Geschlechterdifferenz, reloaded

Taelon, geschlechtslos (allerdings nur theoretisch).

Einer der interessantesten Befunde im „post-biologistischen“ Zeitalter ist wohl der, dass die Geschlechterdifferenz, die früher so eng mit dem Körper und der Biologie verknüpft zu sein schien, keineswegs untergegangen ist, sondern so fit und lebendig ist wie eh und je. Georg Seeßlen hat jetzt zwei fleißige Bücher geschrieben (ein dritter Band soll noch folgen), in denen er das aufdröselt.

Die Ablösung der Bedeutung von „Geschlecht“ von den biologischen Phänomenen, aus denen man das ehemals hergeleitet hat, vollzieht sich auf vielen Ebenen und von unterschiedlichen Richtungen her. Was Judith Butler und andere erkenntnistheoretisch analysiert haben, hat längst augenfällige Entsprechungen in der Realität ebenso wie in der Kulturproduktion:

Medizintechnik macht es möglich, sekundäre biologische Geschlechtsmerkmale zu verändern, Penisse, Brüste und Vaginas können entfernt und angefertigt werden. Biologische menschliche Körper können mit technischen Mitteln ergänzt und verändert werden. Sogar der Vorgang des Gebärens – der im Zentrum der früheren biologischen Unterscheidung von „weiblich“ und „männlich“ stand – wird vom Frauenkörper gelöst.

Von der anderen Seite kommend werden Roboter und Künstliche Intelligenzen erfunden und schon längst eingesetzt, irgendwo trifft sich das dann in der Mitte, wo es schwer wird, zu unterscheiden, ob man es mit einer menschlichen Maschine oder mit einem kybernetisch aufgerüsteten Menschen zu tun hat. Kulturtheoretisch verhandelt wird das in „Postgender-Diskursen“ oder in queeren Selbstverständnissen, utopisch (oder dystopisch) ausformuliert im Science Fiction, in der Werbung, in der Popkultur. Das Internet als neuerdings vorwiegendes Kommunikationsmedium schließlich ermöglicht es (und verlangt) von uns allen, Geschlecht bewusst zu „performen“, niemand ist mehr gezwungen, in der Öffentlichkeit mit dem Geschlecht in Erscheinung zu treten, das das angeborene ist. Nie war es so leicht, ein transsexuelles Eichhörnchen zu sein.

Man hätte ja meinen können (und viele meinten das), dass diese technisch-medizinisch-kulturell ermöglichte Trennung zwischen Geschlechterperformanz und biologischem Körper dazu führen würde, die Kategorien „weiblich“ und „männlich“ ins Wanken zu bringen. Aber weit gefehlt. Fast niemand, die oder der im Internet unterwegs ist, tritt dort mit einem anderen Geschlecht auf, als dem angeborenen. Und auch im Feld der Kybernetik und des Science Fiction sind bislang keine „Post-Gender“-Wesen entstanden, das genaue Gegenteil ist der Fall: Die Aliens, Cyborgs, Roboter, die uns da begegnen, sind in der Regel sehr viel krasser und eindeutiger geschlechtlich konnotiert, als es bei biologischen Körpern jemals der Fall war.

Georg Seeßlen macht das zum Beispiel an Robotern deutlich: Sie werden von den Menschen (also den anvisierten Konsument_innen) nur akzeptiert, wenn sie eine eindeutige geschlechtliche Zuordnung haben, und mehr noch: Wenn diese Zuordnung auch klar den eingefahrenen Geschlechterstereotypen entpricht. Pflegeroboter müssen weiblich aussehen, Arbeitsroboter männlich, sonst traut man ihnen nichts zu.

Was für Roboter gilt, gilt ebenso für die Darstellung von Außerirdischen im Science Fiction. Noch nie ist es gelungen, eine wirklich geschlechtsneutrale, humanoide Gesellschaft zu entwerfen. Geschlechtslosigkeit lässt sich offenbar nur darstellen, wenn es um Kinder oder Tiere, um Geistwesen oder Glibbermasse oder Ähnliches geht. Sobald die Wesen erwachsene „humanoide“ Formen annehmen, brauchen sie ein Geschlecht.

Man könnte nun meinen, dies alles liege an der Phantasielosigkeit der Autor_innen, oder an der Unflexibilität des Publikums, das aus purer Gewohnheit keine post-gender-Humanoiden akzeptiert. Das spielt wohl sicher eine Rolle, kann es aber meines Erachtens nicht erklären. Ein Hauptgrund ist vielmehr, dass wir „Geschlechtsneutralität“ auch deshalb nicht denken (und damit wahrnehmen) können, weil wir alles Eingeschlechtliche unweigerlich als „Männlich“ identifizieren, einfach deshalb, weil wir Jahrhunderte Patriarchat auf dem Buckel haben, also eine symbolische Ordnung, die keineswegs von Zweigeschlechtlichkeit, sondern vom Sich-zur-Norm-Setzen des Männlichen charakterisiert war.

Der Versuch, eine „geschlechtslose“ Kultur zu beschreiben, geht deshalb sogar dann schief, wenn die Autorinnen sich dieser Gefahr bewusst sind, wie zum Beispiel bei Ursula K. Le Guins „Winterplanet“ oder der auf einer Idee von Gene Roddenberry basierten Science Fiction Serie „Earth: Final Conflict“ (deutsch: Mission Erde).

Hier haben sich Außerirdische auf der Erde angesiedelt, die Taelons, die keine Geschlechterdifferenz kennen. Um zu vermeiden, dass sie sofort als „männlich“ einsortiert werden, haben die Macherinnen ganz dezidiert versucht, gegenzusteuern. (Unter ihnen Majel Barrett-Roddenberry, die sich mit dem Thema auskennt, denn sie war in der Original Series von Star Trek eigentlich als weibliche erste Offizierin vorgesehen, musste dann aber die Brücke für den Außerirdischen Spock räumen, da die Produktionsfirma nur entweder Frauen oder Aliens dort haben wollte und wurde dann zur Krankenschwester degradiert).

