Mein Problem mit Post-Privacy

Prima leben ohne Privatsphäre? Ja. Aber.
„Prima leben ohne Privatsphäre“ hat Christian Heller sein Buch über Post-Privacy genannt, und das meiste davon kann ich unterschreiben. Er hat im Grunde zwei Thesen:

Erstens:  Die technische Entwicklung des Internet (bzw. der prinzipiellen Digitalisierbarkeit aller Daten) führt unweigerlich dazu, dass das, was wir derzeit als „Privatsphäre“ bezeichnen, verschwinden wird. Einfach deshalb, weil das Bemühen, Daten vor einer Veröffentlichung und damit dem Zugriff der anderen zu schützen, immer aufwändiger wird und negative Begleiterscheinungen hat, sodass es letztlich auf einen Kampf gegen Windmühlen hinausläuft.

Zweitens: Diese Entwicklung hat positive Aspekte, denn sie kann uns zu einer kulturellen Neuausrichtung führen, die letzten Endes nicht weniger, sondern mehr Freiheit mit sich bringt.

Soweit gehe ich im Großen und Ganzen d’accord.

Meine Zweifel setzen an dem Punkt an, wo aus der Verfügbarkeit von Daten Prognosen für die Zukunft abgeleitet werden. Denn hier gerät ein wesentlicher Aspekt aus dem Blickfeld. Verdaten und damit digitalisieren lässt sich nämlich nur Vergangenes, im äußersten Fall die Gegenwart. Die Zukunft steht aber nicht fest. Sie lässt sich auch nur als Wahrscheinlichkeitsrechnung prognostizieren. Alle diese Prognosen sind unweigerlich falsch, weil sie eine grundlegende Fähigkeit außer Acht lassen, die wesentlich zum Menschsein dazu gehört: Die Fähigkeit, Neues in die Welt zu setzen.

Auf die Spitze getrieben schildert Heller die Illusion, Datenbestände in die Zukunft zu katapultieren, am Beispiel eines Science Ficition-Romans (Accelerando von Charles Stross), wo Persönlichkeiten früherer Zeiten „resimuliert“ werden. Die Idee ist: Wenn man nur sämtliche verfügbaren Daten über einen Menschen sammelt, dann kann man – ungeheure technische Fortschritte vorausgesetzt – diesen Menschen irgendwann später wieder „resimulieren“, also neu zusammensetzen.

Ich will gar nicht bestreiten, dass man das vielleicht kann. Aber ich stelle mir vor, ich würde das so machen: Sämtliche über mich verfügbaren Informationen würden irgendwo abgespeichert und ich sterbe. In hundert Jahren wird das dann alles wieder zusammengebaut. Wäre das dann wieder ich? Wäre das die Unsterblichkeit?

Nö. Ich wäre weiterhin so tot wie eh und je, nur eine Simulation meiner selbst würde dann herumlaufen. Das wäre mir aber vollkommen egal, denn ich würde das ja nicht mehr mitbekommen.

Und zwar deshalb, weil es „in mir“ etwas gibt, das sich nicht verdaten lässt. Und  zwar das, was zwar „in mir steckt“, aber gewissermaßen noch nicht rausgekommen ist, sich noch nicht materialisiert hat, und damit auch nicht „verdatbar“ ist und also nicht abgespeichert werden kann.

Nun könnte man das als Spitzfindigkeit abtun, aber das Ganze ist wichtig, weil die „Privatsphäre“ dafür doch wieder entscheidend ist. Und zwar an dem Punkt, wo das „Neue“, das ich in die Welt setzen könnte, gerade erst im Entstehen begriffen ist. Neues kommt ja nicht mit Donnerschlag auf die Welt, sondern in einem Prozess. Und meine These ist, dass es gerade für diesen Prozess des Gebärens von Neuem unabdingbar ist, dass er nicht in der Öffentlichkeit stattfindet.

Nehmen wir zum Beispiel eine Idee, eine Ahnung, eine Intuition, eine Erfahrung, aus der irgendwann vielleicht mal ein neuer Text, eine neue Theorie, ein neues Argument hervorgehen kann – also etwas, das ich dann ins Licht der Öffentlichkeit entlasse. Dieser Prozess von der Idee zur öffentlich vertretbaren „Äußerung“ ist prekär, verletzlich, heikel. Vielleicht ist ja die Idee falsch, die Intiution ein Vorurteil. Vielleicht ist sie sogar gefährlich. Vielleicht hat sie das Potenzial, andere zu gefährden. Vielleicht macht sie die Welt schlechter und nicht besser, wie ich es eigentlich vorhabe.

