ‚Versprechen einlösen‘, sich ‚Notwendigkeiten hingeben’…

    Überhaupt: Die ‚Notwendigkeiten der Welt‘ und ‚die Versprechen, die ich gegeben habe‘. Seit jeher ‚Maßstab des menschlichen Tuns‘. Was für ein Nonsens. Wie kommt man auf so etwas? Nichts musste in unserer Welt jemals gemacht werden – es sei denn jemand wollte es tun oder wollte, dass es getan wird. Die Notwendigkeit von Arbeit ergab und ergibt sich noch heute aus den Bedürfnissen des Einzelnen. Dem Bedürfnis nach Nahrung, nach einem Dach über dem Kopf, nach Eigentum, nach Konsum. Manche dieser Bedürfnisse sind zwingend. Aber keiner zwingt uns. Und Versprechen haben dabei noch nie irgendeine Rolle gespielt.

    Und was bitte hat in diesem Kontext die Hilfeleistung für einen Menschen in Not damit zu tun? Sie wollen nicht allen Ernstes die Hilfe im Notfall mit der Abgabe eines Manuskripts vergleichen?

    Eine funktionierende Gesellschaft braucht Regeln. Sie geben einen Rahmen vor, schaffen Sicherheit und Verlässlichkeit. Manche dieser Regeln sind für uns selbstverständlich, andere weniger, manche ermöglichen uns erst die individuelle Freiheit, durch andere wiederum sehen wir diese gefährdet. Auch ’nine to five‘ ist ein solch gesellschaftlicher Konsens. Erst dieser ermöglicht uns im Allgemeinen ein gemeinschaftliches Leben, das mehr ist als nur Arbeit.

    So entspringt z. B. die Nachtruhe unserem natürlichen Bedürfnis nach Regeneration, und entsprechende gesetzliche Regelungen (Arbeitszeitgesetz, Nachtflugverbot, Öffnungszeiten) spiegeln dies wider. Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass jeder dauerhafte Verstoß gegen dieses Bedürfnis, Spuren an Gesundheit und Leistungskraft hinterlässt.

    Die Wenigsten würden gerne freiwillig nachts arbeiten. So bedarf es einen Anreiz (= Nachtzuschlag), die Bereitschaft wächst. Das funktioniert natürlich nur, so lange es sich auch für die Gegenseite lohnt: Die erhöhte Produktivität muss zumindest den Lohn samt Zuschlag erwirtschaften. Dieser Logik folgend, wurden vor wenigen Jahren die Regelungen der Ladenöffnungszeiten deutlich gelockert. Doch auch nach Jahren schließt die große Mehrheit aller Geschäfte auch in Großstädten weitestgehend um 20:00 Uhr. Und noch immer haben manche Läden in einigen Gegenden mittags für eine Stunde zu. Warum ist das so?

    Weil ein gesellschaftlicher Konsens besteht: So wollen wir am Abend bei unseren Familien sein, Freunde treffen, ins Kino gehen, zum Sportverein, zum Yoga. Am Wochenende wollen wir Einkaufen (!), raus in die Natur, wir wollen Schwimmen gehen, Fußballspiele gewinnen und noch mehr Freunde sehen.

    Was bedeutet dies bezüglich des Geschilderten? Wenn Sie also am Sonntagmorgen arbeiten wollen, so ist das ihre freie Entscheidung, und unter ganz bestimmten Voraussetzungen auch ihr ‚gutes Recht‘ (so lange Sie daraus keine diesbezüglichen Ansprüche erheben). Aber folgt denn daraus, dass jeder diese Freiheit haben muss? Wollen wir diese Freiheit überhaupt? Wollen wir wirklich, dass alle Geschäfte immer offen haben, alle Maschinen produzieren, notwendiger- und konsequenterweise auch alle Schulen und Kindergärten geöffnet haben, jeden Tag, 24 Stunden lang? Wie soll eine solche Gesellschaft funktionieren?

    Sehen wir nicht schon seit einiger Zeit, dass das eben nicht so gut klappt? Und sind wir nur nicht bereit, die Zusammenhänge zu sehen? Arbeiten wir in unserer Dienstleistungsgesellschaft nicht schon lange wieder 50 Stunden, obwohl wir bestenfalls 40 Stunden vereinbart haben und auch bezahlt bekommen? Wer beruft sich auf diese Vereinbarungen, auf sein ‚gutes Recht‘, ohne nicht gleichzeitig Angst um seinen Job zu haben?

