Die Männer und das Patriarchat

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In einer der letzten Ausgaben von „Via Dogana“, der Zeitschrift des Mailänder Frauenbuchladens (Juni 2011), gibt es einen Artikel von Riccardo Fanciullacci, der sich unter dem Titel „Das Patriarchat ist zu Ende. Und wir?“ mit der Frage beschäftigt, mit welchen Themen und Herausforderungen es Männer heute zu tun haben. Mir scheinen seine Überlegungen interessant, und vielleicht sind sie das ja auch für den ein oder anderen Mann im deutschen Kontext. Wobei er aus der Position eines Mannes schreibt, der vom Feminismus viel gelernt hat, der die Freiheit von Frauen als Chance und nicht als Bedrohung sieht und an konstruktiver Zusammenarbeit mit Frauen interessiert ist – alle anderen brauchen hier bitte auch gar nicht erst weiterlesen.

Fanciullacci unterrichtet Philosophie an der Universität von Verona und daher bezieht er sich zunächst auf eine These, die vom italienischen Differenzfeminismus angestoßen wurde, aber hier in Deutschland nicht so bekannt ist, weshalb ich sie vorab kurz rekapituliere. Der Gedanke, dass das Patriarchat möglicherweise schon zu Ende ist, stammt von Luisa Muraro, die ihn 1996 in einem Artikel namens „Freudensprünge“ formuliert hat (in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Diotima: Die Welt zur Welt bringen, ich habe darüber 1998 ein Interview mit ihr geführt) und der dann auch Grundlage einer Flugschrift des Mailänder Frauenbuchladens wurde, dem so genannten „roten Sottosopra“ mit dem Titel „Es ist passiert – nicht aus Zufall“.

Gemeint ist offensichtlich nicht, dass mit dem Ende des Patriarchats das Paradies auf Erden angebrochen sei, sondern dass die Aufgabe, vor der freiheitsliebende Frauen stehen, nicht länger die bloße Kritik an patriarchalen Zuständen ist, sondern dass „die konstruktive Arbeit an einer erneuerten symbolischen Ordnung wichtiger wird als die Kritik an der vergehenden Zweiteilung“ – so formuliert es Ina Praetorius in ihrem neuen Buch, die dafür im deutschsprachigen Raum auch den Begriff des „postpatriarchalen Denkens“ geprägt hat.

Mir hat damals der Gedanke, dass der Kampf gegen das Patriarchat längst nicht mehr der Anknüpfungspunkt für feministisches Handeln sein sollte, sofort eingeleuchtet, aber es war schwer, das in Deutschland zu vermitteln (was ich eine Zeitlang versucht habe). Aber der Widerstand gegen diesen Gedanken war groß und die Diskussionen meist unfruchtbar, zu fest verankert war im Feminismus die Idee, dass „das Patriarchat“ noch immer in voller Blüte stünde.

Inzwischen meine ich, dass – auch wenn die Formulierung vom „Ende des Patriarchats“ im deutschen Feminismus noch immer oft zu Stirnrunzeln führt – die konkreten Entwicklungen diese Diagnose bestätigt haben. Denn so unterschiedlich die Aktionsweisen und Denkansätze von politisch aktiven Frauen auch sind, so offensichtlich ist es doch, dass sie alle der Arbeit an einer postpatriachalen Gesellschaft faktisch den Vorrang vor dem Kampf gegen klassische „Männerherrschaft“ geben:

Zum Beispiel, wenn Feministinnen keine Lust mehr haben, Männern weiterhin zu erklären, worum es eigentlich geht, sondern sie darauf verweisen, dass das längst überall nachgelesen werden kann. Oder wenn Frauen sich von der Politik der Separation verabschieden und den starken Wunsch haben, die Gestaltung der Welt gemeinsam mit Männern in Angriff zu nehmen. Oder wenn sie keine Lust mehr haben, sich an gläsernen Decken in Institutionen abzuarbeiten, sondern die Angelegenheit jetzt endlich mal mit Hilfe einer fixen Quote hinter sich bringen wollen. Oder wenn ein „sexpositiver“ Zugang zu Pornografie verlangt wird, weil sich das Thema nun wirklich nicht in der Kritik an gewaltförmigen Sexdarstellungen erschöpft. Oder wenn Politikerinnen von Angela Merkel bis Marina Weisband ganz selbstverständlich mit vollster Autorität agieren, ohne aus ihrem Frausein ein Geheimnis oder ein großes Bohei zu machen.