Die Taelons werden von weiblichen Schauspielerinnen verkörpert, zum Beispiel, sie treten „sanft“ auf, haben nichts Kriegerisches an sich. Aber es nutzte alles nichts. Unweigerlich werden die Taelons als männlich wahrgenommen, und spätestens in der fünften Staffel kommt das dann raus, als einer von ihnen nach seinem Tod als „Frau“ wieder zum Leben erweckt wird und das von allen Beteiligten diskussionslos als „in einem anderen Geschlecht“ interpretiert wird. Womit bewiesen wäre, dass er vorher nur scheinbar „geschlechtsneutral“, faktisch aber männlich gewesen war.

Auch Seeßlen zeigt an sehr, sehr vielen Beispielen, dass die Beharrung auf geschlechtlicher Konnotation nicht einfach nur eine Folge von Jahrhunderte langer Indoktrination ist. Denn der Körper und seine „natürlichen“ biologischen Grenzen sind kein Argument mehr, und es geht bei der Erfindung oder Konstruktion von Mensch-Maschinen-Wesen überhaupt nicht darum, sich an einem „natürlichen“ Ideal von Männlichkeit und Weiblichkeit zu orientieren.

Ganz im Gegenteil sind allerlei Mischformen denkbar, Menschen mit Brüsten und Penissen gleichzeitig zum Beispiel, oder Frauen mit sehr „weiblichem“ Aussehen, denen Maschinengewehre an den Arm gewachsen sind. Das Überschreiten biologischer „Geschlechtergrenzen“ ist keineswegs negativ konnotiert, sondern macht im Gegenteil den Reiz des Geschehens aus, nur dass das Ergebnis eben nicht das ist, dass die Geschlechterdifferenz bedeutungsloser wird, sondern dass sie im Gegenteil in Unendliche, Monströse, aufgeblasen wird: Nie waren die Penisse so lang, die Brüste so groß, die Unterschiede im Erscheinungsbild von „Männlichem“ und „Weiblichem“ augenfälliger als im Computerspiel, im Science Fiction, in der Robotik.

Ich denke, der Grund liegt darin, dass wir bei der Geschlechterdifferenz viel mehr verhandeln als bloß die Bedeutung von Frausein und Mannsein. Was hier verhandelt wird, ist vielmehr die Gesellschaft insgesamt und alle ihre Themen. Die Geschlechterdifferenz betrifft nicht Männer und Frauen, sie betrifft alles, die Politik, die Lebensformen, die Ernährung, die Wissenschaft, den Straßenbau, die Landwirtschaft, die Raumfahrt, die Medizin und so weiter und so weiter. Das ist auch der Grund, warum Geschichten mit „Humanoiden“ ohne Verhandeln der Geschlechterdifferenz nicht möglich sind: Würden wir alles außen vor lassen, was mit der Geschlechterdifferenz verwoben ist, blieben schlicht keine Themen mehr übrig, die verhandelt werden könnten, und damit keine Geschichten, die erzählt werden könnten.

„Ihr werdet euch noch wünschen, die Geschlechtsdifferenz wäre an den biologischen Körper gebunden“, könnte ein Fazit der Lektüre dieser Bücher sein. Denn immerhin hält der biologische Körper Defekte bereit, Uneindeutigkeiten, kennt winzige Penisse und riesige Klitorisse, kennt Intersexualität, kennt breite Interpretationsspielräume im Hinblick auf die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit.

Die Loslösung der Geschlechterdifferenz vom biologischen Körper hingegen birgt in sich die Tendenz zur Vereindeutigung. Gerade weil die Biologie uns nicht mehr determiniert, können sich Klischees und Stereotype ungehindert verbreiten, und da ist keine Natur weit und breit, die sich ihnen in den Weg stellen und ihre „Reinheit“ unterminieren könnte.

So gesehen könnte die Natur, die Biologie, fast schon wieder so etwas wie ein realer Anhaltspunkt sein, um sich zu vergewissern, was mich, eine Frau, wirklich ausmacht: Keine riesigen Brüste und schmale Taille jedenfalls, keine Sexyness, sondern normale Uneindeutigkeit. Ein Blick in den Spiegel, auf meinen Bauch, meine Beine, in mein Gesicht (und auf die realen Körper anderer Frauen und Männer) ist vielleicht heutzutage der beste Weg, um Geschlechterstereotype wieder grade zu rücken.

Aber das wird natürlich nicht reichen, ein „zurück zur Natur“ gibt es nicht. Der Weg kann nur der sein, sich der Mühe zu unterziehen, die unserer gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Produktion unterliegenden Geschlechterdifferenzen zu analysieren, sich ihrer bewusst zu sein und sie frei zu gestalten. Damit wir die Definitionshoheit darüber, was „Weiblich“ ist, nicht irgendwann gänzlich an Lara Croft und ihre Gefährtinnen abtreten.

Georg Seeßlen: Träumen Androiden von elektronischen Orgasmen? und Der virtuelle Garten der Lüste. Sex-Fantasien in der Hightech-Welt, Bände I und II (Band III folgt noch), Bertz + Fischer, Berlin 2011.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

46 Gedanken zu “Geschlechterdifferenz, reloaded

  1. „Der Weg kann nur der sein, sich der Mühe zu unterziehen, die unserer gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Produktion unterliegenden Geschlechterdifferenzen zu analysieren, sich ihrer bewusst zu sein und sie frei zu gestalten.“

    Ganz genau dies! Vielen Dank, Antje. 🙂
    Besonders erfrischend finde ich dann besonders in den Unterhaltungsmedien Beiträge, welche Geschlechterdifferenz gar nicht direkt thematisieren (und damit durch eine vermutete propagandistische Wirkung ihren eigenen Effekt schwächen können), aber durch ihren freien Umgang damit ein Statement des ‚anything goes‘ abgeben, welche also nicht einfach nur *ein* altes Geschlechterideal durch *ein* neues, vermeintlich fortschrittliches ersetzen (nichts finde ich ermüdender als Beiträge über *die* „neue Frau“ oder *den* „neuen Mann“), sondern eine *Vielfalt* der Entwürfe schaffen, welche sowohl im Äußeren Charakterere als auch in ihrem Verhalten genügend „innergeschlechtliche Differenz“ aufweist, dass sowohl die Figuren selbst als auch die Zuschauer oder Spielteilnehmer (gerade in interaktiven Medien wird die Frage besonders interessant, meinem Empfinden nach) keinen Anlass haben, sich eindeutigen geschlechterspezifischen Erwartungen ausgesetzt fühlen zu müssen.

