Keine Ziele haben. Eine Frage zur Grinsekatze im Wunderland.

Foto: fronx (cc by)
Foto: fronx (cc by)

Gestern hatte ich mal wieder eine Begegnung der dritten Art. Damit meine ich Situationen, in denen ich auf Menschen treffe, denen ich das, was ich sagen will, partout nicht vermitteln kann.

Der Witz an der gestrigen Begegnung war nun, dass sie im Rahmen einer Fortbildung stand, die ich genau zum Thema „Ideen anderen vermitteln“ machen wollte. Vielleicht war es ein bisschen naiv von mir, zu glauben, dass es solche Fortbildungen wirklich geben könnte. Jedenfalls stellte sich bei dem Seminar recht schnell heraus, dass die Veranstaltung eigentlich daraufhin konzipiert war, anderen Dinge zu verkaufen. Es ging um Werbung, nicht um Vermittlung von Ideen.

Zum Beispiel diskutierten wir über das Kommunikationsmodell „AIDA“, wonach eine erfolgreiche Kommunikation vier Stationen umfassen muss: Attention (Aufmerksamkeit), Interest (Interesse), Decision (Entscheidung) und Action (Handlung). Ich kann nachvollziehen, dass das Kriterien für eine Werbekampagne sind, denn wenn ich Werbung schalte, will ich damit nicht nur Aufmerksamkeit generieren, sondern auch erreichen, dass es konkrete Folgen hat, also eben zu Handlungen führt.

Vielleicht hängt es mit dem Internet zusammen, dass ich dieses Modell aber nicht mehr für Kommunikation generell akzeptieren kann. In gewisser Weise ist dieser Blog hier ja auch Werbung in dem Sinne, dass es eine Plattform für meine Ideen, Gedanken, Thesen oder Vorschläge sein soll. Und erfolglos wäre der Blog, wenn er nicht die nötige Aufmerksamkeit hätte. Aber schon der zweite Schritt, nämlich das Interesse, ist aus meiner Sicht offen. Denn es gibt Leute, die an meinen Ideen, Gedanken, Thesen oder Vorschlägen nicht interessiert sind, und das ist natürlich ihr gutes Recht.

Wenn also jemand auf diesen Blog kommt und dann feststellt, „das interessiert mich nicht“, würde ich das durchaus als erfolgreiche Kommunikation einordnen. Misslungen wäre die Kommunikation lediglich, wenn jemand, obwohl sie oder er sich inhaltlich eigentlich dafür interessiert, durch die Art der Präsentation abgeschreckt würde, also glaubt, es sei uninteressant für sie oder ihn, obwohl es in Wahrheit doch interessant wäre.

Wie auch immer: Angesichts der schier unendlichen Fülle von Informationen, die mit dem Internet zugänglich sind, ist es wirklich die Pest, wenn durch Marketingkonzepte sozusagen falsche Interessen suggeriert werden, wenn ich also zehn Mal klicken muss, weil ich anfangs denke, dass mich etwas interessiert, nur um dann hinterher festzustellen, dass es mich eben doch nicht interessiert. Ich bin inzwischen sehr, sehr intolerant gegenüber Leuten geworden, die mich so auf falsche Fährten locken und also meine Zeit verschwenden. Umso schlimmer, wenn das mit Absicht geschieht.

Würde ich Kurse zum Ideenvermitteln geben, würde ich in etwa Folgendes raten: Versucht nicht, Leute für das zu interessieren, was euch im Kopf oder wichtig ist, sondern versucht, eure Ideen, Thesen und Vorschläge in eine konstruktive und hilfreiche Beziehung zu dem zu setzen, was andere interessiert. Nur dann könnt ihr nämlich mit gutem Gewissen deren Aufmerksamkeit beanspruchen.

Ein anderes Thema, das während dieser Fortbildung aufkam, war die Frage der Ziele. Ich bin gegen Ziele, weil sie den Raum des Unvorhersehbaren einengen. Ich versuche, mir möglichst keine Ziele zu setzen, sondern offen zu bleiben für Entwicklungen, die ich mir momentan noch gar nicht vorstellen kann (und das Problem an Zielen ist ja, dass sie vom jetzigen Zeitpunkt her die Zukunft definieren wollen).

In diesem Zusammenhang brachte die Seminarleiterin das Beispiel von Alice im Wunderland und der Grinsekatze. Der entsprechende Dialog geht so: Alice trifft auf ihrem Weg durch das Wunderland eben diese Grinsekatze und fragt sie, welchen Pfad sie einschlagen soll. Die Katze antwortet: „Das kommt ganz darauf an, wo du hin willst.“ – „Das ist mir ziemlich egal“, erwidert Alice, woraufhin die Grinsekatze sagt: „Dann ist es egal, welchen Weg Du nimmst.“

Als ich eben wegen des genauen Wortlauts nach dieser Geschichte googelte, stellte ich fest, dass das in Fortbildungen und Coachings offenbar ein weit verbreitetes Beispiel ist, das nicht nur von meiner Seminarleiterin gestern, sondern generell als Parabel dafür genommen wird, wie wichtig es ist, Ziele zu haben, weil man sonst nicht weiß, wo man lang laufen soll.

Ich hingegen hatte die Geschichte spontan ganz anders verstanden, nämlich so, dass wenn ich keine Ziele habe, ich frei bin, jeden beliebigen Pfad einzuschlagen und mich einfach auf das einzulassen, was mich dort erwartet. Mich also von der Zukunft überraschen zu lassen. Das ist jedenfalls bisher meine Praxis, und damit bin ich in den vergangenen 48 Lebensjahren recht gut gefahren.

Jetzt würde mich interessieren, wie diese Episode in der Geschichte von Alice und der Grinsekatze eigentlich im Kontext gemeint ist, aber ich habe keine Lust, die ganze Alice im Wunderland-Geschichte zu lesen. Vielleicht ist es ja auch zweideutig. Und mich würde mal interessieren, wie Ihr das mit den Zielen handhabt und welche Erfahrungen Ihr damit habt.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

44 Gedanken zu “Keine Ziele haben. Eine Frage zur Grinsekatze im Wunderland.

  1. Ich setze mir gerne Ziele, nehme mir aber auch die Freiheit, sie zu ändern. Ziele zu haben hilft mir, den Fokus zu halten, weil ich mich schnell verzettele.
    Das Zielesetzen erlebe ich aber nur dann als gesund, wenn das Scheitern auch Platz hat. Sonst ist der Druck so groß, dass die ganze Freude zum Teufel geht.
    Und was die Definition der gelungenen Kommunikation bzw. den Ärger über Zeitdiebe angeht, bin ich ganz bei Dir.

