Das Märchen von den schüchternen Frauen

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Bei den Piraten wird das ungleiche Geschlechterverhältnis in ihren Reihen ernst genommen. Jedenfalls ist die relative Abwesenheit von Frauen, soweit ich mitbekomme, Gegenstand von Nachdenken und Diskussionen. Schön.

Allerdings bin ich eher skeptisch über die Richtung. Ein Diskussionsstrang dabei ist derzeit das Bemühen, die eher „schüchternen“ Parteimitglieder mehr zu motivieren, sich „in die erste Reihe“ zu stellen. Auf diese Weise soll offenbar vermieden werden, von „den Frauen“ und „den Männern“ zu sprechen, sondern das Problem soll unabhängig vom Geschlecht auf sachliche Kriterien zurückgeführt werden.

Natürlich wissen wir aber in Wirklichkeit alle ganz genau, wer mit den „Schüchternen“ gemeint ist. Die Frauen eben. Es wird vermutet, sie seien schüchterner als Männer und deshalb so selten in Ämtern vertreten.

Aber ist das plausibel? Wo bitte sehr sind Frauen heutzutage schüchtern? Und schon gar junge? Man liest es doch überall: Junge Frauen können besser reden, sind besser ausgebildet, sind selbstsicherer als junge Männer. Natürlich kommt das mal vor, eine schüchterne junge Frau. Schüchterne junge Männer kommen aber mindestens ebenso häufig vor. Wenn ich all die jungen Frauen, die so im Laufe eines Tages an mir vorbeilaufen, beschreiben müsste, würden mir viele Vokabeln einfallen. „Schüchtern“ wäre nicht darunter.

Die Debatte ist noch aus einem anderen Grund aufschlussreich. Denn sie zeigt gewissermaßen in Reinform die Funktionsweise männlich dominierten Denkens: Sobald sich eine Differenz zwischen Frauen und Männern zeigt, darf diese Differenz nicht stehen bleiben, keine Leerstelle markieren, denn das wäre ja weibliche Eigenständigkeit. Die weibliche Differenz muss sofort einverleibt, also mit einem bestimmten Inhalt versehen werden. Dass der Inhalt „Schüchternheit“ in diesem Fall auch noch eher unplausibel ist, ist da nur ein Nebenaspekt.

Bei diesem Prozess der Einverleibung weiblicher Dissidenz in eine pseudoneutrale (männliche) Logik wirkt die Post-Gender-Idee der Piraten offensichtlich als Beschleuniger: Gerade weil das Wort „Frau“ abgelehnt wird, muss umso schneller etwas an dessen Stelle treten, muss die Leerstelle eine Bedeutung zugewiesen bekommen, mit dem paradoxen Ergebnis, dass die Zuweisung an die Frauen (sie sind „schüchtern“, von Ausnahmen natürlich abgesehen, aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regeln) nur umso klischeehafter ausfällt.

Deshalb bin ich ja so ein großer Fan des Wortes „Frau“: Im Unterschied zu allem anderen, was man über unsereins sagen kann, hat es den großen Vorteil, inhaltlich erst einmal überhaupt nichts zu bedeuten. Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau. „Frau“ wird erst durch das Handeln und Sprechen (idealerweise von Frauen selbst) mit Bedeutung gefüllt. „Schüchtern“ hingegen ist, wie jedes andere „Ersatzwort“, bereits mit einem klaren Inhalt belegt.

Damit will ich nicht sagen, dass es nicht sinnvoll wäre, zu überlegen, inwiefern „Schüchterne“ in Parteidiskussionen besser einbezogen werden können, damit ihre oftmals wichtigen Beiträge nicht verloren gehen. Aber das alles hat nichts mit Frauen zu tun. Oder nicht mehr mit Frauen als mit Männern. Kurz und gut: Es ist keine Antwort auf den geringen Frauenanteil.

Ich bin der Ansicht, dass das, was hier als weibliche „Schüchternheit“ interpretiert wird (weil man die weibliche Differenz nicht aushält oder wahrhaben will), etwas anderes ist: Unlust, Desinteresse, Skepsis, Vorbehalte. Ein Bild, das in der Debatte oft benutzt wird, ist ja die berühmte „erste Reihe“, in die die Frauen nicht hinwollen. Genau. Aber warum nicht? Die Antwort „Weil sie schüchtern sind“ weicht dem Problem aus. Wäre das so, dann bräuchten sie ja nur mal eine Ermunterung, oder, wenn das nichts hilft, einen Arschtritt, oder, im äußersten Fall, eben eine Quote. Da wäre die Partei aber fein raus.

Könnte man den Fall auch noch anders lösen?

Wir (die Redakteurinnen des Internetforums bzw-weiterdenken) hatten vor einiger Zeit Frauen aus verschiedenen Organisationen und Institutionen zu einem Austausch eingeladen hatten. Es ging um die Frage: Wie werden wir „sichtbar und einflussreich, ohne uns anzupassen“? Die meisten der anwesenden Frauen hatten ihre jeweiligen politischen Anliegen bereits in der einen oder anderen Form „institutionalisiert“, also in eine Organisationsform gebracht, die mit der männergemachten Art gesellschaftlicher Organisation, mit der wir es nun einmal zu tun haben, irgendwie kompatibel ist.

