Slavoj Žižek, linke Kerle und die Revolution

Das Label „linke Kerle“ ist seit längerem in meinem Kopf. Ich glaube, seit ich mal – vor vielen Jahren – an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Utopien“ teilgenommen habe und einer der Mitdiskutanten plötzlich auf den Tisch schlug: Was wir da sagten, das wäre ja alles viel zu unkonkret, man dürfe nicht so nebulös herumreden, sondern wir müssten strategisch denken. Überall sei doch längst Krise, nichts würde mehr funktionieren, und wenn deshalb morgen Gerhard Schröder (ja, so lange ist das schon her:)) alles hinwerfen würde, weil er nicht mehr weiter weiß – ja, dann müssten wir doch konkrete Pläne in der Schublade haben, nach denen wir sofort mit der Revolution anfangen könnten. Es gelang mir damals irgendwie, nicht lauthals loszulachen. 

Die letzten Tage habe ich wieder mit so einem Kerl verbracht, und zwar mit Slavoj Žižek, dessen neues Buch „Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert“ ich tatsächlich ganz durchgelesen habe. Das gelingt mir bei solchen Büchern nicht immer, bei Negri/Hardts „Empire“ zum Beispiel hab ich schon nach dem ersten Viertel das Handtuch geworfen. Žižek kann Hardt und Negri übrigens auch nicht leiden (was er ständig betont). Vielleicht haben wir uns deshalb ganz gut verstanden.

Žižek gibt sich viel Mühe, zerrissen zu werden. Etwa indem er erstaunlich viele gute Aspekte an Kerlen wie Robespierre, Heidegger, Stalin oder Mao findet. Man könnte jetzt jede Menge Zitate aus dem Zusammenhang reißen und massenweise Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber das will ich gar nicht tun. Ich finde seine Argumente im Großen und Ganzen ziemlich klug, wenn man sich denn für Robespierre, Heidegger, Stalin oder Mao interessieren würde, was ich aber nicht tue.

Wofür ich mich aber sehr wohl interessiere, das ist die Frage, wie man aus einer „linken“ oder meinetwegen auch „kommunistischen“ Perspektive heraus die Welt verändern kann. Wobei mir die Begriffe „links“ und „rechts“ , ebenso wie „kommunistisch“, nichts sagen, aber ich denke, vieles von dem, was Žižek meint, wenn er sie verwendet, kann ich durchaus teilen.

Leider hat mich das Buch aber trotzdem in meiner Auffassung bekräftigt, dss von den linken Kerlen keine Revolution zu erwarten ist, und man muss sagen, glücklicherweise.

An einer Stelle zum Beispiel charakterisiert Žižek das, was er das „revolutionäre Subjekt“ nennt. Als Beispiel nimmt er eine Szene aus dem Film „Die üblichen Verdächtigen“. Darin kommt ein Mann nach Hause und findet seine Frau und seine kleine Tochter in der Gewalt einer rivalisierenden Bande vor. Seine Reaktion: Er erschießt selber Frau und Kind und droht dann den „Feinden“, er werde sie gnadenlos verfolgen und sie, ihre Familien, Eltern und Freunde allesamt umbringen. Žižek analysiert diese Szene so:

In einer Situation der erzwungenen Wahl trifft das Subjekt die verrückte, unmögliche Entscheidung, gewissermaßen sich selbst zu schlagen und seine Liebsten zu töten; seine Tat ist keineswegs ein Fall von ohnmächtiger, gegen sich selbst gerichteter Aggressivität, sondern verändert die Koordinaten der Situation, in der das Subjekt steckt. Indem es sich von dem kostbaren Objekt löst, durch dessen Besitz der Feind es in Schach halten konnte, verschafft sich das Subjekt Handlungsspielraum. Der Preis dieser Freiheit ist natürlich entsetzlich. Die einzige Möglichkeit, wie das Subjekt die Schuld ausgleichen kann, sein kostbarstes Objekt (seine kostbarsten Objekte) geopfert zu haben, besteht darin, … auf alle persönlichen Eigenarten zu verzichten und sein gesamtes Leben der Vernichtung derer zu widmen, die es gezwungen haben, die Opfertat zu begehen. Eine solche „unmenschliche“ Position der absoluten Freiheit (in meiner Einsamkeit kann ich tun und lassen, was ich will, niemand hat Gewalt über mich) gepaart mit absoluter Hingabe an eine Aufgabe (der einzige Sinn meines Lebens besteht darin, Rache zu üben) charakterisiert vielleicht am treffendsten das revolutionäre Subjekt. (S. 114f)

Frau und Kind, die „kostbaren Objekte“ des männlichen Subjektes, my ass. Der Mann, der seine „Liebsten“ tötet, fügt nicht etwa anderen etwas zu, sondern sich selbst. Bindungen und Verantwortlichkeiten zu anderen Menschen stehen dem entschlossenen revolutionären Handeln des Mannes im Weg. Zum Glück gibt es solche „Subjekte“ im wirklichen Leben selten, selbst unter männlichen Menschen sind sie krasse Ausnahmen. Zur Rettung der Welt sollten wir daher besser nicht auf sie setzen. Oder anders gesagt: Wenn das Freiheit sein soll, dann gibt es keine Freiheit.

Es gibt übrigens viele Stellen in dem Buch, an denen deutlich wird, dass Žižek die feministische Revolution offenbar komplett verschlafen hat. Ich habe auch eine Ahnung, warum das so ist. Wenn ich seine Argumentation richtig verstanden habe (ich bin mir da nicht sicher, denn er springt ziemlich hin und her), sieht er den Hauptfehler der bisherigen Männer-Revolutionen darin, dass es ihnen im Anschluss an eine Umwälzung nicht gelungen sei, dann auch wirkliche Veränderungen im Alltagsleben umzusetzen. Dies sei im Gegenteil dem Kapitalismus gelungen, weshalb der auch einstweilen „gewonnen“ hätte.

Ich denke, dass genau an dieser Stelle bei Žižek (wie bei anderen linken Kerlen, zum Beispiel dem auf dem Podium, das ich eingangs geschildert habe), eine falsche Reihenfolge in der Analyse dessen liegt, was Revolution bedeutet und wie sie sich abspielt. Ihre Vorstellung ist, dass Revolutionen ein „Ereignis“ erfordern, eine krisenhafte Situation, die alles umwälzt, und dass entschlossen handelnde „revolutionäre Subjekte“ dann in der Lage sind, diese Krisensituation zu nutzen, um etwas Neues (den Kommunismus oder so) einzuführen.

Entsprechend käme es für eine „linke“ Bewegung darauf an, sich auf diesen Moment „vorzubereiten“ (und Pläne in der Schublade zu haben), damit sie diese Zeit der weltgeschichtlichen Öffnung möglichst so nutzen können, dass die eingeführten Veränderungen auf eine bessere Gesellschaft hin später nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Meiner Ansicht nach verhält es sich aber genau anders herum: Durch viele erst einmal unscheinbare Handlungen und Diskussionen verändert sich der Alltag ohnehin laufend, und jede Menge „Revolutionäre“ (und „Revolutionärinnen“) haben daran Anteil. Die müssen dafür gar nicht „kerlig“ sein und auch nicht ihre Frauen und Kinder erschießen. Es reicht, wenn sie neue Lebens- und Wirtschaftsformen ausprobieren, wenn sie Einfluss nehmen auf die öffentliche Meinung, wenn sie überkommene Denkmuster hinterfragen, neue politische Praktiken erfinden und so weiter. Eben das tun, womit wir alle laufend beschäftigt sind.

Wenn dann ein „Ereignis“ eintritt, zeigt sich, wie erfolgreich sie damit waren. Es ist doch immer so, dass die symbolische Ordnung (die Werte, die Sitten, die Gesetze, das, was als „normal“ gilt) dem wirklichen Leben fast überall hinterherhinkt. Um nur mal ein ganz banales Beispiel zu nennen: Das Ehegattensplitting ist heute schon vollkommen unterminiert, niemand will es eigentlich so wirklich mehr haben. Aber das Gesetz existiert noch, als Zombie sozusagen. Ich wette meinen Kopf, dass, wenn wir mal eine „revolutionäre Situation“ haben sollten, das Ehegattensplitting hinterher weg ist.

