Bekenntnisse

Ich habe noch nicht viel von Jerusalem gesehen, nur die Busfahrt in die Stadt hinein und dann den Fußweg vom Lions Gate zum österreichischen Hospiz, wo ich die nächsten drei Tage wohne. Aber schon ist mir aufgefallen, dass ich es unangenehm finde, dass ich den meisten Menschen hier schon von Ferne ansehe, zu welcher Religion sie gehören.

Da ich noch auf mein Zimmer warten muss, habe ich Zeit, das kurz zu bloggen.

Die Bekenntnisse sind nicht nur visuell, sondern auch akustisch aufdringlich. In der Cafeteria kommen Strauss-Walzer aus den Lautsprechern, aus der Moschee nebenan tönt der Muezzin.

Das stört mich alles. Ich fühle mich wie von Schubladen umgeben. In Wien stören mich Strauss-Walzer hingegen nicht, in Sarajevo fand ich die häufigen Gebetsrufe von den Moscheen richtig schön.

Vielleicht lässt sich mein Unbehagen gerade an diesem Vergleich gut beschreiben. In Sarajevo empfand ich die Gebetsrufe deshalb angenehm, weil sie mich (und das ist doch auch der Sinn) fünfmal am Tag daran erinnerten, dass es Gott gibt. Mir wurde dabei zwar auch jedesmal die kulturelle Differenz zwischen mir und meiner muslimischen Umgebung bewusst, aber das empfand ich nicht als störend. Die wesentliche Botschaft des Muezzinrufs galt auch für mich, auch wenn ich sie in meine eigenen kulturellen Formeln übertragen musste.

Hier hingegen habe ich den Eindruck, dass die sichtbaren Bekenntnisse eher der Abgrenzung dienen. Ich bin keine Österreicherin, ich bin keine Muslimin, sagen sie mir.

Ich weiß noch nicht genau, was ich aus diesem erst einmal spontanen Unbehagen machen soll. Vielleicht kommt es auch daher, dass ich es bevorzuge, „undercover“ zu sein. Wenn ich reise, bin ich gerne unauffällig, ich passe mich gerne auch äußerlich den Gepflogenheiten an, weil die wesentlichen Differenzen doch nicht die des Labels sind, sondern der Haltung.

Ich käme auch nie auf die Idee, mir ein Kreuz anzuhängen oder ein Frauenzeichen, außer, ich bin in dezidiert christlichen oder feministischen Kontexten. Dann sind diese Signale ein Zeichen der Verbundenheit, aber eher in der Bedeutung von Zugehörigkeit als in der Bedeutung von Übereinstimmung. Mit den meisten Christ_innen und den meisten Feminist_innen stimme ich ja gar nicht überein (in den meisten Fragen).

Andererseits habe ich kein Problem, mir ein Kopftuch umzubinden oder einen Rock anzuziehen, wenn ich in einer Gegend bin, wo man das eben so macht.

Hier in Jerusalem wird mir das wohl nicht gelingen, denn es gibt nichts, woran ich mich anpassen könnte. Ich muss mich bekennen, es gibt hier keinen Mainstream. Oder vielleicht doch, und ich habe ihn nur noch nicht entdeckt?

Ich bin gespannt auf die nächsten Tage. Vielleicht könnte ich mich als Touristin verkleiden.

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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

6 Gedanken zu “Bekenntnisse

  1. Genau! Verkleide dich als Touristin. Die Idee ist nicht schlecht.
    Jerusalem gäbe es ohne die Schubladen wahrscheinlich längst nicht mehr. Das ist die traurige Wahrheit. Aber Jerusalem ist auch selbst eine Vision für so viele verschiedene Lebensweisen.
    (für mich eine politische Vision, keine religiöse – vielleicht sind die Schubladen eine Behelfskonstruktion, solange, bis es die Menschheit anders schafft)

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  2. Ich käme auch nie auf die Idee, mir ein Kreuz anzuhängen oder ein Frauenzeichen, außer, ich bin in dezidiert christlichen oder feministischen Kontexten. Dann sind diese Signale ein Zeichen der Verbundenheit

    In Europa siehst du auch viele Leute, die außerhalb christlicher Veranstaltungen mit Kreuzzeichen herumlaufen. In Jerusalem sind halt mehr Fromme unterwegs als in Frankfurt oder Berlin.

