Wie feministische Theorien mit gedankenlosen Halbsätzen für unbedeutend erklärt werden

Christian Siefkes stellt im Keimform-Blog das Buch The Origin of Capitalism: A Longer View von Ellen Meiksins Wood vor, in dem sie die These von der Naturnotwendigkeit des Kapitalismus bestreitet und aufzeigt, wie diese Wirtschaftsform vielmehr in einer historisch konkret bestimmbaren Situation – im 16. Jahrhundert in England – entstanden ist. Das ist sehr lesenswert.

Daran schließt er eigene Überlegungen dazu an, welche Aspekte bei Versuchen, den Kapitalismus zu überwinden, notwendig sind. Er identifiziert drei, eine davon ist die Aufhebung der Trennung in Produktionssphäre und Privatssphäre/Haushalt.

Und dann schreibt er einen Satz, der mir symptomatisch erscheint für die merkwürdig ignorante Weise, mit der linke Männer sehr häufig mit feministischen Ideen umgehen. Und zwar schreibt er:

„Die Aufhebung der Sphärentrennung spielt in vielen linken Debatten kaum eine Rolle. Stattdessen wird die Umgestaltung des politischen Systems oder der Wirtschaft oder von beiden, aber als separate Sphären betrachtet; die Reproduktionssphäre kommt dabei außerhalb feministischer Ansätze selten in den Blick.“

Sind also feministische Ansätze kein Teil der linken Debatten? Offenbar nicht, denn würde Siefkes sie als solche verstehen, könnte er nicht mehr schreiben, dass die Reproduktionssphäre in linken Debatten selten vorkomme.

Richtig hätte der Satz lauten müssen:

„Die Aufheben der Sphärentrennung spielt in linken feministischen Debatten seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle. Dabei sind schon Trillionen von höchst interessanten Vorschlägen dazu gemacht worden, was daraus für linke Politik und linken Aktivismus folgen könnte – die leider von nicht feministischen linken Männern bisher vollkommen ignoriert werden.“

Und dann hätte der Artikel zum Beispiel irgendwie so weitergehen können:

„Ich stelle hier mal die wichtigsten Debattenlinien vor und empfehle die zentralen Bücher, damit alle, die an linker Ökonomiekritik interessiert sind, sich damit auseinandersetzen und darauf aufbauen können, wenn sie eigene und neue Ansätze vorschlagen. Denn wir müssen ja das Rad nicht immer wieder neu erfinden.“

Allerdings.

Wenn er das gemacht hätte, könnte er das Rad ja nicht selber neu erfinden. Und das wäre doch schade, nicht wahr?

 

——–Update:  

Um Bennis Einwand aus den Kommentaren aufzugreifen: Formal betrachtet sagt Siefkes in der Tat nicht, dass feministische Ökonomiekritik kein Bestandteil linker Debatten sei, was er sagt, ist, dass sie kein relevanter Bestandteil linker Debatten sei. Also keiner, der ihn von seinem generellen Urteil, die Reproduktionsarbeit spiele in linken Analysen im Großen und Ganzen keine Rolle, abbringen müsste.

 

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

53 Gedanken zu “Wie feministische Theorien mit gedankenlosen Halbsätzen für unbedeutend erklärt werden

  1. „außerhalb feministischer Ansätze“ meint ja gerade, dass das linke sind (oder zumindest sein können). Er kritisiert ja gerade, dass diese nicht im linken Mainstream ankommen. Also genau das, was Du auch kritisierst.

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  2. @Benni – Naja, eine lapidare Erwähnung mit grade mal drei Worten lässt sich imho noch nicht wirklich als „Kritik“ qualifizieren. Und das, was er in seinem Text tut, ist ja dann genau dasselbe: Er ignoriert feministische Ansätze, während er seinen eigenen ausformuliert. Verstehst du nicht, dass ich das ärgerlich finde?

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  3. @Benni – Sorry, dass ich eine andere Meinung habe als du, aber ich finde den Text halt nicht so gut wie du. Zumindest in dieser einen Hinsicht. Dass er ein interessantes Thema hat und ein interessantes Buch vorstellt, habe ich ja auch geschrieben. Und ich finde auch nicht, dass es in Ordnung ist, wenn du meine Argumentation als „Schema-F“ abqualifizierst, bloß weil du sie nicht teilst. Oder nicht verstanden hast, keine Ahnung.

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  4. Gibt es denn anderswo irgendwo eine Liste mit zentralen Büchern oder Aufsätzen oder Internetseiten?

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  5. @Melanie – Naja, was jede_r für „zentral“ hält ist halt Ansichtssache. Im Rahmen von politischen Debatten sollten halt – so wie ich es sehe – immer diejenigen angeführt werden, die für die jeweilige Argumentation bedeutend sind. Feministische Texte, die sich mit dem hier eingeforderten Thema „Aufhebung der Trennung von Produktions und Reproduktionssphäre“ beschäftigen, gibt es unendlich viele, ich kenne eigentlich keinen feministischen Text zu ökonomischen Themen, der sich damit nicht beschäftigt.

    Ein Buch, aus dem ich in dem Zusammenhang viel gelernt habe, ist „Arbeit und Liebe“ von Angelika Krebs: https://www.socialnet.de/rezensionen/742.php
    Ein schon noch älteres Buch, an dem politische Freundinnen von mir mitgeschrieben haben, ist „Weiberwirtschaft weiterdenken. Feministische Ökonomiekritik“ http://www.amazon.de/product-reviews/3905577275
    Eine Rezension zu zwei neueren Publikationen hat Ina Praetorius kürzlich in unserem Forum bzw-weiterdenken.de geschrieben: http://www.bzw-weiterdenken.de/2013/11/care-statt-crash/

    Falls mir noch mehr einfällt, schreibe ich es hier in die Kommentare (oder wenn andere Hinweise haben, bitte auch gerne)

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  6. @Benni – Nein, bin ich nicht. Aber es nervt mich, wenn sich dieser linke Männer-Mainstream ständig gegenseitig selber weiter als Mainstream konstituiert (wie in diesem Text), und wenn feministische Analysen als exotisches Beizeug darstellt werden, das eh keiner liest. Da hilft es auch nicht, wenn inzwischen ein gönnerhafter Halbsatz von „ich weiß ja, dass wir euch ignorieren, tut mir leid“ eingestreut wird. Was soll man sich davon kaufen?