Sie alle hatten dabei oft Schwierigkeiten, die „erste Reihe“ zu besetzen. Keine Frau wollte das machen. Das deutsche Recht erfordert aber genau das: Einen Vorsitzenden, einen Chef, einen Verantwortlichen, einen Repräsentanten. Aber viele Frauen wollen das nicht sein. Auch nicht in reinen Frauenorganisationen, wo der Grund ja nicht gläserne Decken oder männliches Konkurrenzgehabe sein kann. Bei den bei unserer Tagung versammelten Frauen kann es definitiv auch nicht „Schüchternheit“ gewesen sein, denn wir waren allesamt erfahrene politische Aktivistinnen.

Nein, ich glaube, viele Frauen (mehr Frauen als Männer) stehen einfach einer Repräsentationslogik, so wie sie für das männliche politische System typisch ist, skeptisch gegenüber: Diesem Prinzip von „Einer übernimmt ein Amt und spricht dann im Namen der Vielen“. Das ist immer ein Fake, eine Anmaßung, das funktioniert so nicht. Es ist ein Einfallstor für Macht und Hierarchien, also für Un-Politik. Die Politik der Frauen basiert auf anderen Regeln; auf dem Sprechen in erster Person, dem Von sich selbst ausgehen.

In Punkto „Vorsitz“ haben übrigens mehrere Frauen bei dieser Tagung erzählt, dass sie es bei ihren Vereinen und Projekten so machen: Es gibt nicht eine Sprecherin oder Vorsitzende, sondern alle sind es. Wer immer angefragt wird, „im Namen des Vereins xy“ zu sprechen, tut das eben. Jede Frau ist eine Vorsitzende, eine Präsidentin, eine Chefin, bei Bedarf. Wenn alle Vorsitzende sind, dann entziehen sich auch Frauen der Verantwortung nicht. Sie haben nichts dagegen, Entscheidungen zu treffen, sie wollen nur nicht die einzige sein, die das tut, und sie wollen es nicht an Stelle der anderen machen (die sich dann zum Beispiel zurücklehnen und stänkernde Tweets abballern, wenn der Chef mal was macht, was ihnen nicht passt).

Die Politik, so wie Frauen sie sich vorstellen und praktizieren, basiert nicht auf Wahlen, auf Hierarchie und Repräsentation, sondern auf Individualität, auf Vertrauen und Verantwortlichkeit. Auch ich bevorzuge diese Art von Politik, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie funktioniert. Besser funktioniert, als die Repräsentationslogik, nach der die Männer ihre politischen Institutionen geformt haben. Jetzt sind sie auch noch ganz stolz darauf, dass wir Frauen seit der Emanzipation auch dazu Zugang haben. Ich persönlich lehne dankend ab. Dann lieber zweite Reihe. Und Ihr könnt mir glauben: Mit Schüchternheit hat das aber auch gar nichts zu tun.


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

37 Gedanken zu “Das Märchen von den schüchternen Frauen

  1. Je mehr Artikel ich lese, die sich kritisch mit dem Frauenmangel bei den Piraten befassen, desto mehr Lust bekomme ich, dort einzutreten. (Mein erster Kontakt zu den Piraten, von denen ich einer ganzen Reihe auf Twitter folge, war übrigens über eine Frau, die ein paar Jahre älter ist als ich selbst.) Es ginge mir nicht darum, dem Frauenmangel dort entgegenzutreten, sondern darum, der Rede von „den Frauen“ entgegenzutreten. In den „Frauen“, wie du sie beschreibst, finde ich mich nicht wieder.

    Und da entsteht für mich der Widerspruch. „Frau“ ist erst einmal inhaltsleer, und was eine Frau ist wird durch das Handeln und Sprechen von Frauen definiert. Aber dann gehören auch die Piratinnen/weiblichen Piraten dazu, die sich ja anscheinend in ihrer Partei im großen und ganzen wohlfühlen, sonst wären sie dort nicht Mitglied. (Die Frau, über die ich die Piraten kennengelernt habe, ist dort schon seit mehreren Jahren Mitglied.) „Die“ Frauen gibt es nicht, und wenn es sie gäbe, dann nur als Spektrum von Verhaltensweisen, zu denen dann eben auch die Piratinnen gehören.

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  2. Vielen Dank! Das ist ein sehr schöner Artikel über die Gründe für das Unbehagen von Frauen, in politische (und auch wirtschaftliche!) Positionen hineingepresst zu werden. Er begründet auch endlich plausibel, warum nicht jede Frau nach der Superkarriere strebt, wie sie es doch eigentlich tun sollte aufgrund ihrer Ausbildung und Leistungen.

    Es bleibt nur übrig, die Organisationsformen so zu ändern, dass Frauen sich gern und ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend beteiligen wollen. Das geht vielleicht am besten sach- oder problemorientiert und eben nicht hierarchisch gesteuert.

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  3. Vergessen darf man auch nicht wie viele Männer sich „verbiegen“ müssen um ihre „Rolle“ auszufüllen.
    Der Kapitalismus ist Wettbewerb bis aufs Schärfste. Dabei gehen nicht nur Frauen unter.
    Jeder Mensch der sich dem Wettbewerbssystem nicht anpasst, wird nieder getreten.
    Das Delegieren von Verantwortung ist so bequem und so gefährlich.
    „…sondern auf Individualität, auf Vertrauen und Verantwortlichkeit….“
    Das ist sicher auch ein Ideal für viele Männer.