    Like

  2. Nachtrag: Ich kann mich nicht genau erinnern, wie das mit der Grinsekatze war, hätte es aber auch eher wertfrei gesehen.

    Like

  3. also ich kenne beides.

    ich kann es sehr geniessen, wenn das moment des „absichtslosen“ freiheiten ermöglicht, wo gedanken erst richtig spriessen können, eben weil kein vorgegebenes rankgitter sagt, da lang.

    in der absichtsgesteuerten kommunikation (das ist für mich viel mehr als werbung, die eher lügt) will ich konkret menschen mit einer aussage erreichen. so will ich zb möglichst viele menschen davon überzeugen, dass jede form von ausgrenzung in unserer gesellschaft in meinen augen nicht nur keinen sinn macht. sondern ungerecht ist. da überlege ich also schon sehr genau, was ich wem wie wo und wann mitteile. (wobei das nicht ganz so eng ist, wie es klingt)

    Like

  4. Oh je, schon wieder ich, diesmal in eigener Sache:
    Ich habe gerade beim Stöbern hier auf dem Blog bemerkt, dass es natürlich längst eine andere „Eule“ hier gibt, die schon einige Posts kommentiert hat. Falls es in Deiner Macht steht, meinen Nick nachträglich zu ändern, darfst Du mich gern zu „Eule2“ degradieren. Sorry!

    Like

  5. Also ich hätte den Rat der Katze auch als Aufforderung verstanden, offen zu sein für viele Wege. Auf die andere Idee wäre ich nie gekommen.
    Und ich habe im Wesentlichen auch nur ein Ziel: Dahin zu kommen, dass ich machen kann und mache, was ich wirklich gern machen möchte. Und das geht am besten, wenn man nicht ständig darüber nachdenkt, was man für Ziele hat – aus o.g. Gründen.

    Like

  6. Nun. Alles zu seiner Zeit.
    Ich finde es befriedigend und hilfreich, konkrete Ziele (Sprache lernen, Anliegen vermitteln…) zu verfolgen. Wie arm wäre aber das Leben, wenn das alles wäre.
    Mir gefällt sehr die Idee, dass etwas Neues (im denken, wahrnehmen, fühlen, handeln) nur entstehen kann, wenn ich nicht die Lösungsvorstellung vorwegnehme, deren Lösung ich dann zu erreichen versuche, sondern einen Weg finde, dessen Verlauf / Lösung ich nicht kenne. Ich finde, dass die Lösung im Sinne von Weiterentwicklung und Neues-begreifen oft gerade das ist, was ich noch nicht kenne, was ich noch nicht weiß.
    Bei den erwähnten Coachings und den Lösungsorientierten Strategien geht es wiederum meistens weder um Freiraum für Entwicklung, noch um eine Denköffnung jenseits von Ursache-Wirkung Kausalitätsdenken, sondern um effektivere Ausnutzung der Ressourcen für (Selbst-) Unternehmerische Vermarktungsinteressen. Und das Scheitern, das zu jedem Lernen und Entwickeln gehört, ist in solchen Trainings eher ein Tabu.
    Ich halte die Antwort der Grinsekatze auch eher für einen freundlichen Hinweis, ohne Angst neue Wege zu gehen.

    Like

  7. Dass es Alice und der Grinsekatze nicht darum geht, dass mensch Ziele im Leben haben muss, zeigt das, was die beiden direkt nach dem von dir zitierten Satz sagen:

    „Es kommt mir nicht darauf an, wohin –“ sagte Alice.
    „Dann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst,“ sagte die Katze.
    „– wenn ich nur irgendwo hinkomme,“ fügte Alice als Erklärung hinzu.
    „O, das wirst du ganz gewiß,“ sagte die Katze, „wenn du nur lange genug gehest.“

    Der gesamte Dialog zwischen den beiden geht ziemlich surrealistisch weiter, aber insgesamt würde ich sagen, dass deine Interpretation die richtigere ist.

    Like

  8. @ A.S. – Danke, das ist ja total eindeutig. Dann bin ich erst recht sprachlos, dass diese Geschichte in solchen Marketingkursen quasi epidemisch entgegen ihrer eigentlichen Bedeutung gebraucht wird. Schaun die sich das alle voneinander ab oder verstehen sie das wirklich falsch?

    Like

  9. Ich kenne beides: beim Spazierengehen bevorzuge ich die Variante ohne Ziel: einfach losgehen, und nach einer Weile, wenn ich genug habe, schauen, dass ich wieder nach Hause komme, und bei Fahrradtouren mag ich es lieber mit Ziel, aber auch hier entscheide ich spontan, wenn ich merke, dass mir die Strecke zu lang oder (seltener) zu kurz ist.

    Was mir fehlt: eine Reflektion, wie schichtabhängig so eine Einstellung ist. Bei vielen jungen Frauen, die nach der zehnten Klasse die Schule verlassen, habe ich das Gefühl, dass sie mehr oder weniger irgendwo hineingesteckt werden. Also weder Ziele stecken noch den Weg wählen, der gerade am interessantesten erscheint.

    Like

  10. Ich würde die Grinsekatze so interpretieren, daß ich jeden Weg nehmen kann, denn ich möchte. Irgendwohin wird er schon führen. Und vielleicht auch zu etwas Neuem/Interessanten. Ziele habe ich so gesehen relativ wenige – und wenn ich gerade darüber nachdenke, ist selbst bei denen der Weg noch offen, welchen ich nehmen werde.

    Like

  11. Ich glaube nicht, das es Menschen gibt, die keine Ziele heben. Und Alice hat ja das Ziel irgendwo anzukommen. Kein Ziel würde in der Metapher doch bedeuten, einfach nicht weiterzugehen und keinen der Wege zu wählen.
    Ich glaube dürr, Antje, auch nicht, dass Du keine Ziele hast und alles auf dich zukommen lässt. Vielleicht ist die Definition von Ziele einfach nur unterschiedlich. Auch keine Ziele sind doch irgendwie Ziele. Ohne ein Ziel zu haben, wurde dich völlig der Antrieb fehlen irgendwas zu tun….

