Definitionsmacht

Darüber wollte ich schon länger etwas bloggen, aber irgendwie brauche ich für sowas immer einen konkreten Anlass, und der kam heute morgen über meinen Feedreader. Heise berichtet darüber, dass einem verurteilten Straftäter nicht der Zugang zum Internet gesperrt werden darf:

Anlass für das Urteil war der Fall eines 55-jährigen Voyeurs. Er war verurteilt worden, weil er mit einer in einer Shampoo-Flasche mit einem Loch versteckten Handykamera ein vierzehnjähriges Mädchen beim Duschen fotografiert hatte. Dummerweise ging der Blitz in der Shampoo-Kamera los, wodurch das Mädchen aufmerksam wurde, das den Mann daraufhin anzeigte.

Das interessante Wort ist natürlich das „Dummerweise“, denn es macht sehr schön die „Positionierung“ des Autors dieses Artikels deutlich: Er identifiziert sich in der ganzen Geschichte mit dem fotografierenden Voyeur, und nicht etwa mit dem Mädchen oder dessen Eltern und Freundinnen.

Diese selbstverständliche Einnahme der Perspektive eines erwachsenen, weißen, gesunden Mannes beim Erzählen gesellschaftlicher Geschichten ist ein Überbleibsel unserer patriarchalen Kultur, die diese Sorte Mensch zur Norm erklärt hat, an der alle anderen gemessen werden müssen. Normalerweise ist diese Positionierung unsichtbar, denn heutzutage – wo das Patriarchat zu Ende ist – wird diese Norm des „alten weißen Mannes“ nicht mehr offensiv vertreten.

Wenn zum Beispiel in dem erwähnten Heise-Artikel der zuständige Redakteur oder die Redakteurin ihre Arbeit sorgfältig gemacht hätte, wäre das Wort „Dummerweise“ aus dem Artikel herausgestrichen worden. Nach den üblichen journalistischen Regeln darf man ja keine wertenden Erläuterungen verwenden. Dann hätte sich dieser Text vollkommen „neutral“ gelesen. Aber es wäre natürlich immer noch derselbe Autor mit seiner immer noch genauso positionierten Perspektive gewesen. Nur dass das nicht mehr „beweisbar“ gewesen wäre.

Im Zuge der Emanzipationsbewegungen des 20. Jahrhunderts (des Proletariats, der Frauen, der Kolonialisierten und „Nicht-Weißen“) hat sich die Vorstellung verbreitet, wir lebten heute in einer „gleichberechtigten“ Gesellschaft, also einer, in der Unterschiede des Geschlechts, der Hautfarbe, des sozialen Status unwichtig sind, da wir alle „gleich“ seien.

Die Behauptung dieser Gleichheit und ihre Überführung in formale Gleichstellung vor dem Gesetz ändert aber nichts daran, dass die Norm, an der diese Gleichstellung sich bemisst, nach wie vor die des erwachsenen weißen Mannes ist. „Gleichgestellt“ wurden immer die „Anderen“. Es wurde ihnen erlaubt, genauso zu werden wie die Norm. Dass in der Realität eine Welt, die von lauter „erwachsenen weißen Männern“ bevölkert wird, nicht funktioniert (weil die „Anderen“ gerade weil sie als anders definiert wurden, als qua Natur zuständig fürs Kinderversorgen zum Beispiel, für das Funktionieren der alten Strukturen unverzichtbar sind), wurde dabei übersehen.

Diese kulturellen Muster der Unterscheidung zwischen „Uns“ (weißen erwachsenen Männern) und den „Anderen“ (Frauen, Armen, „Nicht-Weißen“) sind keine Frage von Gesetzen, sondern durchziehen sämtliche Bereiche der Politik, der Wissenschaft, der Kulturproduktion und des Alltagslebens bis an die Wurzeln. Das hat Simone de Beauvoir in Bezug auf die Geschlechterdifferenz en Detail in „Das andere Geschlecht“ herausklamüstert.

Was kann man nun aber praktisch tun, um aus dieser „Emanzipationsfalle“ herauszukommen?

Der wichtigste Punkt ist natürlich, diese Muster zu erkennen und sich bewusst zu machen. Das fällt logischerweise Menschen, die nicht zu den „Normalen“ gehören, leichter (auch wenn das kein Automatismus ist), weil sie ja laufend mit der Diskrepanz zwischen sich selbst und der „Norm“ konfrontiert sind. Es ist die alte banale Erfahrung, dass ich als Frau in einer Welt, in der ständig das generische Maskulinum verwendet wird (also die männliche Form manchmal wirklich Männer meint, manchmal aber alle Menschen), von klein auf darin trainiert wurde, mich zu fragen, ob ich „mitgemeint“ bin oder nicht – ein Training, das Männern fehlt, weil sie ja automatisch „mitgemeint“ sind, es sei denn, da steht ausdrücklich eine weibliche Form (aus der sie dann bezeichnenderweise sofort schließen, das Ganze ginge sie nichts an).

Aber dieser Mechanismus betrifft eben nicht nur die Sprache, wo es noch relativ einfach ist. Die kulturellen Muster gehen viel tiefer, und es ist oft wirklich nicht leicht zu durchschauen, welche Position in einer bestimmten Situation die dominante ist, die sich selbst zur Norm setzt.

Der Ruf nach „Objektivität“ ist jedenfalls gerade nicht geeignet, um das oben skizzierte Problem zu lösen, weil er die „Normativität“ ja gerade bekräftigt. Äußerliche „Objektivität“ (sich an gesetzliche Verfahrensweisen halten, keine wertenden Ausdrücke benutzen) kann sogar dazu dienen – und tut das auch oft – die eindeutige Positionierung derjenigen, die der Norm entsprechen, erst recht zu verschleiern. Sie behaupten dann zum Beispiel, sie würden doch einfach nur „objektiv“ und „rational“ vorgehen. Und es ist unmöglich, ihnen das Gegenteil zu „beweisen“. (Es ist aber möglich, sie zu überzeugen, allerdings nur, wenn sie an dem Thema wirklich ernsthaft interessiert sind).

Es ist dieser Mechanismus, auf den politische Praktiken antworten, die derzeit unter Stichworten wie „Definitionsmacht“ oder „Geh erstmal deine Privilegien checken“ vorgeschlagen werden. Sie sind der Versuch einer Antwort auf die Tatsache, dass es logisch nicht möglich ist, eine vorgegebene Norm zu brechen, indem man sich den Regeln dieser Norm unterwirft. „The master’s tools will never dismantle the master’s house“, wie es Audre Lorde auf den Punkt gebracht hat.

Bei der Aufforderung, die eigenen „Privilegien zu checken“ handelt es sich also nicht um ein moralisches Verdikt nach dem Motto: „Du, erwachsener weißer Mann, bist ein mit Schuld beladener Mensch und darfst dich daher zum Thema XYZ nicht äußern“. Sondern es ist eine politische Erkenntnis und Praxis, die so viel bedeutet wie: „Ob du, erwachsener weißer Mann, etwas verstehst oder einsiehst, ist nicht der Maßstab, an dem wir unseren Diskurs sinnvollerweise ausrichten können.“

Das ist eine große symbolische Veränderung, denn unsere gesamte Kultur gündet auf der Vorstellung, gesellschaftliche Änderungen könnten sich nur so vollziehen, dass erwachsene weiße Männer von irgendetwas überzeugt werden – und zwar von alten patriarchalen Zeiten, in denen die erwachsenen weißen Männer ihre Definitionsmacht noch ganz ausdrücklich hervorkehrten („Ich bin hier der Herr im Haus“) bis zu heutigen gleichgestellten Zeiten, in denen sie sie über Bande spielen und behaupten, für universale Rationalität zu stehen („Beweis mir das erstmal, erklär mir das erstmal“).

Wenn hingegen „die Anderen“ für sich Definitionsmacht beanspruchen, dann bedeutet das: Wir brauchen euch von gar nichts zu überzeugen. Was zum Beispiel eine Vergewaltigung ist, was eine sexuelle Belästigung ist, dafür gibt es keine „wissenschaftlichen Beweise“, sondern es ist eine Frage der Entscheidung und der Werte, die man setzt. Die Praxis der Frauenbewegung war einfach, dass sie der patriarchalen Definition (Vergewaltigung ist, wenn ein „böser, anderer Mann“ seinen Penis in den Körper einer von „unsere Frauen“ steckt und dabei körperliche Gewalt anwendet) eine andere Definition entgegengesetzt hat (Vergewaltigung ist, wenn die Grenzen der sexuellen Selbstbestimmung und Freiheit eines Menschen überschritten werden).

„Definitionsmacht“ bedeutet, dass die „Anderen“ selbst definieren, welche Bedeutung sie bestimmten Handlungen und Phänomenen geben. Es bedeutet, dass sie sich weigern, sich an einem Diskurs zu orientieren, der sich selbst bereits zur Norm gesetzt hat.

Es bedeutet nicht, dass alle „Anderen“ (alle Frauen, alle People of Color, alle Menschen mit Behinderung und so weiter) einer Meinung wären. Um beim Thema Vergewaltigung zu bleiben: Es gibt unter Frauen natürlich eine große Bandbreite an unterschiedlichen und sogar gegensätzlichen Ansichten darüber, wie  Vergewaltigung zu bewerten und mit ihr umzugehen ist. „Definitionsmacht“ bedeutet nicht, der „Normmeinung“ eine kohärente „Anderenmeinung“ entgegen zu stellen. Sondern es bedeutet, dass bei diesen kontroversen Diskussionen etwa der Frauen über Vergewaltigung lediglich ihre eigenen Wünsche, ihr eigenes Begehren, ihre eigenen Ansichten der Maßstab sind und nicht das, was die Männer sich zu dem Thema bereits gedacht haben. Ähnlich lässt es sich auf die anderen Diskurse übertragen.

Das bedeutet nicht, dass Männer nicht über Feminismus mitdiskutieren dürfen und Weiße nicht über Rassismus. Wer sollte ihnen auch verbieten, ihre Meinungen und Argumente zum Thema zu äußern? Und jede Frau wäre doch bescheuert, wenn sie interessante, originelle und hilfreiche Anregungen, die ein Mann eventuell zum Thema Vergewaltigung einbringt, ignorieren oder gar verbieten wollte.

Es bedeutet auch nicht, dass die Diskurse, die auf diese Weise geführt worden sind, dann nicht auch anschließend in die Mainstreamdiskurse hinein vermittelt werden sollten. Diese Option (auf die Vermittlungsarbeit zu verzichten) gibt es faktisch auch gar nicht, weil die „Anderen“ schon allein aufgrund der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse unweigerlich irgendwann (und meist ziemlich schnell) in Situationen geraten, in denen ihnen gar nichts anderes übrig bleibt.

Nein, es geht ausschließlich darum, dass Männer und Weiße nicht mehr automatisch erwarten können, dass ihre Beiträge auch auf Interesse und Aufmerksamkeit stoßen. Dass sie keinen Anspruch mehr darauf erheben können, dass „die Anderen“ ihre selbst erarbeiteten Maßstäbe im Alltagsleben erst dann anwenden dürfen, dass sie ihr persönliches Handeln erst dann daran orientieren können, wenn es ihnen gelungen ist, die „Normalen“ davon zu überzeugen.

Es ist, nebenbei, höchst aufschlussreich, dass so viele Männer und so viele Weiße das eine vom anderen nicht unterscheiden können.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

138 Gedanken zu “Definitionsmacht

  1. Ich meine (verdeutlichend): Wenn es nun nicht um sexuelle Belästigung, sondern, sagen wir, um einen Einbruch gegangen wäre: „Dummerweise war der Fluchtwagen falsch geparkt und wurde in der Zwischenzeit abgeschleppt“ — Ihrer Denkweise zufolge müßte man aus solcher Formulierung eine Identifikation des Journalisten mit den Räubern vermuten.

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  2. Interessant wird es ja mit der Definitionsmacht, wenn es nicht mehr um Diskurse oder Diskussionen in Gruppen, sondern um Rechtssprechung geht. Gibt es Vorschläge, wie man in Gerichtsprozessen zu sexueller Gewalt Definitionsmacht und die Notwendigkeit, behauptete Schuld zu beweisen, in Einklang bringen kann? Welche Beweise könnten das sein, wenn die bisher anerkannten Beweismittel – wie beweisbare Freiheitsberaubung, sichtbare Zeichen von Gewalt – fehlen?

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  3. @Corinna Milborn – Ich würde die Frage nach der Rechtsprechung erstmal davon trennen, denn da stellen sich mehrere Fragen. Innerhalb des bisherigen Rechtssystems und seiner Logik ist es natürlich vollkommen unmöglich, Menschen rein aufgrund von Beschuldigungen zu verurteilen. Sondern ich glaube, dass gerade diese Fälle die Grenzen dieses Rechtssystems aufzeigen. Das heißt, man sollte sich dessen bewusst sein, dass ein juristischer Freispruch nicht bedeutet, dass der Betreffende auch tatsächlich „unschuldig“ ist. Es spricht natürlich nichts dagegen, auch auf der Ebene der Gesetze Sachen zu verändern (wie ja im Bezug auf Vergewaltigung in der Ehe schon passiert ist), dann natürlich im Bezug auf das Verfahren usw. Aber ich glaube nicht, dass man das Phänomen Vergewaltigung allein auf einer juristischen Ebene anpacken sollte. Von daher habe ich gar keine Probleme damit zu sagen: Das war zwar eine Vergewaltigung, weil das Opfer es so empfunden hat und bezeichnet, aber es war halt keine im juristischen Sinne verfolgbare Vergewaltigung.

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  4. Ich gebe dir in den meisten Punkten recht, aber der Pragmatiker in mir hat dann doch einen Einwand:

    So lange wir alle in der selben Welt leben, müssen wir uns auf bestimmte Dinge einigen. Auf Dein Beispiel Vergewaltigung bezogen:

    Gerne: weg mit der patriarchalen Definition von Vergewaltigung. Gerne auch: her mit einer Definition, die von (eher) Betroffenen entworfen ist.

    Aber: Jeder seine eigene Definition, das geht nicht.

    So lange wir uns darauf einigen, dass wir sexuelle Gewalt sanktionieren wollen (ich gehe mal davon aus) brauchen wir auch eine für alle verbindliche Definition (welche auch immer) was wir darunter verstehen.

    Und so lange zumindest knapp die Hälfte der Bevölkerung hierzulande weiß und männlich ist, muss das auch im Zusammenspiel mit ihnen passieren. Das heißt nicht, dass sie diese bestimmen sollen (siehe oben), aber dass sie ihnen erklärt und verbindlich gemacht wird.

    Die dann doch (zumindest in der Praxis) explizit ausschließende Geste der Definitionsmachtbefürworter ist in dieser Hinsicht eben nicht hilfreich. Das delegitimiert nicht ihren Diskurs, aber schafft nachvollziehbaren Frust und zwar gerade bei denen, die daran interessiert sind, wie Welt besser zu machen.

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  5. Schon — aber Sie werfen dem Autor (oder der Redaktion) ja etwas vor (so etwas wie unterschwellige Komlizenschaft — oder habe ich Sie da ganz falsch verstanden?). Und dieser Vorwurf scheint mir nicht gerecht zu sein, bzw. etwas zu übersehen, nämlich, daß es vom journalistischen Standpunkt hier allein um das Kuriose daran geht, wie der Übergriff ans Licht kam. Mit Verlaub: Das Mädchen ist hier ganz uninteressant. Interessant ist das Mißgeschick (aus der Sicht des Täters ist es eines). Deshalb lacht man ja darüber. Ebenso wie man über die am Ordnungsamt scheiternden Räuber lachen würde: Um den Beraubten geht es auch hier nicht. Ich habe den Verdacht, Sie würden sich an solche einem Spiel mit Perspektiven gar nicht stören, wenn es sich um einen anderen als einen sexuell aufgeladenen Kontext handelte — daher auch mein Vergleich mit der Bankräuberei.

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  6. @mspro – Wieso soll das nicht gehen, dass verschiedene Definitionen von Vergewaltigung im Umlauf sind? Oder anders: Dass verschiedene Definitionen im Umlauf sind, ist doch sowieso eine Tatsache, die sich überhaupt nicht verändern lässt. Wie willst du denn die Menschen dazu bringen, sich auf eine zu einigen (und dann schon auf eine, die von den Betroffenen entworfen wurde, never!) –

    Zum Thema Rechtsprechung hab ich ja bereits in der Antwort auf Corinna was geschrieben und im Bezug auf die Notwendigkeit der Vermittlung in den Mainstream im drittletzten Absatz des Posts.

    Das mit dem Frust kann ich natürlich menschlich nachvollziehen, und ich persönlich bin auch oft bereit, diesen durch Gespräche und Erklärbärinnentum abzumildern zu verhelfen. Aber eine politische Forderung kann das nicht sein. Ich glaube, dass Frusterlebnisse auf Seiten der „Privilegierten“ bis zu einem gewissen Grad bei Revolutionen unvermeidlich sind, auch wenn es erstmal nur um symbolische Revolutionen geht.

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  7. @Antje – Doch, diese Definition haben wir derzeit. Du darfst nicht jeden belieben Menschen in der Öffentlichkeit „Vergewaltiger“ nennen, sondern nur, wenn er nachgewiesener Maßen (verurteilt) nach der rechtlichen Definition einer ist.

    Im Übrigen sind die meisten vom Definitionsmachtkonzept genervten, die ich kenne, Frauen und Femistinnen.

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  8. @Solminore – Nein, ich werfe nichts vor, sondern ich beobachte: Dass der Autor die Perspektive des handelnden Mannes einnimmt und nicht die Perspektive des Opfers. Von daher stimmt sogar auch Ihr Beispiel mit dem Raub: Das Normative nimmt die Perspektive der Räuber ein, nicht die der Beraubten. Sie halten das offenbar für ein Naturgesetz, und genau das ist es, womit ich mich in meinem Post beschäftige 🙂

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  9. @mspro – Aber das, was rechtlich erlaubt ist, ist doch nicht gleichbedeutend mit der Realität oder gar mit der Wahrheit? Dass ich XY nicht öffentlich einen Vergewaltiger nennen darf, ändert doch nicht daran, dass ich ihn faktisch für einen halte und das auch an Orten, wo es mir nicht rechtlich verboten ist, ausspreche?

    (BTW, das wäre eine interessante Frage, die ich momentan gar nicht beantworten kann: Ich darf in meinem Blog nicht schreiben „XY ist ein Vergewaltiger“, wenn er nicht per Gericht als solcher verurteilt wurde. Dürfte ich aber schreiben „Ich bin trotz des Urteils der Ansicht, dass XY ein Vergewaltiger ist.“? Wäre das von der Meinungsfreiheit gedeckt? Ich glaube eigentlich schon.)

    Jedenfalls: XY kann gar nichts dagegen tun, dass ich ihn für einen Vergewaltiger halte, und wenn er noch tausend Gerichte bemüht, damit muss er leben.

    Und mit dem Genervtsein, ach ja. Männer sind frustriert, Frauen genervt, aber das ist doch kein politisches Argument oder ein Kriterium dafür, ob etwas wahr ist oder nicht.

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  10. Na gut. Private Definitionsmacht (so lange du sie für dich behälst) hast du ja schon immer. Forderung erfüllt?

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  11. @mspro – Na, aber politische Debatten und Praktiken sind doch nicht privat! Der Bereich des Politischen befindet sich doch gerade zwischen der bloßen Privatmeinung und dem, was allgemein bereits akzeptiert ist (und nur das spiegelt sich in Gesetzen wieder). Außerdem, du weißt doch: Ich fordere nichts 🙂

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  12. Danke Antje für den Artikel. Sehr interessant zu lesen. Vor allem dieses „dummerweise“-Beispiel fand ich sehr erhellend.

    Konnte man bei FoxNews gut sehen, wie erschütternd manche Menschen die Vorstellung finden, das nicht per default weiße Männer bestimmen (bzw., wenn man so will, die „Definitionsmacht“ haben), welche Themen wahlbestimmend sind bzw. wie eine Wahl ausgeht.
    Das finde ich nämlich auch noch einen wichtigen Punkt. Wer und wen zum „Mainstream“ zählt, ist nicht immer gleichzusetzen mit quantitativ messbaren Mehrheitsverhältnissen.

    @Solminore
    „Mit Verlaub. Das Mädchen ist hier ganz uninteressant.“ Und genau das ist doch genau der Punkt. Das hätte doch die Überschrift von Antjes Post sein können. Und wenn ich schwer traumatisiertes Opfer eins bewaffneten Raubüberfalls wäre, hätte ich auch keinen Bock auf so witzischwitzisch-die-armen-Einbrecherpechvögel-Spaß-Artikelchen.

    @mspro
    Vielleicht ist es wirklich echt hilfreich, mal die juristischen Aspekte einmal außen vor zu lassen? Gerade wenn es um sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen geht, kommt es doch sowieso nur in den seltensten Fällen zur Anzeige. Aus Gründen.

    Das ist wohl auch der Punkt, warum ich bisher mit dem Definitionsmacht Thema sowenig anfangen konnte, weiler für mich immer nur im Kontext von juristischen Fragestellungen aufgetaucht war und ich ihn da als wenig hilfreich betrachte. Den Tätern – und den Menschen die sich in erster Linie mit den Tätern identifizieren (!) – geht es bei der Aufarbeitung von sexuellen Übergriffen vorwiegend um die juristische Konsequenzen.
    Für die Opfer ist die psychische Aufarbeitung des Traumas in der Regel relevanter. Die gesellschaftliche, öffentliche, nicht-juristische Definitionsmacht, die man Opfern sexueller Übergriffe zuspricht, wird sich darauf auswirken, wie das Umfeld mit dem Opfer umgeht, bzw. ob Opfer sich überhaupt trauen sich an jemanden zu wenden, Hilfe zu suchen.

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  13. Wie würdest du denn diesen Fall beurteilen:

    „Um sich das alleinige Sorgerecht für ihren Sohn zu sichern, bezichtigte eine junge Frau wider besseres Wissen ihren Lebensgefährten, sie vergewaltigt zu haben, woraufhin der verhaftet wurde. Eine Kurznachricht auf seinem Handy ließ das Lügengebäude der Frau einstürzen und brachte sie selbst vor Gericht. Wegen Verdachts der falschen Verdächtigung wurde nun gegen sie verhandelt.“

    http://www.badische-zeitung.de/freiburg/sms-laesst-luegengebaeude-einer-frau-einstuerzen–16495880.html

    Es führt eben kein Weg um eine Tatsachenfeststellung herum, wenn nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet werden sollen.

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  14. @mspro: „Im Übrigen sind die meisten vom Definitionsmachtkonzept genervten, die ich kenne, Frauen und Femistinnen.“

    Kunststück! Weil das Konzept hierzulande bis jetzt in erster Linie unter Feministinnen bekannt und verbreitet ist. Klar, dass es dann in dieser Gruppe auch Ablehnung oder abweichende Ansichten gibt. Wieviele (weiße) Männer kennst du denn, die sich überhaupt ernsthaft genug mit diesem Konzept auseinandersetzen, um ggf. genervt zu sein?

