Angst vor Entzündungen oder: Why change a running system?

Als ich damals über Twitter mitbekommen habe, dass Stephan Urbach sich einen Magneten in die Fingerkuppe hat einbauen lassen, dachte ich erst, das wäre ein Witz. Wieso würde jemand so etwas freiwillig machen?

Der einzige Versuch von Körpermodifikation in meinem Leben war ein gestochenes Ohrloch, das sich hinterher permanent entzündete. Dann kam ich zu der Überzeugung: Mein Körper ist völlig okay so, wie er ist, no need to improve. „No need“ im doppelten Sinn des Wortes – keine äußere Notwendigkeit, weil ich keine gesellschaftlichen Normen darüber, wie ein (weiblicher) Körper auszusehen hat, akzeptiere, und keine innere Notwendigkeit, kein Bedürfnis meinerseits, weil – ja, so banal: Ich Angst vor Arztbesuchen und medizinischen Eingriffen aller Art habe.

Ich habe ein etwas ehrfürchtiges Verhältnis zu meinem Körper, oder, wie man früher sagte, meinem „Leib“, den ich nämlich nicht „habe“, sondern der ich „bin“. Wenn ich ihn mit jeder x-beliebigen Maschine vergleiche, die ich kenne, hat mein Leib (habe ich) eine außergewöhnliche Fähigkeit zum fortwährenden Funktionieren, relativ geringen Wartungsbedarf, wenn man seine Komplexität betrachtet, und eine erstaunlich weitreichende Fähigkeit zur Selbstreparatur. Und meine gesamte Existenz ist von ihm abhängig, geht mein Leib kaputt, bin ich selbst kaputt, schlimmstenfalls sogar tot. Also ehrlich, da gehe ich lieber auf Nummer sicher. Never change a running system.

Und deshalb las ich dem Heft „Ich, Cyborg?“ (das es, soweit ich weiß, nur auf Papier gibt, obwohl es eigentlich nicht länger ist als ein ausführlicher Blogpost) mit einer gewissen Faszination. Denn hätte ich einen Magneten im Finger, würde ich nicht jedes Mal freudig registrieren, wenn da im Finger was kribbelt, ich würde mich dauernd sorgen: Hoffentlich entzündet sich das nicht!

Stephan hat solche Ängste offenbar nicht, ihm gefällt es, seinen Körper zu modifizieren, später auch den Geist (das Gehirn hacken und programmieren) und schließlich auch vielleicht den Tod zu besiegen, und er möchte daraus eine politische Bewegung machen, damit ihm das erleichtert oder besser ermöglicht wird. Ich finde das nicht irgendwie moralisch bedenklich. Zwar gibt es dabei Probleme: Dass durch die Möglichkeit der Modifikation ein sozialer Druck der Selbstoptimierung entsteht, dass der Grad der Selbstoptimierung davon abhängt, wie reich man ist und so weiter. Ich glaube auch nicht, dass die so ohne weiteres gelöst werden können, wie Stephan sich das vorstellt, aber das soll jetzt nicht Thema sein (es war hier im Blog schonmal Thema).

Was mich beschäftigt ist eher die philosophische Frage: Woher kommt der Wunsch, den eigenen Körper und seine Fähigkeiten, also letztlich „den Menschen“, zu erweitern und zu verändern? Und warum habe ich diesen Wunsch so überhaupt nicht? An einer Stelle schreibt Stephan:

„In einer Zeit, in der wir wenig über das eigene Schicksal entscheiden oder die äußeren Einflüsse beeinflussen können, die unser Leben bestimmen – in dieser Zeit müssen wir wenigstens unsere Körper für uns erschließen, sie formen und so gebrauchen, wie wir es für richtig halten.“

Ich denke, hier liegt eine zentrale Differenz zwischen uns, denn ich halte die Idee, Menschen könnten sich von äußeren Einflüssen befreien und „autonom“ werden, für eine Illusion. Ich finde es nicht prinzipiell schlimm, dass ich mein eigenes Schicksal nicht entscheiden kann, denn der Mensch ist doch immer abhängig, von der Materie, von anderen Menschen. Es kann immer nur darum gehen, diese unvermeidbare Tatsache der Abhängigkeit besser und freiheitlicher zu gestalten, nie darum, sie zu überwinden.

Ich verstehe deshalb unter Freiheit auch nicht, dass ich nicht mehr von äußeren Einflüssen bestimmt und geprägt bin, sondern dass ich innerhalb dieser Verhältnisse meinen eigenen Wünschen und Vorstellungen folge (und nicht den Vorgaben anderer, zum Beispiel, um Konflikte zu vermeiden). Freiheit entsteht für mich aus einer inneren Haltung, sie ist eine politische Praxis im Umgang mit der „Welt, so wie sie nun einmal ist“ und ist nicht ein Ziel, das sich erst dann erreichen lässt, wenn die Welt ganz anders geworden ist. Oder anders gesagt: (ausgeübte) Freiheit ist die Voraussetzung dafür, dass die Welt sich zum Besseren verändert, nicht anders herum.

Diese Praxis der Freiheit lässt sich meiner Ansicht nach nicht maschinell verbessern oder vergrößern, weil sie in Beziehungen angelegt ist und nicht in individuellen Fähigkeiten. Ein Super-Body mit Röntgenblick und anderen erweiterten Fähigkeiten kann unfreier sein als ein Krebskranker im Endstadium. Und ich glaube, das ist der Grund, warum mich die Aussicht auf die Möglichkeiten kybernetischer Körpermodifikationen aller Art nicht fasziniert. Denn wenn man das Versprechen von „mehr Freiheit“ aus dem Cyborgism abzieht, dann lohnt sich das Risiko (ich sag nur: Entzündungen!) doch irgendwie nicht mehr. Oder?

Mich würde wirklich interessieren, wie Ihr das seht: Möchtet Ihr euren Körper verändern oder maschinell ergänzen? Und was und wie? Oder nicht?

PS: Wenn jemand einen Apparat erfindet, der Gedanken in Textdateien überträgt oder eine Maschine, die Träume aufzeichnet, dann wäre ich in der Tat interessiert. Vielleicht (ganz vielleicht) würde ich dafür sogar ein bisschen an mir herumschnippeln lassen.

