Der Matriarchats-Diskurs in der Frauenbewegung

Gab es in früheren Zeiten ein Matriarchat, also Gesellschaften, in denen Frauen nicht als zweitrangige, über den Mann definierte Wesen galten, sondern im Zentrum standen? Oder handelt es sich dabei um einen Wunschtraum heutiger Feministinnen, um eine Rückprojektion? Sind Matriarchats-Theorien – die ursprünglich ja von männlichen Denkern wie Bachofen geprägt wurden – eine Hilfe oder eine Hürde auf dem Weg zu weiblicher Freiheit?

Seit 150 Jahren wird über diese Frage intensiv diskutiert, und teilweise mit harten Bandagen. Die Wissenschaftlichkeit von Matriarchatsforscherinnen wie Heide Göttner-Abendroth wird immer wieder angezweifelt. Doch auch auf der Gegenseite wird häufig unlauter argumentiert.

Es ist offenbar schwer, sich dem Thema von einem neutralen Standpunkt zu nähern. Denn die Frage, ob Gesellschaften grundsätzlich anders organisiert sein können, als wir das nach 5000 Jahren Patriarchat gewohnt sind, ist nicht nur von akademischem Interesse. Sie betrifft den Kern der menschlichen Politik, und daher ist jede Theorie dazu – ob pro oder contra – unweigerlich mit einer eigenen politischen Standortbestimmung verknüpft.

Helga Laugsch hat in ihrer Doktorarbeit, die jetzt in einer überarbeiteten und erweiterten Auflage vorliegt, den Diskurs über die Matriarchatstheorien in der zweiten Frauenbewegung dokumentiert. Dabei geht sie davon aus, dass aufgrund der Quellenlage es unmöglich ist, zweifelsfrei zu beweisen, ob es Matriarchate gegeben hat oder nicht. Aber dass es dennoch höchst aufschlussreich ist, die Art und Weise zu betrachten, wie darüber debattiert wurde (und wird).

Ein detailliertes, quellenreiches und lesenswertes Buch, das einen in der öffentlichen Debatte meist unterbelichteten Diskurs der zweiten Frauenbewegung dokumentiert.

Helga Laugsch: Der Matriarchatsdiskurs (in) der Zweiten Deutschen Frauenbewegung. Herbert Utz Verlag, München 2011, 485 Seiten, 50 Euro.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

13 Gedanken zu “Der Matriarchats-Diskurs in der Frauenbewegung

  1. Ich würde es als ziemlich erwiesen ansehen, dass es Matriarchate zumindest gab. Religionskulturen geben darüber Aufschluss. Besonders im mittelafrikanischen Raum zeugen Ausgrabungen von einer weitaus höheren Verehrung der Frau und Mutter, während diese beispielsweise in der griechischen Mythologie nur als Beiwerk betrachtet wurden. Zeus, Jupiter, einer männlichen Gottesvorstellung in den Monotheismen stehen „Gottesmütter“ (nicht aber die christl. „Mutter Gottes“) gegenüber. So weit so banal. Ich denke hierbei besonders an Statuen schwangerer Figuren bzw. an einen extrem martialischen Bauchschmuck, der insofern praktiziert wird als dass dem Bauch Schnitte zugefügt werden und diese mit Sand und Dreck zu bleibendem Wundschmuck ausgearbeitet wird. Eine fruchtbarkeitszentrierte, matriarchalische Religiosität bis heute.

    Nun haben es lediglich Patriarchate (vor allem extreme Patriarchate wie das Römische Reich) zu Macht und Zivilisation gebracht. Bei Patriarchaten denkt man an kriegerische grausame Regime (aber mit Kanalisation, Schrift, höherem Kulturleben, …), bei Matriarchaten an eben beschriebene afrikanische Urvölker und Stämme (oder an Amazonen?) ohne gepflasterte Straßen, ohne höhere Religionen die über Naturreligionen hinausgehen. Ein Zufall?

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  2. Egal, ob es Matriarchate gegeben hat oder nicht – genauso wenig ist es bewiesen, dass die frühgeschichtlichen Kulturen männlich geprägt waren, so wie es uns manche Geschichterzählungen glaubhaft machen wollen. In der herkömmlichen Geschichtsschreibung wurde vielfach die aktuelle männerdominierte Lebensweise in die Vergangenheit projiziert. Deshalb ist es sehr kreativ, mit den Vorstellungen matriarchaler, friedliebender Kulturen aus der Vergangenheit (auf dies es viele Hinweise gibt) Visionen für eine gerechtere Gesellschaftform in der Zukunft zu entwerfen. Und das fördert die Freiheit der Frauen.

