Menschen, Maschinen und Arbeit

Robot in an Easter Egg
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Das Versprechen vom Ende der Arbeit ist extrem populär. Auch bei der Republica, dem Blogger_innentreffen in Berlin, gab es einen Vortrag dazu, von Johannes Kleske, und er war total überfüllt. „Wenn Maschinen uns ersetzen“ lautete der Untertitel. Hier kann man die Videoaufzeichnung sehen.

Ich bin dort hingegangen, weil das Thema mich interessiert und ich unentschieden bin. Denn einerseits arbeite ich selbst ja nie, wie ich hier schonmal schrieb, andererseits verbindet sich aus meiner Sicht mit der Idee vom „Ende der Arbeit“ auch viel Illusorisches, wie ich wiederum hier schrieb.

In seinem Vortrag zeigte Johannes Kleske, dass inzwischen nicht mehr nur schwere körperliche Arbeit von Maschinen ersetzt wird, sondern auch viel Arbeit in hochqualifiziert-bildungsbürgerlichen Berufen: in der Medizin, im Rechtswesen, im Finanzwesen können Algorithmen vieles schneller erledigen als Menschen von Hand. Der Trend zur Entwertung menschlicher Arbeit betrifft also längst nicht mehr nur die wenig qualifizierten Tätigkeiten, sondern auch alle anderen.

Wie viele sieht auch Kleske den hauptsächlichen Beleg für die These vom „Ende der Arbeit“ vor allem in einer zunehmenden Arbeitslosigkeit. Doch das ist ein Denkfehler: Zunehmende Arbeitslosigkeit beweist nämlich keineswegs, dass keine Arbeit da ist, sondern nur, dass sie nicht profitträchtig genug ist, um für ihre Erledigung zu sorgen: Schultoiletten verdrecken, Pflegebedürftige werden im Minutentakt abgefertigt, Sachen werden nicht repariert, und so weiter. Dass Arbeit da ist, bedeutet halt nicht automatisch, dass sie auch getan wird.

Kleskes Botschaft war allerdings nicht: Toll, wir erfinden lauter Maschinen und dann müssen wir nichts mehr arbeiten und können den ganzen Tag Spaß haben. Sondern seine Botschaft war: Toll, wir erfinden lauter Maschinen und dann überlegen wir, was Maschinen gut können und was Menschen gut können. Sein Plädoyer ging also in Richtung bestmögliche Kooperation aus beidem – was ich durchaus unterschreiben würde.

Die Frage ist aber, was der Maßstab dafür ist, ob die Kooperation zwischen Mensch und Maschine gut funktioniert, und in welchem symbolischen Rahmen wir uns diese Kooperation vorstellen. Kleske griff dabei auf das alte Idealbild der griechischen Antike zurück: So wie die freien Bürger Athens den lieben langen Tag über die Agora flanierten und sich dem freien Philosophieren und Politisieren hingaben, so würden auch wir bald unbehelligt von Alltagsarbeiten uns den schönen und wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen – nur dass die lebensnotwendigen Arbeiten nicht mehr von Sklavinnen und Sklaven erledigt würden, sondern von Maschinen.

Meiner Ansicht nach ist aber das Problem am patriarchal-athenischen Modell nicht (nur), dass dabei Menschen ausgebeutet wurden, sondern dass dahinter eine fragwürdige Hierarchisierung der Welt in Oben und Unten, in Wertvoll und Wertlos, in Wichtig und Unwichtig stand, die dann immer weiter ausgeufert ist, etwa in Dichotomien wie geistig/körperlich, Kultur/Natur, männlich/weiblich etc. Und aus der Science Fiction wissen wir ja bereit, dass sich das auf die Hierarchie von Mensch/Maschine ausweiten lässt und wir es wahrscheinlich irgendwann auch mit Emanzipationsforderungen von  Robotern zu tun kriegen. Dass bestimmte Arbeiten und Tätigkeiten als minderwertig und andere als höherwertig gelten (und welche), liegt ganz und gar nicht „in der Natur der Sache“, sondern ist immer das Ergebnis eines kulturellen Entwicklungs- und Aushandlungsprozesses.

Die dualistische Zweiteilung der Welt führt unser Denken generell auf falsche Gleise. Sie wird nicht dadurch besser, dass jetzt Roboter an die Stelle der Sklavinnen und Sklaven treten. Denn diese Zweiteilung deformiert auch diejenigen, die „oben“ stehen.

