Kleiner Rant gegen MarkTomJack

Wir haben zuhause seit einiger Zeit ein neues Mem. Es heißt „MarkTomJack“. Zusammengesetzt aus den Serienhelden Mark (Flash Forward), Tom (4400) und Jack (Lost).

MarkTomJack (addieren könnte man auch Jim aus The Wire) bezeichnet einen bestimmten, sehr nervigen Typus Mann, der neuerdings offenbar in keiner amerikanischen Fernsehserie fehlen darf. Er ist immer weiß, er ist immer die Hauptfigur und er hat immer einen knackigen, einsilbigen Namen (oder ist es anders zu erklären, dass die einzige männliche Serienfigur, die nicht in dieses Raster passt, einen zweisilbigen hat, nämlich Peter aus Fringe?).

Wäre ich Männerbeauftragter, hätte ich schon längst einen Protest gegen diese eindimensionale, tumbe Darstellung von Männern gestartet. Denn MarkTomJack ist eine echte Plage. Wenn er nur ins Bild kommt, rollen sich schon sämtliche Fußnägel hoch. (Tatsächlich war Jack der Grund, warum ich mich nach den ersten zwei Folgen schon fast entschlossen hatte, Lost nicht mehr weiterzugucken. Nur den gesammelten Überredungskünsten meines sozialen Umfelds ist es zu verdanken, dass ich durchgehalten habe, zum Glück).

MarkTomJack kapiert nie etwas, aber er will ständig alles „fixen“. Er leidet unter der grandiosen Selbstüberschätzung, immer für alles verantwortlich zu sein, und es fällt ihm gar nicht auf, dass er die Dinge in der Regel nur verkompliziert. Er kann es nicht ertragen, dass auch mal jemand anderes ein Problem hat. Deshalb macht er sämtliche Probleme zu seinen eigenen. Wenn zum Beispiel seine Kollegin im Einsatz angeschossen wird, vergeht er an Selbstvorwürfen. Statt anderen beizustehen muss er dauernd selbst getröstet, bedauert, verstanden, gebauchpinselt werden. Er ist einfach so fürchterlich wichtig.

Vor allem Frauen gegenüber ist MarkTomJack einfach nur peinlich. Er leidet unter völlig aus der Luft gegriffenen Eifersuchtsattacken. Er macht ständig alles falsch, auch wenn es gar nichts falsch zu machen gibt, wahrscheinlich deshalb, weil er sonst nicht im Mittelpunkt stehen würden. Sein Verhältnis zu anderen Männern wiederum besteht vor allem aus Konkurrenz um die Position des Leitwolfs. Diese Konkurrenz zelebriert er sogar dann, wenn die anderen Männer an ganz anderen Dingen interessiert sind, was meistens der Fall ist. Das übersteigt aber seinen Horizont. Einzige Ausnahme ist natürlich sein Vater, dem er sich beweisen muss.

MarkTomJack ist für die Handlung eher nebensächlich, denn es gibt genügend andere Protagonisten und Protagonistinnen, die das, was es zu tun gibt, genausogut – oder besser – erledigen können. Die auch viel interessanter sind, weil sie eine Persönlichkeit haben, die diese Bezeichnung verdient, weil sich ihr Gefühlsleben nicht ausschließlich aus Klischees speist, weil sie komplexer Gedankengänge mächtig sind. Weil man bei ihnen nicht immer schon im Voraus weiß, was sie in der nächsten Sekunde tun oder sagen werden.

Im Vergleich mit früheren Serienhelden – Caine, Rockford, Picard, Mulder, you name it – ist der MarkTomJack von heute ein blasser, langweiliger Junge. Nicht, dass es früher die Figur MarkTomJack nicht gegeben hätte. Er trat auch in älteren Serien schon auf, aber nur als Nebenfigur, die eben genau die Aufgabe hatte, die Schlichtheit von MarkTomJack im Vergleich zu den eigentlichen Hauptfiguren zu verdeutlichen. MarkTomJack ist es, der von Caine in die Schranken gewiesen wird, dem Rockford aus seinem selbstveschuldeten Schlamassel hilft, und der Picard oder Mulder dauernd das Leben schwer macht, weil sein Horizont völlig auf das eigene Ego beschränkt ist.