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  4. hallo antje,

    ich möchte hier kritik anbringen, und zwar zwei punkte:
    1. „die männer“ haben politische instutitionen geformt? was soll das heißen? und ich es nicht so, dass die mehrheit „der männer“ daran höchstens insofern beteiligt waren, als dass sie sich in etwas fügten? es wäre ja durch und durch falsch, sich die geschichte so vorzustellen: da trafen sich vor über 100 jahren „die männer“ und verabschiedeten dann gemeinsam ein politisches system ….
    tatsache ist doch, das belegt zB der kampf um das allgemeine wahlrecht in österreich, dass die mehrheit der männer ausgeschlossen war (nämlich entlang der kategorie ökonomischer ungleichheit). diese kämpften dann, so wie auch die frauen (frauenwahlrecht) auf zugang zu einem system, das von _anderen_ etabliert worden war (großgrundbesitzer_innen- (!) und zensuswahlrecht).
    2. dann stört mich noch, dass du zum einen schreibst, „frau“ sei inhaltlich leer, dann aber prompt daran schreitest, es zu füllen – und dabei, verklausuliert hinter begrifflichkeiten wie „politik der (!) frauen“ – von „den frauen“ schreibst – und dabei selber beim repräsentieren landest. du präsentierst hier deine vorstellungen von politik, tust aber so, als wären das die aller frauen – schreibst quasi als stellvertreterin.
    ich bezweifle nun, dass alle frauen diese deine haltung teilen. würden das alle frauen so sehen oder aber zumindest eine mehrheit unter den frauen, dann stünde das herrschende politsystem auf sehr wackeligen beinen.

    lg, lahma

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  5. Ich stimme dir grundsätzluch zu. Deswegen kandidieren bei uns kaum Frauen. Aber wir haben diese Strukturen schon ganz gut institutionalisiert tatsächlich. Frage ist nur: Wie kriegen wir das kommuniziert und wie schaffen wir Rolemodels ohne „unweibliche“ (nicht falsch verstehen!) Alphafrauen in die Spitze zu wählen?

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  6. Als Leser dieses Artikels fühle ich mich leider jetz nicht wirklich schlauer. Einserseits erkennst du ganz richtig das wir in DE gezwungenermaßen hirachische Strukturen abbilden müssen, vorallem in Parteien, andererseits schreibst du kurz darauf das Frauen (angeblich) diese nicht mögen und lieber in Offeneren strukturen arbeiten. Das mag zwar so sein hilft uns in der Kernproblematik (Unterrepräsentation in Parteien / Hirachischen Strukturen) keinen Millimeter weiter gerade weil wir nun mal rechtlich gezwungen sind diese Strukturen so abzubilden. Deinen Anregung dann mal eben die Organisationsform zu ändern ist gut gemeint und im Rahmen von Vereinen wahrscheinlich sogar durchaus möglich, aber im rahmen von Parteien sowohl rechtlich (noch?) nicht möglich als auch durchaus inhaltlich hinterfragbar. Gerade im Bereich der Parteipolitik ist eine gewisse Arbeits und Repräsentationsstruktur zur Aufgabenerfüllung nötig befürchte ich. Das man allerdings den Spielraum den uns die gegebenen Rahmenbedingungen setzen maximal ausreizt um allen Menschen die Beteiligung nach ihren vorlieben zu ermöglich, das steht ausser Frage.

    Grüße
    Andi

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  7. noch schnell was zu schüchternheits-these: diese ist abzulehnen, alleine weil sie ein problem, das gesellschaftlich bedingt ist, individualisiert: schüchternheit als persönliches manko.

    allerdings könnte einem/r auffallen, dass „schüchterne“ menschen mal mehr, mal weniger oder auch gar nicht „schüchtern“ sind – dass also „schüchternheit“ was damit zu tun hat, in welchem umfeld man sich bewegt, etwa in einem einschüchternden. niemand ist „einfach so“ schüchtern.

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  8. Ein sehr guter Artikel! Ich hoffe er wird auch innerhalb der Piraten-Szene offen und lebhaft diskutiert.

    Ich sehe auch nicht die direkte Verbindung zwischen „Schüchternheit“ und „Frauen“. Eher ist es doch eher ein generelles Problem, dass in manchen Piraten-Gruppierungen sich nur beschwerlich Kandidaten für Vorsitze finden lassen.
    Liegt vllt auch an der Personengruppe, die sich von der Piratenpartei angezogen fühlt: Eben keine Machtpolitiker bzw. Berufspolitiker.

    Zur eigentlichen Genderproblematik:
    Die Idee keinen Vorsitzenden zu haben wäre wohl das Ideal, was auch die Piraten sich wünschen würden. Aber hier sehe ich eben das Problem, dass es bei vielen an Kompetenz im Umgang mit Medien etc angeht. Wie sich zeigte lassen diese den Unerfahren schnell alt aussehen.

    Zumindest in der Repräsentation nach Außen bräuchte man sorgfältig gewählte Personen.
    Andererseits müßte man mal prüfen, ob es Alternativen zu dem bisherigen System „Wir wählen EINE(N) Vorsitzende(n)“ gibt. Vllt könnte man ja auch eine Gruppe Vorsitzender wählen?
    Auch die Entscheidungs der Vorsitzenden könnten ja durch Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft entstehen bzw. entschieden werden.
    Ich fand die Idee von Marina Weissband ganz witzig ein kurzes Meinungsbild per Twitter einzuholen, ob sie beispielsweise der Bildzeitung ein Interview geben sollte.
    In solchen Formen der Zusammenarbeit wäre die Vorsitzende/die Vorsitzenden nicht auf sich allein gestellt.