Ein anderes Paradigma, das aus meiner Sicht hinterfragt werden müsste, das Kleske aber kritiklos übernahm, war der Maßstab der Effizienz: Maschinen können effizienter Statistiken auswerten, Menschen können effizienter außerhalb des „Rahmens“ denken und kreativ sein. Die Frage, wie zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Maschineneinsatz unterschieden werden könnte, beantwortete er mit dem Vorschlag, die „wirklich menschlichen“ Arbeiten von solchen Arbeiten zu unterscheiden, die Maschinen besser erledigen können.

Das ist eine gute Idee, aber was heißt „besser“? Das Problem ist doch, dass Qualität in Bezug auf Arbeit fast immer mit Effizienz gleichgesetzt wird. Dorothee Markert hat einmal schön geschildert, wie ihr Streben nach Effizienz die Qualität ihrer Gartenarbeit beschädigt hat. „Nichts auf der Welt kann den Verlust der Freude an der Arbeit wettmachen“ hat Simone Weil schon vor achtzig Jahren gesagt und damit die Gewerkschaften kritisiert, die ihre Forderungen allein auf Effizienzsteigerung, also mehr Lohn und weniger Arbeitszeit, fokussiert haben.

Wenn Effizienz auf Kosten der Freude an der Arbeit geht,  befördert sie nicht das gute Leben, sondern behindert es. Das ist genau der alte athenische Dualismus, wonach man die Arbeit „weg kriegen“ muss, damit man Zeit für das „Eigentliche“ hat, aber das ist eine falsche Gegenüberstellung.

Dasselbe gilt für die Qualität. Ein Pflegeroboter mag einen alten Menschen zwar hygienisch „sauberer“ kriegen als ein Mensch, aber eine besondere Qualität der menschlichen Pflege, nämlich gleichzeitig eine Beziehungsdimension zu haben, geht dabei verloren. Ein professionelles Catering bringt zwar vielleicht ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis zustande, aber eine gemeinsame Mahlzeit von Selbstgekochtem hat eben eine zusätzlich Qualität, weil nicht das Sattwerden, sondern die Beziehung der Beteiligten im Zentrum steht.

Damit will ich nicht sagen, dass überall da, wo menschliche Beziehungen im Spiel sind, keine Maschinen eingesetzt werden sollen. Manchmal kann der Einsatz von Maschinen Beziehungen fördern und stützen und zum guten Leben für alle beitragen, manchmal kann er sie aber auch beschädigen und zerstören. Die Pflege von alten Menschen zum Beispiel ist ohne jegliche technische Unterstützung sehr anstrengend und mühsam. Das kann zur Überforderung führen und sich negativ auf die Beziehung zwischen Pflegerin und Pflegebedürftiger auswirken. Wenn aber im Gegenteil fast die gesamte Pflegearbeit von Maschinen oder rein professionellen Kräften erledigt wird, kann sich das ebenfalls negativ auf die Beziehungen auswirken, wenn zum Beispiel Kinder und Enkel die Großmutter sonntags im Altenheim besucht und mühsamen Smalltalk gemacht wird, man sich aber eigentlich nicht viel zu sagen hat, weil es keinen geteilten Alltag gibt.

Ein anderes Problem, das sich vor allem durch den Einsatz von Algorithmen stellt, ist die Unterordnung des Einzelfalls unter die statistische Wahrscheinlichkeit. Gerade in der Medizin ist das ein Problem, wenn etwa nicht mehr der Arzt oder die Ärztin über die Behandlung entscheidet, sondern „der Computer“. Gerade habe ich von einem Fall gehört, in dem eine Patientin wiederholt mit einem Medikament behandelt wurde, auf das sie allergisch reagiert. Obwohl ihre Angehörigen die Ärzte immer wieder darauf hingewiesen haben, wurde es immer wieder eingesetzt, denn „im Allgemeinen wird auf dieses Medikament sehr gut reagiert“, wurde ihnen mitgeteilt.

Algorithmen berücksichtigen Einzel- und Sonderfälle nicht, im wirklichen Leben hat man es aber konkret mit überhaupt nichts anderem zu tun als mit Sonder- und Einzelfällen. Und es liegt eben im Wesen von Sonder- und Einzelfällen, dass es völlig uneffizient ist, ihnen Aufmerksamkeit und Zeit zu widmen.