Liebe Drehbuchautoren (oder sind da sogar Drehbuchautorinnen dabei?): Bitte hört auf, eure guten Geschichten mit solchen MarkTomJacks zu verhunzen. Danke.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

33 Gedanken zu “Kleiner Rant gegen MarkTomJack

  1. So wie er hier beschrieben wird, scheint mir der Typ leider dem momentanen Selbstverständnis Amerikas zu entsprechen. Unverschuldet am Abgrund, keiner versteht sie, aber sie machen unverdrossen so weiter wie bisher. Vielleicht spielt er deshalb überall die Hauptrolle. Ich kann nur sagen: bin ich froh, dass ich noch keiner dieser Serien verfallen bin …

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  2. @Eva – Das „Schlimme“ daran ist, dass die Serien abgesehen von den MarkTomJacks tatsächlich gut sind! (Ich war ihnen jedenfalls allen verfallen :))

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  3. Apropo Serien: Hab den Pilotfilm zur Serie „Hannah Mangold & Lucy Palm“ gesehen, dort sind alle Männer eher Caines, in Nebenrollen und als Ar… schön herausgearbeitet. Hoffe sie bleiben dabei und sparen sich auch den Marktomjack.

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  4. @susanna14 – Ja, vielleicht, allerdings kam er mir noch nicht so „zuwendungs- und aufmerksamkeitsbedürfig“ vor wie die neueren MarkTomJacks. Ich habe mal irgendwo gelesen, bei der Konzeption von TNG hätten sie Kirk in zwei Personen aufgespalten: Den „guten, ernsthaften“ Captain (Picard) und den Frauenheld (Riker). Weiß aber nicht, ob das stimmt…

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  5. Leider kenne ich keine der Serien, kann mir aber sehr gut vorstellen, dass diese Figur sehr ätzend rüberkommt. Bin allerdings überrascht, dass du Jim (McNulty, oder?) aus „The Wire“ dazuzählen würdest Ich fand den gar nicht so unkomplex, zudem er in der 3. und 4. Staffel kaum eine Rolle spielte und daher nicht wirklich eine Hauptfigur ist.

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  6. @Paula – Ah, gut zu wissen! während ich die anderen Serien komplett gesehen habe, hab ich bei The Wire bisher nur die erste Staffel, und da ist er noch ziemlich klar MarkTomJack. Ich wollte eigentlich nicht weiter gucken, weil mir die Serie generell etwas von Männern und ihren Problemen übervölkert ist 🙂 Aber jetzt hast du mich natürlich neugierig gemacht !

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  7. @Antje: Stimmt, die erste Staffel ist noch sehr McNulty-lastig. Und ja, leider spielen generell eher Männer (immerhin viele PoC) im Vordergrund, gibt nur wenige wichtige Frauen. Finde „The Wire“ jedoch sehr empfehlenswert und denke, es ist eine der besten Serien, die je produziert wurden.

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  8. @Paula – Ja, ich denke manchmal, eine solche Serie verträgt entweder Frauen oder PoC, aber nicht beides. Vermutlich ist es so ähnlich, wie bei Star Trek, wo Roddenberry anfangs ja eine Frau als 1. Offizier wollte und Spock als Wissenschaftsoffizier, aber die Fernsehfirma sagte, Frau UND Alien auf der Brücke sind zu viel. Sie haben sich dann für den Alien entschieden. Ich meine, das hängt damit zusammen, dass die Figuren immer noch als „weißer Mann mit einer Abweichung“ gesehen werden. Habe das hier mal ausführlicher verbloggt.

    @Gerhard – Die Serien sind gut gemachte, spannende Unterhaltung, deshalb ziehe ich sie zum Beispiel Polittalks im Fernsehen vor 🙂

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  9. Ich kann hier nur über die Serienfigur von Jack reden aber der Typ ist mir auch ulitmativ auf den Keks gegangen zu blöd was echt abzuchecken besonders gegen ende der 3. Staffel anfang der 4. Staffel hätte ich fast aufgehört zu schauen da es einfach nur mehr unerträglich war!

    Wobei ich dir sagen muss das die Serienfigur-Typus von Kate sicherlich auch solch einen Blog Wert ist! Man sagt ihr mach das nicht und sie macht es trotzdem usw. und will immer besser dastehen usw. der selbe Typus ist Lisa von den Simpsons einfach nervig und ein Klugsch***typ! 😉

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  10. Klasse Artikel. Ich habe mich immer schon gefragt, was diese merkwürdigen Typen uns eigentlich sagen wollen – nervig und peinlich zugleich. Danke für die Erklärung des Phenomens.

