Ausweg: Kapitulation

Vergesst Gleichstellung! – Keynote von Teresa Buecker bei den Data Days 2012.

Gestern und vorgestern nahm ich in Berlin an der Konferenz „Data Days“ teil, hörte interessante Vorträge darüber, was man mit Daten so alles machen kann, stellte mal wieder fest, dass es mir einfach nicht gelingt, mich vor Algorithmen zu fürchten, und konnte mich davon überzeugen, dass Veranstaltungen mit einem Männeranteil von über neunzig Prozent nicht nur ein Gerücht sind, sondern wirklich existieren. (Am zweiten Tag  gab es eine schöne Keynote unter dem Motto „Vergesst Gleichstellung!“ von Teresa Buecker, die bald auch im Internet zu sehen sein soll).

Ich selbst nahm zusammen mit Teresa, Christoph Heil und Björn Böhning an einem Panel teil, bei dem es um „digitale Arbeit“ ging (also um die Frage, wie Computer und Internet sich auf Arbeitsabläufe auswirken, inklusive Entgrenzung von Raum und Zeit, Freizeit und Arbeit, Automatisierung und so weiter), und das leider zu kurz dafür war, wie interessant das Thema ist.

Erst am Ende fiel mir zum Beispiel auf, dass sich eine etwas unglückliche Formel eingeschlichen hatte, nämlich die, dass „digitale Arbeit positive wie negative Seiten hat.“ Ich sehe das nämlich anders. Ich glaube, dass digitales Arbeiten ausschließlich positive Seiten hat.

Die „negativen Seiten“, die wir beobachten – Burnout, Stress, (Selbst)Ausbeutung, you name it – sind doch nicht negative Seiten davon, dass Arbeitsprozesse digitalisiert wurden, sondern negative Seiten davon, dass Arbeitsverhältnisse kapitalistisch organisisiert sind. Welche negativen Aspekte sollte es denn haben, dass man mobil ins Internet kann? Mir fallen keine ein.

Die Diskussion drehte sich dann vorwiegend um die Frage, was Gewerkschaften oder Politiker gegen diese „negativen Seiten“ der Digitalisierung tun können. Etwas zu kurz kam für mich die Frage, was wir selbst einstweilen tun können (denn das Problem stellt sich ja hier und jetzt, und auf Lösungen von anderswo warten ist irgendwie keine Option).

Ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen, die natürlich immer nur begrenzt auf andere Kontexte übertragen werden können (vielleicht aber doch hier oder da), möchte ich einen Trick vorstellen, der mir ganz gut hilft, die „negativen Seiten“ der Digitalisierung zu minimieren.

Er heißt: Kapitulation. Die Digitalisierung macht ja nur wieder offensichtlich, was immer schon stimmte, aber im klassischen „Erwerbsarbeitsverhältnis“ künstlich qua „Arbeitsvertrag“ eingehegt wird: dass es immer viel mehr zu tun gibt, als man schaffen kann. Fragen Sie einen Bauern oder eine Hausfrau oder eine „selbstständige“ Unternehmerin. Und heutzutage auch so manchen Festangestellten. Zu kapitulieren (also den Anspruch, mit der Arbeit jemals fertig zu werden, von vornherein nicht zu haben), ist die einzig realistische Haltung.

Wir Menschen sind keine körperlosen Datensätze, sondern begrenzte Wesen aus Fleisch und Blut. Wir werden müde, kriegen Hunger, haben Migräne, müssen Scheißen. Klar kann ich das Handy auch noch mit aufs Klo nehmen und dort weiter E-Mails lesen (ich persönlich mache das übrigens). Aber ich sollte mir doch nicht einbilden, dass ich dadurch mehr geschafft kriegen würde. Ob ich das Handy mit aufs Klo nehme oder den ganzen Tag in der Ecke liegen lasse, macht letztlich keinen Unterschied in Bezug auf all das, was ich verpasse oder nicht tue. Begrenzt gegen Unendlich ist eine einfache logische Gleichung.