    Stattdessen reden wir uns ein, dass es genau das ist, was wir wollen, dass es uns gefällt. Und stimmen ein in den Kanon der Flexibilität, welche uns vermeintlich mehr Freiheit bringt und doch nur mehr Belastung, Unsicherheit und Druck erzeugt. Krank macht. Körperlich, geistig, gesellschaftlich.

    Krankheit aber wird zur reinen Befindlichkeit ‚gestempelt‘. Als wären nicht Schuld oder Unschuld relevant für eine Verurteilung, sondern nur die Verurteilung selbst. Ein menschenverachtendes und falsches Bild wird hier entworfen. Seit Jahrzehnten sind die krankheitsbedingten Fehlzeiten rückläufig, gleichzeitig aber steigt die Zahl der psychischen und psychosomatischen Krankheiten deutlich an. Alles nur Befindlichkeiten? Das ist die Logik des Kapitals.

    Ist ab einer gewissen Menge die Arbeit von einer Person alleine nicht mehr zu bewältigen, so sollte sich normalerweise recht problemlos jemand finden lassen, der bereit ist, den Mehrumfang gegen entsprechende Bezahlung zu übernehmen. Im Allgemeinen entstehen auf diesem Weg Arbeitsplätze. Warum aber funktioniert das oft nicht? Liegt es am (mangelnden) Wert der ‚liegengebliebenen‘ Arbeit? Am Profitstreben?

    Wir befinden uns in einem Dilemma: Mit zunehmendem Fortschritt und wachsendem Wohlstand entstand der Wunsch nach mehr Freiheit = Freizeit. Der Traum einer Gesellschaft, in der jeder Einzelne immer weniger arbeiten muss und der Wohlstand trotzdem weiter zunimmt.

    Langfristig aber führt dieser zunehmende Wohlstand zu Dekadenz und Stillstand. Stellte dies bisher gleichzeitig für andere (z. B. weniger entwickelte Gesellschaften) auch eine Chance dar, so behindern heute globale, engmaschige Verflechtungen diesen Wettbewerb. Längst sind wir es, die mit fremder Arbeitskraft und fremden Bodenschätzen, auf fernen Märkten unseren Reichtum mehren. Der einzige Weg, die einzige mögliche Lösung kann nur heißen: Verzicht.

    Dabei hilft uns auch das Internet, mobil oder nicht, leider nicht weiter. Vielmehr ist es Teil des Problems, es verschärft das Tempo. Echtzeit. Der Fehler liegt im System. Es ist nicht die Arbeit, die sich verändern muss (obwohl sie es zweifelsohne wird), damit wir das Gefühl der Überforderung und ständigen Überlastung wieder loswerden. Wir sind es, die sich ändern müssen, die den richtigen Umgang lernen müssen mit den neuen Möglichkeiten, den Chancen und den Gefahren. Nicht den Gefahren des Internets. Den Gefahren der Überforderung.

    So verstehe ich den Ansatz, nicht jede E-Mail immer sofort bearbeiten zu müssen oder zu wollen als richtigen Schritt zu einer Entschleunigung. Aber natürlich stellt sich dann auch die Frage nach Sinn und Zweck der E-Mail oder ähnlicher Dienste an sich: Was für einen Sinn oder Nutzen hat eine Echtzeit-Kommunikation, die jeder ganz individuell nur genau dann nutzt, wann er mag? Die also auf reinen Zufällen beruht? Das wäre das Gleiche, wie wenn Sie Ihr (natürlich zeit- und ortsunabhängig) online bestelltes Paket immer nur dann erhielten, wenn Ihr Paketzusteller Sie ganz zufällig anträfe während seines 12-Stunden-Arbeitstages. Der kommt dann auch nicht wieder. Pech gehabt.