Stephan Urbach: Ich, Cyborg? epubli 2014, 4 Euro

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

33 Gedanken zu “Angst vor Entzündungen oder: Why change a running system?

  1. Hm, mir gehts eigentlich ganz ähnlich. Ich hasse Arztbesuche und gehe da nur hin, wenn ein gravierendes Problem vorliegt und würde nie auf den Gedanken kommen, ohne Not hinzugehen und auch noch eine Art Eingriff vornehmen zu lassen.
    Das einzige, was mir gelegentlich in den Sinn kommt, wäre eher eine Art „Reparatur“, weil ich stark kurzsichtig bin und obwohl es heute ja Brillen und/oder Kontaktlinsen gibt, ist es halt noch etwas anderes als ganz ohne Hilfsmittel richtig sehen zu können.
    Und das geht ja sogar schon, aber das ist teuer und jemand würde mir mit einem Laser im Auge rumfummeln und da es bei mir nicht ganz zum Stillstand gekommen wäre, würde es nicht für immer halten usw. Also für mich liegen selbst da schon die Hürden zu hoch, da braucht man mir mit Magneten im Finger erst gar nicht kommen 😉

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  2. An Adriane,
    mir geht es wie Ihnen. Eingriffe lasse ich nur machen, wenn es keinen anderen Ausweg gibt.
    Ich war stark kurzsichtig und konnte meinen Schreibtisch nur noch aus 3 cm Entfernung erkennen und alles andere natürlich auch.
    Brille half nicht mehr.
    Vor 5 Jahren habe ich beide Linsen per Laser auswechseln lassen.
    Es war völlig problemlos. Nach dem Eingriff konnte ich mit der Bahn nach Hause fahren und sah wunderbar. Wenn die Ärzte mich nicht zurückgehalten hätte, wäre ich auch mit dem Fahrrad nach Hause gefahren.
    Der Eingriff ist kostenlos und wird von der Krankenkasse übernommen.

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  3. Ich glaube, die Frage nach dem sozialen Druck bzw. der ungleichen Zugangsmöglichkeit zur Modifikation des eigenen Körpers und der Leistungsfähigkeit interessiert mich dabei am meisten, oder vielmehr halte ich sie dabei für die einzig mir wesentliche. In allen anderen Blickwinkeln sehe ich nur Varianten dieser zentralen Frage: Wenn Menschen ungleichen Zugang zu körperbeeinflussenden Faktoren wie guten Nahrungsmitteln, Medikamenten oder eben dann auch doch Modifikationen wie Herzschrittmachern, Geschlechtsumwandlung, künstlichen Hüften und dergleichen haben, woran liegt das dann? Und woran liegt eine Erwartungshaltung, dass gefälligst alle ihre Leistungsfähigkeit, ob geistig, körperlich, sozial, mit der aller anderen messen müssen? An diesen Erfindungen selbst und dem, was sie ermöglichen, wohl kaum.
    Ich finde auch gar nichts falsches an dem Bedürfnis, mit dem eigenen Körper in eine freiere Beziehung zu treten (denn für alles, was man damit veranstaltet, gibt es ja auch entsprechende Konsequenzen, ich möchte da durchaus von einer Art Verhandlung sprechen), statt sich von ihm einfach aufdiktieren zu lassen was geht und was nicht geht.

    Ich habe auf jeden Fall hohen Respekt für die Kunst, Freiheit in einem ‚So-sein‘ zu finden und zu entwickeln, besonders wenn es sich um tatsächlich ’so seiende‘ Zustände handelt, und ich übe mich darin, sie selbst möglichst gut auszuüben. Diese ’so seienden‘ Zustände sind aber vielleicht auch relativ zu sehen: Wenn ich die Gesellschaft ein Stück weit verändern möchte, finde ich die Freiheit innerhalb des sich nur langsam verändernden (in meinen Augen wohl stillstehenden) Teils, den ich nicht einfach verändern kann, zumindest das zu bewegen was sich hier und heute bewegen lässt. Aber möglichst nie möchte ich aus den Augen verlieren, dass selbst das was sich zu meinen Lebzeiten vielleicht weder von mir noch anderen bewegen lässt, trotz alledem nicht unbeweglich ist.

    Ich selber jedenfalls werde meinen Körper (jenseits evtl. medizinischer Notwendigkeiten) voraussichtlich nicht modden, ich habe mich noch nie gepiekst oder tätowieren lassen, und ich glaube, was die sogenannte „Augmented Reality“ angeht würde ich wohl eher zu trag- und abnehmbaren Kleidungsstücken greifen statt zu einem Eingriff.
    Ein Gerät, was die Musik in meinem ‚inneren Ohr‘ aufzeichnet und in Audioformate exportiert würde mich allerdings auch verführen. 😀