Zumindest in der Geschichte der Frauen war es immer so. Nehmen wir etwa das allgemeine, geschlechtsunabhängige Wahlrecht. Über Jahrzehnte hinweg haben Frauen (und auch einige, gar nicht mal so wenige Männer) dafür gestritten und argumentiert, in Parlamenten, an Küchentischen und an Marktständen. Als dann Revolution war, wurde es überall quasi auf einen Schlag eingeführt (außer in Frankreich und der Schweiz, die zickten noch ein bisschen rum).

Revolutionäre Ereignisse oder andere Krisen, so wäre jedenfalls meine These, können nur das in die Realität umsetzen (oder eher: ermöglichen, dass es ans Licht kommt), was vorher in alltäglichen Experimenten und Debatten bereits vorbereitet wurde. Nicht mehr. Das jüngste Beispiel dafür ist die so genannte „arabische Revolution“. Die hauptsächlichen Akteure und Akteurinnen dieses „Ereignisses“ waren säkulare, „linke“ Aktivist_innen. Aber sie hatten, wie sich nun herausstellt, keinen nennenswerten Rückhalt in der Alltagskultur. Das, was dort vorbereitet worden war, ist vielmehr eine islamisch geprägte „Kulturrevolution“, wie die Wahl in Ägypten gezeigt hat, wo Muslimbrüder und Salafisten zusammen drei Viertel der Stimmen bekommen haben. Gegen diese Entwicklung im Anschluss an das krisenhafte „Ereignis“ hätte auch kein noch so entschlossen vorgehendes „revolutionäres Subjekt“ etwas unternehmen können.

Wenn wir also die Revolution wollen, dann müssen wir sie VOR dem „Ereignis“ so gut wie möglich vorbereiten, denn wenn das Ereignis erst einmal da ist, ist es zu spät.

Das zu wissen, erleichtert mich übrigens sehr, denn auch bei einer anderen „kerligen“ These Žižeks habe ich Bauchschmerzen. Er macht sich nämlich über jene Linken lustig, die sich vor einer wirklichen Krise fürchten, zum Beispiel vor einem richtigen Zusammenbruch der Finanzmärkte. Er geht zwar nicht mehr so weit wie die Theoretiker_innen der RAF, die eine solche Krise auf Teufel komm raus aktiv provozieren wollten, aber er sagt auch, dass man nicht zu ihrer Vermeidung beitragen sollte, dass man keine Angst haben darf, vieles von dem, was man hat und schätzt, zu verlieren.

Ich habe, ehrlich gesagt, schon Angst davor. Denn es ist einfach Fakt, dass bei solchen Krisen und „Ereignissen“ massenweise Menschen sterben und ebenso massenweise Menschen unvorstellbar leiden müssen. Ob es nun die zusammenbrechenden Finanzmärkte, der nächste Krieg oder die Klimakatastrophe sind – ich muss die nicht haben.

Aber wenn ein solches Ereignis, was wahrscheinlich ist, ganz ohne mein Zutun und ohne, dass ich es verhindern könnte, früher oder später eintritt – dann will ich wenigstens meinen Teil dazu beigetragen haben, dass wir darauf so gut wie möglich vorbereitet sind. Weil das, was dann geschehen wird, nämlich nichts anderes sein wird als das unausweichliche Ergebnis dessen, was wir vorher (also jetzt) tun.

Slavoj Žižek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011.

 

(Dieser Text erscheint in Graswurzelrevolution Nr. 367, März 2012)

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

66 Gedanken zu “Slavoj Žižek, linke Kerle und die Revolution

  1. Mh. Ich will dir nicht widersprechen. Stimmt ja alles. Aber ich hab das doch immer so katastrophenmäßig (= plötzlicher eruptiver Wandel) gesehen und erhofft (siehe mein Twittermotto …) Und ich glaub, ich bleib so.

    Seltsamer Gedanke: dieses schon heute Ausprobieren zukünftiger Verhältnisse: im ökonomischen, wo findet das ständig, für jeden erlebbar, statt? In der guten alten CDU-geförderten Kleinfamilie. Güterteilung, Abschaffung der Lohnarbeit, jedem nach seinem Bedürfnis …

    das soll kein Argument gegen dich sein. Eher: das kann Hoffnung machen, daß es eigentlich ganz einfach sein wird.

    Vielleicht sollte ich mir den Kerl mal vornehmen. (Fuchtelt der in seinen geschriebenen Sätzen auch so lustig?)

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  2. Ich muss gestehen, dass nach einem Artikel von Zizek, den ich entweder in der taz oder in Le Monde Diplomatique gefunden habe, er auf meiner Liste von „Autoren, von denen ich unbedingt einmal etwas lesen möchte“ ziemlich weit nach unten gerutscht ist, und zwar wegen seiner romantisierenden Einstellung zur Gewalt, oder vielleicht auch wegen der Faszination, die Gewalt anscheinend auf ihn ausübt. Ich hatte den Eindruck, dass sie für ihn nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern ihn an und für sich fasziniert.

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  3. Ach ja, was das vorher ausprobieren anbelangt: Es ist m.E. das Wichtigste von allem. Ich sehe das zur Zeit an der Energiewende – da gab es auch sehr viel Vorarbeit von Menschen, die sich eine Windmühle aufs Feld oder einen Solaranlage aufs Dach installierten, als das noch nicht Mainstream war. Ich glaube, dass alles, was „überraschend“ passiert, auf solche Vorarbeit zurückzuführen ist Die Leute, die überrascht sind, haben die kleinen Zeichen vorher nicht wahrgenommen.

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  4. Welche feministische Revolution?
    Wahrscheinlich habe ich die auch verschlafen …
    Es ist doch eher genau anders herum.
    Die Realität folgt der symbolischen Ordnung.
    Wir gendern heute zwar fleißig (also zumindestens in einer akademischen Minderheit) und achten auf einen politisch korrekten Umgangston, die Realität schaut doch aber ganz anders aus. Schaut man mal in diverse Führungspositionen, sind Frauen dort noch immer noch eine winzige Minderheit.

    Die gesamte (kapitalistische) Ökonomie ist größtenteils durch männliche Attribute strukturiert. Je höher die Position desto deutlicher wird das. Formal haben wir zwar eine Gleichstellung, aber leider nicht in der Realität.

    Es stimmt. Der Alltag ändert sich laufend. Leider nicht zum Besseren. Wenn man die aktuellen Geschehnisse verfolgt, eher zum Schlechteren. Wir stolpern von einer Krise in die nächste.

    Unser Problem heute liegt doch viel mehr in einem Theorie- als in einem Praxisdefizit.

    An der praktischen Umsetzung mangelt es nicht. Protestbewegungen wie S21, Attac, Piraten, Occupy etc. sind ja bereits aktiv. Auch in Griechenland und Spanien fehlt es nicht an Widerstand. Dieser führt aber meist ins Nichts, da eine gemeinsame Vision fehlt.

    Der wirkliche Mangel liegt doch darin das keine alternative Ideologie (Theorie) zu der aktuell herrschenden in Reichweite liegt. Alle genannten Protestbewegungen trauen sich nicht die bestehenden Verhältnisse komplett abzulehnen. Sie kritisieren lediglich die Gier der Banker, nicht aber das System das diese (und uns alle) dazu treibt gierig zu handeln. Mit Moral kommen wir nicht weiter. Für die „freie Marktwirtschaft“ ist Gier eine Tugend und der Egoismus des Unternehmers ein Ideal.