Das alles ist natürlich nicht die Schuld der Maschinen und der Algorithmen selber, sondern eine Folge davon, dass wir sie im Rahmen einer falschen symbolischen Ordnung zum Einsatz bringen. Die männliche westliche Ideengeschichte ist von zwei Grundfehlern geprägt, die sich hier auswirken: Die Abwertung von Beziehungen im Vergleich zu formalen Verhältnissen und Hierarchien, und die Abwertung der Kontingenz (also des Zufälligen, des Einzelfalls) im Vergleich zu verallgemeinerbaren und universalen Gesetzmäßigkeiten.

Wenn diese Art zu denken zusammenkommt mit dem Potenzial von Maschinen und Algorithmen, dann hat es genau die negativen Auswirkungen, die wir überall beobachten können: Die Maschinen und Algorithmen werden aus reinen Effizienzgründen eingesetzt ohne Rücksicht darauf, wie sich das auf die Beziehungen unter Menschen auswirken, und ihr Einsatz führt dann dazu, dass die Einzel- und Sonderfälle, eben die Kontingenz, noch mehr unter die Räder kommt als sowieso schon.

Das ist aus meiner Sicht auch der Grund, warum so viele Frauen – und vor allem feministische Frauen, die die männliche symbolische Ordnung kritisch reflektieren – eine tendenziell technikkritische Haltung einnehmen.

Ich finde, dies ist ein Punkt, an dem wir weiter denken sollten. Ein erster Vorschlag wäre, als Sinnbild für freies Tätigsein nicht die von den realen und materiellen Notwendigkeiten des Lebens entfremdeten Männer auf der athenischen Agora zu nehmen, sondern Männer und Frauen, die sich bei ihrem Arbeiten oder Tätigsein an den Notwendigkeiten der Welt orientieren und ihre dabei gemachten Alltagserfahrungen politisch und philosophisch reflektieren. Die sich von Maschinen unterstützen lassen, allerdings nicht unter dem Leitbild der Effizienz und des Möglichst-wenig-arbeiten-Müssens, sondern unter dem Leitbild des guten Lebens für alle Menschen und gelingender Beziehungen untereinander.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

25 Gedanken zu “Menschen, Maschinen und Arbeit

  1. „Arbeit hat an keinen Wert, nur Notwendigkeit. Wert hat nur der Mensch.“
    Das ist eine meiner Erkenntnisse, die ich als Motto auf meinem Twitteraccount stehen habe. Für diese wurde ich schon oft belächelt und als dumm und blöd hingestellt.

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  2. Vielen Dank für diesen Text. Zum guten Leben gehört eben auch sinnvolle Tätigkeit im Austausch mit anderen. So lange unsere ökonomischen Systeme aber auf die Maximierung von Profit und Effizienz ausgerichtet sind und wir nicht zum Wohle des Menschen wirtschaften, sondern um Wachstum zu generieren und im Wettbewerb mit anderen Gesellschaften zu siegen, wird es für die einen ebenso schwer sein, ihre Arbeit und damit ihren Lebensunterhalt an Maschinen abzugeben, wie für die anderen, auf die gesteigerte Rendite durch Personaleinsparungen zu verzichten. Mit diesem Thema sind wir mitten in der Diskussion um Care-Economy bzw. feministischer Ökonomie.

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  3. @Antje – „. Die sich von Maschinen unterstützen lassen, allerdings nicht unter dem Leitbild der Effizienz und des Möglichst-wenig-arbeiten-Müssens, sondern unter dem Leitbild des guten Lebens für alle Menschen und gelingender Beziehungen untereinander.“

    Ja, ganz wesentlich. Auch wenn Maschinen uns hilfreich sind und verschiedenste
    Arbeiten abnehmen, nehmen sie uns ja nicht die Verantwortung dafür ab, was sie produzieren und wofür wir sie gebrauchen.

    Auch bei Maschinen kann stimmen, was für Menschen gilt: Nicht alles ist gut, was Arbeit schafft oder erleichtert, siehe Rüstungsbetriebe, Tabakindustrie….

    Klicke, um auf Poster-Tabakkonferenz06-09.pdf zuzugreifen

    So stellt sich mir weiter die Frage: Was macht es mit Mensch und Gesellschaft, wenn hochtechnisierte Arbeitsabläufe dafür sorgen, dass ihr Gesamtergebnis
    anonym bis unsichtbar bleibt für die Beschäftigten und Mitwirkenden an diesen Produktions-Prozessen?
    Ist mannfrau nicht schon heute in vielen Bereichen nur noch das berühmte „Rädchen im Getriebe“ solcher maschinellen Arbeitsweisen, die so besehen, nicht dem Wohle von Mensch und Natur dienlich sein können?