Meiner Erfahrung nach sind auch solche „falschen“ – oder zumindest teilweise falschen – Ideen notwendig, um etwas Neues hervorzubringen. Und genau dafür brauche ich Privatsphäre. Einen Raum, in dem ich mit Sachen experimentieren kann, die potenziell falsch und gemeingefährlich sind.

Wenn ich etwas Neues erfinde, dann brauche ich auf jeden Fall Austausch mit anderen. Ich muss meine steilen Thesen und unbewiesenen Intuitionen mit anderen diskutieren, muss sie in gegebenen Situationen ausprobieren. Ich kann sie nicht allein in meinem Kopf ausbrüten, sondern ich  muss sie sozusagen in einem begrenzten Feldversuch in Kontakt mit der Welt bringen.

Normalerweise passiert das in geschützten Räumen. In Gesprächen mit Freunden am Küchentisch. In kleinen Treffen mit feministischen Denkfreundinnen. In Texten, die ich in den Computer tippe und dann wieder lösche, bevor die Welt sie gesehen hat. In einem solchen Rahmen kann ich „frei von der Leber weg“ reden. Es ist nämlich nicht so, dass Gedanken im Kopf entstehen, sie entstehen erst beim Sprechen. Ideen formen sich durch die Begegnung mit der Welt. Allerdings nicht mit der ganzen Welt, nicht mit der Öffentlichkeit. Sondern mit einer kleinen Welt. Ich kann sie äußern gegenüber Menschen, die mir wohlgesonnen sind, die mich verstehen, die behutsame und kluge Hebammen für diese Ideen und Gedanken sind.

In diesem „privaten“ Raum reifen diese Ideen dann heran zu etwas, für dessen „Veröffentlichung“ ich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen. Indem ich es der ganzen Welt zumute. Und ab da habe ich es nicht mehr in der Hand, was daraus wird. Wenn eine Idee erst einmal öffentlich ist, können alle damit machen, was sie wollen. Sie können sie missverstehen zum Beispiel. Sie können davon auf eigene Ideen gebracht werden, gute wie schlimme. Genau so charakterisiert Hannah Arendt das Handeln (im Unterschied zum Herstellen und zum Arbeiten) – als etwas, auf dessen Folgen man keinen Einfluss mehr hat, weil nun die Freiheit der anderen zum Zug kommt, die das, was man selbst gesagt oder getan hat, aufgreifen und weiter führen wie sie wollen. Aber man trägt natürlich trotzdem dafür Verantwortung. Deshalb darf man dabei nicht leichtfertig sein.

Deshalb stelle ich es mir sehr problematisch vor, wenn eine Idee schon öffentlich wird, bevor sie das entsprechende Reifestadium erreicht, in dem ich mich dazu entscheide, diese Verantwortung für alles, was daraus folgt, zu übernehmen. Dieses Bewusstsein der Verantwortung für das, was man tut und sagt, ist leider jetzt schon im Internet ziemlich unterbewertet. Ich finde, man muss es kultivieren, also das Bewusstsein für diesen Übergang vom Privaten ins Öffentliche pflegen.

Und zwar besorgt mich dabei nicht einmal so sehr dieser Prozess der „falschen“ Verwendung meiner „falschen“ (weil noch unfertigen) Gedanken, obwohl das schon schwerwiegend genug wäre. Was mich noch viel mehr besorgt ist die Befürchtung, ich könnte solche Ideen vielleicht erst gar nicht mehr hervorbringen. Ich würde die „Zensur“, die mich heute davon abhält, zum Beispiel alles in diesen Blog zu schreiben, was mir durch den Kopf geht, nicht erst an dieser Stelle einsetzen (also bei der Frage: Ist es schon reif zur Veröffentlichung oder noch nicht?), sondern bereits früher, nämlich bevor ich mir die Idee überhaupt irgendwo zu haben erlaube.