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  11. Vielleicht ist dieser Typus eine schöne Projektionsfläche für einige der Veränderungen, mit denen manche Männer heute kämpfen müssen. Kenne die Figuren selber nicht, aber so wie du sie beschreibst, kämpfen sie ja zum Beispiel mit so antiquierten Gedanken wie ,,eine Frau beschützen müssen“. Und ich glaube, ein Mensch muss nicht Genderwissenschaft studieren, um beim Konsum solcher Serien zu bemerken, dass das doch eine recht flache Charakterdarstellung ist. Und ich vermute mal, dass diese Charakterform so häufig gezeigt wird, weil genau sie so angegriffen wird in der heutigen Zeit: die oberflächliche, etwas zum Macho neigende Männlichkeit, der aber dann die Partnerin nur als Spiegelbild für seine Gefühlszustände braucht und umsorgt werden will. Eine Form der Männlichkeit, an der sich die zukünftigen Fehltritte schon von vornherein abzeichnen, vielleicht auch eine Abrechnung mit diesem so berechenbaren und veralteten Männlichkeitstypus. Ich kenne niemanden, der MarcTomJack sein will. Und ich kenne auch zugegeben keinen Mann, der so ist wie MarcTomJack. Es sind nur Bilder, mit denen wir spielen.

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  12. Seh ich so ähnlich, nur bei McNulty würde ich dagegenhalten. Marktomjack ist ein Machertyp, Alphatier, Anführer ohne jeden Tiefgang in seiner Persönlichkeit, der alle Probleme zu seinen machen muss. Finde ich furchtbar anstrengend diese Typen. McNultys Flachheit ist eine andere. The Wire orientierte sich m.E. stark (neben Brecht, und den Polizeidokumentationen) an der griechischen Tragödie (bzw. neomarxistisch-poststrukturalistischen Interpretationen dieser), was auch an dem Aufbau der Serie deutlich wird. Zunächstmal: Protagonisten haben bei The Wire keinen modernen individual-psychischen Tiefgang, i.S. psychologischer Einsichten, vergleichbar der Flachheit antiker Epen und Tragödien, der ist aus dieser Perspektive auch gar nicht so wichtig, denn die Protagonisten sind ohnehin austauschbar, was ja über die Staffeln hinweg immer wieder gezeigt wird. Sicher das individuelle Erleben unterscheidet sich, aber die Verhältnisse die die Protagonisten personifizieren ändern sich in der Serie nicht wirklich, immer wieder sterben Protagonisten und werden durch neue ersetzt, die die selbe Rolle (doppeldeutig!) in diesem Stück erfüllen. Das Problem der Protagonisten ist, dass sie in The Wire nicht begreifen, dass sie Beziehungen, Verhältnisse, Strukturen personifizieren, dass sie bestimmte Funktionen erfüllen. Problematisiert wird es dadurch, dass das Schauspiel, das „game“ in einer postindustriellen Region der übelsten Sorte stattfindet: In The Wire kommen keine produzierenden LohnarbeiterInnen vor. Es gibt sie nicht mehr. Die Lohnabhängigen verteilen sich auf Drogenhandel, Polizei, Schule, Medien und Hafenarbeiter. Wobei der Drogenhandel der größte „Arbeitgeber“ ist. Ein großer Teil der Gesellschaft sind Junkies, die sich durch Kriminalität finanzieren. Es hat sich eine soziale Maschinerie gebildet die alles und jeden frisst (, vergleichbar mit H. Arendts Überlegungen zur Totalen Herrschaft in Bezug auf T. Hobbes).

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  13. McNulty ist kein Held. Er ist ein einfach gestrickter Ire, der ein „Autoritätsproblem“ hat. Der Vorwurf er hätte eine „protestantische Arbeitsethik“ ist nicht haltbar (so Daniel Kulla), denn er sagt zwar er möchte „nur seinen Job machen“. De facto stimmt das aber nicht, denn meistens will er das nur dann wenn die Befehlskette ihm im Wege steht. Das hat er mit dem viel komplexeren Agent Moulder gemeinsam. Und beide macht es zu Außenseitern. Marktomjack ist aber kein Außenseiter, er ist ein ekelhaft glatter Hero. Er würde nie wie McNulty einen perversen Serienmörder erfinden, nur damit die Polizei mehr Geld bekommt. McNulty ist beim zweiten Hinsehen zuviel Antiheld, als ein MarkTomJack zu sein. Abgesehn davon hat McNulty nicht die Hauptrolle, keiner hat die, auch wenn es in der ersten Staffel so scheinen mag. Dass es so wenige weibliche Protagonisten (Protagonistinnen?) gibt, dass Kriminelle immer schwarz sind, dass fiese Anwälte jüdisch sind, wurde kritisiert, ohne die subtile Kritik zu verstehen, auf die der Produzent in Interviews gerne hinweist. Alle Protagonisten sind überzeichnet. Alle Situationen sind übertrieben. Der Zuschauer erhält kein Abbild der Wirklichkeit.