    Obwohl nun alles andere als bibeltreu und fest, halte ich viel von dieser Weisung hier in (Mk 2,27), die das gute Leben für alle meint, und die ich mir so übersetze: „Die Maschinen sind für die Menschen da und nicht die Menschen für die Maschinen“.

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  4. Guter Text, über dieses Thema sollten wir uns öfter Gedanken machen, damit aus der Utopie doch Realität werden kann. Leider finden wir uns mit dem Bestehenden oder dem gegenwärtigen Trend noch ab. Dabei wird es echt nur schlimmer… Der aktuelle Kapitalismus mit seiner Maxime „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ führt weg vom Menschlichen. Wir geben unsere Kinder in die Hände von Roboter-Plüschtieren und Einstein-DVDs, nur um der Forderung nach beruflicher Flexibilität und Maximierung des Profits nachzugehen. Kaum haben wir der Werbung nachgegeben und uns die Segnung eines modernen Handys zugelegt, so wird uns eingeredet, es ist veraltet und wir brauchen ein moderneres Handy. Eine Alternative ist ein Leben ohne Streben nach immer mehr, immer besser. Es wäre ein Leben in Zufriedenheit mit dem was ist. Aber gerade Männer werden eben so erzogen: Du bist nur was wert, wenn Du was Besseres vorzuweisen hast als die anderen. Daher die Gier der Manager und Sportler, die 2,6 Millionen im Jahr verdienen und trotzdem noch Steuern hinterziehen – nicht weil sie es nötig hätten, nein, sondern um sich gut zu fühlen: dann erst bin ich besser als die anderen, wenn sie übertrumpfe, egal was das kostet. Statt über neue Steuergesetze sollte die Politik über Anreize zum Teilen nachdenken. Soziales Mit- und Füreinander muss wieder belohnt werden mit Aufmerksamkeit und Anerkennung.

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  5. Zwei Anmerkungen dazu:

    Weshalb haben Pflegekräfte so wenig Zeit für Zwischenmenschliches? Weil sie stattdessen viel zu viel Zeit mit Routineaufgaben verbringen. In meinen Augen wäre es deshalb nicht nur auf diesem Gebiet ideal, wenn Roboter bzw. Computer sich um – meist ungeliebte, langweilige – Aufgaben kümmern könnten, der Mensch sich dagegen um Wichtigeres.

    (Zwischenbemerkung: Der natürliche Antrieb von Programmierern ist Faulheit. Der weitaus größte Teil aller Programme dient der Bequemlichkeit. Und der Vermeidung von sich wiederholenden Aufgaben.)

    Ein Aspekt ist überhaupt nicht zur Sprache gekommen. Vor mehr als vierzig Jahren schon, als mein Bild von Computern und Robotern noch durch Fernsehserien wie „Raumschiff Enterprise“ und „Mit Schirm, Charme und Melone“ geprägt war, träumte ich davon, einen Roboter an meiner Stelle zur Arbeit zu schicken. Einige Jahre später habe ich begriffen, weshalb dies leider utopisch bleiben wird: Solche Roboter kann sich jemand, der einfache Arbeiten macht, die auch durch Roboter erledigt werden können, überhaupt nicht leisten. Stattdessen werden solche Maschinen von (reichen) Arbeitgebern angeschafft, um dann im Folgenden Lohnkosten sparen zu können.

    Damit uns Roboter eines Tages wenigstens ein bisschen die Arbeit erleichtern, ohne dass deswegen jemand finanzielle Not (wegen Arbeitslosigkeit) erleidet, müssten die Maschinen den Arbeitern gehören, die deren Arbeitskraft dann an die Arbeitgeber verleihen, und dafür dann „Miete“ statt „Lohn“ kassieren. Und genau deswegen wird es eine Utopie bleiben, dass eines Tages Maschinen unsere Arbeit machen werden, *und* wir darüber auch noch glücklich sein werden!

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  6. Obwohl ihre Angehörigen die Ärzte immer wieder darauf hingewiesen haben, wurde es immer wieder eingesetzt, denn „im Allgemeinen wird auf dieses Medikament sehr gut reagiert“, wurde ihnen mitgeteilt.