    Žižek bringt das in der Taz mit einem platten „Witz“ gut auf den Punkt:
    „Ein Bauer und seine Frau werden auf der Straße von einem Reiter aufgehalten, der dem Bauern mitteilt, dass er nun dessen Frau vergewaltigen werde.
    Da die Straße dreckig ist, soll der Bauer während der Vergewaltigung die Hoden des Reiters halten, damit sie nicht schmutzig werden. Nachdem der Reiter seine Tat vollbracht hat und davongeritten ist, beginnt der Bauer zu lachen. Seine gedemütigte Frau ist empört: „Wie kannst du lachen, wenn ich gerade vor deinen Augen vergewaltigt wurde?“ Der Bauer antwortet: „Aber ich habe ihn erwischt! lch habe seine Hoden gar nicht gehalten und nun sind sie schmutzig.“
    Die Gegenwartslinke hat für Zizek die Position des Bauern inne. Sie bewirft den Kapitalismus nur mit Schmutz, obwohl es ihre eigentliche Aufgabe sei, ihn zu kastrieren.“
    http://www.taz.de/!85132/

    Der Kapitalismus lässt sich nicht demokratisieren oder ethisch „umerziehen“. Eine echte Alternative muss ihn daher ablehnen und an dessen Stelle eine neue Idee des gesellschaftlichen Zusammenlebens setzen.

    Wie diese Idee aussehen kann, darüber muss öffentlich (und privat) ausgiebig diskutiert, kritisiert und theoretisiert werden. Sonst übernehmen Rechtspopulisten und religiöse Fanatiker das Feld.

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  5. Danke für die spannende Lektüre! (Und dass du dich auch für deine LeserInnenschaft durch den Zizek gequält hast!)

    Zunächst ein kleiner Einwand: Führend in solchen Theorien sind gewiss bestimmte linke „Kerle“, aber unter ihren AnhängerInnen sind auch Frauen.

    Der Vergleich mit den Beobachtungen über die Revolutionen in den arabischen Ländern sind auf den Punkt. Ich wüsste auch nicht woher neue Werte kommen sollen, wenn die nicht davor fleissig eingeübt wurden. Da verhält es sich nicht anders als mit den Neujahrsvorsätzen.

    Was ich sehr interessant finde, allerdings etwas off topic, ist, wie auch bei der französischen Revolution hier ganz viele Frauen dabei waren, und es jetzt ganz so ausschaut, dass sie am Schluss mit weniger Rechten dastehen werden. Dafür gibt’s wahrscheinlich ein Bündel von Ursachen, ich frage mich allerdings inwiefern die Tatsache der vielen und meist von Männern auf allen Seiten ausgeübten Gewalt in solchen Krisen dazu führt, dass die sich dann auch gegen die Frauen richtet.

    Und schliesslich möchte ich mich auch Susanna14 anschliessen, allerdings nicht nur bei Zizek bleiben. Im Kern von diesen linken Lehren von der Revolution steckt die völlig verquere Idee, dass in der Gewalt irgendeine ominöse reinigende Kraft stecke. In Tat und Wahrheit und empirisch tausendfach belegt, macht Gewalt bloss alle gleichermassen kaputt. Ich finde, das immer ganz unfassbar, dass Leute tatsächlich an so einen Murks glauben können.

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  6. Das ist wieder einer dieser für mich extrem wertvollen Artikel, der eine Menge vereinzelter Gedanken und Zweifel, die ich hatte und die mich nur verwirrt und gelähmt haben, in eine Form bringt, in der sie plötzlich Sinn machen und eher Kraft geben — Danke.

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  7. Soweit ich weiss, gab es im vorrevolutionären Russland durchaus viele Menschen ( Männer und Frauen ), die eine Haltung wie die von Zizek einnahmen – übrigens findet man die Befähigung zu solcher maßloser Gewalt sogar im Tierreich: Mäusemütter fressen ihre Jungen, wenn vor dem Bau eine Katze lauert und keine Chance mehr besteht, Vielfraße und andere Raubtiere beissen sich Gliedmassen ab, wenn sie in einer Falle gefangen sind und anders nicht herauskönnen.
    Ein wirklicher Meister der Darstellung solcher Exzesse ist ja Quentin Tarantino – in seinem letzten Film „Inglourious Basterds“ wird dargestellt, wie ein Haufen nicht allzu cleverer Amerikaner und Engländer ultimativ gewalttätig gegen Nazis wird, die allesamt durchaus symphatisch gezeichnet sind: Der eine Nazi ist hoch intelligent, der andere ein treuer Kamerad, der dritte ein Familienmensch usw. usf. …

    Frage mich nur, ob uns der Kapitalismus eigentlich in solche „ausweglosen“ Situationen, die jede Form von Gewalt rechtfertigen, bringt – für unsere westlichen Länder scheint es mir dann doch sich eher um ein Jammern auf hohem Niveau zu handeln, während die ärmeren Länder wohl eher auf die Fähigkeit desselben zu setzen scheinen, Menschen in unglaubliche Tempo zu einem Auskommen zu verhelfen – in China sollen pro Monat eine Million Menschen die Armutsgrenze überschreiten, lass ich mal.

    Der Raubtierkapitalismus, den man dabei auch beobachten kann, ist ansonsten nichts neues – mafiöse Strukturen gab es überall, wo dank Kapitalismus neue Gewinnmöglichkeiten aufgetan wurden, ohne dass ein starker Staat regulierend eingriff.

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  8. „mafiöse Strukturen gab es überall, wo dank Kapitalismus neue Gewinnmöglichkeiten aufgetan wurden, ohne dass ein starker Staat regulierend eingriff.“

    Übrigens meine ich das umgekehrt, wie es normalerweise gelesen wird – das, was normalerweise als „Exzeß“ dem Kapitalismus angelastet wird, beruht normalerweise auf dem gegenteiligen: Kapitalismus kann nur dort bestehen, wo Menschen eine Wahl haben – und hohe Gewinne für einzelne auf Kosten aller anderen gibt es immer nur dort, wo genau diese Wahl für alle nicht mehr besteht.
    Meistens handelt es sich bei „kapitalistischen Exzessen“ in Wirklichkeit um Exzesse der Wahllosigkeit – und in meinen Augen ist es eine Aufgabe des Staates, zu verhindern, dass Menschen keine Wahl mehr haben. Leider tendieren Bürokratien zum gegenteiligen …

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  9. „Zumindest in der Geschichte der Frauen war es immer so. Nehmen wir etwa das allgemeine, geschlechtsunabhängige Wahlrecht. Über Jahrzehnte hinweg haben Frauen (und auch einige, gar nicht mal so wenige Männer) dafür gestritten und argumentiert, in Parlamenten, an Küchentischen und an Marktständen“
    Nein, das war eine reine Oberschichtenveranstaltung. Die meisten Frauen, das waren Bürgerliche, waren dagegen, sie hatten angst, ihre weiblichkeit zu verlieren. Natürlich könnte es auch etwas mit den Slogans von damals zu tun haben „Gleiche Rechte, gleiche Pflichten“ tönte es noch damals von der SPD. Gleiche Pflichten hiese dann aber auch, Wehrdienst oder eine lockere 16 Stunden Schicht im Bergwerk. Desweiteren kämpfen, ist nicht der richtige Begriff, ein Plakat hochhalten ist kein Kämpfen, 1848, als nur die Männer für überhaupt mitbestimmung gekämpft haben, das war Kämpfen.

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  10. @Lina
    „Was ich sehr interessant finde, allerdings etwas off topic, ist, wie auch bei der französischen Revolution hier ganz viele Frauen dabei waren“
    Wo? Die Frauen kamen erst, als der König keine Armee mehr hatte, um auf die Revolutionisten zu schiesen. Den eigentlichen Kampf, die eigentliche Arbeit, das haben Männer gemacht.

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  11. @Lina – Aber selbstverständlich sind Frauen unter den Anhänger_innen der linken Kerle! Die sind Popstars, werden angehimmelt, scheinen hip und eloquent. Mir ist schon klar, dass das viele Frauen attraktiv finden.