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  7. Aber ich gebe zu, dass ich es an diesem Text jetzt nur exemplarisch hinausschimpfe, er ist kein einzigartiger Fall, sondern der, über den ich mich heute einfach geärgert habe, und zwar wahrscheinlich gerade deshalb, weil ich ihn eigentlich im großen und ganzen gut fand. Deshalb schrieb ich ja „symptomatisch“.

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  8. ja, das hast du mir letztens auch schon gesagt, als ich der marxistische dogmatiker war und genauso wie ich kein marxistischer dogmatiker bin ist christian keiner, der feministische analysen nicht ernst nimmt.

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  9. In diesem Text tut er es jedenfalls nicht. Der von mir zitierte Satz geht so weiter: „Wie wir gesehen haben, war aber gerade die Sphärentrennung die entscheidende Voraussetzung, die den Kapitalismus überhaupt erst möglich gemacht hat – ohne ihre Aufhebung ist ein radikaler Bruch daher nicht möglich.“ – mit anderen Worten, er präsentiert uns eine Jahrzehnte alte feministische Binse als originellen Debattenbeitrag. Unter Ernstnehmen verstehe ich, ehrlich gesagt, was anderes.

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  10. Wow, in einem Blogbeitrag wird nicht die gesamte feministische Theorie referiert sondern nur auf eines ihrer Ergebnisse hingewiesen und Du gehst steil, sorry ich versteh das nicht. Du machst das doch auch ständig, alle machen das, Frauen, Männer, Feministen, Nichtfeministinnen. Und Du strickst da so einen Bashartikel draus 😦
    Dabei teile ich ja durchaus die Kritik, dass Männer oft feministische Theorie als ihre eigene neu präsentieren, nur passiert das hier nicht. Es wird ja explizit drauf verwiesen und keinerlei Urheberschaft beansprucht.

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  11. Meines Erachtens steht und fällt alles mit der baumolschen Kostenkrankheit ( https://de.wikipedia.org/wiki/Kostenkrankheit ).
    Dies ist ein Grundfehler des jetzigen Kapitalismus, weil dieser auf der Produktionssteigerung von Gütern beruht. Weil Dienstleistungen sich produktiv nicht steigern lassen, verlieren diese relativ immer weiter an Wert. Und dies ist ganz klar an den fallenden oder stagnierenden Löhnen im Dienstleistungssektor zu beobachten (Zalando, Amazon, Logistikdienstleistungen, stockende Löhne von Krankenschwestern, usw…) . Dies ist ein allgemeines Kernproblem, auch wenn Hausarbeit bezahlt werden würde, würde der Wert doch rasant an Wert verlieren, weil es keine P-Steigerung gibt…

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  12. Antjes Ärger über den „Halbsatz“ in diesen Artikel kann ich verstehen, wobei ich es – wie Antje auch schreibt – für einen Zufall halte, dass er sich an diesem Artikel entzündet.

    Der Artikel vollzieht zunächst die Argumentation in einem offenbar sehr lesenswerten Buch nach, die sich damit beschäftigt, wie, unter welchen Bedingungen und warum „der Kapitalismus“ entstanden ist. Anschließend gleicht er ab, inwieweit diese Theorie mit der sogenannten „Keimform-Theorie“ zu verbinden ist. Zum Schluss zieht er ein Fazit, indem festgestellt wird, die Analyse Woods lasse zwar keine Prognosen für die Zukunft zu, zeige aber, dass eine Voraussetzung für die Überwindung des Kapitalismus die Aufhebung der Sphärentrennung sei. Und in diesem Zusammenhang fällt der ärgerliche Satz. Denn: Durch die Art der Formulierung und dadurch und wie es im Text weitergeht (nämlich ohne dass inhaltlich auf die „feministischen“ Konzeptionen eingegangen wird), ist vorprogrammiert, dass in eine Debatte über diese Konzeptionen als Lösungsansätze nicht eingestiegen wird.

    Und das ist in der Tat ein déjà-vu. So läuft das meistens, wenn („linke“) Männer (miteinander) debattieren. Im besten Fall erwähnen sie feministische Theorien mal. Sie lassen sich aber nicht darauf ein. Das kann man schade finden. Und sich eben auch rumdrehen und mit andern reden (Meistens.) Oder sich ärgern. Und diesem Ärger auch mal Luft machen (Manchmal.)

    Der Text auf dem Keimform-Blog hätte drei Debatten anstoßen können:
    1. ob Woods Thesen zur Entstehung des Kapitalismus zutreffen
    2. ob und welche Modifikationen an der Keimform-Theorie Woods Analysen erforderlich machen
    3. welche Konsequenzen sich aus der Erkenntnis ergeben, dass nur eine Überwindung der Sphärentrennung eine Überwindung des Kapitalismus ermöglicht.

    Die letzte Debatte könnte eigentlich nicht geführt werden, ohne an die feministische Kritik anzuschließen und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Was Antje ärgert, ist, dass genau dies nicht stattfindet/stattfinden wird. Wieder mal.

    Das erzeugt dauerhaft ein Desinteresse mancher an diesen „Diskursen“. Zum Beispiel bei mir. Was ja eigentlich schade ist, weil diese Fragen mich zunächst mal sehr interessieren. Meine Erfahrung ist aber, dass es „nichts bringt“, sich in solche Diskurse mit feministischen Theorien einzubringen. Die Reaktion ist Ignoranz oder „Erklärbärentum“ (meistens von Opa Marx an wird dem „Mädel“ noch mal beigebracht, was „Kapitalismus“ ist und welche Begriffe wie richtig zu benutzen sind).

    Tja,- und so bleiben die „Sphären“ halt fein getrennt und die „Kapitalisten“ reiben sich die Hände ;-).

