Von der Wichtigkeit politischer Beziehungen und der Schwierigkeit, Neues zu vermitteln

Derzeit kreist ein merkwürdiges Schulterklopfen durchs Internet, bei dem man sich gegenseitig dazu gratuliert, irgendwie Mitte und nicht so radikal zu sein. Nicht so radikal feministisch, nicht so radikal antirassistisch, nicht so extrem, nicht so gaga, nicht so unverständlich, sondern so, dass es an den Mainstream anschlussfähig bleibt.

Ich frage mich, wann es angefangen hat, fehlende Radikalität für etwas Positives zu halten? Jedenfalls bin ich der Meinung, dass jede politische Theorie, die sich nicht um größtmögliche Radikalität bemüht, also darum, wirklich an die Wurzeln eines Problems vorzudringen, anstatt nur an der Oberfläche ein paar Dinge hin und her zu rücken, nichts wert ist. Möglicherweise vielleicht sogar kontraproduktiv, weil sie dazu beiträgt, die krassesten Begleiteffekte des Bestehenden abzumildern, sodass die herrschende Ordnung umso gefestigter aus diesen Korrekturen hervorgeht.

Aber kann man die Sachen nicht wenigstens verständlicher formulieren? Ja, vielleicht, aber das ist ja schwer. Und wenn eine Idee wichtig ist, ziehe ich es vor, sie in einer kompliziert formulierten Fassung zu haben als sie gar nicht zu haben. Mag sein, dass manche Texte, die zirkulieren, zu „akademisch“ sind (was aber natürlich auch daran liegt, dass sie aus dem universitären Umfeld kommen, und die Desolatheit der Universitäten wäre noch mal ein ganz anders Thema). Aber ich glaube nicht, dass das der Grund für die Abwehr ist, die ihnen entgegen gebracht wird.

Elisabeth Schüssler-Fiorenza, eine Grande Dame der feministischen Theologie, hat mir mal bei einem Interview erzählt, dass ihre Professorenkollegen ihre Bücher oft zu kompliziert und unverständlich fänden, während gleichzeitig Lehrerinnen, Verkäuferinnen oder Gemeindesekretärinnen begeistert rückmeldeten, es habe nach der Lektüre in ihrem Kopf „Klick“ gemacht. Und das, obwohl sie beim Lesen – anders als die Professoren – ein Fremdwörterlexikon benötigten.

Die Wahrscheinlichkeit, sich auf eine neue Idee, einen neuen Gedanken wirklich einzulassen (was noch nicht bedeutet, ihm zuzustimmen, sondern erst einmal, ihn wirklich verstehen zu wollen), hängt nicht von den intellektuellen Fähigkeiten ab oder von der Leichtverständlichkeit des Textes, sondern davon, ob man vermutet, darin etwas zu finden, das für die eigene Existenz von Belang ist – oder eben nicht. Wenn nicht, fällt es Intellektuellen sogar noch leichter als anderen, zu begründen, warum der Text Mist ist.

Wer an patriarchalen oder rassistischen Mustern leidet (und das müssen nicht nur die Benachteiligten sein, denn auch Männer können am Patriarchat leiden und Weiße am Rassismus), wird Theorien, die darauf eine Antwort bieten, auch dann verstehen wollen, wenn die Sprache kompliziert ist, wenn die Behauptungen erstmal steil scheinen und „gegen den gesunden Menschenverstand“. Wem ein Problem existenziell wichtig ist, wird sich mit jedem neuen Lösungsvorschlag ernsthaft auseinandersetzen. Wer aber hier keine Fragen, Anliegen und Probleme hat, wird nicht verstehen, warum er (oder sie) sich die Mühe machen soll, und verlangen, die „Betroffenen“ mögen es bitte in leicht verdaulichen Häppchen servieren.

(Einschub: Es ist übrigens ganz leicht, eine kritische Auseinandersetzung mit einem Text oder einer Idee von einer rein polemischen zu unterscheiden, aber das würde jetzt hier zu weit führen. Jedenfalls geht es mir natürlich nicht um eine kritiklose Annahme von Ideen, sondern um die ernsthafte und offene Auseinandersetzung mit ihnen.)

Das alles bedeutet aber im Umkehrschluss, dass ich Verständnis für „radikale“ Gedanken tatsächlich nur bei denen erwarten kann, die ein Anliegen haben, ein Begehren, auf das diese Gedanken und Ideen eine Antwort sind. Oder anders: Ob meine Ideen aufgegriffen werden, habe ich nicht in der Hand.

Mein Schlüsselerlebnis hatte ich dazu vor vielen Jahren, als ich bei einer großen feministischen Tagung in einem Vortrag Bilanz über die Frauenbewegung ziehen sollte aus der Perspektive einer „jungen Frau“ (wie gesagt, das ist ein paar Jahre her :)). Jedenfalls habe ich damals (meiner Ansicht nach) die Verdienste der Zweiten Frauenbewegung lang und breit gewürdigt, um dann in der zweiten Hälfte des Vortrags deutliche Kritik an manchen eingeschlagenen Wendungen zu üben. In der anschließenden Diskussion fielen die Frauen regelrecht über mich her (wahrscheinlich war es gar nicht so krass, aber ich war damals noch leicht zu verunsichern): Sie waren empört und fühlten sich von mir total zu Unrecht angegriffen.

Ich war fassungslos und den Tränen nah. Hinterher standen wir in einer kleinen Gruppe zusammen, und ich sagte immer nur „Aber ich habe doch ihre Verdienste ausdrücklich gewürdigt, wie können sie mir nur so böse Dinge vorwerfen!“ Luisa Muraro, die auch dabei stand, erwiderte schlicht: „Es ist dir halt einfach nicht gelungen, das, was du sagen wolltest, zu vermitteln.“

Dieser Satz war eine wahrhafte Befreiung für mich, weil er so lapidar auf den Punkt brachte, was geschehen war, und jede moralische Dimension aus der Angelegenheit entfernte: Ich hatte versucht, eine Idee zu erläutern, aber es war mir nicht gelungen. So what! Niemandes Schuld oder aller Schuld, aber keine Katastrophe, einfach normales Alltagsgeschäft, wenn man politische Ideen in der Öffentlichkeit zur Diskussion stellt.

Seither nehme ich es als Geschenk und freudiges Ereignis, wenn die Vermittlung einer neuen Idee tatsächlich gelingt. Denn ich weiß, dass das ein kostbares Ereignis und keineswegs selbstverständlich ist. Obwohl ich natürlich dazu beitragen kann, indem ich mich um Verständlichkeit bemühe und darum, an das jeweilige Begehren der anderen anzuknüpfen.

Erst im Laufe der Zeit bekomme ich Übung darin, eine neue Idee auch „allgemeinverständlicher“ zu formulieren. Zum Beispiel wusste ich nach dem erwähnten Vortrag um die Befindlichkeiten älterer Feministinnen und um ihre sensiblen Punkte und konnte in späteren Vorträgen darauf eingehen, ohne aber deshalb meine Analyse zu ent-radikalisieren. Je häufiger ich am Versuch der Vermittlung von Ideen scheitere, umso geübter werde ich darin, ohne natürlich jemals an den Punkt zu gelangen, wo es garantiert ist.

Wenn eine Idee noch neu ist, ist ihre Vermittlung noch nicht in der Praxis erprobt. Vermutlich hat die neue Idee auch noch Schwachpunkte, ist an manchen Punkten vielleicht geradeheraus falsch. In diesem Stadium braucht es gegenseitiges Wohlwollen, wirkliche Aufmerksamkeit, ein gemeinsames Begehren und Vertrauen, um solche Debatten zu führen (weshalb vielgelesene Seiten im Internet vielleicht nicht der beste Ort sind, sie zur Diskussion zu stellen).

Und zwar braucht es Wohlwollen und Vertrauen auf beiden Seiten: Sowohl denen gegenüber, die in ihren Gedanken und Handlungen (noch) im Bisherigen verhaftet sind und denen vielleicht auch ganz einfach die Fantasie fehlt, über das Gegebene hinaus zu denken, als auch Wohlwollen und Vertrauen denen gegenüber, die momentan (noch) nicht in der Lage sind, ihre Analysen, Ideen und vielleicht auch erst einmal vorläufige Ahnungen hieb- und stichfest zu erläutern, geschweige denn in allgemeinverständlicher Sprache.

„Ein Mensch, der etwas Neues zu sagen hat – denn die Gemeinplätze bedürfen keiner Aufmerksamkeit – kann zuerst nur bei denen Gehör finden, die ihn lieben“ hat Simone Weil geschrieben. Ich glaube, das stimmt. Ob es gelingt, eine radikale Theorie zu vermitteln, liegt nicht daran, wie gut ich sie argumentativ begründet habe. Sondern daran, ob sie auf „fruchtbaren Boden“ fällt, auf eine interessierte Zuhörerinnenschaft, die mir sozusagen einen Vertrauensvorschuss gibt, und die mit mir ein ähnliches Begehren teilt, die Ordnung der Welt möge anders sein, als sie derzeit ist.

Daher meine steile These: Ich trage mehr zur Verbreitung radikaler Ideen bei, wenn ich mir bewusst ein solches Beziehungsnetz aufbaue, und wenn ich mich um gute Beziehungen zu einem großen Kreis potenziell interessierter Menschen bemühe (denn nur, wenn sie mich „lieben“, werden sie bereit sein, mir die nötige Aufmerksamkeit zu widmen), als wenn ich die Details meiner Theorie noch um eine weitere erkenntnistheoretische Schleife verfeinere.

Ich bin wirklich davon überzeugt, dass Politik keine Sache von Programmen, sondern von Beziehungen ist. Die Stärke der Frauenbewegung liegt nicht darin, dass alle Feministinnen einer Meinung sind, sondern darin, dass sich Feministinnen mit unterschiedlicher Meinung füreinander interessieren. Nicht dass wir alle am selben Strang ziehen, macht uns stark, sondern dass wir andere Frauen inhaltlich ernst nehmen – auch wenn wir das, was sie sagen, falsch finden und nicht teilen, auch wenn wir bei ihren Projekten nicht mitmachen wollen und sie nicht bei unseren, auch wenn sie X wichtig findet und ich Y.

Wohlgemerkt: Das ist keine moralische Aufforderung, alle Frauen ernst und wichtig zu nehmen, einfach weil sie Frauen sind. Es geht nicht um weibliche Solidarität, sondern um die Anerkennung weiblicher Autorität. Es kann gute Gründe geben, Beziehungen zu lösen, sich zu trennen. Die feministische Praxis der „Politik der Beziehungen“ bedeutet, Beziehungen an die erste Stelle zu setzen, also ernster zu nehmen als Inhalte und Standpunkte. Diese Praxis beinhaltet aber gerade nicht nur das Eingehen und bewusste Pflegen von Beziehungen, sondern ganz genauso das wohl überlegte Trennen und Aufkündigen von Beziehungen.

Die Entscheidung, zu wem ich Beziehungen pflege und zu wem nicht, ist eine der wichtigsten Entscheidungen meiner politischen Praxis. Denn ohne Beziehungen, in denen Autorität und Wissen zirkuliert, bleibt mir nur die Macht, um Dinge durchzusetzen, und Macht habe ich erstens keine sonderlich große, und zweitens bin ich überzeugt, dass sie sich auch nicht instrumentell für eine gute Sache einsetzen lässt. Deshalb überlege ich es mir tausendmal, bevor ich etwas tue, was meine politischen Beziehungen gefährdet, vor allem die zu anderen Frauen. Nicht, weil ich Angst vor Konflikten hätte, sondern weil diese Beziehungen der wichtigste Hebel sind, den ich habe, um die Welt zu verändern.

Wenn ich mich entscheide, eine Beziehung aufzukündigen (oder, was dasselbe ist, durch mein Verhalten irreparabel zu beschädigen), verzichte ich gleichzeitig darauf, diese Person noch von etwas überzeugen zu können oder von ihr noch etwas lernen zu können. Das ist ein schwerwiegender Schritt, der schwerwiegendste, den man tun kann.

Jede zerrüttete Beziehung zwischen Feministinnen ist schlimmer, als tausend falsche oder unverständliche Texte, die irgendwo veröffentlicht werden, jemals sein können.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

103 Gedanken zu “Von der Wichtigkeit politischer Beziehungen und der Schwierigkeit, Neues zu vermitteln

  1. Ein wenig knabbere ich noch an der Frage: Woran genau ließe sich ein umsichtiges und verantwortungsvolles Leben von Beziehungen von dem, was sich problemlos auch als langfristig ausgelegte, strategische Machtpolitik verstehen lässt, unterscheiden? Gibt es überhaupt haltbare menschliche Macht, die ohne gut platzierte Beziehungen auskommt und diese daher leichtfertig aufs Spiel setzen kann?

    Und zu dem Zitat von Simone Weil: Ich selbst versuche in letzter Zeit auch und gerade bei Menschen, die ich weniger liebe als andere, aus deren Äußerungen etwas zu entnehmen, was für mich von Bedeutung sein kann, um genau dieser Augenklappe („von DEM kann nix gutes kommen“) entgegenzuwirken. Ich kümmere mich dann weniger um die ‚eigentliche‘ Intention der Aussage als mehr um das, was sich daraus machen lässt.

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  2. @endolex – Ich weiß nicht, ob sich das von außen unterscheiden lässt, diejenigen, die es tun, wissen es aber auf jeden Fall. Das was du „gut platzierte Beziehungen“ nennst ist wohl eher das, was heute „Networking“ genannt wird. Für mich sind das keine echten Beziehungen, denn sie stehen dann sofort zur Disposition, wo der/die andere nicht mehr nützlich ist. Oder der/die eine keine Macht mehr hat und daher uninteressant wird. Das gute an „echte Beziehungen“ ist ja, dass sie auch dann Bestand haben, wenn die Macht bzw. die Nützlichkeit (im machtpolitischen Sinn) nicht mehr gegeben ist. Das ist ihr Vorteil. Aber du hast recht: Auch die Macht ist langfristig auf Beziehungen angewiesen, das macht sie ja so parasitär.
    Zu versuchen, auch von Menschen, die man nicht „liebt“, etwas zu lernen, ist natürlich ehrenwert und bis zu einem gewissen Grad funktioniert es auch, aber meiner Erfahrung nach ist es sehr schwer bzw. muss dein Begehren zu dem Thema, um das es geht, sehr groß sein. Wobei „Liebe“ natürlich ein starkes Wort und in Anführungszeichen zu setzen ist. Du musst die Leute, von denen du lernen willst, vielleicht nicht unbedingt lieben im Sinne von sympathisch finden, aber du musst ihnen schon eine gewisse Autorität zusprechen, zumindest dann, wenn es dir nicht darum geht, von ihnen Wissen und Informationen zu sammeln, sondern wenn du dich von ihnen wirklich zum Umdenken bringen lassen willst.

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  3. @endolex: Hannah Arendt würde sicherlich sagen, dass es Macht ohne Beziehungen nicht geben kann. Macht ist nicht etwas, das ein einzelner im leeren Raum haben kann. Macht ist zudem immer etwas, das viele sich teilen – also wirkliche Macht. Das unterscheidet sie, glaube ich zumindest so verstanden zu haben, von Herrschaft.

    Liebe Antje: Da steckt sehr viel drin, das ich persönlich mitnehme. Ich würde noch einige andere Aspekte hinzufügen, die jetzt mein persönliches Erleben ganz aktuell betreffen würden.

    Seither nehme ich es als Geschenk und freudiges Ereignis, wenn die Vermittlung einer neuen Idee tatsächlich gelingt.

    was ich irgendwie auch immer zentral finde ist die Sache mit dem Ernstnehmen. Das ist eben etwas, das von Respekt zeugt und ich finde, das Respekt die Basis von gelungener Kommunikation ist. Wenn eine Kommunikation nur in eine Richtung von Respekt geprägt ist, oder von Anfang an im Disrespekt begonnen wird, dann scheitert sie. Auch hier gilt, analog zu den Beziehungen: Die Kommunikation kann man auch bewusst scheitern lassen. Kommunikation ist kein Zwang. Schon gar nicht, wenn ich von meinem Gegenüber mit ziemlicher Treffsicherheit keinen Respekt zu erwarten habe.

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  4. @Kadda – Ich habe in deinen jüngeren Texten aber auch den ernsthaften Versuch, dich mit den von dir aufgegriffenen Themen zu beschäftigen, nicht wirklich finden können.