    Die andere Dynamik – am Anfang einer Revolution machen ganz viele Frauen mit und danach sind sie verschwunden bzw. bekommen Rechte vorenthalten und entzogen – ist ein fast durchgängiger Mechanismus ist der Geschichte politischer „Umwälzungen“, der politikwissenschaftlich bisher viel zu wenig bearbeitet wird. Meine These ist, dass sich hier eine gegenseitige „Unverträglichkeit“ zwischen Frauen und Institutionen zeigt. Während eines revolutionären Umbruchs, wird „Politik gemacht“, da geht es um Inhalte, um Praktiken, um Essenzielles. Danach geht es um Formalisierung und Konstituierung. Es geht um Macht, um Hoheitsgebiete, um formale Strukturen. Da ziehen sich Frauen zurück und werden zurückgedrängt gleichzeitig. Ich denke deshalb, dass man die Form der „Institution“ generell hinterfragen muss. Im Frühjahr erscheint dazu das Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ von italienischen Philosophinnen, das ich mit übersetzt habe und das sich genau mit diesem Thema beschäftigt. In einem Aufsatz geht es auch um eine Auseinandersetzung mit Zizek und Co.

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  12. @Z4ph0d – Natürlich bedingen symbolische Ordnung und Realität sich gegenseitig. Die symbolische Ordnung lässt sich aber nicht beliebig und von dem Realen losgelöst verändern, dein Beispiel mit der „gegenderten“ Sprache ist dafür ein gutes. Einfach nur auf der Ebene des symbolischen neue Formen einführen, die nicht die Alltagspraxis der Menschen durchdringen und verstanden und gefühlt werden, bringt gar nichts. Die „Arbeit an der symbolischen Ordnung“, wie ich (mit anderen) das nenne, bedeutet, die Veränderungen in der Realität zu sehen, in Worte zu fassen, neu zu denken, woraus sich dann wieder veränderte Praktiken ergeben usw. Von daher sind die Protestbewegungen, die du aufzählst, für mich auch nicht wichtiger als zum Beispiel Debatten in Kindergärten über die angemessene Erziehung von Kindern oder Verhandlungen am Küchentisch über die Frage, wie die Hausarbeit aufgeteilt werden soll. Ich akzeptiere die Unterscheidung in „politisch“ und „privat“ nicht, und was im Privaten passiert ist meist politischer als das, was so genannt wird. Das Interessante an Bewegungen wie Occupy, Attac usw. ist, wenn es ihnen gelingt, eine real bereits vorhandenes und verbreitetes Denken und Empfinden in äußere Ausdrucksformen zu gießen. Dafür sind sie gut.

    Danke, dass du den blöden Witz aus der taz nochmal zitiert hast. Über den hatte ich auch schon den Kopf geschüttelt. Mir (der ja wieder mal die Rolle des Opfers, der vergewaltigten Frau zugewiesen ist) wäre es egal, ob die Kerle sich gegenseitig die Hoden hochhalten oder die Eier abschneiden. Not my game.

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  13. „Es geht um Macht, um Hoheitsgebiete, um formale Strukturen. “

    Geht es nicht vor allem um eine Rückkehr zur Verlässlichkeit, aber unter neuen Vorzeichen?

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  14. @Antje: Ja, die Frauen gibt es natürlich auch, aber ich wollte sagen, dass auch Frauen im Prinzip sicherlich die Anlage zum Mackertum haben, und also nicht nur deren Fans sein können. Ein paar wenigen bin ich begegnet, die meisten aber sehen ein solches Gebaren nicht mit den gesellschaftlich verfassten Anforderungen an Weiblichkeit vereinbar, das wird ja sanktioniert, und lassen es daher bleiben. Und umgekehrt sind solche Rollen für Männer eine valable Option, weil sie belohnt werden.
    Ich halte es einfach nicht für sinnvoll, an dem „Männer sind so und so“ und „Frauen sind zwar untereinander verschieden, aber letztlich eben doch ganz anders als Männer“ weiterzustricken.

    Dann: Vielen Dank für den Buchhinweis und die Ausführungen dazu. In dieser Kürze kann ich nicht erfassen, wie diese Unterscheidung von Politik und Institutionen genau funktioniert. Aber ich nehme an, du wirst dann bei erscheinen eine Besprechung machen, die schau ich mir dann sehr gerne an!

    Dennoch auch hier scheinst du von diesem grossen oder kleinen Unterschied zwischen Männern und Frauen zu sprechen… Ich glaube, ich muss wirklich einmal in diese Bücher reinschauen, ich blicke überhaupt nicht durch, wie das dort konzeptualisiert wird. Oder gibt es bereits einen Post von dir, wo du diese Voraussetzungen erläuterst. Das würde mich auch sehr interessieren.

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  15. @Lina – Hm, ich weiß nicht, denn „Mackertum“ ist eindeutig männlich konnotiert, wenn man die „Männlichkeit“ aus dem Konzept „Macker“ substrahieren würde, wäre das etwas anderes, finde ich (nicht unbedingt etwas besseres natürlich:). Mein Konzept, wenn man so will, ist nicht, Frauen und Männer theoretisch zu unterscheiden oder für gleich zu erklären, sondern hinzuschauen und dort, wo sich in einer konkreten Situation Unterschiede zeigen (wie zum Beispiel im Bezug auf die Beteiligung von Frauen/Männern an revolutionären Bewegungen und den nachfolgenden Institutionalisierungsprozessen), diese Unterschiede ernst zu nehmen und nicht sofort entlang einer männlichen Norm (a la: Was machen die Frauen falsch, wie können wir die Frauen dazu kriegen, dasselbe zu machen wie die Männer) zu interpretieren. Wenn sich irgendwo keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern zeigen in der Realität (das ist oft der Fall), dann ist das halt einfach auch kein Thema.

    Genau zu dem Thema habe ich noch nichts gebloggt, aber einiges findest du in diesem Vortragsmanuskript – http://www.antjeschrupp.de/was-ist-weiblich

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  16. @imion – Das stimmt nicht. Frauen waren auch bei diesen Kämpfen dabei, natürlich nicht in einem Anteil von 50/50, aber doch sehr viel mehr als die Null Prozent, die ihnen nachher in Punkto „Rechte“ geblieben sind 🙂 Ich glaube, dass es zahlenmäßig so ähnlich war wie die Beteiligung von Frauen jetzt in Ägypten auf dem Tahir-Platz. (Ich würde, ganz abgesehen davon, auch die „gewaltsame“ Auseinandersetzung auf der Straße auch nicht als die „eigentliche Arbeit“ ansehen)

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  17. @drikkes – Danke für das Zitat – bitte alle: Unbedingt lesen!
    Hat irgendjemand behauptet, der Kapitalismus würde sich automatisch erledigen, wenn sich die Gleichberechtigng der Frauen durchsetzt? Ich jedenfalls nicht, weit davon entfernt.

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  18. @Antje Das war auch weniger auf Deinen Text gerichtet und auch nicht als Gegenrede zu einem der Kommentare gemeint. Eher so ein anknüpfungspünktliches Allgemeinplätzchen, um den thematischen Bezug herzustellen und das Geprotze mit meinem abstrusen Literaturwissen in überhaupt irgendeinen Kontext zu setzen.

    Deinen Aussagen zur Vorbereitung stimme ich zu. Wenn die halt fehlt, dann haben Revolutionen auch keinen Rückhalt bei der Mehrheit. Aber dann kann man eben auch nicht mit demokratischen Wahlen hoffen, die Umwälzung im Nachhinein legitimieren zu können. (Ich habe das Buch nicht gelesen.) Žižek würde dann wohl an die ‚Diktatur des Proletariats‘ anknüpfen, um den Übergang in eine neue Zeit zu gewährleisten.