    Das alles nur mal zur Anregung. Egal wie man vorgeht, in jedem Fall ist ein mehr an Frauen in der Parteienlandschaft zu begrüßen!

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  9. schöner artikel, danke. verstehe ich das richtig, dass die antwort dann so etwas wie „basisdemokratie“ wäre? ein fast unwort für mich mittlerweile weil ich immer wieder erlebt habe, dass dann überhaupt keine entscheidungen getroffen werden bzw aus zeitmangel die aus meiner sicht falschen bzw sich spaltungen ergeben haben. das mit der zweiten reihe ist mir nicht ganz klar. hierarchien, ja, „männlich“ aber ist nicht eine veränderung auf mehreren ebenen bzw von allen „reihen“ aus nötig? ist es nicht wichtig langfristig ein „system“ oder systeme, gramatiken zu ändern und gleichzeitig kurzfristig verbesserungen herbeizuführen?
    ein schüchterner mann:)

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  10. Auch ich möchte mich bedanken. Mir ist zwar nach Lektüre dieses Artikels noch nicht ganz klar geworden, wie genau die Autorin zu den Piraten steht (ist allerdings an dieser Stelle auch nicht so wichtig). Ich bin aber Dankbar für Ihre Weltsicht die, auch wenn Sie es vielleicht gar nicht wissen, ziemlich der Weltsicht der Piraten entspricht!

    Was bedeutet es, wenn es eine „weibliche“ Art der Teilnahme darstellt NICHT Erste unter gleichen oder überhaupt Erste, Vorsitzende, etc. sein zu wollen? Ja, die Vorstellung, dass eine Gruppe ein Kollektiv darstellt, das Agiert und reagiert, ohne dass einer voran gehen muss und das „Alphamännchen/weibchen“ raushängen lässt, ist den Piraten höchst sympathisch.
    Nicht umsonst wird bei uns die Basis wichtiger genommen als der Vorstand, sind es eher Themen als Köpfe die wir beworben sehen wollen, organisieren wir uns (an einigen Orten) in Crews, die als aktive und kommunikative Kleingruppen konzipiert sind und in denen Führungspositionen alle paar Monate rotieren.
    Das Problem der Piraten ist das Auftreffen auf die Gesellschaft, auf das politische System, auf die Vorstellungen und Diskurse, die lange vor unserer Zeit geführt wurden. Gut erinnere ich mich an die Diskussionen, ob man sich überhaupt den Anforderungen des Parteiensystems stellen sollte, die doch genau das verlangen, was hier kritisiert wird. Posten und Köpfe, Vorangeher und Ansprechpartner. Leider erfordert die Aufstellung einer Wahlliste aber genau das (so sind noch die Gesetze). Es müssen Leute bereit sein, sich ins Rampenlicht zu stellen, der Öffentlichkeit ihre Persönlichkeit entgegenzuhalten und auch bereit sein, Schelte einzustecken. Und es schien bisher einfach so, dass Frauen das nicht so wollen, wie Männer bereit sind es zu tun (einzelne immer anders, klar).
    Dieser Blogbeitrag hat mir jetzt auch eine Erklärung geliefert, warum das so ist. Also, werte Frau Schrupp: Ich bin ganz auf ihrer Linie! Wenn es ginge, würde ich alle organisatorischen Abläufe auf die von Ihnen beschriebene weibliche Weise organisieren. Und ich weiß da viele Piraten hinter mir. Dies erklärt vielleicht auch, warum es Frauen bei uns in der Partei, wenn sie denn für Ämter kandidieren, VIEL LEICHTER haben, diese zu besetzen. Die Bereitschaft, aus der Masse herauszutreten, ist auch bei vielen männlichen Piraten nicht besonders ausgeprägt. Wenn jemand sich traut, wird das sehr honoriert. Wenn es Frauen sind, fallen diese meistens positiver auf. Nicht zuletzt auch deswegen, weil wir wirklich wenige Frauen in der Partei haben. Dies ist aber wohl leider auf unsere ursprünglichen gesellschaftlichen Herkunftsbereiche zurückzuführen. Auch wenn es vielen Gleichberechtigungsfreunden Weh tut, aber unter Programmierern, Webmastern und Physikern (und anderen, ähnlichen Gruppen aus denen sich die ersten Piraten rekrutierten) gibt es einfach viel weniger Frauen. Gründe dafür, sollten wohl an anderer Stelle besprochen werden.

    Gruß

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  11. Sehr wahr. Was mir aber gestern auffiel beim Betrachten des Videostreams von OccupyHamburg: Da gab es ein „offenes Mikrofon“. Es gab die Ansage, dass jeder einfach kommen und reden kann. Nicht als Sprecher oder Represäntant, sondern als Person, subjektiv und frei. Es kamen zu drei Vierteln oder mehr Männer zum Mikrofon (und zur Versammlung?). Die Versammlung war sicher insofern „postgender“, als dass sie Dinge thematisierte, die jeden angehen, und nicht für einen Männerverein oder Nerdklüngel stand, und sie entstand ja erst in dem Moment, als die 5000 Menschen sich auf dem Rathausmarkt trafen. Schüchternheit ist es auch nicht. Wo war dann da das Problem?