Ich bin bekanntlich nicht mit allem davon einverstanden, und teilweise sind die Anliegen dieser Frauen auch miteinander unvereinbar, aber das Gemeinsame daran ist, dass die Kritik an Männerherrschaft nicht mehr im Zentrum ihrer Interessen steht, sondern dass sie darüber hinaus wollen. Dass für sie die weibliche Freiheit nichts mehr ist, was gerechtfertigt und erklärt werden muss, sondern der selbstverständliche und nicht zur Diskussion stehende Ausgangspunkt.

Das heißt natürlich nicht, dass es nicht noch Relikte von patriarchalen Mustern gibt, die sehr gefährlich und problematisch sein können. Aber der Umgang mit ihnen ist – von Seiten der Frauen – von einem inhaltlichen Herzensanliegen zu einem pragmatischen In-die-Schranken-Weisen geworden, ob nun Merkel die Patriarchen in ihrer Partei auf Eis legt oder ob feministische Blogs entsprechende Kommentare einfach bei hatr.org abliefern. Die Überreste des Patriarchats sind heute nicht mehr Gegenstand ernsthafter feministischer Analyse, sondern ein Ärgernis wie schlechtes Wetter, mit dem man zwar rechnen und gegen das man etwas unternehmen muss, wobei aber die eigentlichen Aufgaben längst ganz andere sind.

Die These von Riccardo Fanciullacci ist nun, dass Frauen sich diese pragmatische Abwendung vom „Patriarchat“ als Kategorie leisten können, weil für sie das Thema tatsächlich in dem Moment inhaltlich erledigt ist, in dem sie patriarchalen Denkmustern die Glaubwürdigkeit entziehen. Männer hingegen nicht. Männer könnten nicht bloß pragmatisch mit den Ausläufern des Patriarchats umgehen, weil sie in ihrem eigenen Mannsein davon betroffen sind. Freie, also postpatriarchale Männer, so seine These, können sie nur werden, wenn sie „die Aufarbeitung der dunkelsten und tiefgreifenden Wurzeln der patriarchalen symbolischen Ordnung wieder aufnehmen. Die kritische Arbeit am männlichen Symbolischen könnte für uns Männer der direkteste Weg sein, um uns weiterzubringen und die Formen zu verändern, die unseren inneren Weg und unser Begehren prägen.“

Er hat dabei natürlich den Berlusconismus vor Augen, der ein extremes Beispiel für ein „Neopatriarchat“ ist, das politische Verantwortungslosigkeit direkt mit Männlichkeit verknüpft – Berlusconi ist ja nicht einfach nur ein schlechter Politiker gewesen, sondern er hat sein Handeln konsequent mit einer bestimmten Performanz von Männlichkeit verbunden. Auch in Deutschland gibt es Beispiele für eine solche Vermischung von gesellschaftsschädlichem Verhalten mit Männlichkeit, zum Beispiel in Teilen der Männerbewegung oder im organisierten Antifeminismus, aber auch in bestimmten Toppositionen der Wirtschaft oder in bestimmten Bereichen der Populärkultur. Deshalb, so Fanciullacci, sei es für Männer heute notwendig, das Wort „Patriarchat“ weiter zu verwenden, als Analysekriterium, um sich „von einer Erbschaft zu lösen, die ohne eine genaue symbolische Vermittlungsarbeit nicht verschwinden wird.“

Der Weg, den er dafür vorschlägt ist, eine Art und Weise zu finden, sich „auf nicht patriarchale Weise zu einer Frau in Beziehung zu setzen.“ Dafür gebe es keine bestimmte Methode und keine festen Regeln, und vor allem dürfe man nicht allgemein „die Frauen“ dabei im Blick haben. Sondern es gehe darum, sich in der konkreten Beziehung zu einer bestimmten Frau ihrer „jeweils einzigartigen Weise, Frau zu sein“ auszusetzen, und zwar „mit ein bisschen Liebe“. Dafür sei es notwendig, „Vertrauen zu haben in ihre Fähigkeit, uns zu sagen, wenn die Art und Weise, mit der wir ihr begegnen, nicht in Ordnung ist“.

Aber das sei nicht alles. Ein Hauptproblem des patriarchalen Erbes sei es, dass „Männer die außerordentliche Fähigkeit haben, jede Frau in die Position der Mutter zu bringen, und sei sie auch zwanzig Jahre jünger: Um diese Dynamik abzuschalten ist es notwendig, darauf vorbereitet zu sein, indem man sich bemüht, das Knäuel zwischen der jeweils besonderen Form des eigenen Begehrens und dem, was von historisch bedingten symbolischen Ordnungen herrührt, zu entwirren“.