    Algorithmen berücksichtigen Einzel- und Sonderfälle nicht

    In der Statistik gibt es den Begriff der Irrtumswahrscheinlichkeit. Nur sind Ärzte leider keine Naturwissenschaftler, sondern Multiple-Choicler oder so.

    Letzten Endes sind viele Gründe für die beschriebene Denkfaulheit denkbar. Vielleicht gab es für dieses Medikament einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse, aber niemand der Beteiligten wusste, wie das mit dem Aut-Idem-Kreuz auf dem Rezeptblock funktioniert.

    Außerdem sind viele Ärzte durch den hohen Status etwas weltfremd. Wenn ich sage, welch krumme Dosis an Schilddrüsenhormonen ich nehme, dann staunen manche Ärzte. Die trauen mir nicht zu, dass ich kopfrechnen und mit einem Tablettenteiler umgehen kann. Da schüttelt doch jeder Fliesenleger den Kopf…

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  7. „Effizienz“ als prägende Messgröße mag ja vielen als „bäh“ erscheinen – aber die Ausrichtung daran erzeugt nun mal den Mittelüberschuss, aus dem sich der Kapitalismus seit Jahrhunderten regeneriert. Ein Mittelüberschuss, der Wohlstand und gesellschaftliche Transformation hin zu einer solidarischen wohlfahrtsstaatlich geprägten Gesellschaft samt Umverteilung materiell erst ermöglichte. Das ganze Gerede von alternativen ökonomischen Konzepten scheitert schlicht an dieser nahezu tautologischen Kausalbeziehung. Niemand kann in einer offenen Gesellschaft entscheiden – nicht einmal in einer komplett emanzipierten Demokratie -, dass ab sofort ökonomische Anreize nicht mehr funktionieren sollen. Selbst in solchen marktfernen Konstruktionen wie dem verblichenen Ostblock gab es virulente Schwarzmärkte, auf denen Ressourcen effizient koordiniert wurden, alle irgendwie und irgendwo nach ihrem materiellen Vorteil gesucht haben. Begleitet werden „alternative“ Ökonomien regelmäßig von überbordender Bürokratie (man muss ja den kapitalistischen Trieb mittels Verwaltung im Zaume halten) und alles durchsetzender Korruption und staatlicher Willkür. (Vgl. hierzu auch Venezuela, Kuba, China, Weißrussland, etc. pp.)

    Antje, Du als meiner Wahrnehmung nach durchaus vom christlichen Menschenbild Geprägte – wie stehst Du zum „Konzept Effizienz“ als DEM Nachhaltigkeitsgrundsatz schlechthin? Effizienz ist per definitionem ja schlicht nichts anderes als das Nichtverschwenden der Schöpfung?

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  8. Die These vom „Ende der Arbeit“ und andere Verteilungskämpfe gehören alle zum „Kuchendenken“: die implizite Annahme, dass es nur einen Kuchen gibt und über dessen Verteilung sich trefflich streiten lässt.

    Und kaum hat jemand gezeigt, dass sich super leckere neue Kuchen backen lassen (vielleicht sogar von Maschinen!), wird wieder über deren Verteilung nachgedacht. Und die Leute, die bisher 10% vom alten Kuchen hatten, wollen Gesetze, dass das auch bei allen neuen Kuchen 10% bleibt.

    Sokommanichweiter.

    Wenn Maschinen mehr für uns tun können, können wir alle mehr (er-)schaffen. Dem Höhlenmenschen ist auch nicht die Arbeit ausgegangen, nur weil jemand besseres Feuerzeug erfunden hat.

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  9. Noch ein radikaler Gedanke von mir: Es gibt keine Faulheit. Auch von dieser Vorstellung muss sich verabschiedet werden, wenn die Gesellschaft endlich menschlicher werden will.