    Like

  12. Ich meine nicht keine Ziele sind doch Ziele, sondern KLEINE Ziele. (Leider kann ich momentan nur mit Handy Online sein und dann passt das nicht immer mit der Rechtschreibung)

    Like

  13. Ich finde das Grinsenkatzenbeispiel auch merkwuerdig interpretiert von den Marketingleuten. Was soll daran schlimm sein, wenn einem egal ist wo man hingeht, einen beliebigen Weg einzuschlagen? Ein Problem ist das doch erst, wenn man in echt doch ein Ziel hatte und da dann eventuell nicht ankommt.

    Ich glaube (wie Miria) dass man eigentlich immer ein Ziel hat – Antje’s Ziel scheint oft zu sein, etwas zu entdecken oder sich von etwas ueberraschen zu lassen.
    Vielleicht muss man aber auch unterscheiden zwischen verschiedenen Vorgehensweisen um ein Ziel zu erreichen. Wenn man eine kreative Loesung braucht oder etwas Neues entdecken will, ist es oft besser sich kein eng definiertes Ziel zu setzen. Bei anderen Aufgaben ist es besser mit gruendlicher Planung vorzugehen. Es ist glaube ich auch ein bisschen Typ-Frage, was Menschen lieber moegen.

    Like

  14. @Charlotte @Miria – Ja, wenn man „Ziel“ als Begriff so weit passt, dass er letztlich jedes Handeln beschreibt, das nicht total beliebig und gleichgültig ist, dann würde das stimmen. Aber ich glaube, die Marketingleute (beziehungsweise all die, die uns predigen wollen, ohne klar definierte Ziele komme man eh nirgendwo an) meinen das nicht so weit. Und ich finde es auch wichtig, zu unterscheiden zwischen „meiner“ Art, mich zu orientieren oder Entscheidungen zu treffen, und dem „zielorientierten“ vorgehen. Ich orientiere mich an meinem Begehren, also daran, „wohin es mich zieht“ (auch wenn ich vielleicht noch gar nicht genau weiß, was das ist), was mir Spaß macht, wo bei mir „Strom drauf ist“. Ich handle also nicht planlos und beliebig, sondern treffe durchaus Entscheidungen. Aber auf eine, wie ich finde, grundsätzlich andere Weise als es bei diesen „Zielorientierungs“-Dingern vorgesehen ist, nämlich dass man sich das Ziel, also jenen zukünftigen Ort, möglichst genau ausmalt. Meist sind ja auch Kontrollzahlen dabei, also ich soll zum Beispiel vorher schon aufschreiben, um wie viel Prozent sich die Klickzahlen auf meiner Internetseite durch Maßnahme X oder Y erhöhen sollen. Das Hinarbeiten auf ein vorab definiertes Ziel steht, so meine Erfahrung, dem Begehren sehr oft im Weg, und deshalb würde ich den Begriff „Ziel“ nicht so breit verstehen wollen wie ihr.

    Like

  15. @Susanna 14 – Was ich vorhin schrieb, ist auch eine Antwort auf deine Frage: Ja, es wäre gut, diese jungen Frauen kämen aus ihrer Lethargie oder Schicksalsergebenheit heraus, aber ich glaube, es funktioniert besser, wenn ihr Begehren geweckt und ernst genommenwird, als wenn man sie auffordert, sich Ziele auszudenken und fest zu formulieren…

    Like

  16. Ja, ich persönlich fühle mich unter Druck gesetzt, wenn jemand mich fragt, wo ich mich in 10 Jahren sehe :-D. Mein Leben ist bei mir so eine Mischung zwischen sich-treiben-lassen und aktiv-beeinflussen/handeln. Ich seh das auch so, egal welchen Weg ich nehme, irgendwo komme ich immer an. und wenn es mir da nicht gefällt, gehe ich eben wieder los. Schlimmer wär es doch, wenn eine irgendwohin geht, was einer empfohlen wurde und da gefällt es einer nicht
    LG Lotti

    Like

  17. bei mir ist es so: mein momentanes ziel ist es, bis ende des jahres einen neuen job gefunden zu haben. dafür nehme ich mir pro tag 20 minuten zeit. ich recherchiere informationen. wenn ich alles beisammen habe, gehe ich in die aktive phase, d.h. bewerben. für die 20 minuten stelle ich mir jeweils einen wecker. es ist ein gutes gefühl, wenn ich es geschafft habe, täglich diese 20 minuten auf dem weg zu meinem ziel zu sein.

    wenn ich hingegen bspw. in urlaub fahre, dann ist der weg das ziel: ich steige auf mein rad und in dem moment, wo ich unterwegs bin, ist schon ein ziel erreicht. jedoch ist es bei tagestouren auch schön, einen endpunkt zu haben. wie ich dahin komme, wo ich unterwegs spontan abbiege oder anhalte, das ist offen. das liebe ich. oder einfach auf die straße gehen (aus der wohnung) und einer himmelsrichtung folgen.

    wenn jemand jedoch bspw. eine webseite haben möchte, ich es schon wichtig, das ziel zu kennen, was also damit erreicht werden soll. so kann man messen, ob und wenn ja wann, man das ziel erreicht hat. oder ein zwischenziel. bei der analyse können dann auch erkenntnisse zu tage treten, die wiederum zu neuen, anderen zielen führen. ein spannender prozess.

    als jugendliche habe ich irgendwann mal den spruch gehört oder gelesen: „Ein lebender Mensch muss ein Ziel vor Augen haben und die Vorstellung, wie er es erreicht.“ das hat sich mir eingebrannt. ich habe mich sehr oft mit leuten verglichen, die schon mit 15 wussten, was sie beruflich mal werden wollten und es dann auch geworden sind und nun schließlich irgendwo „angekommen“ sind. dass das bei mir nicht so ist, habe ich lange zeit als manko begriffen.

    einmal habe ich geträumt, ich komme in eine dachkammer und da wächst ein baum durchs fenster. ich schaue aus dem fenster und kann das ende des baumes gar nicht sehen. dann klettere ich selbst aus dem fenster und bewege mich auf dem stamm des baumes, der sich wie ein laufband bewegt. die äste sind nebenwege und so weiter. das fand ich eine schöne metapher für mein leben. muss doch glatt mal gucken, ob ich die aufzeichnungen finde…