Zum Schluss schlägt Fanciullacci drei Ziele vor, um die es aus seiner Sicht bei der „Transfomation des männlichen Selbst“ geht, und die ich hier zum Schluss wörtlich zitiere:

Erstens: Zu lernen, vor einer Frau zu stehen und ihre Erfolge, ihre Bewegungsfreiheit und die Interessen, die sie irgendwo hin führen, wahrzunehmen, ohne die leiseste Sehnsucht aufkommen zu lassen nach dem alten Bild der Frau als Spiegel, die dem Mann seine eigene Figur in doppelter Größe zurückwirft.

Zweitens: Zu lernen, ihr unsere Bedürftigkeit zu zeigen, ohne gleichzeitig von ihr zu verlangen, unsere Mutter zu sein; oder auch: Die eigene Mutter zu lieben, ohne von jeder anderen Frau die Liebe einer Mutter zu erwarten.

Drittens: Zu lernen, ihr eine hingebungsvolle und ernst gemeinte erotische Kreativität anzubieten, die nicht die Liebe kleinmacht und an ihrer Stelle den immer wieder selben sexuellen Phantasien Raum gibt.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

36 Gedanken zu “Die Männer und das Patriarchat

  1. Damit kann ich mich gut identifizieren als Mann.
    Zu Erstens: Das muss im Eigeninteresse des Mannes liegen. Jede Form der Anhimmelei verneint das Wesentliche des Menschen. Eben dass er ein Mensch ist mit Fehlern und Schwächen.

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  2. Liebe Antje, dieser Artikel scheint mir doch ziemlich zwangsheterosexualisiert zu sein…Was ist denn jetzt die anvisierte Zielvorgabe, damit Männer und Frauen künftig gut zusammenleben können: Frauen in den männlich-homoerotisch-himmlischen Eros der antiken Griechen hineinzubringen (die beste „platonische“ Freundin des Mannes)- oder lieber Männer zu Eunuchen zu machen, damit Frauen nicht mehr penetriert werden können und sie somit ihrerseits einen pseuso-weiblichen-Eros herstellen können…. also eine Art Frau im Bett und im Leben haben…

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  3. Ähem, @Claudia – mir ist nicht ganz klar, was für einen Artikel du da gelesen hast, bevor du diesen Kommentar geschrieben hast. Meiner scheint es nicht gewesen zu sein.

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  4. danke für den Artikel, sehr interessant. Mir war nicht bewußt, dass die Mutter in eine Frau zu projizieren und zu erwarten so sehr im Mittelpunkt zu stehen scheint, dachte, dies Thema sei seit den 80iger Jahren „geklärt“. Interessant finde ich auch die zwei Seiten der Medaille: in der patriarchalen symbolischen Ordnung die Bedürftigkeit des erwachsenen Mannes zu negieren, aber zugleich die Mutter in der Frau einfordern – die Mutter einzufordern, aber sie zugleich in der symbolischen Ordnung der Gesellschaft abzuwerten. Ist mir nicht unbedingt neu, aber fast in Vergessenheit geraten.

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  5. Patriarchat oder Matriarchat ? Wir sollten endlich lernen, dass es beide heute in der alten Form nicht mehr braucht. Meine These ist die: Machos oder auch Patriarchen, das sind Männer die eine schwache Mutter hatten, das heisst die Mütter haben sie verzogen und diese Männer mussten nie Verantwortung übernehmen. Meine Mutter hat uns ganz anders erzogen, jeder von uns bekam täglich im Haushalt seine Aufgabe und wehe dies war nicht oder ungenügend gemacht, so gab es durchaus auch mal böse Worte oder eins hinter die Ohren. Die Schwäche der Frauen ist die: Sie wollen immer die Lieben sein, sie Suchen immer noch Liebe, wo sie doch endlich lernen sollten auch sich selber zu lieben. Zum Glück für die Frauen haben wir Männer uns in den letzen Jahren auch weiter entwickelt und Männer wie Kachelmann und Berlusconie sind eher die Ausnahme.
    Das Ziel muss eine Vereinigung der beiden Marchate sein. Nur zusammen können wir uns entwickeln, eun Mann alleine ist Nichts aber auch eine Frau alleine wird todunglücklich sein.
    Liebe Grüsse zentao

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  6. Es gibt ja sicher auch Frauen, die den Vater im Mann einfordern. Da würde ich tatsächlich nicht so sehr zwischen Mann und Frau unterscheiden. Das hat doch eher etwas mit dem persönlichen Reifegrad zu tun, oder?
    @zentao: Sätze, die mit „Die Schwäche der Frauen ist die…“ beginnen, finde ich nicht gut. Das ist zu pauschalisierend.