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  2. Toller Artikel, sogar was neues über Star Trek gelernt 🙂 Dass selbst Roboter eine eindeutige Geschlechtsidentität haben sollen gibt ein trauriges Bild unserer Gesellschaft. Ich frag mich woher das kommt.

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  3. Ich finde die These steil: „Noch nie ist es gelungen, eine wirklich geschlechtsneutrale, humanoide Gesellschaft zu entwerfen.“
    Ich vermute, dass die Rezeptionsseite einbezogen werden muss, etwa so:
    „Es gelingt (mir/uns) einfach nicht, eine wirklich geschlechtsneutrale, humanoide Gesellschaft wahrzunehmen, selbst wenn sich die Autoren viel Mühe gegeben haben.“
    Das sagt dann weniger über die Autoren und mehr über das Publikum aus, das sich natürlich, schon allein, wenn es sich die Frage stellt, ob die Aliens nun männlich oder weiblich sind, in zweigeschlechtlichem Normdenken bewegt. Da der (heutige/hiesige/durchschnittliche) Rezipient nach Hinweisen auf Geschlechtszuordnungen sucht, wird er auch welche finden, egal, ob die Autoren sie so gemeint haben oder nicht.
    Daraus ergibt sich wohl auch der Reiz der Rekombination: Männliche Merkmale & weibliche Merkmale zu mischen löst eine Irritation aus, die vermutlich modernen Rezipienten gut gefällt. Das müssen barbusigen Maschinengewehr-Mutantinnen sein, Lara Croft tut es auch: Stereotype weibliche Merkmale werden stereotyp männlichen entgegengesetzt – die Irritation wird durch die deutliche Hervorhebung verstärkt (bzw. dem flüchtigen Rezipienten vielleicht erst deutlich gemacht).
    [Ich wiederum finde gerade den Gedanken irritierend, dass junge Männer, die ja angeblich Lara Croft toll finden, sie nicht vor allem deshalb toll finden, weil sie Riesenbrüste hat, sondern vor allem deshalb weil die Riesenbrüste mit männlichen Verhaltensstereotypen kombiniert sind. Ideale Männerfreundschaft mit Brüsten, könnte man sagen.]

    Wie sich die Autoren das gedacht haben, oder wie andere das wahrnehmen, kann ich nicht sagen. Ich fand aber, dass die Bynare (StarTrek TNG) durchaus als geschlechtsneutrale, humanoide Gesellschaft rüberkamen: http://de.memory-alpha.org/wiki/Bynar
    Der Clou dabei ist, dass sie binär codiert sind – aber diese Codierung verschiebt sie auf eine Metaebene über männlich/weiblich. Bynare repräsentieren dadurch quasi das Konzept von Zweigeschlechtlichkeit, ohne einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden zu können (also von mir zumindest).

    Abschließend noch die Überlegung, dass Zuordnung in ein binäres Schema von uns ja häufig zur Orientierung benutzt wird, ohne dass dies immer männlich/weiblich heißt. (Es dürften sich aber oft Parallelen in dieser binären Ordnung finden, so dass die eine Seite als weiblich, die andere als männlich angesehen werden kann.) Beispielsweise Klassenordnung Herrschende & beherrschte Klasse, oder einfach wir/die. Bei letzterem ist die Zuordnung männlich/weiblich vermutlich an die Selbstzuordnung des Sprechers gebunden.

    Die Geschlechterdifferenz ist nicht tot, aber man kann mit ihr spielen.
    Ihre
    Erbloggtes

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  4. @Erbloggtes – Aber selbstverständlich geht es um die „Rezeptionsseite“, aber das ändert doch nichts an der Beobachtung. Meine These ist, dass dieses „Rezeptionsdefizit“ kein individuelles Versagen oder Phantasielosigkeit der einzelnen Betrachterin ist, sondern in der Sache selbst liegt. Man kann es höchstens punktuell durchbrechen, wie etwa bei den Bynaren, die aber eben auch nur in einer Folge auftreten und mit einem sehr begrenzten Thema. Ich wette, würde man um die Bynare eine ganze Staffel drehen wollen, würde man das Konzept nicht durchhalten.

    Voll einverstanden bin ich auch mit deiner Beobachtung, dass das binäre Schema sich nicht nur im Bezug auf Männlich/weiblich findet, sondern auch in allen möglichen anderen „symbolischen Ehepaaren“. Daher ja meine These am Schluss, dass wir uns mit diesem System anhand all dieser anderen gesellschaftlichen Themenfelder beschäftigen müssen und es eben nicht nur um das Verhältnis von Frauen und Männern geht.

    Last not least würde ich behaupten, dass mit der Geschlechterdifferenz schon immer „gespielt“ wurde, nicht erst seit der Trennung von Geschlechterdifferenz und Biologie. Die Bedeutung von „Männlich“ und „Weiblich“ war nie eindeutig, wurde immer (kontrovers) verhandelt, die Grenzen wurden immer spielerisch überschritten. Das liegt sozusagen ebenfalls in der „Natur der Sache“.

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  5. ziemlich komplex, das thema. ich bezieh mich mal nur weitläufig auf den sehr anregenden ausgangstext – in der hoffnung, dass die bezüge trotzdem herstellbar sind. und schildere stattdessen den wandel, der mich in den letzten jahren so mir nichts dir nichts überollt hat.

    als kerl war ich überzeugter sozialisationstheoretiker, hielt geschlecht für sozial konstuiert und perspektiven für auswechselbar. ich spielte geschlechterdifferenzen herunter und fand das hartnäckige festhalten an geschlechtsspezifischen unterschieden stereotypenverliebt und einer auf unflexibilität oder unsicherheit gründenen borniertheit geschuldet. meine haltung war: anything goes (solange es von der biologie nicht ausgeschlossen war – schwanger als mann geht zum beispiel nicht).

    die atemberaubende erkenntnis schließlich, dass mein geschlechtsbewusstsein nicht zu dem körper passt, mit dem ich die ganze zeit rumlief, hat dem konstruktivisten in mir ’ne harte nuss zu knacken gegeben. mittlerweile weiß ich, dass eben nicht alles geht. im gegenteil, es gibt dinge, die passen, und andere, die gar nicht gehen. transsexuelle eichhörnchen gibt es im virtuellen raum. in der realität ist es wichtig, dass man versucht, mit sich identisch zu sein. sonst wird man höchstwahrscheinlich verrückt.