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  4. So ganz verstehe ich das Problem nicht.
    Unser Körper und unser Geist müssen belastet werden, sonst verkümmern sie. Wir brauchen Kontakte, sonst werden wir einsam. Wir müssen neugierig sein und das Gehirn trainieren, bestimmte Synapsen zu bilden. Sonst bildet es sich zurück. Wir können nicht in allen Bereichen Genies werden (auch wenn das Gehirn das sicherlich her gäbe), aber doch in genügend vielen Bereichen. Der eine liest, der andere malt, die dritte bloggt, die vierte löst schwere Sudokus…
    Wir müssen uns bewegen, sonst rosten wir ein, werden steif, werden die Knochen zu weich und bilden sich die Muskeln zurück. Der eine schwimmt, der andere rennt, der dritte spielt Tennis, eine andere golft, manche gehen ins Fitness-Studio.
    Wir müssen die sozialen Kontakte pflegen, der eine in einer festen Partnerschaft, dem anderen ist das zu eng, die andere ist gerne Single, und alles hat Auswirkungen auf unseren Körper und unseren Geist, auf uns selbst.
    Wenn wir aufhören, uns zu stylen, sind wir tot. Der eine stylt sich, seinen body, seinen Geist extravagant, die andere eher im Durchschnitt der Bevölkerung, aber jeder für sich individuell.
    Die eine sticht Ohrlöcher, die andere pierct sich, ein anderer lässt sich tätovieren, ein anderer trägt gerne Totenkopffingerringe, eine andere lässt sich die Haare auf Stoppellänge schneiden, der andere lässt sie bis zum Ellbogen wachsen. Der eine macht Hochleistungssport, bis die Gelenke kaputt sind, der andere bleibt im MIttelmaß und die dritte macht gar nichts, bis die Knochen einfallen und sie eine Buckel bekommen. Und es gibt Leute, bei denen muss die Nase gestylt werden, die Brust, die Lippen, was weiß ich.
    In Köln sagt man: Jeder Jeck ist anders. Das ist auch gut so. Der eine lernt gerne Sprachen, hat aber keine Ahnung von Mathe und Physik, die andere ist eine medizinische Koryphäe und kennt die medikamentösen Wechselwirkungen aller Medikamente in der Psychiatrie und außerhalb, der eine buildet seinen Body mit Sport, die andere lässt es, und ein anderer rennt dafür zum Chirurgen.
    Wie gesagt: Jeder Jeck ist anders. Permanent entscheiden wir uns für die eine Möglichkeit und gegen die andere. Alle Möglichkeiten gehen nicht. Und der eine lässt sich Magnete einbauen, der andere geht Blut spenden, obwohl er Spritzen hasst und die dritte lässt an ihre Haut nur Wasser und CD, aber niemals einen Chirurgen…
    Aber unser System, das modifizieren wir pausenlos, bis wir in der Kiste liegen. Oder in der Urne. Oder verstreut werden. In einem Wahlgrab, in einem anonymen Wiesengrab, in einem Baumgrab auf dem Friedhof, an einem Baum in einem der vielen Begräbniswälder, in einer Urnenwand, in einer Urnenkirche, in einem Begräbnisgarten (letzte muss man unbedingt mal gesehen haben!) als Erd- oder als Feuerbestattung, der eine in der Ostsee, der andere in der Nordsee und für Fritz Roth fing die Nordsee manchmal schon in Köln Rodenkirchen an. Selbst zum Schluss gibt es noch eine Vielzahl an individuellen Möglichkeiten.
    Jeder Jeck modifiziert sich anders oder lässt sich anders modifizieren oder lässt zu, dass einen andere modifizieren. Bis zum Tod und darüber hinaus. Das ist einfach so. Und es ist gut so.

    Oder? 🙂

    Gottes Ebenbilder sind einfach so. 🙂

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  5. Wieder eine dieser Fragen, bei denen ich mich alt fühle. Ich hatte auch einmal Ohrlöcher machen lassen. Sechs Wochen lang trug ich Spezialohrringe, damit die Wunden verheilen konnten, nach diesen sechs Wochen kaufte ich mir ein Gehänge, das ich cool fand, nach einem Tag tat es weh, ich ließ es am nächsten Tag draußen, und am übernächsten Tag waren die Ohrlöcher wieder zugewachsen. Spurlos.

    Über Lasern habe ich auch schon nachgedacht, aber im Moment geht es noch mit Kontaktlinsen. Ich bin auch eher zurückhaltend, was Arztbesuche anbelangt, und bei Körpermodifikationen habe ich ein ähnliches Unbehagen wie du: Mein Körper bin ich. Das gilt insbesondere für mein Gehirn: Mein Gehirn bin ich, und das ließ mich immer Psychopharmaka kritisch gegenüberstehen. Vielleicht irrational.

    Es gab Zeiten, da war es für mich wichtig, mein Ich, einschließlich meines Körpers und meines Gehirns, als gegeben, natürlich, gottgeschaffen hinzunehmen. Vielleicht lag ich falsch, und ich wäre heute glücklicher, wenn ich Antidepressiva genommen hätte. Vielleicht hätte ich dann jetzt einen vernünftigen Beruf. Ich würde aber nicht wieder studieren.

    Mein Eindruck ist, dass sich die typische Position zu solchen Fragen verändert hat. Das Selbst wird als konstruiert, nicht mehr als gottgegeben hingenommen. (Ich glaube, der Umschwung begann mit Punk. Ich hatte mal einen Expunker als Freund, der hat mir erzählt, wie er sich selbst gepierct hat, nicht die Ohren, sondern die Brustwarzen.) Wenn das Selbst konstruiert ist, kann man auch weiter daran konstruieren. Die Frage ist nur: Wer ist das „Ich“, das dann konstruiert?

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  6. Ja, was denn nun? Modifikationen am eigenen Körper – ja oder nein?
    Ohrlochstechen bitte nicht, das haben wir verstanden – aber eigene Gedanken textlich festzuhalten, das könnte sich die Verfasserin im Postskriptum dann doch vorstellen? Sicherlich würden entsprechende Gerätschaften der Privatsphäre höchste Bedeutung beimessen, sodass ein Mitlesen oder gar Speichern der eigenen Gedankenwelt durch Private oder Geheimdienste von vornherein ausgeschlossen wäre … dass ich nicht lache! Mit Verlaub, solche undurchdachten Beiträge verwässern klare Bekenntnisse in Fragen der medizinisch-technischen Ethik unserer Zeit. Sie dienen einzig als Beweis, dass ein eigener, klarer Standpunkt nicht existiert, den zu vertreten man nicht in der Lage ist. Damit gießen Sie Wasser auf die Mühlen von geheimdienstlich beauftragten Unternehmen, die sich schon demnächst über hohe Absatzzahlen durch ein neues „Gadget“ mitsamt „App zum Download“ freuen dürfen – und damit weiter bis in unser Intimleben vordringen. Meine Zukunft stelle ich mir anders vor!

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  7. @Susanne: Welchen Punkt unserer Existenz nehmen wir als gottgegeben hin, ohne ihn kulturell zu gestalten?

    Nehmen wir Krankheit hin? Nein, wir gehen zum Arzt.

    Verbuddeln wir unsere „Talente“? Nein, wir versuchen, sie zu entwickeln und zu fördern und das Beste daraus zu machen.

    Ich behaupte: Wir gestalten jeden Punkt unserer Existenz kulturell. Das kann man also nicht kritisieren, wenn jemand zu extremen Formen der kulturellen Gestaltung greift.

    Vielleicht ist die Frage wichtiger: Wann wird diese Gestaltung zu einer Sucht?
    Oder allgemeiner: Woran erkenne ich, dass eine kulturelle Gestaltung meiner Existenz mir oder anderen schadet?