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  13. Ist doch schon erstaunlich, wie verschieden hier die Auffassungen sind!
    Hier mal ein paar Gedanken von mir dazu…

    *Die Aufhebung der Sphärentrennung spielt in vielen linken Debatten kaum eine Rolle. Stattdessen wird die Umgestaltung des politischen Systems oder der Wirtschaft oder von beiden, aber als separate Sphären betrachtet; die Reproduktionssphäre kommt dabei außerhalb feministischer Ansätze selten in den Blick. Wie wir gesehen haben, war aber gerade die Sphärentrennung die entscheidende Voraussetzung, die den Kapitalismus überhaupt erst möglich gemacht hat – ohne ihre Aufhebung ist ein radikaler Bruch daher nicht möglich.*

    Antje, tatsächlich lese ich diesen Satz so, dass er damit herausstreichen will, dass die Aufhebung der Sphärentrennung, die er als Thema *innerhalb* der feministischen Kreise sieht, bisher nicht im linken Mainstream angekommen ist und dass das ein Manko ist, welches angegangen werden sollte.
    Daran kann ich nichts schlechtes sehen.
    Dass es Leute gibt die daran schon viel länger arbeiten – ja sicher, das ist doch in allen gesellschaftlich-politischen Bereichen so.

    Der Schluss-Satz bekräftigt das, wie ich finde.
    Er schreibt ja nicht : „Ich persönlich habe rausgefunden dass da ein radikaler Bruch nötig ist “ sondern er zeigt auf, dass diese Idee schon lange vorhanden ist und nicht genug Beachtung findet und dass er sich der Idee eines radikalen Bruchs anschliessen würde.
    Da wird auch nicht eine feministische Idee als die eigene „verkauft“ oder so getan, als müsse sie erst durch das männliche Akzeptanzverfahren laufen um Gültigkeit zu erlangen.
    Eine Idee oder These braucht doch immer ihre Zeit, um sich zu verbreiten und akzeptiert, „mainstreamig“ zu werden…und ja, wenn „der Mainstream“ dann endlich mal soweit ist, wirft man ihm gerne vor, sich ja nur bequem bei der ganzen harten Vorarbeit der Vordenker/innen zu bedienen.
    Ich kann voll nachvollziehen, dass man genervt ist, wenn man sich zu den Vordenker/Innen zählt!
    Aber könnte man denn nicht auch sagen „gut, endlich kommt das Thema auch dort an, wo wir es haben wollen!“ ?

    Hmmmm….das ist meine persönliche Auffassung des Satzes.
    Kann sein, dass ich es auch nicht richtig verstanden habe, vielleicht äussert sich ja der Verfasser nochmal selbst dazu.

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  14. @Sternenguckerin – ja, wenn ich den Eindruck hätte, dass das Thema im Männer-Mainstream ankommt (im Frauen-Mainstream ist es ja schon), würde ich dir zustimmen. Das tut es aber nicht, sondern solche nebenbei Erwähnungen dienen dazu, so zu tun, als ob, ohne sich wirklich ernsthaft auseinanderzusetzen. Man erwähnt es gerade genug, um sich nicht mehr vorwerfen lassen zu müssen, man würde es nicht erwähnen. Es geht mir nicht um Urheberschaft oder Credentials, sondern um ernsthafte Debatte über die (in sich ja sehr unterschiedlichen) Vorschläge feministischer Ökonomiekritik. Die findet nicht statt, nicht bei den Mainstream Linken, aber eben auch nicht in Texten wie diesen, die so tun, als würden sie die Mainstream Linken kritisieren, während sie sie in Wirklichkeit doch nur als Maßstab bekräftigen.

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  15. Ich meine das genauso, wie Sternenguckerin sagt. Wenn der Satz missverständlich gewesen sein sollte, tut mir das leid, aber das war jedenfalls die Intention.

    Was den Anspruch betrifft, ich hätte im dem Artikel „Vorschläge feministischer Ökonomiekritik“ (oder auch irgendwelche anderen) ernsthaft diskutieren sollen: nein, das war nicht Thema des Artikels und dafür wäre beim besten Willen kein Raum mehr gewesen — der Artikel ist längenmäßig eh schon an der Obergrenze dessen, was bei den Streifzügen möglich ist. Das bleibt als „future work“.

    Ansätze, die nicht bei Kritik und bei innerkapitalistischen Reformvorschläge stehen bleiben, sondern sich ernsthafte Gedanken über die mögliche Verfasstheit einer postkapitalistischen Gesellschaft machen, kenne ich im Übrigen nur wenige (weder feministische noch andere), daher freue ich mich auch sehr über Literaturhinweise! Was eine explizit feministische Perspektive betrifft, fällt mir da am ehesten der Subsistenzansatz von Claudia von Werlhof, Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen ein. Von dem Ansatz würde ich auch vermuten, dass er allen drei Kriterien gerecht wird.

    Das ganze Gerede über „Mainstream“ wirkt auf mich seltsam. Es gibt keinen antikapitalistischen Mainstream, weder männlich noch weiblich. Das sind alles total minoritäre Positionen.

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  16. Mir fiel einfach nur auf, wie verschieden solche Sätze gelesen werden können…
    Ich kann überhaupt gar nicht beurteilen, ob und wie stark diverse feministische Thesen in den ganzen verschiedenen Zirkeln u Gruppen diskutiert werden.
    Ein Text wie der von Dir verlinkte zeigt mir, dass das Thema möglicherweise doch allmählich breiter verstreut wird, was ich grundsätzlich begrüssenswert finde, ganz egal aus welcher Richtung es jetzt kommt.
     

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  17. @Antje:
    „Es geht mir nicht um Urheberschaft oder Credentials… “
    Hm, vielleicht doch ein ganz kleines bisschen?

    Dass sie, also die von Dir als „alte Binse“ bezeichneten, in div. fem. Kreisen schon lange diskutierten Inhalte jetzt in diesem anderen Text auftauchen, zementiert m. Mng. eben nicht die bisherige Verdrängung, sondern macht auf diese Verdrängung aufmerksam und regt evtl. dazu an, sich dieser Idee stärker zu widmen.

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  18. @Benni: Ich halte mich eher für eine Außenstehende. Ich stehe weder im feministischen noch im Geschichtsdiskurs. Ich würde sagen, ich bin – durch das Lesen dieses Blogs – von feministischen Ideen und Konzepten gerade mal angehaucht.