Wenn wir in einer Kultur leben, in der jede Äußerung per se öffentlich ist, dann, so glaube ich, schränken wir unser Potenzial zum Hervorbringen von Neuem drastisch ein. Weil wir unweigerlich bei allem die Reaktionen der anderen (und zwar aller anderen) mitbedenken müssen. Weil wir keine Orte mehr haben, an denen wir mit Unfertigem experimentieren können. Dann wird unsere Kultur noch vorhersehbarer, noch langweiliger als sie ohnehin schon geworden ist.

Und dann sind wir tatsächlich nicht mehr wir selbst. Sondern nur noch eine müde Simulation aller unserer Daten.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

19 Gedanken zu “Mein Problem mit Post-Privacy

  1. Ja, das Hinausplärren von unausgegorenen Ideen erleben wir seit Jahren bei unseren Politiker-Darstellern, und ja, bei diesen Ideen-Frühgeburten kommt selten etwas Ausgereiftes heraus. Dennoch – die Transparenz der Gedanken-Prozesse könnte auch als Anreiz, Anstoß, Bereicherung dienen – wenn wir lernen, die Brainstorming-Regeln (erst mal abwägen, stehen lassen, keine Totschlagargumente, keine Killerphrasen) anzuwenden,

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  2. Ich habe zu dem Buch ja ähnliches angemerkt. Die Idee und Funktion des Schutzraumes – übrigens auch für die Bildung von emanzipatorischen Bewegungen – ist sicher ein Punkt.

    Aber wo fängt der Schutzraum an, bzw. wo muss er anfangen? Ich habe zum Beispiel gemerkt, dass so ein Blog ja durchaus die Gelegenheit bietet – und zumindest auch von mir so genutzt wird – nur halbfertig Gedachtes zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls, wenn man es vergleicht mit dem, was ich journalistisch oder gar wissenschaftlich formuliere. Und ich tue das absichtlich so profitiere auch davon, weil das Feedback und das Austesten ein wesentlicher Teil meines Gedankenprozesses geworden ist.

    Wenn es also den Schutzraum der Ideen gibt, dann heißt es noch lange nicht, dass die Grenze dazu fix ist. Mit dem Internet hat sie sich bei jedenfalls deutlich verschoben. Das ist gut, weil es so mehr Anknüpfungspunkte zum Zusammendenken gibt.

    Es ist auch denkbar, dass die Grenze sich weiter verschieben wird. Ich stelle immer öfter mir plötzlich in den Sinn kommende Thesen bei Twitter ein. So „These: …“. Das heißt, ich denke beinahe in Echtzeit ins Internet hinein und benutze meine Follower quasi als neuronalen Resonanzkörper – wie ein soziale Gehirn.

    Dieser Entwicklung sind praktisch und theoretisch also keine Grenzen gesetzt. Höchstens, weil uns heute noch die nötigen kulturellen Techniken zum sozialen Denken fehlen.

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  3. Es ist nämlich nicht so, dass Gedanken im Kopf entstehen, sie entstehen erst beim Sprechen.

    ahja, und dieser satz ist dann wohl durch tippen entstanden?

    natürlich enstehen gedanken durch denken und zwar im kopf. dann kann man sie aussprechen oder weiter denken. menschen, die z.b. nicht (mehr) sprechen können, sind natürlich zu gedanken fähig. soll auch schon geholfen haben, vorm sprechen oder schreiben zu denken.

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  4. @mspro – Ja klar, die Grenze ist fließend, es gibt kleinere und mittlere und größere Welten, und Twitter und Blogs sind so was dazwischen. Allerdings ist mir schon durchaus immer bewusst, dass Dinge, die ich dort poste, öffentlich sind, und ich agiere dort anders als gegenüber Leuten, denen ich vertraue.

    Worauf es mir ankam, war, diese „Schutzraum“-Debatte im Zusammenhang mit Postprivacy von der Opfer-Schiene etwas wegzubringen. Diese Notwendigkeit, dass Privatsphäre ein Schutzraum für Menschen sein kann, die nicht auf der privilegierten Normseite stehen, wird ja oft betont und darauf geht Christian Heller in dem Buch ja auch ein. Vielleicht etwas zu optimistisch, aber dass die Abschaffung von Privatsphäre in der Hinsicht mindestens ambivalent ist, also auch dazu führen kann, dass die Norm aufgeweicht wird, das sehe ich auch so.