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  14. Faszinierend fand ich, wie die lesbische(!) Polizistin immer mehr vermännlicht, den Habitus ihrer Kollegen internalisiert und sich wie ein Kerl gegenüber ihrer Frau verhält. Irgendwie weiblichere Frauen gibt es bei der Polizei nicht! Unter den Gangster ohnehin nicht, nicht in einer harten Männerwelt. Ein Mädchen ist derart postgender, dass ich das Geschlecht erst nachlesen musste. Wer die subtile Kritik nicht mitbekommt, der wird sich natürlich draufstürzen: Sexistisch, antisemitisch, rassistisch, neoliberal, kapitalistisch, strukturdeterministisch. David Simon wollte eigentlich diese Dinge verdeutlichen, Klischees überzeichnen, um sie zu analysieren, zu kritisieren….

    Ups, ist jetzt doch bissl länger geworden, aber ich liebe Serien, über die lässt sich hervorragend theoretisieren und Spaß machen sie auch… 🙂

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  15. @Birkenrinde – Da bin ich mal gespannt, ich habe von The Wire ja bisher erst die erste Staffel gesehen, und da finde ich McNulty doch noch recht MarkTomJack-mäßig. Mich hat dann die Lust verlassen, weiter zu schauen, zumal die Handlung nach Staffel 1 ja auch erstmal „beendet“ war, also kein Cliffhanger-Aspekt dabei war. Mal sehen, vielleicht mache ich irgendwann noch mit den weiteren Staffeln weiter.

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  16. Ja, der Thrill ist bei The Wire selten, Cliffhanger fehlanzeige – dass der dokumentarische Stil als langweilig empfunden wird, kann ich auch verstehen. Andererseits war Lost ein Dauer-Cliffhanger, Ende jeder Folge quasi, wodurch die Serie mir wiederum langweilig wurde…^^

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  17. „Vermutlich ist es so ähnlich, wie bei Star Trek, wo Roddenberry anfangs ja eine Frau als 1. Offizier wollte und Spock als Wissenschaftsoffizier, aber die Fernsehfirma sagte, Frau UND Alien auf der Brücke sind zu viel. Sie haben sich dann für den Alien entschieden“

    Was ist mit Uhura? Die war doch auch auf der Brücke? Kommunikationsoffzier oder so.

    Da hat aber jetzt jemand nonsens geschrieben.

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  18. “ Ja, ich denke manchmal, eine solche Serie verträgt entweder Frauen oder PoC, aber nicht beides“

    Bei RE war es sogar beides in einem.

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  19. @Katja – naja, Uhura hat zwar im Nachhinein einen gewissen Kultstatus, aber sie ist in der Serie keine Hauptfigur, auch wenn sie auf der Brücke arbeitet. sie hat nur in ganz wenigen Folgen eine aktive Rolle.

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  20. Ich überlege gerade, ob eine Figur wie Uhura heutzutage nicht einen Proteststurm auslösen würde. Zu ihrer Zeit mag sie revolutionär gewesen sein, eine PoC auf der Brücke zu haben, die hin und wieder sagt: „Ich habe ein Signal empfangen“, heutzutage wäre das (zum Glück) viel zu wenig.

    Die MarkTomJacks wären demgegenüber auch ein Rückschritt.

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  21. Ich durfte mir gerade einen Werbefilm für einen Marvel Avenger Film antun und musste gleich an diesen Beitrag denken. Neben den einsilbigen Charakteren sollte man auch den übertriebenen Body-Kult zum MarkTomJacks-Phänomen zählen.
    Der scheint bei den Männern mittlerweile schlimmer zu sein, als bei den Frauen. Und nicht nur in den Filmen, sondern auch abseits davon, in amerk. Talkshows, Interviews, etc., gibt es kaum mehr Gespräche mit den männl. Darstellern von MarkTomJacks, ohne dass im Hintergrund eine Oben-Ohne Photo von ihnen gezeigt wird. Sie zeigen dann verlegen ihre Muskeln, während die Darstellerinnen neben ihnen sie fassungslos anschauen und denken: „Ehrlich? EHRLICH!? Dir gefällt das?“

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