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  7. „Die Überreste des Patriarchats sind heute nicht mehr Gegenstand ernsthafter feministischer Analyse, sondern ein Ärgernis wie schlechtes Wetter, mit dem man zwar rechnen und gegen das man etwas unternehmen muss, wobei aber die eigentlichen Aufgaben längst ganz andere sind.“

    Der Vergleich mit schlechtem Wetter ist gar nicht so unpassend – schlechtes Wetter reicht von unangenehmen Temperaturen, die das Wohlbefinden geringfügig beeinträchtigen, bis zum ernsthaften Hagelschaden und darüber hinaus.

    Ganz offen: wenn ich von radikalen Antifeministen Gewaltandrohungen bekomme, finde ich es schwierig, das einfach abzutun. Meine innere Wetterstation nimmt das nicht so leicht. Sollte sie das denn?

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  8. @Claudia: Wer zur Gewalt oder auch „nur“ zur Drohung mit Gewalt greift, der hat den gesellschaftlichen oder privaten Diskurs bereits verlassen und ist ein Fall für das Strafrecht. Dort gehört das auch hin und nirgendwo sonst.
    Antje schreibt ja auch:“Das heißt natürlich nicht, dass es nicht noch Relikte von patriarchalen Mustern gibt, die sehr gefährlich und problematisch sein können.“

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  9. @Claudia – Ja, wie Berthold sagt, es geht mir nicht darum, das „abzutun“. Sondern darum, dass der Kampf gegen diese patriarchalen Relikte nicht das Zentrum und eigentliche Anliegen von Frauen sind. Wie schlechtes Wetter sind sie lästig bis gemeingefährlich, aber sie berühren nicht das eigene Selbstbild, stürzen nicht in Selbstzweifel usw., wie es früher – im Patriarchat – für sehr viele Frauen war. Die Idee, dass Männer mehr wert sind als Frauen, war ja keine, die den Frauen von außen aufgedrückt wurde, sondern viele Frauen hatten das verinnerlicht. Heute glauben das immer weniger Frauen. Und deshalb ist das Patriarchat in dem Sinn, dass es bestimmend für das Selbstverständnis vieler Frauen war, zu Ende, eben weil die Frauen nicht mehr daran glauben.

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  10. Ich weiß nicht, ob es ein Generationsunterschied ist oder ob das nur an meiner persönlichen Abneigung gegenüber Symbolik à la „Frau als Spiegel oder Mutter“ liegt, aber besonders viel kann ich mit Fanciullaccis Vorschlägen nicht anfangen.
    Ich würde das Problem eher darin suchen, dass Frauen mehrere Jahrzehnte Vorsprung im Entwickeln neuer Verhaltensmuster haben (im Sinne einer Individuierung gegenüber patriarchaler Gleichmacherei), während Männer den patriarchalen Gaul quasi bis zum Tod geritten haben und jetzt ohne Vorbilder dastehen, ebenso im Bezug auf ihr Selbstbild wie auf das Bild des Anderen.
    Natürlich müssen dafür auch die symbolischen Ordnungen im Sinne Fanciullaccis hinterfragt und höchstwahrscheinlich abgeschafft werden, aber mein Eindruck ist eher der, dass dies schon geschehen ist und dass viele Männer eher vor einem Vakuum stehen, das vom oft beobachteten sexistischen Backlash ausgefüllt wird, anstatt dass neue Modelle für Männlichkeit entstehen.
    Eine Beobachtung – habt ihr ähnliche gemacht?

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  11. @Yannick: Treffend beobachtet. Das Patriarchat mit seinen einfach zu handhabenden Rollenzuteilungen an Frau UND Mann hat abgewirtschaftet und einige rat- und orientierungslos zurückgelassen. Der“ sexistische Backlash“ ist nur noch eine verkümmerter Pendelausschlag, dem die Kraft fehlt, die früheren Verhältnisse wieder herzustellen. (Was nicht bedeutet, dass er ungefährlich ist.) Man könnte auch sagen, dass das Patriarchat nicht mehr die Kraft hat, Leitkultur zu sein. Mit dem Wegfall der stereotypischen Rollenzuschreibung konnten sich individuelle, freie Frauenpersönlichkeiten entwickelt, wärend die Männer nach wie vor und insbesondere im Bereich der Sexualität mehrheitlich auf vereinfachende Muster sozusagen angewiesen sind. Behält der einzelne Mann das bei, isoliert er sich von der zunehmend größer werdenden Zahl der „freien Frauen“; er erreicht sie nicht mehr und sie sind nicht mehr an ihm interessiert. Möchte er dies ändern, ist ER SELBST in seiner konkreten Beziehungskompetenz gefragt. Im Klartext: ER muß sich bewegen, sich begehrens- und beziehungswert machen, nicht SIE. Das nennt man einen Paradigmenwechsel, womit der Nährboden für neue Modelle der Männlichkeit ausgebracht ist. Die haben jetzt den notwendigen Dünger und die Sonne, um nach dem Lichte zu wachsen.