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  5. @Antje – Vielleicht betrachte ich es ein wenig zu idealistisch, wenn ich glaube, dass auch reine Machtpolitik es sich nie leisten kann, jemanden wirklich ‚abzusägen‘. Denn jemand, der nicht oder nicht mehr nützlich ist, kann es wieder werden – oder auch gefährlich, wenn man einen Groll erzeugt. Zwar glaube ich mit Sicherheit nicht an ein irgendein immerwährend gültiges Gesetz von ‚Karma‘, jedoch lässt sich eben, wie ich finde, auch nie ausschließen, dass man nicht irgendwann genau von den Menschen abhängig sein wird, von denen man sich so entschieden und auf grundsätzliche Weise abgewendet hat. Gleichfalls stimme ich dir völlig zu: Der hauptsächliche Unterschied wird wohl bei der inneren Motivation zu finden sein. Ob die Pflege und Treue zu Beziehungen nun einem gewissen Sicherheitsbedürfnis oder eher bedingungsloser Zuneigung oder dem Wunsch nach Veränderung entspringt, mögen die Handelnden selbst bei sich erfühlen.
    Ja, diesen Autoritätsbegriff von dir, den ich so sehr mag, wende ich beim Zuhören und lesen eben immer sehr kurzfristig an, glaube ich, also genau so wie du es beschreibst: Es mir erst einmal grundlegend eigen machen, bevor ich darüber urteile, ob ich zustimme oder nicht – falls ein solches Urteil überhaupt notwendig wird.

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  6. Ich kann gar nicht so oft zustimmen Nicken wie ich möchte, ohne, dass mein Nacken noch mehr scherzt.
    Vielen, vielen Dank für diesem Beitrag.
    Ich habe in letzter Zeit mehrfach versucht zu erklären, dass in meinen Augen Radikalität nicht das Problem ist, aber es ist mir nicht wirklich gelungen das in Worte zu fassen. Ich habe es nur geschafft Kommunikation bzw. gestörte oder unmöglich gemachte Kommunikation als ganz wichtigen Faktor zu beschreiben. Aber ja: Beziehungen und Vermittlung. Danke.

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  7. @ Antje: das dachte ich mir und das lässt dein Text irgendwie trotz aller meta-Ebene durchschimmern.
    Ich habe letztes Jahr ein Semester lang „Intersektionalität“ gelernt, also in einem sehr intensiven Seminar. Ich habe dort die Texte alle sehr aufmerksam gelesen und ich habe viel mitdiskutiert (mir wurde dominantes Redeverhalten vorgeworfen, glaube ich, zumindest immerhin, dass „immer die gleichen“ reden, womit ich mich gemeint fühlte.

    Danach sollte ich dazu eine Hausarbeit schreiben. Ich habe einen riesen Ordner an Texten dazu und ganz viel zu lesen angefangen. Allein: ich bin irgendwann nicht mehr weiter gekommen, weil ich die Theorie – wie von dir oben auch als Möglichkeit beschrieben – nicht annehmen konnte. Bzw. auch nicht annehmen will. Ich sehe ziemlich viele zum Teil klar bennenbare Punkte als problematisch an und suche gerade (unter anderem im Pragmatismus, oder bei Chantal Mouffe) nach anderen Wegen, meine Ideale (die ganz viel schon auch Überschneidungen mit Critical Whiteness und Intersektionalität haben – keine Frage!) durchzusetzen.

    Eines meiner Ideale ist eine recht radikale (!) Vorstellung von Bildung. Und in meiner letzten Kolumne scheint für viele im Vordergrund zu stehen, dass ich aufgrund dieser Noah Sow im widerspreche. Das stimmt auch. Was nicht gesehen wird, ist dass ich Noah Sow von Anfang bis Ende gelesen habe und ganz klar empfehle (!) das auch zu lesen, weil es unheimlich wichtig ist.

    Da sind wir dann bei dem Effekt

    „Aber ich habe doch ihre Verdienste ausdrücklich gewürdigt, wie können sie mir nur so böse Dinge vorwerfen!“

    und da bin ich selbst eben in einem Lernprozess.

    Um das ganze noch zum Abschluss zu führen: Ich habe bereits bewusst Beziehungen abgebrochen und mich gegen bestimmte (radikale oder nicht) Theorien entschieden. Aber dem liegt durchaus ein längerer Weg der ernsthaften Auseinandersetzung zugrunde.

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  8. Ergänzung: das sind natürlich alles innere, nicht sichtbare Prozesse. Susanna hingegen macht es zum Beispiel sichtbar:

    http://susanna14.wordpress.com/2012/10/14/kommentare-zum-gegenwartigen-akademischen-mainstream-feminismus

    Bei mir ist es einfach so, dass ich nicht die Zeit habe, alle inneren Denkprozesse sichtbar zu machen, also aufzuschreiben. Insofern hinke ich in sowas wie einer „Blogosphäre“ auch gerne mal hinterher. damit kann ich aber ganz gut leben. Umso mehr freut es mich dann, wenn andere aufschreiben, siehe Susanna

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  9. ach mist – irgendwie ist mir wegen gravatar ein anderer name reingerutscht. ich bins – die kadda. wirklich 🙂 kannst du bei den kommentaren oben Kadda hintun 🙂

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  10. Mir gefällt es, dass du in diesem Text den Zusammenhang zwischen den sozialen Beziehungen und dem Thema Feminismus thematisierst und das Wort „lieben“ darin miteinbeziehst.
    Ich komme mir manchmal wie eine Exotin vor, weil ich so viele Themen über den emotionalen Ansatz begreife und mir erarbeite.
    Das ist ein Aspekt, der oft vergessen geht und wenn dann die Funken fliegen und die beteiligten vergessen, wie wichtig diese Wertschätzung und Liebe ist, dann kommt es zu verheerenden Auswirkungen.
    Wir sind Menschen. Wir können unsere Emotionalität nicht komplett ausblenden und deshalb brauchen wir Verständnis für einander. Vor allem wenn es um ein Thema geht, das so wichtig für uns ist.
    Wenn es – wie du sagst – um unser Begehren geht.

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  11. und Korrektur: nicht letztes Semester, sondern vor einem Jahr. Das ganze gärte aber auch davor schon in mir, deswegen habe ich das Seminar ja auch belegt gehabt.

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  12. @Kadda – hm, dann war das aber ein schlechtes Seminar, denn dass der Critical Whiteness-Ansatz sagen würde, dass sich Weiße nicht zum Thema Rassismus äußern dürfen, ist einfach falsch (jedenfalls soweit ich davon was weiß). Ich fand in dieser Hinsicht auch schon den AK-Artikel vollkommen schief. Und auch dein Normschön-Artikel ging ja schon in eine ähnliche Richtung. Aber das alles führt jetzt vom Thema dieses Blogposts weg, über diesen Streit um „Definitionsmacht“ will ich eigentlich auch noch mal bloggen, kam aber bisher noch nicht dazu.
    Was mich an deinen Texten vor allem gestört hat, war, dass sie Applaus von der falschen Seite geradezu provoziert haben, durch den Zeitpunkt der Veröffentlichung, durch die Plattform im Freitag, und so weiter. Dass es hier nicht um eine einfach Noah Sow-Rezension ging, sondern dass da eine Beziehungsebene drunter lag, war doch für viele Beteiligte und Mitlesende ganz offensichtlich. Kann man ja auf Twitter nachlesen. Auf mich wirkte es jedenfalls so, als ob es dir mehr darum ging, die Autorität von xy zu untergraben, als darum, ein kompliziertes Thema offen zu diskutieren.

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  13. Intersektionalität und CW sind nicht das gleiche. Das Seminar war zudem sehr umfangreich – ich empfinde es jetzt nicht als sehr hilfreich, dies unwissend infrage zu stellen. Wo sage ich außerdem „dass der Critical Whiteness-Ansatz sagen würde, dass sich Weiße nicht zum Thema Rassismus äußern dürfen“?

    ja, das bist du wohl nicht die einzige, für die es sich so darstellt.
    was auf twitter passiert, bekomme ich nur bruchstückhaft mit. Aber da bin ich auch aus gründen nicht mehr.
    mir geht es um die inhalte und um die kommunikation zugleich. und um meine werte (siehe oben), die ich hier nicht beachtet und respektiert sehe (also nicht hier bei dir, sondern in den Theorien der CW und Intersektionalität).

    in meinen augen kann man übrigens autorität nicht einfach durch ein paar zeilen oder einen text untergraben – da habe ich von autorität ein sehr anderes verständnis. im endeffekt kann eine person ihre eigene autorität nur selbst untergraben. aber das führte jetzt zu weit weg und ich will deinen text auch nicht weiter derailen – bestimmt wollen andere auch noch was sagen. Ich bin schon wieder zu dominant 😉

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  14. Aus dem Vorwort zur siebten deutschen Auflage von Karl Poppers „Logik der Forschung“:
    „Unter einer guten Kritik verstehe ich eine Kritik, die sachlich ist, also frei von irrelevanten persönlichen Angriffen; und die nicht auf Entstellungen beruht. Mißverständnisse sind manchmal fruchtbar: ihre Aufklärung kann zu interessanten Ergebnissen führen. Andererseits kann keine noch so sorgfältige Darstellung alle Missverständnisse vermeiden. (Das ist ein recht wichtiger Punkt: Alles Sprachliche kann immer mißverstanden werden. Daß wir uns so oft verstehen, beruht größtenteils auf dem guten Willen: auf dem Wunsch zu verstehen; auf einer selbstkritischen Einstellung zum allgegenwärtigen Problem, ob man richtig verstanden hat; und auf dem Resultat dieser Einstellung, das dann „Einfühlung“ genannt wird.)

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  15. Der Empfänger allein entscheidet, wie er eine Botschaft verstanden haben will. Auch entsteht jedes Missverständnis allein beim Empfänger. Derjenige, der eine Botschaft hat, kann sie senden und dann nur noch, und zwar ausschließlich, darauf vertrauen, ob sie ankommt oder nicht. Wenn ja, hat er Glück gehabt, wenn nicht, Pech.
    Wenn diese einfache Tatsache erst einmal verstanden und verinnerlicht ist, und zwar sowohl beim Sender als auch beim Empfänger, wird das Kommunizieren leicht. Weil aber so wenige Menschen darum wissen, suchen immer wieder die Sender die Schuld bei sich, machen immer wieder die Empfänger den Sendern Vorwürfe, sie hätten sich nicht verständlich ausgedrückt.
    Nein. Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

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  16. @Suedelbien: Das sehe ich anders. Warum sollte ich etwas sagen wollen, wenn mir egal ist, ob es verstanden wird? Wenn ich eine Botschaft habe, dann habe ich auch ein Interesse daran, dass diese Botschaft verstanden wird. Dass das nicht immer gelingt, geschenkt. Aber von vornherein jegliche Verantwortung für die Verständlichkeit meiner Botschaft abzulehnen, zeugt meiner Meinung nach nicht davon, dass ich mein Gegenüber ernst nehme. Dann kann ich auch mit einer Wand reden. Wenn die Wand mich nicht versteht, ist das halt ihre Schuld. Ich hab gesagt, was ich sagen wollte, alles weitere ist nicht mehr mein Bier.

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  17. @Antje

    Ich glaube, zuerst müsste man sich ja dann mal darüber verständigen, was unter „radikal“ genau verstanden werden soll und dann, welche Praktiken/Diskurse nun unter diesem Begriff subsumiert werden sollen oder können. Ich denke übrigens, nur schon auf der Ebene der Signifikanten findet selbst bereits ein politischer Kampf statt: ob man eine Politik/Praktik/einen Diskurs eher als radikal einstuft, ist eben bereits selbst schon wieder ein politischer Kampf, eben den Kampf und den Signifikanten.

    Aber gehen wir mal zu der radikal antirassistischen Praxis, die Du erwähnt hast. Ich finde übrigens den Text, der in Analyse & Kritik erschienen ist und der gewisse Critical Whitness Strömungen kritisiert gut und nicht, weil dieser Text nun eher gemässigter wäre oder weniger radiakl, sondern weil ich ihn primär aus logischen und empirischen Gründen richtig finde. Aus ähnlichen Gründen (hinzu kommen natürlich noch ethische Gründe) finde ich das Konzept der Definitionsmacht und die Standpunkttheorie für falsch, aber es hat m.E. nichts mit Radikalität oder Nichtradikalität zu tun.

    Zur schwierigen Sprache: Ich bin der Überzeugung, dass quasi alles mit einer sehr einfachen Sprache, auch wenn der Sachverhalt noch so kompliziert ist, geschrieben werden kann. Zudem: Ich denke, dass gerade die Sprache selbst als distinktive Praxis gebraucht werden kann, um als symbolisches Kapital (im Sinne von Bourdieu) zu fungieren und somit eben als Herrschaftsinstrument. Es gibt diesbezüglich ein schönes Buch von Bourdieu: „Was heisst sprechen? Zur Ökonomie des sprachlichen Tauschs.“ Angepriesen wird dieses Buch bei amazon unter anderem wie folgt:

    „Der Diskurs ist nicht nur eine Botschaft, die entziffert werden soll; er ist auch ein Produkt, das wir der Bewertung durch die anderen aussetzen und dessen Wert sich im Verhältnis zu anderen selteneren oder alltäglichen Produkten definiert. Die Konsequenzen dieses sprachlichen Marktes wirken sich bis in den gewöhnlichsten Austausch des täglichen Lebens aus. Denn Sprache ist nicht nur ein Mittel zur Kommunikation, sondern auch ein Indiz für Reichtum und ein Mittel der Herrschaft.“

    http://www.amazon.de/Was-heisst-sprechen-Ökonomie-sprachlichen/dp/370031518X

    Zu diskutieren wäre m.E. jedoch, ob Sprache extra ein bisschen „sperrig“ gehandhabt wird, um quasi durch die reine Form eine aufklärerische Wirkung zu erzielen, wie dies die Frankfurter Schule (Adorno, Horkheimer, Marcuse et al.) intendiert haben. Sie wählten bewusst eine sperrige Sprache, damit nicht einfach, ohne gross den Inhalt zu reflektieren, gedankenlos darüber hinweggelesen werden kann.

    Auch Bourdieu wählte in seinen wissenschaftlichen Publikationen eher eine Sprache, die sich von der Alltagssprache unterscheidet, weil er der Auffassung war, dass die Alltagssprache bereits eine bestimmte Sichtweise der sozialen Welt liefert und somit eben eine kritische und reflexive Sichtweise auf die soziale Welt konterkarieren kann.

    Nun zu Deinem Diktum, Beziehungen seien in der politischen Praxis wichtiger als Inhalte und Standpunkte. Ein bisschen ketzerisch könnte ich nun formulieren: Du favorisierst vor allem das ständische Prinzip: Politische Inhalte und Standpunkte sind nicht so wichtig (z.B. Moral, Ethik, Wahrheit etc.), sondern das Wichtigste sind die Beziehungen, auch wenn das auf Kosten von Wahrheit, Moral und Ethik gehen könnte. Ok, für Dich mag das richtig sein, ich bevorzuge doch die umgekehrte Reihenfolge: Es ist mir ein Gräuel, wenn Ethik, Moral und Wahrheit auf der Strecke bleiben, nur um keine Beziehungen zu gefährden.
    Aber ich bin übrigens der Meinung, dass der Konflikt, wenn er gewisse Kriterien erfüllt, gerade besonders sozialintegrative Wirkung haben kann.

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  18. @Chomsky Weißt du zufällig den französichen Originaltitel des Buches, das du gerade empfohlen hast? Eventuell habe ich dazu nämlich eine Geschichte zu erzählen.

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  19. Antje, Kommentar 2:

    Ich weiß nicht, ob sich das von außen unterscheiden lässt, diejenigen, die es tun, wissen es aber auf jeden Fall. Das was du “gut platzierte Beziehungen” nennst ist wohl eher das, was heute “Networking” genannt wird. Für mich sind das keine echten Beziehungen, denn sie stehen dann sofort zur Disposition, wo der/die andere nicht mehr nützlich ist.

    Hätte ich vor einigen Jahren wohl unterschrieben oder ähnlich formuliert.

    Inzwischen kann ich das nicht mehr so trennen. Es stärkt ja auch die Beziehung, wenn man was füreinander tut. Früher habe ich nach Lust und Laune und Gießkannenprinzip etwas für eine Sache oder für irgendwelche Leute getan. Gern auch dem Zufall folgend, wenn mir irgendwo im Internet eine Frage vor die Füße fiel, die ich beantworten konnte. So ähnlich wie in dem Motto, tue Gutes und es kehrt zu dir zurück, auch wenn das nie mein Spruch war.