    Like

  18. „Ideen anderen vermitteln“, ist für mich persönlich auch eine Form der Manipulation – und – werden wir nicht ALLE aufgrund unserer „Lebenszugehörigkeit“ wie Kulturkreis schon bei der Zeugung manipuliert, werden uns da nicht schon „Ideen vermittelt?“
    Als 70-jährige, immer aufmüpfige Frau gehen mir schon lange auch die Verhaltensweisen der weiblichen Coachs/Therapeutinnen, etc. auf den Geist, denn, meiner Ansicht nach übernehmen diese 1:1 das männliche Geshäftslebengebahren, bzw. sie „vermitteln Ziele!“

    Ich hatte als junges Mädchen Wünsche, keine Ziele (wusste zu damaliger Zeit gar nicht was ein Ziel für mich als Person ist), und konnte, Dank meiner kulturellen Herkunft einige Wünsche erfüllt bekommen, später mir selbst erfüllen.

    Auch heute habe ich den Wunsch gesund (ganzheitlich) zu bleiben und verhalte mich dementsprechend, doch ob dies ein „Ziel“ ist, weiß ich persönlich nicht.

    Unsere derzeitige Gesellschaftsform (seit ca. 1980) hat das Ziel bzw. übt es in Realität, die Bürger/Innen in arm und reich zu gruppieren, auszuspionieren – zum Wohle weniger, zu manipulieren, in Form von zielgerichteten Geschäfstmodellen und dergleichen „brainstormings!“
    Es ist immer noch mein konstruktiver Lebensantrieb kein Ziel, Wünsche zu haben und diese teilweise mir erfüllen zu können!

    Immer wieder auf’s Neue. Vielen Dank für Deinen gescheiten BLOG.

    Like

  19. Eine allgemein verbreitete Rezeption in der Kommunkationstheorie ist, dass es in den beiden Alice-Bänden um Deutung und Deutungsmacht geht.

    So ist ein weiteres, vielfach benutztes Beispiel die Diskussion von Alice und Humpty-Dumpty über Semantik:

    ’The question is,’ said Alice, ’whether you CAN make words mean so many different things.’

    ’The question is,’ said Humpty Dumpty, ’which is to be master– that’s all.’

    Die gesamte Geschichte besteht aus Überraschungen: unvorhergesehenen Ereignissen und äußerst absurden Begebenheiten und Persönlichkeiten, auf die sich Alice notgedrungen einlassen muss. Also alles wie im richtigen Leben …

    Like

  20. @Antje: „Ich handle also nicht planlos und beliebig, sondern treffe durchaus Entscheidungen. Aber auf eine, wie ich finde, grundsätzlich andere Weise als es bei diesen “Zielorientierungs”-Dingern vorgesehen ist, nämlich dass man sich das Ziel, also jenen zukünftigen Ort, möglichst genau ausmalt.“

    Da ich dein Blog schon lange lese, Antje, habe ich schon den Eindruck, dass du dir einen zukünftigen Ort ausmalst: „Das gute Leben für alle“. Ich würde das als Ziel verstehen. Und dafür machst du eine Menge, dass dich diesem Ziel näher bringt und du versuchst, diese Idee anderen zu vermitteln. Deshalb komme ich immer wieder auf dieses Blog, um daran teilzuhaben und mir Gedanken zu machen. Deine ganze Art zu kommunizieren (stets konstruktiv) ist schon ein wesentlicher Schritt hin zum Ziel – wie ich finde.

    Eigene Ziele konkret benennen zu können, erfordert viel Arbeit an sich selbst. Um auf dieses Marketingsprech zurückzukommen: wenn ich bspw. einen Laden eröffnen will und habe dafür kein oder wenig Startkapital, ist diese innere Visualisierung, wie der Laden aussieht und wie ich darin bin und wie der Laden funktionieren muss, dass ich mich erfolgreich fühle, mein emotionales Kapital. Indem ich mich auf dieses Bild hin bewege, generiere ich Kraft, auch wenn es Flauten gibt. Fehlt mir das, werde ich sicherlich bald aufgeben oder gar nicht erst weit kommen. Möglicherweise werde ich resignieren. Ich fände es allerdings auch vollkommen ok, wenn man sich eingesteht, dass man lieber von seinem Ziel träumt, als es tatsächlich erreichen zu wollen. Ich habe letztens gelesen, dass bspw. MusikerInnen, die sehr erfolgreich und berühmt sind, bereit waren, dafür auch 10 Tausende von Übungsstunden zu investieren. Selbst wenn man begabt ist, komme man nicht bis an die Spitze ohne ein sehr sehr hohes Übungspensum.

    Es gibt ja auch diese bekannte SMART-Formel für Ziele:
    Ziele sollten S-pezifisch, M-essbar, A-ngemessen bzw. aktionsauslösend, R-elevant und T-erminiert sein. Es gibt da noch weitere Modelle, letzten Endes haben alle den selben Kern. Also wenn man man sich dann und wann Ziele setzt, sind solche Methoden hilfreich, wie ich finde.

    Like

  21. @onlinemeier – Ja, das „Gute Leben für alle“ habe ich als Orientierung, aber dafür ist es gerade wichtig, dass ich es nicht definiere. Ein Punkt, der bei „Zielsetzungscoachings“ ja immer wieder hervorgehoben wird ist, dass sie möglichst konkret und ihr Erreichen messbar sein muss. Das finde ich problematisch. Aber natürlcih stimmt es, dass alle diese Modelle auch einen wahren Kern haben und in der ein oder anderen Situation sicher nützlich sein können. Wenn das aber dazu führt, dass man gar nicht mehr versteht, wenn Leute außerhalb dieser Struktur denken möchten (so wie ich es in dem geschilderten Seminar erlebt habe), dann ist es eben schräg 🙂

    Like

  22. Es nicht zu definieren, liegt sicherlich in der Natur der Sache: ein gutes Leben für alle ist halt für jeden ein bisschen anders – abgesehen natürlich von den elementaren Grundbedürfnissen, die befriedigt sein sollten. 🙂

    Like

  23. Als Berufsanfängerin beauftragte mich mein damaliger Arbeitgeber, Zeitmanagementtrainings durchzuführen. Ich arbeitete mich also mit einschlägiger Literatur ein. Da begegnete mir übrigens auch das Alice-Zitat, genauso andersrum interpretiert (als Beleg für Ziele haben müssen).