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  3. Egal, ob die Beschäftigung mit dem Thema dazu da ist, in der Vergangenheit nach einem Utopia für die Zukunft zu suchen, so gibt es doch sehr aufschlussreiche Quellen (zumindest für den japanischen Fall), die zeigen, dass es im japanischen Altertum Matriarchate und matrilineare Strukturen gab, die zu Patriarachaten und ebensolchen Linien im Verhältnis immer schwächer wurden. Ein politisches Thema ist es allemal.

    Ich bin der Auffassung, dass es (vom heutigen Standpunkt aus) Matriarchate gab, aber warne davor, diese zu romantisieren. Ich kenne mich zwar nur mit dem japanischen Fall mehr oder weniger gut aus, doch es gab auch im Altertum Frauen und Männer, die im Namen von Göttinnen oder Schamaninnen, geopfert, vergewaltigt und unterdrückt wurden.

    Was Kriege angeht, so haben auch Frauen auf diese Art ihre politischen Interessen durchgefochten. Mit „Matriarchat“ automatisch auch „Mutterliebe“ und „Friedfertigkeit“ zu verbinden, kann einen schnell zu eine_r/m politischen Aktivist_en/in werden lassen. Kommt halt drauf an, welches Ziel man vor sich hat…

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  4. Geht das Buch auch auf die politische Rolle ein? Denn eigentlich ist es ja für gegenwärtige Geschlechterpolitik ziemlich nebensächlich, was in der Ur- und Frühgeschichte vorgefallen ist, ob Matriarchate nun Mythos oder Wissenschaft sind.
    Das hat mich als Spätergeborenen immer am meisten irritiert. Für mich sieht das aus wie eine Phantomdebatte, in der es mehr um Glaubensfundamente als um Politik zu gehen schien. Denn auch wenn Matriarchate zweifelsfrei nachweisbar wären – das sagt doch noch gar nichts über die Interpretation aus (wie Bachofen ja selbst zeigt).

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  5. @Sven Lüders – Ja, natürlich, genau darum geht es ja in den Auseinandersetzungen. Das Buch beschäftigt sich ja dezidiert mit dem DISKURS über Matriarchatstheorien und nicht so sehr mit diesen Theorien selber, und der Diskurs ist natürlich ein politischer, also eingebettet in die Themen der Zweiten Frauenbewegung.

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  6. Seit 150 Jahren wird über diese Frage intensiv diskutiert, und teilweise mit harten Bandagen. Die Wissenschaftlichkeit von Matriarchatsforscherinnen wie Heide Göttner-Abendroth wird immer wieder angezweifelt. Doch auch auf der Gegenseite wird häufig unlauter argumentiert.

    Du findest es unlauter, die Wissenschaftlichkeit von Göttner-Abendroth anzuzweifeln?

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  7. Jetzt melde ich mich als Autorin des rezensierten Werkes zu Wort – und freue mich auch über das Interesse daran …

    @Irene: Nein, es nicht „unlauter“, Göttner-Abendroths Wissenschaftlichkeit anzuzweifeln – das kann durchaus gemacht werden und ich habe es auch getan. Mit großem Erstaunen habe ich aber festgestellt, dass die KritikerInnen von G-A und Matriarchats-Theorien generell auch nicht unbedingt wissenschaftlicher vorgehen, wobei sie für ihre eigene Position doch immer die Stimme der Vernunft beanspruchen.

    Dem Matriarchats-Thema habe ich mich mit vorsichtiger Sympathie genähert, wobei für eine philosophische Arbeit die Beweisbarkeit nachrangig ist/war; für die ganz ferne Vergangenheit lässt sich imho eh wenig als gesichert sagen, also eben auch kein ewiges und universelles Patriarchat zurückwerfen, wie viel zu oft getan.

    Festzustellen in der Handhabung und im Diskurs ist ein Durcheinander, eine Vermischung von Ebenen wie historische Realität, Forschung, Vermutungen, Utopien, Emanzipations-, Autonomie- und Gesellschaftskonzepte, Absichten, Vereinnahmungen, Ablehnungen, Ideologien und auch ein Definitionensalat (Herrschaft/Ursprung usw.). Das Thema ist hochgradig ambivalent und eben deshalb auch sehr interessant.