    Dummerweise kehrt das Gute vor allem dann zu dir zurück, wenn du was für Leute tust, die genauso ticken und auch gern anderen Tipps und Infos geben und anderen Bälle zuspielen (egal ob man sie jetzt Networker nennt oder nicht) oder wenn man selbst gut bitten oder gar fordern kann. Für mich traf das aber alles nicht zu, und so gönne ich mir jetzt etwas mehr Berechnung, oder positiver gesagt, etwas mehr Achtsamkeit beim Bälle werfen. Oder ich mache es einfach so, weil es sich gerade passend anfühlt oder Spaß macht.

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  20. @Miriam: Missverständnis Nr. 1: Es ist mir als Sender nicht egal, ob meine Botschaft verstanden wird oder nicht. Es ist nur einfach so, dass ich darauf so gut wie keinen Einfluss habe.
    Missverständnis Nr. 2: Ich lehne nicht die Verantwortung für meine Botschaft ab. Die habe ich voll und ganz. Aber in dem Moment, wo sie mich verlässt und beim Empfänger ankommt, hat dieser die volle Verantwortung dafür, was er damit macht, also, wie er sie interpretiert.
    Missverständnis Nr. 3: Auch wenn ich weiß, dass mein Gegenüber meine Worte in seinem Sinne interpretieren wird, heißt es noch lange nicht, dass ich ihn/sie nicht ernst nehme.
    Missverständnis Nr. 4: Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Das Wort „Schuld“ habe ich gar nicht geschrieben und auch nicht gemeint. Warum also taucht es jetzt in deinem Kommentar auf?

    Vier Missverständnisse auf einen Schlag. Gibt es einen besseren Beweis für meine Erkenntnis?

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  21. @irene – Beziehungen bewusst führen, (wofür ich bin) ist ja nicht dasselbe, wie nach dem Gießkannenprinzip. Achtsamkeit: unbedingt! Aber das ist nicht dasselbe wie Berechnung, finde ich.

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  22. Dem kann ich – als ‚Gebrauchsfeministin‘ (also Anwenderin eher als Theoretikerin) – in praktisch jedem Punkt zustimmen.
    Ich finde, dass hochkomplexe und/oder radikale Ansätze ziemlich leicht erfasst werden, wenn es mir gelingt, sie in einem Vortrag oder Workshop oder in der Beratung an die Lebenspraxis der Menschen, die da sind, anzuschließen und rückzukoppeln, ohne selber die Moralkeule zu schwingen.
    Dass ich mit dieser AnwenderInnenorientierung erstaunlich viel -auch institutionell – in Bewegung setzen kann, begreife ich immer mehr als meine Wirkungsmacht und meinen ‚delegierten‘ Marsch durch die Institutionen.
    Das Beziehungsnetz, das mir ermöglicht hat, diese Form der Anschlussfähigkeit zu entwickeln – viele Freundinnen und einige Freunde – ist mein Sozialkapital, das ich nie mit ‚riskanten Anlagen‘ verschleudern könnte. Dennoch hat es Verluste gegeben, weil Leute, die die Radikalität nicht verkraften, praktisch am Weg liegen bleiben. Oft aber schließen sie Jahre später wieder auf. Ich bin sicher, einige Ideen sind einfach ihrer Zeit voraus und deshalb gewissermaßen elitär 🙂

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  23. Nein, man kann tatsächlich aktivistisch sein und verlangen, dass Leute keine unnötigen Hürden in ihre Texte einbauen. Zum Beispiel akademisierte Sprache, die sich ohne Umschweife ersetzen ließe.

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  24. Für mein Empfinden habe ich sehr wohl Einfluss darauf, von wem und wie vielen meine „Botschaft“ verstanden werden kann. Wähle ich eine akademisch-elitäre Sprache mit vielen Begriffen, die viele erst nachschlagen müssten, kann ich sicher sein, dass ein großer Anteil potenzieller Leser/innen schon gleich aussteigt.

    Drücke ich mich dagegen in einfachen Sätzen aus und erläutere auch gleich vielleicht ungewohnte Begriffe, setze das Ganze nicht als „Bleiwüste“, sondern in augenfreundliche Absätze, dann ist die potenzielle Leserschaft sehr viel größer.

    Antje hält dem nun entgegen, dass die sprachliche Form dann nicht so wichtig sei, wenn die Lesenden ein BEGEHREN teilen, das durch den Text (potenziell) beantwortet wird. Klar, wenn nichts anderes zum Thema da ist (!) und ich dringend nach Texten suche, die mein Problem besprechen, ist es wahrscheinlicher, dass ich mich da durchwühle.

    Das mindert aber nicht das Begehren nach leicht zugänglichen Texten! Ich bin auch überzeugt davon, dass man ALLES so formulieren kann, dass ein Text von vielen verstanden wird. Er wird dann halt länger, wenn man sich nicht auf nur in bestimmten Kreisen bekannte Begriffe stützt und muss u.U. auch Beispiele bringen. Manchmal mühsam, aber es geht.

    Missverstehen ist dennoch möglich: nämlich dann, wenn eine Person einen allgemein üblichen Begriff für sich mit einer ANDEREN BEDEUTUNG füllt.

    Deshalb landet man im Versuch, sich wirklich zu verstehen, immer in längeren Gesprächen (mehrere Texte) – und letztlich muss man sich die je eigene Lebensgeschichte berichten, um klar zu machen, wie man dazu gekommen ist, bestimmte Begriffe so oder so zu verstehen bzw. zu verwenden.

    Dass das in Beziehungen besser klappt als mittels Texten, liegt auf der Hand.

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  25. Mir ist noch was zum ersten Absatz des Blogeintrags eingefallen. Zuerst konnte ich es nicht recht nachvollziehen, weil ich in einer etwas anderen Filterbubble bin und sowas nur punktuell mitbekomme. Kann es aber sein, dass sich manche über „radikal“ aufregen und was ganz anderes meinen, z.B. dogmatisch?

    Ist man wirklich radikal, wenn man Leute ankackt, weil sie die Abkürzung „PoC“ nicht kennen? Ich würde das eher Insider-Getue nennen, denn Abkürzungen sind fast immer missverständlich und setzen voraus, dass man sich im selben Umfeld bewegt. Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/PoC

    Oder die kaum lesbare Erklärung der Mädchenmannschaft zu dieser Geburtstagsfeier – da fiel mir echt die Kinnlade runter, als ich „personelle Konsequenzen“ las, als Drohung an an eine Moderatorin. Das ist doch eine autoritäre Arbeitgeberpose und kein radikaler Feminismus. Oder zumindest der Versuch, sich durch offiziös klingende Formulierungen unangreifbar zu machen.

    Noch eine andere Sicht dazu: http://jungle-world.com/artikel/2012/42/46413.html

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  26. Dein Zitat zur verständlichen Sprache: ,,Aber ich glaube nicht, dass das der Grund für die Abwehr ist, die ihnen entgegen gebracht wird.“

    Danke fürs Unsichtbarmachen. Danke dafür, dass du, die die ganze Zeit davon redest, WIE GUT ES IST, dass Frauen* sich öffentlich miteinander streiten – dann behauptest, es gäbe keine legitime Klassismuskritik, die innerhalb der feministischen Bewegung ausgesprochen wird, von Frauen*, die davon betroffen sind. Danke dafür, zu behaupten, es sei MEIN Abwehrverhalten und nicht etwa das von akademischen Feminist*innen. Danke, dass du Leute verteidigst, die behaupten, in dieser Bubble seien ja nur primär Akademiker*innen unterwegs, also warum sollten wir uns Die Mühe Machen(tm) ???

    Ich hab dazu getwittert, weil es mich sauwütend macht, hier https://twitter.com/baum_glueck/status/257800641278275585 , hier https://twitter.com/baum_glueck/status/257806074130882560 und hier https://twitter.com/baum_glueck/status/257794470588841984.

    Als es Kritik von Menschen wie Kiturak und Esme/Zweisatz von takeoverbeta gab, hieß es in etwa, sie seien ja selber akademisch unterwegs, und damit wäre ihre Kritik wohl nichtig. Ja, am Ende muss frau* sich also als von Klassismus Betroffene auch noch outen, soll mit nem Schild rumlaufen, in der sie das eindeutlich erklärt, damit akademische Feminist*innen das auch Ernst Nehmen können, denn sie bestimmen ja den Maßstab, von ihnen geht schließlich die Akzeptanz aus.

    Aber alles nur meine Beißreflexe, was?
    Fuck this Shit.

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  27. @Bäumchen – Ich weiß nicht, warum du dich da angesprochen fühlst, aber ich habe mich an diesem Punkt ja ganz klar auf Intellektuelle bezogen, wie das Beispiel mit den Professoren-Kollegen von Elisabeth Schüssler Fiorenza erläutern sollte. Wie du von da auf die Idee kommst, ich würde behaupten, es gäbe keine legitime Klassismuskritik, ist mir schleierhaft. Ich gehe tatsächlich davon aus, dass es manchmal komplizierte oder schwer verständliche Texte gibt, weil diejenigen, die eine Idee äußern, (noch?) nicht in der Lage sind, das Gemeinte einfacher auszudrücken, und in diesen Fällen habe ich für Wohlwollen, Vertrauen etc. plädiert. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Menschen aus böser Absicht einen eigentlich einfachen Sachverhalt kompliziert ausdrücken, um bestimmte Leute auszuschließen bzw. einen elitären Habitus zu reproduzieren. Man muss dann im Einzelfall beurteilen, worum es jeweils geht.

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  28. @chomskyy – Was genau radikal ist, darüber kann man lange streiten, in bestimmten Milieus gibt es natürlich einen Wettstreit darüber, wer radikaler oder „wirklich“ radikal ist, aber darum ging es mir nicht. Sondern ich habe diejenigen kritisiert, die meinen, man müsse sich um Radikalität gar nicht erst bemühen, sondern es sei besser, an den Mainstream „anschlussfähig“ zu bleiben, und da war mir wichtig zwischen dem Bemühen um Radikalität in der Analyse und dem auf Anschlussfähigkeit bemühten Versuch der Vermittlung zu unterscheiden.

    Das Thema Definitionsmacht ist mir an dieser Stelle zu komplex, ich habe vor, demnächst darüber noch einmal gesondert zu bloggen, vielleicht können wir die Diskussion dann dort nochmal aufgreifen.

    Zum Thema Sprache: Ja, ich glaube auch, dass sich prinzipiell alles auch in „einfacher“ Sprache sagen lässt, aber nicht in jedem Stadium der Herausbildung einer neuen Idee. Deshalb habe ich ja auch auf die notwendige Übung in der Vermittlung abgehoben – wie schon in meinem vorherigen Kommentar an @bäumchen erläutert. Mit dem Bourdieu-Ansatz bin ich hingegen nicht einverstanden, als Alternative habe ich ja eine andere Weise vorgeschlagen, die nötige „Aufmerksamkeit“ herzustellen, nämlich das Begehren und die Beziehung.

    Die Alternative „Stände/Statusgruppen“ versus „Inhalt“ ist eine Alternative, die meines Erachtens in der männlichen Denktradition beheimatet ist. Ich kann mit ihr wenig anfangen und beobachte sie auch unter Frauen nur selten. Denn, wie ich versucht habe, zu zeigen, sehe ich ja gerade einen Zusammenhang zwischen „Beziehung/Begehren“ und der „Wichtigkeit eines Inhaltes“, weil Relevanz eben meiner Ansicht nach nicht objektiv gegeben ist, sondern eben vom Begehren derjenigen, die verstehen wollen (oder nicht) abhängt. Allerdings stimmt deine Beobachtung, dass dabb die Gefahr besteht, „Ethik, Moral und Wahrheit“ hinter den Beziehungen zu weit zurückzustellen, und dass das bei Frauen mehr als bei Männern vorkommt („um des lieben Friedens willen“), aber ich habe den Ehrgeiz, dass wir uns dafür noch eine bessere Lösung vorstellen können als die des „Hart bleibens ohne Rücksicht auf (Beziehungs-)Verluste.

    Was du zur sozialintegrativen Wirkung von Konflikten sagt, sehe ich auch so, bloß dass wir dann andere Weisen der Konfliktaustragung finden müssen als die des sich im Zweifelsfall die Köpfe Einschlagens 🙂 (wie es zum Beispiel in männlich dominierten FOren im Internet häufig geschieht). Ich wette, dass dann auch die Frauen „konfliktfreudiger“ würden!

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  29. ,,Die Wahrscheinlichkeit, sich auf eine neue Idee, einen neuen Gedanken wirklich einzulassen (was noch nicht bedeutet, ihm zuzustimmen, sondern erst einmal, ihn wirklich verstehen zu wollen), hängt nicht von den intellektuellen Fähigkeiten ab oder von der Leichtverständlichkeit des Textes, sondern davon, ob man vermutet, darin etwas zu finden, das für die eigene Existenz von Belang ist – oder eben nicht“

    Mit diesem satz gibst du Leuten, die manche Texte nicht verstehen, einfach selber die Schuld dran. Mit der Behauptung, sie müssen ja gleichgültig gegenüber ihrer eigenen Ermächtigung sein, wenn sie z.B. einen Text über Ermächtigung nicht verstehen.

    Du beziehst dich eben nicht konkret auf ,,Intellektuelle“; außerhalb deines Beispiels redest du v.a. sehr verallgemeinert von Vorwürfen,die sagen, dass „der Feminismus“ verständlicher sein muss. Du plädierst für Wohlwollen und vertrauen; aber ich bin es, die mit scharfen abwehrreaktionen umgehen muss, sobald ich sage, dass ein Text sehr schwer verständlich ist.

    Und die Vorstellung darüber, dass Menschen böswillig einen elitären habitus reproduzieren, ist zu simpel. Die meisten sehen es einfach nicht, dass sie es tun; sie aber dann darauf aufmerksam zu machen, heißt, sich blöde Kommentare einzufangen.

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  30. @Bäumchen Ich halte es mittlerweile folgendermaßen: Wenn jemand auf Fragen nach Erläuterungen und Erklärungen mit abwertenden Sprüchen reagiert, ist er entweder böswillig oder hat selbst nicht verstanden, was er oder sie da geschrieben hat. Allerdings finde ich nachfragen besser, als auf den elitären Habitus hinzuweisen.

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  31. @Bäumchen – das Wort „Schuld“ würde ich in dem Zusammenhang mit dem Verstehen von Texten nicht unbedingt verwenden. Ich habe davon gesprochen, dass die „Wahrscheinlichkeit steigt“, und auch nicht unbedingt vom Verstehen von Texten sondern vom Einlassen auf neue Gedanken. Und das habe ich tatsächlich schon oft beobachtet, dass gerade Intellektuelle, die „sich auskennen“ oft schwerer in der Lage sind, einen neuen Gedanken zu verstehen, als Nicht-Intellekte, obwohl sie es (was das Verstehen von Texten betrifft/daher mein Hinweis auf das notwendige Fremdwörterlexikon) schwerer haben. Ich glaubte wirklich, dass das so ist, auch wenn ich damit nicht sagen will, dass jede jeden Text verstehen kann. Du hast recht mit dem Hinweis, dass elitärer Habitus nicht unbedingt böswillig, sondern auch unbewusst und unreflektiert eingenommen wird. Allerdings bringst du deine Kritik (soweit ich das auf Twitter oder in Kommentaren mitbekomme) auch eher in einem aggressiven Tonfall vor, was meiner Erfahrung nach auch dazu beiträgt, die Wahrscheindlichkeit von „Abwehrreaktionen“ zu erhöhen 🙂 –

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  32. Alle bisherigen Kommentare ignorierend, weil ich erst jetzt den Text in Ruhe lese:

    Ist das so? Dass es das Schulterklopfen gibt? Mir ist es nicht begegnet, deswegen frage ich. Dass das angeblich Normale am meisten Behaglichkeit auslöst kenne ich, geht mir selbst aber (politisch) nicht so. (Ich würde das übrigens nicht als ‚Mitte‘ beschreiben, weil das dann das nicht-so-Normale am Rand verortet und alle kritische Beschäftigung mit Extremismustheorie schiebt dem einen Riegel vor, aber das ist ein anderes Thema und darum geht es hier gar nicht.)