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  8. @Bernd – Für mich liegt der Unterschied im Leiden. Also: Wenn ich krank werde und Schmerzen habe, dann gehe ich natürlich zu einer Ärztin und lasse auch an mir herumoperieren. Nicht aber aus dem Wunsch heraus, einfach so etwas zu verändern. Natürlich ist diese Grenze auch nicht eindeutig, denn wann man an etwas leidet ist immer auch sowohl subjektiv als auch gesellschaftlich geprägt. Von daher stimmt, dass sich die Grenze nicht so klar ziehen lässt. Das Beispiel mit dem Augenlasern ist ja ein sehr gutes (in die Reihe kann ich mich auch einreihen), weil es da ja genau um die Frage geht, die Größe des Leids (schlecht sehen, mit Kontaktlinsen herummurkseln) gegen das Risiko des medizinischen Eingriffs abzuwägen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass in Punkto Körperfunktionen das subjektive Leid nicht nur von den faktischen Fähigkeiten abhängt sondern auch davon, was man für „normal“ hält. Also ich glaube, jemand der in erwachsenem Leben erblindet, empfindet das eher als leidvoll als ein Mensch, der blind geboren wird und für den es also „normal“ ist, nichts zu sehen. Das würde wiederum zu der Vermutung führen, dass je verbreiteter Körperveränderungen in der Gesellschaft sind, desto größer ist der Wunsch bei Einzelnen, sie auch zu haben. Gibt es ja auch schon Erfahrungen mit (Leberfleckentfernung, Fettabsaugen etc.)

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  9. Begrifflichkeiten?!

    Ich habe: Brille, Zahnersatz und Bandscheiben Prothesen. Alles „nicht zum Spaß“ ….

    Herr Urbach: Ne’n Magneten im Finger um damit Geld zu verdienen (sic!) Und/Oder um auf sich aufmerksam zu machen.

    Deswegen würde ich den Begriff: Enhancement gerne mal in die Runde werfen…..

    Als Anarchist behaupte ich das Herr Urbach das nur macht um sich im hiesigen Verwertungsprozess ein paar (early adopter) mehr Bro’samen vom Kapital Kuchen ab zu holen. Andy Warhol hat das mit den 5min Berühmt sein ganz gut auf den Punkt gebracht. M.E. nach schaden solche „Kapitalistenhansel“ damit mehr als das es nützt. Den es sollte immer „common sens“ sein das wir unseren nächsten die beste/sanfteste/hilf-reichsten (auch technischen) Mittel zur Verfügung stellen sollten.

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  10. Ich habe nicht das E-Book gelesen, aber auf der Seite von Stephen Urbach. Dort schreibt er über sein Magnetimplantat: „Ich habe ihn als Symbol dafür, dass ich in einer Welt, in der mir die Kontrolle über mich selbst fast komplett entglitten ist, ich noch diese eine Sache zumindest teilweise kontrollieren kann: Meinen Körper.“ Da er wohl u.a. ein Netzakteur ist, habe ich das sofort auf Datenspeicherung, NSA, Überwachung etc. bezogen und dachte: „aha, eine Art Trotzreaktion, ihr habt meine Daten und macht damit, was ihr wollt, aber ich habe meinen Körper und mit dem mach ich, was ich will.“ Es geht ihm also anscheinend um Kontrolle. Ok.

    Wenn er in dem Buch nun was schreibt von Schicksal und äußeren Einflüssen, so kann ich das nicht nachvollziehen. Das bekommt dadurch eine ganz andere Dimension und Richtung. Hm, wal weiter drüber nachsinnen…

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  11. …weiterer Gedanke:
    Bezogen auf das Schicksal könnte ich mir vorstellen, dass es bei Urbach um das Schicksal geht, „bloß“ ein Mensch zu sein und kein Cyborg.

    Bezogen auf Beeinträchtigungen kommt das mit dem Schicksal und ihm trotzen hin, wenn ich bspw. an Sportler denke, die mit Prothesen Sprints hinlegen (Paralympics). Oder wenn man durch ein Hörgerät wieder hören kann, durch einen Herzschrittmacher weiterleben. Dann kann ich auch den Gedanken von Urbach annehmen vom Verschmelzen von Mensch und Maschine.

    Alles was kosmetische oder ästhetische Gründe für Modifikationen hat, da fiel mir dieser Spruch ein: Wer schön sein will muss leiden. Und ich habe mich gefragt, ob aus dem schön sein wollen / müssen bei Frauen (um einen Mann zu bekommen), evtl. ein hipp sein wollen / müssen ? bei allen geworden ist, bzw. dass es sich dahingehend verändert hat?

    Was ich auch gerne hätte, wäre ein Traumaufzeichnungsgerät. Das wollte ich schon immer 🙂 Ansonsten beschränken sich meine Modifikationen auf Gesunderhaltung und Fitness, weshalb ich mich viel bewege und Sport mache. Manchmal klebe ich mir Tattoos auf, weil ich dann darauf Lust habe. Was ein ordentliches Gebiss angeht, hier würde ich sogar lieber hungern, als mit einer Zahnlücke herumzulaufen. Statt Modifikation betreibe ich viel Aufwand für die Pflege von Haaren, Zähnen, meinen Füßen und meinen Händen. Angst habe ich vorm Augenlasern (obwohl ich es mir ohne meine Hornhautverkrümmung ganz gut vorstellen könnte). Ich finde sogar Kontaktlinsen unangenehm, dieses sich aufs Auge fassen. Andere Modifikationen finde ich bei anderen gut, ich selbst brauche es nicht.