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  15. Ich moechte mich auch wegen dem „Dummerweise“ aeussern:
    Ich hatte es persoenlich so verstanden, dass der Taeter verspottet wird, da er
    etwas „Dummes“ gemacht hat. Ich glaube daher nicht, dass der Journalist/die Journalistin sich mit dem Taeter identifiziert, im Sinne von dass er/sie Verstaendnis fuer die Taten aufbringt oder sich gut in die Lage des Taeters versetzen kann geschweige denn diese gutheisst.
    Allerdings identifiziert sich der/die Journalist/in wohl definitiv auch nicht mit dem Maedchen – wie weiter oben geschrieben ist es in diesem Kommentar „unwichtig“.
    Auch werden ja die Handlungen des Taeters beschrieben, und nicht das Geschehen aus Sicht des Opfers.
    Im Prinzip wird das Geschehen aus Sicht des Taeters beschrieben, und durch das „dummerweise“ bewertet (meines Erachtens nach spoettisch). (Ob das uebrigens angemessen ist, ist dann nochmal ein anderes Thema).

    Was bedeutet eigentlich genau „sich mit jemandem identifizieren“? Dass man das gut findet, was derjenige macht? Oder das man erwartet, selber einmal in dieser Situation zu sein? Oder lediglich, dass man dessen Perspektive einnimmt beim beschreiben einer Situation?

    Wie haette den der gleiche Text ausgesehen, wenn sich der/die Journalist/in mit dem Opfer identifiziert haette?
    „Ein Maedchen ist auf einen Voyeur aufmerksam geworden, weil dieser sie mit Blitzlicht mit einer ansonsten versteckten Kamera fotografiert hat“?

    Hm, mehr Fragen als Antworten 🙂
    Und auch viel Text zu einen Unterpunkt von deinem Text, Antje – den Text finde ich uebrigens wie immer sehr interessant. Danke fuers Schreiben!

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  16. @Charlotte – Nein, ich meine nicht „identifizieren“ sondern „die Position einnehmen“. Das kann dann in der Tat auch eine kritische oder abgrenzende Auseinandersetzung sein, etwa „was der macht ist falsch, ich hätte es eher so und so gemacht“. Die Perspektive des Mädchens einzunehmen, wäre noch viel einfacher gegangen als in deiner Variante, nämlich hätte man – wie eine Kommentarin bei Heise schrieb – einfach statt „dummerweise“ „glücklicherweise“ schreiben können.

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  17. @Antje:

    „Dürfte ich aber schreiben “Ich bin trotz des Urteils der Ansicht, dass XY ein Vergewaltiger ist.”? Wäre das von der Meinungsfreiheit gedeckt? Ich glaube eigentlich schon.“

    Und aus welchem Interesse heraus möchtest Du jemanden einen Vergewaltiger nennen, auch wenn Du keine gerichtsfesten Beweise dafür hast?

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  18. @Antje: So formuliert bin ich vollstaendig deiner Meinung 🙂
    Du hast Recht, das „dummerweise“ bewertet die Handlung aus Sicht des Taeters, waehrend „gluecklicherweise“ das Geschehen aus Sicht des Maedchens bewertet haette.

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  19. PS. Noch eine Frage — warum müssen Leute, die Definitionsmacht wollen, eigentlich immer schon in Gebrauch befindliche Wörter umdefinieren; das führt doch nur zur Verwirrung.

    Ich meine, wenn man mit „Vergewaltiger“ jemand anderen meint, als einen, der gerichtlich überführt ist, nach bekannter Definition von „Vergewaltigung“ jemanden vergewaltigt zu haben – warum dafür nicht einfach einen neuen Begriff einführen?

    Etwa Verschwurbeler? Oder Versaubeuteler?

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  20. @Andreas – Na, es könnte ja sein, dass ich Dinge weiß, die vor Gericht nicht vorgetragen wurden oder Beweise habe, die nicht als gerichtsfeste Beweise akzeptiert wurden?

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  21. PPS. Mir fällt auf, dass ich automatisch die Sicht des alten weissen Mannes eingenommen habe – wahrscheinllich, weil ich einer bin.

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  22. Wenn das Definitionsmachtkonzept tatsächlich so gehandhabt würde wie im Artikel beschrieben, könnte, glaube ich, niemand ernsthaft etwas dagegen sagen. Die Praxis scheint mir aber zumindest in der von mir beobachteten netzfeministischen Blase sehr weitgehend eine andere zu sein, das Konzept vielfach dazu genutzt zu werden, abweichende Auffassungen zum Schweigen zu bringen, und das durchaus mit deutlichen moralischen Anklängen.

    Menschlich kann ich das vielfach nachvollziehen, wenn Personen, die nach eigenem Bekunden unter schweren Traumatisierungen und/oder sonstigen Beeinträchtigungen leiden, sich wenigstens in dieser Blase von Anfechtungen freihalten wollen. Dass sich die dazu genutzten Strategien aber in den Mainstream einspeisen lassen könnten, ist weder realistisch noch wünschenswert. Stattdessen wird auf diese Weise letztlich das sinnvolle Definitionsmachtkonzept diskreditiert.

    Von daher sehe ich nicht einfach nur Begriffsstutzigkeit bei den Privilegierten. Die Praxis der Definitionsmacht ist leider nicht so klar wie das hier vorgestellte Konzept.

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  23. Ich finde es ziemlich interessant, wie auch dieser Kommentarstrang sich entwickelt. Es ist eigentlich immer dasselbe: Obwohl du, Antje, in deinem Post die Perspektive, die der Autor einnimmt, gar nicht zu einer unmöglichen erklärst oder sie komplett verurteilst, geht es sofort und beinahe ausschließlich darum, zu rechtfertigen, warum diese Perspektive/Position eingenommen wird. Und schon ist ein Nachdenken über die anderen möglichen Perspektiven auf den Vorgang verhindert. Der Fokus bleibt immer die „normale“ männliche Perspektive – als (unbewusste) gesetzte Norm oder als kritisierte.
    Antjes Post nimmt dagegen diese Beobachtung am Beispiel nur als Ausgangspunkt, um darauf hinzuweisen, dass es andere Sichtweisen gibt und sie gleich gültig zu jener sich selbst als Norm setzenden des weißen Mannes sind. Aber es ist eben genau dieser Gedanke, der durch „Nebenkriegsschauplätze“ abgewehrt wird. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Eine Kritik an dieser Position/Perspektive wird immer noch in der Weise akzeptiert, dass man(n)sich rechtfertig, d.h. nachweist, dass es gar nicht „so“ gemeint war bzw. doch „normal“ ist. Viel schlimmer, ganz unmöglich, ist es dagegen, wenn frau einfach sagt: Diese Sicht interessiert mich nicht. Ist nicht mein Thema. Ist nicht mein Fokus.

    Es gibt unendlich viele „Tatsachen“. Es kommt eben drauf an, welche eine für bedeutsam hält. Jede Sonntag in der Tagesschau hält die Redaktion Autorennen und Männerfussball für wichtig genug, um 5min der Sendezeit dem zu widmen. Mich interessieren Pilzrezepte und -fundorte mehr. Zum Beispiel. Sag dem Professor mal: Männer-Literatur interessiert mich nicht; ich lese nur noch Frauen-Literatur. Sagt der: „Welche Männer-Literatur?“ So bald eine anfängt, die Ignoranz gegenüber jedem möglichen anderen Standpunkt/Blickwinkel auf die männliche „Normalperspektive“ zu spiegeln: „Macht ihr Männer das mal unter euch aus. Ist nicht so mein Ding.“ werden die Herrschaften richtig sauer. Denn es gibt Relevantes, Allgemeingültigmenschliches! Basta Pasta! Tatsache! (Och männo!)

    (Mich interessieren z.B. alle möglichen Definitionen und Aussagen von Männern über Frauen erst mal und bis auf Weiteres eher nicht. Vielleicht später mal. Wenn ich groß bin.“Dummerweise“.)

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  24. ..ein Training, das Männern fehlt, weil sie ja automatisch „mitgemeint“ sind, es sei denn,da steht ausdrücklich eine weibliche Form (aus der sie dann bezeichnenderweise sofort schließen, das Ganze ginge sie nichts an).

    Nicht so viel Polemik!

    „Definitionsmacht“ bedeutet nicht, der „Normmeinung“ eine kohärente „Anderenmeinung“ entgegen zu stellen. Sondern es bedeutet, dass bei diesen kontroversen Diskussionen etwa der Frauen über Vergewaltigung lediglich ihre eigenen Wünsche, ihr eigenes Begehren, ihre eigenen Ansichten der Maßstab sind und nicht das, was die Männer sich zu dem Thema bereits gedacht haben.

    Für das gesellschaftliche Zusammenleben braucht es gewisse Regeln! Es ist nicht möglich bei jeder noch so kurzen Begegnung erst die gegenseitigen Maßstäbe abzugleichen. z.B. ist für einen eine Entschuldigung genug wenn ihm jemand auf den Fuß tritt, ein anderer möchte den Verursacher gleich erschiessen. Da braucht es klare Grenzen welche persönlichen Maßstäbe wir als Gesellschaft akzeptieren und welche nicht.

    Wer sollte ihnen auch verbieten, ihre Meinungen und Argumente zum Thema zu äußern? Und jede Frau wäre doch bescheuert, wenn sie interessante, originelle und hilfreiche Anregungen, die ein Mann eventuell zum Thema Vergewaltigung einbringt, ignorieren oder gar verbieten wollte.

    Mit dieser Meinung stehen sie unter den Feministinnen aber ziemlich einsam da, gerade 2012 habe ich die Erfahrung gemacht das Meinungen und Argumente die nicht denen der Feministinnen entsprechen mit sehr viel Arroganz begegnet wird.

    Auf die aktuelle Feministinnen-Bewegung scheint das Zitat „Die Sklaven wollen nicht frei, sondern Skalventreiber sein.“ sehr gut zu passen.

    Aktuellen Beispiel „Die Grünen“ Frau/Mann oder Frau/Frau ist als Parteivorsitz möglich aber Mann/Mann nicht.

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  25. Antje,
    ich schaue recht regelmäßig in deine Beiträge und sehe mir auch andere feministische Blogs an.
    Ich rede dann manchmal mit einigen Kolleginnen (bin Sozialpädagogin;-) und auch mit Freundinnen über die Themen, die ich gelesen habe.
    Ich stelle dabei für mich und auch in der Reaktion der anderen fest, dass für uns Frauen, die wir bisher Feminismus eher als eine gute Geschichte eingestuft haben,
    mittlerweile kaum noch ein inhaltliches Mitgehen möglich ist.
    Das bedeutet auch, dass ich mich über die netzfeministischen Blogs mittlerweile richtig ärgere, weil sie eher der Sache schaden.
    „Definitionsmacht“ ist dabei ein gutes Beispiel – bin z.B. bzgl. meiner Arbeit sehr froh, dass wir in einem verlässlichen Rechtsstaat leben und nicht in einem System mit einer Definitionsmacht einzelner Individuen oder Gruppen.
    Ich hoffe ganz ehrlich, dass „ihr“ bald von eurem Extremkurs zurück zu Ideen findet, die uns ALLEN gut tun.

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  26. Liebe MelusineB: Du sprichst mir so aus der Seele. So sehr. Tatsächlich ist mir genau das auch schon aufgefallen (auch andernorts, etwa bei pinkstinks). Antje erklärt die Funktionsweisen der mainstream-Diskurse. Sie zeigt Alternativen auf. Es kommen lauter Kommentare, die anscheinend den Sinn von Antjes Texten gar nicht verstanden haben und führen nickelige Diskussionen um Nebenschauplätze. Und dann wird von Leuten, die kapiert haben worum es geht, ganz freundlich auf die Nebenschauplätze eingegangen. Das kostet so viele Kapazitäten, diese Auseinandersetzung mit den Mainstream-Verteidigern. Kapazitäten, die man sonst dafür nutzen könnte, nicht auf ausgetrampelten Gedankenpfaden zu latschen. Ich muss zugeben, dass ich das sehr ermüdend finde. Deshalb lese ich Antjes Blog meistens nur im Reader, da komme ich nicht in Versuchung die Kommentare zu lesen…
    Aber heute mache ich eine Ausnahme, weil ich Dir liebe Antje, einfach mal mitteilen möchte, wie sehr mir dieser Artikel gefallen hat, dass ich finde, dass Du die Definitionsmacht ganz ausgezeichnet erklärt hast und dass ganz viele Post von Dir bei mir im Reader mit einen „star“ geaddet werden, weil sie so toll geschrieben sind und die Sachverhalte so gut auf den Punkt bringen. Ich freue mich auf weitere Post von Dir… in meinen Blogreader.

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  27. Sondern es ist eine politische Erkenntnis und Praxis, die so viel bedeutet wie: „Ob du, erwachsener weißer Mann, etwas verstehst oder einsiehst, ist nicht der Maßstab, an dem wir unseren Diskurs sinnvollerweise ausrichten können.“

    Da fehlt ein Wort: Es ist nicht automatisch der Maßstab. Oder: Es ist nicht immer der Maßstab.

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  28. Wunderschön zu lesen, danke Antje. 🙂

    Darüber wie nun ‚dummerweise‘ wirklich gemeint ist, mag ich gar nicht streiten. Nach kurzem Kommentarlesen war mir nämlich dann auch klar, was Antje mit Positionierung meint. Und besonders gut gefallen haben mir auch die sehr anschaulichen Ergänzungen von MelusineB, zentral der Satz „Es gibt unendlich viele ‚Tatsachen‘. Es kommt eben drauf an, welche eine für bedeutsam hält.“

    Auch zum Thema ‚verbindlicher Defintion von Vergewaltigung‘ fällt mir die Unterscheidung zwischen juristischer Ebene und anderen Ebenen nicht schwer und kann mehrere zugleich anerkennen: Ich kann jederzeit sagen: „Ich fühle mich vergewaltigt von diesem Menschen“, ganz egal ob er nun dafür verknackt wurde oder nicht. Wenn unsere Gesetze deckungsgleich wären mit dem, was wir Menschen wahrnehmen und empfinden, dann wären ja gar keine Gerichte nötig! Das Leben besteht genau so wenig nur aus Gesetzen und Gerichtsurteilen wie es aus Geld, Macht oder Konsum besteht. Es sind verschiedene, für ihren jeweiligen Bereich mehr oder weniger notwendige Perspektiven. Und darum, wie wichtig es ist, welche Perspektiven für wen sichtbar sind und wem gezeigt werden, geht es in diesem Blogpost, wie ich glaube.

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  29. @Max – „Für das gesellschaftliche Zusammenleben braucht es gewisse Regeln!“ Nein, für das gesellschaftliche Zusammenleben braucht es die Fähigkeit der Menschen, in konkreten Situationen sich immer wieder neu über die Regeln zu verständigen, denn nur in einem minimalen Prozentsatz unseres sozialen Lebens greifen wir faktisch auf Gesetze zurück, für die allerallermeisten Situationen, in denen wir mit anderen Menschen zusammen kommen, gibt es keine klar definierten Regeln.

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  30. Esthi & MelusineB, vielen Dank Euch beiden. Und großen Dank an Antje Schrupp. Bin gerade zufällig über diesen Blog-Post gestolpert und habe mit großer Freude diesen qualitativ hochwertigen, sauber argumentierten Post gelesen – sowie alle Kommentare.
    Esthi und MelusineB, Ihr sprecht mir aus der Seele.
    Es scheint schwierig zu sein, sein eigenes Denken zu reflektieren und gleichzeitig zu denken. 😉
    Das meine ich durchaus ernst.
    Ich denke, dass einige Leute den Kern des Blogposts nicht verstanden haben, weil sie vielleicht nicht gewohnt sind, das eigene Argumentieren und die eigene Wortwahl zu reflektieren. Es denken nicht allzuviele Menschen freiwillig darüber nach, auf welche Weise sie eigentlich nachdenken. Was sie dabei glauben, was sie dabei fühlen, und wem sie Macht einräumen und wem nicht. Und selbst nachdem man darauf gestoßen ist, dass es sinnvoll sein kann, sich selbst beim Nachdenken zu beobachten – es braucht Zeit, man muss sich daran erst gewöhnen.

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  31. Sondern es bedeutet, dass bei diesen kontroversen Diskussionen etwa der Frauen über Vergewaltigung lediglich ihre eigenen Wünsche, ihr eigenes Begehren, ihre eigenen Ansichten der Maßstab sind und nicht das, was die Männer sich zu dem Thema bereits gedacht haben. Ähnlich lässt es sich auf die anderen Diskurse übertragen.

    Damit habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich habe auch keine Schwierigkeiten, wenn in einem therapeutischen Kontext eine Frau einen Übergriff aufarbeitet und als Vergewaltigung bezeichnet, der im juristischen Sinn nicht unbedingt eine Vergewaltigung ist. Schwierig wird es, und da stimme ich @mspro und @Corinna zu, wenn es um Sanktionen gegen den Täter geht.

    Über den Wikipedia-Eintrag bei Wikipedia bin ich auf einen etwas älteren Artikel in der Jungle World gestoßen, der sich kritisch mit dem Konzept befasst: Kein Kavaliersdelikt. Ich habe durch diesen Artikel gelernt, dass Definitionsmacht in der linken Szene schon seit längerem diskutiert wird, und dass sie teilweise auch angewendet wird, wenn es zu einem Übergriff gekommen ist, worin auch immer dieser Übergriff konkret bestehen sollte. Die Sanktion besteht meistens darin, dass der Täter aus den gemeinsamen Räumen (meistens besetzte Häuser) ausziehen soll, was schon eine gewissen Eingriff in sein Leben darstellt. Es geht also hier durchaus darum, jemanden zu bestrafen, aber außerhalb des Rechtsstaats.

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  32. da krieg ich doch echt das kotzen, wenn ich lese, wie hier dann immer gleich der fokus auf den täter gelegt wird.
    susanna14, nein es geht nicht um ein bestrafen des täters, sondern darum was die bedürfnisse der betroffenen sind. manchmal kann das sein, dass der täter ein hausverbot bekommt. die alternative ist doch, dass die betroffene person wegzieht oder alle die räume meiden muss, in denen der täter rumhängt. warum ist dir sowas egal? es geht darum einen schutzraum für die betroffene person zu schaffen.

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  33. Ich denke es war nicht so gemeint – aber kann das nicht-anerkennen einer Norm unter Umständen nicht dazu führen, das damit auch gleichzeitig die ‚Idee der Wahrheit‘ der ‚Idee der Meinung‘ weicht?
    Alles ist dann nur noch Meinung und eine Verständigung über einzelne Sachverhalte ist aufgrund der unterschiedlichen Definitionen gar nicht mehr möglich.

    Ich will hier keine weißen Männer verteidigen, aber es hat auch einen praktischen Sinn das wir nicht andauernd Normen, Vorannahmen und Begriffe neu aushandeln müssen.

    Wenn mein/e Chef/In meine Arbeit beurteilt und mein/e Arzt/In eine Diagnose stellt, dann vertraue ich diesen Leuten einfach – nicht weil sie weiße Männer/Frauen sind sondern weil ich denke, sie sind in diesem Bereich einfach Kompetenter als ich.

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  34. Unglaublich toller Post! Vielen Dank, sag ich mal als Weisser Mann, allerdings homosexuell, was in Bezug auf männlicher Blick/Positionierung dahingehend nicht soviel ändert. Gerade der Perspektivwechsel fällt mir echt oft schwer, da ich persönlich einfach lernen musste als Mann mich durchzusetzen um meine Männlichkeit zu beweisen. Gerade als Jugendlicher ein großer Druck, dadurch fehlt mir dann manchmal die Empathie gegenüber anderen, was dann Grenzüberschreitungen erkennen auch schwierig macht. Was nichts entschuldigen soll, weil es ja erlernbar ist, empathischer auf andere zu achten.
    Was mir auch immer wieder mal auffällt, wenn ich zu zweit mit einer Frau unterwegs bin, und wir beide werden etwas gefragt. Dann werde ich meistens angesprochen und auch immer wieder angeschaut, auch habe ich öfter das Gefühl, das wenn ich was sage, wird mir eher interessiert zugehört, als der neben mir stehenden Frau. Gerade im Alltag gbt es soviele Dinge, die Beobachtbar sind , die die Normbeschreibung im Artikel aufgreift …
    Nachmal vielen Dank für diesen Post.

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  35. Mich interessiert nochmal der Punkt der „äußerlichen Objektivität“ – Antje schreibt:

    „Äußerliche „Objektivität“ (sich an gesetzliche Verfahrensweisen halten, keine wertenden Ausdrücke benutzen) kann sogar dazu dienen – und tut das auch oft – die eindeutige Positionierung derjenigen, die der Norm entsprechen, erst recht zu verschleiern. Sie behaupten dann zum Beispiel, sie würden doch einfach nur „objektiv“ und „rational“ vorgehen. Und es ist unmöglich, ihnen das Gegenteil zu „beweisen“.“

    Beispiel dafür war, das Wort „dummerweise“ einfach wegzulassen. Dann bleibt tatsächlich nur die reine Meldung übrig – ohne Wertung.

    Frage: Was ist daran schlecht? Inwiefern ist die tatsächliche Positionierung des Autors von Interesse – wenn er sich doch zusammen reisst und seine entsprechenden Wertungen gar nicht erst in den Text bringt?

    Ich schaue im Alltag nur dann darauf, WER etwas schreibt, wenn mir irgend etwas in dem Text „besonders“ vorkommt – im Guten wie im Schlechten. Der große Rest der Texte könnte auch von einem Automaten oder besonders intelligenten Affen stammen, mich interessiert da der Inhalt, nicht die Autorin oder der Autor.

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  36. Mir ist immer noch unklar, wie die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung durch die angeblich vergewaltigte Frau im Rahmen des Definitionsmacht-Konzeptes zu verorten ist.

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  37. @El_Mocho – Die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung kann man natürlich nie ausschließen. Das ist aber nicht nur bei Vergewaltigungen so, sondern ein allgemeines Phänomen des menschlichen Lebens: Menschen können lügen.

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  38. @ClaudiaBerlin – Na, wenn das Wort weggelassen würde, hätte der Autor immer noch dieselbe Perspektive, sein Text würde nicht dadurch „neutral“, dass man nicht auf den ersten Blick sieht, welche Perspektive er hat. Das, was Melusine oben in ihrem Kommentar schreibt: Welche Tatsachen hält er für relevant, welche nicht? Die Positionierung des Autors entscheidet darüber, wie er auswählt – und wir als Lesende wissen ja nicht, welche Tatsachen er als irrelevant weggelassen hat.