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  12. @Berthold
    Ich hoffe sehr, dass Du recht hast mit dem „verkümmerten Pendelausschlag, dem die Kraft fehlt, die früheren Verhältnisse wieder herzustellen“.

    Mir begegnen in letzter Zeit immer häufiger Männer, die ein ernsthaftes Verlangen zur Rückkehr zu diesen Verhältnissen zu haben scheinen – aufgrund der Verunsicherung in ihrem Rollenverständnis, der offenbare großen Hilflosigkeit in Bezug auf eine „postpatriarchale Männlichkeit“ und, wie mir scheint, dem weiterhin real existierenden Bedürfnis nach Überlegenheit gegenüber und Distanzierung von dem anderen Geschlecht.

    Überdeutlich bei Jugendlichen, wo „Mädchen“ weiterhin eines der beliebtesten Schimpfwörter ist. Ein Junge, der im Verdacht steht, Ansätze „weiblicher“ Eigenschaften zu haben, sieht sich wie anno dazumal von seinen Altersgenossen ausgegrenzt, diffamiert, gemobbt. Und ich kann verstehen, dass die Kids sich unter diesem enormen Druck an den klassischen Rollenbildern zu orientieren versuchen, sie kennen einfach keine klaren Alternativen.

    Wie könnte so eine Alternative, so eine postpatriarchale Männlichkeit aussehen? Eine Identität, die nicht nur die negativen Aspekte der alten Bilder ablehnt, sondern neue, positive Eigenschaften formuliert?

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  13. @Claudia: Schön, dass das Bild vom verkümmerten Pendelausschlag so gut ankommt (smile). Damit sind wir mitten im Thema. Es geht, wen wundert es, auf der individuellen Ebene um Sex, Macht und Abgrenzung von den Frauen. Diese Abgrenzung ist enorm wichtig für die anfängliche Herausbildung einer männlichen Identität. Dass ein Junge kein Mädchen ist, spürt er schnell. Aber was ist er dann? Nun, die einfachste Antwort darauf ist natürlich, dass er KEIN MÄDCHEN ist. Wie die sind, weiß man ja und so kann man(n) sich gut abgrenzen. Das Ganze läuft mitunter etwas rauh und heftig ab, am Ende steht aber in aller Regel ein mehr oder weniger gut sozialisiertes, männliches Wesen mit Verantwortungsbewußtsein und Beziehungsfähigkeit, das nach einem Platz in der Gesellschaft und im Privaten sucht und diese Plätz auch ausfüllen will. Ein postpatriarchales Bild, das ja gerade nicht mehr pauschalierend sein soll, kann nur an das individuelle Verantwortungsgefühl des Mannes appellieren. Verantwortung für sich selbst UND sein Beziehungsgeflecht, seine Lieben, seine Gefährtin, seine Kinder, die Weitergabe seiner Gene (ja, auch das) übernehmen, heisst auch, die Liebe einer Frau suchen und finden zu DÜRFEN. Dieses MEHR im Vergleich zum dumpfen Sexismus usw. ist der Lohn der übernommenen Verantwortung.
    Zusammen mit den postpatriarchalischen Frauen, gilt es, dieses RECHT auf ein beiderseitiges MEHR gegen die Geister der individuellen und kollektiven Vergangenheit (eben das Patriarchat als Symbol) zu verteidigen. Ich halte das für eine wunderbare Aufgabe für einen Mann, dem nicht nur daran liegt, seine unmittelbaren Bedürfnisse zu befriedigen, sondern sich darüber hinaus in einen gemeinschaftlichen, privaten und gesellschaftlichen Prozeß aktiv selbst einzubinden. Es ist ein Bild, das sich an den ganzen Mann wendet und schon deshalb MEHR ist, als es das sich von den Frauen abspaltende und ausgrenzende Patriarchat jemals vermocht hat.