Das schließt vielleicht ein bisschen an den Vortrag von Kathrin Passig an. Sie zeigte, dass die heutige Klage über die „Informationsflut“, der wir ausgesetzt sind, nicht neu ist: Schon vor Jahrhunderten fanden Leute die paarhunderttausend Bücher, die es damals gab, viel zu viele. Alle Tools, die dann im Lauf der Zeit entwickelt worden sind, um der Informationsmasse beizukommen (Register, Index, Suchmaschinen, heute personalisierte Empfehlungen) erwiesen sich immer nur als zeitweise Lösungen. Wahrscheinlich werden immer weiter Tools erfunden werden, um eine Schneise in die Masse der Informationen zu schlagen, aber an ein Ende wird es nie kommen.

Auch hier ist der einzige Ausweg Kapitulation. Einfach nicht den Anspruch haben, alles Relevante und Interessante zu erfahren.

Vielleicht hilft es, sich zur Übung immer morgens Sätze wie „Kenn ich nicht“ oder „Hab ich nicht gemacht“ vor dem Spiegel laut aufzusagen. So lange, bis sich auch das kleinste Reststückchen Scham über diesen völlig natürlichen Zustand zerbröselt hat.

PS: Mir ist klar, dass hier noch ein paar Fragen offen bleiben, zum Beispiel wie wir die wirklich wirklich wichtigen Sachen trotzdem fertig kriegen. Vielleicht, indem wir einen Teil – sagen wir zwanzig Prozent – unserer Arbeitszeit dafür reservieren? Sicherlich sollten wir sehr viel genauer als bisher überlegen, was denn eigentlich „wirklich wichtig“ ist.

PPS: Gerade erinnert mich das auch noch an die „Vier-in-einem-Perspektive“ von Frigga Haug. Sie schlägt ja als Leitmodell für das Tätigsein vor, die 16 Stunden täglicher „Wachzeit“ folgendermaßen aufzuteilen: 4 Stunden Erwerbsarbeit, 4 Stunden Haus- und Fürsorgearbeit, 4 Stunden Freizeit, 4 Stunden kulturelles und politisches Engagement. Ich finde das Modell zu starr und wäre für viel mehr Flexibilität und das Setzen auf individuelle Vorlieben. Aber vielleicht ist das eine mögliche Formel: 2 Stunden „wirklich notwendige“ Dinge erledigen, 14 Stunden irgendetwas anderes machen oder auch nichts?

PPPS: Der Data-Days-Kongress hat mich übrigens auch wieder mal in meiner Überzeugung bestärkt, dass es keinen direkten Zusammenhang mehr gibt zwischen der Überlegung „Womit kann ich Geld verdienen?“ und der Frage: „Was könnte ich erfinden, damit das Leben und die Welt schöner werden?“. Stattdessen wird unglaublich viel menschliche  Arbeitskraft auf Pillepalle wie „Wie krieg ich Leute dazu, auf Werbung zu klicken“ verschwendet. These: Arbeit und Einkommen zu trennen (Grundeinkommen) wäre nicht nur aus sozialpolitischer, sondern auch aus „innovationspolitischer“ Perspektive extrem sinnvoll.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

39 Gedanken zu “Ausweg: Kapitulation

  1. „vielleicht hilft es, sich zur Übung immer morgens Sätze wie „Kenn ich nicht“ oder „Hab ich nicht gemacht“ vor dem Spiegel laut aufzusagen. So lange, bis sich auch das kleinste Reststückchen Scham über diesen völlig natürlichen Zustand zerbröselt hat.“

    Gut, ich fange gleich heute damit an. Es wird nämlich lange dauern, bis alles zerbröselt ist.

    Meine Erfahrung übrigens: 20 % für das „wirklich wichtige“ zu reservieren ist nicht so wichtig wie mindestens 30 % für NICHTS KONKRETES zu reservieren.

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  2. Ich nenne es nicht Kapitulation sondern Realismus.
    Eine gesunde + realistische Einstellung die mich Zufrieden macht.

    Und, ich lebe schon länger gut mir dieser Einstellung.,

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  3. Sehr schön! Ein wenig ließe sich dieser Ansatz der ‚Kapitulation‘ vielleicht auch mit der an anderer Stelle von dir beschriebenen ‚Ambitionslosigkeit‘ verbinden. Denn genau das, was Silke sagt, entspricht auch meiner Erfahrung: Gerade wenn 30% für NICHTS KONKRETES reserviert werden ist absolut sicher, dass sie sinnvoll (für sich selbst und / oder andere) verwendet werden.