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  12. @Antje:
    „Mich würde wirklich interessieren, wie Ihr das seht: Möchtet Ihr euren Körper verändern oder maschinell ergänzen? Und was und wie? Oder nicht?“

    Medizinische Helferlein, Schrittmacher, Prothesen, Implantate usw…. würde ich im Falle des Falles nicht missen mögen, hoffe natürlich möglichst nicht darauf angewiesen zu sein.
    Aber Du sagst ja „never change a running system“, das geht ja von einem weitestgehend funktionsfähigen Exemplar aus, welches dann Modifikationen aus anderen Gründen erhalten soll.
    Ich erinnerte mich gleich an meine Oma, die, als ich mit ca. 12 Jahren Ohrlöcher bekam, geschimpft hat:
    „Wenn der Liebe Gott gewollt hätte, dass die Leut Löcher in den Ohren haben, dann hätte er ihnen welche gegeben “
    Ich fand es als rebellischer Teenager natürlich cool, genau etwas zu machen, was gegen den Willen dieser höchsten aller Instanzen gerichtet war, also durchaus ein klitzkleiner Akt der persönlichen Freiheit:-)
    Die Sache mit Gott und höchsten Instanzen ist natürlich eigentlich nur eine Art Stellvertreter-Sache, das kann man dann auf alles mögliche übertragen denke ich.
    Genauso wie die Körpermodifikationen an einem *gesunden* Körper (was eine sehr knifflige und sich permanent ändernde Definition ist, was wir nicht vergessen sollten) auch ein Statment sein kann, gegen etwas, oder auch um sich zu etwas zu bekennen, um kulturell erkennbar zu sein…
    Was mich daran fasziniert, auch wenn ich selbst furchtbar zimperlich bin und selbst keine Modifikationen für mich möchte:
    Den Mut mancher Menschen, doch immer wieder Grenzen zu verschieben und sich so etwas zu zu trauen.
    Das betrifft aus meinem Blickwinkel so etwas wie Ziernarben, extreme Schmuck-Implantate oder großflächige Tatoos. Oder von mir aus auch so etwas wie ein Magnet im Finger.
    Was wir aus Afrika, Asien oder Pazifikstaaten an Körpermodifikationen kennen, würde ja hier fast durchgängig als extrem empfunden, und ich bin sehr neugierig, wie dort mit Menschen umgegangen wird, die keinen Bock auf Streckhals oder Nasenringe haben…die sich also durch die Ablehnung von Körpermodifikation gegen ihre kulturelle Norm stellen würden 🙂

    Was ich ein cooles Tool fände:
    Ein Übertragungskabel bzw. ein Implantat für Gedanken bzw. der Möglichkeit, einem (Gesprächs-) Partner die Möglichkeit zu bieten, meine Gedanken genau so zu verstehen wie ich sie meine und umgekehrt.
    Was könnten damit Konflikte und Missverständnisse vermieden werden…
    So eine Art Babelfisch für Gedanken.

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  13. @Irene
    Danke für den Tipp 🙂 Aber da wär ja immer noch der Laser in meinem Auge *g*

    Zum Freiheitsbegriff nochmal:
    Ich finde diese Argumentation „Wenn wir schon sonst nirgendwo mehr Kontrolle haben, lasst uns doch jedenfalls unsere Körper kontrolleren, die sind ja immer da“ eigentlich ganz schrecklich.
    Ich sehe auch nicht wirklich, wie da Freiheit herkommen soll. Für mich ist Freiheit eher etwas, was ich eben nicht kontrollieren muss oder will, schon gar nicht meinen Körper oder mein Denken.

    Das sind jetzt mehr äußerliche Modifikationen, aber ich gehöre auch zu den Leuten, die recht oft hören „Du könntest soooooo hübsch sein, wenn du nur mehr aus dir machen würdest“.
    Ja, könnte ich. Mach ich manchmal auch, wenn ich Bock drauf hab. Aber langfristig ist mir der Aufwand zu hoch, brav alle drei Wochen zum Friseur zu gehen, lange rumzuschminken oder Fingernägel zu lackieren und was man da alles machen könnte. Und schon diese gutgemeinten Ratschläge empfinde ich als lästig. Gar nicht aus großen, gesellschaftlichen Erwägungen (obwohl die da auch mit reinspielen), sondern weil ich das irgendwie als distanzlos empfinde, ungefragt Schönheitstips aufs Auge gedrückt zu bekommen.
    Also ich empfinde das schon als kleine Unfreiheit und das sind ja wirklich Peanuts. Ein Feiern von Körperkontroll-Maßnahmen (ob nun äußerlich oder operativ) stelle ich mir eher nicht so schön vor.

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  14. Ich finde, wir arbeiten doch ständig irgendwie an unserem Körper und an unserem Geist, und das ist gut so. Wer gar nichts macht, bekommt irgendwann Rückenschmerzen oder noch später Osteoporose. Mir ist es wichtig, regelmäßig schwimmen zu gehen: Für die Fitness, gegen die Rückenschmerzen, gegen den Bauch, um beweglich zu bleiben. Man wird schneller alt als man so denkt. Haare färben: Eher nein. Piercing oder Tattoos: Mir reicht schon das Stechen beim Blut spenden.
    Eine andere geht lieber Joggen oder Walken oder Rudern oder einfach in Fitness-Studio. Dann gibt es jemanden, der schminkt sich gern. Das ist doch ganz individuell. Die eine macht BWL, der andere studiert Theologie: Wir stylen uns an Leib, Geist und Seele. Die ganze Zeit. Selbst der, die mit fettigen Haaren und ungewaschen und unsportlich rum läuft, hat sich, seinen Geist, seine Seele, seinen Body individuell gestaltet.
    Warum denn nicht? Der eine so, der andere so.

    Kann man sich schaden? Man kann zu viel Sport machen und zu wenig. Man kann von allem zu viel machen und zu wenig.
    Der eine schafft es, ganz außergewöhnliche Leistungen zu vollbringen. Auf dem Sportplatz, am Arbeitsplatz, was weiß ich. Der andere stattet sich mit einem Magneten aus und findet es toll… Solange es nicht das einzige ist, das ihn anziehend macht…
    Hauptsache, man bleibt Mensch dabei. Leben und leben lassen. Finde ich. 🙂