    Meine erste Assoziation nach dem Lesen des Keimform-Artikels und hier des betreffenden Halbsatzes bezüglich der Reproduktionssphäre war jedoch auch: „Diese feministischen Ansätze scheinen ja nicht wirklich relevant zu sein. Es ist ja bspw. noch nicht mal ein Link gesetzt.“ Würde ich dieses Blog nicht lesen, jedoch zufällig auf diesen Keimform-Artikel aufmerksam geworden sein, dann hätte ich diesen Halbsatz völlig überlesen und hätte nicht gewusst, dass es diese Ansätze schon längst gibt.

    Die Reproduktionssphäre wird eher beiläufig in den Text eingefügt – bei Wood kommt sie nicht vor. Auch hier hätte, wie ich finde, ein Link Aufschluss gegeben- man hätte sich über diese feministischen Ansätze informieren können.

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  19. @Christian – Danke, dass du dich auch noch meldest. Ich bin halt arg über den Satz „Die Aufhebung der Sphärentrennung spielt in vielen linken Debatten kaum eine Rolle“ gestolpert, weil das für mich durchaus so klang, als wäre das jetzt eine neue (deine) Erkenntnis, dabei wird das eben schon so lange bemängelt, dass ich es fast nicht mehr hören kann.

    Ich meinte natürlich nicht ernsthaft, dass du in dem Artikel ausführlich feministische Ökonomiekritik hättest diskutieren sollen, aber ich finde, du hättest dieses „alter Hut sein“ der Diagnose ruhig erwähnen können.

    Zu deiner Frage nach den Ansätzen: Die Subsistenztheorie ist sicher einer der wichtigen, aber er ist ja nun auch schon nicht mehr ganz taufrisch.

    Kennst du unser „ABC des guten Lebens“? (http://www.abcdesgutenlebens.de). Darin gehen wir von der Überzeugung aus, dass eine Arbeit an einer neuen Ordnung zunächst auch neue Begriffe und Symboliken braucht, um über die Zweiteilung der Welt (die viel tiefer reicht als nur die Zweiteilung der Sphären privat/Markt) hinwegzukommen. Wir finden, dass „postkapitalistische Ansätze“, die in der alten symbolischen Ordnung verbleiben, nicht wirklich aus dem Dilemma herauskommen können.

    Zum Beispiel würde das deinen dritten Punkt „Niemand muss sich den Vorgaben anderer unterwerfen, sondern die Menschen begegnen sich auf Augenhöhe.“ betreffen. Da klingt für mich noch die alte Gegenüberstellung von Abhängigkeit versus Freiheit mit, die – wie wir unter den entsprechenden Stichworten im ABC schreiben – ebenfalls ein Ausfluss dieser „Sphärentrennung“ ist. Dass sich alle Menschen auf Augenhöhe begegnen ist ja eine Illusion, denn zum Beispiel kleine Kinder und ihre Eltern oder aber auch schwer Pflegebedürftige und diejenigen, die sich kümmern, können sich ja nicht auf Augenhöhe begegnen, da die Basis ihrer Kooperation gerade ihre Ungleichheit ist (einem Baby nützt es nichts, wenn sich andere Babys um es kümmern).

    Zum „Mainstream“ – natürlich gibt es keinen antikapitalistischen Mainstream, aber es gibt sozusagen für alles wieder Unter-Mainstreams, zum Beispiel gibt es einen „linken Mainstream“. Und der wird auch dadurch mit konstituiert, auf wen sich Linke beziehen und auf wen nicht, mit wem sie diskutieren und mit wem nicht, wessen Bücher sie zitieren und wessen nicht und so weiter. Und in diesem Sinn habe ich es gemeint, dass du durch deine nur Nebenbei-Erwähnung des Feminismus diesen eben aus dem linken Mainstream aussortierst. Sicher nicht gewollt, aber auf mich hat es jedenfalls so gewirkt…

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  20. @Antje – „Feministische Texte, die sich mit dem hier eingeforderten Thema “Aufhebung der Trennung von Produktions und Reproduktionssphäre” beschäftigen, gibt es unendlich viele, ich kenne eigentlich keinen feministischen Text zu ökonomischen Themen, der sich damit nicht beschäftigt.“

    Stimmt, siehe hier:

    http://www.feministisches-institut.de/kategorie/oekonomie/
    …………

    http://www.gwi-boell.de/de/care-%C3%B6konomie-nachhaltig-geschlechtergerecht-wirtschaften-und-leben
    …………..
    Roswitha Scholz
    Die Müßiggängerinnen schiebt beiseite!
    Zum Verhältnis von Geschlecht und Arbeit im Feminismus

    http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=schwerpunkte&index=3&posnr=2&backtext1=text1.php

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  21. „Die Aufhebung der Sphärentrennung spielt in vielen linken Debatten kaum eine Rolle. Stattdessen wird die Umgestaltung des politischen Systems oder der Wirtschaft oder von beiden, aber als separate Sphären betrachtet; die Reproduktionssphäre kommt dabei außerhalb feministischer Ansätze selten in den Blick. Wie wir gesehen haben, war aber gerade die Sphärentrennung die entscheidende Voraussetzung, die den Kapitalismus überhaupt erst möglich gemacht hat – ohne ihre Aufhebung ist ein radikaler Bruch daher nicht möglich.“
    „Prima“, dachte ich, als ich das gelesen hatte. Das passt zu der anstehenden „Care-Revolution“. Link-Verweise darauf hätte ich mir an dieser Stelle gewünscht um deren Bedeutung zu gewichten und die Arbeiten feministischer Ökonominnen und Ökonomen zu würdigen.

    Wird mit Antjes ‚Klage‘ ’nachgeholt‘ 🙂
    *Die Entwicklung einer Wirtschaft der Fürsorge*
    http://www.bzw-weiterdenken.de/2013/05/die-entwicklung-einer-wirtschaft-der-fursorge/

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  22. Was eine explizit feministische Perspektive betrifft, fällt mir da am ehesten der Subsistenzansatz von Claudia von Werlhof, Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen ein.

    Um Himmels Willen.

    Wenn das der wesentliche feministische Beitrag zum Thema ist, war Ignorieren vielleicht nicht der schlechteste Ansatz 😉

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  23. @Irene – dann könnte dich der Beitrag von Roswitha Scholz interessieren, den ich oben verlinkt habe, die darin auf die verschiedenen Subsistenz- oder Eigenarbeits-Visionen eingeht, die in der feministischen Diskussion als Lösungsansätze für die gegenwärtige Krisenerscheinungen der Arbeitsgesellschaft gehandelt werden.