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  12. Hier noch eine lustige These: Journalisten fahren auf die Piraten ab, weil die anderen – vor allem die Grünen – schon so alt und uncool sind wie sie selbst.
    http://www.welt.de/debatte/kolumnen/Maxeiner-und-Miersch/article13658348/Die-Gruenen-sind-reif-fuer-den-Seniorenteller.html

    Das hieße also, Frauen über 40 oder 50 könnten die Piraten durch ihren unhippen Eintritt sabotieren. Immer rein in die Claudia-Roth-Klamotten, unter den schwarzen Piratenpullis fallen die umso mehr auf!

    Ja und zum Hauptthema, da kann ich mich nur anschließen. Ich wollte nie Klassensprecherin werden. Wozu gibt es eigentlich Klassensprecher? Um Repräsentation früh zu üben, oder hat das auch einen direkten Sinn?

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  13. Ähem, also mit den „Schüchternen“ sind bei den Piraten eher der Typ Mitglied gemeint, der so als „klassischer Nerd“ gilt, also der eher zurückhaltend ist und sich nicht gern mit vielen Menschen umgibt. Fachlich oft topp, aber schwer anzusprechen. Schüchterne Frauen (die, die keine Nerds sind) sind mir bei den Piraten jetzt eher nicht begegnet, und ich habe Kraft meines Noch-Amtes sehr viel mit den Mitgliedern zu tun. Ich gebe Dir insofern völlig recht, dass mit den Schüchternen nicht die Frauen gemeint sein können. Du hast jedoch unrecht, anzunehmen, dass wir die Frauen auch meinen.

    Antje, ich meine es nicht böse, aber vielleicht wäre es besser, auch mal mit Piraten, egal welchen Geschlechts, zu sprechen.

    Viele Grüße
    Anne

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  14. Ich kann mir vorstellen, dass bei den Piraten überdurchschnittlich viele Aspies (siehe z.B. aspies.de) sind, schon wegen der Kommunikation via Internet. Aspies wirken auch gern mal schüchtern, ohne es zu sein. Und sie haben meist keine Lust auf irgendein Sozialklimbim mit und ohne Gender, das ihnen eh nicht liegt.

    Wie auch immer, vielleicht hat es keinen Sinn, die Piraten ständig an sozialen Maßstäben zu messen, die unter Nicht-Aspies ausgehandelt wurden.

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  15. Was Anne sagt: Und am Rande: „Es gibt nicht eine Sprecherin oder Vorsitzende, sondern alle sind es. Wer immer angefragt wird, „im Namen des Vereins xy“ zu sprechen, tut das eben. Jede Frau ist eine Vorsitzende, eine Präsidentin, eine Chefin, bei Bedarf.“ Gibt es bei den Piraten auch. Nennt sich „piratisches Mandat“, wird nur nicht so häufig genutzt, weil es für viele ungewohnt ist.

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  16. achja @ anne alter, neulich ging auf twitter rum, die dame die unsere wahlkampagne designt hat wäre „damals“, am anfang ihrer zeit bei den piraten, „klein und schüchtern“ gewesen. und der tweet war noch lieb gemeint… bei sowas muss ich echt kotzen. und hört verdammt nochmal auf, aus den eigenen reihen zu behaupten, wir hätten kein problem. ich lasse mir nicht den mund verbieten, keine formulierungen aufzwingen und mich zum kegelclub einzuladen mit den worten „zieh dich mal ordentlich an“ (respektive weiblich) spricht auch eine mehr als deutliche sprache. klar haben wir auch schüchterne jungs und transsexuelle eichhörnchen, aber in erster linie haben wir ein frauenproblem. basta 😉

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  17. Ich glaube auch nicht, dass mit den „Schüchtern“ nun gerade Frauen gemeint sind. Und das ist nicht, weil ich davon ausgehe – positiv gesprochen -, dass die Partei gerade Frauen so definiert. Im Gegenteil – und das sagt ja gerade Anne Alter: es wurde überhaupt nicht an Frauen gedacht.

    @Anne Alter Es ist immer richtig und absolut notwendig, zu jedem Thema die ExpertInnen und die Betreffenen (Betroffenen) zu fragen, sie für sich selbst sprechen zu lassen. Alles andere würde feministischen Grundverständnissen widersprechen. Da stimme ich zu.
    Seltsamerweise frage ich mich aber in diesem besonderen Fall: wozu? Antje Schrupp schreibt über ihren Eindruck und leitet daraus richtige und wichtige Punkte über die Definition von Geschlecht und Organisationsstrukturen ab. Welche Antwort hätte sie also in diesem speziellen Fall bekommen sollen – wenn sie nicht sowieso gefragt hat-: dass gar nicht an Frauen gedacht worden ist? Ich glaube nicht, dass der Blogbeitrag wesentlich positiver ausgefallen wäre. Eher im Gegenteil.
    Hätte sie sich erklären lassen sollen, was sie zu verstehen und zu denken hat? Das würde doch jedem demokratischen und selbstbestimmten politischen Handeln widersprechen. Und genau dafür stehen doch die Piraten oder habe ich das falsch verstanden?

    @Antje Schrupp Vielen Dank für die Ableitung der Einbindung von „Schüchternen“ hin zu einer autonomen, selbstbestimmten Politik der !Anderslauten‘. Ich fürchte nur, dass eine solche gerade in den Strukturen von Parteien nicht so einfach umsetzbar ist. Ich denke da nur an den Installierung des Bundesfrauenrates bei den Grünen, der praktisch jede selbstermächtigte feministische Politik in der Partei getötet hat, und an ähnliche Diskussionen zur Zeit in der Partei DIE LINKE. Und der Irrglaube, dass das Internet demokratische Organisationsformen ermöglichen würde und diese dann auch noch in das ‚reale‘ politische Leben übertragbar wären, wird die Piraten auch nicht zu einer weniger patriarchalen Partei machen als die beiden oben genannten. Leider.