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  15. Leid hat viele Facetten: Eine offene Wunde bedarf der Versorgung. Sie schmerzt und ich leide. Eine krumme Nase, die in ihrer Funktion einer geraden Nase in nichts nachsteht, bedarf keiner Versorgung. Sie schmerzt nicht und ich leide nicht. Oder doch? Vielleicht stört mich die krumme Nase, weil ich wegen ihr gehänselt werde, weil ich mich selbst unattraktiv finde, weil ich überall lese, dass nur gerade Nasen attraktiv und „richtig“ sind, weil mir stets eingeredet wurde, dass ich auch „trotz“ meiner krummen Nase ein guter Mensch bin… Wo ist die Grenze? Ab wann bin ich süchtig nach Schönheitschirurgie? Ist die Segelohrenkorrektur bei Kindern – eine rein kosmetische Maßnahme – ok, die Bauchdeckenstraffung nach der Schwangerschaft ein Grenzfall und das Gesichtstattoo einfach nur …? Spielt Leid hier überall eine ähnliche Rolle? Während man (wer genau ist hier man?) den Kindern Leid (also Hänseleien) ersparen will (und sie deshalb einer schmerzhaften, medizinisch nicht notwendigen Operation unterzieht), soll eine Schönheitsoperation bei Erwachsenen meist entweder Verletzungen so gut wie möglich ungeschehen machen oder den Selbstbewusstseinspegel künstlich anheben. Ist das so? Sind Körpermodifikationen (vom Nasenring zum Ar***geweih) tatsächlich Schönheitsoperationen? Wieso spricht unsere vor allem in ihrer Sprache ansonsten so hartherzige Gesellschaft auch dann noch von Schönheitsoperationen, wenn das zu erwartende Ergebnis gar nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen dürfte? Gehen hier nicht viele Begriffe durcheinander? Was ist Schönheitschirurgie, was plastische Chirurgie, was kosmetische Chirurgie, was BodyArt, was Körpermodifikation, was…?

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  16. Zitat von Herrn Urbach: „…in dieser Zeit müssen wir wenigstens unsere Körper für uns erschließen, sie formen und so gebrauchen, wie wir es für richtig halten.“
    Ich halte dies Idee deswegen für fragwürdig, weil sie impliziert, dass wir unseren Körper, unsere Gesundheit und unser Leben zur Gänze im Griff haben und formen können. Zu einem gewissen Teil stimmt das. Aber eben nur zu einem gewissen Teil – auf den Rest haben wir wenig bis keinen Einfluss. Und es kann durchaus als Hybris bezeichnet werden, diese Realität nicht anerkennen zu wollen.
    Ich will damit nicht sagen, dass „Formung“ untersagt sein sollte (ich bin sogar großer Fan von Ohrringen…), aber ich finde es wichtig, anzuerkennen und auch schätzen zu lernen, dass es verschiedenste Menschen und „Menschenformen“ gibt, die unter keinen Umständen nach einem Super-Bild (muskulös, schlank, sehnig, fit…) GLEICHGEFORMT werden sollten. Darauf läuft es aber ja letztlich meist heraus: Man verGLEICHT sich mit anderen und versucht, sich so zu formen, dass man den anderen GLEICHT oder sich „verbessert“.

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  17. @Ariane:
    „…Ein Feiern von Körperkontroll-Maßnahmen (ob nun äußerlich oder operativ) stelle ich mir eher nicht so schön vor.“
    Hast Du es schonmal ausprobiert?
    Genau das kann es nämlich sein, ein schönes Gefühl 😉

    @LVH
    Ich glaube, es ist fast unmöglich, die jeweiligen Motivationen für Eingriffe, die keiner offensichtlichen medizinischen Notwendigkeit unterliegen, zu ergründen.
    Die einen tun „es“ aus einem wie auch immer gearteten Leidensdruck, der kann die verschiedensten Ursachen haben.
    Andere tun es aus Lustgewinn, andere aus modischen Erwägungen oder als „rebellisches“ Statement gegen etwas, andere tun es um sich zu einer Szene oder einer Gruppe zu bekennen, in dem sie ein bestimmtes Symbol tätowieren lassen oder sich kleine Hörner in die Stirn implantieren lassen.

    Im Prinzip sind sicherlich ästhetische Korrekturen jeglicher Art auch Teil der Body-Modification und umgekehrt.
    Das hat überall auf der Welt eine lange Tradition.
    Im Unterschied dazu setzt das Enhancement oder optimierende Modifikationen dort an, wo die bloße Korrektur oder Reparatur aufhört.
    Die Korrektur einer erschlafften Bauchdecke ist medizinisch vielleicht nicht notwendig, und sie ist eben auch „nur“ eine Korrektur, keine Modifikation im Sinne davon, dass Körperfunktionen verbessert werden oder geschaffen werden, die vorher nicht vorhanden waren.
    Enhancement oder Optimierung wäre es dann, wenn man im Zuge der Bauchstraffung ein Cyber-Gewebe-Implantat einpflanzen würde, welches automatisch die Bauchmuskeln trainiert 😉
    Das war vielleicht jetzt Sci-Fi, aber konkret haben wir das ja bei den optimierten Spring-Prothesen, über die bei den Paralympics so hart gestritten wurde.
    Diese optimierten Prothesen erlauben eben nicht nur ein Laufen und Springen wie es ein durchschnittlicher (Sportler-) Körper kann, sondern deutlich verbesserte Fähigkeiten, durch die Vorteile gegenüber anderen erreicht werden.

    Die Frage, die @Antje gestellt hat: „Why change a running system?“
    würde vielleicht von Vertretern der Enhancement-Strategie ganz einfach damit beantwortet werden:
    „Why not trying to make it run better?“

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  18. @EinSchönerWald:
    „Und es kann durchaus als Hybris bezeichnet werden, diese Realität nicht anerkennen zu wollen…“
    Naja, die holt einen dann schon irgendwann wieder ein, schätze ich 😉

    Zum Thema ver“GLEICH“en wie Du es nennst:
    Das ist auch ohne Modifikationen Teil jeder Kultur.
    Wir brauchen alle ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit, Ähnlichkeit und „Gleichheit“ um überhaupt in ein soziales Netz eingebunden sein zu können, um als große und immer größer werdende Gruppe zu funktionieren.
    Und gleichzeitig brauchen wir unsere Individualität, um uns als Einzelperson erleben zu können.
    Dieser Spagat ist auch ohne irgendwelche Modifikationen vorhanden und nicht leicht zu bewältigen.
    Ob und wie jemand an sich modifiziert, kann doch auch gerade aus Gründen der Abgrenzung von der allgemeinen, kulturell genormten und als Einengung empfundenen Gleichheit passieren.