    Beschränkt habe ich mich auf den deutschsprachigen Raum, auf das, was ich kann und kenne; ich wollte fremde Kulturen und/oder „Naturvölker“ nicht auf post-kolonialistische Weise in Beschlag nehmen und benutzen – wie ebenfalls viel zu oft geschehen.

    Der (eher nicht stattgefundene) Matriarchats-Diskurs in der zweiten deutschen Frauenbewegung bewegt sich entlang der Thesen von der Geschlechter-Gleichheit bzw. -Verschiedenheit und sagt viel über die Konzepte von Gleichheits- und Differenz-Feministinnen und eine politische Zielrichtung aus. Beide Auffassungen – vergröbernd gesagt – berühren sich höchstens tangential, denn sie sind aufeinander kaum eingegangen, sondern haben einander schlagworthaft abzulehnen und zu bekämpfen versucht, mit erstaunlicher Heftigkeit und auch teilweiser Blindheit.

    Dieser Diskurs wird ab Mitte der 90-er Jahre mit doing gender zusehends leiser und „weniger.“ Er ist also ein Stück Geschichte der zweiten deutschen Frauenbewegung, der ab MItte der 70-er Jahre bis Ende der 80-er Jahre zu ver“zeiten“ ist.

    Das war jetzt eine Kurzfassung – liebe Grüße,
    Helga Laugsch

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  8. Festzustellen in der Handhabung und im Diskurs ist ein Durcheinander, eine Vermischung von Ebenen wie historische Realität, Forschung, Vermutungen, Utopien, Emanzipations-, Autonomie- und Gesellschaftskonzepte, Absichten, Vereinnahmungen, Ablehnungen, Ideologien und auch ein Definitionensalat (Herrschaft/Ursprung usw.).

    Ja. Hinzu kommt, dass die noch existieren Reste von Matriarchaten nicht nur Matriarchate sind, sondern auch traditionelle Gesellschaften. Und traditionelle Gesellschaften kann man man in einer Welt, die die Individualisierung bereits vollzogen hat, nicht nachbauen, da helfen auch ein guter Wille und Freude am Kreistanz nichts. Mein Eindruck ist, dass dies von utopisch ausgerichteten Fans nicht bedacht wird. Dadurch wirken Fans von Göttner-Abendroth tendenziell naiv auf Außenstehende.

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  9. @Irene
    Und das ist noch ein Teilaspekt, freilich: Eine Art spirituelle/matriarchale Praxis, die ich nicht beurteilen kann, da ich kein Teil davon war/bin, und die naiv sein kann.
    So einfach rückwärts zu einer möglichen Menschen- und Gesellschaftsrettung geht’s sicher nicht …

    Aber das Thema Matriarchat beinhaltet viel mehr als eine Gleichsetzung/Deckungsgleichheit mit Göttner-Abendroth; die Diskurse seit Bachofen haben eine ambivalente und interessante Geschichte. Nahezu alle politischen Lager von links bis rechts haben sich beteiligt, und die Frauenbewegung(en) erst relativ spät „mitgemacht“.

    Bei Interesse einen Text von meiner homepage http://www.helgalaugsch.de zur Buchvorstellung im Lillemors:

    Klicke, um auf helga_laugsch_einfuehrung_matriarchatsdiskurs.pdf zuzugreifen

    Schönen Abend noch und lG
    Helga Laugsch

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  10. Als Schwuler fällt mir auf, dass die Diskussionen immer ausschliesslich „heterosexuell“ laufen. Dominique Fernandez (sh. Wiki!) – Le Rapt de Ganymède, Grasset, 1989, in Deutsch: Der Raub des Ganymed. Übers. Verena Vannahme. Beck & Glückler, Freiburg i. Br. 1992 ISBN 3894701102 (Eine Kulturgeschichte der Homosexualität) – schreibt zB, die Natur sei homosexuell und die Fortpflanzung eine kulturelle Leistung. Zumindest also bisexuell…

    Jedenfalls gehört Freuds Ödipuskomplex auf den Müll der Geschichte, weil er hinten und vorne nicht auf die „heilige heterosexuelle Familie“ passt. Ich schlage da eher den „heterosexuellen Familienkomplex“, vor in welchem die Eltern ihre Kinder „sexualisieren“ und zugleich das Homosexualitäts-Tabu errichten (Homophobie).

    Allein die Texte um Gilgamesch und Enkidu, die zu den ältesten gehören, lassen erahnen, dass vorgeschichtliche Gesellschaften so heterosexuell nie gewesen
    sind, und die homosexuellen Seiten der Menschen nicht einfach in Matriarchaten und Patriarchaten „entsorgt“ werden können. Vielleicht stellt sich die entweder-oder-Frage dann auch nicht so penetrant/vaginant.