    dieses identisch mit irgendwelchen vorgaben zu sein – mal so als randbemerkung – wird natürlich auch in der gesellschaft gerne genommen und erwartet. wie ich es z. b. erfahre, wenn ich als transsexuelle frau die herren der schöpfung bisweilen irritiere, weil sie sich von mir in ihrer unsicherheit beobachtet und ertappt fühlen – im alltäglichen kontakt. aber das soll hier zweitrangig sein.

    anspruchsvoller für die geschulte (de-)konstruktivistin war es, wie man mit dem ontologischen rest umgeht, der da plötzlich da sein soll. ist etwa doch nicht alles konstruiert? muss da dringend ein weltbild entsorgt werden? das bewusstsein, mich selbstreflektiert und emotional und biographisch klar zu einem geschlecht zuordnen zu können – und dann noch ganz anders, als ich es mir je zugestand, widersprach zunächst allem, was ich geglaubt habe.

    das problem sind tatsächlich die eindimensionalen stereotypen. aber nicht nur in der kulturellen produktion, sondern auch in dem, worauf sie sich beziehen … und wie geschlecht so gemeinhin konzipiert ist. ganz furchtbar eindimensional bipolar.

    geschlechtlichkeit ist eben nicht erschöpfend beschrieben wie in der kulturellen adaption, hier die maskuline potenz, da die feminine sexyness. und die kombination dieser attribute, wenn es irgendwie anders sein soll.

    geschlechtliche identität ist multipolar und hängt ab von der ausprägung des körpers und etwaigen primären und sekundären merkmalen. naja, schon da gibt es kein schwarz-weiß, sondern ein kontinuum. aber es hängt auch ab von dem eigenen körperempfinden, den hormonen, dem denken (und vielleicht auch der organisation des gehirns), der biographie, der sozialisation und bestimmt vielen anderen dingen mehr. und jedes wesen hat da so seinen individuellen, kaleidoskop-artigen mix, mit dem es durch die gegend spaziert.

    vielleicht ist das vorab-verständnis von geschlecht einfach ein bisschen zu eindimensional, als dass in der kulturellen adaption des themas irgendwas, dass das herkömmliche, patriachale überschreitet, herauskommen könnte. und obwohl es ein notwendiger schritt wäre, dass mal etwas differenzierter zu sehen, ist es witzigerweise damit ja auch nicht getan. denn unsere individuell-geschlechtlichen dispositionen sind nur die ausgangslagen, nach denen wir alle fröhlich darauf los konstruieren (und damit wiederum kulturell produzieren). hurra, die dekonstruktivistin ist wieder da!!!

    ich sagte bereits anfangs, dass es ein komplexes thema ist. aber es ist auch ziemlich wichtig, schon alleine wegen der dominanz der patriachalen sichtweise, die die kulturelle produktion auf eine art durchzieht, dass es manchmal richtig unangenehm ist. umso schräger, als da abseits eines testosteronal-gockeligen geltungsbedürfnisses nichts besonderes dahinter steckt. ich habe lange genug als u-boot in der männerwelt gelebt, um das zu wissen … *kicher*

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  6. Ich denke, Geschlechtsneutralität kann gedacht werden, wenn es um Kinder oder eben kindsähnliche Wesen geht. So ist beispielsweise bei Wickie das Geschlecht über weite strecken unklar. In abwesenheit ausgeprägter sichtbarer Geschlechtsunterschiede zogen das lange Haar und der Rockartigen Kleidung von Wickie einer eindeutigen Geschlechtszuschreibung einen Strich durch die Rechnung. Letzten Endes lief es meiner persönlichen Erfahrung nach jedoch darauf hinaus, dass von den Zuschauern ein Geschlecht zugeordnet werden „musste“, also Wickie entweder als Junge oder als Mädchen gesehen wurde.
    Ein anderes Beispiel ist das „Roswell-Alien“. Aufgrund der hageren Gestalt und dem grossen Kopf, der Abwesenheit von Geschlechtsmerkmalen beim sichtbaren nackten Körper, wird (zumindest bei mir) dem ‚Wesen‘ auf den Bildern kein Geschlecht zugeordnet, jedoch sehr wohl als Erwachsen „erkannt“.
    Ich vermute daher, dass das zuschreiben des Männlichen an eine geschlechtslose Kultur trotz eines geschlechtslosen Äusseren von der Zuschreibung des Geschlechts an gesellschaftliche Rollen kommt. Wenn mir bei den Taelon schon das Äussere keine Hinweise auf das Geschlecht gibt, dann suche ich mir diese in ihrer Stellung in der Gesellschaft. Da sie überlegen sind und problemlos die Menschen dominieren können, müssen sie ja Männlich sein. Denn dominanz ist männlich konnotiert. Da sie mit technisch hochstehenden Spielzeugen ausgestattet sind, müssen sie männlich sein. Denn die technik ist männlich konnotiert.

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  7. Ein Biologe würde einfach sagen, dass sich Geschlechtslosigkeit deswegen so schwer durchhalten lässt, weil sie keine Funktion hat.

    Ob Geschlecht dagegen konstruiert ist oder nicht – die Frage dürfte niemanden mehr interessieren, weil sie letztendlich vor dem Hintergrund eines zu eindimensionalen Verständnisses von „Körper“ und „Ich“ gestellt wurde. Klar ist es ein Konstrukt – auch und gerade in der Biologie und in keiner Weise fundamental anders als etwa bei Butler.

    Aber Konstrukte verschwinden nicht, weil man sie „dekonstruiert“, sondern weil sie funktionslos werden. Das letzteres passiert, ist nicht abzusehen.

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  8. Zu diesem – wieder einmal – hervorragendem Thema im BLOG, möchte ich auf das Buch: „Wir sind unser Gehirn“ von Dick Swaab, erschienen im Droemer-Verlag hibweisen. Viel Spass beim Lesen!

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  9. @Socanette: Oh ja, das ‚anything goes‘ soll sich natürlich nur auf die erstrebenswerte soziale Vielfalt von Geschlechterdifferenzen beziehen und keineswegs bedeuten, dass das Individuum ganz „frei“ (also körper- und erfahrungsunabhängig – abstruse Annahme) entscheiden könnte, was für eine Persönlichkeit es bildet!