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  18. Meine Fragen als Mann 😉

    Wenn nicht schüchtern, was hält sie dann von der aktiven + äußerlich wahrnehmbaren Arbeit zurück? Insbesondere Punkt 2 scheint (mir persönlich) das Problem, denn sobald eine Person öffentlich wahrnehmbar ist, macht diese sich öffentlich angreifbar. Sich hinter einer großen Masse zu verstecken und andere stellen sich ins Rampenlicht, ist definitiv einfacher. (Für Männchen und Weibchen.)

    „haben übrigens mehrere Frauen bei dieser Tagung erzählt, dass sie es bei ihren Vereinen und Projekten so machen: Es gibt nicht eine Sprecherin oder Vorsitzende, sondern alle sind es.“

    Das ist ein erster interessanter Ansatz. Bis zu welcher (Projekt)Größe wird das gemacht und ab wann gibt es eventuell Probleme? Und welche dann konkret? Bei 10-20 Aktiven ist mein Vorstellungsvermögen dafür durchaus vorhanden, bei 1000, 10.000 oder 15.000 stelle ich mir das recht schwer vor.
    Theoretisch ist dies ja bei den Piraten sogar möglich (@6), wird aber dennoch nicht gemacht. Warum, obwohl doch sogar die gewünschten Organisationsstrukturen vorhanden sind und man sich nicht an ungewünschte anpassen muss?

    Wenn mein Ziel ist, mehr Frauen/Männer/… an den Schaltstellen des (z.B.) politischen Systems oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu haben, ich dies aber nicht davon abhängig machen möchte, ob oben oder unten mehr am Körper ist, meinetwegen auch an allen Stellen: Wie bekomme ich dann mehr Frauen/Männer/… dazu, sich in das Rampenlicht zu wagen und für Änderungen zu ihren Gunsten zu sorgen?

    Und zwar *jetzt* und nicht irgendwann, wenn das System vielleicht vom Repräsentativen zum Direkten eventuell umgewandelt wurde.

    Und wie erreiche ich auch diese Personen, die sich nicht jetzt schon in die Öffentlichkeit wagen (so wie du) und auch nicht anderweitig „aktiv“ sind, sondern die auch diesen Schritt nicht gehen möchten? Es muss doch möglich sein, diese auch zu erreichen und einzubinden. Dafür müsste man aber die Gründe der Zurückhaltung wissen und diese müssen von diesen Personen auch benannt werden, sonst kann man sie nur durch puren Zufall ändern – sehr unwahrscheinlich!

    Auch wenn es für mich wichtiger ist, was jemand kann und nicht wie seine unsichtbaren Gene ihn körperlich geändert haben, so wäre mir ein ähnlicher Anteil von Mann und Frau in allen Ebenen der Gesellscahft doch lieber. Aber nicht um damit eine Quote zu erfüllen, die ohne Probleme dazu geeignet ist, „qualifiziertere Menschen“ auszuschließen, weil sie gerade diese Quote nicht erfüllen.

    PS: Warum wird die Quote eigentlich immer nur beim Phänotyp angewandt? Warum fragt keine(r) nach Religion oder Hautfarbe oder sexueller Orientierung oder geografischer Herkunft oderDialekt oder Körpergröße oder …?

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  19. Auch wenn sies nicht glauben, es gibt genug schüchterne Männer, gerade unter den Nerds. Das also automatisch und alleinig/hauptsächlich als „schüchtern=Frau“ zu interpretieren, ist wohl eher eine diskriminierende Einstellung ihrerseits.

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  20. Anne und Irene treffen den Nagel auf den Kopf.

    Nichts desto trotz ein guter Artikel von Antje. Die Zustandsbeschreibung der Frau in der Gesellschaft, im Bezug auf die existierenden Machtstrukturen ist sehr passend.

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  21. Bei dem Text habe ich mich nun überdurchschnittlich viel am Kopf gekratzt. o_0

    Am Anfang steht, dass generell von „Schüchternen“ gesprochen wird, statt speziell von Männern und Frauen zu reden und später dann, dass Schüchternheit ja gar nichts mit Frauen und Männern zu tun habe. Eigentlich passt das doch wunderbar zusammen?! Irgendwie wird da nur dadurch ein Aufreger draus, dass du unterstellst, dass was anderes gesagt wird als gemeint ist. o_0

    Aber ich hab mich weiter hinten immernoch am Kopf gekratzt. Ich glaube in kaum einer Organisationsstruktur und erst recht in keiner Partei ist das Prinzip von „Einer übernimmt ein Amt und spricht dann im Namen der Vielen“ so unbeliebt wie bei den Piraten. Enno hat das piratische Mandat schon angesprochen, das ist in erster Linie eine Idee aus Berlin. In NRW wurde versucht das „alle sind ein bischen Chef“ mit dem Crew-Konzept soweit es eben notwendig ist zu institutionalisieren (sprich: klassische Verbände mit klassischen Vorständen damit komplett zu ersetzen). Anderswo sind Hierarchien und Repräsentationen auch nicht sonderlich viel beliebter. Die Top-Down-Macht von Vorständen hält sich überall schwer in Grenzen…