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  4. Vor ca. zwei Wochen habe ich einen Vortrag von Gabriele Winker gehört, die genau das gleiche zu Frigga Haugs Konzept sagte: Zu starr. (Wobei ich persönlich finde, dass eine gewisse Starrheit manchmal auch nützlich sein kann, und dass Flexibilität auch dazu führen kann, dass Ungerechtigkeit und Überarbeitung wieder zunehmen.)

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  5. Am besten sagt mir der letzte Absatz zu. Als bekennende Sozialromantikerin liegt mir daran, dass die Welt jeden Tag ein bisschen schöner wird.

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  6. „Ich glaube, dass digitales Arbeiten ausschließlich positive Seiten hat.“

    Hm, wenn ich so an das eine oder andere Projekt zurückdenke, bei welchem man seine Kollegen ausser über Skype nie zu Gesicht bekam, fallen mir schon negative Seiten ein.

    Das „Liegenlassen“ ist in meinem Job übrigens mittlerweile anerkannt – ebenso wie z.B. das Time-Boxing, welches auch sehr gut gegen Ueberarbeitung hilft …

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  7. Hallo!

    Das Problem: Wer als ArbeitnehmerIn (AN) vor dem Zuviel an Arbeit bzw Erwartungen kapituliert, ist im Zweifel schneller seinen Job los, als mensch „Kündigungsschutzgesetz“ sagen kann…

    Die Digitalisierung hat manche konkurrenz-verstärkende Effekte auf den Arbeitsmarkt. Da ist das hohe Maß an möglicher Erreichbarkeit, was den AN einen Vorteil gibt, die sich entsprechend erreichbar zeigen, und damit im Kapitalismus automatisch denen zum Nachteil gereicht, die sich dazu nicht bereit zeigen. Ebenso führt die Digitalisierung zu einer Verminderung „einfacher“ ungelernter Tätigkeiten, also um eine verstärkte Konkurrenz um das sinkende Arbeitspensum unter Bevorzugung der gut (Aus-) Gebildeten. Schließlich kann die flexiblere, digitalisierte Arbeit eher aus dem Betrieb in den häuslichen Bereich der AN verlagert werden, bis zu reinen Hausarbeit, bei der der Kontakt AN/AB vor allem übers Internet stattfindet. (Gut, ist noch eine Ausnahme.) Mag sich auch gut anhören oder manchen Lebensentwürfen entgegen kommen, aber es mindert den Zusammenhalt unter der Belegschaft und stärkt die Vereinzelung unter den AN. Damit schwächt eine solche Tendenz automatisch die Stellung der AN-Seite im Arbeitskampf, deren Stärke ausschließlich auf ihrer Fähigkeit zur Organisation der AN liegt.

    Zugegeben, die Digitalisierung ist nicht die einzige, vielleicht nicht mals der wichtigste Ursache für solche Entwicklungen. V.a. für die extreme Schwäche der Gewerkschaften ist eher die ökonomisch gewollte Massenarbeiotslosigkeit verantwortlich. Aber es gibt mE auch Folgen der Digitalisierung, die sehr negativ auf die Durchsetzungsfähigkeit der AN-Interessen wirken. Arbeitsverträge, die kollektiv zwischen AG und Gewerkschaft als Interessenvertretung der AN ausgehandelt werden, beschränken die kapitalistische Konkurrenz unter den AN im Rahmen unserer auf Verträgen beruhenden Gesellschaft. Ohne Arbeitsvertrag bzw ohne Interessenvertretung bleibt den AN nur die Rolle der Bittsteller; sie sind den AG auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

    Dass das aber (wie schon gesagt) nicht nur mit der Digitalisierung zu tun hat zeigt sich daran, dass die widerlichsten Auswüchse des Kapitalismus hierzulande auch in Bereichen gibt, die etwa so digital sind wie ein mittelalterlicher Steinbruch; bspw Werkverträge zum Einräumen von Supermarkt-Regalen…

    So long
    Reineke

    P.S.: Dieses „4 Stunden dies, 4 Stunden das“-Konzept scheint mir eine Reminiszenz an den Kampf um den 8-Stunden-Tag zu sein. Damals hieß es „8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Erholung, 8 Stunden Schlaf“ (von Robert Owen) formuliert). KA, ob das als starres System zu verstehen war, aber zumindest war das Konzept nach nur wenigen Jahrzehnten und nur einer Revolution erfolgreich. ;=)