    Aber „Schutzräume“ haben eben nicht nur die Funktion, dissidente oder normabweichende Praktiken zu ermöglichen, das ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist – und die wird soweit ich sehe noch nicht diskutiert – dass dieser „Schutz“ generell notwendig ist, auch auf Seiten von denen, die der Norm entsprechen bzw. in einer privilegierten Position sind. Denn bei ihnen ist die Gefahr, dass sie „falsche“ Ideen sozusagen vorzeitig und verantwortungslos in Umlauf bringen, doch eigentlich noch größer. Weil ihre Ideen nämlich gerade aufgrund ihres privilegierten Status schneller aufgegriffen, geteilt, verbreitet etc. werden und damit potenziell größeren Schaden anrichten können als Ideen von Unterprivilegierten.

    Also, was ich bestreite ist, dass Privatsphäre in einer komplett toleranten und nicht mehr normierenden Gesellschaft nicht mehr notwendig wäre, weil es dann keine Unterprivilegierten mehr gäbe, denen man aus ihren Daten einen Strick drehen könnte. Denn dieses Strick drehen ist noch nicht das ganze Problem in diesem Zusammenhang.

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  5. hallo antje

    vorneweg: ich habe das buch noch nicht gelesen, aber ich stimme deinen zwei eingangszustimmungen auch zu. das für mich spannende ist dass es durch technik offensichtlich notwendig wird sich den privatsphärebegriff neu anzuschauen. plom zeigt immer wieder schön dass eine aufgabe von privatem – was ja nichts anderes bedeutet als das öffentliche zu fördern – viele vorteile für sich und viele andere hat. so weit so kommunistisch und sympathisch.

    das heißt aber nicht, dass privatsphäre keinerlei berechtigung mehr hat, weil mensch eben nicht nur node in einem kollektiv komplett gleicher ist, sondern auch umfelder braucht in denen er informell und dadurch barrierearm für seine ideen feedback sammeln kann, um seine ideen zu verfeinern. (kann sein dass das irgendwann nicht mehr nötig sein wird, weil wir alle auf augenhöhe kommunizieren können, schön wäre es – aber dort sind wir noch nicht)

    ich würde erstmal sagen dass alles was man mit anderen teilt, irgendwie öffentlich ist, es aber reizvolle graustufen dazwischen gibt. einem sehr engen freund vertraue ich andere dinge an wie einer fernsehmoderatorin oder meiner familie. aber sobald ich mich jmd anvertraue ist es immer möglich dass der andere entscheidet ob das ganze nicht doch noch öffentlicher sein sollte als ich es eigentlich dachte. das ist ein bisschen so wie mit liquid democracy wo ich bewusst delegiere um anderen diese entscheidungsmöglichkeit zu geben was mit meinem informations- und beeinflussungsdatum passiert. alles controlfreakig von a-z bestimmen zu wollen kann nicht funktionieren, aber gerade das zwischending – vertraute darüber entscheiden zu lassen was sie mit meinen „geheimnisen“ anfangen macht kommunikation so lohnenswert. in einer hypervernetzten welt geht das gar nicht mehr anders ohne sich zum einsiedler zu machen. dieser liquid-demokratische ansatz erscheint mir sehr plausibel um individuelle emanzipation mit kollektiver weiterentwicklung zu verbinden.

    was ich zu dem thema auch noch sehr spannend fand war der podcast mit philip banse und seda gürses über status quo und zukunft des datenschutzes: http://medienradio.org/mr/mr050-wat-nu-datenschutz/

    liebe grüße korbinian

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  6. Muß es eigentlich facebook sein? Es gibt doch auch geschlossene Blogs (solche, bei denen man sich mit Password Zugang verschaffen muß), das Plone-Zeug und mit Sicherheit noch andere Systeme, mit denen man geschlossene Gemeinschaften organisieren kann.

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  7. Die Idee ist:

    … ein alter Hut.

    Wenn man nur sämtliche verfügbaren Daten über einen Menschen sammelt, dann kann man – ungeheure technische Fortschritte vorausgesetzt – diesen Menschen irgendwann später wieder „resimulieren“, also neu zusammensetzen.

    Josef Weizenbaum hat den Ideologen der Künstlichen Intelligenz einen Gebärneid unterstellt, das passt hier auch schön.