    Ich habe eine Zeitlang etliche Trainings durchgeführt und immer mehr gemerkt, dass ich zu diesem Zeit-/Zielmanagementverständnis überhaupt keinen Zugang finde. Diese SMART-Geschichte: sehr seltsam. Übrgens ging es fast allen Frauen in den Trainings ebenso, die Männer konnten viel mehr mit diesen SMART-Geschichten anfangen.

    Und dann natürlich mein Anspruch, die Techniken, die ich in Trainings anleite, auch selbst anzuwenden: ich habe eine ganze Zeit versucht, mit verschiedenen Zielen (Lebens-/Monats-/Wochenzielen) zu arbeiten: erfolglos.

    Wenn ich mir ein Ziel in diesem Sinn setze, wird bei mir nur ein Fluchtreflex ausgelöst: weil ich mich völlig eingeengt fühle.

    Für mich ist es viel stimmiger, auf das zu reagieren was mir begegnet, wach zu sein, was im Leben passiert (innen und außen) und damit aktiv umzugehen, mich leiten zu lassen von Impulsen und Motiven.

    Und das finde ich auch die wichtigere Ebene: statt wild nach irgendwelchen Zielen zu suchen und sie zu definieren lieber zu schauen, was eigentlich meine Motive sind, die mich A oder B tun lassen. Da gibt’s dann bei mir ein rundes Gefühl, den Roten Faden in meinem Leben. Und das ist dann auch der Aktivitätsimpuls, der ansonsten immer den Zielen zugeschrieben wird (ein Ziel zieht dich magisch an usw.). Für mich ein sehr viel schöneres Bild: etwas in mir (oder größeres) gibt mir den Impuls zu handeln, loszugehen, das Leben zu entdecken, mich zu entfalten in meinen Möglichkeiten.

    Inzwischen lebe ich das sehr bewusst auch beruflich, entgegen aller Unternehmensberatungs- und Marketingempfehlungen.
    Dazu habe ich erst kürzlich auch in meinem Blog geschrieben: http://konflikte-entfalten.de/das-leben-ist-vielfalt-gedanken-uber-das-kampfen-schubladen-und-demut/
    Kein Wunder, das mein Unternehmen „entfaltung hat RAUM“ heißt, oder? 😉

    Like

  24. Keine Ziele zu haben ist schön, aber schwer auszuhalten.
    Etwas anderes ist es, seine eigenen Ziele so zu fetischisieren, dass man über die Ziele anderer hinwegwalzt. Dies passiert regelmäßig bei allen Formen von zahlenorientierten Management, auch bei den Quoten-Medien.
    Zielgerichtetes Marketing ist nicht „böse“, solange es nicht „brutal“ wird, die Zielsetzung jedes Mittel rechtfertigt und die Ziele und „Interessen“ der Umworbenen umgedreht werden sollen. Oder anderes gesagt: Kein Ziel rechtfertigt Manipulationen.
    Es gibt von der von mir sehr geschätzten Marcia Yudkin ein sehr brauchbares Marketing-Manifesto: „The No-Harm Marketing Manifesto – How to Attract Customers and Sell So You Still Like Yourself in the Morning“.
    Es lässt sich einiges davon auf jede Kommunikation übertragen: http://www.yudkin.com/pdfs/noharm.pdf Kurz gesagt: „Don’t trick people“ aus Ziel-Chauvinismus.

    Like

  25. @entfaltungsraum: „Und dann natürlich mein Anspruch, die Techniken, die ich in Trainings anleite, auch selbst anzuwenden…erfolglos.“ Verstehe ich das richtig: du vermittelst solche Techniken, die jedoch bei dir selbst erfolglos sind?

    Like

  26. @onlinemeier: Nein, ich habe mit ca. 29 von meinem damaligen Arbeitgeber den Auftrag bekommen, das Thema abzudecken. Da gabs keine längere Vorlaufzeit für mich zum Einarbeiten (und selber ausprobieren) sondern ich sollte quasi übermorgen mit dem ersten Training anfangen. Ich hab das dann auch ein paar Mal gemacht. Aber als ich merkte, ich bekomm da keinen Zugang, hab ich das Thema wieder abgegeben.
    In meiner Selbständigkeit mache ich nur noch das, was ich liebe, hinter dem ich voll und ganz stehe und was ich wirklich kann.
    Alles andere finde ich völlig verantwortlungslos!

    Like

  27. S.M.A.R.T. ist nicht für das Abstecken eigener Ziele gedacht. Es ist eine Formel für Führungskräfte, die mit ihren Mitarbeitern Zielvereinbarungen treffen sollen. Und genau für diesen Zweck ist die Formel auch geeignet.

    Like

  28. @entfaltungsraum: hm, es ist ja vielleicht nicht so wichtig, wie man das nennt. hauptsache ist, finde ich, dass das was man tut, einen gewissen grad an effizienz hat. ich bspw. kann es nicht ab, mit leuten zu arbeiten, die überhaupt kein eigenes zeitmanagement haben, und vielleicht sogar noch an aufschieberitis leiden und nicht in der lage sind, prioritäten zu setzen. das kostet letzten endes ja auch meine zeit, und zwar lebenszeit.
    vor jahren habe ich ein seminar gemacht zum zeitmanagement. was davon hängen geblieben ist: „hauptsache ist, dass die hauptsache die hauptsache ist.“

    Like

  29. @onlinemeier:
    Was du über die Zusamenarbeit mit anderen sagst, kann ich sehr gut nachempfinden.
    Was ich meinte, ist, dass ich zu „diesem klassischen“ Zeit/Zielmanagementverständnis keinen Zugang finde. Ich machs einfach anders.
    Eine frühere Führungskraft meinte mal zu mir in einem Beurteilungsgespräch, zum Punkt Stressmanagement: Ina, du kommst gar nicht in Stress, weil du so ein gutes Selbst/Zeitmanagement hast, dass du schon vorher gegensteuern kannst. (hat sie schön gesagt… meinte damit meine Fähigkeit, klar Nein zu sagen zu Zusatzaufgaben, die ich für nicht leistbar hielt;)…)