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  8. In Ergänzung zu Kathrin Passigs historischen Ausführungen:

    Die Historikerin und (Paläo-)Anthropologin Elin Whitney-Smith erforscht die Steigerungen von Informationskomplexität und wie die Menschheit damit umgeht über die Jahrtausende. Ihre Ergebnisse und Gedanken können auf http://information-revolutions.com/ verfolgt werden.
    Wir haben schon ganz andere Informationsrevolutionen angenommen und und die gesteigerte Komplexität neu organisiert. Die anstehende Herausforderung wird richtig cool, ab und an mal zwischendurch zu Kapitulieren schont die Kräfte für die eigentlich wichtigen Veränderungen, die es zu gestalten gilt.

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  9. @AntjeSchrupp:

    Nein, nein – das tägliche Treffen war sowieso keine Option, weil die Distanzen zu groß waren ( Weissrussland, Indien, Malaysia ). Es gab vereinzelt Besuche.

    Es ist allerdings so, dass in solchen Settings das Team vor Ort nur noch ein Kern-Team ist – alle wirklich digital durchführbaren Arbeiten sind halt ausgelagert.

    Sprich, digitales Arbeiten ist fast genauso beweglich wie Kapital – die Menschen sind es aber nicht. Ich persönlich würde daher immer tunlichst einen Job suchen, der eben nicht rein in „digitaler Arbeit“ besteht.

    Die zweite Sache steht eigentlich im Widerspruch dazu, weil sie sogar dazu führen kann, dass eigentlich vorhandene Vorteile, wie z.B. geringere Personalkosten, nicht realisiert werden – die Verteilung der Arbeit bringt oft einen technischen und kommunikativen Overhead mit sich; fehlende und zu langsame Connections, Konferenzschaltungen funktionieren nicht, das Bild kommt Stunden nach der Sprache oder steht oder gar nicht, die Gestik der Leute ist fremd und unbekannt, die Mentalität eine völlig andere, unterschiedliches Vorgehensweisen usw. usf.

    Natürlich ist das auch ein Lernprozess – wenn der Geldgeber aber glaubt, durch die Digitalisierung von Arbeit viel Geld sparen zu können, in Wirklichkeit aber die Projektkosten z.B. dank Kommunikationsproblemen in die Höhe schiessen, hat man halt etwas sehr Stressiges zu bewältigen.

    Ich würde daher nicht sagen, dass digitales Arbeiten nur Vorteile hat, sondern eher, dass es wie jede Technik zum Guten und zum Schlechten eingesetzt werden kann. Man muss halt lernen, damit umzugehen, um die unbestreitbar vorhandenen Vorteile zu nutzen – ist ja auch trivial …

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  10. Nehmen wir das als Grundlage:“ Arbeit und Einkommen zu trennen (Grundeinkommen) wäre nicht nur aus sozialpolitischer, sondern auch aus „innovationspolitischer“ Perspektive extrem sinnvoll.“ Dann kann doch jeder entscheiden, ob er den Baum nur noch im Internet digital berühren will, oder in der Natur analog. Die digitale Welt ist eine ständige Sinnestäuschung der Augen und erzeugt, für den der sich noch von der Natur berühren lässt, dadurch Stress, weil er nicht mit unserem analog arbeitendem Körper in Resonanz gehen kann. Wahrscheinlich empfindet der Digitalisierte das aber nicht mehr bewusst… Kapitulation ist eine Hingabe an die Situation, die nicht nur positiv sein muss, wenn mein Körper dabei zuviel negative Energien erfährt:DAS WÜRDE SICH DURCH EINE BEDINGUNGSLOSE GRUNDVERSORGUNG ERÜBRIGEN: wer dazu die Freiheit hat, wird den einfachen weg finden.

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  11. „…es keinen direkten Zusammenhang mehr gibt zwischen der Überlegung „Womit kann ich Geld verdienen?“ und der Frage: „Was könnte ich erfinden, damit das Leben und die Welt schöner werden?“. “

    Die allermeisten Menschen arbeiten wohl eher, damit ihr eigenes Leben und dass der Menschen, die ihnen etwas bedeuten, nicht schlechter wird als es ist. In der glücklichen Lage, auch mit einem Drittel Arbeitszeit oder weniger immer noch genug zu verdienen, um den eigenen Lebensstandard halten zu können, sind meines Wissens eher wenige Leute.