    Also ich würde sagen entweder versteckt sich der Teufel da irgendwo im Detail, oder er treibt sich leider doch woanders rum. :/

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  22. Danke für die vielen Kommentare, komme erst jetzt zum Antworten…

    @Lahma Cun – Dass die politischen Institutionen von Männern geformt wurden, ist einfach eine Tatsache. Natürlich waren nicht alle Männer daran beteiligt, aber „männlich“ ist das Ganze insofern, als Frauen ursprünglich prinzipiell davon ausgeschlossen waren. Das heißt, die Wünsche und Anliegen von Frauen sind qua Definition dort nicht eingeflossen. Und: Nein, ich schreibe nicht als Stellvertreterin von Frauen. Feministische Überlegungen und Ideen wurden niemals von „allen Frauen“ geteilt, das ist nicht das Kriterium.

    @Julia Schramm – Ja, genau, das wäre die Frage. Und man muss ja auch nicht für alle Fragen, die gestellt werden müssen, sofort schon eine Antwort haben 🙂 – die Frage zu kennen, ist der erste wichtige Schritt.

    @restest – Das ist interessant, was du von occupy Hamburg beschreibst. Spontane Idee: Eine Rede vor einem „offenen Mikrofon“ ist sehr „beziehungslos“. Man weiß nicht, zu wem man überhaupt spricht, und daher geht es schon vom Setting her mehr um Selbstdarstellung oder darum, irgendwas überhaupt mal gesagt zu haben. Ich glaube, das machen einfach mehr Männer als Frauen gern.

    @Anne Alter – Ich spreche doch mit Piraten, hier zum Beispiel 🙂 – Dass mit den „Schüchternen“ keineswegs die Frauen gemeint sind, erscheint mir jedoch nicht plausibel, weil die Diskussion ja wohl nicht zufällig in direktem Zusammenhang mit dem niedrigen Frauenanteil losgegangen ist.

    @David – Tja, ich schlage erstmal gar nichts vor, ich mache Zusammenhänge sichtbar. Wie gesagt, es gibt eben nicht für jedes Problem sofort eine Lösung.

    @icke – Eine Möglichkeit, Leute, die man gut findet, dazu zu motivieren, Positionen zu übernehmen, ist es, sie darum zu bitten. Ihnen zu sagen: Ich finde dich gut und wünsche mir, dass du das machst. Da wären wir wieder bei konkreten Beziehungen anstatt von anonymen Aufrufen. Open Mics und Calls for Papers, die beziehungslos in die Runde geworfen werden, ziehen eben wegen ihrer „Beziehungslosigkeit“ mehr Männer als Frauen an.

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  23. @ Nils: Ich nehme an, Du meinst den Kommentar zu den Aspies 😉

    Antje:

    Eine Möglichkeit, Leute, die man gut findet, dazu zu motivieren, Positionen zu übernehmen, ist es, sie darum zu bitten. Ihnen zu sagen: Ich finde dich gut und wünsche mir, dass du das machst. Da wären wir wieder bei konkreten Beziehungen anstatt von anonymen Aufrufen.

    In Ickes Frage ging es nicht um Konferenzen und Symposien, sondern z.B. um politische Ämter. Und da vermute ich, dass eher zuviel als zuwenig vorher abgesprochen wird: Wer wen bei was unterstützt und was die Gegenleistung ist zum Beispiel. Es gibt Wahlen, da kriegt man vorher gesagt, wie man stimmen muss, damit tatsächlich das vorab vereinbarte Resultat rauskommt.

    Trotzdem oder meinetwegen auch deswegen könnte man Ermutigungen gezielter einsetzen.

    Icke:

    Warum wird die Quote eigentlich immer nur beim Phänotyp angewandt? Warum fragt keine(r) nach Religion oder Hautfarbe oder sexueller Orientierung oder geografischer Herkunft oderDialekt oder Körpergröße oder …?

    Wenn es nicht ums Geschlecht geht, heißt es meist nicht Quote, sondern Proporz. Die Doppelspitze der Grünen besteht z.B. nicht nur aus einem Mann und einer Frau, sondern soll auch den linken und rechten Flügel repräsentieren. Auch Ministerposten werden derart vergeben, da müssen dann noch die Landesverbände und in der Union die Konfessionen abgebildet werden. (Und die SPD arbeitet an einer Migrantenquote, was immer das heißen mag.)

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  24. Von außen betrachtet sehe ich schon einige Frauen. Und die halte ich weder für schüchtern noch für weniger kompetent. Im Gegenteil. Der Blick kann aber durch eine positive Auswahl verzerrt sein. Was abschreckend wirken könnte, sind die unvermittelt ausbrechenden Shitstorms. Ich kann mir vorstellen, dass dies manche Frau abschreckt.

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  25. Aber ist das plausibel? Wo bitte sehr sind Frauen heutzutage schüchtern? Und schon gar junge? Man liest es doch überall: Junge Frauen können besser reden, sind besser ausgebildet, sind selbstsicherer als junge Männer. Natürlich kommt das mal vor, eine schüchterne junge Frau. Schüchterne junge Männer kommen aber mindestens ebenso häufig vor.

    das ist aber auch nicht plausibel. „das liest man überall“ ist nicht einmal ein argument. die ganze passage ist nicht nur ein strohmann und unbelegt, sondern auch generalisierend.

    zutreffend und belegt ist, dass frauen etwas bessere abchlüsse haben als männer. aber selbstsicherer? woran macht sich das fest? so selbstsicher, MINT-fächer zu studieren, sind jedenfalls die wenigsten. auch fehlt sehr vielen die selbstsicherheit, ihren partner angemessen, d.h. paritätisch an haushalts- und erziehungarbeit zu beteiligen. trotz der oben behaupteten selbstsicherheit orientieren sich jungen frauen heute mehr denn je an medialen vorbildern (siehe Natasha Walter, Living Dolls).