    Like

  30. „Dann ist es egal, welchen Weg Du nimmst.“

    Wie diese Antwort gedeutet wird, hängt wohl auch von Verfassung und Einstellung der Fragenden ab. Die Wirkung kann sowohl eine beängstigende als auch eine befreiende sein, je nachdem, ob man eher Halt oder eher Freiheit sucht.
    In jedem Fall aber wirft diese Antwort die Fragende auf sich selbst zurück. Denn es bleibt ja trotzdem dabei, dass sie sich für einen Weg entscheiden muss. Bzw. entscheiden darf. Denn eins ist klar: Sie kann nicht alle Wege gleichzeitig beschreiten. Sie muss/darf also selbst entscheiden, und wenn sie kein bestimmtes Ziel anstrebt, sich also offen halten will, dann bedarf es trotzdem irgendeines Anstoßes, der sie einen der vor ihr liegenden Wege einschlagen lässt. Dieser Anstoß kommt aber nun nicht von außen, wie sie es sich vielleicht aus Bequemlichkeit (oder auch weil sie es nicht anders gelernt hat) erhofft.
    In diesem auf sich selbst Zurückgeworfensein muss/ darf sie zunächst einmal sich selbst auf die Spur kommen und in sich hineinhorchen. Vielleicht kann sie auch probeweise ein paar Schritte in jede Richtung machen und dadurch herausfinden, ob sie die Sonne lieber im Gesicht oder im Rücken oder auf ihrer linken oder rechten Seite hat, ob sie lieber bergauf oder bergab geht usw. Es bedarf dafür nur ihrer eigenen Erlaubnis.
    Sie kann sich auch mit geschlossenen Augen im Kreis drehen und dann den Weg einschlagen, vor dem sie das Drehen beendet. Sie kann, wenn sie sich die erforderliche Zeit lässt, vielleicht spüren, dass einer der Wege sie besonders anzieht, ohne zunächst zu erkennen, warum. Sie kann sich entscheiden, das Los entscheiden zu lassen. Um dann evtl. festzustellen, das sie doch lieber einen anderen Weg gehen möchte, als den, auf den das Los trifft. Usw.
    Das ist es, was ich aus diesem Dialog herauslese: Alice kommt nicht um eine eigene Entscheidung herum. Und da spielt es nur eine untergeordnete Rolle, wie sie zu dieser Entscheidung kommt, ob sie sich ein Ziel setzt bzw. dieses vielleicht beim in sich Hineinhorchen entdeckt und dann den zielführenden Weg wählt, oder ob sie zu erspüren versucht, welchen Weg ihreFüße gehen wollen (um es symbolisch auszudrücken).
    Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern ist Freiheit in Verbindung mit Eigenverantwortung. Eine kluge Lehrerin, diese Grinsekatze? Nur so klug wie die Schülerin, die sich irgendwann von ihr löst.

    Like

  31. Manche Menschen verstehen unter Ziele die Selektion, das Aussondern des Unerwünschten. Es sind oft die gleichen, die nach der ewrfolgreichen Fassung eines Zieles bereits meinen, es erreicht zu haben, den Weg dorthin begangen zu haben. Für sie ist Ziel wie Krönung, allerdings oft nicht mehr.

    Manche (andere) Menschen lassen sich weder durch sich selber noch durch andere einzwängen in Ziele, besonderrs wenn daran bereits der Weg gebunden sein soll, da sie den lieber selber suchen – denn für diese Menschen ist das Suchen des Weges das Ziel, sie brauchen kein weiteres darüber hinaus und meinen, sich DADURCH frei zu fühlen, beflügelte Kreativität als leuchtender Dauerschwebezustand.

    Wieder andere rationalisieren sich unermüdlich selber, indem sie sehr schnell Ziel um Ziel postulieren (! – oder lassen), um nicht selber aus dem Ruder zu laufen und herum zu eiern, so zu sagen um nicht ziellos herumzueiern, um sich selbst Halt durch Order zu geben, besser: Sie brauchen vorgegebenen Weg zum vorgegebenen Ziel, um allein im darin verbleibenden Spielraum ihre Kraft meist erfolgreich zur Geltung zu bringen – sie sind die effektivsten Realisatoren, die nie in der Lage sind, mittels Eigenkreativität sich Ziel und / oder Weg selbst effektiv zu erstellen. Sie fühlen sich eingeengt, wenn die Vorgabe fehlt,

    Und dann soll es noch einige geben, die das alles kennen, die auch jeden jeweils dazu gehörigen Menschentyp erkennen (können), die jedem seinen Platz und seine Rolle schmackhaft machen können und den guten SchieriLibero geben können, was dann meist auch wieder das einzige ist, was diese beisteuern können: Steuern.
    Diese fühlen sich in ihrer Kreativität eingeschränkt, wenn man ihnen kein Steuerruder gewährt …

    Irgendwie werden sie wohl ALLE in ihrer jeweiligen Art gebraucht, sind sie auch dafür zu gebrauchen – nur eben nicht jeder für alles und auf die gleiche Weise, und nicht jeder für das des anderen ….
    Wir brauchen alle diese UNTERSCHIEDE, für’s Wunderland, für jedes Wunder in jedem Land.

    Ich bin zwar keine Katze, würde nun aber gern mal hämisch grinsen …

    Like

  32. Wie schön das Thema Zeil immer wieder ist. Alle Kommentare haben für sich das richtige gesagt. Ziele geben halt mal eine Orientierung vor.
    Mal eine Frage zur ehrlichen Selbstbeantwortung: Ist die Vorstellung des Zieles immer so eingetroffen wie es gewünscht wurde? Oder gab es teilweise große Abweichungen? Wie viel Kompromisse werden gemacht? Wie viel Enttäuschungen verkraftet man, frau auch???
    Ich selbst habe schon Ziele gesetzt, was das Zeug hält. Ich kenne sehr viele Zielerfüllung-Techniken.
    Erst als mit der gründlichen, ehrlichen und tiefgreifenden Ursachenforschung begann, habe ich meine harte ernüchternde Wahrheit präsentiert bekommen.
    Leider klingt es zu ärmlich, wenn ich hier die Frage zum Besten gebe:
    Überprüfe genau ob DU der Denker Deiner Gedanken bist.
    Vorsicht: es hat einen Mind-Crash zur Folge und führt direkt zum natürlichen Urgrund.
    Es ist reiner Luxus. Luxus ist etwas das niemand benötigt. Doch viele möchten in haben.

