Hedwig Lachmann: Weit lieber doch besiegt sein, als verführt von eitlem Glanz…

Die letzten Tage habe ich eine Biografie über Hedwig Lachmann (1865-1918) gelesen, eine Dichterin und Übersetzerin – übersetzt hat sie zum Beispiel Edgar Allan Poe, Oscar Wilde und Honoré de Balzac. Bekannt geworden ist sie aber vor allem (naja, so mittelmäßig bekannt wenigstens), weil sie die Lebensgefährtin von Gustav Landauer war, mit dem sie auch zwei Töchter hatte.

Ich interessiere mich bei Biografien ja weniger für die Lebensgeschichten, als vielmehr für die politischen Ideen, und in dieser Hinsicht lässt mich das Buch noch etwas ratlos. Was weniger an dem Buch liegt, als vielmehr daran, dass Hedwig Lachmann eben vor allem Gedichte geschrieben hat, und Gedichte gehen irgendwie nicht so an mich.

Dabei wäre sicher viel Interessantes zu heben, zumal Lachmann ihre Freiheitsliebe explizit nicht an das Streben nach Gleichheit mit den Männern knüpfte, sondern solche Ansinnen klar zurück wies. Zum Beispiel schreibt sie an einen Freund, der eines ihrer Werke kritisch kommentiert hatte:

Das mit der „Frauenlogik“ will ich mir aber doch nicht gefallen lassen. Denn die ist’s nicht, wenn etwas nicht so gelingt, wie ich’s gern möchte. Dann ist es eben meine Stümperhaftigkeit, die ich mit tausend Männern gemein habe. Vielleicht streife ich sie mit der Zeit etwas ab, meine Frauenlogik will ich gar nicht abstreifen, ich will gar nicht anders schreiben, wie eine Frau. (S. 29)

Doch leider wird dieser Aspekt in dem Buch nicht genauer behandelt, zumal die inhaltlichen Debatten, die geschildert werden, Hedwig Lachmann vor allem im Vergleich mit den Männern ihrer Umgebung zeigen, nicht in der Auseinandersetzung mit anderen Frauen. Was aber vermutlich auch der Quellenlage geschuldet ist.

Ebenso interessant fand ich den Aspekt, dass sie viel von ihrer Lebenshaltung ihrer Herkunft aus dem osteuropäischen Judentum verdankt – ihr Vater arbeitete als Kantor in jüdischen Gemeinden, die Familie stammte ursprünglich aus Ostdeutschland (einer Gegend, die heute zu Polen gehört) und war 1873 – als Hedwig acht war – nach Bayern gekommen. Ich vermute, dass die Abneigung gegen Assimilierung an die jeweils dominante Kultur (sei es die jüdische an die christlich-deutsche oder die weibliche an die männliche) ein roter Faden in Lachmanns Denken ist. Müsste aber genauer untersucht werden.

Stattdessen möchte ich hier, weil es so schön ist, ihr Antikriegsgedicht abtippen, dem auch der Buchtitel entnommen ist und das sie zum Ersten Weltkrieg geschrieben hat:

Mit den Besiegten

Preist Ihr den Heldenlauf der Sieger, schmückt
Sie mit dem Ruhmeskranz, Euch dran zu weiden –
Ich will indessen, in den Staub gebückt,
Erniedrigung mit den Besiegten leiden.

Geringstes Volk! verpönt, geschmäht, verheert
Und bis zur Knechtschaft in die Knie gezwungen –
Du bist vor jedem stolzeren mir wert,
Als wär‘ mit dir ich einem Stamm entsprungen!

Heiß brennt mich Scham, wenn das Triumphgebraus
Dem Feinde Fall und Untergang verkündet,
Wenn über der Zerstörung tost Applaus
Und wilder noch die Machtgier sich entzündet.

Weit lieber doch besiegt sein, als verführt
Von eitlem Glanz – und wenn auch am Verschmachten,
Und ob man gleich den Fuß im Nacken spürt –
Den Sieger und das Siegesglück verachten.