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  39. @BasementBoi – Ja, genau, wir oszillieren zwischen „Wahrheit“ und „Meinung“. Hannah Arendt hat deshalb als Zwischending den Begriff „Urteil“ eingeführt, mit dem sich nicht ein Gerichtsurteil meinte, sondern dass verantwortlich handelnde Subjekte sich aufgrund des ihnen verfügbaren Wissens und nach gründlichem Denken ein Urteil über eine Sache bilden. Politische Subjekte sind Menschen, die sich über ihre Urteile (die in der Regel unterschiedlich ausfallen, denn das Wesen des Menschen ist Pluralität) untereinander austauschen. Hannah Arendt hat als Grundlage des „Bösen“ in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus das Probem ja gerade darin identifiziert, dass Menschen sich nicht auf diese Weise persönliche Urteile bilden, für die sie dann auch Verantwortung übernehmen und zu denen sie stehen, sondern dass sie sich auf „ist doch bloß meine Meinung“ zurückziehen und ansonsten Befehle von oben befolgen („Steht doch so im Gesetz“). Worumes bei der Bereitschaft zum verantwortlichen Urteilen geht, ist weder die Suche nach einer „absoluten Wahrheit“, die dann für alle gilt und die man daher allen aufdrücken kann, weil man selbst hat ja recht und die anderen nicht, es ist aber auch nicht einfach subjektive Meinung nach dem Motto „das denke ich mir grade mal spontan so“. Wie du in deinem Beispiel sagst: Ein Teil dieser politischen Praxis ist es, auf das Urteil von Autoritätspersonen zu vertrauen. Aber auch das erfordert ja zunächst ein persönliches Urteil, nämlich darüber, WEM du vertraust. Und das muss dann auch wieder jede_r für sich entscheiden.

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  40. @susanna 14 – Ich finde diesen Artikel zu kompliziert – also nicht zu kompliziert geschrieben, sondern die Definitionsmacht-Idee als zu kompliziert verstanden. Wobei das ja auch eine durchgehende Erfahrung seit den 68ern ist, dass linke Szenen gerne einfache Sachen furchtbar kompliziert aufblasen. Wenn eine WG beschließt, dass in ihren Räumen nicht mehr geraucht wird, und eine Person aber darauf besteht, dort rauchen zu wollen, muss sie ausziehen, ganz egal, ob Rauchen in der Gesellschaft allgemein verboten ist. So einfach ist das mit der Definitionsmacht. Und ebenso ist es, wenn sich eine Wohngruppe darauf verständigt, andere Maßstäbe für sexuelle Übergriffigkeit anzulegen als das außerhalb üblich ist. Oder dass keine Tierprodukte mehr in den Kühlschank kommen oder was weiß ich. Wir diskriminieren dauernd, und das ist auch gut so! https://antjeschrupp.com/2010/09/19/diskriminierung-aufzucht-und-hege/ Und, klar, wenn ich jemanden nicht leiden kann, dann „bestrafe“ ich ihn ganz ohne Grund dadurch, dass ich ihn nicht mehr auf meine Parties einlade, oder wenn mir jemandes Tonfall nicht gefällt, dann lösche ich seine Kommentare einfach so weg.

    Dass in Gruppen Regeln gelten, die unter Umständen nicht mal offen ausgehandelt wurden, sondern teilweise implizit sind, die ständig im Fluss sind usw. ist ganz normal, und damit klarzukommen, ist Beziehungskompetenz. Das ist der normale Alltag, und nur in krassen Fällen, nämlich wenn die Beziehung zerrüttet ist, geht es dann vor Gericht. Aber auch dann wird nicht nach Gerechtigkeitsaspekten entschieden, sondern danach, auf wen der Mietvertrag läuft oder wer mehr Geld hat, um einen guten Anwalt zu bezahlen.

    Dass Leute also „außerhalb des Rechtsstaats bestraft“ – aka „ungerecht“ behandelt werden, ist völlig normal und gang und gäbe, denn es gibt auf der Beziehungsebene keinerlei Pflicht, irgendjemanden „gerecht“ zu behandeln, diese Pflicht haben nur öffentliche Institutionen. Ich hingegen kann ganz handeln wie ich will, nach Sympathien, nach Bauchgefühl, nach spontaner Meinung und im besten Fall tue ich das aufgrund verantwortlicher Urteile, wie ich im vorigen Kommentar geschrieben habe. Und dasselbe gilt für Gruppen, die nicht den Anspruch haben, die gesamte Gesellschaft zu repräsentieren.

    Diskriminierung ist also ganz normal, sie findet ständig und überall statt. Das Konzept „Definitionsmacht“ weist lediglich darauf hin, dass es eben auch mal diejenigen sein können, die nicht den Mainstream repräsentieren, die – in ihren Einflussbereichen, die ja naturgemäß immer nur klein sind – andere diskriminieren, und das ja noch nicht mal willkürlich, sondern aufgrund eines politischen Urteils, das sie gefällt haben, das nicht die Mehrheit der Gesellschaft teilt. Ich verstehe, ehrlich gesagt, die Aufregung darüber nicht und halte sie – wie gerade auch diesen Artikel – für total aufgeblasen.

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  41. Definitionsmacht ist wohl viel diskutiert und immer wieder in Frage gestellt- zu beachten von welchen Personengruppen –
    doch wird keiner einem Menschen absprechen , seinen Schmerz zu formulieren wenn Mensch hingefallen ist , der Grad an Schmerz vermag die nicht gestürzte Person nicht Ermessen , dies ist eigenen Definition …
    manch einer geht auch erst in die Notaufnahme wenn der Kopf nicht mehr auf den Schultern sitzt und der neben dran ist bei dem -scheinbar- kleinsten Schnitt dort und holt sich ein Pflaster ab –
    fragt man beide Personen was sie haben , werden sie wohl sagen das sie Schmerzen haben – beide haben nach ihrer eigenen Definition recht !

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  42. Der Heise-Artikel von Florian Rötzer hat weder das Opfer, noch den Täter, noch die Tat zum Inhalt, sondern die Meldung, daß ein Berufungsgericht die zusätzlich zur erstinstanzlichen Verurteilung ausgesprochene „sexual offences prevention order“ für „völlig übertrieben“ hielt und aufhob.

    Inhalt dieser SOP war das lebenslängliche (sic!) Verbot, „einen Computer zu besitzen, eine Kamera in der Öffentlichkeit zu benutzen [… ,] bei der Arbeit in Kontakt mit Kindern zu kommen [und die] Polizei erhielt das Recht, zu jeder Zeit seine Wohnung zu durchsuchen.“

    Die Diskussion über Identifizierung oder Positionierung, die aufgrund des aus welchen Gründen auch immer eingefügten Begriffs „dummerweise“ entfacht wurde, lenkt völlig vom eigentlichen Thema des Heise-Beitrags ab. Weswegen ich auch – angesichts der fortschreitenden Versuche in der EU, in unsere Grundrechte einzugreifen, höchst unglücklich darüber bin, daß für einen Aufhänger die eigentliche Problematik völlig ausgeblendet wird.

    Nichtsdestotrotz ist die Errungenschaft der „Definitionsmacht“ eine Folge der Entdeckung des Individuums, seiner Grundrechte und seines Wertes. Davon profitieren im Grunde alle Menschen in unserer Kultur, unabhängig von stereotypen Kategorien wie „weiß“ oder „männlich“, da sie auch diejenigen, die der Stereotypisierung durch Dritte anheimfallen, sich mittels Definitionsmacht daraus befreien können.

    Der Nachteil ist, daß Definitionsmacht als Ausdruck radikaler Subjektivität im Solipsismus endet (eine Kritik, die auch gegenüber dem radikalen Konstruktivismus erhoben wird) und zur Folge hat, daß niemand mehr mit niemandem sich mehr verständigen kann, weil es keine intersubjektive empirische Basis und damit keine Grundlage zur Kommunikation mehr geben kann.

    Deshalb ist Definitionsmacht auch als Instrument juristischer Urteilsfindung völlig ungeeignet, weil sie sich jeder intersubjektiven Begründung entzieht und auch keinen argumentativ gestützten Konsens anstrebt, denn wer selbst Definitionsmacht ausübt, „hat“ per definitionem (das) Recht der Definition (auf der eigenen Seite).

    Wenn also beispielsweise die Vertreter der Film- und Musikindustrie als Opfer von Filesharing im Internet Definitionsmacht ausüben und Kopien aus illegalem upload und illegalem download als „Raubkopien“ definieren können, würde die bisherige geltende legistische Definition und würde auch das alltägliche Verständnis von „Raub“ oder „Diebstahl“ neu definiert werden von denen, denen die Macht dazu gegeben wird.

    Zudem glaube ich auch nicht, daß wir das Paradox, einerseits gegen Machtstrukturen auftreten zu sollen und andererseits Definitionsmacht ausüben zu wollen, befriedigend auflösen zu können, ohne im Ende nur die Agenten der Macht gegeneinander auszuwechseln.

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  43. @Antje

    Du schreibst:

    Wenn eine WG beschließt, dass in ihren Räumen nicht mehr geraucht wird, und eine Person aber darauf besteht, dort rauchen zu wollen, muss sie ausziehen, ganz egal, ob Rauchen in der Gesellschaft allgemein verboten ist.

    Kommentar:

    Diese Aussage scheint mir grundsätzlich falsch zu sein! Je nach Mietvertrag, gesetzlichen Regelungen/Bestimmungen und sonstigen Vereinbarungen muss diejenige Person ausziehen oder eben nicht. Das Definitionsmacht-Konzept hilft Dir hier überhaupt nicht weiter! Schlussendlich regelt der Rechtsstaat, wie ein Mietverhältnis ausgestattet ist und nur dort, wo der Staat quasi den Parteien es überlässt, was Sache sein soll, kommen andere Vereinbarungen zum Zuge. Aber die involvierten Personen können selbstverständlich Klage einreichen, wenn es hier zu Streitigkeiten kommt und schlussendlich wird der Rechtsstaat/ein Gericht entscheiden, was Sache ist und somit ist das Definitionsmacht-Konzept in einem Rechtsstaat quasi ein Witz. Es hat zumindest keine rechtlich bindende Wirkung und ist zumindest in diesem Kontext vollständig ohne Bedeutung/Wirkung. Selbstverständnis hat z.B. ein/e HauseigentümerIn das Recht, eine Person des Hauses zu verweisen, wenn es ihr beliebt, aber diese Definitionsmacht besteht eben n u r aufgrund der rechtsstaatlichen Gesetzgebung und wenn die Definitionsmacht rechtsstaatlich nicht codifiziert ist, dann ist sie eben rein rechtlich gesehen vollständig irrelevant. Definitionsmacht ohne rechtsstaatliche Bindung würde quasi zur Selbstjustiz führen und ein Rechtsstaat ist ja u.a. deshalb geschaffen worden, damit Selbstjustiz ausgeschlossen wird.

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  44. @Joachim Losehand – Ich wollte nicht über das Thema berichten, um das es in dem Heise-Artikel ging, sondern habe ihn nur als Beispiel genommen für ein anderes Thema. Dass es beim Definitionsmacht-Konzept nicht um ein juristisches Verfahren geht, habe ich ja geschrieben. Allerdings bin ich nicht der Meinung, dass es sich dabei um „radikale Subjektivität“ handelt, sondern um eine politische Praxis, die gerade durch das Aushandeln und Diskutieren mit anderen aus der bloßen Subjektivität hinausgeht und gerade deshalb in der Lage ist, gesellschaftliche Veränderungsprozess anzustoßen (was nämlich nicht geht, wenn man sich im Rahmen des Mainstreams und des schon verbindlich Ausgehandelten bewegt.

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  45. @chomskyy – Ich sehe es genau anders herum: Ich habe in meinem Leben schon in vielen Konstellationen mit anderen Menschen zusammengewohnt und immer war das Ergebnis etwas, das völlig ohne Rückgriff auf den Rechtsstaat und seine Gesetze zustande gekommen ist. Ich bin der Meinung, dass der Rechtsstaat niemals in der Lage ist, Beziehungsfragen unter Menschen zu klären, sondern immer erst dann ins Feld kommt, wenn die Beziehungen gescheitert sind. Und dann kann er das Problem nicht lösen. Selbst wenn der Raucher vor Gesetz Recht bekäme, dort wohnen zu bleiben (weil zum Beispiel der Mietvertrag auf ihn läuft), wird er nicht mehr wie vorher mit den anderen Menschen dort zusammenleben können, weil die WG zum Beispiel so zerrüttet ist, dass es ihm auch keinen Spaß macht, dort wohnen zu bleiben, oder weil die anderen ausziehen oder was auch immer. Der Rechtsstaat tritt nicht anhand der Selbstjustiz, denn die Selbstjustiz ist Lebensalltag, wir üben sie ständig aus (indem wir uns Urteile zu allem Möglichen bilden und entsprechend handeln), sondern er setzt der Selbstjustiz nur dort Grenzen, wo die Allgemeinheit ein Interesse daran hat. Also zum Beispiel wenn meine Selbstjustiz nicht darin besteht, die Beziehung zu jemandem aufzukündigen und ihn von nun an doof zu finden und nicht mehr sehen zu wollen (was auch das Ergebnis eines „Urteils“ ist, das ich gefällt habe), sondern in dem Moment, wo ich etwas „strafrechtlich Relevantes“ tue, zum Beispiel ihn schlagen oder umbringen. Dass das „Definitionsmachtkonzept“ an den Rechtsstaat gebunden ist, ist also sowieso eine Tatsache, aber in den allermeisten Fällen ist der eben gar nicht involviert.

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  46. Es scheinen immer noch etliche ein Problem mit der Auffassung zu haben, dass die Perspektiven „Defintionsmacht“ und „Rechtsstaatlichkeit“ einander nicht ausschließen. Es sind doch einfach nur verschiedene Ebenen. Weder glaube ich, dass sich auf eine Gesetzgebung verzichten lässt, noch ist die Annahme sinnvoll, dass jeder Bereich des Lebens (und vor allem menschliche Beziehungen) durch Gesetze durchreguliert werden könnten oder sollten. Gesetze und die gesellschaftlichen Beziehungen, aus denen sie entstehen, beeinflussen einander gegenseitig.

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  47. Wie würdest du denn die Gefahr eines Missbrauchs der Definitionsmacht sehen?
    sie wird ja teilweise so gebraucht, dass nur der andere (ich halte dieses Konzept für zu simpel) definieren darf, alles andere sei eben Unterdrückung.
    ich finde es auch etwas einfach bestehendes einem Lager, den normalen, zuzuordnen. viele Frauen akzeptieren ja z.B. die Definition des § 177 StGB. Wie erkennt man, wer die Meinung der Gruppe und nicht nur von Teilen von ihr wiedergibt?

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  48. „Die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung kann man natürlich nie ausschließen. Das ist aber nicht nur bei Vergewaltigungen so, sondern ein allgemeines Phänomen des menschlichen Lebens: Menschen können lügen.“

    Das ist mir schon klar. Deshalb käme auch niemand auf die Idee, einem Bestohlenen z.B. das Recht einzuräumen, nur selber festlegen zu können, wer der Dieb ist, ohne den Beschuldigten anzuhören und diesen nur zu verurteilen, wenn seine Schuld nachweisbar ist.

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  49. Die Definitionsmacht der Schülerin kollidiert hier mit den Norm/Regelvorgaben ihrer Schule. Absurd, dass das Bundesgericht nun über Scham- und Schutzempfinden der Jugendlichen ‚richten‘ soll.

    Burkini-Streit kommt vors Bundesgericht
    [http://www.fr-online.de/frankfurt/muslime-schwimmunterricht-burkini-streit-kommt-vors-bundesgericht,1472798,20880142.html]

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  50. @Antje – frage mich ob der Begriff „Definitionsmacht“ nicht der Erweiterung bedarf?
    Definitionsautorität kam mir in den Sinn (inspieriert durch das ABC des guten Lebens – Stichwort ‚Autorität‘).

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  51. „wir üben sie ständig aus (indem wir uns Urteile zu allem Möglichen bilden und entsprechend handeln)“

    Wenn ich die Beziehung zu jemanden aufkündige, weil ich z.B nicht mehr mit einem Raucher zusammenleben möchte, dann hat das mit Selbstjustiz nicht das geringste zu tun. Wenn ich dagegen den Raucher seiner Rechte berauben möchte, indem ich ihn aus der Wohnung herausekele, obwohl wir ursprünglich übereinkamen, das Rauchen OK sei, schon – vorausgesetzt, des Rauchers Rechte sind justitiabel.

    In dem einen Fall ziehe ich Konsequenzen, die ich auch dem anderen erlaube.

    Im anderen Fall masse ich mir ein Verhalten an, dass ich, wäre es gegen mich gerichtet, nie erlauben würde.

    Ich kann für meine Sichtweise nur werben. Damit sie allemeinverbindlich wird, muss ich für sie werben, weil nur die Allgemeinheit Macht ausüben darf ( und auch kann – vor der Macht ist letztendlich jede andere gering ). Ich kann meine Sichtweise aber nicht für allgemeinverbindlich erklären.

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  52. Ich las gestern den Artikel und dachte zunächst bei mir:
    Das muss ja ein blöder Artikel sein – aber ich bin froh, dass er Anlass war, dass Antje Schrupp diesen anregenden Blogpost geschrieben hat. Abends im Bett dachte ich über dieses Wort „Dummerweise“ nach und darüber, wie die zitierte Meldung klingen würde, stünde da, wie Antje schrupp vorschlägt, stattdessen „Glücklicherweise“. Ich dachte bei mir: das ist so simpel! Und ja, es gibt der Nachricht eine ganz andere Haltung. Weiters dachte ich darüber nach, wann bspw. das Wort „Unglücklicherweise“ passen könnte. Ich überlegte mir folgendes Szenario aus: Eine verdeckte Ermittlerin will zwei männliche Personen beschatten in der Sauna. Sie versteckt ihre Handykamera in einer Shampooflasche. Unglücklicherweise geht der Blitz los…Würde man hier schreiben: Dummerweise ging der Blitz los, läse sich das in der Tat so, als wäre die Frau zu blöd, sich wie eine professionelle Ermittlerin zu verhalten. Und es würde, unterschwellig auch ein Klischee bedienen: Frauen und Technik…Möglicherweise. So im Mainstream.

    Dann fand ich, dass die Wahl des Wortes „Dummerweise“ auch was Hämisches hat, etwas von Schadenfreude. Das wiederum ist auch Mainstream – vor allem in den Medien: im Fernsehen, in der Zeitung, überall freut man sich, wenn man jemanden bloßstellen und draufhauen kann.

    Dann las ich heute den kompletten Artikel. Ich stellte fest, dass ich ihn nicht mehr unbefangen lesen konnte, merkte jedoch sofort, dass das Wort „Dummerweise“ mich gar nicht so sehr störte. Ich empfand es nicht so, als drückte es eine von weißer, männlicher Definitionsmacht dominierte Haltung des Schreibenden aus, weil eben der Artikel gar nicht – wie von mir vorgestellt – oberflächlich und/oder gedankenlos war – sondern tatsächlich der Schwerpunkt auf dieser seltsamen „SOPO“ liegt.

    Nichtsdestotrotz finde ich den Blogpost wie gesagt anregend. Und insgesamt kann ich feststellen, dass ich keinen Bock mehr habe, mir bspw. im Radio eine Sendung zu einem Thema anzuhören, wo nur Männer sprechen/eine Sache bewerten. Es ist genau diese von Antje Schrupp beschriebene Definitionsmacht, der ich mich nicht mehr aussetzen will. Ich schalte dann einfach aus, weil ein Thema, nur von Männern beleuchtet, für mich nicht mehr relevant ist. Das kommt, weil ich schon so lange dieses Blog lese. Vielen Dank an dieser Stelle.

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  53. Wenn eine WG beschließt, dass in ihren Räumen nicht mehr geraucht wird, und eine Person aber darauf besteht, dort rauchen zu wollen, muss sie ausziehen, ganz egal, ob Rauchen in der Gesellschaft allgemein verboten ist. So einfach ist das mit der Definitionsmacht.

    Im Grunde wird das so ja schon oft gelebt – vielleicht eher unter dem Label selbstbestimmtes Verhalten.

    Das Problem welches ich an diesem Ansatz sehe ist, dass er sich nicht grundlegend von der patriarchalischen Struktur unterscheidet. Eine Gruppe/Mensch zwingt einer anderen Gruppe/Mensch Nachteile (Umzug/ggf Wohnungslosigkeit) oder Verhaltensweisen (nicht rauchen) auf.

    Man kann nicht immer für alle Beteiligten einen zufriedenstellenden Kompromiss/Lösung finden, aber der Mensch oder der Gruppe die Definitionsmacht ausgeübt hat, sollte dann auch Verantwortung dafür tragen das die benachteiligten Personen ebenso ihre Lebensqualität erhalten können.

    Ich finde es wichtig das man Macht und Verantwortung nicht voneinander trennt.

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  54. @Antje

    Du schreibst:

    Ich sehe es genau anders herum: Ich habe in meinem Leben schon in vielen Konstellationen mit anderen Menschen zusammengewohnt und immer war das Ergebnis etwas, das völlig ohne Rückgriff auf den Rechtsstaat und seine Gesetze zustande gekommen ist. Ich bin der Meinung, dass der Rechtsstaat niemals in der Lage ist, Beziehungsfragen unter Menschen zu klären, sondern immer erst dann ins Feld kommt, wenn die Beziehungen gescheitert sind.

    Kommentar:

    Nun stellt sich natürlich schon mal die Frage, was Du alles unter Beziehungsfragen subsumierst?? Fällt z.B. das Mietrecht unter die Beziehungsfragen? Wenn sich eine mehr oder weniger anonyme Verwaltung mit ev. tausenden von MieterInnen auseinandersetzt? Das was ich unter Beziehungsfragen verstehe, sind doch eigentlich menschliche Verhältnisse, wo sich nicht einfach zwei mehr oder weniger anonyme Menschen gegenüberstehen, sondern Menschen, wo ein längeres persönliches Verhältnis von face-to-face vorhanden ist. Aber es gibt wohl mehr Rechtsstreitigkeiten, wo sich die beiden Parteien quasi kaum kennen und wir m.E. eben nicht von einem Beziehungsverhältnis ausgehen können, somit kann m.E. eben auch überhaupt keine Beziehung scheitern, weil man m.E. überhaupt nicht von einer Beziehung sprchen kann.

    Und dort, wo der Rechtsstaat wirklich in Beziehungsfragen Recht spricht, kann er wahrscheinlich tatsächlich nicht die Beziehungsfrage klären, aber ich denke auch nicht, dass dies primär die Aufgabe der Gerichtsbarkeit ist, sie also diesen Anspruch auch nicht primär hat. Beziehungsfragen können ev. in einer Supervision, Mediation, Gruppentherapie etc. geklärt werden, aber nicht vor Gericht. Der Rechtsstaat hat aber eben ganz andere Funktionen anstatt Beziehungsfragen zu klären: Es geht u.a. um materielle Interessen, Interessen der Ehre, Prävention, Schutz, Sicherheit, Freiheit vor Willkür, Verlässlichkeit etc., usw., usf.