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  19. @antje schrupp
    Nein, bei den Kämpfen in der Französichen Revolution waren Frauen nicht dabei. Erst später, als der König keine Armee mehr hatte, da haben sie sich zu einem Marsch aufgemacht, gemeinsam mit Männern. Genauso im Jahre 1848 waren bei den Kämpfen keine Frauen zu finden. Und auch nein, bei nullrechten. Das stimmt nicht, Frauen hatten rechte, aber andere als Männer, die Rechte richteten sich nach den Pflichten die man hatte, das war keine Diskriminierung sondern notwendig.

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  20. @antje
    „Ich würde, ganz abgesehen davon, auch die „gewaltsame“ Auseinandersetzung auf der Straße auch nicht als die „eigentliche Arbeit“ ansehen“
    Nicht? Hat sich jemals ein System freiwillig geändert? Ging eine Revolution jemals ohne Gewalt?

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  21. Danke für den interessanten Text über das Žižek-Buch! Ich stimme zwar damit überein dass ein Teil seiner Schreibe durchaus so wirkt als ob er „die feministische Revolution offenbar komplett verschlafen“ habe, lese ihn aber gerade auch ihn dieser Hinsicht eher als Polemiker: Nicht dass er die Debatten verschlafen hat, sondern dass er umso mehr darauf hinweisen will. Zugegeben, wenn dem so wäre riskierte er natürlich dass verlorengeht worauf er eigentlich hinaus will, und vielleicht ist es auch nicht so, dann ist es umso wichtiger ihn diesbezüglich zu kritisieren.
    Ein m.E. wesentlicher Punkt den Žižek hier und auch anderswo vorbringen will ist der, dass „die Linken“ öfters zu wenig reflektieren, inwieweit ihre subjektive Position (beispielsweise als meist gut situierte und integrierte Personen) ihre politischen Entscheide und Wertungen beeinflusst. Um das Beispiel fortzuführen: Aus dieser Position sollte man sich durchaus fragen, ob man nicht nur deshalb gegen eine grössere Umwälzung (wie der „richtige Zusammenbruch der Finanzmärkte“) ist, die für die Gesellschaft als Ganze vielleicht gut wäre, weil man dann eben als Individuum einiges verlieren würde. Ich will hier auf keinen Fall irgendwelchen Verelendungstheorien das Wort reden, und kenne die Geschichte auch zuwenig, um das wirklich sagen zu können – ich kann mir aber vorstellen dass fundamentale Veränderungen wie die französische Revolution nur darum möglich waren (sind?), weil es eine grosse, verzweifelte Klasse von Menschen gab, die nichts zu verlieren hatten, und eben in der „unmenschlichen Position der absoluten Freiheit“ waren. Und dass diese Freiheit der Linken heute abgeht.

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  22. @Emanuel – Ja, diesen Eindruck hatte ich beim Lesen, auch dass er mit dem Thema „Frauen“ polemisch-ironisch spielt und davon ausgeht, dass alle wissen, dass er es doch „eigentlich“ gar nicht so meint. Aber ich glaube, genau diese Zotenhaftigkeit macht auch seine Popularität aus und da bin ich – als eine, über die er „so“ spricht – halt not amused. Aufschlussreich auch das Beispiel aus dem oben schonmal angesprochenen taz-Artikel, wo es heißt: „Alle sind völlig aufgedreht, dass Zizek in ihrem kleinen Berliner Studio sitzt. In den Drehpausen macht er politisch inkorrekte Witze. „Können wir Ihnen etwas zur Stärkung bringen?“ – „Ja, eine schöne Frau!““ (Hier der richtige Link)

    Aber das ist gar nicht mein Hauptargument, wenn ich glaube, dass er die feministische Revolution verschlafen hat, sondern ich meine eher, dass das feministische Denken eben generell diese Subjekt, das in eine „unmenschliche Position der absoluten Freiheit“ geraten kann, in Frage gestellt hat. Ich stimme zum Beispiel Simone Weil zu, die Freiheit so definiert: „Die wirkliche Freiheit wird nicht durch die Beziehung zwischen Wunsch und Erfüllung definiert, sondern durch die zwischen Denken und Handeln. Vollständig frei wäre der Mensch, dessen Aktionen in einer vorherigen Erkenntnis des erstrebten Zwecks sowie der Verknüpfung der für die Erreichung des Zwecks geeigneten Mittel gründeten.“ Insofern wäre Freiheit also nicht konstituiert durch die Abwesenheit von Bindungen (das Ideal der Autonomie, das Zizek auf die Spitze treibt), sondern durch die Fähigkeit/Bereitschaft, das, was man denkt, auch ins Handeln zu übersetzen, soweit das in einem gegebenen Kontext eben möglich ist.

    Damit ist auch der berechtigte Vorwurf an die Linken, die Angst um ihre Privilegien haben, eingeschlossen. Luisa Muraro sagt zum Beispiel: „Eine Frau, die in Bezug auf ihre Freiheit nicht alle Möglichkeiten ausschöpft, verwechselt ihre persönlichen Probleme mit objektiven Hindernissen.“ Die entscheidende Frage ist dann aber nicht: Handle ich entschlossen und ohne Rücksicht auf Verluste? Sondern: Tue ich wirklich alles, was ich kann, oder bin ich zu feige/bequem? Konkrete Verantwortlichkeiten und Bindungen (zum Beispiel gegenüber Kindern) stehen nicht zur Freiheit und zu entschlossenem, konsequentem Handeln in Widerspruch.

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  23. @imion
    „Frauen hatten rechte, aber andere als Männer, die Rechte richteten sich nach den Pflichten die man hatte, das war keine Diskriminierung sondern notwendig.“

    Öha.

    Welche Pflichten wären denn zu erfüllen, um Anspruch auf die Menschenrechte zu erheben? Was muss ich leisten, um entsprechend des Grundgesetzes behandelt zu werden?

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  24. @Antje
    Um dem von Zizek zitierten Film gerecht zu werden: In „Die üblichen Verdächtigen“ ist das „Subjekt“, der gefürchtete „Keyser Söze“, letztlich nicht real. Es ist eine Drohkulisse, nichts weiter. Aber sie funktioniert.

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  25. @Antje
    Die Aufmerksamkeit schmeichelt natürlich seiner Eitelkeit, ich weiss nicht ob er das auch reflektiert (oder vielleicht gar nicht wahrnimmt…) – dieses Ach-ich-bin-ja-so-politische-inkorrekt-Getue finde ich generell (auch) recht bemühend.
    Wenn Du schreibst dass „das feministische Denken eben generell dieses Subjekt“ in Frage stellst, evozierst Du dann einen genderspezifischen Freiheitsbegriff? Plakativ gesagt: Der Mann, der erst frei wird wenn er sich der Banden zu Frau und Kind entledigt; die Frau, die frei dann ist, wenn sie ihren sorgfältig ergründeten Plan Schritt für Schritt umsetzt? Das finde ich interessant, ich wäre allerdings zurückhaltend in diese Richtung denken zu wollen.
    Daher sehe ich auch das entweder-oder der entscheidenden Frage nicht so. „Ohne Rücksicht auf Verluste“ heisst für mich nicht, blindlings vorwärts zu stürmen. Freiheit, entschlossenes Handeln, alles tun was man kann heisst doch: Sich der subjektiven Position bewusst sein von der aus das Ich handelt.
    Anders gesagt: Ich will niemanden vorwerfen, dass er oder sie zögert, die Finanzmärkte völlig zusammengebrochen sehen zu wollen, weil dann vielleicht der eigene bescheidene Vermögen gefährdet ist (das ist nicht die gleiche Begründung wie was Du im Text schreibst: Es geht bei der Entscheidung die ich meine nicht darum dass andere Menschen leiden könnten). Solch eine Person kann genauso entschlossen handeln, alles tun was sie kann, auch wenn man sie vielleicht als „feige“ bezeichnen könnte.