Birgit Seemann: „Mit den Besiegten“. Hedwig Lachmann (1865-1918). Deutsch-jüdische Schriftstellerin und Antimilitaristin. Überarbeitete und aktualisierte Neuauflage. Verlag Edition AV, Lich 2012, 164 Seiten, 16 Euro.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

9 Gedanken zu “Hedwig Lachmann: Weit lieber doch besiegt sein, als verführt von eitlem Glanz…

  1. Dieses Gedicht vermittelt mir sehr stark die politische Idee und Haltung von Hedwig Lachmann:
    Eine Politik der Gewaltlosigkeit und Solidarität mit den „Besiegten“, Ohnmächtigen, Ausgebeuteten, Gefangenen.
    Hochaktuell, wie ich finde. Das betrifft nicht nur die Siegermentalität kriegsführender
    Staaten und Gruppen, sondern ist auch übertragbar auf das vorherrschende kapitalistische Wirtschaftssystem, welches permanent Sieger und Besiegte hervorbringt.

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  2. Nun ich möchte das mal im heutigen Sinne untersuchen? Wer sind den heute die Gewinner? Die schneller, weiter und bereiter sind sich an die Prinzipien des Kapitalismus anzupassen. Und die Besiegten? Die Menschen, die noch vom Mitgefühl berührt werden, die fähig sind die Besiegten zu begleiten, ohne Sieger sein zu müssen. Die nicht aus Menschen Erfolgsmenschen machen müssen, damit sie die Ellenbogengesellschaft überleben, sondern die fähig sind die Menschen mit sich selbst zu berühren, um die Unabhängigkeit von Außensteuerung zu erfahren. Denn letztendlich sind die Besiegten die Sieger, sie können verlieren, ohne daran zu zerbrechen.

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  3. @Axel – valentin Tigges – „Denn letztendlich sind die Besiegten die Sieger, sie können verlieren, ohne daran zu zerbrechen.“

    Kannst Du noch genauer sagen, woran du denkst, wenn du von den ‚Besiegten als Sieger‘ sprichst?
    „Sieger“ klingt in meinen Ohren zu sehr nach Triumph und Schadenfreude, was allerdings jetzt nicht heißt, dass ich dir das unterstelle.
    Hat mehr mit meiner eigenen Assoziation zu diesem Wort zu tun.

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  4. Vielleicht etwas deutlicher: Wenn Du einen Kunden gewonnen hast, willst Du was von ihm, das kann in einer Feindschaft enden, dann gibt es nur Verlierer. Wenn Du einen Freund gewonnen hast, und er ist eben keine Warenbeziehung, so gewinnen beide, wenn da keine Erwartung existiert. Das ist nicht einfach, doch dann möglich, wenn ich mit mir selbst gut umgehe. Unsere Gesellschaft ist aber auf Gewinner und Verlierer ausgerichtet, auf Angebot und Nachfrage und das leider immer mehr auf allen Gebieten. Hier liegt jedoch auch der Schlüssel, wieder zu einer win-win-Situation zurückzukehren. Ob das für die möglich ist, die eine Position vertreten müssen, glaube ich nicht. So passiert im Gespräch eine neue Einsicht, die von verschiedener Seite kommt und jedoch eine Bereicherung für alle sein kann.

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  5. @Axel u. @prometheus141 –

    Ist mir einsichtig, was ihr schreibt. Und natürlich wunderbar wenn mannfrau eine Freund-in gewinnen kann in all den unwägbaren und unerquicklichen Zeiten.:-D

    Mir geht es, wie bereits erwähnt, um den Wortbegriff „Sieger“, den ich mich sträube zu benutzen, da er bei mir gleichzeitig Besiegte und Verlierer-innen assoziiert und mir zu nahe an der instrumentellen Macht ist, die über andere bestimmt und verfügt. Hedwig Lachmann lehnt ja wohl gerade diese Sieger-Mentalität ab und will sie auflösen, indem sie sich auf die Seite der ‘Besiegten’ stellt, was alles andere als eine passive Haltung bedeutet, sondern im Gegenteil eine Form des Widerstands gegenüber vorherrschenden Gewaltverhältnissen.
    Vermutlich braucht es schlicht eine andere ‘Praxis des Siegens’ so wie ihr das ja auch konkretisiert habt, und diese hat ja nun wahrlich nichts mit Unterwerfung und Herrschen zu tun.

    Nun denn, je öfter “Sieger” in diesem Sinne gebraucht wird, umso mehr kann ja dann das gute Leben für alle als “Siegerin” hervorgehen und spätestens dann dürfte ich mich mit dem Sieger-Wort ausgesöhnt haben. 😉

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