    Und wenn man die zweite Frage mal weniger pauschal formuliert, und davon ausgeht, nicht „das Leben“ und „die Welt“ schöner zu machen, sondern das Leben und die Umwelt eines Auftraggebers schöner zu machen, dann gibt es sogar wieder einen Zusammenhang zwischen den beiden Fragen, wie ich finde …

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  12. Die Erkenntnis, dass das eigene Leistungsvermögen im Angesicht der potentiell unerschöpflichen Anforderungen begrenzt ist, verdient, trotz ihres Binsencharakters, Öffentlichkeit und Beachtung. Deshalb: Danke, Antje.

    Eine kritische Anmerkung sei jedoch gestattet. Du schreibst in Deinem PPPS: „Stattdessen wird unglaublich viel menschliche Arbeitskraft auf Pillepalle wie „Wie krieg ich Leute dazu, auf Werbung zu klicken“ verschwendet.“

    Das ist, mit Verlaub, arrogant. Es gibt durchaus Menschen (mir persönlich bekannt 😉 ) denen die Beschäftigung mit derartigem „Pillepalle“ Befriedigung verschafft. Weil sie sich z.B. für Rezeptions- und Kognitionspsychologie interessieren. Weil sie gern Interfaces designen. Weil sie gern Verhalten beeinflussen. Samt und sonders legitime Motive, weil individuell durch Präferenzen unterlegt. Demzufolge ist „Verschwendung“ auch keine generell zulässige Kategorie für diese spezifische Form der Ressourcenallokation.

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  13. Das mit dem 4-4-4-4 Konzept kann doch nicht ernst gemeint sein oder??? Wenn jeder Mensch nur 4 Stundem am Tag arbeitet (oder gar 2) dann sind wir alle verhungert bevor wir uns überhaupt über irgendwelche Kündigungen gedanken machen können. Und über digitale Produkte brauchen wir dann gar nicht zu sprechen.

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  14. „Welche negativen Aspekte sollte es denn haben, dass man mobil ins Internet kann? Mir fallen keine ein.“

    Dauererreichbarkeit auf zig Kanälen ist also nicht negativ? Schöne Illusion. Dazu muss man schon starke Nerven haben, um Anrufe, Mails und den ganzen Kram von der Arbeit immer zu ignorieren, wenn er öfter mal Nachts um sonstwann eintrudelt. Vor allem kriegt man dann ein Problem, wenn andere Digitalworker eben schon um 22 Uhr noch mal Probleme lösen und man selbst ab 18 Uhr nicht mehr erreichbar ist.

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  15. Mal kurz zu 4-in-1: Ich habe das eigentlich immer flexibler verstanden als es für die meisten anscheinend klingt, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass sich Frigga Haug unbedingt an den jeweils 4 Stunden festklammert. Für mich liegt der Fokus von dem Modell darauf, dass möglichst alle Menschen die ähnliche Chance und Motivation haben sollten, an diesen vier von Haug wahrgenommenen Bereichen menschlicher Produktion teilzuhaben, und sei es nur durch ein Interesse für die Themen (beispielsweise: gerade wenn ich persönlich nix mit Kindern oder Care allgemein am Hut haben will, kann es für mich nur gut sein, mich damit zu beschäftigen, was mir ‚erspart‘ bleibt – und wenn nur um einen grundlegende Perspektive für die Bedingungen dieser Tätigkeit zu entwickeln).

    Aus meiner Sicht lässt sich eine solche Ausgewogenheit der gesellschaftlichen Teilhabe zumindest individuell gesehen auch heute bereits anstreben und wir bewegen uns meinem Eindruck nach ohnehin bereits darauf zu.

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  16. @Werner – ja, aber da ist nicht die Digitalisierung dran schuld, sondern so Dinge wie Konkurrenz- und Wettbewerbsideologie, Angst vor Arbeitslosigkeit, Unternehmenshierarchien etc.

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  17. „Guns don’t kill. People do.“ Da braucht man nicht erst auf Habermas kommen, um zu sehen, daß eine solche Trennung von Technik und Ideologie sogar theoretisch schwierig ist, praktisch nahezu unmöglich.