    Übrigens: Ich finde auch, dass die Rechtssprechung erst zum Zuge kommen soll, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Bei uns in der Schweiz geht es, wenn sich die Parteien nicht einigen können, vorerst mal zum/zur FriedensrichterIn, das ist kein Gericht, sondern eine Instanz, die eben schauen will, dass man sich aussergerichtlich einigen kann. Und man könnte das Verfahren der Mediation, also freiwillige Verfahren, wo es um die konstrujktive Beilegung eines Konflikts geht, noch viel mehr institutionalisieren, dass eben die Rechtssprechung nur noch als Ultima Ratio zum Zuge kommt.

    Du schreibst:

    Der Rechtsstaat tritt nicht anhand der Selbstjustiz, denn die Selbstjustiz ist Lebensalltag, wir üben sie ständig aus (indem wir uns Urteile zu allem Möglichen bilden und entsprechend handeln), sondern er setzt der Selbstjustiz nur dort Grenzen, wo die Allgemeinheit ein Interesse daran hat. Also zum Beispiel wenn meine Selbstjustiz nicht darin besteht, die Beziehung zu jemandem aufzukündigen und ihn von nun an doof zu finden und nicht mehr sehen zu wollen (was auch das Ergebnis eines “Urteils” ist, das ich gefällt habe), sondern in dem Moment, wo ich etwas “strafrechtlich Relevantes” tue, zum Beispiel ihn schlagen oder umbringen. Dass das “Definitionsmachtkonzept” an den Rechtsstaat gebunden ist, ist also sowieso eine Tatsache, aber in den allermeisten Fällen ist der eben gar nicht involviert.

    Kommentar:

    Ich muss Deine Argumentation mal ein bisschen strukturieren:

    1. Verstehe ich nicht genau, was Du unter Selbstjustiz im Lebensalltag verstehst? Urteile über alles Mögliche zu bilden, ist m.E. keine Selbstjustiz, weil solange diese Urteile gesetzeskonform sind (keine zivilrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen, strafrechtliche Verleumdungen etc.) ist ja nichts dagegen zu sagen, wenn jemand Urteile bildet und diese auch äussert. Von daher sehe ich hier keine Selbstjustiz.
    2. Was heisst hier, wo die Allgemeinheit ein Interesse daran hat? In einem demokratischen Staat sollte schlussendlich der Souverän (das Volk) oder die Legislative als Repräsentation des Volkes die Gesetze machen und sie werden so gemacht, dass u.a. auch die unterschiedlichsten Menschenrechte nach EMRK und UNO-Konvention etc. eingehalten werden müssen und somit eben auch Minderheiten geschützt werden.
    3. Das Definitionsmachtkonzept kommt in einem Rechtsstaat höchstens da zum Tragen, wo das Definitionsmachtkonzept nicht gegen codifizierte rechtsstaatliche Gesetze verstösst: Wer jemandem im öffentlichen Raum/in der Öffentlichkeit als eine/n MörderIn bezeichnet und meint, nach dem Definitonsmachtkonzept sei dies legitim, wird ev. schnell merken, dass dies zivilrechtlich eine Persönlichkeitsverletzung oder strafrechtlich eine Verleumdung/Üble Nachrede sei kann. Das Definitionsmachtkonzept findet also dort seine Grenzen, wo eben in einem bestimmten Kontext ehr- oder persönlichkeitsverletzende Aussagen gemacht werden. Selbstverstänlich darfst Du für Dich im stillen Kämmerlein sagen, diese/r oder jene/r sei ein/e MörderIn, aber wenn Du es im öffentlichen Raum machst, kann es problematisch werden, weil der Rechtsstaat schützt eben auch Ehr- und Persönlichkeitsverletzungen.
    4. Somit kann ich eigentlich an einem Definitionsmachtkonzept nicht viel Sinnvolles abgewinnen. Selbstverständlich kann eine einzelne Person etwas für sich definieren, wenn sie meint, sie sei z.B. am Arbeitsplatz gemobbt worden. Aber sollte sie das öffentlich kund tun, diese oder jene Person sei ein/e MobberIn, kann dies eben unter Umständen zivilrechtliche Konsequenzen haben (Persönlichkeitsverletzung), wenn sie diesen Nachweis vor Gericht nicht erbringen kann.

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  55. @ute Plass – Ja, definitiv, ich selber benutze das Wort „Definitionsmacht“ auch eigentlich nicht, weil ich von Autorität spreche, aber ich glaube, im Prinzip ist dasselbe gemeint.

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  56. Interessantes Buch zum „dummerweise“ auch: „Der Kampf um die verlorenen Wörter“ von Monika Gerstendörfer
    Dort befasst sich ein ganzes Kapitel mit genau solchen Wertungen (allerdings eher aus dem Hintergrund des Humanismus- weniger dem Feminismus)

    Ihre Sicht zum Heiseartikel hat mich (aber auch) bereichert 😉

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  57. „Anlass für das Urteil war der Fall eines 14-jährigen Mädchens. Es war mit einer in einer Shampooflasche versteckten Handykamera beim Duschen fotografiert worden. Dummerweise ging der Blitz in der Shampoo-Kamera los, wodurch das Mädchen aufmerksam wurde und den Voyeur anzeigen konnte.“

    hier wurde die perspektive des opfers eingenommen. das wort „dummerweise“ passt nun aber gar nicht. warum? dass „dummerweise“ bezieht sich im original auf die dummheit des täters. es bedeutet nämlich im kontext nicht so etwas wie „leider“ oder „bedauerlicherweise“, wie man sehen kann, wenn man diese begriffe einsetzt:

    „Leider ging der Blitz in der Shampoo-Kamera los, …“
    „Bedauerlicherweise ging der Blitz in der Shampoo-Kamera los, …“

    erst jetzt wäre eindeutig die partei des täters ergriffen worden.

    „nur in einem minimalen Prozentsatz unseres sozialen Lebens greifen wir faktisch auf Gesetze zurück, für die allerallermeisten Situationen, in denen wir mit anderen Menschen zusammen kommen, gibt es keine klar definierten Regeln.“

    vielleicht hast du die regeln, denen du folgst, vereits so verinnerlicht, dass du sie nicht mehr als regeln wahrnimmst.

    fakt ist, unser zusammenleben ist sehr vielfältig geregelt. klare definitionen zu erwarten, geht aber am kern der sache vorbei. selbstveständlich haben die regeln des zusammenlebens breite ermessenspielräume. sie werden auch ständig neu verhandelt. der einwand der „klaren defintion“ ist ein totschlagargument.

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  58. Ich denke umgekehrt, dass du es dir zu einfach machst. Das fängt schon damit an, dass m.E. die Fälle, die in dem Jungle-World-Artikel beschrieben sind, sich nicht damit vergleichen lassen, dass eine Gruppe beschließt, dass in Zukunft in der WG nicht mehr geraucht werden darf. Dabei wird immerhin eine neue Regel ausgehandelt. Bei der Definitionsmacht, so wie Menschen sie laut dem Jungle-World-Artikel durchzusetzen versuchen, geht es nicht um Regeln, sondern darüber, dass die betroffene Frau willkürlich entscheiden kann, welche Art von Handlung für den Täter welche Konsequenzen haben soll. Eine Regel würde bedeuten, dass Menschen vorher wissen, welche Handlungen welche Konsequenzen haben – diese Regel kann natürlich anders sein als die, die in der Gesamtgesellschaft gilt.

    Ich habe kein Problem damit, wenn die Definition von Vergewaltigung diskutiert wird, und wenn sich durch diese Diskussion die „offizielle“ Definition, oder auch die Definition innerhalb einer bestimmten Gruppe ändert. Aber Definitionsmacht (nicht wie von dir definiert, sondern wie sie laut Jungle-World-Artikel in linken Gruppen durchzusetzen versucht wird) heißt ja, dass eben nicht mehr diskutiert wird.

    Jetzt doch noch ein Wort zur Rauchen-in-der-WG-Geschichte: Die Beziehungskompetenz, die ich im Laufe meines Lebens erworben habe, sagt mir, dass, wenn eine Gruppe weiß, dass ein Mitglied der WG intensiv raucht, und dennoch durchsetzt, dass in der WG nicht mehr geraucht werden darf, auch nicht im eigenen Zimmer, schon vorher etwas in der Beziehung schief gelaufen sein muss, das dann auch nicht mehr durch Anpassungsversuche der rauchenden Person gekittet werden kann. Die Änderung der Regel über das Rauchen in der WG ist dann nur noch das Instrument, um den Rauswurf durchzusetzen (falls das mietrechtlich geht, aber da will ich mich nicht in die Diskussion mit Chomsky einmischen.)

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  59. @susanna14 – „wenn eine Gruppe weiß, dass ein Mitglied der WG intensiv raucht, und dennoch durchsetzt, dass in der WG nicht mehr geraucht werden darf, auch nicht im eigenen Zimmer, schon vorher etwas in der Beziehung schief gelaufen sein muss, das dann auch nicht mehr durch Anpassungsversuche der rauchenden Person gekittet werden kann. Die Änderung der Regel über das Rauchen in der WG ist dann nur noch das Instrument, um den Rauswurf durchzusetzen“ – das ist wahrscheinlich in den allermeisten Konflikten so, ich wette auch bei solchen „Definitionsmachtsauseinandersetzungen“ mit Vergewaltigungsvorwürfen. Dass linke Szenen manchmal dogmatisch sein können, will ich ja gar nicht in Abrede stellen, aber meiner Ansicht nach wird durch solche Fälle das Konzept als solches nicht unsinnig.

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  60. Ich glaube, man muss die Definitionsmacht eher als einen Prozess verstehen. Man wächst in der hegemonialen Kultur auf und übernimmt weitgehend deren Definitionen, da diese normal und selbstverständlich sind und erstmal nicht hinterfragt werden. Irgendwann wird einigen (->vielen) Menschen bewusst, dass man bestimmte Dinge ja gar nicht so definieren muss, wie es üblicher Weise der Fall ist. So kamen eines Tages Menschen auf die Idee, dass man den Begriff Vergewaltigung nicht nur verwenden kann, wenn eine Frau, die abends allein in der Öffentlichkeit unterwegs ist von einem fremden Mann zum Sex gezwungen wird, während sie Hilfe schreit und wild zappelt, sondern dass es auch eine Vergewaltigung ist, wenn eine Person von einem ihr bekannten Menschen in der eigenen Wohnung zum Sex gezwungen wird. Und so entwickelt sich der Begriff Vergewaltigung bis heute weiter, was irgendwann dann auch juristische Konsequenzen hatte und noch hat. Aber bevor man Definitionen nicht in Frage stellt und sie verändert, erweitert, neu denkt, fehlt auch die Grundlage für eine juristische Veränderung. Selbstverständlich münden nicht alle Überlegungen und Diskurse über Definitionsänderungen in juristischen Konsequenzen. Dennoch ist es wichtig, dass den Menschen in einer Gesellschaft überhaupt die MÖGLICHKEITEN der Definitionsmacht klar sind. Denn nichts lähmt gesellschaftlichen Wandel so sehr, als wenn alle glauben, dass die Gesellschaft nur so und nicht anders sein kann, weil es so und nicht anders natürlich und selbstverständlich ist. Wenn also die Institutionen des Denkens total festgefahren sind.
    @el_mocho: Worauf willst Du überhaupt hinaus mit Deinem Beispiel? Fragst Du danach welche Perspektive der/die Journalist/in hatte, der/die über die falsche Vergewaltigerin berichtete, oder geht Deine Argumentation mehr so in die Richtung der Kachelmannschen „Opferindustrie“? Der Eindruck, dass Letzteres der Fall ist, drängt sich mir immer mehr auf…

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  61. Regeln des Rechtsstaats oder persönliche Vereinbarung auf Vertrauensbasis, das ist doch kein Entweder-Oder.

    Schriftlich festzuhalten, welche Kündigungsfrist gilt, damit klar ist, wer die Miete zahlen muss, wenn jemand von heute auf morgen auszieht und das Zimmer übergangsweise leer steht, finde ich zum Beispiel sinnvoll. Wer in einer WG wohnt, hat nicht unbedingt 500 Euro zu verschenken. 1975 konnte man leichter großzügig sein, damals war das Verhältnis zwischen Nebenjob-Lohn und Zimmermiete noch viel günstiger als heute.

    Ich rede lieber vorher kleinbürgerlich über Geld, anstatt mich hinterher darüber zu streiten.

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  62. Heise beschreibt eine Handlung und dies aus der Perspektive des Handelnden. Die Perspektive ist aber doch nichts ungewöhnliches oder weiß und männliches. Dies umsomehr, wo diese Tat für den Artikel nur ein Nebenthema ist, und Opfer oder gar Freunde, Eltern und Bekannte des Opfers ausserhalb dieser Handlung für den Heiseartikel keine Rolle spielen.

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  63. Deine Darstellung der Definitionsmacht erscheint mir ganz anders zu sein, als die übliche, die ich schon häufiger gelesen habe. Du beschreibst das als ein aushandeln unterschiedlicher Parteien über eine gemeinsame Definition unabhängig von gesetzlichen Definitionen/Rahmenbedingungen.
    In einem solchen Zusammenhang finde ich das ein gutes Konzept.

    Allerdings befürchte ich auch, dass das in dem Artikel erwähnte Konzept der Definitionsmacht (Rauswurf aus dem gemeinsamen Haus) ein anders war. Häufig ist es leider der Fall, dass die Definitionsmacht eben nicht ein Aushandlen darstellt. Sondern, die Rede ist davon, dass die Macht, etwas zu definieren allein bei der einen Seite liegt.
    Z.B. habe ich im Zusammenhang mit Vergewaltigung leider schon lesen müssen, dass die betroffene Frau alleine verantwortlich ist, zu definieren, ob es sich um eine Vergewaltigung handelt oder nicht. Ohne irgendeine Absprache im Voraus. Eine Frau, kann also im Nachhinein sagen, dass sie vergewaltigt wurde, weil sie sich nicht gut fühle und das müsse dann von anderen aufgrund ihrer Definitionsmacht akzeptiert werden. Und so finde ich das ein scheiß Konzept!
    Das ist der Grund, warum viele damit ein Problem haben!

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  64. Antje Schrupp: „Ja, definitiv, ich selber benutze das Wort “Definitionsmacht” auch eigentlich nicht, weil ich von Autorität spreche, aber ich glaube, im Prinzip ist dasselbe gemeint.“
    Autorität zum Verstehen oder Autorität zum Verurteilen. Ein Beispiel der Autorität hin zum Verstehen:

    Eia Herr!
    Liebe mich innig,
    Und liebe mich häufig und lang!
    Denn je öfter Du mich liebst,
    desto reiner werde ich.
    Je inniger Du mich liebst,
    desto schöner werde ich.
    Je länger Du mich liebst,
    desto heiliger werde ich hier auf Erden.

    Mechthild von Magdeburg (1207-1282, christliche Mystikerin)
    Was ist das Ziel bei der Definitionsmacht?

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  65. Anders ausgedrückt, wie wird denn in der Werbung auf Veranstaltungen wie Opernball und andere Events der Öffentlchen dargestellt. Welche Reize werden hervorgehoben die dann in der Werbung noch verstärkt werden, was wollen sie denn bewirken? Ist das alles absichtslos insziniert, oder Absicht? Gibt es beim Mann eine Triebstruktur die man durch den Kauftrieb ersetzen will? Dient die Definitionsmacht dazu das zu beschleunigen? Ist das Recht dazu geschaffen Natürliches zu unterdrücken? Was ist natürlich? Gibt es Anziehung zwischen den Geschlechtern? Wählt die Frau den Mann aus, von dem sie meint, er könne sie glücklich machen? Gibt es Männer die sich ein „Waffenarsenal“ zurechtgelegt haben, um Frauen für sich zu gewinnen und umgekehrt? So suggeriert das immerhin die Werbung mit YES WE CAN-Slogans. Wird hier die Schizophrenie unserer Gesellschaft, wo Männer scheinbar gezähmt herumlaufen und sich doch nichts sehnlicher wünschen, dass die Angebetete ihn erkennt? Oder ist alles nur noch eine Warenbeziehung mit Vertrag und Ablaufdatum? Einfach per Definition ohne Staunen und Überraschungen…. Also LANGEWEEEILLE

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  66. @Miria – Warum findest du das ein Scheiß-Konzept? Ich meine, wenn ich mit jemandem Sex gehabt hätte und sie sagt mir hinterher, sie hätte sich vergewaltigt gefühlt, dann würde ich mal anfangen, darüber nachzudenken, anstatt mit ihr Diskussionen über Definitionsmacht anzufangen. Wie gesagt – vor Gericht kann das natürlich kein ausreichender Grund sein, aber für die Beurteilung dessen, was passiert ist, finde ich, kann es das schon.

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  67. Ihr letzter Kommentar zeigt beeindruckend die Problematik in der Definition der Definitionsmacht und bestätigt die Kritik im Bespiel mit der WG Situation.

    „wenn ich mit jemandem Sex gehabt hätte und sie sagt mir hinterher, sie hätte sich vergewaltigt gefühlt, dann würde ich mal anfangen, darüber nachzudenken, anstatt mit ihr Diskussionen über Definitionsmacht anzufangen.“

    Ich sehe hier eben den Zeitpunkt der Definition („hinterher“) als entscheidend an!

    Um beim Beispiel Sex zu bleiben, der zum Glück (zumindest aus meiner Erfahrung heraus) nicht mehr ausschließlich der Regie des Mannes unterworfen ist, gibt es bei diesem viele verschiedene Spielarten. Vom Blümchensex bis zu Rollenspielen ist da alles dabei. Dem einen mag es schnell zu „hart“ werden, der anderen kaum „hart“ genug. Welche praktiken als normal oder anormal anzusehen sind, will ich garnicht zur Debatte machen.

    Würde die Person (Ich bleibe hier absichtlich geschlechtsneutral denn auch hier sind beide Richtungen möglich), die sich mit der Situation unwohl fühlt, SOFORT ihre Meinung und somit IHRE Definition äußern, so hätte ihr Gegenüber die Chance darauf zu reagieren und gegebenenfalls sein Verhalten zu ändern/anzupassen. Mit der Formulierung im Nachhinein werden nahezu unabänderliche Fakten geschaffen!

    Ebenso wichtig ist die Intention, mit der eine Definition durchgeführt wird. Soll mit ihr eine endgültige Situation geschaffen werden (Der „Täter“ hat zu gehen), oder soll sie Basis für ein verständnisvolleres miteinander, oder einen Diskurs sein?

    In der Wissenschaft werden Definitionen häufig gebraucht, um neue Begriffe einzuführen und die Wertung und Bedeutung dieses Begriffs aus Sicht des Autors zu formulieren, um auf Basis dieser Definition weiter zu argumentieren.

    Andere oder auch der selbe Autor können diese Definition in anderen Abhandlungen wieder aufgreifen, sie anpassen oder gar in ganz anderen Kontext bringen. Allein der spätere Konsens und die Relevanz der Abhandlung in größerem Kreis legt die gemeingültige Definitionsformulierung fest. Und ebenso kann sie nur im Konsens wieder verändert werden.

    Legt ein Wissenschaftler eine Definition neu fest, so reicht seine Definitionsmacht also zunächst nur bis zum Ende seiner Abhandlung, nicht aber darüber hinaus. Erst der Diskurs mit anderen Wissenschaftlern kann daraus eine allgemein gültige Definition werden lassen.

    Im vorliegenden Fall könnte man im extremfall provokant argumentieren, der Täter hätte seine Tat evtl. noch einmal überdacht, wenn ihm klar gewesen währe, wie das Opfer sich anschließend fühlt, seine Tat also nicht „nur“ als peinlich, sondern als Vergewaltigung empfindet.

    Als Fazit bleibt mir nur die Erkentniss dass die Defintionsmeierei auch bei der Begriffsdefinition der Definitionsmacht lediglich von der Unfähigkeit der Kommunikation unterschiedlicher Ansichten ablenkt.

    Und so wie ich den Post von Frau Schrupp verstanden habe, geht es doch im Kern doch genau darum. Ich sehe das aber nicht beschränkt auf den Geschlechterkampf, sondern als Problem unserer Gesellschaft im allgemeinen!
    Denn ich bin mir sicher, dass die Definition der Vergewaltigung (nicht im rechtlichen, sondern im persönlichen Sinne) sowohl bei Männern als auch bei Frauen unterschiedlich ausgelegt wird. Und das nicht ausschließlich auf Grund einer patriachaischen Vergangenheit oder deren überbleibsel!

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  68. „Ich meine, wenn ich mit jemandem Sex gehabt hätte und sie sagt mir hinterher, sie hätte sich vergewaltigt gefühlt, dann würde ich mal anfangen, darüber nachzudenken, anstatt mit ihr Diskussionen über Definitionsmacht anzufangen. Wie gesagt – vor Gericht kann das natürlich kein ausreichender Grund sein, aber für die Beurteilung dessen, was passiert ist, finde ich, kann es das schon.“

    Im Verhältnis zwischen den Sexualpartnern – absolute Zustimmung.

    Das Definitionsmachtkonzept wird aber in praxi nicht nur zur Bewältigung zwischenmenschlicher Konflikte auf der Mikroebene benutzt, sondern soll – sehr folgenreich – auf das soziale Umfeld ausstrahlen.

    Wenn also A und B Sex haben, und B sagt danach, er/sie fühle sich vergewaltigt, dann ist das nicht nur ein Statement, dass A erst einmal hinnehmen und darüber nachdenken soll (wogegen nichts zu sagen ist). Sondern das aus C – Z bestehende soziale Umfeld von A und/oder B soll gleichfalls aufgrund dieses Statements A als Täter/in und B als Opfer sexueller Gewalt lesen, ohne dass darüber noch zu diskutieren wäre. Mit der Folge, dass A sich – bei entsprechender Haltung von C – Z, die aber von den mir bekannten Verfechter/inne/n des Definitionsmachtkonzepts gerade angestrebt wird – ein neues soziales Umfeld suchen kann. Unabhängig davon, was faktisch vorgefallen ist. Denn eine Bewertung des Vorfalls durch Dritte wird gerade abgelehnt.

    In der Praxis läuft es allerdings ganz anders, Vergewaltigungsvorwürfe werden verharmlost und ignoriert. Das anzuprangern ist das richtige und wichtige Motiv des Definitionsmachtkonzepts auch in seiner gängigen Interpretation. Es wäre aber sinnvoll, statt der unzureichenden herrschenden Verhältnisse ein Gegenkonzept anzubieten, von dem mensch auch hoffen kann, dass es sich durchsetzt. Wenn Definitionsmacht bedeutet, dass ich durch eine bloße nicht mehr hinterfragbare Zuschreibung einen anderen Menschen seiner sozialen Bindungen berauben kann, dann fände ich nicht wünschenswert, dass dieses Konzept von einem nennenswerten Prozentsatz der Bevölkerung akzeptiert wird. Die Wahl zwischen der heute gängigen Vergewaltigungsverharmlosung und einer so verstandenen Definitionsmacht empfände ich als Wahl zwischen Pest und Cholera. Diese Wahl will ich gar nicht treffen, sondern lieber nach dritten Wegen suchen.