    Jeder wählt das, was er möchte. Nur sollte er es dann auch wollen, denn das Leben ist immer so, wie es sein will.

    Herzlichst
    Norbert

    Like

  33. Liebe Antje,
    vielen Dank, dass Du Dich dieses Themas einmal annimmst! Ich fühl mich ja ziemlich einsam auf weiter Flur zwischen all den zielorientierten Zeitgenossinnen und -genossen.
    Diese immer wieder vorgetragene Idee, (oder sollte ich das besser schon Ideologie nennen?) „habe ein Ziel haben und verwirkliche es“ ist eine ganz besonders unangenehme Spielart der Denkweise „alles ist machbar, wenn Du es nur willst“, des Machbarkeitswahns. Mal abgesehen davon, dass das – auf einer anderen Ebene und ohne Zielsetzung – durchaus stimmt, führt diese Denkweise dazu, dass wir uns auch alles Misslingen auf die eigene Fahne schreiben. Und dann waren wir eben nicht zielstrebig genug. Haben den „inneren Schweinehund“ nicht erfolgreich genug bekämpft.
    Ich bin keine Herberge für Schweinehunde und ich möchte meine Gefühle auch nicht (länger) bekämpfen. Sowenig wie die Welt eine Scheibe ist, sowenig führt eine Zielsetzung geradewegs zum gewünschten Ergebnis. Gott sei Dank!
    Herzliche Grüße
    Merinao

    Like

  34. Hallo alle!
    Noch eine weitere Ergänzung zum literarischen Kontext der „Grinsekatze“. In den Alice-Büchern (im Gegensatz zum Alice-Film, den ich und viele andere leider zuerst kannte(n)) ist die Stimmung nicht nur surreal und verwirrend. Es sind auch nicht nur ein paar „unterschiedliche“ Pfade, die Alice nehmen kann. Die Atmosphäre der Geschichte ist fremdartig, beängstigend, bedrohlich. Im Dickicht des Waldes, in dem sie meiner Erinnerung nach steht, wendet sie sich an die einzige Orientierung, die sich ihr bietet – und wird von ihr enttäuscht. Da die Katze selbst die Not, sich nicht zurechtfinden zu können, nicht kennt, nimmt sie die Bitte von Alice nicht ernst. Alice jedoch ist das Ziel deshalb egal, weil sie es in der fremden Welt schlicht nicht benennen kann – das diffuse „nach Hause“ hat Lewis Carrol hier weggelassen. Setzt man diese Situation jetzt in eine Metapher, wird noch undeutlicher, welche Orientierung man als Einzelner aus ihr ableiten soll. Auf die in diesem Seminar gewählte Bedeutung „Du musst Ziele im Leben haben“ wäre ich wohl nicht gekommen. Auch bei weiterem Nachdenken fällt es mir sehr schwer, den Satz in einer angemessenen Weise zu interpretieren. Alice zumindest muss sich selbst aus der Situation raushelfen, sie lernt, dass sich ihr keine Orientierung bieten wird – egal, wohin genau sie geht. Falls noch ein paar andere Marketingleute diesen Artikel und die Kommentare der Leser lesen, leitet doch einfach daraus ab, dieses Beispiel zu ersetzen – vielleicht passt ja Dorothys „yellow brick road“ aus dem Zauberer von OZ. Sie findet zwar auch am Ende etwas anderes, als sie gehofft hatte, aber zumindest rennt sie die ganze Zeit auf ein Ziel zu:))
    Nachtrag: Ich habe jetzt noch eine Weile über Kinderbücher gegrübelt. Nimmt man Moral bzw. Botschaft der berühmtesten Kinderbücher, ist das mit dem „Man muss Ziele haben im Leben“ im Grunde völliger Mist. In den Kinderbüchern geht es mehr um das Gegenteil: Abenteuer, Proben, Freundschaft und alles, was das Leben lebenswert macht, – so die Botschaft in meinem Augen – liegen da, wo man es am wenigsten erwartet. Und also auch nicht hinsteuern kann. In diesem Sinne danke, liebe Antje (wenn ich so informell ansprechen darf), für die Reflexionen über Ziel und Ziellosigkeit anhand dieses Beispiels.
    juna

    Like

  35. @junaimnetz 17. Juni 2013
    Gern las ich deine Alice-Überlegungen und erinnerte mich, aber hier hast du zu kurz gegriffen:

    „ist das mit dem “Man muss Ziele haben im Leben” im Grunde völliger Mist. In den Kinderbüchern geht es mehr um das Gegenteil: Abenteuer, Proben, Freundschaft und alles, was das Leben lebenswert macht,“
    Kein „Mist“, denn: Was könnten wohl „Abenteuer, Proben, Freundschaft und alles, was das Leben lebenswert macht2 sein? Na? Klingelt es? Das sind ZIELE. Nichts anderes. Sind sie keine Ziele, so ist auch ihr Sinn und damit diese Dinge selbst entschwunden.
    Damit hätten wir wieder eine übereinstimmende Meinung zu den jeweils selbst gelesenen Kinderbüchern: Es ging und geht NUR UM ZIELE, welche auch immer, da ohne Ziel ein Buch keinen Lesesinn ergibt.
    Wäre bestenfalls zu ordnen, was bei dir ein „Ziel“ ist, und was nicht, eventuell sagst du etwas dazu, ohne dem ist deine Sicht nicht erklärbar.
    Bei mir (und wohl bei den meisten Anderen ähnlich) gibt ein Ziel immer die Handlungs- und Bewegungsrichtung für jede beabsichtigte Handlung an, gleich ob klein oder groß, ob unterhaltend oder schädlich für andere, ob Lebensziel oder Tagesziel – alle gehören sie zu unserem Leben und damit richtigterweise in unsere Kinderbücher – von denen ich keines kenne, das ohne Ziel auskam.
    Und:
    Seit wann ist denn ein Abenteuer das „Gegenteil“ von einem Ziel?
    Bei mir waren alle Abenteuer meine Ziele, und sind es wohl noch immer …