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  24. Um meinen Spott mal etwas konkreter zu machen:

    Das erste, was ich heute schon vor dem Aufstehen getan habe, war, meine Schilddrüsenhormone made by Pharmaindustrie einzuwerfen.

    Wie sähe nun die alltagstaugliche feministische Alternative aus? Soll ich ein im Hinterhof selbst aufgezogenes Schwein schlachten und dessen Schilddrüse trocknen? Oder gibts noch irgendwo Aussteiger-Lesbenhöfe, die das für mich machen würden, vielleicht als Tauschgeschäft? (Ist keine perverse Phantasie von mir – es gibt tatsächlich natürliche Schilddrüsenhormone vom Schwein. Die Kunden sind Leute, die die Synthetiks wegen der nicht proteingebundenen Form der Hormone nicht so gut vertragen, und Patientinnen von Naturheilkundlern, die meinen, dass Natur immer besser ist als Chemie.)

    Oder soll ich mich den rebellischen Jungfeministinnen anschließen, die Hormone für ein böswilliges Konstrukt von Männern halten, die frau trotzig ignorieren kann? Wenn ich die Medikamente absetzen würde, ginge es mir immerhin bald so schlecht, dass ich allerhand Material für Schuldzuweisungen an die gesellschaftlichen Verhältnisse hätte … ist manchen Leuten auch was wert 😉

    Claudia von Werlhof ist mittlerweile in Pension. Lebt sie nun endlich die propagierte Subistenzwirtschaft mit allen zugehörigen Härten (Brunnen bauen, Kühe melken, Stall ausmisten, Rüben hacken, Schafe scheren, Getreide dreschen, kranke Tiere selbst kurieren)?Oder macht sie sich lieber ein schönes Leben mit dem Geld des bösen Systems – vielleicht weil das idealisierte harte Leben das symbolisch Andere ist und bleibt? Aus welchen sozialen Verhältnissen stammen die Subsistenz-Expertinnen – haben die das mal reflektiert?

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  25. @Irene

    Wenn sie es denn nur wäre.
    Mir ist der Name 2010 in einem anderen Zusammenhang, Erdbeben in Haiti, das erste mal unter gekommen und was dort von Frau Werlhof geäußert worden ist hat mich so abgeschreckt, dass ich die Verdienste kaum mehr würdigen kann.

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  26. Vielleicht mag sich ja irgendwann irgendwer der Frage annehmen, wo diese angeblich so wichtige Subistenzgeschichte ideengeschichtlich und szenemäßig herkommt.

    Bei einem Kongress der Frauenakademie München vor einigen Jahren anlässlich der Finanzkrise war eine Referentin dabei, die früher beim KBW war, also bei den Mao-Anbetern. Vielleicht ist sie ja nicht die einzige. Dann wärs auch klar, warum diejenigen Linken, die früher eher moskautreu waren (oder bloß eurokommunistisch, falls es sowas hierzulande auch gab), mit denen nicht spielen wollen.

    Mein Ziel ist jedenfalls, im System auch so viel Kohle zu machen wie manche Systemgegnerin 😉

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  27. „Nun wäre es zynisch, jeglichen Versuch, trotz allgemeiner Entsolidarisierung und trotz des Mangels an breiter sozialer Bewegung, etwas gegen die gegenwärtigen Verfallsverhältnisse zu unternehmen, als zwangsläufig schon immer bloß affirmativ zu denunzieren. Auch sollen nicht von vornherein jedwede Selbsthilfe-Initiative abgelehnt und Aktivitäten im Dritten Sektor von linksfeministisch-arbeitskritischer Seite her prinzipiell bloß als »Geziefer« abgetan werden, wie es bei etlichen linken Positionen schon festgestellt werden mußte (vgl. Hildebrand, 1996). Mir geht es darum, vorhandene arbeits-ontologische Ideologien zu kritisieren, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten und undifferenziert praktische Projekte pauschal zu verdammen.“
    Zitat Roswitha Scholz aus:
    http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=schwerpunkte&index=3&posnr=2&backtext1=text1.php

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  28. Worauf bezieht sich das Zitat, Ute?

    Wie auch immer … wenn man skeptisch gegenüber Utopien ist, z.B. weil viele von ihnen als Tiger starten und als flauschiger Bettvorleger des ehemaligen Gegners enden oder offensichtlich heiße Luft sind, heißt das ja nicht, dass man die Dinge einfach laufen lässt. Selbsthilfe und Utopie empfinde ich schon fast als Gegensätze, weil Selbsthilfe konkret und handlungsorientiert ist. Selbsthilfe macht selbst Arbeit 😉

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  29. wer Informationen unterdrückt die zum Thema Claudia von Werlhof gehören, in der sie sich zu den Angriffen auf sie persönlich äußert ist nicht commonsfähig. das ist KEINE LIEBE ZUR FREIHEIT sondern DIENT zur Vertuschung!

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  30. @Irene – Das Zitat bezieht sich auf deine kritische Einlassung zur Subsistenzwirtschaft. Auch Roswitha Scholz setzt sich damit kritisch auseinander, differenziert allerdings, indem sie
    darauf verweist, dass „nicht von vornherein jedwede Selbsthilfe-Initiative abgelehnt“ werden sollte. Siehe Abschnitt:
    „Keine Kuh für Hilary“ in dem o.g. Link.
    Da dieser Beitrag vor fast 15 Jahren verfasst wurde, weiß ich allerdings nicht, ob die Autorin ihre Kritik und Analyse zu Subsistenz- oder Eigenarbeit-Visionen heute noch in ähnlicher Weise formuliert.

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  31. @Axel Tigges – Dein Kommentar zu Claudia von Werlhof war aus meiner Sicht unverständlich, und du hattest auch keine Quelle angegeben. Es schien mir eine Kopie aus einem persönlichen Mailwechsel zwischen dir und ihr gewesen zu sein? Jedenfalls bräuchte ich da eine Erlaubnis von ihr selbst, um das hier zu veröffentlichen. Dann gerne.