    Ich bin der Ansicht, dass das, was hier als weibliche „Schüchternheit“ interpretiert wird (weil man die weibliche Differenz nicht aushält oder wahrhaben will), etwas anderes ist: Unlust, Desinteresse, Skepsis, Vorbehalte.

    aha, die differenz namentlich: Unlust, Desinteresse, Skepsis, Vorbehalte. und das soll nun die „weibliche differenz“ sein. nein, „Unlust, Desinteresse, Skepsis, Vorbehalte“ sind das ergebins einer einseitigen sozialisation. mit einer originären „weiblichen differenz“ hat das nichts zu tun, bis auf den bedauerlichen umstand, dass diese interessensbegrenzung immer nur weiblichen menschen (meist von weiblichen menschen) mit auf den weg gegeben wird.

    diese fehlentwicklung kultivieren zu wollen als „weibliche differenz“, halte ich für ebenso verfehlt, wie eine einschränkende sozialisation die menschen ihres körpers wegen in die 2. reihe verweist. wieso sollte man eine solche einschränkung im nachhinein euphemisieren und zum „weiblichen“ erklären? diese „weibliche differenz“ erinnert doch stark an die gebundenen füße der chinesinnen, auf die (männer-)welt sich doch bitte einzustellen habe. mein vorschlag: die füße nicht mehr binden!

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  26. Ein interessanter Aspekt an der Frage, warum keine Frau die Führung übernehmen will (wenn ich den Grundgedanken so vereinfacht stehen lassen darf) ist der Vergleich zur aktuellen Empärungsbewegung. Diese legt es gezielt darauf an, keine Führung zu wollen. Geradezu, keine Führung haben zu dürfen. Gibt es hier ein matriacharlisches Prinzip? Oder ist das matriarchalische Prinzip eher ein universelles Prinzip, welches ohne Führung auskommen will? In meiner persönlichen Meinung damit ein gutes Prinzip – wenn Führung dann eine kollektive (was dem Führungsbegriff vielleicht entgegen läuft … schluss, sonst fang‘ ich an zu schwafeln) Kommentare?

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  27. @stephan – Ja, den Gedanken hatte ich auch schon beim Lesen der Berichte über occupy. Bei den Slutwalks war das so ähnlich. Leute, die in Vertretung von Parteien, NGOs und anderen fixen Institutionen kamen, wurden nicht zugelassen. Das gefällt mir sehr gut. Und ja, das „Prinzip“ wird zwar imho von Frauen bevorzugt und schon lange praktiziert, aber es ist „universell“ in der Hinsicht, dass es nicht speziell für Frauen gilt, sondern allgemein. „Führung“ würde sich dann aus dem Kontext und den Beziehungen herstellen – sagt da jemand was, das die anderen in der Situation überzeugend finden und dem sie daher folgen wollen – und nicht aus Macht, also aus Positonen, Ämtern, also „äußerlichen“ Dingen.

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  28. @antje – Das entspräche dann der Hegemonietheorie von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau, nach der das Universelle ein zu einem bestimmten Zeitpunkt hegemonial gewordenes Partikulares ist. Das heißt, dass es DAS Universelle gar nicht gibt und es deshalb – eben auch in Bezug auf Differenz und Leere – immer die Möglichkeit der Veränderung gibt. Universelles wird dann lediglich artikuliert – aktuell durch die occupy-Bewegung. Führung braucht es dafür deshalb nicht, weil das Universelle als Artikulation kontingent ist, d. h. möglich oder unmöglich ist. Momentan ist es möglich und sogar notwendig.

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  29. Sehr schöne Antworten, danke dafür. Genug Anreiz um sich mit dem Thema weiter zu beschäftigen 🙂

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  30. Ich bin selber Pirat und wir arbeiten uns den Arsch ab, um zum Beispiel kommunalpolitische Einblicke zu gewinnen. Es ist nämlich gar nicht so einfach, mal eben sowas auf die Beine zu stellen, wo alle Anderen schon mindestens 30 Jahre Vorsprung haben. Aber was will man machen?

    In dieser ganzen Arbeit ist mir jede Hilfe willkommen, und mir ist, ob Dir Antje das passt oder nicht, vollkommen egal, ob mir eine Frau oder ein Mann hilft. Hauptsache, sie quaseln nicht den ganzen Tag nur über Betriebssysteme, sondern packen mal aktiv mit an. Die Grünen zum Beispiel meinen, extremst viele Frauen zu haben. Aber auf den letzten zwei Mitgliederversammlungen der Grünen, die ich besucht habe, waren immer nur vier bis sechs Frauen und min. 30 Anwesende.

    Mir stell sich in der ganzen Diskussion viel mehr die Frage, warum beteiligen sich Frauen ganz allgemein viel weniger an der pol. Arbeit?

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  31. @Julia Schramm, Anne Alter, brain und??
    zum Thema redet doch mit uns
    Würde ich nach all den Kommentaren gerne machen und Piratinnen interviewen – wer ist dabei?
    Sylvia

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