    Und ich finde auch nicht, dass Radikalität und der Wunsch nach Vermittlung ein Gegensatz sind. Ich würde für mich in Anspruch nehmen, gern zu provozieren, angeblich allgemein Anerkanntes in Frage zu stellen und dazu zu animieren, beim Denken die Richtung zu ändern. Ich weiß nicht, ob das deine Definition der Radikalität (mit) trifft. Es gehört zumindest zu meiner Vorstellung von Radikalität dazu, und ist damit überhaupt kein Widerspruch dazu, eine für viele verständliche Sprache zu benutzen. Im Gegenteil: wenn ich mit meinen Versuchen, die Welt zu ändern, nur die erreiche, die schon meiner Meinung sind, ändert sich nichts. Gerade deswegen finde ich ziemlich radikal, vom Mainstream abweichende Gedanken so zu formulieren, dass sie für die verständlich sind, die sie noch nicht kannten (oder mochten).

    Etwas anderes ist, wie Ideen formuliert werden, die gerade entstehen und deswegen nur für die formuliert sind, die an ihnen beteiligt sind, oder über sie diskutieren. Ich freue mich über alle, denen Spaß macht, über komplizierte theoretische Dinge nachzudenken und dabei neues herauszufinden. Was mich stört ist, wenn entweder erwartet wird (oder zu werden scheint), dass alle anderen dieselbe Begeisterung dafür entwickeln oder das sogar Voraussetzung dafür ist (sein soll), etwa Teil einer politischen Bewegung oder Richtung sein zu können. Das begegnet mir regelmäßig in glücklicherweise relativ großen Abständen, aber ich halte es für völlig falsch. Also: komplizierte Texte gern bei denen, die neue Ideen entwickeln und für die, die sich damit auseinandersetzen. Aber nicht mehr dann, wenn es darum geht, mit diesen Ideen Gesellschaft verändern zu wollen. Dann müssen sie einfacher dargestellt werden. Ja, natürlich verlieren sie damit an Komplexität. Aber wenn ich andere erreichen will, muss ich sowieso Kompromisse machen – allein, weil die in jedem Fall nicht 100% meiner Meinung sein werden. Dann mache ich lieber den Kompromiss, meine Idee an von mir gewählten Punkten zu verwässern, wenn ich dadurch erreichen kann, dass andere mir ein Stück weit entgegenkommen und also eine Position verlassen, für die sie bis dahin keinerlei Veränderungsbedarf empfanden. Politik ist ja etwas anderes als die reine Lehre.

    Die Schwierigkeit ist dabei, die Grenze richtig zu ziehen: ab wann wird der Versuch zu vermitteln reaktionär, ab wann reduziere ich die zugrunde liegende Idee so sehr, dass sie Beifall von der falschen Seite nach sich zieht. Den ich an sich auch nicht unbedingt problematisch finde, aber die Wirkung in der Folge dessen auf jeden Fall. Was ich sagen will: wenn jemand, der mir nicht passt, einem meiner Vorschläge zustimmt, ist der deswegen noch nicht falsch. Aber ich muss natürlich aufpassen, dass er nicht vereinnahmt wird (der Vorschlag). Also doch, das Schulterklopfen gibt es schon, aber nicht innerhalb der für mich relevanten Beziehungen, sondern nur von Leuten, mit denen mich wenig verbindet. Sehr beliebt: Beifall von dem Feminismus ™ eher abgeneigten Männern zu Witzen über Feministinnen.

    Ich glaube übrigens nicht, dass ich mit meinen Ideen andere Menschen nur erreichen kann, wenn die schon ein Anliegen haben, an das die Idee anknüpft. Ich denke eher, dass ich versuchen muss, meine Ideen so zu formulieren, dass sie an die Erfahrungen der anderen anknüpfen, auch wenn oder gerade weil denen diese Verbindung bisher nicht bewusst war. Auf pädagogisch heißt das: die anderen da abholen, wo sie sind. Allerdings ist natürlich meine Entscheidung, auf wen ich zuerst zugehe und wo ich bereit bin zu verwässern und wo nicht.

    Ich merke, dass ich im Grunde wenig Widerspruch habe zu dem, was du geschrieben hast. Ich beschreibe es anders, aber mein Eindruck ist, dass dem sehr ähnliche Wahrnehmungen zugrunde liegen. Jetzt käme noch der Teil zu den Beziehungen, aber nachdem dieser Kommentar schon so lang ist, dass wahrscheinlich eh niemand bis hierhin liest, schreibe ich dazu nichts mehr außer dass ich das auch so sehe. Ohne diese Beziehungen hört mir niemand zu, fehlt mir der Raum, Ideen auszuprobieren. Und übrigens die Stärke, als relevant wahrgenommen zu werden. Die Beziehungen helfen mir durchaus auch bei der Entscheidung,

    Aber sie haben auch das Potential, uns selbst das Genick zu brechen. Ich würde gern verstehen, warum Feministinnen genau wie andere soziale Bewegungen oder politische Richtungen diese ausgeprägte Neigung haben, mit dem Erfolg anzufangen, sich gegenseitig zu bekämpfen, statt in Akzeptanz der Unterschiede untereinander lieber andere aufs Korn zu nehmen. Meine These ist, dass es immer einfacher ist, die anzugreifen, die mir näher stehen. Einfach weil ich sie und ihre Verwundbarkeiten besser kenne. Warum das ausgerechnet in Bewegungen stattfindet, die sich Solidarität groß auf die Fahnen schreiben, ist mir ein Rätsel.

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  33. @Antje

    Zu den männlich dominierten Foren und dem Köpfe einschlagen. Kann ich nun schwer beurteilen, ich habe bisher in ca. drei Foren geschrieben (eher Politikforen) und bei zwei waren die Männer eindeutig in der Mehrzahl und beim dritten, das Politik neben anderen Themen des Alltags thematisierte, waren doch eher die Frauen in der Überzahl. Also ich konnte keinen grossen Unterschied erkennen bei den Konflikten; da schenken sich m.E. die Geschlechter, zumindest in gewissen Foren, nicht wahnsinnig viel; ok, ist meine subjektive Einschätzung und repräsentative empirische Studien würden ev. zu einer anderen Einschätzung kommen.

    Nun, mit dem ständischen Prinzip meinte ich natürlich nicht nur die Ehre (symbolisches Kapital), sondern auch das, was eben unter Netzwerke, Freundschaften, Beziehungen geht (also das soziale Kapital), also das sich „kennen“ und „anerkennen“, was dann z.B. auf politischer Ebene auch in der politische Sphäre zu vielen Vorteilen führen kann und diese Ebene präferierst Du ja offenbar, wie ich das verstanden habe. Nun, ob sich hier Frauen und Männer im Durchschnitt effektiv unterscheiden (wir es hier also mit einem grundlegenden unterschiedlichen Sozialisationstypus zwischen Frauen und Männer haben), da wäre ich nun nicht sooo sicher, aber das wäre dann wiederum eine Frage einer repräsentativen empirischen Untersuchung. 🙂

    Du schreibst:

    „Denn, wie ich versucht habe, zu zeigen, sehe ich ja gerade einen Zusammenhang zwischen “Beziehung/Begehren” und der “Wichtigkeit eines Inhaltes”, weil Relevanz eben meiner Ansicht nach nicht objektiv gegeben ist, sondern eben vom Begehren derjenigen, die verstehen wollen (oder nicht) abhängt.“

    Kommentar:

    Ich kann mir da wenig Konretes vorstellen; vielleicht magst Du das ja mal an einem ganz konkreten Beispiel exemplifizieren?

    Noch einmal zur Radikalität/zum Radikalsein:

    Ich selbst würde zwischen Wissenschaft und Politik unterscheiden: Für mich sind wissenschaftliche Erkenntnisse nicht eigentlich radikal oder nicht radikal, sondern einfach eher plausibel/unplausibel, wahr/falsch etc. und dies aufgrund von empirischer Forschung und Logik. Bei der Politik würde ich dann eher von radikal sprechen, wenn es eben um grundlegende Umwälzungen bestehender gesellschaftlicher Verhältnissen geht. Nur sehe ich hier eben auf der politischen Ebene, wenn wir beim Beispiel Critical Whiteness bleiben wollen, keine grosse Unterscheidung zwischen den AutorInnen, die in Analyse & Kritik gewisse Prämissen von gewissen Critical Whiteness-Strömungen kritisiert haben und den kritisierten Strömungen selbst: weil das politische Ziel ist m.E. identisch: die Überwindung von rassistischen Praktiken und Strukturen; man könnte höchstens sagen, die Mittel zur Erreichung des Zieles sind ev. anders, weil man von unterschiedlichen Prämissen im Bezug auf die involvierten Personen ausgeht. M.E. bringt das Critical Whiteness-Konzept nicht so wahnsinnig viel Neues in Spiel zur früheren Rassismusforschung: Es werden nun noch vermehrt diskursive Praktiken, Normalismen (Weissein als Norm), Kategorienbildungen, Unsichtbarmachungen, Objektivierung des objektivierenden Subjekts etc. berücksichtigt, nur werden hier eben m.E. zusätzlich problematische Konzepte wie die Standpunkttheorie, das Konzept der Definitionsmacht etc. ins Spiel gebracht, die wissenschaftstheoretisch quasi alle auf dem Mist einer postmodernen Epistemologie und Ontologie gewachsen sind. Aber da Du ja selbst auf die Formel: Subjektivismus = Wahrheit stehst, wird das für Dich doch eher kein Problem sein! 😀 Ich halte übrigens auch den Artikel von Analyse & Kritik nicht nur für überzeugend: Weil hier quasi das ökonomische Kapital (Materialismus) wieder Primat für rassistische Praktiken sein soll und eben andere Machtformen wie das ständische Prinzip (soziales und symbolisches Kapital), aber eben auch Normalismen und diskursive Praktiken (prominent u.a. durch Michel Foucault thematisiert) nur eine unwesentliche Rolle spielen; auf der anderen Seite werden m.E. eben auch gewisse Dinge zurecht kritisiert.

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  34. „Wer an patriarchalen oder rassistischen Mustern leidet (und das müssen nicht nur die Benachteiligten sein, denn auch Männer können am Patriarchat leiden und Weiße am Rassismus), wird Theorien, die darauf eine Antwort bieten, auch dann verstehen wollen, wenn die Sprache kompliziert ist, wenn die Behauptungen erstmal steil scheinen und „gegen den gesunden Menschenverstand“.

    Das Problem ist doch eher, dass die, die an irgendwas leiden, sich an jeden Strohhalm klammern werden. Über die Güte des Strohhalms ist damit doch überhaupt nichts ausgesagt … und wenn man was darüber sagen will, dann gilt allgemein meistens doch nur, dass der Strohhalm umso erfolgreicher ist, je weniger Eigenverantwortung er dem „Leidenden“ abverlangt.

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  35. @Anne – Ja, dieses Schulterklopfen beobachte ich schon länger, speziell in Zusammenhang mit dem Thema „Definitionsmacht“ (was ich hier jetzt ausklammere, da ich dazu später nochmal was schreibe), aber natürlich auch generell gegenüber Feminismus, der ja dauernd angemahnt wird, etwas rücksichtsvoller zu sein und vor allem die sensiblen und leicht zu verschreckenden Männer „mitzunehmen“ (Achtung, Ironie). Ich sehe da Ähnlichkeiten zur aktuellen Debatte um Critical Whiteness und es ärgert mich schon länger, jetzt kam es halt raus. Ja, „Mitte“ gehört in Anführungszeichen. Die wirkliche „Mitte“ ist ja gerade das, was an die Wurzel geht 
    Nein, Radikalität und der Wunsch nach Vermittlung sind kein Gegensatz, genau das wollte ich ja sagen. Aber je weiter die eigenen Ideen außerhalb des Mainstream liegen, desto schwieriger ist natürlich ihre Vermittlung. Wenn ich das sage, was alle sagen, muss ich ja nicht groß was vermitteln. Also: Nichts gegen Verständlichkeit, aber sie ist schwer zu erreichen, und mein Vorschlag dazu war eben, weniger auf die Ausgefeiltheit der eigenen Argumente zu achten als vielmehr auf das Begehren derjenigen, mit denen ich gerade rede, und auf die in Beziehungen kursierende „Liebe“ zu setzen. („Begeisterung“ wecken und nicht moralisch einfordern ist dafür ein wichtiger Punkt, da hast du sehr recht. Luisa Muraro sagte mal, der Feminismus verbreite sich nicht durch Lehren, sondern durch Ansteckung !)

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  36. @Chomsky – In Punkto „Köpfe einschlagen“ beziehe ich mich auf die aktuelle Debatte um die unsägliche Diskussionskultur in den meisten männerdominierten Internetregionen – aber dass Männer ihre Konflikte via „Köpfe einschlagen“ lösen sieht man ja auch außerhalb des Internets (maßgebliche Teile der männlichen politischen Ideengeschichte halten bekanntlich Krieg für eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, und das wird auch so praktiziert, heute wieder mehr denn je. In Wirklichkeit ist Krieg natürlich das Ende der Politik). Das heißt nicht, dass Frauen Konflikte besser austragen, oder doch: Frauen schlagen sich gegen seitig nicht die Köpfe ein, nur in sehr krassen Ausnahmefällen. Oder nach vollzogener „Gleichstellung“.
    Zum sozialen und symbolischen Kapital: Da gebe ich dir völlig recht, meine Behauptung ist nun, dass symbolisches und soziales Kapital nicht nur Herrschaft fixieren sondern auch Herrschaft untergraben kann. Also: Eine Möglichkeit, die den „Ohnmächtigen“ immer bleibt, ist die, den Mächtigen symbolischen und sozialen Kredit zu verweigern. „Das Patriarchat ist in dem Moment zuende, wo Frauen nicht mehr daran glauben“. Die Mächtigen brauchen nämlich die Anerkennung der Vielen, ansonsten müssen sie auf pure Gewalt zurückgreifen und das würde ihr symbolisches Kapital beschädigen. Deshalb ist für mich in Punkto Revolution die „Arbeit an der symbolischen Ordnung“ so zentral – aber genau darum wird es dann in dem versprochenen Blogpost über Definitionsmacht gehen 
    Zum Thema Relevanz und Begehren – Ein banales Beispiel ist die Erfahrung freier Journalistinnen, dass sich die Frage, ob sie ein Thema an eine Redaktion „verkaufen“ können nicht von irgendwelchen objektiven Faktoren abhängt sondern davon, ob der betreffende Redakteur damit was anfangen kann oder nicht. Oder aktuell gehe ich ja mit dem Thema „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ durch die Gegend, und relevant halten diese Unterscheidung vor allem diejenigen, die an den Machlogiken innerhalb von Institutionen leiden, während diejenigen, die versuchen, diese Machtlogiken für ihre Interessen zu nutzen, nicht verstehen (wollen), wozu es gut sein soll, zwischen Macht und Politik zu unterscheiden.
    Was du zur Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Politik schreibst, teile ich im Prinzip, in der Praxis kommt halt beides doch meistens nur vermengt vor.

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  37. @Andreas – ja, da magst du recht haben, aber wenn der „Strohhalm“ im Alltag dann nicht funktioniert, lässt man ihn auch wieder los. Wer eben tatsächlich an einer Situation leidet, wird sich nicht langfristig an Scheinlösungen festklammern, weil die dem Problem ja eben nicht abhelfen. Wer existenziell betroffen ist, ist gezwungen, die sämtliche Strohhalme auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Scheinlösungen sind nur was für Leute, die nicht wirklich existenziell auf die Lösung eines Problems angewiesen sind.

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  38. „Allerdings bringst du deine Kritik (soweit ich das auf Twitter oder in Kommentaren mitbekomme) auch eher in einem aggressiven Tonfall vor, was meiner Erfahrung nach auch dazu beiträgt, die Wahrscheindlichkeit von “Abwehrreaktionen” zu erhöhen 🙂 -“

    Wow, Tone Argument. Weil Betroffene von einem Ausschluss Kritik immer höflich formulieren sollen, ansonsten sind sie selbst Schuld an den Abwehrreaktionen der anderen. Ein Klassiker.

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  39. @Antje Schrupp:

    Ich finde es ziemlich abstoßend, dass Du allen Ernstes von diskriminierten Menschen erwartest, dass sie ihre Kritik lieb und freundlich bringen, weil sie damit angeblich weniger aggressive Reaktionen bekommen.

    Es ist eine ganz schöne Respektlosigkeit an sich, die gesamte feministische Debatte zum tone argument einfach mal zu übergehen.