    Dieses Bild müßte auf den Horizont junger Menschen abgestimmt und umgesetzt werden. Je nach Entwicklungsstand dürfte das keine einfache Aufgabe sein, erscheint aber machbar.

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  14. „Diese Abgrenzung ist enorm wichtig für die anfängliche Herausbildung einer männlichen Identität. Dass ein Junge kein Mädchen ist, spürt er schnell.“

    Finde ich zu verallgemeinernd. Ich hab in der 1. Klasse festgestellt, dass Jungs nicht das gleiche dürfen wie Mädchen und habe unter sozialem Druck aufgehört, Sailor Moon zu gucken. Dass ich kein Mädchen bin, weiß ich bis heute nicht.

    Ansonsten sprichst du mir entschieden zu viel von DEM Mann, statt einfach über Männer zu reden. Dass Männer diesem Idealbild nachstreben und sich nur im Bezug auf dieses eine, ewig Männliche sehen, macht doch eben ein Hauptproblem des Patriarchats aus. Wo sich ein männliches Wesen als männlicher, näher am Ideal behauptet, liegt der Schluss nicht mehr allzu fern, im weniger Männlichen den Schwachen zu vermuten, dann das Weibliche zum Schlechten zu machen.
    Auch wenn ich kein Capslock zum betonen verwendet habe, habe ich mit Absicht von „Modellen“ und „Vorbildern“ und nicht von einem neuen Modell oder Vorbild gesprochen. Wenn wir bei einem Ideal bleiben, landen wir zwangsläufig wieder in der abwertenden Dichotomie; daraus entkommen können wir nur, indem wir viele, nicht sexistische Männlichkeiten kreieren oder auch: Männer nicht als solche akzeptieren, weil sie ein Klischee erfüllen, sondern weil sie sich selbst erfüllen, sich selbst genügen und nicht immer in Relation zum angenommenen „Weiblichen“ setzen.

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  15. @ Bertold
    Abgrenzung ist enorm wichtig für die Herausbildung jeder Identität, gegenüber den Eltern, dem anderen Geschlecht, und so weiter und so fort. Was die übliche Abgrenzung von Männern gegenüber Frauen so problematisch macht, ist, dass es neben Abgrenzung leider auch oft um Abwertung des anderen Geschlechts geht. Hier ist eben der Knackpunkt, der Sexismus weiterhin so mächtig macht. „Ich bin anders als x, weil….“ ist ok. „Ich bin anders und damit besser als x, weil…“ als Ansatz für die eigene Identität ist die Quelle von Konflikten für ein ganzes Leben.

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  16. Mir wird erst hier so richtig klar, warum mir profeministische Männer oder zumindest auch Männer, die nach einer anderen Form von Männlichkeit streben, so wichtig sind. Danke für den Beitrag, Antje, aber danke auch an all die Männer, die hier kommentieren.

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  17. Danke für den Artikel, da stehen einige Antworten auf Fragen drin, die ich mir bisher nicht so richtig beantworten konnte. Das Patriarchat abzuschreiben finde ich allerdings schwierig und vielleicht auch gefährlich. Aus meiner Sicht handelt es sich dabei um eine Analyse, die von Frauen im Laufe von Jahrzehnten erarbeitet – auch sich selbst abgerungen – wurde. Warum diese Analyse jetzt als nicht mehr aktuell abgetan werden kann erklärt sich mir nicht. Vielmehr sehe ich das ständige Bedürfnis, sich selbst nicht mehr als Betroffene eines gesellschaftlichen Machtverhältnisses sehen zu wollen – etwas ähnliches passiert auch in der sozialen Frage mit der Auflösung der Analysekategorie „(Arbeiter_innen-)Klasse“. Es ist nachvollziehbar und ein berechtigtes Interesse, eine solche Machtkategorie nicht als identitäre Kategorie haben zu wollen, aber das über Dekonstruktion der Kategorie oder wie in diesem Fall Verleugnung der Machtverhältnisse zu tun, halte ich für nicht sinnvoll.

    Im Endeffekt kann ich nur mit dem Arbeiten, was Feministinnen wie du an Theorie und Analyse produzieren, und werde mich davon überzeugen lassen und in meiner Arbeit auch daran orientieren – und sei es ein postpatriarchaler Ansatz –, aber mein erster Impuls ist es, „alte” Analysen nicht abzutun, nur weil es sich gerade und für einige nicht so anfühlt, als sei sie noch aktuell.

    Die Beispiele, die du als Anzeichen für postpatriarchales Handeln von Frauen angeführt hast, klingen für mich teilweise sehr neoliberal – es ist eben kein Zufall, welche wann was ignorieren kann.