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  69. @Maxime

    Du schreibst

    Das Definitionsmachtkonzept wird aber in praxi nicht nur zur Bewältigung zwischenmenschlicher Konflikte auf der Mikroebene benutzt, sondern soll – sehr folgenreich – auf das soziale Umfeld ausstrahlen.

    Kommentar:

    Wenn irgendwelche subkulturellen Milieus da so handhaben wollen und sich diesem Konzept freiwillig unterwerfen wollen, dann können sie das m.E. so machen, nur haben diese Abmachungen einfach keine rechtlich bindende Wirkung, weil auch in subkulturellen Milieus hat immer noch der Staat/Rechtsstaat das Monopol, zu sagen, was Recht/Unrecht ist. Selbstverständlich können sich jedoch Gesetze verändern und dies geschieht m.E. am besten durch demokratische und partizipative Verfahren.

    Konkret heisst dies übrigens: Was eine Vergewaltigung ist oder nicht, also ob de jure eine Tat stattgefunden hat oder und ob es somit ein Opfer gibt oder nicht, entscheidet schlussendlich die Rechtssprechung und zwar aufgrund von Gesetzen, die entweder direkt durch das Volk (direkte Demokratie) oder durch ihre VolksvertreterInnen (Legislative) eingeführt wurden.

    Du schreibst:

    Vergewaltigungsvorwürfe werden verharmlost und ignoriert. Das anzuprangern ist das richtige und wichtige Motiv des Definitionsmachtkonzepts auch in seiner gängigen Interpretation.

    Kommentar:

    Diesbezüglich würde ich doch meinen, gibt es sehr unterschiedliche Ansichten und unterschiedliche Empirie. Ich könnte z.B. auch behaupten, Falschbeschuldigungen werden bagatellisiert und wenn sie mal zur Verurteilung kommen, mit einem lächerlichen Strafmass versehen, wenn man bedenkt, welche Folgen eine erfolgreiche Falschbeschuldigung für ein Opfer einer Falschbeschuldigung haben kann.

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  70. Und wie ist Deine Meinung zum praktischen Aufzeigen dieses Gedankenfehlers, dass man das System nicht mit dem System bekämpfen kann? Ich habe nämlich neulich mal darüber nachgedacht, dass man den Staat einfach mit einer Flut von Klagen überfordern könnte. Wenn einige Millionen Menschen Einzel- und Sammelanklagen gegen sämtliche Institutionen anstrengen würden, würde das ja faktisch die Justiz lahm legen. Oder nicht?! Deine Meinung dazu würde mich sehr interessieren.
    Den Artikel habe ich – wie nahezu immer – gerne gelesen.

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  71. @Antje Schrupp: Ich finde @Maxine hat mein Problem schon sehr gut darbestellt. Es geht eben für die Befürworter nicht um irgendwas aushandeln, sondern darum etwas hinterher zu beschließen, woraus sich für einen „Täter“ Konsequenzen ergeben, mit denen er im voraus nicht hätte rechnene müssen!
    Darum find ich das ein scheiß Konzept. Weil eine Person sagt, das ist so, weil ich so fühle und eine andere Person darunter leiden muss.
    Es geht ja dann nicht darum, das die eine Person das der anderen sagt, sondern dass sie das gegenüber dritten äußert .

    Wenn es um die persönliche Beziehung der beiden ginge, sieht die Sache anders aus, die Personen sollten sich beide darüber Gedanken machen, dass sowas nicht nochmal passiert. Aber ich schrieb doch bereits, dass ich das gut finde und das andere nicht.

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  72. Ich bin immer etwas irritiert, wenn ich vom Konzept der Definitionsmacht lese. Denn da geht es um Dekandenz. Das Konzept besagt – zumindest so wie ich es verstanden habe: „der Rechtsstaat definiert Vergewaltigung so, aber ich definiere es anders, und indem ich nach meiner Definition lebe, bin ich mächtiger als der Rechtsstaat“.

    Was Opfer brauchen ist aber vielmehr, dass der Rechtsstaat die Vergewaltigung anders definiert. Denn momentan ist es so, dass die Vergewaltigung über Tätersicht definiert wird – ein Übergriff ist nur dann rechtlich eine Vergewaltigung, wenn der Täter das auch als eine Vergewaltigung definiert hatte und es trotzdem gemacht hat. Sonst ist es rechtlich nur ein Missverständnis.

    Wenn eine Frau also einen sexuellen Übergriff anzeigt, wird sie dann mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie eine nur gefühlte Vergewaltigung angezeigt hätte. Denn das sei keine wirkliche Vergewaltigung, weil der Mann sie nicht so gesehen hatte. Und dann ist der Weg zum Vorwurf, dass sie falsch angezeigt hätte, um Rache auszuüben, nicht mehr weit.

    Opfer braucht also nicht eine eigene Definitionsmacht, sondern der Staat und die Justiz müssen die Vergewaltigung rechtlich anders definieren, wenn er Gerechtigkeit schaffen will.

    Sicher kann es in einer Beziehung immer wieder zu Missverständnissen kommen, wo der Mann dachte, dass es der Frau auch gefallen würde, es aber der Frau überhaupt nicht gefiel. Sowas sollte und könnte man hinterher besprechen können.

    Problematisch ist aber, dass eine Vergewaltigung selten durch einen Fremdtäter verübt wird. Sondern der Täter kommt aus dem sozialen Umfeld. Da es in der heutigen Gesellschaft jeder mit jedem eine Beziehung haben und auch mehrere Beziehungen parallel führen kann, wird dann dem Vergewaltigungsopfer unterstellt, dass es eine Beziehung oder One-Night-Stand mit dem Täter hatte und es daher ein Missverständnis gewesen sein muss.

    Problematisch ist auch, dass wenn eine Frau ihrem Partner paar mal sagt, dass sie z.B. nicht mit Sex geweckt werden möchte oder bestimmte Sexpraktiken nicht will – weil sie erstmal ihm keinen Übergriff unterstellen möchte sondern wohlwollend von einem Missverständnis ausgeht und das besprechen möchte – er es aber damit nicht aufhör und sie das dann dann nach einer Weile klar als übergriffig wertet, dass es der Frau dann angelastet wird, dass sie nicht gleich geschrien hat und gegangen ist. Wenn sie das paar mal toleriert hat, ohne groß Theater zu mache oder gar die Polizei zu rufen, woher soll der Mann wissen, dass sie es mit dem Nein ernst gemein hat?

    Für das Vergewaltigungsopfer ist es natürlich wichtig, sich selbst sagen zu können, dass das trotzdem kein Missverständnis oder gar Einwilligung war – egal wie anders der Staat das definiert.

    Aber Opfer brauchen vielmehr, dass sie nicht auf Definitionsmacht zurückgreifen müssen, sondern dass die Rechtslage gerechter wird.

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  73. Vielen, vielen Dank für den Text. Der ist wirklich sehr hilfreich.

    @ Miria, gkm, Maxine: In der Regel sind Räume und Gruppen, in denen Definitionsmacht praktiziert wird, von vornherein als solche gekennzeichnet und somit für Jede_n als solche erkennbar. Wenn Personen sich in solchen Kontexten bewegen, wissen sie also schon, worauf sie sich einlassen. Wenn Personen sich vor Definitionsmacht fürchten, sollten sie solche Kontexte meiden, oder sich so vorsichtig verhalten, dass keine Missverständnisse auftreten, nämlich z.B. ein auf Konsens ausgerichtetes Sexualverhalten an den Tag legen. Letzteres sollte sowieso immer und überall gelten – tut es aber nicht, wie eure Kommentare eindrucksvoll belegen. Ihr produziert hier z.T. Vergewaltigungsmythen in Reinform (z.B. betrifft die Frage, ob konsensueller Sex stattgefunden hat, oder nicht, nicht nur die direkt Beteiligten, und keine_r von den Beteiligten ist je von der Verantwortung entbunden, immer wieder zu prüfen, ob der gegebene Konsens noch vorliegt).

    Ich höre auch immer wieder von Männern, dass sie sich in autonomen Kontexten unwohl und unter Generalverdacht gestellt fühlen. Ja, verdammt. Willkommen in der weiblichen Realität. Ich will gar nicht aufzählen, wo Frauen sich überall unwohl, sexualisiert und objektifiziert fühlen. Ich will gar nicht aufzählen, wo überall Gewalt und sexualisierte Gewalt, die mehrheitlich Frauen und Kinder trifft, ohne Konsequenzen bleibt, weil die „Definitionsmacht“ eben woanders liegt. Und dann gibt es Räume, die maximal 0,001 Promille des verfügbaren Raums ausmachen, in denen ich mich nahezu vollkommen sicher fühlen kann, in denen ich sicher sein kann, dass mir geglaubt wird, wenn ich Gewalt erfahren habe, und sofort gibt es Bedenken, weil Personen befürchten, sie oder andere könnten von solchen Räumen ausgeschlossen werden. Ernsthaft?! Kommt mal klar und geht in den 99,9999999999999% der Welt spielen, in denen Definitionsmacht keine Rolle spielt.

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  74. „Ich will gar nicht aufzählen, wo Frauen sich überall unwohl, sexualisiert und objektifiziert fühlen.

    triggerwarnung: polemik!

    dann frage ich mich doch, wieso frauen sich sogar selbst sexualisieren und objektifizieren, wenn sie sich damit doch so unwohl fühlen.

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  75. Nochmal @alle: Das „Definitionsmachtkonzept“ hat nichts mit dem Rechtsstaat zu tun.

    Aber mir fällt an der Kommentardiskussion hier insgesamt auf, wie weit die Rechtsstaatsgläubigkeit sich schon ausgebreitet hat. Es scheint ja jede politische Auseinandersetzung am Ende eigentlich um „Gesetze machen“ zu gehen. Das ist etwas, das ich nun wirklich beängstigend finde. Offensichtlich ist der Prozess des Zurückdrängens des Politischen schon sehr weit fortgeschritten.

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  76. @Miria – aber genau das ist es, was ich nicht verstehe: Es ist ganz NORMAL, dass mein Handeln Konsequenzen hat, die ich nicht voraussehen kann. Und deshalb ist es auch sinnvoll, sich vorher zu überlegen, was man tut und welche Auswirkungen das auf meine Beziehungen zu anderen Menschen hat – und diese Überlegungen müssen von den Beziehungen bzw. den subjektiven Einzelnen ausgehen und nicht davon, was ich per Gesetz tun darf oder nicht. Und das „mit Dritten reden“ ist ebenfalls etwas ganz Gewöhnliches, denn wir tauschen uns immer mit anderen über das, was wir erlebt haben, aus.

    @gewalltag – erstens ist das ein sehr hypothetisches Gedankenspiel, sowas wird nicht passieren. Außerdem ist „das System“, um das es hier geht, nicht der Rechtsstaat, sondern eine patriarchale Kultur der männlichen Vorherrschaft über Frauen. Und das würde durch eine (zeitweise) Lahmlegung des Justizsystems nicht wirklich angetastet.

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  77. @ Horst_Sabine: Das ist keine Polemik, das ist eine Tatsache. Mit Triggerwarnungen hat das nicht einmal rudimentär etwas zu tun und genausowenig mit dem Verhalten von Frauen. Aber danke für den durchschaubaren Ablenkungsversuch. Nicht!

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  78. „@Host_Sabine – weil “Frauen” nicht dasselbe sind wie “alle Frauen”.“

    antje, in dem von mir zitierten satz steht „frauen“ und nicht „alle frauen“. ich gehe davon aus, dass wir alle wissen, dass mti „frauen“ nie „alle frauen“ gemeint sind.

    im übrigen halte ich es für wenig zielführend, die diskussionspartner für intellektuell so dedürftig zu halten, sie mit gemeinplätzen abzuspeisen.

    und nein, @Name (erforderlich), DEIN beitrag enthält keine polemik. daher steht meine ironisch gemeinte triggerwarnung auch über MEINEM satz.

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  79. @Host_Sabine – ohne diese Verallgemeinerung ergibt dein Einwand aber keinen Sinn, denn dass einige Frauen sich sexualisieren und objektifizieren widerlegt halt nicht, dass andere Frauen sich unwohl und objektiviziert fühlen.

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  80. @antje: Es ist normal, dass ein Verhalten Konsequenzen hat und dass man sich vorher darüber Gedanken macht über die Konsequenzen. Das Problem, was ich sehe ist, dass es hier um Konsequenzen geht, die man nicht erahnen kann. (Hier habe ich den Eindruck, dass du dir widersprichst)
    Anders verhält es sich, wenn man sich in Räumen aufhält, wo bekannt ist, dass sich nach diesem Konzept verhalten wird (wie @Name (erforderlich)) sagt. Da kann man sich im vorraus darauf einstellen und mit den Konsequenzen leben.

    Ich hatte das allerdings bisher so verstanden, dass es Menschen gibt, die für sich das Definitionsmachtkonzept beanspruchen (ohne das groß dem Umfeld bekannt zu machen) und evtl. einen anderen Menschen in seinem gesamten Umfeld als Vergewaltiger bezichtigen, obwohl die Situation für das Gegenüber nicht erkennbar war. Damit habe ich ein Problem: Ich kann doch nicht jedesmal mit der Befürchtung, ich werde nachher als Vergewaltigerin dastehen, mit jemandem schlafen.

    Auch das Konsensprinzip würde hier meiner Meinung nach keien Abhilfe schaffen, da eine Person auch wörtlich zustimmen könnte (auch bei mehreren Nachfragen), obwohl sie dies auch ganz anderen Gründen tut (z.B. will erstes Mal endlich hinter sich haben, hat Angst vor der Reaktion des Gegenübers…), dies ist für eine zweite Person nicht immer eindeutig zu erkennen sein. Und die andere Person könnte sich danach wirklich schlecht fühlen, aber die Verantwortung dafür würde nicht die zweite Person tragen.

    Ich versuche mal ein Beispiel zu schreiben, weil ich das Gefühl habe, dass auch hier viele Personen nicht direkt verstehen, was ich meine: Ich bin traurig, weil ich mich mit einer Freundin gestritten habe und um mich abzulenken gehe ich feieren. Dort lerne ich einen sehr netten Mann kennen und ich fahre mit ihm nach Hause alles ist toll und wir möchten miteinander schlafen (alles im Konsens). Dabei dann fühle ich mich nicht mehr gut und habe eigentlich keine Lust mehr, da es mir dann doch wieder wegen dem Erlebten zuvor nicht gut geht. Der Sexualpartner merkt, dass ich anders bin und fragt nach, ob alles in Ordnung ist oder wir lieber aufhören sollen (Konsensprinzip). Ich finde ihn wirklich nett, möchte ihn nicht verletzen und auch nicht, dass er irgendwas komisches über mich denkt und antworte: Nein, es ist alles ok, lass uns weiter machen. Ab dem Moment aber versuche ich alles nurnoch über mich ergehen zu lassen und fühle mich anschließend noch schlechter.
    Variante 1 der Definitionsmacht: Ich spreche den Mann danach darauf an, dass wir doch hätten aufhören sollen und ich mich vergewaltigt fühle, da er weitergemacht hat, obwohl er gemerkt hat, dass nicht alles ok war. Wir reden darüber und können beide etwas für unsere Beziehung zueinander tun. –> Anwendung des Definitionsmachtkonzepts, die ich gut finde.
    Variante 2 der Definitionsmacht: Ich gehe am nächsten Tag auf Facebook, versuche alle Frauen öffentlich vor ihm zu warnen, da er mich vergewaltigt hat. Daraus könenn sich für den Herrn erhebliche Konsequenzen ergeben, womit er im vorraus nie hätte rechnen können –> Anwendung des Definitionsmachtskonzepts, die ich scheiße finde.

    ps. Das Reden mit Dritten hatte ich als Gegensatz zum Reden mit der Person gesehen und nicht als zusätzliches sich aussprechen bei Freunden o.ä.

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  81. @Antja Schrupp

    Sie schreiben:

    „Aber mir fällt an der Kommentardiskussion hier insgesamt auf, wie weit die Rechtsstaatsgläubigkeit sich schon ausgebreitet hat. Es scheint ja jede politische Auseinandersetzung am Ende eigentlich um “Gesetze machen” zu gehen. Das ist etwas, das ich nun wirklich beängstigend finde.“

    Wie sollen Opfer Ihrer Meinung nach ohne Gesetz zu ihrem Recht kommen und Anerkennung und Hilfen erhalten?

    Opfer haben kein Recht auf Selbstjustiz, auch wenn ich schon beobachte, dass es die Tendenz gibt, den „Prozess“ und die „Verurteilung“ vom Gerichtssaal weg und in die Medien zu verlagern.

    Definitionsmacht ohne Gesetz als Konsequenz sagt den Opfern letztendlich nur:

    „Wir gestatten Dir, die Tat für Dich als Vergewaltigung zu sehen. Zufrieden? Dann steh‘ nun drüber und vergiss es. Das Leben geht weiter.“

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  82. „ohne diese Verallgemeinerung ergibt dein Einwand aber keinen Sinn,“

    mein einwand ergibt den sinn, dass sich nicht alle frauen unwohl fühlen bei sexualisierung und objekifizierung. DAS hätte mein/e vorposter/in so klarmachen sollen. statt dessen steht sogar foldender satz davor:

    „Willkommen in der weiblichen Realität.“

    für wen soll das gelten, diese (fragwürdige) „weibliche realität“, wenn nicht für alle? oder sind einige frauen irgendwie nicht weiblich und leben in einer anderen realität?

    dein einwand „nicht alle“ war als solcher nicht falsch, ging aber an die falsche adresse.
    kann auch sein, dass ich mich weniger ironisch hätte ausdrücken sollen. allerdings ziehe ich es ggf. vor, menschen eine kleine denkaufgabe zu stellen, damit sie selbst erkennen können, wo der fehler in ihrer argumentation liegt.

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  83. „Dummerweise“ ist eine reflexive Bewertung. Mit Perspektive des Täters
    ist es dumm für den Täter. Die Opferperspektive wäre für den
    Heiseerzähler weniger sinnvoll und auch schwieriger gewesen.
    In der Hauptgeschichte geht um Rechte bzw. Nichtrechte des Täters, die Fotogeschichte ist nur ein Exkurs, wozu da einen Perspektivwechsel?

    Wenn der Täter nicht weißmännlich gewesen wäre, könnte man die Geschichte mit „dummerweise“ genauso erzählen, nur ohne dass die weit geholten Folgerungen zu Patriarchat dann so möglich wären.

    Ein wie von @Host_Sabine (15.Nov) versuchter Perspektivwechsel, das wäre interessant.

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  84. @Miria: Ich finde dein Beispiel grundsätzlich gut, allerdings würde ich auch in Variante 1 dem Mann nicht sagen, dass ich mich vergewaltigt fühle, sondern es dabei belassen, dass wir besser hätten aufhören sollen. Ich würde die Verantwortung dafür übernehmen, dass ich es nicht auf die Reihe gekriegt habe, im richtigen Augenblick zu sagen „nein, es ist nicht alles okay, lass uns lieber aufhören“ und ihm ncht sagen, dass ich mich vergewaltigt gefühlt hätte (auch wenn ich den Wunsch, ihn nicht zu verletzen, nachvollziehen kann.) Das gilt umso mehr, als der Mann in deiner Geschichte ausdrücklich nachgefragt hat.

    @Name (erforderlich):

    Wenn Personen sich vor Definitionsmacht fürchten, sollten sie solche Kontexte meiden, oder sich so vorsichtig verhalten, dass keine Missverständnisse auftreten, nämlich z.B. ein auf Konsens ausgerichtetes Sexualverhalten an den Tag legen. Letzteres sollte sowieso immer und überall gelten – tut es aber nicht, wie eure Kommentare eindrucksvoll belegen.

    Natürlich sollte das Konsensprinzip gelten, und ich finde es ärgerlich, dass du uns, die gegen das Definitionsmachtprinzip sind, unterstellst, wir wären gegen das Konsensprinzip. Im Gegenteil, ich bin sehr dafür. Ich bin auch der Überzeugung, dass die meisten Männer dafür sind. Wovor Männer anscheinend Angst haben, ist die Möglichkeit, dass sie trotz aller Bemühungen, sich zu versichern, dass alles konsensuell abläuft (wie der Mann in Mirias Geschichte) hinterher mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert werden. Ich halte das eher für eine Paranoia als für eine realistische Angst – realistischerweise ist es viel wahrscheinlicher, dass eine Frau eine Vergewaltigung (die auch der Mann als Vergewaltigung wahrgenommen und gemeint hat) nicht anzeigt als dass der Mann nach einer Situation, die er als konsensuell wahrgenommen hat, einer Vergewaltigung beschuldigt wird. Ich halte die Definitionsmacht aber nicht für ein geeignetes Instrument, gegen diese Paranoia anzugehen.

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  85. @Antje Schrupp

    „@Miria – aber genau das ist es, was ich nicht verstehe: Es ist ganz NORMAL, dass mein Handeln Konsequenzen hat, die ich nicht voraussehen kann. Und deshalb ist es auch sinnvoll, sich vorher zu überlegen, was man tut und welche Auswirkungen das auf meine Beziehungen zu anderen Menschen hat – und diese Überlegungen müssen von den Beziehungen bzw. den subjektiven Einzelnen ausgehen und nicht davon, was ich per Gesetz tun darf oder nicht. Und das “mit Dritten reden” ist ebenfalls etwas ganz Gewöhnliches, denn wir tauschen uns immer mit anderen über das, was wir erlebt haben, aus.“

    Ich nehme mal an, Du schreibst hier aus der Perspektive des Mannes im Rahmen einer respektvollen Beziehung. Da geht es natürlich nicht um das Gesetz. Ein Partner, der sagt, dass er in der Beziehung alles tun darf, was nicht gesetzlich verboten ist, ist schon mal nicht respektvoll. Auf der anderen Seite würde man in so einer Partnerschaft auch über unterschiedliche Vorstellung über Sex sprechen können, ohne das Wort Vergewaltigung zu benutzen.

    Als Vergleich: wenn mein/e Partner/in Vegetarier ist, dann würde ich ihm/ihr nicht immer Fleisch auftischen und sagen, dass dies nicht gesetzlich verboten sei. Umgekehrt würde er/sie mich nicht beschimpfen als Tierquäler und Kadaveresser, weil ich ab und zu Steak essen will.

    In einer Partnerschaft, wo „er“ und „sie“ sich gegenseitig respektvoll behandeln, muss „sie“ also auch nichts umdefinieren, weil beide ohnehin schon gleichberechtigt sind und sie gemeinsam versuchen, herauszufinden, was für beide machbar und gut ist. Sie braucht keine Macht durch Definition erlangen.