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  26. @Emanuel – Hm, ich würde diesen Freiheitsbegriff (Freiheit nicht als autonomes Subjekt, sondern auf Bezogenheit gründend) nicht prinzipiell „genderspezifisch“ nennen, wenn damit gemeint wäre, er würde besonders für Frauen gelten und für Männer nicht. Ich nenne ihn einen „weiblichen“ Freiheitsbegriff, weil es vor allem Denkerinnen waren, die ihn herausgearbeitet und entwickelt haben (von den Mystikerinnen über Simone Weil und Hannah Arendt und Iris Murdoch und Luisa Muraro und viele andere bis hin zu zum Beispiel mir :).

    Aber die Wette wären natürlich, dass das für Menschen generell gilt und die (überwiegend) männlichen Denker, die auf das autonome Subjekt setzen (von Aristoteles über Kant bis Zizek) sich irren…

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  27. „Aber die Wette wären natürlich, dass das für Menschen generell gilt und die (überwiegend) männlichen Denker, die auf das autonome Subjekt setzen (von Aristoteles über Kant bis Zizek) sich irren…“

    Ja, oder ein paar weibliche Denkerinnen in die „männlichen“ Philosophien etwas mehr oder wenig bewußt hineininterpretieren, was dort gar nicht steht, um vor einem dunklen Hintergrund nur um so leuchtender dazustehen.

    Ich kenne keinen einzigen denkenden Menschen, der das „autonome Subjekt“ als eines in der Beziehungslosigkeit auffasst – aber gut.

    Die Theorien auf dieser Website brauchen ein paar Grundannahmen, sonst funktionieren sie nicht, wie etwa:

    „Männer meinen, wenn sie von Autonomie sprechen, Beziehungs- und Verantwortungslosigkeit“

    „Kapitalismus setzt darauf, dass aus der Gier der Einzelnen etwas Gutes entsteht“

    „Frauen waren nicht bewußte und berechnende Gestalter ihrer eigenen Geschichte, sondern wurden unterdrückt“

    usw. usf. …

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  28. @Andreas – “ Ich kenne keinen einzigen denkenden Menschen, der das „autonome Subjekt“ als eines in der Beziehungslosigkeit auffasst – aber gut.“ Äh – Zizek?

    Deine anderen beiden Behauptungen teile ich nicht und das ist wieder mal reine Polemik von dir. Vor allem dreht sich dieser ganze Blog darum, dass Frauen verantwortliche Gestalterinnen ihrer Geschichte sind, aber das will dir aus irgendeinem Grund partout nicht in den Kopf.

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  29. @AntjeSchrupp:
    Diesen Zisek kenne ich nicht nur so weit, als Dein Artikel ihn einem nahe bringt – wenn Du z.B. schreibst

    „Es reicht, wenn sie neue Lebens- und Wirtschaftsformen ausprobieren, wenn sie Einfluss nehmen auf die öffentliche Meinung, wenn sie überkommene Denkmuster hinterfragen, neue politische Praktiken erfinden und so weiter. Eben das tun, womit wir alle laufend beschäftigt sind.“

    ist für mich aber ausserdem eigentlich klar, dass Du eben von ganz anderen Voraussetzungen als dieser Zisek ausgehst: Du gehst von einer funktionierenden Zivilgesellschaft aus und hast wahrscheinlich nie etwas anderes kennengelernt.

    Zisek geht mit seinem filmischen Beispiel von einer anderen Situation aus – ein Gegner, der keinen Moment zaudern wird, alle, die ihm im Weg stehen, einen Kopf kürzer zu machen, auch nur auf bloßen Verdacht des Widerstands. Sein „Held“ ist nicht beziehungslos, sondern schickt sich in das Unvermeidliche, um dann wenigstens dafür zu sorgen, dass dieses Unvermeidliche nicht umsonst geschehen ist.

    Dass er sich offenbar in dieser Situation imaginiert, ist schon zum losprusten, finde ich auch – und seine Mackerwitzchen passen ja anscheinden zum sonstigen.

    Jedenfalls sehe ich einen Unterschied zwischen einem beziehungslosen Individuum und einem, welches sich in einer feindlichen Umgebung befindet.

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  30. @Zu den anderen beiden Punkten: Den einen könnte ich, glaube ich, aus Deinen Blogs zitieren, zu dem anderen – ich denke, wir meinen etwas Unterschiedliches, wenn wir Frauen als Gestalterinnen ihrer eigenen Geschichte ansehen.

    Andererseits – wenn Du es sagst, bitte ….

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  31. @claudia
    „Welche Pflichten wären denn zu erfüllen, um Anspruch auf die Menschenrechte zu erheben? Was muss ich leisten, um entsprechend des Grundgesetzes behandelt zu werden?“
    Bei diesen Rechten ging es nicht um Menschenrechte. Frauen wurden schon immer als Menschen behandelt und hatten eben diese Menschenrechte. Da gab es zwischen Mann und Frau keinen Unterschied. Und wie ich geschrieben hatte, andere Zeiten, andere notwendigkeiten. Damals gab es kein Grundgesetz, weder für Männer noch für Frauen.

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  32. @Andreas – Ja, so könnte man diese Filmepisode interpretieren (und dann ist noch die Frage, ob es stimmt, denn bevor der „Feind“ Frau und Kind erschossen hat, kann man nicht sicher wissen, dass er es tun wird, denn es können immer noch unvorhersehbare Dinge geschehen). Aber Zizek interpretiert sie anders als du, er sagt nämlich gerade nicht, dass sich der Protagonist in das Unvermeidliche ergibt (Frau und Kind werden sterben), sondern dass er als „revolutionäres Subjekt“, indem er sie selbst tötet, sich gerade wieder aus dem Unvermeidlichen löst und eine Position der Freiheit erkämpft. Also Freiheit wird durch das Lösen von Beziehungen erreicht.

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  33. @AntjeSchrupp:

    Sicher können unvorhersehbare Dinge passieren – aber auch zum Schlechten, z.B. Folter, Verstümmelung und wer weiss was für schreckliche Dinge; man kommt sich im sicheren Schoß der BRD ja etwas idiotisch vor, wenn man so etwas erwähnt, aber in anderen Ländern und zu anderen Zeiten ist das immer noch die Realität.

    Und ja – die Freiheit, das richtige zu tun, erhalten Leute in solchen Zuständen oft nur, weil sie auf manche Beziehungen verzichten, was aber nichts mit Beziehungslosigkeit zu tun hat.

    Ich erinnere mich z.B. an eine Szene aus einem Film über die Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika – einen Mutter und ihre erwachsen werdende Tochter. Die Mutter setzt ihre Beziehung zur Tochter aufs Spiel, indem sie diese von ihren Tätigkeiten im Rahmen dieser Bewegung ausschliesst, weil sie nur so sicher zu stellen meint, dass der Tochter nichts geschieht – was die Tochter aber eben als „zur Seite schieben“ versteht, als wäre sie halt nicht so wichtig wie die „Revolution“.

    Dort endet es aber „gut“ – die Mutter merkt, dass die Tochter erwachsen ist, für sich sprechen kann und es ihre eigene Entscheidung ist, an der Anti-Apartheid-Bewegung teilzunehmen. Zum Schluss sind beide Frauen gleichberechtigte Freundinnen.

    Entsprechend hätte Zizeks „Held“ wohl auch Mutter und Kind die eigene Entscheidung lassen sollen – auch dadurch hätte er die Freiheit bekommen, zu tun, was er will.

    Wenn ich an die Philosophen der Vergangenheit denke, für die aber Verfolgung und Schlimmeres ja nun nichts Ungewöhnliches waren – kann ich nur dabei bleiben, dass Du in die „Autonomie des Individuums“ etwas hereininterpretierst.

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  34. Übrigens fällt mir dabei auch ein, dass der Verzicht auf Beziehungen, um etwas ungewöhnliches oder neues zu erreichen, ja gar nichts Besonderes ist sondern von allen möglichen Leuten täglich ausgeübt wird.

    Die Abiturientin verzichtet auf die Beziehung zum Hauptschüler, um studieren zu können, der Sportler auf Freundschaften, weil er bei Olympia teilnehmen will, der Karrierist bewertet seine Beziehungen nach Nützlichkeit etc. pp. – man muss gar nicht so weit schauen.