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  10. „Die männliche westliche Ideengeschichte ist von zwei Grundfehlern geprägt, die sich hier auswirken: Die Abwertung von Beziehungen im Vergleich zu formalen Verhältnissen und Hierarchien, und die Abwertung der Kontingenz (also des Zufälligen, des Einzelfalls) im Vergleich zu verallgemeinerbaren und universalen Gesetzmäßigkeiten.“ Ich glaube, das trifft wirklich den Kern der Sache, der immer mehr Frauen Unbehagen bereitet (oft auf einer Ebene, die noch gar nicht formuliert, sondern nur gefühlt wird) seidem diese Form der Zweckrationalität und der formalen Beziehungen nun auch Frauen als Normalfall abverlangt wird, indem sie am System der Lohnarbeit teilhaben dürfen/müssen/wollen. Meine Prognose ist, dass sich an dem Widerspruch, der sich daraus ergibt, eine neue Chance der Opposition bildet, denn eine Gesellschaft ohne Fürsorge und Bindung kann nicht funktionieren.
    Lg! Catherine

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  11. Auch ohne Faulheit bliebe immer noch der Hang zur Bequemlichkeit, der mein Denken und vor allem mein Handeln prägt. Mein Opa sagte früher: „Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben.“ Daraufhin nahm ich mir für mein Leben vor, möglichst viel im Kopf zu haben, damit ich nicht so viel Zeit mit Lauferei verschwende, sondern die eingesparte Zeit z.B. für überflüssige Kommentare wie diesen nutzen kann… 😉

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  12. Interessante Gedanken – vielen Dank dafür. Wobei ich den monetären Aspekt, dass nur die Maschinenbesitzer „Geld verdienen“ (und damit gesellschaftliche Anerkennung erhalten) und die anderen als minderwertig angesehen werden, auch noch als erwähnenswert ansehe.

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  13. Ich wüsste ein passenderes Themenfeld für dich als Medizin, Antje: Automatisierung von Beziehungen in Social Media durch Software. Die Social Media Vollprofis meiden die Themen Xibutler und Tweetadder, als wären diese Dinger gar nicht da – vielleicht wie ein Kind, das die Decke über den Kopf zieht, wenn im Film die Monster kommen. Vielleicht magst du in die Lücke springen und die kleinen Monster mal ansehen? Immerhin beanspruchen sie unsere Zeit, wenn andere Menschen sie verwenden.

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  14. @Papdopoulos – Es geht ja nicht darum, Effizienz für total unwichtig zu erklären, sondern nur darum, dass sie nicht immer und jederzeit das einzige Kriterium für die Art der Arbeitsorganisation sein soll. Zu deiner letzten Frage: Effizienz als solche ist ja unabhängig von Inhalten und Zielen. Man kann auch die Ermordung von Menschen effizient organisieren. Dass Effizienz also „der“ Nachhaltigkeitsgrundsatz wäre, sehe ich nicht so.

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  15. @Irene – Ja, das ist ein gutes Beispiel. Allerdings mag ich diesen Monstern gar nicht so viel Aufmerksamkeit widmen, zumindest aus meiner Social Media-Nutzung kann ich sie bisher ganz gut heraushalten 🙂

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  16. Automation ist sowohl gut als auch schlecht. Die Erfindung der Wasch-, Spülmaschine und des PC waren gut; bestimmt aber nicht deren Stand-By-Funktion, technisch begrenzte Lebensdauern und unnütze Features. Automation in den Produktionsabläufen ist teils gut. Verdichtete, vergiftete Böden durch zu schwere Maschinen/irreversible Gifte in der Landwirtschaft sind nicht gut; reine Handarbeit in der Landwirtschaft auch nicht. Es kommt immer auf Ausgewogenheit Mensch und Maschine an, unter dem Aspekt der Einhaltung moralischer und ökologischer Grundgesamterkenntnisse. Diese „Moral“ kann nur als gesamtgesellschaftliches Regelwerk funktionieren und müsste laufend fortgeschrieben werden.

    Der „Freie Markt“ beachtet diese „Moral“ nicht, da er auf den kurzfristigen Maximalprofit bzw. das Überleben einzelner Marktakteure ausgerichtet ist. Als weibliche Naturwissenschaftlerin habe ich die Erfahrung gemacht, dass die überwiegend männlichen Kollegen durchaus die Moralansprüche unterstützen, aber keinerlei Macht gegenüber den unmoralischen Ansprüchen des Management besitzen. Technische ErfinderInnen und EntwicklerInnen sind die Sklaven des Kapitals seit der Antike geblieben, sie erfahren kaum Wertschätzung. Sie haben oft nicht mal die Mittel, einen professionellen Anstreicher für ihre Privatwohnung zu engagieren. Neuerdings werden sie gerne outsourcend oder sie werden in die militärisch-/medizinisch/-Lebensmittel-/chemisch-industriellen Komplexe gezwungen und sind in ihrer Wirkungsweise dem Diktat von technischen/biologischen, emphatisch-unfähigen Laien ausgeliefert.