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  19. Ein Magnet im Finger, um sich selbst zum Technikspielzeug zu machen? Ist mir keine vier Euro wert. Und dieses mechanische Zeugs kommt mir irgendwie plump vor, wenn man es mal damit vergleicht, was Psychopharmaka teils schon an Modifikationen leisten.

    Ich bin derweil froh, dass ich die wichtigsten Hormone einigermaßen verstehe. Aber auch da gibts eitle Übertreibungen, nämlich eine Selbermachszene im Bereich Anti-Aging – googelt mal nach „Vaginalcreme ins Gesicht“. Die Profi-Anbieter fürchten schon um ihre Pfründe und kontern mit warnenden Pressemitteilungen, was eine gewisse Komik hat, denn die haben ja damit angefangen.

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  20. Ja, das stimmt schon. Vergleichen ist auch Antrieb für Änderungen oder Festigungen (indem man im Vergleich merkt, dass man mit bestimmten Dingen zufrieden ist). Und es ist Hilfe im Identifikationsprozess. Ich empfinde es aber in unserer Gesellschaft als zu viel (so wie du ja auch sagst: ein „gewissens Maß“), was zur Folge haben kann und oftmals hat, dass die Individualität und vor allem auch die Akzeptanz von Individualität abnimmt.

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  21. @ Sternenguckerin: Irgendwo bei Luise Pusch gibt es eine Glosse, die sich mit den „Giraffenfrauen“ beschäftigt. Tatsächlich fallen diese „Streckhälse“ in eine ähnliche Kategorie wie die verkrüppelten Füße, die früher in China als schön galten: Eine extreme Verkrüppelung, die weh tut und behindert, um irgendwelche Normen von Weiblichkeit zu entsprechen.

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  22. Kinder werden nicht wegen einer krummen Nase oder wegen abstehenden Ohren gehänselt. Das sind lediglich die Rationalisierungen der Bullies. Sie werden gehänselt, weil es Bullies gibt, die sich ein Opfer suchen, und weil die Lehrer nicht einschreiten. (Ich glaube, Dan Olweus selbst, der Pionier der Mobbingforschung, weist darauf hin, dass rein statistisch gesehen Kinder mit roten Haaren, Brille, abstehenden Ohren, Übergewicht etc. ein ähnlich großes Risiko haben, gemobbt zu werden wie alle anderen Kinder. Die Bullies suchen sich ein Opfer aus, das schwach wirkt, und dann finden sie einen Grund, warum es gerechtfertigt sei, das Kind zu mobben.

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  23. @ Bernd
    Ich habe hier nicht vor, eine Position, die ich mit fünfzehn hatte, zu verteidigen. Vieles davon halte ich mittlerweile für fragwürdig, vor allem die Fetischisierung von Natürlichkeit, die damals en vogue war und von der ich mittlerweile glaube, dass sie zumindest teilweise ein Erbe der Nazizeit ist. Im extremsten Fall bedeutet die Fetischisierung von Natürlichkeit, dass Krankheiten nicht geheilt werden und behinderten Menschen nicht mit technischen Mitteln das Leben erleichtert wird.
    Andererseits entsprach meine Einstellung eben nicht der der Nazis, sondern ich bestand darauf, so wie ich war, okay zu sein, ohne dass an mir groß herumgeändert hätte werden müssen. Es gibt eine Entscheidung, die ich auf diese Weise durchgedrückt habe, die ich bis heute nicht bereue, nämlich dass ich mich einer Monsterzahnspange (Bügel um den ganzen Kopf herum) verweigert habe. Die Kieferorthopädin meinte, dies sei nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus medizinischen Gründen notwendig. Die von ihr vorhergesagten Schmerzen im Kiefergelenk haben sich nie eingestellt. Auch dass ich noch drei von meinen Weisheitszähnen habe, hat mir nie geschadet. Ausgerechnet auf der Seite, wo ich ihn habe ziehen lassen, habe ich einen weiteren Zahn verloren. (Das Ziehen oder Herausoperieren von Weisheitszähnen scheint eine Operation zu sein, der sich heutzutage fast alle Jugendlichen unterziehen müssen.)

    Daher finde ich Antje Schrupps Antwort „Leiden“ nicht so einfach. Wie entscheidet man, wenn die Ärzte behaupten, dass man eines Tages an etwas leiden wird? Meine Erfahrung ist die, dass man manchmal ruhig abwarten kann.

    Ansonsten finde ich die Beispiele die du nennst, sehr durcheinandergewürfelt. Etwas neu lernen oder sich durch Sport fit halten ist etwas anderes als sich einer Operation unterziehen. Ich glaube, der Unterschied besteht in der Frage, wie aktiv und autonom man die eigenen Veränderungen gestaltet. Allerdings handelt es sich eher um ein Spektrum als um ein Entweder-Oder.

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  24. Die vielen Beispiele sollen zeigen: Wir arbeiten ständig an uns. Wir können gar nicht anders. Und wir entscheiden uns, in welche Richtung wir an uns arbeiten. Und wir machen das ganz individuell. Wir können dabei mit einem der vielen möglichen Ströme mitschwimmen oder mit einem der neuen oder alten noch kleinen Trends. Und es zerren eine ganze Reihe Meinungen und Menschen daran herum und versuchen, uns dabei zu beeinflussen.
    Aber jeder findet seinen Weg. Ich würde mir keine Magneten einbauen lassen. Aber wenn einer das gut findet? Solange er mir nicht z.B. heimlich meine Magnetstreifen in der Brieftasche ruiniert: Soll er doch…

    Gut ist, wenn einen die Eltern nicht jeden Trend mitmachen lassen, den man später nicht mehr korrigieren kann. Aber wenn man erwachsen ist: Eigene Meinung bilden und dann tun, was man für gut hält. Die/der eine möchte gerne unsichtbar sein in der breiten Masse, der/die andere möchte gerne aus der Masse heraustreten. Und wieder andere wären gerne in der Masse unsichtbar, aber die Natur spielt ihnen einen Streich und hebt sie mit irgendetwas heraus, gegen das man sich nicht wehren kann… Aber egal, was wir machen: Es formt uns und hinterlässt Spuren. Und solange wir uns formen, leben wir noch. Erst mit dem Tod hat das ständige Formen und geformt Werden ein Ende. Und bis dahin haben wir ein weites Feld, individuelle Entscheidungen zu treffen, mit denen wir wiederum andere beeinflussen – und die uns. Ist es nicht schön, individuell zu sein?