    Und die Abgrenzung ist nun mal nicht weit, wo Frömmigkeit offen gelebt wird. Zumindest eine traditionelle Frömmigkeit, die das Ziel hat, gottgefällig zu sein und Fleißpunkte fürs Jenseits zu sammeln. Denn diese Sicht läuft nun mal darauf hinaus, dass andere, die auf die jeweilige Praxis pfeifen, Gott weniger gefallen. (Nervt vor allem bei Religionen, die auf Mission ausgerichtet sind und mich potenziell bekehren wollen.)

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  3. Interessant, dass Sie das so empfinden. Ich fand in Jerusalem gerade interessant, dass ich mehr Menschen sehe, denen ich an der Kleidung die Religion ansehen konnte. Ich empfand das nur zum einen als Abgrenzung, zum anderen auch einfach als selbstverständlicher nach aussen gelebt.
    (Wobei ich den Sprung von dem Satz „Aber schon ist mir aufgefallen, dass ich es unangenehm finde, dass ich den meisten Menschen hier schon von Ferne ansehe, zu welcher Religion sie gehören.“ zu Österreichs Strauss-Walzer nicht ganz verstehe. Da dreht es sich doch eher um Nationalität als Religion, oder?)
    Und Mainstream gibt es auch ganz viel….
    Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen unbekannterweise viele schöne Erfahrungen in der Stadt, in die ich gerne einmal wieder reisen würde.

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  4. Warum scheint es dir wichtiger zu sein, dich einem Mainstream anzupassen als einfach Du selbst zu sein?

    Mir sieht man meine Religion auch an und ich find das gut. Ich habe mir das Kreuz tätowieren lassen. Was findest Du negativ daran, wenn du Menschen ihre Religion ansiehst?

    Ich habe übrigens irgendwie ein komisches Gefühl dabei, wenn ich lese, dass Du religiöse Zeichen als Zeichen der Zugehörigkeit trägst oder um dich anzupassen, wenn du nicht hinter dem stehst, was sie bedeuten. Ich empfinde das als etwas respektlos gegenüber gläubigen Menschen. Oder habe ich dich da vielleicht falsch verstanden?

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  5. @Miria – Ich bin auch ich selbst, wenn ich mich dem Mainstream anpasse. Mit äußerlichen „Logos“ habe ich deshalb ein Problem, weil sie nur vermeintlich etwas aussagen. Ob jemand Christ_in, Muslim_in, Jüd_in ist sagt noch nicht viel aus, und mit einer liberalen, feministischen Muslimin habe ich viel mehr gemeinsam als mit einem fundamtentalistisch konservativen Christen. Deshalb mag ich nicht nach außen solche Schubladen signalisieren, weil es meiner Erfahrung nach mehr zu Vorurteilen und Missverständnissen führt als zu echten Diskussionen um unterschiedliche (oder ähnliche) Meinungen und wirkliche Differenzen.
    Ich finde es deshalb auch nicht respektlos, als Zeichen der Akzeptanz mit an die Regeln und Symbole anderer anzupassen. In vielen Ländern wird von mir, wenn ich in eine Moschee gehe, ja sogar erwartet, dass ich ein Kopftuch aufziehe, obwohl die Leute dort ganz genau wissen, dass ich die Bedeutung nicht teile. Ich finde das auch nichts schlimm, eher ist es für mich eine quasi „körperliche“ Erinnerung daran, dass ich mich nun auf einem Terrain der „anderen“ befinde und nicht erwarten kann, dass meine gewohnten Regeln hier gelten. Respektlos würde ich finden, wenn man diese Art von Entgegenkommen nicht bringen will.
    Anders ist es übrigens, wenn mich in einer christlichen Kirche jemand dazu zwingen will, ein Kopftuch aufzusetzen, was in orthodoxen Gegenden passiert. Dann komme ich nämlich in einen Konflikt, weil es nicht mehr das Terrain der „anderen“ ist, denn ich selbst bin ja auch Christin. Oder ich beruhige mich mit „Ist aber eine andere Sorte Christentum“, und dann geht es wieder. Verstehst du ungefähr, wie ich das meine?

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  6. naja, scheint ja, also ob es im öffentlich raum in jerusalem kein „terrain der anderen“ gibt. was sie schreiben, hört sich ein bisschen nach der Kopftuchdebatte hier in deutschland an, nur andersrum. es gibt noch andere punkte, die mir komisch vorkommen, an dem, was sie schreiben. Zum beispiel, wo hören symbole auf und fängt die person an? das ist doch genau die problemlage der political correctness frage, d.h. wieviel mainstream muss ich mitmachen? ihren ansatz finde ich gruselig. vielleicht kann ich es genauer formulieren, wenn mein hirn koffein erhalten hat.

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