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  8. Nach dem ich Gestern bei einem Treffen der LAG Medien, der LAG Demokratie (Grüne SH) und Herrn Thilo Weichert zusammensaß, um darüber zu beraten, wie die Grünen-SH in Zuskunft mit den Facebookseiten umgehen wollen, habe ich mich abermals gedanklich intensiv mit dem Konflikt Privatsphäre vs. Informationsfreiheit bzw. mit Schutz und Freiheit auseinandergesetzt.

    Erlaubt mir bitte ein Gedankenexperiment – am Ende beziehe ich mich auf Antjes Expedition in die Unendlichkeit der Erkenntnis (mein Versuch ein Kompliment zu formulieren 🙂

    Also – dass ich permanent auf meinen Schutz achten muss/soll/darf, empfinde ich immer mehr als eine Behinderung in meiner Entfaltung. Bis ich von meiner Wohnung in den nächsten relativen Freiraum (Straße) komme, muss ich zwei Türen, ein Tor und ein Fahrradschloss öffnen – ggf. hinter mir wieder abschließen. Endlich auf der Straße muss ich auf Fahrradwegen fahren, damit mich niemand umfährt, nutze im Laufe des Tages verschiedenste Dienstleistungen und verwende dafür entsprechende Codes – und zwar so, dass sie mit niemanden teilen muss. Kommuniziere ich mit Menschen, wird Verschwiegenheit gefordert – gern flankiert Sanktionsdrohungen. Ich erlebe meinen Alltag permanent in latenter Bedrohung – an die ich noch nicht richtig gewöhnt habe – zum Glück. Und ich frage mich, warum eigentlich und wodurch genau „andere“ berechtigt sind mich zu bedrohen? Wieso hat mein Vater mich zum Selbst-Schuldigen gemacht, als mir mein erstes Fahrrad gestohlen wurde? Wodurch genau wird jemand berechtigt ein nicht abgeschlossenes mitzunehmen?

    Im Laufe der Zeit in der sich schon öfter jemand berechtigt sah, mein Rad mitzunehmen (ich habe bei 20 aufgehört zu zählen), ist mir aufgefallen, dass meine Fahrradschlösser immer größer, komplizierter und schwerer wurden und ich musste immer mehr Ballast mitschleppen. Gleichzeitig haben aber auch die, die sich berechtigt sehen, Werkzeuge entwickelt (aufgerüstet) um sich weiterhin bedienen zu können. Wie komme ich nun aus diesem Machtkampf über die Kontrolle meines Fahrrades, der mich unter dem Strich mehr blockiert als befreit, heraus? Ist das nicht auch eine Art von „Überwachungs-Katz-und-Maus-Spiel“, wie es die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei in einem anderen Zusammenhang bezeichnet?

    Welche Optionen gibt es für mich mit der Bedrohung umzugehen?
    JedEn die ich um Rat frage gibt mir eine der folgenden Antworten:

    a) Ich rüste meinen Schutz weiter auf – investiere noch mehr Ressourcen und hoffe unter dem Strich der Gewinner zu sein.

    b) Ich akzeptiere die Berechtigungen der anderen sich Vorteile zu verschaffen bzw. sich auf meine Kosten zu bereichern.

    c) Ich weiche dem Problem aus indem ich mir kein Fahrrad mehr kaufe, das sich jemand anderes nehmen kann und akzeptiere die entsprechenden Einschränkungen meiner Mobilität/Entfaltung.

    d) Ich berechtige mich ebenfalls dazu mir ein Fahrrad nach Bedarf zu nehmen und nehme lerne damit umzugehen andere zu bedrohen.

    Vermutlich gibt es noch weitere Optionen, die mir gerade nicht einfallen. Was mir allerdings auffällt, ist, dass scheinbar das Phänomen sich-zu-Handlungen-zu-berechtigen dabei gar nicht in Frage gestellt wird, als wenn es ein Naturgesetz sei.
    Ist das so?