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  25. @Susanna:
    Ich glaub ich weiss jetzt nicht so genau was Du mir mit dem Beispiel mit den Giraffenfrauen sagen willst… 🙂
    Vielleicht für weitere Recherche?
    Ich wollte einfach nur auf die vielfältigen Traditionen körperlicher Modifikationen hinweisen, die es weltweit gab und gibt und die durchaus drastisch sein können und weitreichende bis irreversible Konsequenzen haben.
    Was mich interessiert:
    Was tun Menschen oder was passierte mit solchen, die sich eben nicht solchen Maßnahmen unterwerfen wollen?
    Werden sie nicht vielleicht genau dann Opfer von Ausgrenzung und „Bullying“?
    Das kann in beide Richtungen passieren, je nach dem aus welchem Blickwinkel die Umgebung drauf schaut und welche Wertmaßstäbe sie anlegt.
    Für die einen sind Segelohren ein Problem, andere kratzt es null, wieder andere finden sie richtig super.
    Manche leiden stark unter Mobbing, andere weniger.
    Mein Eindruck ist, dass es bei allen Beispielen rund um Modifikationen (von Sport über Haare färben über Tellerlippen bis zu mechanischen Implantaten) so gut wie ausschliesslich um das Anpassen oder Abweichen von Normen geht.
    Und weil diese Normen starken kulturell/gesellschaftlichen Veränderungen unterliegen, wird es wohl kaum so etwas wie einen generellen Konsens darüber geben können, wie viele, welche, wie extreme, wie freiwille oder aufgezwungene Modifikationen von einer Gesellschaft toleriert oder erwartet werden…

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  26. Bullying ist eine Verharmlosung für das, was mit einer Frau aus einer Gruppe, in der es üblich ist, die Hälse künstlich zu verlängern, passiert, wenn sie sich weigert, diesen Eingriff durchführen zu lassen. Falls sie überhaupt die Möglichkeit hat, sich dem zu verweigern: Meist wird der erste Reifen schon im Kindergartenalter angelegt. Aber eine Frau, die versucht, sich dem zu verweigern, wird in aller Regel keine Chance haben, in ihrer Gemeinschaft zu überleben. (Tatsächlich werden übrigens die Schulterblätter nach unten gedrückt.)

    Und alle können Segelohren finden, wie sie wollen, aber Bullying ist immer ein Problem und immer die Verantwortung der Bullies, nicht der Menschen mit Segelohren (oder Brille oder roten Haaren oder Übergewicht.)

    Insofern habe ich eine klare Meinung: Modifikationen oder die Weigerung, Modifikationen vorzunehmen, sollten nicht als moralisches Problem behandelt werden (für mich selbst kann ich natürlich entscheiden, was ich gut finde und was nicht.) Die Ausgrenzung oder Benachteiligung von Menschen mit Modifikationen oder eben auch ohne Modifikationen stellt dagegen ein moralisches Problem dar.

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  27. @Susanna:
    Kann es vielleicht sein, dass wir eigentlich dasselbe meinen?
    Meine Frage danach, was mit Menschen passiert, die sich nicht einer kulturell „verordneten “ körperlichen Modifikation unterwerfen wollen, bezog sich natürlich auf etwas, dem man sich auch praktisch entziehen kann.
    Dass das im Falle der „Giraffenhälse“ nicht geht, ist mir klar.
    Im Grunde ist es auch rhetorisch, so zu fragen, es sollte einfach nur verdeutlichen, dass Modifikationen und ihre Bewertung, Ablehnung oder Akzeptanz, von „harmlos“ bis „extrem“ immer Auslegungssache im jeweiligen kulturellen Kontext sind.
    Also ich empfinde das jedenfalls so, das kann natürlich jede/r auch ganz anders sehen.
    Genauso passiert auch jegliche Form von Diskriminierung (nenn es ärgern, hänseln, ausgrenzen, niedermachen, blossstellen oder Bullying..) immer im jeweiligen Kontext.
    Wenn wir Segelohren zum Schönheitsideal erkoren hätten, gäbe es plastische Chirurgie um anliegende Ohren der gängigen Norm anzupassen.
    Und die mit ohne Segelohren wären die gemobbten.
    Und wir würden vielleicht sogar nach dem Gen für Segelohren suchen und Embryonen nach diesem Kriterium (aus-) sortieren.
    Ich meine das natürlich überspitzt!
    Aber wir haben eben unsere Körper schon immer manipuliert, allein die Möglichkeiten erweitern sich stetig.
    Und wenn der Magnet im Finger zum Supertrend wird, wird er vielleicht eines Tages zum must-have, setzt also einen kulturellen Standard und wird zur Norm, von der man sich dann wieder abgrenzen will, weil man ja auch so gerne individuell sein möchte:-)

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  28. @susanna14: Wenn jemand eine freie Entscheidung zu solchen Veränderungen treffen will, plädiere ich für Toleranz, ebenso im Blick auf Menschen, die „unfreiwillig modifiziert“ wurden. Sie können ja nichts dafür.

    Deutlich anders sieht es bei kulturell an Minderjährigen vorgenommenen Modifikationen aus, etwa am Beispiel von Beschneidungen. Klitorisbeschneidungen insbesondere, aber möglicherweise auch die religiösen Beschneidungen von Knaben.
    Wie sieht es aus mit durch Leistungssport erzwungenen Modifikationen, deren Schäden oft erst im Erwachsenenalter sichtbar werden?
    Manche Höchstleistungen können überhaupt nur in diesem Alter erzielt werden: Kann man damit leben, darauf zu verzichten?
    Ähnliches gilt vermutlich für diese „Giraffenhälse“.

    Wo liegt die ethische Grenze? In der Selbstbestimmung, und ab wann kann man davon sprechen?

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  29. @Irene Keidel-aparcev
    darf ich fragen, um welchen Dioptriewert es ging? Ich nämlich gehört, dass nur bis -8 oder -20 gelasert wird, aber von deiner Beschreibung ausgehend klingt das nach erheblich mehr. Das Thema würde mich nämlich auch interessieren.

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