    Das war jetzt einige Kritik, aber eigentlich fand ich den Text wirklich sehr anregend. Ich habe jetzt das Gefühl, dass diese Lücke „Transformationsstrategie“ in meinem eigenen Denken etwas kleiner geworden ist.

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  18. @Adrian – Das kommt darauf an, was du unter „das Patriarchat abschreiben“ verstehst. Da, wo es noch Macht hat, muss man natürlich was dagegen unternehmen (ist ja hier in den Kommentaren schon betont worden). Aber – und das ist im Vergleich zu früher anders – es gibt auch schon ungeheuer viele Orte, wo das Patriarchat überhaupt keine Rolle mehr spielt (nicht jede Art von Hierarchie, Macht, Unterdrückung ist patriarchalen Ursprungs). Mein Büro ist so einer, meine Redaktion, meine politischen Netzwerke etc.
    Vielleicht ein Beispiel: Als Politikwissenschaftlerin machen ich mir Gedanken über die Bedeutung von Politik und politischen Strukturen, oft auch gemeinsam mit anderen, meist mit anderen Frauen. Noch in den 80er Jahren haben wir uns sehr mit der Kritik an patriarchalen Ideengebern wie Aristoteles, Rousseau und Co. abgearbeitet, haben uns bemüht, sie zu widerlegen, haben kritisiert, was sie für einen Kram über Frauen schreiben usw.
    Inzwischen beziehen wir uns auf die gar nicht mehr, sie spielen für uns keine Rolle. Wir reden darüber, was wir uns unter Staat, Gesellschaft etc. vorstellen. Dabei kann ich mich sogar zuweilen von Aristoteles inspirieren lassen. Aber ein Maßstab ist er für mich nicht mehr. Und es interessiert mich überhaupt nicht, mich an ihm abzuarbeiten. Er ist schlicht unwichtig.
    Was nämlich auch oft übersehen wird: Der Kampf gegen etwas erhöht unweigerlich die Bedeutung dessen, was da bekämpft wird. Man muss daher sehr vorsichtig sein, ob man jemandem sozusagen die Ehre erweist, ihn als Gegner zu akzeptieren.
    Die patriarchale Tradition wird natürlich in dem Moment bedeutsam, wo wir etwa mit unseren Vorstellungen innerhalb der Institutionen auf Machthaber (oder Machthaberinnen) stoßen, die sich immer noch daran orientieren. Dann kommt es zum Konflikt, und in dem Moment greife ich natürlich auch auf die feministischen Patriarchatsanalysen zurück. Aber eben nur dann. Für mich selber brauche ich mich damit nicht mehr zu beschäftigen, da das Patriarchat für mich keinerlei Autorität mehr hat (und wenn ich doch mal in so was zurückfalle, dann habe ich genug aufmerksame Freundinnen um mich herum, die mich darauf aufmerksam machen, so wie ich andersrum sie).
    Und ich glaube, das ist es, was RF hier sagen will: Männer müssen sich mit patriarchalen Relikten auch dann auseinander setzen, wenn sie ihnen nicht von außen entgegen treten. Weil sie sozusagen „innerlich“ davon betroffen sind. Ob diese These stimmt weiß ich allerdings nicht, denn ich bin ja kein Mann 🙂 Aber sie scheint mir interessant.

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  19. Hallo!

    Früher, ganz früher, haben Männer die Weiber auf dem Markt gekauft. Das gibt es heute noch – nennt sich Prostitution. Der Mann hat seine Frau dann eingesperrt und nach allen Regeln der Kunst sexuell belästigt und vergewaltigt. Bildung stand den Frauen nicht zu, denn die einzige Bestimmung der Frau war, Söhne zu gebären, die in das väterliche Erbe eintreten konnten. Da wäre Bildung herausgeschmissenes Geld gewesen.

    Diese furchtbaren Zustände nennen sich Patriarchat.

    Das alles ist jetzt aus und vorbei. Na gut, Prostitution gibt es schon noch. Dafür gibt es jetzt aber massenhaft Scheidungen, alleinerziehende Eltern, die Pille. Die patriarchalischen Einrichtungen sind recht brüchig geworden. Deshalb nennen wir unser Zeitalter das Postpatriarchat.