    Like

  36. Liebe @Michaela Lusru,
    ich denke, wir sind uns sehr einig, dass Kinderbücher natürlich ein „Ziel“ haben – eine gute Narration hat bekanntlich Spannungsaufbau, Höhepunkt und Katharsis, Ziele z.B. die Wiedervereinigung von Familien, das Lösen eines Falles/Konflikts etc. Man darf ja aber nicht von dieser Ebene „über dem Text“ auch auf ein Ordnungsprinzip „innerhalb des Textes“ schließen. In dieser Diskussion waren persönliche Ziele, Vorgaben, Dinge, die man erreichen möchte, das Thema. Was aber sind Pippi Langstrumpfs persönliche Ziele? Oder Ronja Räubertöchters? Alice hatte sich nicht vorgenommen, ein großes Abenteuer zu erleben, als sie unfällig durch den Kaninchenbau stürzte, und Dorothy hatte erst ein Ziel, als ihr ihre vertraute Umgebung durch den Wirbelsturm genommen wurde. Wird klar, was ich meine? Auf der Textebene sind die Helden in den Kinderbüchern recht ziellos, was auch der kindlichen Seele im normalen Leben entspricht. Kinder existieren sehr stark im Hier und Jetzt, das mit den Zielen kommt erst so richtig in der Adoleszenz. Weshalb viele kleine Kinder auf die Frage. „Was willst Du denn mal werden?“ so etwas antworten wie: „größer“. Da ist noch kein Bewusstsein für eine Richtung, die man einschlagen sollte. Mein Einwand bezog sich jedoch überhaupt nicht darauf, dass man im Erwachsenenleben ziellos vor sich hin nomaden (ich fürchte, das ist kein Wort:)) sollte. Selbstverständlich haben die meisten Erwachsenen Ziele oder zumindest Zwischenziele. Meine Kritik bezog sich darauf, die Grinsekatze sowie bei näherer Betrachtung auch die anderen großen Klassiker unter den Kinderbüchern tatsächlich heranzuziehen, um erwachsenen Menschen unter dem Stichwort Persönlichkeitsentwicklung mitzuteilen, dass man Ziele haben/ formulieren sollte. Wieso sollten Kinder in Kinderbüchern, die gerade in ihrer Ziellosigkeit die schönsten Abenteuer erleben und die größten Herausforderungen meistern, Erwachsenen als (Negativ-)Beispiel dienen? Und hier beißt sich die Grinsekatze in den Schwanz:) Die „Kritik“ an Alice war ja, wie im Artikel erwähnt, dass sie nicht wusste, wo sie hin wollte. Und mein erster Punkt war: Das hätte ihr wohl auch nichts gebracht, während mein zweiter Punkt ist: An Alices Stelle hätten uns unsere Ziele auch nicht geholfen, und der dritte lautet: Nehmt lieber andere Beispiele als Euch die Kinderliteratur vorzunehmen:)

    Und jetzt noch ein ganz großer Sidekick, und Deine und auch die Meinungen der anderen würden mich hier sehr interessieren: Ist nicht die Sache mit den Zielen auch im Erwachsenenalter zumindest zwischendurch kritisch zu hinterfragen? Sind nicht auch wir meistens auf dem Weg zu etwas völlig anderem, an dem wir plötzlich scheitern, und ergeben sich nicht oft aus der Akzeptanz des Scheiterns plötzlich neue Wege, die wir noch nicht im Fokus hatten, als wir zuletzt unsere Ziele formulierten? Sollten wir nicht zumindest erwägen, durch den Kaninchenbau zu fallen, anstatt uns eine Liste mit Zielen zu machen und an der dann festzuhalten?

    Like

  37. @aimnetz schreibt: 18. Juni 2013 um 12:13
    „Ist nicht die Sache mit den Zielen auch im Erwachsenenalter zumindest zwischendurch kritisch zu hinterfragen? Sind nicht auch wir meistens auf dem Weg zu etwas völlig anderem, an dem wir plötzlich scheitern, und ergeben sich nicht oft aus der Akzeptanz des Scheiterns plötzlich neue Wege, die wir noch nicht im Fokus hatten, als wir zuletzt unsere Ziele formulierten?“
    Du widersprichst dir höchstqualifiziert selber:
    So, liebe Juna hier im Netz, dann stelle dir bitte nur vor, in deiner Geschichte hätte es am ANFANG KEINE ZIELE gegeben, bitte WAS wäre geschehen und WO wären wir angekommen u nd WAS hätten wir dabei alles versäumend nicht gelernt?

    Was du meinst, ist doch etwas völlig anderes, du argumentierst doch damit real nicht gegen ZIELE sondern gegen den buchhalt therischen Pingeling-Umgang mit Zielen, sprich: den ungekonnten weil realitäts- und lebensfernen Umgang mit Zielen, gegen das sture dogmatische Klammern an einmal gefaßte Beschlüsse ohne auf Gorbatschov zu hören – Also ein völlig anderes Thema Als „keine Ziele“.
    … grinse …grinse … kätzchen, alice machte mätzchen

    Like

  38. Das Alice-Zitat wird tatsächlich gerne verwandt, aber wenn man/frau diese Sprüche-Zitierer aus dem Konzept bringen will, fragt man/frau nach dem gesamten Dialog, denn so geht er weiter:
    „‚Dort drüben‘, sagte die Katze und schwenkte ihre rechte Pfote, ‚wohnt der Hutmacher, und hier‘ – und dabei winkte sie mit der anderen Pfote – ‚wohnt der Schnapphase. Du kannst es dir heraussuchen, welchen du besuchen willst. Verrückt sind sie beide.‘ ‚Aber ich will doch nicht unter Verrückte gehen!‘ widersprach Alice. ‚Ach, dagegen lässt sich nichts machen‘, sagte die Katze; ‚hier sind alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.‘ ‚Woher weißt du denn, dass ich verrückt bin?‘ fragte Alice. ‚Musst du ja sein‘, sagte die Katze, ’sonst wärst du doch gar nicht hier.'“
    Gerade in psychotherapeutischen Gruppensitzungen führt das zu enormer Heiterkeit, nur nicht bei den Psychologen…

    Like

Datenschutzhinweis: Die Kommentarangaben und die Mailadresse werden an Automattic, USA (die Wordpress-Entwickler) übermittelt. Details hierzu in der Datenschutzerklärung (Link links). Sie können gerne Pseudonyme und anonyme Angaben hinterlassen.