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  32. @Antje: Es geht ja nicht nur um eine „Zweiteilung der Sphären privat/Markt“, sondern vielmehr um eine Dreiteilung: privat/Haushalt — Markt/Produktion/Ökonomie — Politik/Staat. Wood zufolge ist gerade die Trennung von Ökonomie und Politik für die Entstehung des Kapitalismus entscheidend gewesen. Natürlich wird auch diese Trennung in feministischen Kreisen (und manchmal auch anderswo) des Öfteren kritisch reflektiert, aber ein bloßer „alter Hut“ scheint mir diese Dreiteilung nicht zu sein — und ihre Rolle in der Entstehung des Kapitalismus schon gar nicht.

    Das ABC wird ich mir durchlesen, danke für den Link.

    Dass sich alle Menschen auf Augenhöhe begegnen ist ja eine Illusion, denn zum Beispiel kleine Kinder und ihre Eltern oder aber auch schwer Pflegebedürftige und diejenigen, die sich kümmern, können sich ja nicht auf Augenhöhe begegnen, da die Basis ihrer Kooperation gerade ihre Ungleichheit ist (einem Baby nützt es nichts, wenn sich andere Babys um es kümmern).

    Alle Menschen sind ungleich, und das ist ja auch gut so. Der Witz bei der Kooperation auf Augenhöhe ist für mich gerade, dass jede_r in ihrer besonderen Bedürftigkeit ernst genommen wird — Kinder, Pflegebedürftige und alle anderen auch. Daraus ergibt sich aber noch lange nicht, dass deshalb die weniger Pflegebedürftigen die Bedürftigeren nach Belieben herumkommandieren dürfen (ich weiß, dass einige Eltern das anders sehen). „Niemand muss sich den Vorgaben anderer unterwerfen“ schreibe ich im selben Satz zur Erläuterung, und dazu (als gesellschaftlicher Zielsetzung) stehe ich. Vielleicht kann Benni noch was zum Thema „Nicht-Erziehung“ ergänzen — ich würde das durchaus aus Versuch eines Zusammenlebens von Kindern und Eltern „auf Augenhöhe“ ansehen.

    @Irene: ja, das wäre auch mein wesentliches Bedenken zur Subsistenzperspektive, dass sie dem heute erreichten gesellschaftlichen Komplexitätsgrad nicht gerecht werden kann (oder will).

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  33. @Irene – Das Zitat bezieht sich auf deine kritische Einlassung zur Subsistenzwirtschaft.

    Ute, ich bin doch nicht gleich zynisch, wenn ich eine Utopie beargwöhne. Wir sind doch hier nicht bei den Götz-Werner-Fans, die Skepsis und lästige Fragen gern mit der Unterstellung kontern, man hätte wohl das falsche Menschenbild, denn sonst wäre man ja für das BGE, das auf dem richtigen Menschenbild beruht. (Und willst du nicht mein Bruder sein…)

    Ich habe übrigens viel Erfahrung mit Selbsthilfe, aber halt auf meine Weise und nicht auf deine. Nicht jede, die gut verdienen will und dazu steht, ist ein Ego-Schwein.

    @ Christian S.: ja, das wäre auch mein wesentliches Bedenken zur Subsistenzperspektive, dass sie dem heute erreichten gesellschaftlichen Komplexitätsgrad nicht gerecht werden kann (oder will).

    Das Problem fängt vielleicht schon einen Schritt vorher an, wenn welche für andere Menschen bestimmen wollen, welche Bedürfnisse wichtig und berechtigt sind, welche Arbeit sinnvoll ist etc.

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  34. @Christian – Ja, das mit den Sphären ist sicherlich komplexer. Ich würde sagen, die Trennungen spielen auf verschiedenen Ebenen, denn die Trennung von öffentlich/privat durchquert ja die beiden anderen irgendwie.

    Was du mit „auf Augenhöhe“ meinst, verstehe ich schon so ungefähr, meine aber, dass der Begriff falsch ist, sondern quasi versucht, die Logik der einen, öffentlichen Sphäre (in der sich freie und gleiche Männer „auf Augenhöhe“ begegnen) jetzt auch auf die andere bzw. die nicht mehr geteilten Sphären zu übertragen. Als Metapher ist das mit der Augenhöhe ja auch bei Kindern und Eltern offensichtlich falsch. In dieser männlichen Sphäre wurde das „nach Belieben Herumkommandieren“ als Gegenteil von „Demokratie“ konstruiert, aber das ist ja nicht wahr. Und natürlich müssen sich Kinder bis zu einem gewissen Grad „den Vorgaben anderer unterwerfen“, sonst werden sie wahrscheinlich nicht lange überleben, weil sie bestimmte Dinge noch nicht kennen und mögliche Gefahren nicht richtig einschätzen können. In gewisser Weise stimmt das auch zum Beispiel für demenziell Erkrankte. Es kommt daher imho darauf an, genauer zu untersuchen, wie Beziehungen der Ungleichheit (die nämlich real nicht einfach nur „Verschiedenheit“ bedeuten, sondern auch „Mehr und Weniger“ Haben oder Können oder Wissen) im Sinne eines guten Lebens funktionieren können. Dafür braucht es mehr als ein irreführendes Ideal von „Augenhöhe“, glaube ich.

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  35. @Antje: Ich finde schon, dass der Begriff der Augenhöhe als Metapher ganz gut passt für Eltern-Kind-Beziehungen, weil es nämlich deutlich macht, dass der Mächtigere in der Beziehung die Verantwortung dafür hat, die Augenhöhe herzustellen (also auf die Knie zu gehen) und eben nicht aus seiner Überlegenheit folgern darf, dass er die andere Person „von oben herab“ behandeln darf.
    Oder auch: Menschen sind unterschiedlich fähig, gerade deswegen muss man Macht abgeben.
    Im übrigen ist die ganze Welt von freien und/oder demokratischen Schulen alles andere als männerdominiert, eher im Gegenteil. Oder meintest Du das gar nicht? Klang so.