    @Antje Du schreibst von Deinen Ideen, die „prekär, verletzlich, heikel“ und damit schutzbedürftig sind und ja, ich kenne das und das Bedürfnis nach einem entsprechendem Schutzraum. Gleichwohl bin ich es Leid meine Energie in Schutztechniken zu investieren. Ich habe gar den Verdacht, dass das System hat. Ich wage weiter die These: Dass es eine Bedrohungen dieser Art gibt, ist nicht Naturbedingt, sondern ist deshalb so, weil das jemand so will. Bleibt die Frage: Wer will das? Wem nutzt es? Wer zieht die Vorteile aus diesen Verhältnissen?
    Wenn wir uns ausschließlich auf den Schutz vor Bedrohung (abschließbare Räume, Fahrradschlösser, Mauern, Grenzen, Verteidigungslinien, etc.) konzentrieren, wird das an der Bedrohung selbst gar nichts ändern können. Ich fürchte sogar, dass es die Bedroher in ihrem Handeln eher legitimiert: „wenn das Fahrrad nicht oder unzureichend abgeschlossen ist, darf ich es nehmen“.

    Im Übrigen ist mir Gestern unmissverständlich von Herrn Weichert mitgeteilt worden, dass es im Konflikt um Facebook um eine rein machtpolitische Frage geht – seine Behörde vs. Facebook. An der Bedrohung, die faktisch da sein mag, oder nur von ihm vermutet wird, will er nach meinem Eindruck nichts ändern, denn sonst verlöre seine Behörde ihre Macht bzw. ihre BERECHTIGUNG.

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  9. Im Laufe der Zeit in der sich schon öfter jemand berechtigt sah, mein Rad mitzunehmen (ich habe bei 20 aufgehört zu zählen), ist mir aufgefallen, dass meine Fahrradschlösser immer größer, komplizierter und schwerer wurden und ich musste immer mehr Ballast mitschleppen.

    Mein Tipp: Zieh in eine Kleinstadt in Niederbayern. Da ist Dein Rad auch nicht 100 % sicher, aber 100 mal sicherer als in Berlin.

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  10. Was mir allerdings auffällt, ist, dass scheinbar das Phänomen sich-zu-Handlungen-zu-berechtigen dabei gar nicht in Frage gestellt wird, als wenn es ein Naturgesetz sei.

    scheinbar, de facto sieht es anders aus. es wird quasi auf schritt und tritt in frage gestellt. es existiert eine ganze maschinerie aus legislative, judikative und exikutive mit zahloosen gesetzen, kontroll- und vollzugsbeamten, strafanstalten usw. zur eindämmung des „sich zu handlungen zu berechtigens“. überdies gibts moralische instanzen, eltern, erzieher, schule, kirche, medien, kultur u.v.a.m., die allesamt angtreten sind, um menschen zur einsicht in die grenzen ihres berechtigtseins zu bringen. trotz alldem gelingt es nicht bei jedem.

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  11. An zwei Punkten möchte ich deutlich widersprechen:

    Daten und Zukunft
    Schon jetzt wirken meine Daten in die Zukunft und werden es weiter tun – und zwar ohne meine Freiheit aufzuheben. Beispiel: Ich buche einen Flug, der erst in einigen Monaten stattfinden wird. Vielleicht steht noch gar nicht fest, welche Maschine eingesetzt wird. Weil sich aber abzeichnet, dass es viele werden, setzt die Fluggesellschaft eine große Maschine ein. Ob ich den Flug tatsächlich wahrnehme oder nicht, ist im Grunde zweitrangig. Es ließen sich unendlich viele Beispiele finden, die zeigen, ich ich in die Zukunft hinein relevante Datenmuster produzieren kann. Neulich kaufte ich eine Waschmaschine, die für 5000 Betriebsstunden ausgelegt ist … es ist absehbar, wann ungeführ ich wieder eine neue brauche….

    Internet und Neues
    Und auch die Frage, wo neues entsteht, ist nicht zwingend an einen offline-Schonraum gebunden. Das ganze Netz ist voll von Beispielen, die zeigen, dass Menschen unfertige Ideen veröffentlicht haben, eben um die Kommunikationsstruktur des Netzes zu nutzen, das auszubrüten. Ich erstelle z.B. häufig Artikel in Wikipedia, die nicht viel mehr als ein Stub, also eine erste Notiz sind, weil ich weiss, dass durch die Community das häufig recht schnell ausgebaut wird. Andere Autoren arbeiten wochenlang an einem Artikel und veröffentlichen ihn erst, wenn alles (aus ihrer Sicht) fix und fertig ist (und wundern sich dann, wenn andere das überpinkeln ….

    stefan

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