    Den Konstruktivismus (auch mein Steckenpferd) seh ich aber durch diesen ‚ontologischen Rest‘ nicht bedroht. 🙂 Konstruktivismus heißt ja nicht, dass man beliebig konstruieren kann. Auch hier ist erforderlich, dass es viabel / funktional ist, also dass es „passt“…und ich schätze, wer z.B. unmittelbar merkt, dass er nicht in sein / ihr körperliches Geschlecht passt, entkommt dem dann nicht 100% durch ‚es sich passend reden‘.

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  10. Ist es nicht ganz einfach so, dass Zweigeschlechtlichkeit (die ja nicht nur bei Menschen sondern bei praktisch allen höheren Tieren vorkommt) eine offenbar evolutionär sehr erfolgreiche Strategie ist? Sie ist sogar so erfolgreich, dass sie andere denkbare Strategien offenbar wegselektiert hat.

    Wenn es Außerirdisches Leben gäbe, das so hoch entwickelt wäre, über eigene Kultur zu verfügen (davon wird ja bei Science-Fiction ausgegangen), dann wäre dieses Leben eben höchstwahrscheinlich auch zweigeschlechtlich , und deshalb fällt es so schwer, sich etwas anderes vorzustellen.

    Man wird die Natur eben so leicht nicht los.

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  11. Hallo Antje,…und wieder einer deiner inspirierenden Artikel!

    Auch ich bin davon überzeugt, es klang hier schon an, dass der Mensch an sich die Welt in Dualitäten organisiert: An oder Aus, Schwarz oder Weiß, Gut gegen Böse, Mann oder Nicht-Mann 😉

    Alles, was nicht in dieses Konzept der Dualität passt, wird m. E. durch das menschliche Gehirn ausgeblendet. (die Biologie an sich hat ja durchaus auch andere Konzepte zum Überleben, sei es die Zellteilung oder die Zweigeschlechtlichkeit etc.)

    An sich wäre das auch unproblematisch, gäbe es nicht die Konnotation mit dem Pärchen „Positiv vs. Negativ“. Dies ist übrigens der Grund (um hier mal einen kleinen Seitenschlenker zu machen), warum ich absolut für eine Frauen-Quote bin und zwar auf allen Hierarchiestufen, aber das nur mal nebenbei.

    Interessant fand ich deine Betrachtung hinsichtlich der Roboter. Hier bin ich etwas gespalten, denn wenn ich mir existierende Montage-Roboter beispielsweise in einer Autofabrik anschaue, so sind sie definitiv geschlechtsneutral, das selbe gilt übrigens auch für meinen eigenständig arbeitenden Staubsaugerroboter (rund und flach).
    Also geht es vllt. um Roboter, die Tätigkeiten übernehmen sollen, die sehr dicht an dem Menschen dran sind: Pflege, Haushalt… Gesellschaftsersatz?
    Hier wäre dann aus meiner Sicht auch die Antwort, warum der Wunsch bestehen könnte, die Maschine zu vermenschlichen und damit auch einem Geschlecht zuzuordnen.

    Manja

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  12. @Manja – Ja, es geht um „humanoide“ Roboter, also schon „vermenschlichte“. Staubsauger fallen eher in die Kategorie „Tiere oder Glibber“ 🙂

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  13. “Noch nie ist es gelungen, eine wirklich geschlechtsneutrale, humanoide Gesellschaft zu entwerfen.”

    Kennst du „The Left Hand of Darkness“ von Ursula K. Le Guin? Da wird eine über weite Strecken geschlechtslose Gesellschaft beschrieben. Geschlechter werden nur vorübergehend in bestimmten Zeiträumen angenommen, was Auswirkungen auf die ganze Gesellschaftsstruktur hat. Das sind zwar Außerirdische, die aber in vielerlei Hinsicht durchaus sehr humanoid (menschenähnlich) sind.

    Oder in „Lokaltermin“ von Stanislaw Lem: Dort gibt es auf einem Planeten zwar zwei Geschlechter, aber keine Geschlechterrollen die irgendwie mit den unsrigen vergleichbar wären. Die Fortpflanzung ist dort eher mit der von Blütenpflanzen vergleichbar, aber komplizierter. Der ganze Ablauf und die dazugehörigen Rituale werden im Buch (evolutions-)biologisch plausibel erklärt. In der Folge gibt es weder Sex in unserem Sinne, noch Erotik, noch agressive Männchen / attraktive Weibchen oder dergleichen, sondern andere von der Biologie abhängige Stereotype.

    Beide Bücher sollte man aber selbst gelesen haben, sie gehören (IMHO) zum besten was diese beiden Autoren geschrieben haben.

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  14. Oh, ich sehe gerade, du kennst „The left hand of darkness“ schon, der deutsche Titel „Winterplanet“ war mir nicht bekannt. Die Empfehlung für Lokaltermin halte ich aber aufrecht. 😉

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  15. Es trägt denke ich viel zum Verständnis bei, wenn man sich bewußt macht, dass Schönheit nur ein Hinweis auf einen guten Paarungspartner ist und sexuelle Selektion und natürliche Selektion mitunter nicht zu einem gleichen Ergebnis gelangen, was ideal ist.
    Deswegen kann „natürliche Schönheit“ künstlich überhöht werden, eben in die Richtung, die sexuelle Selektion eingeschlagen hätte, wenn sie ungehindert gewirkt hätte.
    Interessant sind in dem Zusammenhang auch Mechanismen der sexuellen Selektion wie etwas costly Signals, das Handicap-Prinzip oder die „Sexy Son Hypothese“ oder Runaway Selection

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  16. „Ist es nicht ganz einfach so, dass Zweigeschlechtlichkeit (die ja nicht nur bei Menschen sondern bei praktisch allen höheren Tieren vorkommt) eine offenbar evolutionär sehr erfolgreiche Strategie ist? Sie ist sogar so erfolgreich, dass sie andere denkbare Strategien offenbar wegselektiert hat.“

    Es war und ist wohl so, dass Entwicklungsstränge, die nicht zweigeschlechtlich sind, immer mal wieder auftauchten und auftauchen (werden), die mittlere Lebensdauer dieser Stränge aber oft relativ kurz ist ( ich habe irgendwo einen Mittelwert von 600.000 Jahren im Kopf ). – jedenfalls zu kurz, um „höhere“ Lebewesen hervorzubringen.