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  36. @Benni – Das ist ja interessant, denn ich würde sagen, eine Augenhöhe, die von Seiten der Mächtigeren freiwillig „hergestellt“ wird (indem sie gnädigerweise auf die Knie gehen) keine wirkliche Augenhöhe ist, sondern Scharlatanerie. Sie können nämlich jederzeit wieder aufstehen. Wenn ich das ganze aus der Perspektive derer, die „oben“ ist (udn das bin ich ja in vieler Hinsicht) anschaue, fühle ich mich natürlich toll darin, großzügig mich zu anderen herunterzulassen. Wenn ich mir das ganze aus der Perspektive einer anschaue, die „unten ist“ (und das bin ich ja zum Beispiel als Frau in männerdominierten Bereichen), dann überkommt mich bei diesem Bild ein ganz großes Unwohlsein. Da ist mir viel lieber die Vorstellung, dass die faktische Ungleichheit thematisiert und akzeptiert wird, und dass wir dann versuchen, eine sinnvolle Möglichkeit der Kooperation zu finden. Die Vorbedingung dafür ist aber, dass der, der „oben“ ist, sich dieses „Obensein“ klar macht und dazu steht, und nicht so tut, als wären wir in Wirklichkeit „auf Augenhöhe“. Meiner Erfahrung nach ist dann eine Kooperation im Sinne eines guten Lebens durchaus möglich, jedenfalls dann, wenn wir beide an der faktischen Machtverteilung in dieser Situation nichts ändern können (wenn wir es können, müssen wir die Machtverteilung ändern. Im Verhältnis von Eltern und Kindern ist das zum Beispiel überhaupt nicht möglich, denn die Eltern SIND die mächtigeren, ob sie es wollen oder nicht).

    Worauf beziehst du dich, wenn du fragst, ob ich glaube, dass freie Schulen männerdominiert sind? Darüber habe ich doch gar nichts geschrieben. Ich würde annehmen, dass da viele Frauen involviert sind.

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  37. @Antje: Also zwischen Männern und Frauen ist auf die Knie gehen natürlich bullshit, davon sprach ich nicht. Ansonsten: Doch, man kann Macht abgeben und sollte das auch. Die Kinder merken das auch sehr wohl und nutzen das. Wenn man mit Kindern eine solche Beziehung hat, lässt sich das auch nicht einfach wieder ändern.
    Ok, das mit den männerdominierten Schulen war wohl ein Mißverständnis. Ich hab das aus dem Satz „In dieser männlichen Sphäre wurde das “nach Belieben Herumkommandieren” als Gegenteil von “Demokratie” konstruiert, aber das ist ja nicht wahr. “ gelesen. Ja, da sind viele Frauen involviert. Ich würde sagen, ca. 2/3 bis 9/10 je nach Kontext.

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  38. @Benni – Nein, Eltern können ihren Kindern gegenüber Macht nicht abgeben, denn faktisch haben sie sie. Sie können aber darauf verzichten, ihre Macht auszuspielen, das ist natürlich klar. Aber es ist etwas vollkommen anderes. Sicher merken Kinder das, und wenn man ihnen gegenüber üblicherweise die Macht nicht ausspielt, kann man sie nicht einfach bei Belieben hervorholen, ohne die Beziehung zu schädigen, das ist in Machtverhältnissen immer so. Ohnmächtige haben durchaus Möglichkeiten, zu agieren, zum Beispiel auf der Beziehungsebene, da keine Beziehung ausschließlich auf Machtverhältnissen beruht. Der Einsatz von Macht zerstört zum Beispiel Liebe, und die meisten Eltern verstehen sich ja vermutlich so, dass sie ihre Kinder lieben. Das ändert aber nichts daran, dass sie faktisch Macht über sie haben, sie können sich nur entscheiden, sie nicht auszuüben, und ich behaupte: Auch das – dass das eine Entscheidung ist – wissen Kinder. Als Nicht-Eltern habe ich es zum Beispiel schon oft erlebt, dass Kinder, wenn sie in meiner Obhut sind, sich viel „braver“ benehmen, als wenn ihre Eltern dabei sind – weil sie mich eben nicht so gut einschätzen können und nicht so viel Vertrauen darin haben, dass ich meine Macht nicht ausspiele.

    Mein Punkt ist, dass es einen sehr wesentlichen Unterschied gibt zwischen einer wirklichen Beziehung „auf Augenhöhe“ und einer Beziehung, in der reale Ungleichheit existiert, und dass man diesem Unterschied nicht gerecht wird und damit die Situation falsch einschätzt, wenn man beides in eins schmeißt.

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  39. Mein Punkt ist, dass es einen sehr wesentlichen Unterschied gibt zwischen einer wirklichen Beziehung “auf Augenhöhe” und einer Beziehung, in der reale Ungleichheit existiert, und dass man diesem Unterschied nicht gerecht wird und damit die Situation falsch einschätzt, wenn man beides in eins schmeißt.

    (Mit realer Ungleichheit meinst du erkennbare Dinge wie Hierarchie oder unterschiedliche Ressourcen, oder?)

    Um es noch komplizierter zu machen: Es gibt auch Beziehungen, da wäre Augenhöhe als Ausgangsbasis gegeben, aber die wird nicht geschätzt, sondern in Richtung Hierarchie verändert. Einfach weil es verdammt viele Leute gibt, denen Status wichtig ist – und damit meine ich weniger das dicke Auto, sondern so kleine Statusspielchen. Das Austesten, was sich andere gefallen lassen (wem kann man welche lästige Aufgabe aufdrücken), die Selbstgerechtigkeit (mein Menschenbild ist edler als deins, mein Essen veganer als das von anderen) etc. Ich fürchte, das lässt sich weder durch Erziehung noch durch realisierte Utopien beseitigen.

    Kurz, die Hierarchie kommt nicht nur von da draußen, sie wird auch in Beziehungen aufgebaut, die teils gute Voraussetzungen für was anderes hatten. Auch unter Leuten, die hohe Ideale haben und vorgeblich eine andere Gesellschaft wollen.

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  40. Nein, @Irene, sage nicht, dass zu zynisch bist, auch wenn dieses Wort im Zitat angeführt wird. Wie schon gesagt, wollte ich mit Zitat und Linkverweis deine Subsistenz-Kritik
    aufgreifen, da sich Roswitha Scholz in diesem Text ebenfalls kritisch und vertiefend damit auseinandersetzt. Sie lehnt zwar Subsistenz-Utopien ab und begründet
    das ja auch, doch achtet sie gleichzeitig das Bemühen und Engagement von “SpinnerInnen und WeltverbesserInnen. Letzteres, so mein Eindruck, ging in deinem Spott
    darüber verloren.