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  35. Ich ginge die Wette also nicht ein… es wäre aber höchst interessant der Frage einmal nachzugehen. Vielleicht könnte man mal Kant in die Runde werfen – ich habe das zwar nicht präsent, aber ich glaube dass gemäß Kant die „Moralgesetze“ auch für die Freiheit relevant sind, also dass nur ein „moralisch guter Mensch“ auch frei sein kann. Was m.E. auch auf Bezogenheit gründen würde.

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  36. @Emanuel – Ja, richtig, Kant gründet Freiheit auf Moral, allerdings holt er sich die aus der reinen Vernunft und nicht aus der Bezogenheit. Insofern sind Beziehungen natürlich bei Kant das ZIEL der Freiheit (moralische Menschen leben besser zusammen), aber nicht ihre QUELLE. Die kommt sozusagen direkt aus dem logischen Geist des Einzelnen, verstehst du, was ich meine?

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  37. @Andreas – Deine Beispiele sind nicht „Beziehungsverzicht“ sondern „Veränderte Beziehungen“. Die Abiturientin beendet die Beziehung zum Hauptschüler um andere Beziehungen aufzunehmen, nämlich die zu anderen Abiturientinnen. Wenn ich „Beziehungen“ als Grundlage von Freiheit nenne, meine ich damit natürlich nicht x-beliebige Beziehungen zu allem und jedem 🙂

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  38. @imion
    Ich wünsche viel Freude bei der erstmaligen Lektüre zum Thema Menschenrechte. Fünf Minuten dürften genügen.

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  39. Ich lese gerade die Kommentare und versuche sie in Zusammenhang mit der Filmszene zu bringen und bin gerade etwas schockiert: Das Problem an dem, was der Mann tut, ist doch nicht, dass er die Beziehung zu Frau und Kindern aufgibt, sondern dass er sie umbringt – dass er sie nicht als eigenständige Personen ansieht, sondern als seine „Schätze“ (das Kosewort ist hier verräterisch), die er zerstört, bevor sie dem Feind in die Hände fallen. Dies gilt auch, wenn die Zukunft von Frau und Kindern aus Folter, Vergewaltigung und Sklaverei besteht: Der Mann beschließt, dass letzteres für seine Familie schlimmer ist als der Tod.

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  40. @AntjeSchrupp:

    Na ja – Kant hat ja nicht nur ein dickes Buch geschrieben, um nachzuweisen, dass das Moralische gleichzeitig das Vernünftige ist. Das kann man sich ja durchlesen und nachvollziehen.

    Wieso Ziseks Held allerdings von einem Mistkerl zu einem tollen Menschen mutieren soll, wenn er nur mit anderen, genauso harten Kerlen, wie er selber einer ist, abends saufen geht, musst Du vielleicht erst noch einmal erklären 🙂 ?

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  41. Ah, sorry, ich überlas: Wie bekomm ich denn die Trennung zwischen den „richtigen“ Beziehungen und den „falschen“ hin – ich nehme an, andere harte Kerle als Saufkumpane sind schon einmal – a priori ? – die „falschen“ ?

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  42. @susanna14 – Ja, das ist der eine Skandal, der aber der relativ offensichtliche ist. Ich wollte in der Tat noch auf etwas anderes hinaus, nämlich dass Zizek behauptet, dieser Akt sei charakteristisch für das „revolutionäre Subjekt“. Der Grund, warum dieser Mann Frau und Kind erschießt ist ja nicht einfach nur der patriarchale Gestus „die gehöre mir und daher töte ich sie lieber, als sie dem Feind in die Hände fallen zu lassen“, sondern der Grund ist „Solange sie leben, behindern sie meine Freiheit, weil ich mir dauernd Sorgen um sie machen muss.“ Mir kam es darauf an, den Irrtum von letzterem zu betonen (weil ich mal vermute, dass wir uns bei der Ablehnung von ersterem ohnehin einig sind). Also ich wollte sagen, dass „Ich sorge mich um/sorge für andere“ (was zu jeder Beziehung dazu gehört, auch zu einer nicht-patriarchalen) nicht bedeutet, dass ich unfrei bin und keine Revolution mehr machen kann.

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  43. Ah, danke. Mir schien der erste Punkt etwas unter den Tisch gefallen zu sein, und ich wusste nicht mehr genau, ob jedem dieser erste Punkt klar ist.

    Zu Revolution mit Kindern kann ich etwas erzählen. Und zwar habe ich 1992-1994 für achtzehn Monate in Leipzig gewohnt, und natürlich haben mit Menschen, die damals an der Revolution beteiligt waren, davon erzählt. Zwei Kollegen von mir, ein Mann und eine Frau, haben mir erzählt, wie sie am 9. Oktober 1989 am Montagsgebet teilnahmen, aber anschließend nach Hause gingen und bei der alles entscheidenden Demonstration nicht dabei waren: Sie hatten es mit ihrem Mann oder Frau jeweils so abgesprochen: Wenn etwas passieren sollte, wollten sie nicht, dass die Kinder ganz allein da stehen. Daher ging dann nur der jeweils engagiertere Partner demonstrieren. (In beiden Fällen nicht mein Kollege oder meine Kollegin.)

    Es ist also möglich, Lösungen zu finden.

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  44. Und da dachte ich immer, dass die christliche Ehe vom Ursprung her die Frau als Besitz des Mannes definiert.
    Das Zitat ist eine offensichtlich in die Hose gegangene Variation von „Freedom’s just another word for nothing left to loose“ und behauptet nicht das beenden zwischenmenschlicher Beziehungen als Freiheit, sondern macht sich die Logik des Erpressers zu eigen. In dieser Konstellation sind Frau und Kind das Druckmittel, mit dem der Mann zu was auch immer gezwungen werden soll. Der revolutionäre Akt mittels dessen der Mann zum revolutionären Subjekt wird besteht darin, dass er dem Erpresser das Druckmittel entzieht und sich dadurch vom Zwang befreit.

    Ich selbst erschiesse eher selten Frauen und Kinder, die Banken hätte ich allerdings dann doch in die Insolvenz geschickt, weil mit Sicherheit, falls überhaupt was passiert wäre, die Folgen, vor allem auf politischer Ebene, nie im Leben so fatal gewesen wären, wie diese „Rettung“.

    So schwer ist das doch nun wieder auch nicht.
    Warum Zizek eine derartige Banalität in dieser Form erzählt wüsste ich auch zu gerne, weil er damit ganze zwei Dinge bewirkt. Die Linke kann ihm nicht folgen und die Rechte missversteht ihn und fühlt sich angesprochen und bestätigt. Letzteres ist natürlich schon lustig, weil mir in letzter Zeit ständig auffällt, dass Zizek bevorzugt von Konservativen zitiert wird und diese sich regelmässig mit den Zitaten selbst widerlegen. Von daher ist es auch mal wieder was neues, kritisches zu Zizek auf einem konservativen Blog zu lesen.

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  45. „Dies gilt auch, wenn die Zukunft von Frau und Kindern aus Folter, Vergewaltigung und Sklaverei besteht: Der Mann beschließt, dass letzteres für seine Familie schlimmer ist als der Tod.“

    Das seh‘ ich ganz genauso – um da kein Mißverständnis aufkommen zu lassen ( ich hatte ja von Schlimmeren ) geschrieben.

    Allerdings reicht, um das Falsche an diesem Handeln einzusehen, Kant’s Moralgesetz „Handle stets so, dass die Maximen Deines Wollens gleichzeitig allgemeine Gesetze sein können.“

    AntjeSchrupp stellt aber Kant und Zisek und alle anderen in eine Linie!