    Die Definitionsmacht wird also erst dann interessant, wenn dieses Gespräch nicht möglich ist, weil „er“ sich auf die gängige Definition beruft, dass ein Mann davon ausgehen darf, dass Frauen immer und überall wollen, und er danach handelt. Und wo „sie“ also nicht mal meckern darf, dass ihre Grenzen verletzt wurden, weil die Grenzverletzung nach der gängigen Definition rechtens ist. Es geht hier um die Befreiung aus Ohnmacht und Machtlosigkeit durch Umdefinition. Und dass das letztendlich dann ein Machtkampf ist, zeigt das Wort Definitionsmacht.

    Leider gibt es eben Sex nicht nur ausschließlich in einer gegenseitig respektvollen und gleichwertigen Beziehung.

    Wenn man das Beispiel von Miria abändert, und die Situaion so gewesen wäre, dass nachdem ihr anders wurde, sie sagte, dass sie keine Lust mehr hat, weil es ihr nicht gut geht, er ihr sagt, dass er sich bis dahin doch so toll um sie gekümmert und sie getröstet hätte und ob sie ihm nicht dankbar wäre, und dass sie eine Enttäuschung wäre, wenn sie nun aufhören möchte, und dass bei so einer Egomanin sei es wohl doch klar, dass die Freundin sauer auf sie war. Und sie lässz sich den Rest stillschweigend ergehen, weil sie traurig und verwirrt ist und sie nicht will, dass er noch böse auf sie wird, oder sie wehrt sich (aber nicht zu doll, weil es ihr ohnehin seelisch nicht gut ging) aber er setzt sich körperlich durch und macht bis zum Ende weiter. Rechtlich wären beide Situationen noch in Ordnung, und wenn er so ein Typ ist, würde er sein Verhalten aus seiner Perspektive auch in Ordnung finden. Und die Frage ist, ob diese Frau die Perspektive des Mannes einnehmen und die Verantwortung ausschließlich bei sich suchen muss.

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  86. @Antje,

    Aber mir fällt an der Kommentardiskussion hier insgesamt auf, wie weit die Rechtsstaatsgläubigkeit sich schon ausgebreitet hat. Es scheint ja jede politische Auseinandersetzung am Ende eigentlich um “Gesetze machen” zu gehen. Das ist etwas, das ich nun wirklich beängstigend finde. Offensichtlich ist der Prozess des Zurückdrängens des Politischen schon sehr weit fortgeschritten.

    Als ob das Recht nicht die Kodifizierung des Politischen ist… am Rande, das ganze endet immer in Terminologiedebatten bei denen am Ende eben niemand mehr weiß worum es eigentlich gehen soll. Und irgendwie wird’s halt albern, sorry, wenn man dann darüber diskutiert, ob jemand, der sich vergewaltigt *fühlt“ auch vergewaltigt wurde, auch wenn die andere Person nicht vergewaltigt hat – gibt es „rape without a rapist?“ Hier mal ein Klassiker der feministischen Literatur zum Thema – da ging’s um eine Frau, die potentiell vergewaltigt hat, und plötzlich waren all die definitorischen Bedenken wieder relevant, die sonst in solchen Diskussionen unter Feministen der „Definitionsmacht“ geopfert werden…

    http://www.feministe.us/blog/archives/2012/09/19/is-it-rape-if-you-dont-mean-for-it-to-be-rape/

    Höchst spannend, das. Am Rande, natürlich sind alernative Symbolsysteme immer ein Machtfaktor. Aber das Problem ist doch, daß das eben nur funktioniert, wenn mit ihnen Kommunikation möglich ist, *und* sie vermittelbar sind. Und daran scheitert das Konzept halt schon theoretisch. Ohne die Annahme eines epistemischen Privilegs von Frauen (aber welchen?, böse Judith Butler!) kann man diese Diskussion nicht wirklich ernst nehmen. Und Standpunktepistemologie ist halt keine Epistemologie, sondern Politik. Und an solchen Stellen sollten wir dann alle schon dankbar sein, daß das an Kollektiven orientiere Politische vom in diesem Fall individuelle Freiheit schützenden Recht korrigiert wird.

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  87. @Sam

    „Und irgendwie wird’s halt albern, sorry, wenn man dann darüber diskutiert, ob jemand, der sich vergewaltigt *fühlt” auch vergewaltigt wurde, auch wenn die andere Person nicht vergewaltigt hat – gibt es “rape without a rapist?”“

    Das Opfer richtet sich zunächst mal nach seiner Wahrnehmung, dass da Sex durchgeführt wurde obwohl es nicht wollte und die Ablehnung seiner Meinung nach dem Täter auch bekannt war. Es fühlt, dass ihm Sex aufzwungen wurde, und das nicht etwa, weil er sich in dem Moment in der Ekstase nicht beherrschen konnte, sondern weil er ihm damit weh tun wollte.

    Soll das Opfer ein Gespräch mit dem Täter führen:

    „Haben Sie mich vergewaltigt?“
    „Nein“
    „Ach so, dann war das keine, ich dachte schon, es wäre eine gewesen“

    Welcher Vergewaltiger sagt da offen, er hatte vergewaltigt?

    Vor allem, wie definieren Sie einen Rapist und wann hat diese Person Ihrer Meinung nach vergewaltigt?

    Wann und wie merken Sie, ob die Frau will oder nicht? Wenn Sie merken, dass die Frau nicht will, hören Sie auf, oder versuchen Sie, sie zu verführen, oder versuchen Sie, sie zu überzeugen, oder was sonst machen Sie? (Die Frage ist durchaus ernst gemeint. Es interessiert mich, wie Männer darüber denken)

    Situationen wo die Diskussion ‚albern‘ wird sind z.B. wenn eine Frau zum Frauenarzt geht und er eine ganz normale ärztliche Ultraschalluntersuchung macht (also Penetration mit dem Ultraschallstab, aber nur medizinisch motiviert und gar nicht sexuell), und die Frau sich vergewaltigt fühlt, z.B. weil sie sich durch die Untersuchung getriggert wird und an die Vergewaltigung in ihrer Lebensgeschichte erinnert wird. Dann wäre die angebrachte Reaktion der Frau, dass sie sagt, dass sie die Untersuchung unangenehm findet. Ein einfühlsamer Arzt würde dann aber auch nicht die Untersuchung forcieren mit der Begründung, dass sie medizinisch notwendig sei, sondern er wird sich überlegen, wie er die Untersuchung anders machen kann.

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  88. „Es scheint ja jede politische Auseinandersetzung am Ende eigentlich um “Gesetze machen” zu gehen.“

    Zunächst mal ist festzustellen, das das Definitionsmachtkonzept für die meisten Menschen vor allem mit der Diskussion um Vergewaltigung verknüpft ist. Natürlich hast du aufgezeigt, das es einen größeren Anwendungsbereich finden kann. Allerdings hast du (vermutlich nicht zufällig) ebenfalls unter Anderem dieses Beispiel ausgesucht. Vergewaltigung ist aber eben in unserer Gesellschaft zunächst einmal ein Verbrechen, dessen Verfolgung und Ahndung rechtsstaatlich geregelt ist. Fast jede gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema dreht sich deshalb um Fragen der Justiziabilität. Dabei steht dann entweder die Frage der Nachweisbarkeit vor Gericht oder der Umgang der Justiz und Polizei mit den Betroffenen im Vordergrund. Mir ist schon klar, das diese Sichtweise ganz explizit nicht der Gegenstand deines Blogposts war, aber es ist offenbar das was die Menschen in diesem Zusammenhang primär umtreibt. Das als indikativ für eine (willkürlich definierte) Obrigkeitshörigkeit zu sehen ist m.E. nicht begründet. Aber das ist natürlich wie immer Ansichtssache.

    „Das ist etwas, das ich nun wirklich beängstigend finde. Offensichtlich ist der Prozess des Zurückdrängens des Politischen schon sehr weit fortgeschritten.“

    Wie du die Konzepte Rechtsstaat und Politik komplett voneinander trennen kannst ist mir nicht wirklich verständlich. Aus meiner Sicht ist er (unter Anderem) das Ergebnis von Politik. Das deshalb Politik nur oder im Wesentlichen auf ihn beschränkt bleibt, kann ich allerdings nicht erkennen. Irgendwie erinnert mich das an deinen Post über Simone Weil. Auch dort entfaltete sich eine Diskussion um die Frage ob und in welcher Weise Weils Konzepte sich umsetzen lassen (was glaube ich auch nicht so ganz die gewünschte Richtung der Diskussion war).

    Zu deinem Politikbegriff hätte ich folgende Frage: Ist aus deiner Sicht Politik ein Prozess mit dem eine Gesellschaft ihr Zusammenleben organisiert? Also ganz unabhängig davon, durch welche Institutionen (oder auch andere Strukturen) diese Organisation funktioniert. Und wenn das so ist zielt dann nicht eben letztlich doch jede Art von Politik auf Normen ab? Und ist es nicht auch genau das worauf du anspielst, wenn du davon sprichst etwas in den mainstream zu tragen?

    Und wenn du weiter sagst Definitionsmacht soll letztlich ein Werkzeug sein, das des Meisters Haus abreißt, ist es dann nicht ganz natürlich anzunehmen das auch der Rechtsstaat Teil dieses Hauses ist? Insofern fällt es mir unglaublich schwer zu verstehen, warum du diese Diskussion um den Rechtsstaat so beiseite schiebst. Das ist dein Blog und du entscheidest was hier diskutiert werden soll und darf. Aber zu sagen diese Diskussionen hätten miteinander also gar nichts zu tun, das wirft für mich doch einfach einige intrinsische Widersprüche im Text auf. Auch deine Sorge um „Rechtsstaatsgläubigkeit“ zeigt doch, das es ein Spannungsverhältnis zwischen den Konzepten Definitionsmacht und Rechtsstaat gibt. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir einfach wie das natürlichste der Welt, das man das eine nicht ohne das andere diskutieren kann.

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  89. @Stefan Frei – Ich trenne diese beiden Aspekte Rechtsstaat und Politik ja nicht völlig voneinander, aber der Rechtsstaat ist eben nur ein winzig kleiner Teil der Politik. Die allermeisten Dinge, mit denen wir es im Alltag zu tun haben (und die fast alle irgendwas mit Politik zu tun haben), spielen sich ja auf ganz anderen Ebenen ab. Ein Gesetzt ist nur u.U. das allerletzte Ergebnis eines politischen AUshandlungsprozesses, die winzige Spitze des Eisberges.
    Es geht tatsächlich um ein anderes Verständnis von Politik, das diese nicht an Institutionen knüpft, ja. Und ich finde, das Herausarbeiten von Normen ist dabei kein notwendiges Ziel, sondern wesentlicher ist es, einen guten Umgang mit Differenzen zu finden, also auf Normen eben grade auch mal zu verzichten.
    Und zu dem Bild mit Master und Tool: Der Rechtsstaat ist imho ein Mittel, nicht der Master himself.

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  90. Hallo Lisbeth,

    “Haben Sie mich vergewaltigt?”
    “Nein”
    “Ach so, dann war das keine, ich dachte schon, es wäre eine gewesen”

    das habe ich vielleicht nicht klar genug formuliert: es geht ja auch nicht um die Definitionsmacht des (potentiellen) Vergewaltigers, sondern um die Frage, wie man mit dem Problem der Konkurrenz von Vergewaltigung als subjektiven und objektivem Tatbestand umgehen soll. Ist ja nicht so, daß es solche Situationen (wie ja auch in dem Beitrag von feministe beschrieben) nicht gibt, in denen eben kein Vorsatz vorhanden war, was die Strafbarkeit notwendig ausschließt. Aber das ändert halt nichts am subjektiven Gefühl der Person, die sich vergewaltigt gefühlt hat.

    Wie soll man also damit umgehen? Ist es fair, wenn die sich vergewaltigt fühlende Person die andere Person als Vergewaltiger bezeichnet, auch wenn die andere Person eben nicht vergewaltigt hat? Bringt es der sich vergewaltigt fühlenden Person etwas, sich als vergewaltigt zu bezeichnen, wenn es keinen gibt, der sie vergewaltigt hat?

    Wann und wie merken Sie, ob die Frau will oder nicht? Wenn Sie merken, dass die Frau nicht will, hören Sie auf, oder versuchen Sie, sie zu verführen, oder versuchen Sie, sie zu überzeugen, oder was sonst machen Sie? (Die Frage ist durchaus ernst gemeint. Es interessiert mich, wie Männer darüber denken)

    Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Thema ist, das am Rande einer abstrakten Diskussion um Begriffe nicht ein wenig off-topic ist, daher nur knapp – ich kann an der Stelle nur eingeschränkt für „die Männer“ sprechen, weil ich jemand bin, der maskuline initiierende Performance im Regelfall nur im Bereich der nicht- physischen Eskalation beherrscht. Wenn sie also ab dem Zeitpunkt nicht zur treibenden Kraft wird, passiert im Regelfall nicht mehr als Händchenhalten – letztlich ist sie also eher in der Position, abschätzen zu müssen, ob ich will, als anders herum. Auch wenn ich das Risiko von potentiellen Fehlern weitgehend abwälze – um den Preis, daß die meisten Frauen diese Art von initiierenden Part (auch) nicht spielen wollen oder können und so am Ende etwas was eigentlich beide wollen nicht zustande kommt, weil keiner einen Fehler machen wollte.

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  91. Ein „guter Umgang mit Differenzen“ ist aber auch ein normativ gesetztes Ziel, das sich ohne Verhaltensnormen nicht erreichen lassen wird, auch wenn es sich dabei nicht um Rechtsnormen handelt. Und auch das Definitionsmachtkonzept ist eine Norm, es heißt ja in dem Ausgangspost schon, dass hier ein „Maßstab“ bereitgestellt werden soll.

    Und wenn ich mich mit der Frage befasse, ob eine bestimmte vorgeschlagene sozialen Norm eine gute Idee ist, dann überlege ich mir schon, wie es sich auswirken würde, wenn diese Norm allgemein oder jedenfalls in weiten Teilen der Gesellschaft anerkannt würde. Dass die Auswirkungen bei dem Definitionsmachtkonzept nicht erfreulich wären, haben hier neben mir schon viele darzulegen versucht.

    Wenn Definitionsmacht verstanden wird als Selbstschutzmechanismus, der in sehr begrenzten sozialen Räumen verwundeten Menschen einen Rückzugsort verschafft – wunderbar, da habe ich überhaupt nichts dagegen. Aber dann sollte mensch auch nicht so tun, als ob dieses Konzept sich erweitern ließe. Und sich für den wichtigen Gegenentwurf zum herrschenden Umgang mit sexueller Gewalt, Rassismus usw. bitte ein gesamtgesellschaftlich tragfähiges Konzept überlegen und nicht die dafür völlig untaugliche Definitionsmacht ins Spiel bringen.

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  92. Ich trenne diese beiden Aspekte Rechtsstaat und Politik ja nicht völlig voneinander, aber der Rechtsstaat ist eben nur ein winzig kleiner Teil der Politik. Die allermeisten Dinge, mit denen wir es im Alltag zu tun haben (und die fast alle irgendwas mit Politik zu tun haben), spielen sich ja auf ganz anderen Ebenen ab.

    Auf ganz anderen Ebenen als das Strafrecht, um das es in der letzten Zeit in der feministischen Blogosphäre oft ging (Anlässe: Wikileakstyp und Wetterfrosch), aber das heißt ja noch nicht, dass Gesetze keine Rolle spielen. Der Staat bestimmt nun mal viele Rahmenbedingungen, zum Beispiel die Kompetenzen der Gewerkschaft oder der Studierendenvertretung.

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  93. Was denkst du über Arbeitgeber, die sagen: „Wir brauchen keinen bürorkatischen Betriebsrat. Wir sind alle jung und per du und wenn es ein Problem gibt, reden wir sowieso miteinander.“

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  94. @Sam „sondern um die Frage, wie man mit dem Problem der Konkurrenz von Vergewaltigung als subjektiven und objektivem Tatbestand umgehen soll. Ist ja nicht so, daß es solche Situationen (…) nicht gibt, in denen eben kein Vorsatz vorhanden war, was die Strafbarkeit notwendig ausschließt. Aber das ändert halt nichts am subjektiven Gefühl der Person, die sich vergewaltigt gefühlt hat.

    Wie soll man also damit umgehen? Ist es fair, wenn die sich vergewaltigt fühlende Person die andere Person als Vergewaltiger bezeichnet, auch wenn die andere Person eben nicht vergewaltigt hat? Bringt es der sich vergewaltigt fühlenden Person etwas, sich als vergewaltigt zu bezeichnen, wenn es keinen gibt, der sie vergewaltigt hat?“

    Die in dem Link dargestellte Situation würde – wenn Vorsatz vorhanden – strafrechtlich nicht unter Vergewaltigung fallen sondern unter Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, wenn der Mann wegen des Schlafes so in seinem Bewußtsein beeinträchtigt war, dass er als widerstandsunfähig einzustufen war. Das nebenbei. (Im Grunde genommen ist das ein ähnliches Problem wie bei Assange, nur dass diesmal der Mann geschlafen hat). Wenn kein Vorsatz vorhanden, dann ist es in Deutschland keine Straftat (in Schweden ist weniger Vorsatz notwendig als in Deutschland, um Vorsatz zu bejahen).

    Das Problem vielmehr, dass es Situationen gibt, wo tatsächlich kein Vorsatz vorhanden war, aber auch welche, wo Vorsatz vorhanden war, dieser aber nicht gerichtstauglich nachweisen lässt. In beiden Fällen hat die Person rechtlich gesehen nicht vergewaltigt.

    Im letzteren Fall fühlt das Opfer, dass das vorsätzlich war, deshalb fühlt es ja vergewaltigt. Vielleicht fühlt das das Gericht auch so. Aber der Täter aber bestreitet dies. Und nur aufgrund vom Gefühl kann man nicht verurteilen.

    Das Definitionsprinzip würde in solchen Situationen greifen. Deshalb hat das Definitionsmachtkonzept für mich nur dann Sinn, wenn es dazu führt, dass dann auch gesetzlich geregelt wird, dass solche Situation als eine Vergewaltigung definiert und geahndet werden kann. Denn momentan scheitert viele Vergewaltigungsstrafverfahren eben an diesen Vorsatznachweis.

    Um privat für mich irgendwas einzuordnen brauche ich ja keine Definition.

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  95. Mal an die Befürworter des Definitionsmachtkonzepts:

    Mir kam da gerade ein Gedanke. Sex ist immer eine Handlung von zwei Personen, bei der durch Missverständnisse zu weit gegangen werden kann und man sich am Ende vielleicht nicht gut fühlt.
    Was sieht das Definitionsmachtkonzept vor, wenn am Ende des sexuellen Handlung beide Personen sich vergewaltigt fühlen (kann vorkommen, da wenig geredet, evtl. beide sehr schüchtern).? Also was passiert dann?

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  96. @Miria: Klasse Definition von Sex – „Sex ist immer eine Handlung von zwei Personen, bei der durch Missverständnisse zu weit gegangen werden kann und man sich am Ende vielleicht nicht gut fühlt.“

    Gut dass ich endlich weiß, was Sex ist. Wobei es schön wäre, wenn Du jetzt noch „Handlung“ definieren könntest…

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  97. @Darren, ich wollte damit nur klarmachen, dass es sich nicht um etwas handelt, wobei eine Person handelnde und die zweite Person nur erduldende bzw. Ja-sagende ist. Denn so kommt es manchmal hier rüber. Es wird immer so getan, als wenn nur eine Person zu weit gehen kann und dann ein „Täter“ ist. Das ist aber nicht der Fall da im Normalfall die zweite Person eben nicht passiv ist.

    Ps. Für eine genauere Definition der „Handlung“ empfehle ich dir mal in deiner Erinnerung zu suchen, falls da nichts zu finden ist, rate ich zu einer Umfrage im Freundeskreis 😉

    Liebe Grüße,
    Miria

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  98. @Miria „Sex ist immer eine Handlung von zwei Personen“

    Das beschreibt eine Situation, in der beide Personen Sex wollen. Natürlich kann es da auch zu Missverständnissen und Disprepanzen kommen, aber grundsätzlich war zumindest Konsens gegeben, dass beide aktiv handeln wollten.

    Gerade in einer Vergewaltigungssituation ist Sex (wenn man die Handlung überhaupt Sex nennen kann) aber nicht eine Handlung VON zwei Personen, sondern die Handlung geht von einer Person aus. Die zweite Person ist in der abwehrenden Position und muss die Handlung der ersten Person verhindern (nach der gängigen Definition).

    @Sam und @all

    Von daher ist es in dieser Situation auch nicht ganz richtig, dass diese zweite Person vergewaltigt „fühlt“, obwohl die erste Person nicht vergewaltgt „hat“.

    Wenn man auf der Ebene diskutiert, müsste man eigentlich die Frage beantworten

    Ist

    „A wurde von B vergewaltigt“

    gleichbedeutend wie

    „B hat A vergewaltigt“

    ?

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  99. lisbeth,

    Das Problem vielmehr, dass es Situationen gibt, wo tatsächlich kein Vorsatz vorhanden war, aber auch welche, wo Vorsatz vorhanden war, dieser aber nicht gerichtstauglich nachweisen lässt. In beiden Fällen hat die Person rechtlich gesehen nicht vergewaltigt.

    Yup. Und während für FeministInnen der zweite Aspekt das entscheidende Problembereich ist, ist es für die meisten Männer der erste. Und das ist, nebenbei bemerkt, auch ein diskursives großes Problem: FeministInnen beklagen zurecht den zweiten Aspekt, während Männer enorme Angst haben, für einen Fehler, den sie irgendwann mal unabsichtlich machen könnten, als Vergewaltiger dazustehen, weswegen sie die Komplexität von Consent in der Vordergrund stellen und intellektuell den zweiten Aspekt oft herunterspielen. Da müßte es einen Weg geben, sprachlich zueinander zu finden – und dieses Zueinanderfinden müßte dann auch rechtliche Korrelate bekommen. Es wäre wichtig wenn FeministInnen hier spezifischer argumentieren würden, wenn sie expliziter Dinge sagen würden wie: Es geht uns nicht um „honest mistakes“, es geht uns darum, daß diese Argumentation ausgenutzt werden kann, wenn es eben kein „honest mistake“ war. Nur bieten sie außer der Forderung einfach selbst darüber entscheiden zu dürfen, was „honest“ war und was nicht, eben auch keine Lösung an. Nicht Definitionsmacht würde hier weiterbringen, sondern ein genaueres Verständnis für die, sorry, „shades of grey“ (pun intended) und mehr Empathie für die Angst der Männer, aus Versehen als Vergewaltiger gebrandmarkt zu werden. In ihrem verständlichen Ärger über den von Dir beschriebenen zweiten Aspekt, vergessen sie aus meiner Sicht oft komplett den ersten, und geben sich auch nicht die geringste Mühe, diese Angst zu verstehen und potentiell sogar diskursiv zu entkräften.