    Warum Deine letzten beiden Kommentare an Bäumchen (abgesehen von all dem Rest, den sie völlig zu Recht an Deinem Artikel schon kritisiert hat) wirklich überhaupt nicht in Ordnung sind, kannst Du vielleicht auf deutsch am Besten bei accalmie/ stop!talking nachlesen (Cookies and Good Intentions) Mehr zum tone argument habe ich dort in den Kommentaren verlinkt.

    Kurz gesagt, nein, „netter formulieren“ ist nicht nur eine schlimme und demütigende Forderung an diskriminierte Menschen, sondern bringt komplett garnichts. Erwiesenermaßen. Theoretisch wie praktisch. Dass Du Dich darauf herausredest, bei Dir sei ja garkein „Du sollst“ drin gewesen, ist echt übel. Nein, Du sagst ja bloß, (…) verursacht aggressive diskriminierende Reaktionen! Mit dem dann auftauchenden Schuldgefühl bei Bäumchen (und allen anderen, die wütend sind), hast Du natürlich rein garnichts zu tun – daran sind wir dann sozusagen auch selbst Schuld, um diesen schönen und treffenden Begriff hier mal weiter zu verwenden.

    „Radikal“ sein ist meiner Meinung nach eh eine sowas von komplett überflüssige und bedeutungslose Seifenblase, dass alles zu spät ist. (RW) Ich halt mich bei dem ganzen Thema an Assata Shakur (via NOISEAUX)

    Nobody in the world, nobody in history, has ever gotten their freedom by appealing to the moral sense of the people who were oppressing them

    Dass da die Leutz immer bisschen schlecht gelaunt reagieren auf so Umsturzwünsche, liegt wirklich, wirklich, wirklich nicht am Tonfall, und ich KANN es nicht mehr hören.

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  40. Verzeihung für den klassistischen Begriff in meinem Kommentar! („Rumg*p*b*le).
    @Antje Schrupp Ich wäre wirklich dankbar, wenn Du das löschen oder unkenntlicher machen würdest, damit Leute keine verletzende Sprache lesen müssen.

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  41. @kiturak – Ja, da kann ich nur feststellen, dass du nicht verstanden hast, was ich sagen wollte, bzw. (was dasselbe ist), dass ich meinen Text nicht so formuliert habe, dass es bei dir ankam. Das ist ein ja ein gutes Beispiel dafür, dass das Nicht-Verstehen gerade NICHT daran liegt, dass ich mich zu kompliziert ausgedrückt oder Fremdwörter benutzt hätte, sondern dass es ganz offensichtlich andere Gründe hat (und welche das sein könnten, war Thema meines Blogposts).
    Jetzt kannst du dich natürlich auf den Standpunkt stellen, ich hätte genau das gemeint, was du aus dem Text herausliest und würde jetzt nur behaupten, etwas anderes gemeint zu haben. Dagegen kann ich dann nichts machen. Ich weiß aber, dass ich (nur zum Beispiel) von diskriminierten Menschen nicht verlange, sie sollen nett und freundlich sein. Und ich weiß, dass ich an sie keine moralischen Forderungen stelle und keine Schuldfrage daraus mache. Aber ich kann dich nicht zwingen, das zu glauben. Ich kann dich höchstens darum bitten, und da sind wir dann genau auf der Beziehungsebene, von der ich geschrieben habe. (Ich kenne auch das tone-Argument, aber ich glaube, es wäre falsch angewendet, wenn man daraus schließen würde, dass der Tonfall, in dem Kritik geäußert wird, immer und überall und in jeder Situation vollkommen unerheblich wäre.)

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  42. @Antje Kein victim blaming? Wie sowas hier?
    „Allerdings wählst du deine Kleidung (soweit ich das auf deinen Facebook-Fotos mitbekomme) auch eher nach einem Schönheitsideal aus, was meiner Erfahrung nach auch dazu beiträgt, die Wahrscheinlichkeit von „street harassment“ zu erhöhen.“
    (Das ist ein Satz von Antje hier an Bäumchen, den ich verändert habe, um einen Vergleich zu machen.)

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  43. @kiturak Ich bin jetzt den Links gefolgt, die du in dem verlinkten Kommentar gepostet hast – und bei einigen von ihnen bin ich bei Livejournal gelandet, dort, wo ich herkomme.

    Ich bin ja extra von dort geflohen, weil ich die Art, wie dort Debatten geführt werden, nicht mehr ausgehalten habe, und wenn ich mich hier jetzt zu Wort melde, ist es, weil ich die Art der Debatten wiedererkenne. (In meinem Blog arbeite ich mich noch an diesen Fandom-Debatten ab.) Und wenn dann ein Link zurück auf Livejournal führt, dann ist es für mich eine Bestätigung: Ah, ich habe richtig erkannt, das kommt von dort.

    Ich bin immer noch neugierig auf Critical Whiteness oberhalb des Livejournal-Niveaus.

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  44. Es scheint nicht so einfach, eine Feststellung darüber, welches Verhalten welche Reaktion unter gegebenen Umständen begünstigt, nicht in eine Schuldfrage münden zu lassen. Für mich ist es jedoch ein großer Unterschied ob gesagt / geraten wird: „Es ist mit y zu rechnen, wenn du x tust“ oder behauptet „DU bist schuld, dass mit y zu rechnen ist, wenn du x tust“. Die erste Variante hat für mich nicht das geringste mit victim blaming zu tun, die zweite schon.

    Beispiel: Wenn ich mich in ein Forum begebe, wo sich Leute verbal die Köpfe einschlagen, und jemand sagt mir im Vorfeld, dass ich damit rechnen sollte, dort blöd angemacht zu werden für meine Meinungen, dann empfinde ich das nicht als Verteidigen der Leute dort oder als Beschuldigung meinerseits. Sondern einfach nur als einen Tipp, wo ich mich da hineinbegebe und was ich erwarten kann.

    Wer aber aus jeder solche Kommunikation gleich victim blaming macht, der müsste theoretisch auch Warnungen vor der Wiesn als Verteidigung von Übergriffigkeit auffassen.

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  45. @endolex Mir fällt auf, dass du schreckliche Orte nennst, um dein Argument zu untermauern (Stress-Forum, Wiesn). Hier gehts aber um  Blogs, die behaupten, gegen Unterdrückung zu sein. Da erwarte ich doch Solidarität mit Unterdrückten, nicht Unterdrückung. 

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  46. „Wer aber aus jeder solche Kommunikation gleich victim blaming macht, der müsste theoretisch auch Warnungen vor der Wiesn als Verteidigung von Übergriffigkeit auffassen.“

    Das wird auch tatsächlich gemacht. Auf vielen feministischen Blogs würdest du für diesen Kommentar bereits eine rote Karte sehen.

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  47. @Samia+Stefan: Genau darum geht es ja. Ich fasse das nicht als (Un)solidaritätsbekundung auf, ganz egal an welchem Ort. Vielleicht besseres Beispiel dann: Wenn ich als mich profeministisch einschätzender Mann mich auf feministischen Blogs von Frauen tummele und jemand sagt mir, ich sollte damit rechnen, die rote Karte für gewisse Äußerungen zu sehen, dann nehme ich das als Tipp und nicht als eine Beschuldigung über unsolidarisches Verhalten wahr. Ganz egal ob ich nun wahlweise die rote Karte dafür sehe, ‚zu gemäßigt‘ oder ‚zu radikal‘ aufzutreten – es ist für mich einfach nur eine Information, wohin ich mich begebe und womit ich rechnen sollte, und ja – auch wie ich es vielleicht am geschicktesten anstellen kann, dass, was ich sagen möchte, zu vermitteln.

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  48. @endolex Stefans Strohmann kannst du gern ignorieren. Ich meinte das anders: Unsolidarisch sind die Leute, die mit Abwehr auf wütende Unterdrückte reagieren. Es ist eben nicht so, dass man das an Orten erwarten muss, wo die Leute angeblich Verbündete sind. 

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  49. Ohne in all den Debatten und Diskursen „firm“ zu sein, auf die hier Bezug genommen wird und deren Verstehen oder Nicht-Verstehen vorausgesetzt werden oder abgelehnt werden kann, möchte ich meine Überlegungen zum Thema einmal (vorläufig und unausgegoren) äußern: Als Lehrende weiß ich, dass Lernen nicht gelingen kann, wenn man die Beziehungsebene ausklammert und auf einer reinen Sachebene beharren will. Es ist daher wichtig und notwendig, auf diejenigen, die ich überzeugen will, einzugehen. Schuldzuweisungen und aggressive Vorhalte sind da selten hilfreich. Aber es kommt eben auch bei dieser Forderung (sich verständlich und „Adressaten zugewandt“ zu verhalten und auszudrücken) genau darauf an, an wen sie sich richtet. Sie ist immer dann angebracht, wenn es um diejenige/denjenigen geht, der in einem bestimmten Diskurs und (hegemonialen) Umfeld „privilegiert“ ist, also objektiv von den Voraussetzungen profitiert (die Lehrerin gegenüber dem Schüler, die Professorin gegenüber der Studentin, der Weiße gegenüber dem Schwarzen, die heterosexuelle, verheiratete Frau gegenüber dem homosexuellen Kollegen…). Dasselbe von denjenigen zu verlangen, die ohnehin dem Rechtfertigungs- und Erklärungszwang ausgesetzt sind, weil sie von der „Norm“ abweichen oder nicht die Macht haben, die Norm zu setzen, die also Diskriminierung erfahren, ist komplett idiotisch. Schwarze müssen sich Weißen gegenüber gerade nicht „pädagogisch“ verhalten, damit die kapieren, was Rassismus ist. (Also auch einen „gemäßigten“ Ton anschlagen usw.). Frauen müssen denjenigen gegenüber, die nolens volens und meist unbewusst die „patriarchale Dividende“ einstreichen, nicht „verständnisvoll“ auftreten. Das ist Quatsch. Die Forderung zur (Selbst-)Aufklärung richtet sich an die, die von Privilegien profitieren. Unter denen ist es wichtig, sich so auszudrücken, dass Lernprozesse möglich werden. Und sie richtet sich auch an diejenigen, die privilegiert sind, wenn sie mit denen umgehen, die diese Privilegien nicht genießen: dass sie sich bemühen, die Einsicht in die Beschränktheit des eigenen Blicks mit zu reflektieren, quasi Raum frei zu machen, den sie bis dato besetzt gehalten haben. Das gelingt nicht immer. Das ist schwierig. Dabei passieren Irrtümer. Na klar. Aber der Artikel von Kathrin Rönicke, an dem sich so viel Kritik entzündet hat, ist genau deshalb auch für mich so empörend gewesen: Weil er „pädagogisches Verhalten“ von denen einfordert, die diskriminiert werden, statt von denen, die von Diskriminierung (auch ungewollt) profitieren. Es geht also drum zu schauen, welche Position ich jeweils habe: als akademische ausgebildet) Frau zum Beispiel sollte ich mich in Gesprächen mit Nicht-Akademikerinnenn darum bemühen, meine Anliegen so zu formulieren, dass sie auch denen verständlich werden und diese vor allem nicht ausgrenzen (weil ich den Spielraum habe). Als Frau in einer Männerrunde, in der sexistische Witze „normal“ sind, brauche ich gar keine Rücksicht nehmen: Denen kotze ich meine Wut vor die Füße, denn sie schränken mit ihrem Verhalten meinen Spielraum ein. „Belehren“ sollen die sich gegenseitig! Ich will erreichen, dass sie sich in meiner Gegenwart zurücknehmen – und dafür fahre ich die Ellenbogen aus, weil ich mich nicht für deren „Lernprozess“ verantwortlich fühle, sondern für mein Befinden!

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  50. @AntjeSchrupp:

    „…Wer eben tatsächlich an einer Situation leidet, wird sich nicht langfristig an Scheinlösungen festklammern, weil die dem Problem ja eben nicht abhelfen….Scheinlösungen sind nur was für Leute, die nicht wirklich existenziell auf die Lösung eines Problems angewiesen sind.“

    Not macht klug – schön wärs. Das Gegenteil ist leider oft der Fall.

    Ausserdem ist Radikalität keine Qualität, die Notleidende gepachtet haben. Auch als rassistischer Patriarch – um mal in Deinen Kategorien zu bleiben – kann ich radikale Lösungen für meine existentiellen Probleme suchen und finden.

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  51. @Samia Wenn Abwehr beinhaltet, das Problem an sich zu leugnen, nur weil mir der Ton nicht gefällt oder ich mich persönlich zu Unrecht angegriffen fühle, dann stimme ich dir völlig zu. Wenn ich aber gefragt werde, wie ich mein Anliegen vielleicht auf eine Weise vorbringen kann, dass meine Chance darauf, gehört und ernstgenommen zu werden, steigt – dann ist das für mich als Anliegen erst einmal weder Abwehr noch unsolidarisch, sondern im Gegenteil. Aber wie es nach außen hin wirken kann, auch das ist dann für mich wieder eine Frage der Wortwahl, auf jeden Fall.
    Es ist nicht leicht, wie Antje eben schreibt. Es ist auch gar nicht leicht, jemandem konstruktive Vorschläge zu machen wie man weniger unsolidarisch wirkt ohne dabei zu riskieren, wiederum selbst unsolidarisch zu wirken.
    Ich hab mich selbst mit meinem eifrigen Bemühen, das ganze für mich ‚vermittelbarer‘ zu machen auch schon mal gehörig in die Nesseln gesetzt. Wohlgemerkt aber nicht wegen meines Anliegens selbst sondern aufgrund der Art und Weise, wie ich es geäußert habe. Ich kann immer nur maximal für mich selbst in Anspruch nehmen, gerne zu erklärbären. Fordern kann ich es von niemandem.

    Ansonsten stimme ich Melusine / Jutta sehr zu. Natürlich hängt es ganz davon ab, was jeweils im Vordergrund steht. Ich habe nur Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, wie sich Spielraum langfristig erkämpft wird, ohne die Problematik bewusst zu machen, also einen Lernprozess nachhaltig anzustoßen.
    Ein gemäßigter Ton ist m.E. dafür aber gar nicht so hilfreich, sondern eher hinderlich. Das sehe ich ein bißchen wie Kiturak es zitiert hat. Und gute, stichhaltige Argumente wirken auf uns anscheinend noch viel überzeugender wenn sie nicht freundlich oder höflich sondern auf nüchterne bis überspitzte und / oder auf humorvolle bis sarkastische Weise vorgetragen werden. Deshalb fände ich ein ‚pädagogisches Angebot‘ als pauschale aktivistische Herangehensweise auch total verfehlt, außer eben in einem klar „internen“ Umfeld, wo klar davon ausgegangen werden kann, dass die Leute, die da sind, sich aktiv dafür interessieren und nicht erst überzeugt werden müssen, dass es überhaupt ein Problem gibt.

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  52. Ich finde, Post und Diskussion sind ein prima Beispiel dafür, wie die Streitigkeiten der jüngeren Zeit funktioniert haben.

    Antje Schrupp rügt implizit im Text, ausdrücklich in den Kommentaren Katrin Rönickes mangelnde Offenheit für CW und das Buch von Noah Sow sowie in allgemeiner Form die Erwartung an Feministinnen, freundlich zu Männern zu sein.

    Zugleich macht sie genau das, was sie kritisiert, mit einem anderen -ismus: Sie schreibt einen Text, der durchaus so verstanden werden kann, dass es nicht das Problem akademisch gebildeter Schreibender ist, sich auf nicht akademisch gebildete Lesende einzulassen, sondern dass die Lesenden sich ggfs. halt bemühen müssen, die Texte zu verstehen. Dabei wird auf Fremdwörterbücher als Hilfsmittel verwiesen – als ob die Fremdwörter das Problem wären, wenn Texte im Soziologenjargon unausgesprochen auf hoch komplexe, für die nur alltagstheoretisch Beschlagene erst einmal kontraintuitive Sozialtheorien verweisen.

    Bäumchen, eine von Klassismus Betroffene, ärgert sich und kennzeichnet den Text als klassistisch. Jetzt macht Antje Schrupp Einiges, was analog der CW-Debatte als krasses Derailing bzw. Fehlverhalten anzusehen ist (und wovon ich schwer annehme, dass sie es in Bezug auf Feminismus nie geduldet hätte): Sie 1. weist die Kennzeichnung (und damit die Definitionsmacht der Betroffenen) zurück, 2. verweist dazu u.a. auf ihre guten Intentionen und 3. zieht auch noch das Ton-Argument.

    Die Empörung lässt demgemäß nicht lange auf sich warten. Ich hoffe sehr, dass diese Erfahrungen in den Text zur Definitionsmacht eingearbeitet werden. Im Übrigen würde mich die angeblich sehr leichte Unterscheidung zwischen Kritik in der Sache und Polemik auch einmal interessieren.