    Für mich steht das Patriarchat auf dem Matriarchat und das heterosexuelle Rollenspiel durchdringt auch den Männersex und die Männergruppen. Und wie ist das bei den Frauen?

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  11. Herzliche Einladung für alle die sich für eine matriarchale Gesellschaft interessieren –
    MATRIARCHAL- FEMINISTISCHE – AKADEMIE – ALMA MATER –
    Kultur – Ethik – Religion – Spiritualität
    Postadresse:76133 Karlsruhe, Erzberger-Str.30, Tel.0721 7918872 o. 01751771513 Anmeldungen und Information: almamaterakademie@yahoo.de http://www.alma-mater-akademie.de

    – Basiskurs Matriarchatskunde –

    Referentinnen: Siegrun I. Laurent, Uscha Madeisky, Dagmar Margotsdotter-Fricke, Li Shalima

    Die matriarchale Akademie ALMA MATER entstand als Antwort auf die patriarchale Zerstörung der Welt. Sie wurde mit dem Beginn des Jahrtausends der Frau gegründet, das vor 13 Jahren auf dem Hambacher-Schloss von führenden Feministinnen und Matriarchatsforscherinnen ausgerufen wurde. Im Rahmen der Lehre der Akademie werden gültige Lebensregeln, Heilweisen und Visionen historischer und gegenwärtiger matriarchaler Kulturen vermittelt. Indem Frauen gelehrt werden, werden alle Menschen gelehrt, denn Frauen sind die Mütter der Welt. Um die Bedeutung des
    weiblichen Prinzips in allen Bereichen der Menschheitsentwicklung sichtbar zu machen, wurde der Name: ALMA MATER gewählt: gütige, nährende GROSSE MUTTER.

    Die Entdeckung von Gesellschaftssystemen, die von „mütterlicher Intelligenz“ getragen werden ermöglicht es, lebensfeindliche, zerstörerische Muster zu verlassen. Damit wird uns eine dem Leben zugewandte, lebensfrohe Ordnung angeboten, die wir in unserem täglichen Leben umsetzen können.

    Freitag 19.00 bis 22.00 Uhr
    Einführung in matriarchales Bewusstsein
    +matriarchale Strukturen
    +Erfahrungsberichte über persönliche
    Wege aus dem Patriarchat im Hinblick
    auf matriarchale Werte
    +gelebtes Affidamento
    +gibt es eine matriarchale Kommunikation?

    Samstag 09.00 bis 13.00 Uhr
    Matriarchatskunde konkret
    Dagmar Margotsdotter-Fricke,
    Uscha Madeisky
    +was bedeutet Matriarchat?
    +Geschlechterverhältnis
    +Generationsverhältnis
    +Ökonomie, Politik, Spiritualität
    +Familienstruktur

    Samstag 15.00 bis 18,00 Uhr
    Matriarchale Spiritualität
    Siegrun I. Laurent

    Matriarchales Leben ist ein ständiger
    Dialog mit der Göttin, ein
    Sich-in-Übereinstimmung-Bringen mit
    dem ALL-SEIEN wovon du ein Teil
    davon bist.
    SIE ist der Welt innewohnende Kraft,
    die uns in uns selbst begegnet.

    +heilende und heilige Bewegungsmeditationen
    +Rituale im Jahreskreis
    +Körpergebete
    +Tänze und Gesänge aus
    dem „Große-Mutter-Zyklus“

    Samstag 19.00 – 21.00 Uhr
    Es geht weiter….
    Berichte und neue Projekte
    von ehemaligen Studentinnen
    der ALMA MATER Akademie

    Sonntag 09.00 bis 12.00 Uhr
    Matriarchales Ur-Symbol
    Li Shalima
    +Das Labyrinth als Weltbild immerwährenden Lebens
    +Heilungsritual in einem begehbaren Labyrinth
    +Filmvortrag

    Sonntag 12.00 bis 13.00 Uhr
    Abschlussrunde und Reflektion

    05. – 07. April Wien, 03. – 05. Mai Karlsruhe, 22. – 24. 11. Raum Kontanz, 06. – 08. 12. München, Frühjahr 2014 Zürich, Allgäu und Berlin
    Die Veranstaltung findet statt in Kooperation mit: MatriaVal, Frankfurt – matriaOase, Hamburg – Labyrinth Projekt, Diez.

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