    Der Grund dafür scheint zu sein, dass diesen Tier- und Pflanzenarten entscheidend die Fähigkeit, sich zu immunisieren, abgeht, so dass eben über kurz oder lang Krankheitserreger auftreten, die ihnen ein Ende setzen.

    Zweigeschlechtlichkeit lässt die Evolution schneller ablaufen ( dem Zufall mehr Raum ), ausserdem gibt es da, wenn ich mich richtig erinnere, eine „Arbeitsteilung“: Männchen sind sozusagen die evolutionäre Modell-Spielwiese, Weibchen akkumulieren die und sichern den Bestand der „Erfolgsmodelle“.

    Sowas kann halt „Eingeschlechtlichkeit“ schwer abbilden …

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  17. @El_Mocho sagt:“Man wird die Natur eben so leicht nicht los.“ Dahingehend hat @socannette eine Menge Erhellendes geschrieben und, wie ich finde, viel Stoff
    zum Weiterdenken reingegeben, so z.B. die Frage nach Hirnorganisation u. Hormonhaushalt. Beides sind ja Größenordnungen, die auch von d. Sozialisation mit beeinflusst werden und somit gefühlte u. gedachte Geschlechterbilder mit konstruieren, was umgekehrt wohl auch der Fall sein dürfte.
    Ob und warum sich aus einem, wie auch immer vermuteten Anfang von Denken und Fühlen ein eindimensionales oder plurales Geschlecht bildet ist schon auch eine interessante Frage, nur wird sie wohl (derzeit) unbeantwortet bleiben. Ich behaupte mal, dass am Anfang nicht das Wort, sondern das Fühlen gestanden hat und auch weiter steht im Sinne von: „Ich fühle, also bin ich“. Ob ich das bin, was ich sein will, das hängt wohl wiederum von den vorgefundenen Geschlechterbildern ab, die mir die Gesellschaft, in die mensch hineingeboren wird, anbietet. Dass wir nicht ein- sondern mehrdimensional fühlend das Licht der Welt erblicken, davon bin ich überzeugt. Dass die Mehrdimensionalität durch eindimensionales Denken dann ‘zwangsläufig’ auch ‘das Geschlecht’ konstruiert, das wäre weiter zu fragen?

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  18. @AntjeSchrupp:

    Frage mich allerdings dann auch gerade wieder, was das eigentlich sein soll, was da unabhängig vom Körper frei gestaltet werden soll.

    Wenn Du Beispiele bringst wie „ein Körper mit Brüsten und Penis gleichzeitig“, dann ist das doch noch lange keine „freie Gestaltung“ der eigenen „Performance“.

    Finde ich im Gegenteil ziemlich langweilig, wenn ich ehrlich bin – warum?

    Weil sich aus dem Zusammenmatschen und Veruneindeutigen von Formen leider noch keine neuen Funktionen ergeben – in Wirklichkeit werden doch so noch nicht einmal die alten Möglichkeiten ausgeschöpft.

    Alles in allem ist doch die „sexuelle Differenz“ derart, dass aus dem Zusammenwirken von Männern und Frauen etwas entstehen kann, was für viele Leute eben mehr als nur die Summe der Teile ist – a la „Brüste + Penis“.

    Brüste + Penis, transsexuelle Eichhörnchen, Roboter mit sexuellen Phantasien – finde ich alles so interessant wie Pornographie im Kaufhaus.

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  19. Was mir gerade noch in den Sinn gekommen ist: Aus Liebe zur Freiheit in Bezogenheit bilden wir unsere (Vor)Lieben zu den Geschlechtern.

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  20. @ Ute Plass: „Ob ich das bin, was ich sein will, das hängt wohl wiederum von den vorgefundenen Geschlechterbildern ab, die mir die Gesellschaft, in die mensch hineingeboren wird, anbietet.“

    ich frage mich bei dieser Argumentation immer wieder, wo denn die Gesellschaft die Geschlechterbilder her hat, die sie uns anbietet? Die Gesellschaft besteht ja schließlich aus handelnden und kommunizierenden Menschen; da wird dann also gewisserrmaßen behauptet, das Handeln von Menschen würde die Menschen hervorbringen (bzw.zu dem machen, was sie sind). Das erscheint mir absurd, bzw. in einen unendlichen Regress führend. Wer hat die Erzieher erzogen?

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  21. @El_Mocho – tja, das ist die vertrackte Frage nach dem was zuerst da war:
    Ei oder Henne oder was war vor dem Urknall?!
    Finde es eigentlich gar nicht so absurd davon auszugehen,dass „das Handeln von Menschen würde Menschen hervorbringen“!!

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  22. Die Gesellschaft besteht ja schließlich aus handelnden und kommunizierenden Menschen; da wird dann also gewisserrmaßen behauptet, das Handeln von Menschen würde die Menschen hervorbringen (bzw.zu dem machen, was sie sind).

    deine interpretation diese these klingt wie kreationismus. so betrachtet wäre sie in der tat absurd. aber es handelt sich nicht um kreationismus, sondern um einen sehr langen prozess über unzählige generationen. und dann ist diese theorie nicht mehr absurd. dann wird nämlich klar, dass sich im laufe der zeit maßstäbe formen, etablieren und verstärken, die uns zwangsläufig naturgegeben erscheinen, da eine welt ohne sie nicht denkbar ist. wir können die vorgefundenen dinge nicht nicht ohne diese maßstäbe betrachten, da wir auch deren resultat sind. wir haben sie verinnerlicht, da sie universell präsent sind. du kannst es dir in etwa vorstellen wie die entwicklung der sprache. sie ist allgegenwärtig. ein denken ohne sprache scheint uns unmöglich. deinen satz könnte man auf sprache wie folgt anwenden: „das sprechen von sprache würde sprache hervorbringen“. und genau so ist es. die sprache ist das ergebnis ihrer anwendung und fortentwicklung. sie war nicht einfach da, sondern entwickelte sich von einfachen silben bis hin zu komplexen strukturen mit unvorstellbarem formenreichtum.

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  23. „….ein “zurück zur Natur” gibt es nicht.“

    Ein „weg von der Natur“ gibt es aber genausowenig – die Vorstellung, auf der einen Seite sei die Natur und auf der anderen die Kultur, und Verhalten werde entweder durch die eine Seite oder die andere bestimmt, ist halt einfach falsch.