    PS: Die Besonderheit am Buch von Noah Sow, die leider in der Blogosphäre derzeit vor lauter Empörung über Katrin Rönicke fortwährend ignoriert wird, liegt meiner Ansicht nach in Folgendem: Die Ablehnung des Ton-Arguments (wie es Katrin Rönicke benutzt) als Abwehrverhalten ergibt uneingeschränkt Sinn in einer privaten oder semiöffentlichen Kommunikation. Ein Buch, das einseitige Massenkommunikation gegenüber Unbekannten darstellt, kann nicht ohne weiteres genau so bewertet werden. Hier kommt es meines Erachtens für die Frage, ob das Ton-Argument valide ist oder nicht, auf die Stoßrichtung des Textes an. Die Autobiographie einer von *ismus Betroffenen oder eine reine Polemik einer solchen Person, die andere Betroffene adressiert, kann schwerlich mit Rücksicht auf ihren Tonfall kritisiert werden. Das Buch von Noah Sow macht aber genau das, was auch hier in der Diskussion schon als sinnlos bezeichnet wurde: Es wendet sich an ein deutsches weißes Publikum mit liberalem Selbstbild, aber ohne Peilung des Alltagsrassismus hierzulande und sucht dieses Publikum fortzubilden – es handelt sich also gerade um einen Appell an die moralische Einsichtsfähigkeit des Zielpublikums. Bei einem Buch, das so ansetzt, sehe ich nicht, was daran verwerflich ist, den Tonfall zu kritisieren. Vielmehr kann ein solches Buch durchaus von einer Angehörigen des Zielpublikums mit dem Hinweis kritisiert werden, das Zielpublikum werde brüskiert und dadurch verringere sich die Chance, dass dieses Zielpublikum die angebotene Lektion annehme. Trotz manch falschen Zungenschlags hat darum die Kritik von Katrin Rönicke aus meiner Sicht einen Kern, über den zumindest nachzudenken sich lohnt.

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  53. @MelusineB hört sich so erst einmal vernünftig an, ist aber, glaube ich, zu einfach, und birgt auch das Problem, dass in jeder dieser Beziehungen ein oben und ein unten festgestellt werden muss. Das ist nicht immer einfach. Nimm etwa die heterosexuelle Frau und den homosexuellen Mann. Auf der einen Achse ist die eine, auf der anderen Achse der andere privilegiert. Man kann nun darüber nachdenken, wer nun insgesamt privilegierter ist (auf Livejournal und Dreamwidth, zwei Blogging-Dienste, die vor allem im Fandom sehr beliebt sind, habe ich das erlebt), oder man könnte sich überlegen, dass der Schwule nicht verpflichtet ist, der heterosexuellen Frau etwas über seine Homosexualität zu erzählen, und sie ist nicht verpflichtet, ihm etwas über Sexismus beizubringen. Aber vielleicht verstehen sie sich ja und tun es trotzdem.

    Noah Sow und ihre LeserInnen… Natürlich ist sie nicht verpflichtet, ihnen Rassismus zu erklären. Aber sie schreibt ja ein Buch darüber, ohne verpflichtet zu sein. Man würde dann ja denken, dass sie einigermaßen freundlich sein muss, damit Menschen das Buch kaufen, aber es wird ja gekauft, obgleich sie Menschen vor den Kopf stößt. (Ich gehe mal davon aus, dass es vielen so geht wie der Kadda. Ich selbst habe das Buch nicht gelesen.) Ob sie privilegierter ist als ihre Leserschaft, weiß ich nicht, möglicherweise ist das auf manchen Achsen der Fall.

    Ich glaube, pädagogisch kann und sollte man sich dann verhalten, wenn man beim anderen auf echtes Interesse, Neugier und Lernbereitschaft feststellt, schon um diese Lernbereitschaft zu erhalten. („mach es für mich“ ist keine Lernbereitschaft). Dazu gehört dann auch das Bemühen um verständliche Sprache. Und das ist m.E. unabhängig von der Positionierung auf dieser oder jener Achse.

    Wenn beim anderen keine Lernbereitschaft feststellt, muss man sehen, was man tut: man kann gehen und die Beziehung abbrechen, man kann anfangen zu taktieren und zu schmeicheln, um zumindest ein bisschen Verständnis und kleine Zugeständnisse zu erreichen, oder man kann rumpoltern, wie du es vorschlägst: Die Ellenbogen ausfahren, ihnen die Wut vor die Füße kotzen. Nur ist das riskant: Wenn du Pech hast, schlagen sie zurück.

    Ich habe den Verdacht, dass dieses „Wut vor die Füße kotzen“ (und anschließend den Leuten vorwerfen, sie würden das Tonargument hervorholen) vor allem dann geschieht, wenn man nicht befürchten muss, dass jemand zurückschlägt: entweder, weil man sowieso stärker oder in der Überzahl ist, oder weil man eben davon ausgeht, dass die anderen freundlich und nett sind und ohnehin schon eingesehen haben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Im Prinzip appelliert man dann an deren schlechtes Gewissen, tut also genau das, was kiturak oben beschreibt:

    Nobody in the world, nobody in history, has ever gotten their freedom by appealing to the moral sense of the people who were oppressing them

    Und eine weitere Möglichkeit ist die, dass man zwar keine Möglichkeit hat, den eigentlichen Streitgegner zu überzeugen, aber vielleicht kann man die ZuschauerInnen auf die eigene Seite ziehen. (Womit man wieder beim ersten Punkt wäre: man selbst ist in der Überzahl.)

    Wenn ich in einer Situation bin, wo ich mich verletzt fühle, und nicht in der Überzahl bin und nicht auf das schlechte Gewissen der anderen vertrauen kann, gerate ich in meinen Kampfmodus, und der heißt eben nicht „Wut vor die Füße kotzen“, denn dann habe ich schon verloren. Dann bin ich hellwach und kontrolliert, ich überlege sehr genau, was ich sage und was ich tue, ich nehme die anderen wahr und schaue, wie viel ich mir leisten kann, wo ich nachgebe, und wann ich den Raum verlassen oder die Beziehung zerbrechen muss. Und weil ich diesen Modus kenne, wundere ich mich über Menschen, für die Kämpfen wütend werden heißt.

    So wie ich Antje verstanden habe, geht es ihr um Texte, die nicht einfach sein können, entweder weil das Thema schwer ist, oder weil sie es selbst noch nicht vollständig durchdacht hat. Möglicherweise ist es gut, im zweiten Fall noch etwas zu warten und das Thema mit Freundinnen und Verbündeten zu diskutieren, bis man es genügend gut formuliert hat. Und dazu braucht man halt Freundinnen und Verbündete und sollte sie nicht verschrecken. Und verschrecken sollte man die Leute auch deswegen nicht, damit sie lernbereit udn neugierig auf die eigenen Ideen bleiben.

    Ich habe vor ein paar Tagen ein paar Originalsätze von Einstein zum Photoeffekt gelesen. SIe waren nicht so leicht zu verstehen. Die Sätze klingen umständlich und altertümlich, und ich vermute, dass gerade die Umständlichkeit auch damit zu tun hat, dass er als erster etwas formulierte, was damals neu war und die Physik revolutionierte (so sehr, dass er selbst diese Revolution nicht bis zum Ende mitgegangen ist. Nein, es geht nicht um Relativitätstheorie, sondern um Quantenphysik.) Er sagte es mehrmals in verschiedenen Formulierungen, um die Leser zu überzeugen. Heute steht es in Schulbüchern, klarer und knapper. Aber heute sind die Menschen schon davon überzeugt.

    Ich glaube, dass vieles sich einfacher sagen lässt. Das Problem ist dann aber häufig, dass die Begründungen verlorengehen, denn diese sind oft das eigentlich Schwierige. Und auf die Begründungen mag ich nicht verzichten.

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  54. @Antje

    Wie fest Kriege nun ein Männerproblem sind und wie fest subalterne Männer und subalterne Frauen und Frauen mit hohem ökonomischem, kulturellem und politischem Kapital etc. in all das verstrickt sind, lasse ich nun mal aussen vor; aber bei den Ursachen/Implementierungen von Kriegen einfach eine Dichotomisierung zwischen Mann und Frau zu machen, wäre dann m.E. nun wirklich unterkomplex. Zudem: Da Du ja, soweit ich das überblicken kann, den Begriff des Patriarchats immer wieder mal gebrauchst, würde es mich natürlich auch mal von Dir interessieren, wie Du diesen Begriff genau definierst und operationalisierst und mit welcher Empirie Du diesen im heutigen Deutschland unterfütterst.
    Zu Deinen Ausführungen bezüglich des symbolischen und sozialen Kapitals: Das scheint mir richtig zu sein, was Du sagt. Mein Ausführungen in diesem Kontext bezogen sich jedoch auf die Problematik, ob man Beziehungen (soziales Kapital) den Vorrang geben soll und dies zum Beispiel auf Kosten von Wahrheit, Ethik und Moral und da haben bei mir – offenbar im Gegensatz zu Dir – Wahrheit, Ethik und Moral ganz klar Vorrang.
    Aber das mit dem Begehren habe ich nun soweit verstanden, frage mich jedoch, ob das so richtig ist? Und ja: Ich würde auch sagen, dass Macht und Politik nicht das Gleiche sind. Nur wäre dann hier schon wieder die Frage, was genau unter Politik und Macht verstanden wird. Und ich würde z.B. auch sagen, wenn man z.B. Politik als ein soziales System oder ein Subsystem der Gesellschaft begreift (im Sinne von Luhmann) oder als ein ausdifferenziertes gesellschaftliches Feld (im Sinne von Bourdieu), dann finden im Feld der Politik (wie im Feld der Religion oder der Ökonomie/Wirtschaft) auch immer Machtkämpfe statt. Zudem bin ich momentan der Überzeugung, dass Macht ubiquitär ist, es also keinen gesellschaftlichen Bereich gibt, der nicht auch Machtbeziehungen impliziert.

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  55. Radikalität ist doch eine sehr subjektive Sache, nicht wahr?
    Liegt es nicht in der Natur der radikalen Neuheiten einfach auch nur dort zu landen wo die Wahrnehmung für selbige grundsätzlich offen und gegeben ist? Also ein „missionieren in Horden“ (die ich persönlich ehrlich gesagt IMMER gruselig und schon allein deshalb radikal finde) letztlich unnötig ist?
    Kann nicht- gerade in unserer Zeit- eine Ladung „Gedankenpusteblumen“ über die Welt verteilt nicht mehr(re) erreichen bis irgendwann von ganz allein eine Entwicklung passiert?

    Wieso so direktiv?

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  56. @Maxine Das ist witzig: Ich bin ja von der Gegenseite (ich halte die Anti-Ismus-Kämpfe für zu wenig radikal, und das gilt insbesondere für Klassismus. Ich halte den Begriff allein schon für eine Verharmlosung und für eine Methode, die Arbeiterschicht zu entwaffnen, indem nur noch Diskriminierung und Auschluss, aber nicht mehr Ausbeutung als Problem der Arbeiterschicht angesehen werden), aber mir geht es genauso wie dir: Die Debatte ist völlig vorhersehbar. Gestern war ich schon kurz davor einen Kommentar zu schreiben „Vorwurf des Tonarguments in drei… zwei… eins…“, habe es aber dann doch gelassen, und nach einer Weile gedacht: Hm, vielleicht gibt es doch noch Überraschungen in diesen Diskussionen. Am nächsten Tag war der Vorwurf des Tonarguments dann da.

    Im nächsten Schritt werden alle Versuche, etwas zu erklären oder zu rechtfertigen, zurückgewiesen: sie zeigen nur, wie uneinsichtig die Beschuldigte ist und werden als Derailing bezeichnet. Das einzige, was zählt, ist der Schmerz derjenigen, die verletzt wurde, und das einzige, was die Situation retten könnte, wäre eine Entschuldigung: „Ich habe mich klassistisch verhalten, ich sehe meinen Fehler ein und werde versuchen, ihn in Zukunft zu vermeiden.“ Dies geschieht aber höchst selten (außer bei Anhängerinnen der entsprechenden Theorie, und auch da nur bei kleinen Versehen, etwa einem falschen Wort), so dass das Ende in einem Abbruch der Diskussion besteht. Im Fandom habe ich es dann oft erlebt, dass die Beschuldigte sich erst einmal zurückgezogen und ihr Journal auf frlends-locked umgestellt oder sogar gelöscht hat, so dass sie ihre Geschichten nur noch mit ihren Freundinnen teilte. Das wird hier, glaube ich, nicht geschehen – dafür sorgen die Machtverhältnisse. (Ich benutze das Wort jetzt naiv.)

    Was für mich ein Rätsel ist, ist die Lerntheorie, die dahinter steckt. Oft wurden die Kritik und die Beschimpfungen, mit der eine, die sich des Rassismus/Ableismus/Klassismus (selten) oder der Transphobie schuldig gemacht hatte, damit gerechtfertigt, dass dies die einzige Möglichkeit sei, dass jemand etwas lernt. Aber – das ist doch die Pädagogik des neunzehnten Jahrhunderts. Das einzige, was jemand in einer solchen Situation lernt, ist doch: wenn ich dies und jenes tue, werden alle wütend auf mich, deswegen tue ich es lieber nicht. Aber Lernen, das diesen Namen verdient, heißt doch: verstehen, warum etwas falsch ist.

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  57. @chomskyy – Ich sage ja nicht, dass nicht auch Frauen von Kriegen profitieren oder auch Männer darunter leiden, aber es gibt wohl doch kaum ein anderes Phänomen der menschlichen Gesellschaft, das so direkt und unmittelbar mit der „Performanz von Männlichkeit“ verknüpft ist. Deshalb gehören auch in allen Kriegen Vergewaltigungen zum Standardrepertoire der Sieger, zum Beispiel. Es geht also nicht um Dichotomien zwischen Mann und Frau. Unter „Patriarchat“ verstehe ich sehr weit gefasst alles, was „Vaterherrschaft“ ist, in dem Sinne, dass der Status „männlich und älter“ als solcher mit Macht, Einfluss, Anerkennung, Status verknüpft belegt wird. In diesem Sinn ist zum Beispiel auch die „GLeichstellungslogik“ immer noch „patriarchal“, weil sie von Frauen verlangt, sich dem Männlichen anzupassen, um „vollwertig“ zu sein. Andererseits sind auch Männer qua Definition im Patriarchat „Subalterne“, nämlich die Jüngeren, die sich den Vätern ebenfalls unterzuordnen haben (solange, bis die dann zu alt werden und die Jüngern sie vom Thron stoßen/die Revolution machen, um sich selber drauf zu setzen). Heutiges Deutschland: Ich bin der Meinung, dass das Patriarchat zu Ende ist (als symbolische Ordnung funktioniert es nicht mehr), wir aber natürlich in der Realität weiter mit seinen Auswirkungen zu tun haben. Das Ende des Patriarchats ist kein Zuckerschlecken, sondern symbolische Unordnung, weshalb wird dringend eine neue symbolische Ordnung brauchen.

    „ob man Beziehungen (soziales Kapital) den Vorrang geben soll und dies zum Beispiel auf Kosten von Wahrheit, Ethik und Moral“ – ich behaupte, das sind keine Gegensätze. Außerhalb von Beziehungen gibt es keine Wahrheit, Ethik und Moral.

    „Zudem bin ich momentan der Überzeugung, dass Macht ubiquitär ist, es also keinen gesellschaftlichen Bereich gibt, der nicht auch Machtbeziehungen impliziert.“ – Exakt. Das heißt aber nicht, dass man es nicht unterscheiden kann, oder? Gerade dass beides nicht säuberlich getrennt ist, sondern mich als Person durchquert und dass Situationen schnell von einer in die andere Logik umkippen, heißt halt, dass es wichtig ist, in der Unterscheidung geübt zu sein.