    Zur Zeit findet eine Zweiteilung der Gesellschaft statt. Einmal bzgl. Zugang zu technischen Neuerungen. Es gibt die Premiumkunden, deren Güter-/Diensteangebot sowohl durch Automation mit hochqualifiziertem, mittelmäßig bezahltem Personal als auch per billigster Handarbeit (siehe Appel in China) hergestellt werden. Die „armen“ Kunden behelfen sich, falls sie es sich noch leisten können, mit qualitativ weniger guten Gütern/Diensten, hergestellt im gleichen Umfeld wie oben genannt bzw. mit einheimischen Billiglöhnen.

    Effizienz ist mit Arbeitsteilung verbunden. Sie muss aber auch moralischen Ansprüchen genügen. Ein an Krebs erkrankter Mensch soll nicht nur die Behandlung des zuständigen Organfacharztes bezahlt bekommen, sondern auch den allgemeinen Onkologen, da der Krebs streuen kann. Arbeitswissenschaftler werden durch Beratungsfirmen/Führungspersonal per unerfahrene Laien/BWL-ern ersetzt, dem Allgemeinwohl verpflichtete Institutionen mit Vernetzungsforschung durch privatwirtschaftliche. Politiker sind die technisch ahnungslosesten Laien.

    Es ist die gesellschaftspolitische Unfähigkeit, Technik und deren Fortschritte allgemein nutzbringend einzusetzen. Deshalb hat nach vielen Generationen von Erfindern und Forschern die Wertschätzung/Akzeptanz diesbezüglicher Berufe einen gesellschaftlichen Tiefstand erreicht. Die Hängematte für alle gab es nie und wird auch nicht kommen.

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  17. Zitat: „Kleske griff dabei auf das alte Idealbild der griechischen Antike zurück: So wie die freien Bürger Athens den lieben langen Tag über die Agora flanierten und sich dem freien Philosophieren und Politisieren hingaben, so würden auch wir bald unbehelligt von Alltagsarbeiten uns den schönen und wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen – nur dass die lebensnotwendigen Arbeiten nicht mehr von Sklavinnen und Sklaven erledigt würden, sondern von Maschinen.“

    Diese Vorstellung war und ist zwar weit verbreitet (auch im alten Athen), aber sie hat nichts mit der attischen Demokratie zu tun, sondern ist ein Ausdruck oligarchischer Vorstellungen (zB von Aristoteles, der eben kein Demokrat war): Nur dem gebührt das Bürgerrecht, wer nicht von seiner Hände Arbeit leben muss.

    Tatsächlich ist aber die Einbeziehung der armen Teile der Bürgerschaft (im Gegensatz zu Nicht-Bürgern, Frauen und Sklaven) der entscheidende Punkt, der die attische Demokratie aus den anderen poleis des antiken Hellas hinaushebt. Die Vorstellung der Isonomie, der Gleichberechtigung aller Bürger ohne Ansehen ihres Einkommens, ihrer Bildung oder anderer Faktoren, ist der Kernpunkt der Demokratie, damals wie heute.

    Die damit verbundenden politischen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Klassen waren entscheidend für die Dynamik im antiken Athen und eine wichtige Voraussetzung des attischen Imperialismus. Auch heute ignoriert eine solche auf technische Tricks gestützte „Utopie“ jegliche innergesellschaftlichen Unterschiede; real vorhandene Klassengegensätze werden ignoriert, und übrig bleibt ein bourgeoises Märchen vom Schlaraffenland, was nur zu einem gut ist: Gut abgesicherten Bürgerlichen ein gutes Gewisses zu verschaffen, auf Kosten derer, die ökonomische an den Rand gedrängt werden.

    P.S.: Literarisch hat sich Isaac Asimov mit einer vollständig auf Roboterarbeit basierenden Wirtschaft auseinandergesetzt. Ich empfehle dazu die Romane „Die Stahlhöhlen“, „Die nackte Sonne“, „Aurora oder Aufbruch zu den Sternen“ und „Das galaktische Imperium“. Um ein wenig zu spoilern: Gut kommen diese Gesellschaften nicht weg…

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  18. Danke für den Artikel und die vielen Literatur Tipps in den Kommentaren. Insbesondere die Arbeit von Computern in der Medizin ist interessant. Trotzdem werden die meisten Jobs wie Ärzte, Ingenieur oder Softwareentwickler nie ersetzt werden.

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