    In Wirklichkeit wiederholen sich einige strukturierende Gegebenheiten auf verschiedenen Ebenen, die miteinander in Wechselwirkung stehen.

    Ein tolles Beispiel finde ich immer wieder das Ausbleiben des schnellen Todes für weibliche Menschen nach der Menopause – da Weibchen nach der Menopause ja keine Nachkommen mehr haben, gibt es halt überall im Tierreich Gene bei den Weibchen, die nach der Menopause aktiv werden und Weibchen schnell töten – Funktionsverlust bedeutet Formverlust, kurz gesagt.

    Das ist ein schwieriges Rätsel für die Biologie (gewesen) und eine Erklärung lautet:

    Es gibt bei Menschen eine kulturelle Gewohnheit oder vielleicht sogar Notwendigkeit: Ältere Frauen helfen ihren Töchtern beim Familienleben etc. – übrigens tatsächlich ihren Töchtern, so gut wie nie ihren Söhnen ( weil bei den Töchtern der Ursprung der Enkel klar ist, bei den Söhnen nicht ), was, wie nachgewiesen wurde, zu einer breiteren Nachkommenschaft bei den Töchtern führt.

    Anders gesagt: Eine kulturelle Praxis führt zu einem Funktionsgewinn für ältere Frauen, was wiederum zum Rückdrängen des sonst in der weiblichen Tierwelt verbreiteten nach Menopause aktiv werdenden tödlichen Erbguts führt.

    Hier determiniert mal die Kultur – die Biologie passt sich an.

    Andere Beispiele sind natürlich die vielen bewußt herbeigeführten Züchtungen von Tieren …

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  24. Ein weniger (als die Großmutterhypothese) umstrittenes Beispiel für „Kultur beeinflusst Natur“ ist die die Entwicklung der Laktosetoleranz bei den Europäern. Sie wurde durch Viehhaltung bedingt. Dadurch wurde es vorteilhaft, Milch auch nach der Kleinkinderphase verdauen zu können.

    Trotzdem ist es sehr viel seltener so, dass die Kutur Einfluss auf die evolutionäre Entwicklung hatte, als umgekehrt. Die biologische Evolution reagiert nämlich sehr langsam, und die Kultur gibt es nach phylogenetischen Maßstäben erst sehr kurz. (Wobei wir hier vom Thema abgekommen sind.)

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  25. @Ute Plass:

    Das wird ja auch bei dieser Hypothese nirgendwo vorausgesetzt, nicht wahr.

    @cubefox:

    Die Relevanz zum dem Thema sehe ich dort, wo man sich halt fragen kann, welche Funktionen denn eigentlich die angeblich so neuen Ausdrucksformen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit haben.

    Siehe meine Frage an AntjeSchrupp oben – ich sehe da leider nix ( und Frau Schrupp anscheinend auch nicht ) und denke, dass die daher eine ziemlich belanglose Spielerei bleiben.

    Ist ja auch irgendwo nicht richtig, so zu tun, als wäre die Natur reich an allen möglichen Formen von Sexualität jenseits des Männlichen und Weiblichen – das Gegenteil ist der Fall, und dort, wo etwas anhand seiner Fähigkeiten nicht eindeutig als männlich oder weiblich erkennbar ist, handelt es sich eigentlich in fast allen Fällen um Dinge, die als Abweichungen vom entweder Männlichen oder Weiblichen erkannt und beschreibbar sind.

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  26. @Cubefox:

    Die Entwicklung unseres Verstandes ist übrigens selber so ein Masterbeispiel: Verstand braucht man, wenn man auf schnelle Veränderungen der Umwelt reagieren muss, auf welche die Evolution auf dem üblichen Weg nicht schnell genug reagieren kann.
    Schnelle Veränderungen der Umwelt selektieren also Leute mit hohem Anteil an Steuerung durch den Verstand.

    Umweltveränderungen können entweder von alleine geschehen, oder aber dadurch, dass sich die Bevölkerungsgruppe aktiv bewegt – was zu der Hypothese führt, dass Rassen einen umso höheren IQ haben sollten, je unterschiedlicher die Lebensräume sind, die ihre Ahnen im Laufe der Eroberung der Erde ausgehend von Kernafrika durchlaufen mußten.

    Diese Korrelation ist tatsächlich auch nachgewiesen worden.

    Auch hier, eine kulturelle „Gewohnheit“, nämlich die Wanderschaft, selektiert auf biologischer Ebene.

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  27. Die Natur erklärt aber nicht die Repräsentation von Geschlecht im Science Fiction, im Computerspiel etc. Wenn wir jetzt mal im Genre bleiben, dann ist es tatsächlich ein Ausdruck für Phantasielosigkeit, sich gar nicht vorstellen zu können, dass andere als zweigeschlechtliche LEbensformen existieren könnten. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass das ganz bestimmt möglich ist. Was ich mit meinem Blogpost sagen wollte, ist, dass es nicht möglich ist, am Beispiel von so konzipierten Aliens Geschichten zu erzählen, die Menschen interessieren – einfach, weil alle Probleme, die Menschen möglicherweise interessieren könnten, mit der Zweigeschlechtlichkeit verwoben sind.

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  28. „…einfach, weil alle Probleme, die Menschen möglicherweise interessieren könnten, mit der Zweigeschlechtlichkeit verwoben sind.“

    Gut – dann habe ich Dich missverstanden. Ich hatte Dich so verstanden, dass Du letzteres Desinteresse für sowas wie das Ergebnis einer Fehlkonstruktion der „Schöpfung“ hältst, nämlich der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit, die es auf kultureller Ebene zu überwinden gelte, was, wenn nicht Deine, dann zumindest eine – ziemlich absurde – Meinung ist, die man ab und an bei Feministen findet.