    Das Definitionsprinzip würde in solchen Situationen greifen. Deshalb hat das Definitionsmachtkonzept für mich nur dann Sinn, wenn es dazu führt, dass dann auch gesetzlich geregelt wird, dass solche Situation als eine Vergewaltigung definiert und geahndet werden kann. Denn momentan scheitert viele Vergewaltigungsstrafverfahren eben an diesen Vorsatznachweis.

    Ja, klar, ist ein Problem bei einer potentiellen Straftat, bei der oft Aussage gegen Aussage steht und andere Beweise schwer zu beschaffen sind. Aber als Alternative Verurteilungen aufgrund von Behauptungen zuzulassen auf Basis der Annahme „Frauen werden schon nicht lügen bei sowas“ ist halt auch absurd. Und es ist irgendwie ebenso merkwürdig, wenn sowas von Frauen gefordert wird, die ihre jahrhundertelange rechtliche Benachteiligung beklagen, so nach dem Motto, es geht nicht um das richtige System, sondern „jetzt sind wir dran!“ Genausogut könnte man statt ihrer ja seine Definition nehmen und sie schon wegen der Behauptung wegen Falschaussage zur Rechenschaft ziehen. Geht auch nicht. Wenn es keinen Objektivierungsmaßstab gibt, dann gibt es keine Möglichkeit zur Ahndung potentieller Grenzüberschreitungen und das ist, bei allen Problemen, die sich daraus ergeben, auch wirklich gut so.

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  100. lisbeth,

    Von daher ist es in dieser Situation auch nicht ganz richtig, dass diese zweite Person vergewaltigt “fühlt”, obwohl die erste Person nicht vergewaltgt “hat”.

    Klar, wenn keine Objektivierung stattfindet, dann ist diese begriffliche Asymmetrie problematisch. Subjektiv wäre der Gegensatz eher „A fühlt sich vergewaltigt“, „B ist guten Glaubens von Konsens ausgegangen, hatte keinen Vorsatz gegen den Willen von A Handlungen vorzunehmen“

    „Hat vergewaltigt“/“Hat nicht vergewaltigt/wurde vergewaltigt/wurde nicht vergewaltigt“ wäre die objektivierte Version der komplexeren subjektiven Realitäten, die sich erst bei der Frage nach den Konsequenzen stellt, wegen derer man eben eine Entscheidung treffen muß, ob das Verhalten von B problematisch war oder nicht. Und da muß Bs subjektive Realität notwendigerweise eine größere Rolle spielen als As.

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  101. Sam: „FeministInnen beklagen zurecht den zweiten Aspekt, während Männer enorme Angst haben, für einen Fehler, den sie irgendwann mal unabsichtlich machen könnten, als Vergewaltiger dazustehen“

    Ja, das bringt es auf den Punkt. Im Grunde genommen redet man bei dem Thema oft aneinander vorbei. Ihre Argumentationsweise finde ich erfrischend differenziert.

    Ich weiß nicht, in welchen Situationen die Feminitstinnen die Definitionsmacht praktisch handhaben.

    Für mich würde es nur um diese Situation gehen:

    „Es geht uns nicht um “honest mistakes”, es geht uns darum, daß diese Argumentation ausgenutzt werden kann, wenn es eben kein “honest mistake” war“

    und wie man in der Praxis zwischen tatsächlichen „honest mistakes“ und „mistakes aus Ausrede“ für Vorsatz unterschieden kann.

    Das Ungleichgewicht im Strafverfahren besteht ja darin, dass die anzeigende Frau wahrheitsgemäßg aussagen muss, während der beschuldigte Mann nicht aussagen muss. „Aussage gegen Aussage“ ist daher nicht ganz richtig, weil die Aussagen (oder Nicht-Aussage) unterschiedlich Gewichtung haben.

    Für eine vergewaltigte Frau ergibt sich daraus das Problem, dass der Vorsatz des Mannes nicht beweisen lässt, weil er schweigt und keiner in seinen Kopf reinschauen kann. Bei „honest mistakes“ ergibt sich für den Mann das Problem, dass selbst wenn er wahrheitsmäßig und detailliert aussagt (und nicht nur: „es war doch nur ein normaler Sex“), seine Aussage nicht soviel zählt wie die Aussage der Frau.

    Fair wäre, wenn beide wahrheitsmäßig aussagen müsste und beide Aussagen nach Wahrheitsgehalt geprüft werden würden (dann wäre es „Aussage gegen Aussage“) – diese Möglichkeit gibt das Rechtssystem nicht her.

    (Und dabei haben wir noch nicht die Falschanschuldigungskonstellation berücksichtigt, wo z.B. beide Seiten den Sex auch nachträglich schön fanden, und die Frau aber eine Anzeige macht, obwohl sie sich gar nicht vergewaltigt fühlt, oder wo sexuelle Kontakte behauptet werden, wo es keine gab. Dass das nicht in Ordnung ist, steht außer Frage).

    Für die Differenzierung zwischen „honest mistakes“ und „mistake als Ausrede“ würde mich schon interessieren, insoweit

    1) Männer normalerweise in der Lage sind, zuverlässig zu merken, ob eine Frau will oder nicht will

    und insoweit

    2) Frauen in der Lage sind, zuverlässig zu merken, ob das ein Fehler war oder Vorsatz.

    Ich denke schon, dass ich in der Lage bin, z.B. zwischen Busengrapschen und versehentlichem Streifen der Brüste im überfüllten Bus unterschiedlich wahrzunehmen.

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  102. Reblogged this on Anarchistelfliege and commented:
    Endlich mal Zeit gefunden, diesen Text von Antje Schrupp zu lesen. Fand ich klasse! Ich finde diese oft kursierende Frage unter Privilegierten, ob mensch sich überhaupt äussern /was tun dürfe zu… *insert Machtverhältnis wo die Person privilegiert ist* – also ich finde, diese Frage ist eigentlich auch so ein Kreisen um den Bauchnabel des Privilegierten. Und indirekt auch ein wenig ein Betteln um Absolution „Wenn die (Unterdrückten XYZ) mir explizit sagen, ich DARF mitmachen, dann bin ich aber einer von den Guten, zertifiziert!“ Allein wieviele Blogbeiträge sich damit befassen inzwischen.

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  103. Sam:

    Und während für FeministInnen der zweite Aspekt das entscheidende Problembereich ist, ist es für die meisten Männer der erste. Und das ist, nebenbei bemerkt, auch ein diskursives großes Problem: FeministInnen beklagen zurecht den zweiten Aspekt, während Männer enorme Angst haben, für einen Fehler, den sie irgendwann mal unabsichtlich machen könnten, als Vergewaltiger dazustehen, weswegen sie die Komplexität von Consent in der Vordergrund stellen

    Kennen die meisten Männer überhaupt die Komplexität des Themas, und woher eigentlich? Bei Jauch ist die Runde jedenfalls nicht so tief eingestiegen.

    Hinzu kommt: In der breiten Öffentlichkeit haben Männer Hemmungen, das Thema sexuelle Gewalt überhaupt zu diskutieren, es ist den meisten unangenehm. Vielleicht weil sie es nicht gelernt haben, vielleicht widerspricht das Thema Gewalt gegen Frauen dem Selbstbild von Männern als das coolere Geschlecht.

    Sexisten haben leider weniger Hemmungen, da kommen auch gern mal Verschwörungstheorien wie „man kann nicht mehr mit Frauen allein im Raum sein, die können einem jederzeit eine Vergewaltigung anhängen, und für Sex geht man am besten geht man gleich in den Puff“ (dieselben Typen fürchten womöglich auch, dass man in den Knast kommen kann, wenn man mal aus Versehen „Neger“ sagt). Vielleicht stecken da ja auch nachvollziehbare Ängste dahinter, nachvollziehbar formuliert ist es aber nicht.

    Außerdem gibt es in allen Bevölkerungsgruppen die Optimisten, die sich gar nicht so viel Gedanken machen, was denn alles schief gehen könnte.

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  104. An Alle.
    Ich glaube wir müssen die Gretchenfrage mit einbauen. Denn bei Vergewaltigung geht es um Übergriffe, die direkt als solches empfunden werden und um Täuschungen, wo Liebe vorgetäuscht wird, doch nur mit dem Ziel den anderen zu täuschen, damit mir Vorteile daraus erwachsen, die mein Gegenüber schädigen kann. Diese unlauteren Mittel passieren ja häufig in Verkaufssituationen. So ist zu fragen ist in einer „Waren“-Beziehung in der Täuschungen eingebaut sind nicht immer auch ein Übergriff da, der das Gegenüber schädigt? Ist der Begriff Vergewaltigung da nicht viel weiter zu fassen? Kann ich denn wie bei die Milgramexperimenten nachgewiesen, von vorne herein meine Position klar vertreten, wenn mit hoher Manipulationsfähigkeit (NLP-zum Beispiel) auf mich eingewirkt wird? Hat man nicht mit diesen Methoden Menschen in die totale Schuld und Abhängigkeit getrieben? Und jetzt die Hauptfrage: Kann ich ohne spirituellen Hintergrund zweckfrei handeln und mich auf den anderen so einlassen, dass eben keine Täuschung der Gefühle passiert? Wenn Menschen total miteinander einverstanden sind ist das was sie tun für andere als Vergewaltigung erscheinen und hier ist einfach Sensibilität und Vertrauen wichtig. So vertraue ich auch Hannah Arendt und Hans Peter Dürr, der ihr begegnet ist, und ansonsten wächst das Vertrauen,

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  105. Lisbeth,

    wie man in der Praxis zwischen tatsächlichen “honest mistakes” und “mistakes aus Ausrede” für Vorsatz unterschieden kann.

    Ich denke, daß ein Gerichtsverfahren, aufgrund der notwendigen prozeduralen Beschränkungen (niemand darf dazu gezwungen werden, gegen sich auszusagen, und das ist auch gut so) hierfür vermutlich nicht der beste Ort sein dürfte. Allerdings dürfte ein gesellschaftlicher Diskurs über das Thema, der männliche Sexualität nicht nur unter dem Gewaltbegriff diskutiert, dazu führen, daß es eine generell differenziertere Sichtweise zu dem Thema geben könnte, weil sie Männer nicht automatisch in die Defensive drückt (und ihre Sexualität diskursiv entwertet) die dann auch Gerichtsverfahren zugute kommen dürfte.

    Ich denke, Männer sind in den meisten Situationen in der Lage, das zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten ( http://yesmeansyesblog.wordpress.com/2010/03/24/talking-past-each-other ). Allerdings sind „wenige“ Prozent (http://yesmeansyesblog.wordpress.com/2009/11/12/meet-the-predators) in absoluten Zahlen auch sehr viele, und sie („the predators“), sind für die feministische Diskussion über den von Dir genannten zweiten Aspekt verantwortlich. Die anderen Männer befürchten, da aus versehen rein zu geraten, und solidarisieren sich daher verbal aus Selbstschutz mit Leuten, mit denen sie sich eigentlich nicht solidarisieren müssen. Daß sie das tun, hat aus meiner Sicht enorm viel mit der Art zu tun, in der männliche Sexualität und „Gewalt“ im westlichen feministischen Diskurs oft vermischt werden. Hier eine diskursive Trennung gedanklich und tatsächlich zu vollziehen, wäre für die Diskussion um Vergewaltigung, aber auch um die „rape culture“ als solche, aus meiner Sicht ein enormer Fortschritt. Ich habe nur nicht viel Hoffnung, daß das passieren wird.

    2) Frauen in der Lage sind, zuverlässig zu merken, ob das ein Fehler war oder Vorsatz.

    Dazu kann ich leider nicht wirklich was sagen. Ich bin auch noch nicht in einer Situation gewesen, in der ich hätte entscheiden müssen, ob jemand meine klar kommunizierten Grenzen vorsätzlich überschreitet.

    Irene,

    Kennen die meisten Männer überhaupt die Komplexität des Themas, und woher eigentlich? Bei Jauch ist die Runde jedenfalls nicht so tief eingestiegen.

    Naja, Talkshow im Ersten.

    In der breiten Öffentlichkeit haben Männer Hemmungen, das Thema sexuelle Gewalt überhaupt zu diskutieren, es ist den meisten unangenehm.

    Natürlich, ist mir auch unangenehm. Weil in solchen Situationen klar ist, was gut und was böse ist. Und man als Mann sehr schnell entweder als Arschloch dasteht oder als Schmerzensmann. Und weil gerade Feministinnen, die das Thema eher anschneiden als andere, ohnehin selten wirklich an männlichen Meinungen interessiert sind, wegen „priviligiert und so“. Das macht das Ganze nicht einfach. Da ist nicht viel Entgegenkommen.

    Vielleicht weil sie es nicht gelernt haben, vielleicht widerspricht das Thema Gewalt gegen Frauen dem Selbstbild von Männern als das coolere Geschlecht.

    Ne, es bestätigt das, was sie seit sie klein sind, immer wieder gehört haben, weil es der Standarddiskurs über männliche Sexualität seit mindestens zwanzig Jahren ist: „Deine Sexualität ist zumindest potentiell soziopathisch.“ Wer will das schon gerne hören und dann auch noch darüber reden?

    Sexisten haben leider weniger Hemmungen, da kommen auch gern mal Verschwörungstheorien wie “man kann nicht mehr mit Frauen allein im Raum sein, die können einem jederzeit eine Vergewaltigung anhängen, und für Sex geht man am besten geht man gleich in den Puff” (dieselben Typen fürchten womöglich auch, dass man in den Knast kommen kann, wenn man mal aus Versehen “Neger” sagt). Vielleicht stecken da ja auch nachvollziehbare Ängste dahinter, nachvollziehbar formuliert ist es aber nicht.

    Ich bin da sicher kein besonders typisches Beispiel aufgrund meiner leicht zwanghaften und kontrollbedürftigen Psychologie, aber im Fall der letzten Frau, die mich agressiv „aufgerissen“ hat, hatte ich ernsthaft auch solche Ängste, weil ich nach längerem Rumknutschen *nicht* mit ihr nach Hause gegangen bin. Meine Ängste schwankten zwischen „omg, sie wird eine Stalkerin“ und „sie fühlt sich so zurückgewiesen, daß sie irgendwas erfinden wird.“ Nachvollziehbar? Wohl eher nicht. Aber definitiv echte Ängste.

    Außerdem gibt es in allen Bevölkerungsgruppen die Optimisten, die sich gar nicht so viel Gedanken machen, was denn alles schief gehen könnte.

    Wenn ich damit nicht irgendwann angefangen hätte, wäre ich definitv noch ungeküsst…

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  106. @Irene:

    Ich kenne nur die „Komplexität“, die sich männlichen Missbrauchten darstellt – teiweise von einem durch seine Mutter missbrauchten Bekannten, teilweise, weil ich mitverfolgt habe, mit welcher Mühe offenbar Männer, die als Kinder von Geistlichen missbraucht wurden, zu einer Sprache finden.

    Reicht Dir das als „Erfahrung“ – oder welche Mindestbedingungen stellst Du?

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  107. @Irene:

    PS. „Gewalt gegen Frauen“ gehört tatsächlich nicht zu meinem „männlichen Selbstbild“, warum auch?

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  108. Andreas, hier gehts nicht um einen Wettbewerb, welches Thema wichtiger, komplexer oder schwieriger ist. Wie kommst du drauf, dass ich den Opfern sexuellen Missbrauchs irgendwas absprechen will?

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  109. @Sam

    „Die anderen Männer befürchten, da aus versehen rein zu geraten, und solidarisieren sich daher verbal aus Selbstschutz mit Leuten, mit denen sie sich eigentlich nicht solidarisieren müssen.“

    Ja, das ist ein Problem, und da hast Du sicher auch recht mit Deinen Argumenten, dass Männer sich selbst in der Defensive sehen. Letztendlich liegt es in der Natur der Menschen, dass man zuallererst die eigene Haut retten möchte.

    Ich denke allerdings, dass das Problem auch damit zusammenhängen könnte, dass man nicht alles mit der Unterscheidung zwischen „honest mistakes“ und „mistake als Ausrede“ lösen kann.

    Denn am Problematischesten sind wahrscheinlich diejenigen Männer, die so von sich selbst überzeugt ist, dass sie nicht mal merken, dass die übergriffig sind, auch in Situationen, welche für „normale“ Männer als ganz klar grenzverletzend erkennbar gewesen wären. Also machen die Männer „honest mistakes“ auf eine sehr übergriffige Art.

    Sprich, da gibt es auch zwei Ebenen:

    1. auf der individuellen Ebene die Unterschiedung zwischen „Versehen“ und „Vorsatz“

    2. die Schwere der Grenzüberschreitung an sich, egal ob aus „Versehen“ oder aus „Vorsatz“

    Und aus Frauensicht dann auch

    1. quasi tagesformabhängige Grenze

    2. die personengebundene sexuelle Offenheit im Vergleich zu anderen Frauen

    Und besonders die letztere Frage führt dann zu Meinungsunterschieden auch zwischen Frauen.

    Man stelle sich die folgende Konstellation vor:

    Ein sexuell schüchterner Mann bekommt hintereinander von drei sexuell aktiven Frauen einen Korb, weil diese sexuell mehr von einem „Mann“ erwarteten. Sie wollten, dass der Mann die Initiative ergreift und sie verführt. Irgendwann hat der Mann durch diese Erfahrung „gelernt“, dass er nur dann ein Chance bei Frauen hat, wenn er ein Macho ist. Bei der vierten Frau versucht er das Gelernte in Praxis umzusetzen und macht die Initiative – obwohl diese Frau zurückhaltend war, noch keine sexuelle Erfahrung hatte und ihn erstmal als Mensch kennen lernen wollte, bevor sie an Sex denkt. Vielleicht hat er dann sogar das Nein der Frau überhört, schließlich wollte er ja diesmal keinen Fehler machen. Aus der Sicht der Frau ist es eine Vergewaltigung. Was ist das aus der Sicht des Mannes?

    Und vor allem, was sagen dann die drei füheren Frauen dazu? Schließlich wären sie mit dem Mann, wie er sich jetzt verhalten hat, ihrerseits glücklich gewesen. Nicht umsonst fordern auch deswegen sexuell ‚emanzipierte‘ von anderen Frauen, dass diese sich doch mal das ‚Nein sagen‘ üben sollen. Damit Männer ’sich trauen‘, offensiver sexuelle Initiative zu ergreifen, ohne Rücksicht auf die ’schüchternen‘ Frauen.

    Manchmal sind Frauen das größte Feind der Frauen….

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  110. Lisbeth,

    Denn am Problematischesten sind wahrscheinlich diejenigen Männer, die so von sich selbst überzeugt ist, dass sie nicht mal merken, dass die übergriffig sind, auch in Situationen, welche für “normale” Männer als ganz klar grenzverletzend erkennbar gewesen wären. Also machen die Männer “honest mistakes” auf eine sehr übergriffige Art.

    die gibt es bestimmt auch. Aber nicht so oft, glaube ich. Und der Unterschied in dem Fall ist doch, daß sie im Gegensatz zu den „predators“ bereit sein dürften, zu lernen, und den Unterschied verstehen können, wenn man sie ihnen das auf eine Weise nahe bringt, die klar macht, daß man davon ausgeht, daß es eben ein ehrlicher Fehler war und sie nicht gleich in die Ecke drängt. FeministInnen sind in meiner Erfahrung nicht selten überrascht davon, wie offen Männer für feministische Ratschläge sein können, wenn diese nicht als Vorwurf kommen, sondern als Tip zum erfolgreicheren Umgang mit Frauen formuliert werden… 😉

    2. die Schwere der Grenzüberschreitung an sich, egal ob aus “Versehen” oder aus “Vorsatz”

    Auch ein ganz wesentlicher Punkt, da werden oft Äpfel und Birnen verglichen.

    Was Dein Beispiel betrifft, ich glaube nicht, daß das eine besonders wahrscheinliche Entwicklung für einen schüchternen Mann ist. Ich kenne mich da ein bißchen aus ;), auch was die Erwartungen der meisten Frauen hinsichtlich physischer Eskalation betrifft. In den meisten Fällen führen die drei ersten Zurückweisungen eher zu allgemeiner Misogynie, die dann im Internet unter dem Stichwort „Nice Guy ™“ diskutiert wird. Natürlich kann man Verhalten ändern, aber das ist ein langsamer Prozeß und daher würde ich wirklich soweit gehen zu sagen, daß die Wahrscheinlichkeit des Falles, den Du beschreibst, wirklich ziemlich gering ist, vor allem nicht, wenn es um Sex geht. Weiter vorne im Anbahnungsvorgang dürfte es aufgrund solcher Erfahrungen wohl schon mal zu kleineren Grenzüberschreitungen kommen, z.B. daß mal ein Kußversuch gestartet wird, der dann nicht willkommen war. Das glaube ich schon. Damit müssen dann alle Leben lernen. Natürlich *kann* es immer zu Mißverständnissen kommen, aber ein Fall in denen ein eigentlich schüchterner Mann sein Verhalten zu 100% dreht ohne einen Lernprozeß durchzumachen und deswegen besser mit seiner neuen Rolle umgehen zu können, und deswegen dann jedes Warnsignal unbewußt ausblendet während *er* gleichzeitig eine schüchterne Frau dazu bringt, tatsächlich mit ihm Sex zu haben, die das eigentlich nicht will, sich aber nicht verständlich machen kann, sind, so glaube ich, doch glücklicherweise extrem selten. Ich kann mir eine solche Situation, ganz ehrlich, wirklich nur abstrakt vorstellen.

    Ich glaube allerdings, daß männliche Performance *vorher* aufgrund der von Dir beschriebenen kommunikativen Gemengelage wirklich komplex ist – ein Beispiel –

    http://goodmenproject.com/comment-of-the-day/men-have-to-act-like-were-overcome-by-desire-but-we-have-to-have-self-control-to-stop-if-she-should-say-no/

    und ein Kommentar, den ich zu dem theoretischen Grundproblem mal geschrieben habe (beides auf englisch) –

    http://www.realadultsex.com/archives/2009/01/bogus-two-rules-desire-aka-shorter-no-sex-class-paradigm#comment-17675

    Und was sagen die anderen Frauen dazu? Ich weiß nicht, aber wäre es schön, wenn sich Frauen der darstellerischen Komplexität der männlichen Performance, von ihr gewollt ausgelöster und sowohl sexuell als auch zur eigenen Bestätigung erwarteter, leidenschaftlicher, aber gleichzeitig jederzeit kontrollierter, weil potentiell gefährlicher, Männlichkeit, bewußter werden würden als sie es im allgemeinen zu sein scheinen. Und klar, das gilt auch für Männer. Und generell wäre es wirklich cool, wenn es mehr Frauen gäbe, die uns aus dieser Pseudo-Robert-Pattinson Nummer rauslassen würden ohne den Spaß an Sex mit uns zu verlieren. Oder mehr Männer sich trauen würden, die Lysistrata zu spielen, um mal zu sehen, was dann passiert 😉 Aber ich habe da die Hoffnung so ein wenig verloren und statt dessen auch gelernt, die Rolle (so gut es geht) zu spielen, man lebt schließlich nur einmal.