    Zu guter Letzt: Die Hausfrau.
    Ein Widerspruch in sich: ‚Keine geregelten Arbeitszeiten, rund um die Uhr im Einsatz und erreichbar. Die Arbeit war niemals erledigt.‘ Und dann: ‚Sie war da oder nicht, und wer etwas von ihr wollte und sie nicht persönlich antraf, musste später wiederkommen. Wer rund um die Uhr präsent ist, kann nicht auch noch jede Menge Unerledigtes in der Pipeline haben.‘

    Ehrlich gesagt: Das verstehe ich nicht. Für was bitte sollte das denn nun ein Beispiel sein? Vorbild oder abschreckendes Beispiel? Ich glaube ja, das wissen Sie selbst nicht so genau. Und deswegen glaube ich weiter, dass es sich vielleicht auch etwas anders darstellen ließe:

    War unsere Hausfrau (und/oder Mutter) nicht gerade Einkaufen, so war sie in der Regel ausschließlich Zuhause anzutreffen und somit eben doch für jedermann erreichbar. In Echtzeit. Quasi immer ‚online‘. Feste Rituale zu festen Zeiten (z. B. Mittag- und Abendessen) unterstützten dies und waren fast überall gleich. Den Vorwurf unerledigter Arbeit hätte sie im Übrigen niemals akzeptiert. Aber dafür war sie auch nur selten mit dem Rad unterwegs, saß in keinem Café und besuchte auch sicher keinen Yoga-Kurs. Und wenn doch: So wäre dies wohl ein gutes Indiz für ihren recht genau definierten Arbeitsumfang sowie ihre gute, wohlsortierte Organisation.

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  39. @Jan – Danke für diesen langen Text, der mir manches klärt. Ich bestreite in der Tat die weitere Geltung dieser Dualismen, die auch Ihrem Text zugrunde liegen, etwa zwischen „freier, geistiger“ und „unfreier, körperlicher“ Arbeit. Sicher gibt es unterschiedlichen Charakter je nach Situation, aber wenn sind die Übergänge fließend. „Sie wollen nicht allen Ernstes die Hilfe im Notfall mit der Abgabe eines Manuskripts vergleichen?“ Doch, genau das will ich. Vielleicht weil ich als Frau gegenüber diesen Dualismen besonders skeptisch bin. Zum Beispielt hat man die Tätigkeit der Mutter immer auf diese „materiell-körperlich-niedrige“ Stufe gestellt. Aber sie ist auch eine geistige Tätigkeit. Ebenso wie ein Kuchenbacken und vielleicht sogar Müll wegräumen kreative Aspekte hat und das Produzieren von Texten eine körperlich-materielle. Sicher, es gibt Unterschiede, aber nicht in der Form von Gegensätzen.
    Sie Schreiben „Nichts musste in unserer Welt jemals gemacht werden – es sei denn jemand wollte es tun oder wollte, dass es getan wird.“ Dazu sage ich dann meinerseits: Nonsens. Die Hilfe im Notfall ist das, was das Alltägliche und Normale ist, denn letztlich sind wir mit unseren Tätigkeiten den Bedürftigkeiten der anderen verpflichtet, und der Notfall ist dafür nur ein extremes Beispiel. Aber auch der Bäcker backt Brötchen für andere und ich schreibe Texte für andere.

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  40. Freizeit ist eh nur Regenerationszeit für die Lohnarbeit. Flexibilisierung heißt aber eben meistens nicht Freiheit, sondern nur weniger Freizeit, weil eben nicht die Arbeit flexibel wird, und wir sie umformen zu einem Tätig-sein, also wir flexibler sein können, sondern wir selbst sollen flexibler einsetzbar sein.

    Bedingung der Möglichkeit für die Überwindung der Arbeit/Freizeit ist die Überwindung der Lohnarbeit, d.h. -wie du sagtest- die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Aber das BGE sehe ich nicht als Lösung, denn das würde im Idealfall den Zwang zur Lohnarbeit etwas verringern, im schlimmsten Fall die Scheere zwischen Arm/Reich unberechenbar vergrößern. Wir müssten neue Formen des Zusammen-Lebens realisieren, um da wirklich raus zu kommen.

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  41. @Jan
    Wollen wir diese Freiheit überhaupt? Wollen wir wirklich, dass alle Geschäfte immer offen haben, alle Maschinen produzieren, notwendiger- und konsequenterweise auch alle Schulen und Kindergärten geöffnet haben, jeden Tag, 24 Stunden lang?
    Du magst es vielleicht nicht glauben aber ich will so eine Gesellschaft. Ohne Hamsterkäufe vor bzw. nach Feiertagen. Ich möchte meine Kinder in qualitative Betreuung geben können, wenn ich es zeitlich brauche. Auch in deren Ferienzeiten. Ich will mich nach einer langen Nacht (ob wegen Beruf oder Party ist mal egal) auch um halb 4 Uhr früh in ein Café oder eine Kneipe setzen können und frühstücken. Ich will mit den Öffis rund um die Uhr fahren können.