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  29. “Ich denke, der Grund liegt darin, dass wir bei der Geschlechterdifferenz viel mehr verhandeln als bloß die Bedeutung von Frausein und Mannsein. Was hier verhandelt wird, ist vielmehr die Gesellschaft insgesamt und alle ihre Themen. Die Geschlechterdifferenz betrifft nicht Männer und Frauen, sie betrifft alles, die Politik, die Lebensformen, die Ernährung, die Wissenschaft, den Straßenbau, die Landwirtschaft, die Raumfahrt, die Medizin und so weiter und so weiter.”
    Ja, denke auch, Antje, dass Du damit den ‘wunden Punkt’ eindimensional bzw. eingeschlechtlich denkender u. handelnder Gesellschaften triffst. Obwohl Fakt ist, dass es mehr als ein Geschlecht gibt, wurde und wird einem Geschlecht, vor allem wenn es um gesellschaftlichen Einfluss und Machtverteilung geht, der Vorzug gegeben. Diese Tatsache haben FeministInnen ja ideologiekritisch thematisiert und der Diskurs darüber hält notwendigerweise an! Dass wir nicht geschlechtsneutral
    denken können , machst Du an Science Fiktion Versionen deutlich und interessant ist , wenn Du sagst, dass der Hauptgrund der ist, “ dass wir “Geschlechtsneutralität” auch deshalb nicht denken (und damit wahrnehmen) können, weil wir alles Eingeschlechtliche unweigerlich als “Männlich” identifizieren, was für mich heißt: Es gilt das ins Bewusstsein zu heben, um die damit verbundene Fixierung auflösen zu können. Nicht weniger wichtig wäre weiter zu fragen und zu verstehen, was diejenigen umtreibt, die solche Lara-Croft-Figuren phantasieren und benötigen, die mit (überdimensioniert) weiblichen Attributen ausgestattet werden, gepaart mit den alten Klischees von männlich (destruktiver) Potenz.
    Ich bin geneigt, das als unbewusste Sehnsucht nach Pluralität anzusehen und gleichzeitiger Angst vor Mehrdeutigkeit in einer nach Eindeutigkeit fordernden Gesellschaft. Dabei kommen mir auch andere Identitäts-Diskurse in den Sinn, wie z.B. die mit Ängsten und Ressentiments aufgeladene Integrations-Debatte.
    Die Angst vor dem vermeintlich Fremden in mir, vor dem was ich offensichtlich auch noch bin, wird auf der-die-das Andere projiziert und als Bedrohung dämonisiert.
    Und wie phantasierte Bedrohungen unter Kontrolle gebracht werden sollen, ist uns ja allen hinlänglich bekannt. Jede Menge Bewußtseinsarbeit steht an, wenn die
    Herrschaft des Menschen über den Menschen zu Ende kommen soll.

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  30. Nun ja, die Frage ist halt, warum es solche anderen als zweigeschlechtlichen Lebensformen (in der Natur) denn geben sollte, wenn Zweigeschlechtlichkeit für alle Lebewesen einen erheblichen Vorteil bietet.

    Ich vermag da keinen Grund zu erkennen, und in sofern ist es natürlich auch konsequent, wenn Science Fiction-Autoren von Zweigeschlechtlichkeit auch auf anderen Planeten ausgehen.

    Man mag das ja bedauern, aber warum eigentlich sollte Zweigeschelchtlichkeit schlechter sein als Eingeschlechlichkeit oder Vielgeschlechtlichkeit?

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  31. @El_Mocho – wie schon oben von mir angedeutet: Pluralität – Vielgeschlechtlichkeit entzieht sich eher der Kontrolle und ist dadurch ‚vielleicht‘ weniger be-herrsch-bar?!

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  32. Ps. Anders gesagt: Ganz im Sinne von Antjes Blog-Postulat:
    „Aus Liebe zur Freiheit“ braucht es mehr als Eingeschlechtlichkeit.

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  33. „Ganz im Sinne von Antjes Blog-Postulat:
    “Aus Liebe zur Freiheit” braucht es mehr als Eingeschlechtlichkeit.“

    Das ist in der Tat im Sinne des Blogartikels. Allerdings anders, als beabsichtigt. Der Satz beweist, dass etwas Anderes als Zweigeschlechtlichkeit von Ute Plass nicht vorstellbar ist – Eingeschlechtlichkeit genauso wenig wie Mehrgeschlechtlichkeit.

    Dabei wäre Eingeschlechtlichkeit eine taugliche Voraussetzung für Freiheit und in jedem Falle besser als Herumgedeutel an Zweigeschlechtichkeit und Konstruktionen von Vielgeschlechtlichkeit.

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  34. „einfach, weil alle Probleme, die Menschen möglicherweise interessieren könnten, mit der Zweigeschlechtlichkeit verwoben sind.“

    Antje, das glaube ich nicht. Wenn man wirklich überall irgendwelche sexuellen Hintergründe reininterpretieren würde, dann verhält man sich wie dogmatische Freundianer, die soetwas wirklich überall unterstellen.

    Selbst in der klassischen Literatur, die ja nicht mit geschlechtslosen oder dreigeschlechtlichen Außerirdischen hantiert, sondern mit normalen Menschen, spielen Geschlechter oft keine besondere Rolle. Bei beliebigen Kriminalromanen zum Beispiel: Da geht es um das finden der Täter, die Ermittlungen und die Spannung. Beziehungskonflikte oder Sexualverbrechen sind zwar erlaubt, aber keine notwendige Voraussetzung für einen solchen Roman. Ähnlich verhält es sich bei den meisten anderen Romanen, wo Frau-Mann-Beziehungen o.ä. keine wesentliche Rolle für den Plot spielen.

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  35. Ja mag sein (deswegen auch „o.ä.“), aber wohl kaum immer der wesentliche Bestandteil von SciFi, Literatur überhaupt oder Videospielen.

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  36. Vielleicht kein wesentlicher, aber immer ein formender Bestandteil – und, da muss ich AntjeSchrupp zustimmen, in jedem Belang, egal ob es sich um SciFi oder Städtebau handelt.

    Ich kann nur nicht mehr folgen, wo es darum geht, darzulegen, dass wir Probleme damit haben, Andersgeschlechtlichkeit zu phantasieren, weil sich Männer angeblich oder tatsächlich zur Norm gesetzt hätten.

    Ich behaupte, wir können Andersgeschlechtlichkeit nicht imaginieren, weil wir erst einmal gar nicht wissen, welche Funktionen „Geschlecht“ in so einer anderen Welt überhaupt haben kann.

    Eigentlich ist es sogar falsch, den Begriff „Geschlecht“ hier überhaupt zu verwenden – man müßte dafür ein neues Wort erfinden.

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