    Ganz wichtig finde ich, was du zu *Beziehungen auf Augenhöhe* schreibst, die von außen nicht durch erkennbare Hierarchien gekennzeichnet sind, und dass es trotzdem immer wieder Menschen gibt die versuchen sich in Beziehungen “über” andere zu stellen. Warum das so ist, hat ja viele Ursachen/Gründe. Diese ins Licht des Bewusstseins
    zu heben scheint mir eine bleibende Herausforderung für uns alle, und wenn die daraus gewonnenen Einsichten auch in das Zusammenleben und Umgang mit Kindern mit einfließt, nährt das in mir das Pflänzchen Hoffnung. 🙂

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  41. @Antje Schrupp
    Dir ist es wieder einmal gelungen, aus einem nur themaergänzenden Nebensatz ein Thema selbst zu generieren, besser: es sich selbst generieren zu lassen, schon fast wichtiger als der gesamte Herkunftstext – ja, das ist eine Gefahr, aber wie wir an der Diskussion sehen, auch eine Chance, auch was die Kapitalismusfrage angeht, denn: Genauigkeit ist da schon gefragt.

    Christian Siefke sollte sich dazu nicht herausreden, das (sein) „Ding“ ist doch für alle erkennbar gelaufen, so wie Antje Schrupp es herausgepickt hat, sehr genau.

    Aber:
    Christian Siefke hat in einem Vorgängerartikel überschreibend zum „Kapitalismus überwinden“ gefragt:
    „Was muss sich ändern, damit alles anders werden kann?“
    Antwort:
    Wieso muss ALLES anders werden?
    Und nun warten wir auf eine kurze Antwort …

    Die Frage ist also vom Thema wegführend hochgestapelt.

    Hinzu kommt die Meinung eines etwas reiferen Menschen dazu:
    Sollte einmal der Kapitalismus „überwunden“ sein, werden die Menschen es nicht bemerkt haben und dennoch bereits das Nachfolgende sezieren, klassifizieren und „überwinden wollen – das ist in Evolution so, und so auch natürlich.
    Falsch ist nur die Vorstellung, man könne Nachfolgendes am Reißbrett entwerfen, denn da geht es um richtiges lebendiges superkomplexes und lebenssicherndes Leben, Handeln.

    Es ist nicht die Attrappe des „Kapitalismus“, die im Karnevalszug geprangert und beseitigt werden kann, eigentlich stört er uns gar nicht so richtig – wie übrigens auch alles, was danach käme.

    Es ist die Handhabung!
    Es ist die Art, wie Wirtschaft und Kapital zum Fetisch des Lebens gemacht und weltweit sogar auch noch religiös verankert wird, es ist die Art, wie das weltweit einst fortschrittliche Hilfsmittel des gesellschaftlich notwendigen Austausches von seiner kooperationstiftenden und damit menschlich wesensnahen Funktion permanent in das Gegenteil verwandelt wird, und:
    Wie das auch noch von den handelnden Bestimmern für gut befunden wird und dabei allgemein die Teilhabe an den echten Grundfesten des gesellschaftlichen Lebens für täglich mehr Menschen genommen und verbaut wird in völliger Verkennung der wahren weil natürlichen menschlichen und so gesellschaftlichen Triebkräfte.

    Und hier, bei dieser Art „Kapitalismus“ zu treiben statt zu betreiben, kann ich mir sehr wohl eine Fülle bekannter (und weniger bekannter) feministischer Wesenszüge als Regulation vorstellen, erst nach denen ein anderer Kapitalismus praktisch denkbar und erfahrbar wird, der uns – fast ohne daß wir es merken – aus dem Kapi Thal heraus auf andere Gipfel führen kann.
    Nein, Christian Siefke, weder muß sich dazu „alles ändern“, noch müssen wir „den Kapitalismus (im Plakatschritt) überwinden“, sondern nur das können und müssen wir tun, was unser natürliches Wesen ist:
    Kooperieren zum GEGENSEITIGEN Vorteil
    und diesbezügliche Abarten der Reihe nach beseitigen, also etwas als äußerst feministisch-praktisches Bekanntes, anstatt theoretischer Riesentorten, egal ob diese links oder linkser sind, sein sollen und mit Halbsätzen gespickt sind, die eigene Themenbearbeitung abverlangen … (:-))
    Für einfache Gemüter:
    Auch ich halte (gegenwärtigen) Kapitalismus für eine gefährliche substanzielle Fehlleistung von Mensch, ja von Mensch, nur der macht „Kapitalismus“, und nur der kann daran gestalten und ändern, und warum nicht mal aus feministischer Sicht, Herr Siefke?

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  42. Nachtrag nach etlichen Jahren des Fortganges (nicht Fortschritts) beim „Alles ändern“ laut Christian Siefkes:

    Zunächst:
    Einem Gesprächspartner, der bekennend KPD-nah den Marxismus „richtig“ anwenden möchte dürfte man mit Sympathie betrachten. Allerdings als gleichzeitig bekennender Radikaler Konstruktivist (Ablehnung realer Existenzen und Protektion von alleinig virtuell existierenden Beobachter-Konstruktionen) komme ich mir etwas vereiert vor, denn niemand hat mehr über Realität sinniert und gedacht, über deren Veränderung, als der alte Karl.
    Was sagt uns das in diesem Kontext nun heute, fast nach „Abschluss“ dieses kleinen Disputes?
    Die „Unachtsamkeit“ beim Christian Siefkes ist wohl etwas breiter und tiefer anzusiedeln, als Antje Schrupp das hier fast liebenswürdig wagte zu bemerken, denn Wo ist z.B. bei redikalen Konstruktivisten Feminismus anzusiedeln?
    Die künstlich zu 2. Ebenen erhobenen umdieEckedenkereien schaffen keinen Platz, für das was wir Feminismus praktizieren, sie verstäuben ihn nur, damit er systemisch 2.ordentlich nicht stört – geschenkt, ist bekannt. Das aber auch noch „richtigen Marxismus“ zu nennen (in seriner Vita sieht ersich so) ist schon ein Ding.
    Antje Schrupp hat korrekt reagiert, hat es erkannt, zumal es noch immer keine anderen Blickwinkel gibt.

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