    Das Paradoxe am Postpatriarchat ist aber, daß die Frauen viel stärker unter dem Zerfall des Patriarchats leiden als die Männer. Das liegt einfach daran, daß die Frauen ein viel stärkeres Interesse an belastbaren und langlebigen Beziehungen haben als die Männer, weil nach wie vor die Familienverantwortung bei den Frauen liegt. Die Frauen sind zwar nun der Gewalt und der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Männer entkommen. Dafür fehlt ihnen jetzt auch die Sicherheit. Frauen und ihre Kinder sind aus demselben Grunde, nämlich der Familienverantwortung, auch stärker von sozialen Problemen betroffen.

    Dumme Sache. Eine viel schwerwiegendere als die Identitätsprobleme der Männer, wie ich finde, und ein Auftrag an die Politik, der Auflösung des Patriarchats Rechnung zu tragen.

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  20. @Georgi – Ob Frauen stärker unter der Auflösung des Patriarchats leiden als Männer, weiß ich nicht, jedenfalls stimmt es, dass sie auch leiden. Dem Rechnung zu tragen ist ein Teil dessen, was ich meine. Deshalb ist es ja so wichtig, die Aufmerksamkeit auf die Schaffung einer neuen, postpatriarchalen (symbolischen) Ordnung zu richten!

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  21. Ja, das scheint mir auch sehr interessant, und durchaus auch schlüssig. Solange Patriarchat als Analyse noch vorhanden und einsetzbar ist, wo wir es brauchen bzw. eigentlich wo ihr es braucht ist ja auch alles gut 🙂

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  22. Vielen Dank, dass hier auch Männerthemen wie die Überlegungen zur „Transfomation des männlichen Selbst“ zur Sprache kommen, solche Diskussionen würde ich mir mehr wünschen. Leider finden sich konstruktiven Überlegungen, wie eine post-patriachale Männlichkeit aussehen könnte fast nur in feministischen Blogs. Bei der Suche nach Männerforen o.Ä. in denen man sich mal austauschen könnte, stößt man dauernd auf maskulistische Scheiße. Im Englischen Sprachraum scheint XY Online ganz gut zu sein, gibt es wirklich nichts vergleichbares in Deutsch?

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  23. mir kommt der artikel und besonders die kommentare von berthold reichlich idyllisierend vor.
    möglich, dass wir (in d) in einem postpatriarchat leben, dann leben wir aber immer noch in einer „männlich dominierten Gesellschaft mit klaren Geschlechterhierarchien“ (Rolf Pohl). Das „pragmatisch“ auszublenden, finde ich ziemlich irritierend. Wann blendet man es denn wieder ein? Erst wenn es einen persönlich betrifft? Das verstehe ich nicht unter politischem Denken/Handeln.
    wir leben immer noch in einer gesellschaft, wo besagte dominanz ganze gesellschaftsstrukturen formt – so dass z.b. vergewaltigung ein beinahe straffreies verbrechen ist (gemessen an den prozentzahlen geahndeter vergewaltigungen). Die pornografisierung des frauenbildes verstärkt sich, und prägt gerade jugendliche, auch deren sexualität. wenn frau sich nicht freischaffend ihr postpatriarchales berufsfeld schafft, gibt es genügend bereiche, in denen sexismus versteckt oder offen vorhanden ist.
    außerdem sind wir in d auch in globale sexistische gewalt- und ausbeutungspraktiken verwickelt: stichwort frauenhandel, kinderhandel, kinderpornographie.
    es gibt keine postpatriarchale idylle, bzw. es gibt sie nur um den preis, diese dinge auszublenden.
    die besagte andere „symbolische ordnung“ ist sogar auf dieses wissen angewiesen, indem sie sich in abgrenzung dazu entwickelt, und in abgrenzung dazu notwendig wurde. soweit ich weiß (bin allerdings nicht firm darin) war das doch auch schon immer das anliegen des feminismus, auch in d: stärken und möglichkeiten, vielfältigkeiten von frau-sein entgegen dem stereotyp zu zeigen und zu leben.

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  24. Ist es nicht immer so – wenn man etwas gestalten will, muss man nicht gegen das Alte, sondern für das Neue sein? Weil es nicht hilft, bloß gegen den König zu sein, solange man nicht vor allem für die Demokratie ist (frei nach Heinz von Foerster).

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  25. Hallo Antje,

    ich bin immer wieder mal hier und wollte mich bei dir bedanken. Ich lerne – als Mann – sehr viel hier. Manches verstehe ich nicht, weil mir wahrscheinlich der soziologische Hintergrund fehlt. Aber es ist (mehr als) genügend Masse vorhanden, die mich tief beschäftigt.

    Vor allem das konstruktive in diesem Artikel und den folgenden Kommentaren schätze ich sehr.

    Vielen Dank und Grüße
    Daniel

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