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  46. @antje
    „„Solange sie leben, behindern sie meine Freiheit, weil ich mir dauernd Sorgen um sie machen muss.“
    Ich denke, das bei diesem Beispiel es nicht darum geht, sich ständig sorgen zu machen, sondern darum, das seine Liebe zu diesen Personen gegen in verwendet werden können und werden um ihn zu etwas zu zwingen. Dort liegt das Problem, wird übrigens öfters mal Thematisiert, z. B. in Star Wars, das ist der Grund, warum Jedi keine Beziehung haben dürfen. Man ist dann einfach unfreier, weil man in gewissen Situationen anders handeln muss, ausserdem ist man erpressbar. Wird ja auch ab und an von Arbeitgeberen ausgenutzt, um Väter zu noch mehr Arbeit zu zwingen „Arbeite mehr für das gleiche Geld, sonst werfe ich dich raus, und deine Familie hat nichts zu Essen.“ Dieselbe Situation, hätte der AG keine Familie, die er versorgen muss, könnte er damit nicht erpresst werden.

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  47. Gestern lief Persepolis auf Arte. Passt auch irgendwie zum Thema, weil Linke ja den Umsturz im Iran unterstützten und manche nicht viel daraus gelernt haben.

    Hier der komplette Film auf Youtube:

    Und noch ein vergleichsweise unscheinbares, aber ebenso passendes Beispiel: Ich bekam letztes Jahr eine Einladung zu einer Veranstaltung ins Bayernforum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dabei sollte ernsthaft diskutiert werden, ob Bayern bereit für die Veränderung ist – gemeint war der Regierungswechsel. Der Witz ist ja, dass die Veränderung längst stattgefunden hat, egal ob die CSU nächstes Jahr abgewählt wird oder nicht.

    Wenn es um Musik und Musikkabarett geht, ist es anscheinend leichter verständlich als beim Politisieren über parlamentarische Mehrheiten:
    http://www.sueddeutsche.de/bayern/trennung-der-biermoesl-blosn-bayern-zurueckerobert-lied-fuer-lied-1.1135511

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  48. Ich glaube man sollte Žižek nicht wörtlich nehmen (ich weiss, zuviele gerade seiner Fans machen das…), und gerade auch das Beispiel hier ist eine provokante Metaphorik. Seine Stärke besteht m.E. dass seine assoziative Gemengelage provoziert und zum Denken angeregt, aber immer an der Sophisterei vorbeischrammt und relevant bleibt.

    @Antje, zur Freiheit nochmals: Ja, ich verstehe was Du da meinst, und nun auch besser was Du vorher anlässlich des Weil-Zitates gemeint hast. Ich interpretiere das anders, mehr als emanzipatorisches, rationales Freiheitsideal, das insbesondere auch zu einer emanzipatorischen linken Politik gehört. Natürlich gehört da die „Freiheit der Andersdenken“ untrennbar dazu; mehr als auf „Bezogenheit“ basierende Freiheit ist das aber m.E. mehr eine untrennbare Bedingung, Ursache, Folge linker Politik.

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  49. Einen „Plan“ in der Tasche zu haben ist nicht nur lächerlich, sondern gefährlich. Aber mit deiner Alternative habe ich auch Bauchschmerzen. Ich sehe einen Unterschied zwischen patriarchalen Strukturen oder einer androzentrischen Kultur einerseits und Kapitalismus andererseits. Die sozioevolutionäre Modernisierungsprozesse (Ausbau der Produktivkräfte, soziale Produktivitätssteigerung, Rationalisierung, funktionale Differenzierung, Individualisierung) sind geradezu Bedingung im Kampf gegen erstere und hinderlich, oder zumindest nicht großartig förderlich bei zweiterem. Zumindest gegenwärtig. Diese sozialen Prozesse haben ja sowohl den Kapitalismus hervorgebracht, als auch das Patriarchat (in der Form des Wortsinns) abgeschafft – ohne jetzt die Kämpfe des Bürgertums oder der Frauenbewegung geringzuschätzen. Aber Geschichte wird numal nicht einfach so gemacht, sondern immer unter konkreten Bedingungen. Und da können wir noch soviele Genossenschaften und Non-Profit-Organisationen gründen, das entmachtet ein globales Empire, die internat. Konkurrenz der Arbeitslager „Nationalstaaten“ und die zugrundeliegende Maschinerie eben nicht. Sicherlich können wir heute auch viel machen, so wie wir gegen Sexismus, Rassismus usw. handeln können, was auch schon mehr als eine Lebensaufgabe ist, aber die Kritik am Kapitalismus hegemonial werden zu lassen, da sehe ich die historischen Bedingungen (noch) nicht – andererseits bin ich auch ein linker Kerl, zwar nicht Zizek, aber dennoch…

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  50. Hier ein interessantes Film-Porträt über Zizek,http://walter-benjamin-bluemchen.tumblr.com/post/329785160/slavoj-zizek-liebe-dein-symptom-wie-dich-selbst
    das versucht etwas von der Denk-Gefühls-Phantasie-Welt dieses Philosophen zu vermitteln. Auch wenn ich mir nicht alle Deutungen und Interpretationen Zizeks zu eigen machen kann und will, finde ich seine Art und Weise in Paradoxien, Extremen, Assoziationen, Imaginationen zu denken und zu provozieren, antreibend im Sinne von weiter denken. Die Offenheit, mit der er versucht Innen- wie Außenwelten zu erfassen und zu analysieren, gefällt mir, womit ich nicht behaupten will, dass ich alles verstanden hätte, was dieser „Sprechapparat Zizek“ am laufenden Band produziert. @Antje, das von Dir rezensierte Buch habe ich auch gelesen. Konnte deshalb nicht so viel damit anfangen, weil es jede Menge Hintergrundwissen erfordert und sich mir vielleicht daher „der linke Kampf um das 21. Jahrhundert“ nicht recht erschließen wollte.
    Nach Anschauen dieses Film-Porträts bin ich mir nicht mehr so sicher, ob die Aussagen Zizeks über das sog. revolutionäre Subjekt so gemeint sind, wie sie hier diskutiert werden. Du sagst ja : “Žižek gibt sich viel Mühe, zerrissen zu werden”. Da mir diese Mühe nicht als aufgesetzt, sondern als Ausdruck der Zerrissenheit dieses Menschen erscheint, ist sie mir nicht unsympathisch,
    wiewohl ich mir natürlich wünschte, frau wüsste was der Autor von “Die bösen Geister des himmlischen Bereichs” denn nun genau seinen LeserInnen sagen wollte?

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  51. @Ute Plass – Das gehört zu den Stilmitteln von Zizek, dass er die Dinge, die er sagt, immer irgendwie gleichzeitig meint und auch nicht meint. Aber mir kommt das immer so vor wie die Leute, die sexistische Witze reißen, darüber lachen, aber das natürlich dann doch nicht so meinen.

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  52. @Antje, kann mich dem anschließen, was Du sagst. Dieses Gleichzeitigkeits-Phänomen und Paradoxon von Meinen und Nichtmeinen macht mich so lange mißtrauisch, wie es unerklärt bleibt. Insofern finde ich es auch legitim und angebracht Zizeks oftmals kryptisches Sprechen und Schreiben einer „Hermeneutik des Verdachts“ auszusetzen. Wie ich ihn bisher verstanden habe (siehe Film-Porträt), würde er das sicherlich begrüßen. Angesprochen auf den sexistischen Gehalt in seinen Witzchen und Geschichten, würde ein Zizek vermutlich dem gar nicht wiedersprechen, sondern psychoanalytisch gesprochen, das Unbewußte darüber mit Bewußtsein versehen, mutmaßlich mit dem Verweis auf neurotisch-paranoide Persönlichkeitsaspekte, die einen so umtreiben. Mit Einsichten seiner Person gegenüber ist er ja nicht zimperlich. Dass er sich verletztlich zeigt, indem er aus seinen Ängsten keinen Hehl macht, das finde ich sympathisch und läßt mich weiter neugierg auf diesen wild denkenen Philosophen sein. Nichtsdestotrotz: Der Lust am Zweifel tut dies keinen Abbruch.
    (

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