    Zudem fördert eine solche Haltung geradezu fatalistische Sichtweisen auf das Problem, in Richtung „solange der Kapitalismus noch nicht abgeschafft ist, wenden sich die Technikimplikationen ja doch immer gegen mich.“ Wobei „mich“ den Festangestellten meint, über dessen eingeschränkte Selbstbestimmungsmöglichkeiten sich Kommentator Reineke bereits ausgelassen hat. Und er hat genauso recht damit, daß die Digitalisierung ihr Scherflein zur Vereinzelung der Arbeitnehmer begetragen hat, auch wenn sie nicht allein für etwa den Machtverlust der Gewerkschaften verantwortlich ist.

    Technik ist nie wertneutral. Wer das behauptet, der denkt wahrscheinlich auch, daß durch die abschreckende Wirkung von beiderseitigem Nuklearwaffenbesitz ein dritter Weltkrieg verhindert worden ist. Tolle Sache, so ’ne Atombombe.

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  18. @Andreas – und die Tatsache, dass es möglich ist, zu skypen, hat euch daran gehindert, euch zu treffen? Versteh ich n icht.

    Die Fachfrau dazu heißt Gerlinde Vogl, sie ist Soziologin hat dazu geforscht, inwieweit Solidarität noch möglich ist, wenn es in der entgrenzten Arbeitswelt keinen gemeinsamen Ort mehr gibt.

    Natürlich ist ein Treffen mit Projektkollegen aus einer anderen Stadt aufwändiger als ein Treffen mit den Bürokollegen in der Kaffeeküche oder beim Döner gegenüber.

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  19. @Hendrik -Naja, zwischen Digitalisierung einerseits und Gewehren und Atombomben andererseits gibt es ja nun den kleinen Unterschied, dass letztere überhaupt keine anderen als negative Auswirkungen haben können. Ich würde auch nie behaupten, dass Technik wertneutral ist, es kommt mir ja gerade darauf an, dass man technische Entwicklungen entsprechend kulturell begleiten muss. Das war sozusagen das Thema meines Blogposts. Eine neue Technik mit den Parametern der Zeit zu bewältigen, in der es diese Technik noch nicht gab, funktioniert nicht.
    Ein Beispiel: Vor der Digitalisierung brauchte man die Bedeutung, die körperliche Präsenz hat (sich mit Leuten an einem Ort zu treffen) nicht weiter reflektieren, weil solche Treffen mussten zwangsläufig stattfinden. Wenn man diese Vorteile, die das hat, in Zeiten der Digitalisierung beibehalten will, muss man etwas dafür tun.
    Ich behaupte, dass die Digitalisierung nur deshalb negative Begleiterscheinungen hat, weil es mit dieser „kulturellen Reflektion“ noch ganz gewaltig hapert. Im Vergleich dazu kann ich mir aber keine kulturelle Reflektion vorstellen, bei der im Bezug auf den Einsatz von Atombomben irgend etwas Positives herauskommen kann.

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  20. Wenn man diese Vorteile, die das hat, in Zeiten der Digitalisierung beibehalten will, muss man etwas dafür tun.

    Da spricht wohl die Protestantin: Leistung ist gottgefällig 😉

    Ich denke bei dem Thema eher an Reisekosten.

    Deshalb sind ja diejenigen Social-Media-Hipster und Bloggerinnen am besten vernetzt, die von irgendwelchen Organisationen gesponsort oder gebucht werden. Eine Niedriglöhnerin fährt nicht zum netzfeministischen Biertrinken nach Berlin.

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  21. @Irene – Nun ja, ich bin nicht zum netzfeministischen Biertrinken nach Berlin gefahren, sondern ich war in Berlin, und wir haben die Gelegenheit genutzt, uns zu einem netzfeministischen Biertrinken zu treffen. Solche Dinge sind ja Dank Digitalisierung heutzutage einigermaßen unkompliziert möglich.

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  22. „Ich behaupte, dass die Digitalisierung nur deshalb negative Begleiterscheinungen hat, weil es mit dieser “kulturellen Reflektion” noch ganz gewaltig hapert.“

    Na, ich weiss nicht – Lernen geht nunmal nicht ohne Fehler-machen. Die Reflektion wird dann wohl eher wie immer hinterhertraben …

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  23. Das netzfeministische Biertrinken war einfach ein Beispiel, das mir einfiel, weil das Nele als in ihrem Alltag quasi unerreichbaren Ort einer ihrer Kolumnen verbraten hatte. Dass du dort warst, hatte ich gar nicht mitbekommen (oder wieder vergessen).