    Wie das funktionieren kann, ist die Frage. Aber ich würde es nicht von vornherein ablehnen, sondern schauen, unter welchen Bedinungen, mit welchem Weltbild das möglich wäre.

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  42. @antje schrupp: ich bin erst heute auf ihren blog gestoßen. nett, das.

    aber: „Ich denke, das liegt daran, dass wir das, was sich da verändert, noch nicht richtig nutzen. Dass die alten Konzepte von „Arbeit“, die im Industriezeitalter entstanden sind, noch immer in unseren Köpfen herumkreisen. Ich denke, dass es möglich ist, die neuen Möglichkeiten so zu nutzen, dass daraus eine Befreiung von alten, überflüssigen Zwängen wird. Einfach deshalb, weil es bei mir so ist.“

    wie lobos annahme, dass „wir es arbeit nennen“? ich weiß nicht. arbeit – das ist nicht einfach bezahlte beschäftigung, noch zeitverkauf. sie beschreiben die arbeit eines schriftstellers, künstlers, eines freien journalisten, aber nicht mehr eines redakteurs, wandmalers (als handwerker) oder eines werbetexters.

    „Das Unerledigte ist nämlich selber ein Phänomen der alten industriellen Arbeitsstrukturen“

    das bezweifle ich leider sehr stark. es zeugt eher davon, was für einer freien tätigkeit sie nachgehen. davon auf alle menschen zu schließen, ist doch sehr voreilig. man denke auch nur an mütter, die sich um ihre kinder kümmern, etc.

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  43. Wenn ich mir das so durchlese bist du mit deinem Job durchaus zu beneiden…
    Aber du gehst auch wirklich hervorragend mit allem um. Ich glaube viele Menschen können sich nicht halb so gut organisieren.

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  44. Gerade habe ich in einer nicht geplanten Pause Deinen Text gelesen, ja in mich aufgesogen!
    Ich bin die Hausfrau, die rund um die Uhr arbeiten könnte und doch nie fertig wird – deshalb höre ich einfach vorher auf. Generell wartet die Arbeit auf mich, dass ich sie tue.
    Ich bin nun 61 Jahre, habe zwei erwachsene Kinder, lebe seit über 30 Jahren in erster Ehe, war wenig berufstätig die ganze Zeit – obwohl ich einen Fachhochschulabschluss habe. Neben der Familienarbeit (was das nun auch alles umschließt), habe ich mich immer ehrenamtlich (kirchlich, sozial, politisch) engagiert, je nach den momentanen Gegebenheiten – auch langjährig als Mandatsträgerin in der Kommunalolitik. Für die Rente war das nichts!!!
    Aber ich hatte quasi ein „leistungsunabhängiges Einkommen“ durch meinen Ehepartner. Ist das ein Privileg? Meine Motivation, was zu bewegen, war und ist hoch. Tätig sein für mich und die nähere und weitere Welt ist wichtig. Dabei ist Einmischung und Rückzug gleichermaßen notwendig für eine gute Psychohygiene.
    Ich lebe gern so, auch wenn ich viele Termine habe!

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  45. Am Bahnhof herumstehen kann zuweilen ganz interessant sein, (falls man nicht gerade dabei ist, einen wichtigen Termin zu verpassen), Solche „unverschuldeten Aus-Zeiten“ bieten eine gute Gelegenheit, die Augen zu öffnen und das „Um-uns-herum“ in Form von Mitmenschen und den damit verbundenen Situationen bewusster wahrzunehmen. Mir jedenfalls liegt es in solchenMomenten nicht daran, ein „Device“ aus der Tasche zu ziehen und darauf herumzutippen.

    Ach, und jenes oben erwähnte Kompositum „Echtzeit“ halte ich für eine ziemlich bizarre Wortschöpfung. Demnach müsste es ja auch eine „Falschzeit“ geben. Gibt es aber nicht, oder?

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