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  58. @melusine
    das Buch erhebt laut eigenem Vorwort sehr wohl einen aufklärerischen Anspruch.
    Es gibt sogar ein vor-Vorwort, in dem Noah Sow erklärt, warum sie das generische Maskulinum benutzt: „Ich will mich aber herausreden mit folgender Überlegung: Was hindert Sie wahrscheinlich weniger daran, dieses Buch durchzulesen? Ein großes I überall? Oder wenn ich so tue, als bestünde die Welt nur aus Männern? Schließlich habe ich mich sehenden Auges (bis auf wenige Ausnahmen) für Version B entschieden.“

    @all
    es geht mir hier nicht (nur) um ein Tone-Argument. Im Kern geht es glaube ich um eine Definition: Was ist Rassismus und was ist einE RassistIn? da gehen einfach die Meinungen auseinander und je nach Entscheidung, welche Definition man für sich annimmt, entstehen andere Ansprüche und auch Machtverhältnisse. Diese hinterfrage ich und das ist glaube ich auch der Hauptauslöser für all die Empörung über meinen Text.

    btw. ist die Defition von Noah Sow im Buch angegeben: habe das damals auch für Instagram festgehalten. Dieser Definition schließe ich mich sofort an. Sie steht aber in einem Widerspruch zur Definition von Rassismus und somit zur Festlegung von RassistIn-sein laut CW und auch wie es auf den Seiten davor von Sow selbst vorgenommen wurde. Vielleicht kann man wenigstens mal diese zwei verschiedenen Definitionen (die eine wurde auch sehr ausführlich von Khaos.Kind aufgeschrieben) achten und wenigstens festhalten, dass es nicht das Gleiche ist.

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  59. “ Gerade dass beides nicht säuberlich getrennt ist, sondern mich als Person durchquert und dass Situationen schnell von einer in die andere Logik umkippen, heißt halt, dass es wichtig ist, in der Unterscheidung geübt zu sein.“

    Nein, das ist nicht unbedingt so – es kann auch heissen, dass die Unterscheidung in „Politik“ auf der einen und „Macht“ auf der anderen Seite letztendlich nichts taugt – zumindest nicht, um die Realität zu ordnen.

    Das ist allerdings ja ein Gedanke, der von einer Autorin in Deinem Buch explizit abgelehnt wird – dass nämlich jede Beziehung auch durch Macht strukturiert wird, dass es sich dabei um einen unveräusserlichen Aspekt jeder menschlichen Beziehung handelt.

    Persönlich halte ich diesen Gedanken nun auch für richtig – weswegen ich eben auch nicht glaube, dass eine Unterscheidung in Bezug auf Verständnis und Beherrschung sozialer Prozesse viel bringt; ganz im Gegenteil.

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  60. @Antje

    Nun gut, ich würde im Bezug auf das Patriarchat sagen und da folge ich doch mal Lothar Böhnisch, dass es sich entgrenzt oder entstrukturiert hat, was immer das auch heissen mag. 🙂

    Und für die männliche Sozialisation sehe ich doch auch eher den digitalen Kapitalismus und die psychodynamischen Untiefen für die Analyse des Mannseins als wesentlich an und weniger das doing oder undoing gender.

    Klicke, um auf Maennlichkeit_Wandel.pdf zuzugreifen

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  61. Wenn ich aber gefragt werde, wie ich mein Anliegen vielleicht auf eine Weise vorbringen kann, dass meine Chance darauf, gehört und ernstgenommen zu werden, steigt – dann ist das für mich als Anliegen erst einmal weder Abwehr noch unsolidarisch, sondern im Gegenteil. (endolex)

    Da stehen irgendwie keine Leute in dem Satz. Guck dir doch mal an, was ständig passiert: Privilegierte erklären Unterdrückten, was abgeht. Sie halten sich, sieht man grade hier im Thread schön, sogar für besonders geeignet dafür: „Ich (Leute wie ich) soll doch überzeugt werden – so geht das aber nicht! Wir Weißen (Akademiker_innen) mögen es halt nicht, beschimpft zu werden!“ Dabei ist es ganz leicht. Entweder du bist selbst ein_e Rassist_in und fühlst dich angesprochen, oder du redest stellvertretend für die anderen, die „wirklich bösen“ Weißen. Wenn du ein_e Rassist_in bist, bist du politisch nicht einverstanden, solltest also lieber politisch statt Ton-argumentieren. Wenn du rassistische Weiße vertrittst, weil du genau weißt, wie die ticken, ist das Tonargument erst recht eine Frechheit – red doch selber mit diesen schrecklichen, uneinsichtigen Weißen, statt das von Nichtweißen zu verlangen.

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  62. Noch ein Hinweis, der sich so halb an Susanna anschließt (die Maxine geantwortet hat):

    Was sollen eigentlich die neuerdings so beliebten Hinweise auf „Abwehrverhalten“ des Gegenübers besagen oder in der Kommunikation bewirken? Heißt das: Ich durchschaue dich und komme mir dabei schlau vor? Oder: Ich habe recht und du musst es einsehen? Oder gar: Ich werde dich doch noch klein kriegen? (Und dann?)

    In der Mädchenmannschaft war sogar mal der psychoanalytische Schwurbelbegriff „Abwehrmechanismus“ zu lesen, Kritik daran wurde gelöscht. Seltsam. Mir kommt das irgendwie …. linkskonservativ vor.

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  63. “Abwehrverhalten” bedeutet, du hast ein fundiertes Gegenargument, das mein Thoeriegebäude ins Wanken bringen könnte, so ich es denn zuließe. Ich lasse es aber nicht zu und verschiebe die Debatte auf die persönliche Ebene, indem ich dir Abwehrverhalten vorwerfe. Du bist einfach nicht bereit, dich dem zu stellen und zu reflektieren, was ich dir attestiere. Dein Argument? Gilt nicht. Ist ein Reflex (sprich: instinktiv, unreflektiert, unreif und irgendwie primitiv).
    Das ausgerechnet diese Strategie Abewehrverhalten vom Feinsten darstellt, spielt für mich gar keine Rolle, denn ich habe Recht per Definition. Das nenne ich DefMa.

    Wenn ich dir also zB. Rassimus vorwerfe, dann kannst du es zugeben oder abstreiten. Egal, was du tust, du bist in jedem Falle Rassistin.

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  64. Dass die Gegenargumente immer fundiert sind, bezweifle ich zwar, aber „persönliche Ebene“ ist ein gutes Stichwort. Mir kommt es ja ein wenig so vor, als ob man sich zur Psychotherapeutin aufspielt, wenn man anderen Abwehrverhalten diagnostiziert.

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  65. Ich habe ein wenig zu lange in Kreisen gelebt, in denen solche Herumpsychologisiererei ´üblich war, und mittlerweile meide ich sie wie die Pest. Jemandem „Abwehrverhalten vorzuwerfen heißt, ich nehme das, was er oder sie sagt, nicht mehr ernst (als ein Argument, das ich widerlegen kann oder auch nicht), sondern betrachte es nur noch als Ausfluss seiner oder ihrer psychischen Verfassung, die ein wenig gestört ist.

    Ich glaube, es ist ein Weilchen her, seit es mir zum letzten Mal vorgeworfen wurde, aber mittlerweile weiß ich, wie ich darauf reagieren würde.

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  66. Ich dachte ja eigentlich, in meinem Post ein paar Anhaltspunkte dazu gegeben zu haben, wie man es besser machen kann. Darüber würde ich eigentlich lieber diskutieren als darüber, was irgendwo anders vielleicht falsch gemacht wird…

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  67. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass jede politische Theorie, die sich nicht um größtmögliche Radikalität bemüht, also darum, wirklich an die Wurzeln eines Problems vorzudringen, anstatt nur an der Oberfläche ein paar Dinge hin und her zu rücken, nichts wert ist.

    Ich fürchte, dass die Antidiskriminierungsdiskurse, auch wenn sie sich wütend gebährden, genau das tun: An der Oberfläche ein paar Dinge hin und her rücken.

    Ich habe auch nochmal deinen Text gelesen. „Abwehr“ scheint dort nicht psychologisierend gemeint zu sein, und könnte, glaube ich, durch Ablehnung ersetzt werden. (Oder auch nicht. Ablehnung kling rationaler als Abwehr.)

    Ich habe ja selbst auch „Zu ihrem Gedächtnis“ von Elisabeth Schüssler-Fiorenza gelesen, nicht mit dem Fremdwörterbuch, sondern mit der Bibel in der Hand, um die vielen Bibelstellen nachzulesen, die sie voraussetzt. Es war ein sehr interessantes Buch. Im Prinzip habe ich jahrzehntelang Texte aus Fachgebieten gelesen, die mir fremd waren, und mit der Zeit habe ich sie immer besser verstanden und mich immer besser ausgekannt. Zum Beispiel habe ich vor drei Jahren „Raster des Krieges“ von Judith Butler gelesen und es ungefähr zur Hälfte gelesen. Jetzt habe ich es noch einmal gelesen, und weil ich in der Zwischenzeit eine Menge anderes gelesen habe, verstehe ich es jetzt ganz. Mit Hannah Arendt ging es mir ähnlich: Als ich zum ersten Mal ein Buch von ihr gelesen habe, fand ich es schwierig. Ich habe dann andere Bücher von ihr gelesen, kam immer besser klar, und als ich das erste Buch dann wieder las, fand ich es nicht mehr schwierig.

    Ich glaube, gar nicht schwierig sind nur solche Bücher, die nur das sagen, was man ohnehin schon denkt.

    Vielleicht muss man einfach damit leben, dass es unterschiedliche Texte für unterschiedliche Menschen gibt. Wenn mir jemand sagt: „Das ist ein gutes Buch! Viele Beispiele und Anekdoten, die das ganze anschaulicher machen!“ denke ich: „Wenig Inhalt auf viel Papier. Bloß nicht.“

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  68. @ Antje Schrupp
    So lange wir in einem patrilinearen System leben, werden wir immer in einem Patriachat leben müssen.

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  69. Was man besser und einfacher machen kann 🙂

    Nachfragen. Ich denke ja immer noch, dass es sich bei Kritik der Sorte „zu radikal“ teils um ein Missverständnis handelt, weil „radikal“ so gerne als Synonym für „mir irgendwie zu krass“ verwendet wird.

    Oder satirisch übertreiben: Döner mit scharf -> Döner mit radikal 😀

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  70. @Antje – “Erst im Laufe der Zeit bekomme ich Übung darin, eine neue Idee auch „allgemeinverständlicher“ zu formulieren. Zum Beispiel wusste ich nach dem erwähnten Vortrag um die Befindlichkeiten älterer Feministinnen und um ihre sensiblen Punkte und konnte in späteren Vorträgen darauf eingehen, ohne aber deshalb meine Analyse zu ent-radikalisieren. Je häufiger ich am Versuch der Vermittlung von Ideen scheitere, umso geübter werde ich darin, ohne natürlich jemals an den Punkt zu gelangen, wo es garantiert ist.”

    Ist ja oft so, dass wir erst “hinterher” klüger sind.;-)
    Im konkreten Fall wusstest du ja auch erst nach dem Vortrag und seiner Resonanz darauf um die Befindlichkeiten und sensiblen Punkte der älteren Feministinnen. Dass die Frauen dann aufgrund ihrer Befindlichkeiten, die dein Vortrag bei ihnen ausgelöst hatte, “über dich hergefallen” sind, verweist ja nicht nur auf die ‘nicht gelungene Vermittlung’ deinerseits, sondern ebenso auf die nicht gelungene Vermittlung der vorhandenen Befindlichkeiten deiner Zuhörerinnen.

    In welcher Weise hast du dir dann Luisa Muraros Hinweis: “Es ist dir halt einfach nicht gelungen, das, was du sagen wolltest, zu vermitteln”, ‘zu Herzen genommen’, oder anders gefragt: Werden die Missverständnisse in der Kommunikation weniger, je klarer und bewusster frau über ihr eigenes Begehren sprechen kann?
    Und verhilft diese Haltung auch meinen Gesprächspartner-innen eher dazu ‘bei sich zu bleiben’ und dadurch leichter den so leidigen Kreislauf von Vorwürfen und Unterstellungen, die ja meist neue Missverständnisse und Gekränktheiten hervorrufen, zu unterbrechen?

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  71. Liebe Antje,
    ich bin Psychologin und neige daher tatsächlich dazu, Diskussionen immer mit einem „Beziehungsauge“ mit zu betrachten. Ich finde Du drückst sehr deutlich aus, dass in der Kommunikation zwischen Parteien (klassisch nach Schulz von Thun) mehrere Kommunikationsebenen existieren, die sich verheddern können und sich gegenseitig behindern können.

    Aus den Kommentaren nehme ich mit: Es gibt keine Pflicht sich verständlich zu machen. Und „gelingende“ Kommunikation (i know, definier mir das…) setzt auch nicht Konfliktfreiheit voraus.

    @Kommentierende: Ich halte es aber für heikel, Leute grundsätzlich zu entmutigen, nach einer respektvollen Diskussion zu fragen. Auch wenn diese Leute einen Fehler gemacht haben. Ich sehe das ABSOLUT nicht so, dass man Veränderung nicht durch beidseitige Kooperation zwischen Streitenden erreichen kann. Das wäre ja schrecklich (und ich müsste meinen Job aufgeben). Das diese respektvolle Diskussion ein Geschenk von Seiten der verletzten Person ist, kann ich aber einsehen. Und ich sehe auch, dass man sich das Geschenk eben auch sparen kann.

    Es bleibt daher wohl immer eine Entscheidung, die man hoffentlich bewusst trifft, ob man z.B. Unkorrektheiten oder geschehene Verletzungen ohne Vorwurf oder mit Vorwurf äußert, oder ohne/mit Appell. Ich würde persönlich wirklich davon absehen wollen, eine Art der Kommunikation über alle anderen zu erheben. Es mag keine brauchbare moralische Legitimierung für eine „Tonfall-Kritik“ geben. Aber es bleibt eine Eigenart von Kommunikation, dass Tonfall bedeutsam ist. Um es aber klarzustellen: der Tonfall, sei er noch so patzig, abwehrend oder emotional, ist m.E. NIEMALS ein BEWEIS für Richtigkeit oder Falschheit einer Aussage. Allerdings trägt Patzigkeit und (im schlimmsten Fall wohlfeile) Anklage, genauso zur ESKALATION von Konflikten bei, wie das Ignorieren von weniger privilegierten/weniger sichtbaren Personen und ihrer Position. Wohlgemerkt: völlig unabhängig davon, ob sie Recht haben oder nicht. Es gibt daher Gründe außerhalb der Inhalte, sich mit dem Tonfall zurückzuhalten, Recht haben hin oder her.

    Ich habe nach dem Lesen viel reflektiert und besser verstanden, warum die Diskussion um Critical Whiteness (oder auch um Intersektionalität und auch das Tone-argument) manchmal so eskalieren. Unschuldig fühle ich mich dabei nicht.

    In mir löst der Post und auch die leidenschaftliche Kommentierung aller das Bedürfnis aus, mehr Wohlwollen und Zuhören in die Diskussion zu investieren. Und mich verständlich zu machen, auch wenn es manchmal schief läuft. Also danke Antje, (bei mir) alles richtig gemacht 😉

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  72. „Es gibt keine Pflicht sich verständlich zu machen.“

    Natürlich ist so eine Pflicht nirgends festgeschrieben. Aber sie existiert. Sie ist die Basis jeder Kommunikation. Wer sich nicht daran hält, sich also nicht verständlich machen will, verachtet seine Zuhörer, sein Anliegen, handelt egozentrisch und verschiebt die Verantwortung von sich auf andere. Letzteres ist eine sehr beliebte Strategie in linken Kreisen. Man will zwar einerseits als Subjekt gelten, aber wenn es um die Eigenverantwortung des Subjektes geht, dann wird gekniffen.

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  73. @sorim – „Ich habe nach dem Lesen viel reflektiert und besser verstanden, warum die Diskussion um Critical Whiteness (oder auch um Intersektionalität und auch das Tone-argument) manchmal so eskalieren. Unschuldig fühle ich mich dabei nicht.“

    Bevor ich mich in meinen eigenen Vermutungen ergehe, was mit der letzten Anmerkung: „Unschuldig fühle ich mich dabei nicht“, genau gemeint sein könnte, nehme ich @Irenes Hinweis auf und frage direkt, wie , du sorim, das verstanden wissen willst, bzw. was du damit vermitteln möchtest?

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  74. Allerdings trägt Patzigkeit und (im schlimmsten Fall wohlfeile) Anklage, genauso zur ESKALATION von Konflikten bei … (sorim)

    Ja, und? No justice, no peace.