    Aber du warst ja auch nur dort, weil du auf den Kongress eingeladen warst und die Fahrt nicht selbst zahlen musstest, schätze ich. Entweder man wohnt da, wo was los ist (dann muss man immer noch den Arsch hochkriegen, schon klar) oder jemand zahlt für die eigene Präsenz.

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  24. „@Werner – ja, aber da ist nicht die Digitalisierung dran schuld, sondern so Dinge wie Konkurrenz- und Wettbewerbsideologie, Angst vor Arbeitslosigkeit, Unternehmenshierarchien etc.“

    „…daß eine solche Trennung von Technik und Ideologie sogar theoretisch schwierig ist, praktisch nahezu unmöglich.“

    Dies umso mehr, als nun gerade die Digitalisierung ein fast ausschliessliches Kind des Wettbewerbs ist.

    Insofern wundert mich auch etwas die Trennung von „guter Digitalisierung“ auf der einen und „schlechtem Kapitalismus“ auf der anderen Seite – genauso, wie „der Kapitalismus“ die „gute Digitalisierung“ hervorgebracht hat, kann er umgekehrt schliesslich auch „gute Arbeitsbedingungen“ hervorbringen.

    Ziemlich viele Firmen, die Leute in meinen Arbeitsbereichen mit Aufträgen versorgen, krempeln z.B. die Arbeitsbedingungen gerade wieder komplett um – weg von einer extremen Verteilung zur Minimierung der Personalkosten, mit entsprechendem Apparat an Hierarchien, der zur Überwachung nötig ist;

    und hin zu Teams, die sich täglich vor Ort treffen; praktisch eigenverantworlich über ihren Workload entscheiden; praktisch keine Hierarchien mehr aufweisen – obwohl die Leute natürlich noch Rollen mit bestimmten Aufgaben einnehmen.

    Firmen, die so arbeiten, weisen oft einen extrem niedrigen Krankenstand auf, einfach, weil die Leute viel zu viel Spass am Job haben, als dass sie einen Tag im Bett sich langweilen wollten.

    Und natürlich verdanken sich auch solche Arbeitsbedingungen „dem Kapitalismus“ und dem Wettbewerb – noch nicht einmal dem Wettbewerb um knappe Arbeitskräfte, da, wie gesagt, ja ausgelagert werden könnte.

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  25. Zitat Abdreas: „Firmen, die so arbeiten, weisen oft einen extrem niedrigen Krankenstand auf, einfach, weil die Leute viel zu viel Spass am Job haben, als dass sie einen Tag im Bett sich langweilen wollten.“

    Ein besonders niedriger Krankenstand lässt eher auf ein Klima der Angst und der verstärkten Selbstausbeutung schließen als auf besonders gute Arbeitsbedingungen.

    Zitat Antje Schrupp: „Wenn man diese Vorteile, die das hat, in Zeiten der Digitalisierung beibehalten will, muss man etwas dafür tun.“

    Das ist eine recht zynische Sichtweise in einer Zeit, in der die Interessen der ArbeitnehmerInnen aus verschiedenen Gründen praktisch nicht mehr in Politik und Wirtschaft vertreten sind und gehört werden. Aber inhatlich hast Du natürlich Recht, was ja auch keine neue oder auf die Digitalisierung beschränkte Erkenntnis ist. „Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun…“ ;=)

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  26. „Ein besonders niedriger Krankenstand lässt eher auf ein Klima der Angst und der verstärkten Selbstausbeutung schließen als auf besonders gute Arbeitsbedingungen.“

    Manchmal, oder meinetwegen oft, ja. Aber ein Effekt lässt sich immer von mehreren Seiten aus erreichen – und die Firmen, von denen ich berichte, stehen nun gerade nicht auf der „Ausbeuterseite“.

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  27. @Antje: Ich spare mit jetzt den schalen Witz vom Totschlagargument Atombombe, aber der Verweis auf kleinere Individualwaffen am Anfang meines Kommentars hat dennoch seine Berechtigung, finde ich, auch wenn er natürlich sehr überspitzt daherkommt.