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  111. @Sam „die gibt es bestimmt auch. Aber nicht so oft, glaube ich. Und der Unterschied in dem Fall ist doch, daß sie im Gegensatz zu den “predators” bereit sein dürften, zu lernen, und den Unterschied verstehen können, wenn man sie ihnen das auf eine Weise nahe bringt, die klar macht, daß man davon ausgeht, daß es eben ein ehrlicher Fehler war und sie nicht gleich in die Ecke drängt. FeministInnen sind in meiner Erfahrung nicht selten überrascht davon, wie offen Männer für feministische Ratschläge sein können, wenn diese nicht als Vorwurf kommen, sondern als Tip zum erfolgreicheren Umgang mit Frauen formuliert werden… “

    Interessanter Ansatz. Prozentual dürften sie wenig sein, in absoluten Zahlen aber dann doch nicht so wenig.

    Diese Personen sind auch nicht gleich zu setzen wie ’normale‘ Männer, die in einer grundsätzlich respektvollen Beziehung mal „honest mistake“ machen können.

    Sondern sie sind fest überzeugt davon (oder sie haben sich fest eingeredet), dass sie toll sind, dass Fraue nicht umhinkommen, Sex mit ihnen haben zu wollen.

    Also, wie man ihnen klar, dass ihr Verhalten nicht „in“ ist, insbesondere wenn sie glauben, dass ihre Empfindung richtig ist? Sie stellen unter einem „erfolgreichen Umgang mit Frauen“ wahrscheinlich auch nicht unbedingt das vor, was Sie darunter verstehen.

    Kann man diese Personen ohne Sanktion oder Androhung einer Sanktion überhaupt erreichen und würden sie von sich aus zum Nachdenken kommen? (Wie gesagt, dass es durchaus Menschen gibt, mit denen man reden kann, und dass diese eher zu erreichen sind, wenn man sie nicht mit Sanktionen droht, ist ebenfalls klar).

    Vergleichbar wäre das vielleicht mit Gewohnheits-Alkoholfahrern, welche fest dran glauben, dass noch ein Bierchen nicht schaden kann, und welche sich ungerecht behandelt fühlen, wenn sie dann doch bei Alkoholfahrten erwischt werden. Sie tun ihrer Meinung nach nichts Schlimmes. Man kann sicher über Sinn und Unsinn von Fahrverboten und MPU diskutieren, aber jedenfalls kann die Sanktion ein Anlass sein, sich dem Thema zu stellen und zum ersten Mal (notgedrungen) nachzudenken.

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  112. @Lisbeth:

    „Für eine vergewaltigte Frau ergibt sich daraus das Problem, dass der Vorsatz des Mannes nicht beweisen lässt, weil er schweigt und keiner in seinen Kopf reinschauen kann.“

    Vorsatz ist ein subjektiver Tatbestand, der sich niemals objektiv beweisen lässt. Denn selbst wenn jemand nachträglich behauptet Vorsatz gehabt zu haben, muss dies dann stimmen? (Vielleicht wird es auch nur gesagt um jmd anderen zu decken; weil man Aufmerksamkeit will; etc.)

    Das Geschlechtsverkehr stattgefunden hat kann man sicherlich beweisen, wie die Motive hierfür waren eben nicht. Hier ist man auf Aussagen angewiesen, die schlüssig sein sollten, um dann von den urteilenden Richtern auch geglaubt zu werden. Gerade ein sensibles Thema wie Vergewaltigungen ist ein rechtliches Dilemma – und wird es auch bleiben.
    Eine „todsichere“ Gerechtigkeit wird man hier wohl nicht erreichen können.

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  113. „Es geht tatsächlich um ein anderes Verständnis von Politik, das diese nicht an Institutionen knüpft, ja. Und ich finde, das Herausarbeiten von Normen ist dabei kein notwendiges Ziel, sondern wesentlicher ist es, einen guten Umgang mit Differenzen zu finden, also auf Normen eben grade auch mal zu verzichten.“
    Antja: Ja, weil wir erkennen, dass der Rechtsstaat immer mehr abgebaut wird brauchen wir eigene Regeln, die unseren Umgang miteinander gewaltfreier organisieren. Und hierbei sind die Menschen wichtig, die durchblicken, wie Unterdrückung und Anpassung funktioniert. Wie schon bei Kindern Liebesentzug praktiziert wird und sie ausgeschlossen werden, und wo der eine durch die Urteile des anderen sich ausgeschlossen sieht und zurückzieht- Da diese Blogs erstmal keine materielle Gewinnmöglichkeiten bieten, sind hier mehr Menschen versammelt, die nicht nur ihre Ziele durchsetzen wollen, sondern verstehen wollen, warum das so ist, und genau das ist das wachsende Verständnis füreinander. Denn damit können wir untersuchen, wo und wie wir immer mehr erpresst werden, zum Beispiel:
    „Die neoliberale Verwahr(heits)losung hat die Universität im großen Stil zu einem Ort der Geschäftemacherei und des (Selbst)betrugs gemacht. Nicht zuletzt aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass das radikale Moment meiner Forschungsarbeit nur noch über die Kunst eine adäquate und wirksame Übersetzung erfahren kann.“ http://emanzipationhumanum.de/downloads/vonwerlhof.pdf

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  114. Lisbeth,

    Diese Personen sind auch nicht gleich zu setzen wie ‘normale’ Männer, die in einer grundsätzlich respektvollen Beziehung mal “honest mistake” machen können.

    Sondern sie sind fest überzeugt davon (oder sie haben sich fest eingeredet), dass sie toll sind, dass Fraue nicht umhinkommen, Sex mit ihnen haben zu wollen.

    Also, wie man ihnen klar, dass ihr Verhalten nicht “in” ist, insbesondere wenn sie glauben, dass ihre Empfindung richtig ist? Sie stellen unter einem “erfolgreichen Umgang mit Frauen” wahrscheinlich auch nicht unbedingt das vor, was Sie darunter verstehen.

    ich kann natürlich nicht für alle Männer sprechen, und sicher gibt es gesellschaftliche Schichten, in denen ich mich nicht so auskenne, aber ich kenne ehrlich gesagt keinen einzigen Mann, der sich einredet, daß er so toll ist, daß Frauen nicht umhinkommen, mit ihm Sex zu haben. Und ich sage das als jemand, der, wie ja schon erwähnt, eher von Frauen verführt wird als anders herum. Wenn Jungs sowas behaupten, ist das meiner Meinung nach eher ein Hinweis darauf, daß sie daran eben *nicht* glauben, und mit Sprüchen ihre Unsicherheit im Umgang mit Frauen kaschieren zu hoffen. Nicht, daß das dann für Frauen in dem Moment angenehmer wäre, aber es ist trotzdem ein Zeichen von Unsicherheit, und keins von Selbstbewußtsein. Ihnen zu helfen, sicherer mit ihrer Männlichkeit zu werden, und das nicht nur im Hinblick auf sie selbst, sondern gerade im Zusammenhang mit dem Umgang mit Frauen, hilft aus meiner Sicht, ihnen das Selbstbewußtsein zu geben, daß oft fehlt, um überhaupt kritisch mit eigenem und fremden Verhalten umgehen zu *können*.

    Die meisten Männer, die ich kenne, stellen sich unter einem „erfolgreichen Umgang mit Frauen“ vermutlich vor allem vor, durch eigenes Verhalten sexuell attraktiver oder besser im Beziehungsmanagement zu werden. Und weil in dem Bereich trotz aller vorhandener Literatur ein enorm geringer Grad von Selbstreflektion vorherrscht (genauso wie bei Frauen, generell unterscheiden sich doch die Gespräche von 35jährigen über ihre Beziehungen oder Sex kaum von denen von 21jährigen, zumindest in meiner Erfahrung) wäre aus meiner Sicht durch ihre Schaffung enorm viel zu gewinnen.

    Kann man diese Personen ohne Sanktion oder Androhung einer Sanktion überhaupt erreichen und würden sie von sich aus zum Nachdenken kommen?

    Natürlich bedarf es Sanktionen, ausreichend spezifisch definiert, denn sie sind natürlich auch Ausdruck gesellschaftlicher Ächtung und dienen zur Kennzeichnung von absoluten Grenzen.

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  115. @Sam „aber ich kenne ehrlich gesagt keinen einzigen Mann, der sich einredet, daß er so toll ist, daß Frauen nicht umhinkommen, mit ihm Sex zu haben.“

    Das ist es ja. Es sollen auch Frauen geben, die der Meinung sind, dass sie so toll sind, dass sie jeden Mann ins Bett bekommen würden. Solche Frauen kenne ich nicht persönlich, aber die Zeitschriften sind voll davon. (Und ich kann mir auch als Frau nicht vorstellen, was in diesen Frauen vorgeht).

    Und genauso sind diese Männer bei den nicht verurteilen Vergewaltigungsanzeigen regelmäßig vorhanden, oder besser gesagt, werden bei Vergewaltigungsanzeigen die Beschuldigten regelmäßig mit dieser Begründung freigesprochen oder das Verfahren eingestellt.

    Wobei die Beschuldigten das nicht mal selbst behauptet haben müssen, sondern die Justiz geht automatisch davon aus.

    Denken diese Männer wirklich so, oder ist es hier eher so, dass man nicht nachweisen konnte, dass das nur Ausrede war?

    Oder ist die Justiz einfach veraltet?

    Darren schreibt ja: „hier ist man auf Aussagen angewiesen, die schlüssig sein sollten, um dann von den urteilenden Richtern auch geglaubt zu werden.“ Das Opfer kann ja nur aussagen, wer was gemacht hat oder wer was gesagt hat. Der Richter kann diese Angaben glauben oder aber auch nicht. Aber über das Motiv des Beschuldigten kann das Opfer nicht asussagen. Darüber kann sowohl das Opfer als auch der Richter nur spekulieren (es sei denn der Beschuldigte legt ein Geständnis ab).

    Es gibt deswegen in der Justiz ein Katalog, wie die Angaben zu interpretieren sind (wenn das passiert ist, dann geht man davon aus, dass Vorsatz vorhanden war – wenn das passiert ist, dann geht man davon aus, dass der Beschuldigte davon ausging, dass die Frau auch wollte). Und da man ja keinen Unschuldigen verurteilen möchte, ist diese Liste nicht sehr realitstisch.

    Dann gibt es auch eine Liste, die listet Situationen auf, wo man davon ausgeht, dass die Frau tatsächlich auch gewollt hat (also wo die Glaubwürdigkeit der Frau in Frage gestellt wird und es dann in die Richtung Falschanschuldigung geht). Auch diese Liste ist nicht realistisch.

    Sam „Natürlich bedarf es Sanktionen, ausreichend spezifisch definiert, denn sie sind natürlich auch Ausdruck gesellschaftlicher Ächtung und dienen zur Kennzeichnung von absoluten Grenzen.“

    Daher die Frage, wie man diese Grenze „definiert“. Und daher macht für mich „Definitionsmacht“ nur in Zusammenhang mit Diskussion um Gesetze einen Sinn.

    ich denke ähnliche wie Du, dass im alltäglichen Bereich Männer und Frauen offener über ihre Bedürfnisse, auch sexuelle Bedürfnisse kommunizieren sollten, um so einen für beide Seiten besseren Umgang miteinander zu finden. Und zwar ohne Keule und Vorwurf. Dazu ist „Definitionsmacht“ nicht geeignet.

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  116. Hallo Lisbeth,

    Das ist es ja. Es sollen auch Frauen geben, die der Meinung sind, dass sie so toll sind, dass sie jeden Mann ins Bett bekommen würden. Solche Frauen kenne ich nicht persönlich, aber die Zeitschriften sind voll davon. (Und ich kann mir auch als Frau nicht vorstellen, was in diesen Frauen vorgeht).

    echt? Ich finde, das ist doch eigentlich ganz einfach, dachte ich jedenfalls. Also, ich kenne eine ganze Menge Frauen, die von sich behaupten, die meisten Männer ins Bett bekommen zu können, vermutlich sind das sogar die meisten Frauen, die ich kenne (Zitat: „ONS könnte ich ständig haben!“). Tatsächlich glauben das wohl die wenigsten, aber wenn Du das in einem Club abends fragst, werden das die meisten Frauen wohl bejahen. Und da ist ja einerseits was dran, weil es für Frauen eben schon einfacher ist, Männer zu einem ONS zu verführen, jedenfalls wenn sie es richtig anstellen, als umgekehrt, aber andererseits stimmt das mit den „meisten“ Männern vermutlich eben nicht. Aber angesichts des gängigen Klischees über immer bereite Männer und gate-keepende Frauen ist die Vorstellung einer Ablehnung beim Angebot von Sex natürlich auch emotional schlimmer als andersherum. Ablehnung ist für den Mann die rollenmäßig erwartete Reaktion. Ist ingesamt vermutlich härter, aber die einzelne Ablehnung ist dann auch nicht mehr so schlimm. Anders bei Frauen, wenn die Annahme erwartet wird.

    Als ich mal einer Freundin davon erzählte, daß ich keinen Toilettensex mit einer Frau wollte, die mich explizit dazu aufgefordert hatte, meinte sie, da wäre ich echt ein Arschloch gewesen, ich könnte doch eine Frau, die mir Sex anbietet, nicht zurückweisen (wir haben uns danach aber noch wieder gesehen). Das ist natürlich eine eigentlich absurde Aussage, denn ich kann dazu schließlich genauso ja oder nein sagen, wie sie, aber sie zeigt eben auch, wie viel mehr das weibliche Ego in vielen Fällen damit verbunden ist, sexuell attraktiv zu sein.

    Und so kommt dann eine solche Aussage wie „Ich kann mit den meisten Männern Sex haben“ zustande, auch als Schutzbehauptung. Eine gute Freundin, die von sich behauptet, sie könne 80% der Männer sofort mit nach Hause nehmen (und die ein anderer Bekannter erst letzte Woche als eine der attraktivsten Frauen bezeichnet hat, die er kenne, an die er sich nicht rantraut), aber das nicht wollte, hat vermutlich seit einem Jahr nicht mal mehr rumgeknutscht. Stellt sich die Frage, ob das wirklich so ist, daß sie halt einfach was anderes sucht, als sie bekommen kann, oder ob das nicht eher wirklich eher eine Schutzbehauptung ist, die sie aufrecht erhält, um sich nicht mit der Frage auseinander setzen zu müssen, warum das vielleicht nicht so ist.

    Und genauso sind diese Männer bei den nicht verurteilen Vergewaltigungsanzeigen regelmäßig vorhanden, oder besser gesagt, werden bei Vergewaltigungsanzeigen die Beschuldigten regelmäßig mit dieser Begründung freigesprochen oder das Verfahren eingestellt.

    Wobei die Beschuldigten das nicht mal selbst behauptet haben müssen, sondern die Justiz geht automatisch davon aus.

    Hmm. Ich denke, und das ist jetzt echt reine Spekulation, daß in solchen Fällen ein paar Narrative eine Rolle spielen, die auch nicht vollkommen absurd sind. Zum einen, daß der Justiz klar ist, daß Frauen einen Sexualtrieb haben, der aber trotz aller Fortschritte gesellschaftlich noch immer nicht so frei auslebbar ist wie bei Männern (slut shaming). Das wiederum könnte zu einer Grundannahme führen, daß Frauen, die sich vielleicht etwas anderes von einer sexuellen Situation versprochen haben, als sich dann ergeben hat, sich in solchen Fällen von sozialem Kontrolldruck genötigt sehen könnten, durch eine Anzeige zu erklären, daß sie eben keine „Sluts“ sind, sondern eben Opfer einer Gewalttat. Der Narrativ kommt dann zusammen mit der Annahme, daß Männer vielleicht nicht immer die Wahrheit sagen, wenn es um Dinge wie Beziehungen geht, sofern es darum geht, Frauen ins Bett zu bekommen, und dem durchaus auch beobachtbaren Phänomen, daß Frauen Männer mit Dark-Triad Psychologie gerade für Kurzzeit-Beziehungen attraktiv finden. Nimmt man das alles zusammen, hat man dann schon eine schöne Erklärung für eine angenommene Falschaussage.

    Es gibt deswegen in der Justiz ein Katalog, wie die Angaben zu interpretieren sind (wenn das passiert ist, dann geht man davon aus, dass Vorsatz vorhanden war – wenn das passiert ist, dann geht man davon aus, dass der Beschuldigte davon ausging, dass die Frau auch wollte). Und da man ja keinen Unschuldigen verurteilen möchte, ist diese Liste nicht sehr realitstisch.

    Dann gibt es auch eine Liste, die listet Situationen auf, wo man davon ausgeht, dass die Frau tatsächlich auch gewollt hat (also wo die Glaubwürdigkeit der Frau in Frage gestellt wird und es dann in die Richtung Falschanschuldigung geht). Auch diese Liste ist nicht realistisch.

    Das finde ich spannend… kann man diese Listen irgendwo einsehen?

    Und zwar ohne Keule und Vorwurf. Dazu ist “Definitionsmacht” nicht geeignet.

    Sehe ich auch so. Das Problem ist da aus meiner Sicht halt, daß es sich bei dem Dingens um ein Relikt aus dem second-wave-Feminismus und dessen epistmelogischer Grundlegung handelt, und das kann halt in manchen Situationen politisch extrem praktisch sein, wenn es auch eher zu internen Debatten führen wird (siehe weiter oben über die Regeln von autonomen Communities) als die gesamtgesellschaftliche Debatte voranbringen wird.

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  117. Sam „Ich finde, das ist doch eigentlich ganz einfach, dachte ich jedenfalls. Also, ich kenne eine ganze Menge Frauen, die von sich behaupten, die meisten Männer ins Bett bekommen zu können, vermutlich sind das sogar die meisten Frauen, die ich kenne “

    Ich könnte das nicht, und ich will das auch nicht.

    Von meinen Freundinnen oder persönlich Bekannten (w) habe ich sowas auch noch nie gehört. Und ich kann mir bei meinen Freunden (m) auch nicht vorstellen, dass sie solche Angebote ohne Weiteres annehmen würden. Es gibt ja auch Männer, die nicht nur Sex im Kopf haben und/oder Wert auf Treue und Liebe legen.

    Aber ich gehe ja auch nicht in Clubs.

    „kann man diese Listen irgendwo einsehen?“

    Die stehen in Fachbüchern aber auch in Rechtsprechungen drin.

    Wenn die Frau z.B. in einem Mehrparteienhaus nicht laut um Hilfe geschrien hat, wird das jedenfalls als Missverständnis seitens des Mannes gewertet (und sie muss ganz schlüssig erklären können, warum sie nicht schreien konnte, damit das Ganze nicht gar als Einverständnis ihrerseits gewertet wird).

    Oder aber wird das Verhalten der Frau vor und nach der Tat mitgewertet. Wenn sie nach der Tat mit dem Mann noch zusammen Kaffee getrunken hat, wird eher angenommen, dass sie den Sex schön fand.

    Wer aus dem Raster rausfällt, hat Pech (z.B. wenn sie noch Kaffee getrunken hat, weil sie sich da nicht mehr traute, gleich zu gehen).

    Eine kleine Liste gibt es z.B. auch im Bericht der Bayerischen Polizei. http://www.polizei.bayern.de/content/4/3/7/vergewaltigung_und_sexuelle_n_tigung_in_bayern_bpfi.pdf

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  118. @Sam Im Übrigen: ich finde es nicht in Ordnung, wenn eine Frau, die einen Mann einen Arschloch nennt, weil er Nein zu Sex gesagt hat. Ein Mann kann und darf genauso Nein sagen, wie eine Frau auch Nein sagen darf, und dies ist zu respektieren. Ich habe allerdings auch schon immer gewundert, wie Frauen weiblichen Vergewaltigungsopfern ins Gesicht sagen können, dass sie selbst gern Sex mit den Männern gehabt hätten und sie nicht verstehen können würden, warum die Opfer das nicht schön fanden.

    Es ist ja auch nicht so, dass Vergewaltiger nur vergewaltigen würden. Sie können auch (mit entsprechenden Frauen) schönen Sex haben.

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  119. @Lisbeth: Es ist allerdings völlig egal, ob sog. Vergewaltiger auch dann und wann, oder bisher nur ausschließlich „schönen sex“ gehabt haben. Jede Vergewaltigung ist zuviel und gehört bestraft. Nur bleibe ich dabei, dass es eben schwierig ist. Denn nochmal: selbst ein Geständnis muss nicht der Wahrheit entsprechen – aber das ist und war schon immer im Recht so. Handeln und Denken von Menschen ist eben keine Mathematik, welche logischen Mustern folgt.

    @Antje: Interessant ist, wie sich die Diskussion, die zu Beginn noch ein bisschen auf deinen Artikel bezug nahm, nun ausschließlich um Vergewaltigung dreht. Sieht man hier wieder einmal die Lust des Menschen über das Unglück von Dritten zu debattieren?

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  120. @Darren „Jede Vergewaltigung ist zuviel und gehört bestraft. Nur bleibe ich dabei, dass es eben schwierig ist.“

    Da ist dann die Politik gefragt. Wenn die Gesellschaft der Meinung ist, dass jede Vergewaltigung eine zuviel ist und bestraft gehört, aber diese Bestrafung aktuell eben schwierig ist. Da kommt dann die Definitionsmacht ins Spiel, um die Gesetze und die Urteile anders zu gestalten, so dass diese Vergewaltigungen auch tatsächlich bestraft werden können. Die Definitionsmacht ausschließlich moralisch-politisch zu verwenden, in dem Sinne, dass diese Vergewaltiger unverurteilt bleiben aber moralisch-sozial verachtet werden sollen, kann gerade für Opfer gefährlich werden, denn rechtstaatlich sind diese Vergewaltiger eben keine, bis diese verurteilt worden sind, und Opfer die Tat auch nicht als Vergewaltigung bezeichnen dürfen.

    „Sieht man hier wieder einmal die Lust des Menschen über das Unglück von Dritten zu debattieren?“

    Sprechen Sie von sich?

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  121. @Sam @Lisbeth – Ich denke, es ist gut, eure Diskussion hat jetzt überhaupt nichts mehr mit meinem Post zu tun, daher ist sie hier nicht am richtigen Platz!

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  122. …was ist tierisch und was menschlich? in einem franzoesichen Video/Gespraech hatte man es so ausgedrueckt
    Sex ist tierisch,
    Erotik ist des Menschen!
    Also meine Meinung: Wenn keine erotische Beziehung zwischen Frau und Mann besteht, ist es Vergewaltigung der menschlichen Natur und des Opfers und seiner selbst, da tierisches Verhalten, also: menschunwuerdig!
    Menschunwuerdig sind deshalb auch:
    sexuelle Handlungen Gleichgeschlechtlicher, da unnatuerlicher
    menschlicher Art!

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