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  75. @Samia – Genau, na und! Sehe ich auch so:

    Es ist der Sinn von Patzigkeit, Konflikte zu eskalieren und deutlich zu machen, dass hier eine Differenz unüberbrückbar und kein weiteres Gespräch mehr gewünscht ist. Mein Problem mit Patzigkeit, Unhöflichkeit, Beschimpfen usw. ist auch nicht, dass ich das moralisch verwerflich fände. Sondern ich will darauf hinweisen, dass man auf diese Weise eine Beziehung beendet bzw. das Ende einer Beziehung demonstriert. Einen Konflikt durch Anraunzen und Beschimpfen zu eskalieren bedeutet, dass nun keine inhaltlichen Argumente mehr vorgebracht werden (sollen), sondern gekämpft wird. Kann man machen. Ich habe in meinem Post ja explizit geschrieben, dass das manchmal notwendig sein kann. Nur: Wenn die Beziehung beendet ist, ist sie eben auch beendet. Dann ist man Gegner_in. Dann braucht man sich nicht wundern, wenn die Gegenseite zurückschießt (wobei das nicht sicher ist, zu einem Krieg gehören immer zwei und die andere Seite ist nicht gezwungen, die Kriegserklärung anzunehmen).
    Aber: Wenn ich mein Gegenüber beschimpfe, habe ich mich damit abgefunden, dass ich sie nicht mehr zum Umdenken bringen kann bzw. demonstriert, dass ich das nicht will. Dann ist man Gegner_in, und vermutlich gewinnt dann die/der Stärkere (No Justice, no peace, ist so ein Spruch, der erfordert von den Benachteiligten schon eine gewisse Bereitschaft zum Märtyrertum. Würde ich nicht unterstellen, dass alle die haben). Wie auch immer, ich finde, man sollte diesen Weg des Kampfes nicht inflationär gehen, sondern sich im Einzelfall genau überlegen. Pick your fights.

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  76. „Patzigkeit, Unhöflichkeit und Beschimpfen“ kann auch einfach mal „Raff mal endlich, was ich sage, höre mal endlich zu usw.“ bedeuten – ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass dies die weitaus häufigere gewünschte Interpretation ist, nicht Kommunikationsabbruch.

    Insbesondere bei Jugendlichen ist das ja manchmal zu beobachten … wenn man jede Patzigkeit eines Jugendlichen gleich als Kommunikationsabbruch wertet, sollte man sich besser erst gar nicht mit einem beschäftigen ..,

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  77. Uebrigens finde ich die Deutung „Ach Gottchen, mit dem rede ich jetzt aber gar nicht mehr, wenn der mich beschimpft“ auch bemerkenswert unsouverän.

    Eventuell hat man ja die Beschimpfung auch einfach mal verdient …

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  78. @Andreas – Ich habe ja deshalb extra hingeschrieben, dass die Gegenseite nicht unbedingt so reagieren muss, sondern auch die Möglichkeit hat, in den Kampf nicht einzusteigen. Es ist schon was Wahres daran, wenn du das „souverän“ nennst bzw. das reflexhafte Zurückschimpfen „unsouverän“ – es erfordert eben ein gewisses „Darüberstehen“. Wie auch in dem Beispiel mit dem patzigen Jugendlichen. Akteur_in ist dann aber eben gerade nicht mehr die Person, die sich für das Beschimpfen entschieden hat.

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  79. Aber: Wenn ich mein Gegenüber beschimpfe, habe ich mich damit abgefunden, dass ich sie nicht mehr zum Umdenken bringen kann bzw. demonstriert, dass ich das nicht will. Dann ist man Gegner_in, und vermutlich gewinnt dann die/der Stärkere (No Justice, no peace, ist so ein Spruch, der erfordert von den Benachteiligten schon eine gewisse Bereitschaft zum Märtyrertum. Würde ich nicht unterstellen, dass alle die haben).

    Auch wenn es jetzt halb OT wird: Ich finde Märtyrertum, ist ein interessantes Stichwort. Man kann in politischen Konflikten viele Motive finden, die aus dem Christentum kommen, wenn man bisschen darauf achtet. Mir fällt das besonders bei Linken auf, die meinen, mit dem pöhsen Christentum nichts am Hut zu haben. Da erinnert dann manches an die Erbsünde, zum Beispiel die beliebten stereotypen Hinweise auf die Kreuzzüge, die mit dem gerade diskutierten Thema meist gar nichts zu tun haben.

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  80. Oh, das ist ja interessant.

    (Vielleicht ist ja sogar das Ressentiment, das viele Linke pauschal gegen Bayern hegen, ein teilweise pietistisches? Immerhin sind wir die Italiener von Deutschland und frönen dem barocken Lebensstil. Und dazu dieser derbe Dialekt, ach…)

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  81. „Sehr spannend, Antje, was Du u.a. im Zusammenhang mit der Buchbesprechung auf der

    http://www.bzw-weiterdenken.de/2011/12/pietistisches-erbe-neu-anschauen-und-bei-sich-selbst-fundamentalistischen-tendenzen-bewusst-entgegenarbeiten/

    schreibst:

    „Am meisten beeindruckt hat mich der Schlussteil des Buches, die „Vorschläge für den Weg zurück in die ganze Welt“ (ab S. 187). Dorothee Markert fragt darin sich und uns: „Wie können wir fundamentalistischen Tendenzen bei uns und in unserer Umgebung entgegenarbeiten? Wie können wir uns aus dem Eingebundensein in eine der Fronten befreien, die die Welt in gegensätzliche „Wege“ aufspaltet?“ Hier meint sie den „breiten und den schmalen Weg“ aus der Tradition des Pietismus. Weiter fragt Dorothee Markert: „Wie können wir überhaupt erkennen, wo wir in solche Fronten eingebunden sind?“ Und nicht zuletzt: „Wie bekommen wir wieder Zugang zum ursprünglichen Reichtum sozialer und religiöser Bewegungen wie dem Pietismus, der Aufklärung, der sozialistischen Bewegung und der Frauenbewegung?“

    Dafür schlägt Dorothee Markert drei Ansatzpunkte vor, die beachtenswert sind. Erstens, Kontakt aufzunehmen mit Menschen, die „anders“ sind, und über konkrete Situationen in Bezug auf eigene Visionen, Sehnsüchte und Herzenswünsche miteinander zu sprechen.“

    Finde diese grundsätzlichen Fragen sind mir auch für die gerade hier geführte Diskussion sehr hilfreich.

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  82. Und wie unterscheiden wir nun, ob eine Haltung radikal oder pietistisch ist?

    Mal angenommen ich behaupte, dass ich als Einheimische aus Bayern eine Person of Color bin (weil es Leute gibt, die im Fasching als Bayern gehen, und weil man ständig irgendwas Konservatives unterstellt bekommt, damit sich der kühle Norden dem wilden Süden überlegen fühlen kann): Trolle ich dann die Pietisten oder die Radikalen?

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  83. @ute: ich meine mit der Bemerkung „ich fühle mich nicht unschuldig“ , dass ich auch zu Eskalationen beigetragen habe, indem ich auf eine patzige Bemerkung hin zurückgepatzt habe. Dass ich nachvollziehen kann, dass in Diskussionen nicht immer Rücksicht genommen werden kann. Vorallem wenn dies zu Lasten des Ausdrucks einer wichtigen Position meinerseits ginge.

    Tut mir leid, wenn das nicht rübergekommen ist. Dass das hier mit einem „na und?“ quittiert wurde hat mich überrascht (hab mich etwas mißverstanden gefühlt). „No justice, no peace“ kannte ich als Formel noch gar nicht. Aber ich sehe da eigentlich keinen zwingenden Widerspruch. Ich meinte doch gar nicht „peace“ im Sinne von „bloß keinen Konflikt prvozieren“. Ich meinte eher, dass die Art des Konflikts sich je nach Kommunikationsstil der Beteiligten unterscheidet, im Grad der Gewaltsamkeit. Aber ich habe ja auch gesagt, dass das freiwillig passiert und ich das auch nicht immer schaffe/will.

    aber, Ute, danke, dass Du gefragt hast, statt mit einem Strohmann zu diskutieren 🙂

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  84. @sorim – Die Reaktion auf deinen Kommentar, speziell auf das, was du zur Patzigkeit geäußert hast, hat mich verblüfft. Konnte mir erst mal keinen Reim auf dieses: “Ja, und? No justice, no peace”, machen und fragte mich, wie’s kommt, dass frau eben aus demselben Text so Unterschiedliches herauslesen kann?

    Mir persönlich war dein Kommentar ein Hinweis, auch ‘ auf’s eigene Eingemachte’ zu schauen, womit ich das mein Kommunikationsverhalten meine, aber auch die Frage nach den eigenen Motiven, die mich in den diversen Diskursen leiten.

    Mit dem Kommentar von @Andreas bezüglich Patzigkeit von Jugendlichen, die ‘wir als Erwachsene’ eher als Kontaktangebot, denn Kontaktabbruch verstehen können, kann ich viel anfangen, auch wenn im Eifer des hitzigen Gef(l)echts diese Einsicht einem nicht ständig vor Augen steht. 😉

    Ein Aphorismus von Marie v. Ebner-Eschenbach ist mir bei der Frage nach den Gründen der unterschiedlichen (Text)Wahrnehmung
    und sorims Aussage, dass Emotionen “niemals ein Beweis für Richtigkeit oder Falschheit einer Aussage” sind, wieder in den Sinn gekommen:

    “Nicht was wir erleben, sondern wie wir empfinden , was wir erleben, macht unser Schicksal aus”.

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  85. @Irene – Amüsier mich grad über deine bayrische Person-of-color-Version.

    Der Posener Artikel über „Gutbürger und Kaufverzicht“ spiegelt sehr fein: „Die Kritiker der Elche, sind selber welche“, wobei ich in diesem Falle befürchte, dass, wenn mannfrau genauer hinschaut, anstatt eines Elchs, ein ausgewachsener Hornochse vor einem erscheint.

    Danke für die humorvollen Einlagen:-)

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  86. Hallo Antje,

    ich habe eine Frage zu folgender Aussage:

    „Ich frage mich, wann es angefangen hat, fehlende Radikalität für etwas Positives zu halten? Jedenfalls bin ich der Meinung, dass jede politische Theorie, die sich nicht um größtmögliche Radikalität bemüht, also darum, wirklich an die Wurzeln eines Problems vorzudringen, anstatt nur an der Oberfläche ein paar Dinge hin und her zu rücken, nichts wert ist. Möglicherweise vielleicht sogar kontraproduktiv, weil sie dazu beiträgt, die krassesten Begleiteffekte des Bestehenden abzumildern, sodass die herrschende Ordnung umso gefestigter aus diesen Korrekturen hervorgeht.“

    Mir begegnet diese Argumentation immer wieder, könntest Du ein konkretes Beispiel nennen, wo sich durch Reformen die herrschende Ordnung gefestigt hat?

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  87. @Nemesis – Zum Beispiel hat das Einrichten von „Gleichstellungsstellen“ die staatlichen Institutionen befestigt, weil sie so nicht mehr allzu offensichtliche „Männerinstitutionen“ sind. Die hätten nämlich sonst noch mehr an Legitimität verloren. Ich will das auch nicht ganz und gar verdammen, es hat halt zweierlei Effekte. Man kann da im Handeln durchaus auch pragmatisch sein, aber die Analyse sollte doch wirklich an die Wurzel gehen.

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  88. „Wem ein Problem existenziell wichtig ist, wird sich mit jedem neuen Lösungsvorschlag ernsthaft auseinandersetzen. Wer aber hier keine Fragen, Anliegen und Probleme hat, wird nicht verstehen, warum er (oder sie) sich die Mühe machen soll, und verlangen, die „Betroffenen“ mögen es bitte in leicht verdaulichen Häppchen servieren.“

    Du wälzt also die Verantwortung dafür, ob ein Text von dir verstanden wird oder nicht, auf Leser/-innen und Zuhörer/-innen ab. Dazu fällt mir ein: „A theory that you can’t explain to a bartender is probably no damn good.“ [„Eine Theorie, die du einem Barkeeper nicht erklären kannst, taugt wahrscheinlich nichts.“] -Ernest Rutherford. Oft fälschlich Einstein zugeschrieben: „Du hast eine Sache so lange nicht verstanden, bis du sie deiner Großmutter erklären kannst.“

    Wenn ich etwas mit der Absicht schreibe, dass Menschen sich damit auseinandersetzen, dann ist es *meine* Verantwortung, dass sie es verstehen können. Niemandes sonst.

    Meine 2 Ct.

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  89. „(Einschub: Es ist übrigens ganz leicht, eine kritische Auseinandersetzung mit einem Text oder einer Idee von einer rein polemischen zu unterscheiden, aber das würde jetzt hier zu weit führen. Jedenfalls geht es mir natürlich nicht um eine kritiklose Annahme von Ideen, sondern um die ernsthafte und offene Auseinandersetzung mit ihnen.)“

    Ein Einschub – aber geht es nicht (auch) genau darum?
    Ich komme von diesem Artikel: https://highoncliches.wordpress.com/2012/10/21/der-diskurs-liegt-mir-einfach-im-blut/, der eine durchaus solidarische Kritik an Ihrem hier führt.
    Wenn sich das so gut unterscheiden lässt – warum gibt es dann genug Feminist*innen, die sich damit beschäftigen wollen, sich aber ausgeschlossen fühlen? Wenn es so gut zu unterscheiden wäre dann müsste doch erkannt werden, dass ihre Gründe für Kritik anders sind. Dann würde eine*r versuchen, einfacher zu formulieren, ins Gespräch zu kommen. Aber daran fehlt es ja offenbar oft. Ja, ich finde es auch schwer, komplexe Texte „einfacher“ zu schreiben. Aber warum sollte sich d* Leser*in und nicht ich, d* Autor*in, die Mühe machen? Immerhin versucht ein*e Autor*in doch, die eigenen Argumente zu vermitteln. Ich deute Ihren Ansatz, dass das Wichtigste zur Vermittlung ein offenes Publikum ist, anders: Dieses Publikum muss, damit es dazu wird, angemessen angesprochen werden. Die Anforderungen, auch nur zu versuchen zu verstehen, dürfen nicht deshalb höher sein, nur weil die Zuhörer*innen eben nicht Akademiker*innen sind. Für mich ist das – eher praktisch als gewollt – eine Voraussetzung für die Offenheit d* Autor*in, deine solche Beziehung aufzubauen. Wer sie nicht erfüllt trägt leider zu solchen Ausschlüssen bei, trägt leider zur Zerstörung eines „Vertrauensverhältnisses“ bei. Um das zu gewinnen – ich folge Ihrer These, dass das am wichtigsten ist – wäre es sehr schade, sich letztlich nur (!) „ähnliche“ geneigte Personen zu suchen statt konseequent und nur danach zu gehen, dass die Zuhörer*innen das auch wollen.
    Das Erkennen von Ignoranz fällt mir manchmal tatsächlich einfach: Wenn ich meinen Eltern, die beide studiert haben und diversen Intelligenz-Standards entsprechen, etwas erkläre, auch Fachwörter erkläre und mich bemühe, einfachere Beispiele zu nehmen – und dann (!) verstehen sie mich nicht. Wenn ich Unverständnis von einer Komillitonin, die ein abgeschlossenes Germanistikstudium hatte, erlebt habe, oder von einer sehr erfahrenen Dozentin – obwohl ich mich bemüht habe, mich klar und nicht zu komplex auszudrücken. Aber diese Fälle berühren die „wirkliche“ Frage nach Zugangsmöglichkeiten ja gar nicht, wenn ich annehme, dass sie durchaus verstehen könnten. Wenn meine Bemühungen um Verständlichkeit bei Leuten mit vergleichbarem Hintergrund, aber mehr „wohlwollendem Interesse“ erfolgreich wären. Wenn ich mich tatsächlich (zu) unverständlich ausdrücke und nicht akademisch Sozialisierten allein deshalb der Zugang fehlt – dann kann ich ja gar nicht richtig sagen/ erfahren, ob denn grundsätzlich Interesse da ist. Ich sollte nicht von Leuten erwarten (!), mit einem Wörterbuch in der Hand meinen Text zu lesen, nur weil ich nicht zugänglicher schreibe. Denn allein zu wissen, was für ein (Fach-)Wörterbuch ich als Leser*in eigentlich bräuchte, ist schon schwierig. So etwas fällt selbst mir als sehr akademisch denkenden Studentin schwer, die gerade ein für sie teils neues und sehr elitäres Thema bearbeitet. Das kann ich doch erst recht nicht von Leuten verlangen, die nicht im akademischen Raum sozialisiert sind. Und erst recht nicht, wenn es „einfach“ darum geht, sich politisch und feministisch auseinanderzusetzen – ohne Anspruch, darüber eine wissenschaftliche Hausarbeit zu schreiben.

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