    Denn es ist nun einmal nicht so, daß sich die Menschen früher gedacht haben: Anarchie und Sozialdarwinismus sind irgendwie doof, laß uns mal was mit Demokratie machen. Die Erfindung von Muskelkraft relativ unabhängiger Waffen hat nicht nur die Rangordnung innerhalb der Gesellschaft beeinflusst, sondern ihr Gebrauch hatte direkte Auswirkungen auf die Form der sozialen Ordnung selbst. Je größer die Reichweite des Gewehres, desto größer auch der Machtbereich seines Besitzers.

    Die alten Römer haben sich aufgrund ihres überlegenen Militärs durch halb Europa und rund ums Mittelmeer erobert. Dabei ist es nicht so, daß sich Kampfmittel (Schwerter, Rüstung, …) und Kampftaktiken (Gefechtsordnung, Angriffsformation, …) einfach voneinander trennen ließen. Das Kurzschwert bedingt die Organisationsform des Heeres, andersherum läuft es viel seltener – und wenn, dann meist erfolglos.

    Technik impliziert die Nutzung, da hilft auch das Reflektieren darüber nur sehr eingeschränkt. Aber immerhin versteht man die Mechanismen dann besser. Da kann ich dann doch wieder den Bogen schlagen: Gerade weil die Atombombe „keine anderen als negative Auswirkungen haben könnte“ ist sie ein perfektes Beispiel für „The medium is the message.“

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  28. Nochmal zurück zur Behauptung, die Digitalisierung habe keine negativen Auswirkungen: Gehst du da auch nur von deinen Erfahrungen aus?

    Ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen, die natürlich immer nur begrenzt auf andere Kontexte übertragen werden können (vielleicht aber doch hier oder da), möchte ich einen Trick vorstellen, der mir ganz gut hilft, die „negativen Seiten“ der Digitalisierung zu minimieren.

    Klar kann man nicht für andere sprechen, aber es ist möglich, sich für andere zu interessieren, die in einer anderen Situation sind. Und dazu gehören auch Leute, die durch die Digitalisierung (oder einen anderen Wandel) ihre Jobs verlieren und verloren haben. Und mit Tricks ist es da nicht getan.

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  29. @Hendrik: Sorry, aber ich finde dein Vergleich hinkt gewaltig. Digitale Kommunikation und das Gestalten ihrer konkreten Anwendung ist doch wesentlich flexibler als ein so materieller, speziell konstruierter Gebrauchsgegenstand wie wie eine Waffe, welche erst durch eine erneute Serienproduktion wieder verändert kann.
    Wie sich vielfach belegen lässt: Es besteht eine starke Wechselwirkung zwischen der Entwicklung von Software und der Art und Weise wie sie von den Nutzern tatsächlich gebraucht wird. Das Anwendungserlebnis verändert sich in ausschlaggebendem Maße, wie das Feedback von Nutzern (ob lautstark verbal oder einfach durch die erzeugten Nutzungsdaten) aussieht, in einer Vielzahl der Fälle wird Software selbst on Nutzern modifiziert (könnte hier noch das OpenSource-Fass aufmachen usw.)

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  30. @Irene – Ich habe nicht geschrieben, die Digitalisierung hätte keine negativen Auswirkungen, sondern sie hätte keine negativen Seiten. Ich finde an der Möglichkeit, Dinge zu digitalisieren, nichts Negatives. Dass sich die Digitalisierung negativ auswirkt liegt nicht an der Digitalisierung, sondern daran, dass sie unter kapitalistischen Bedingungen umgesetzt wird – Erwerbsarbeitsfixierung zum Beispiel ist halt in digitalen Zeiten unsinniger als in industriellen Zeiten. Also: Die negativen Auswirkungen gibt es, und die Digitalisierung ist vielleicht auch ihr Auslöser, aber nicht ihre Ursache.

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  31. Du schriebst:

    Die Diskussion drehte sich dann vorwiegend um die Frage, was Gewerkschaften oder Politiker gegen diese „negativen Seiten“ der Digitalisierung tun können.

    Meintest du da nicht eher die Auswirkungen?

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  32. (Oder war der Gewerkschafter auf dem Podium tatsächlich ein Technikpessimist, der die Merkel sofort gegen Kohl eintauschen würde und das Internet gegen die Systemalternative mitsamt Schießbefehl?)

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