Drei Gedanken zur autoritären NS-Erziehung

Heute morgen habe ich auf Facebook diesen Artikel geteilt über den Anteil, den autoritäre Erziehung an den Kindheitstraumata der heute älteren Generation hat. Daraus ergab sich eine rege Debatte, die bei mir drei Gedanken aufkommen ließ, die ich hier im Blog gerne festhalten möchte.

Erstens die Frage nach der Besonderheit nationalsozialistischer Erziehungsmethoden. Viele weisen in diesem Diskussionsstrang darauf hin, dass nicht nur nach NS-Ideologie, sondern auch schon viel früher und noch viel länger solche „schwarze Pädagogik“ praktiziert wurde, andere meinen, dass das im NS eine besondere Ausprägung hatte. Sicher ist an beidem was Wahres dran, ich glaube aber, dass die NS-Ideologie der Pädagogik doch noch einmal eine andere Qualität hatte als „nur“ die bürgerlich-patriarchale. Was meint Ihr?

Zweitens die Erkenntnis, wie fatal es ist, Kindererziehungsmethoden für Privatsache zu halten. Vorstellungen über die Rolle von Müttern und Vätern und pädagogische Ratgeberbücher wie das von Johanna Haarer konnten ja nur deshalb weit über 1946 hinaus noch aufgelegt und verbreitet werden, weil man das für unpolitisch hielt.

Drittens wieder eine Frage: Im (auch feministischen) Diskurs über Mutterschaft in Deutschland wird ja häufig eine Linie gezogen von der „deutschen Mutter“ damals hin zu der Tendenz, dass junge Mütter heute in Deutschland weniger als die in anderen Ländern den Drang zu haben scheinen, gleich nach der Geburt wieder erwerbstätig zu sein. Jetzt frage ich mich aber, ob das wirklich eine Kontinuität ist. Denn – und vielleicht ebenfalls im Unterschied zu anderen Kulturen – scheinen mir heutzutage Mütter in Deutschland (und auch Väter, die sich an der Kindererziehung beteiligen) besonders viel Wert darauf zu legen, den Kindern viel Liebe und Freiraum und Verständnis zu geben. Ist das vielleicht sogar eine Gegenreaktion auf damals? (Hat Barbara Vinken in ihrem Buch über „Die deutsche Mutter“ was dazu geschrieben?) Gerade auch im Zusammenhang mit der auffallenden Korrelation in Europa zwischen niedrigen Geburtenraten und faschistischer Vergangenheit finde ich das interessant.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

31 Gedanken zu “Drei Gedanken zur autoritären NS-Erziehung

  1. Zu Punkt 3: Hedwig Dohm hat in „Die Mütter“ (von 1903) bereits darauf hingewiesen: „Man wird den Frauen das Kindergebären noch ganz verleiden mit der Sucht, sie damit für alle andern Lebensansprüche abfinden zu wollen.“ Also wenn eine Frau Mutter wird, darf sie nur noch Mutter sein und keine anderen Interessen mehr haben. Im Umkehrschluss: Wenn eine Frau noch etwas anderes will, dann darf sie nicht Mutter werden.
    Ich habe einen Fuss in der deutschsprachigen, den anderen in der französischsprachigen Schweiz und ich sehe die von Dir beschriebenen Tendenzen in der Deutschschweiz. Deshalb würde ich mal aus meinem Soziologinnenbauchgefühl heraus behaupten: „Deutsch(sprachig)“ -> ja, faschistisch -> nein. Es scheint mir etwas Kulturelles zu sein, das in die von H. Dohm angetönte Richtung geht.

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  2. das mit dem heute mehr freiheit geben war mal. der backlash rollt schon lange. stichwort „lob der disziplin“ und ähnliche machwerke. deren kontinuität zur ns-pädagogik kann man übrigens auch schön im detail nachweisen… aber klar, es gibt auch immer noch eine starke freiheitliche strömung im umgang mit kindern, aber meiner wahrnehmung nach ist das ziemlich auf unser millieu begrenzt.

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  3. Liebe Antje,

    zu deinem ersten Gedanken fällt mir sofort das erziehungskritische Buch „Am Anfang war Erziehung“ von Alice Miller ein, in dem sie u. a. (mit Rückgriff auf die Psychoanalyse) eine direkte Verbindung zwischen der hochgradig autoritären Erziehung des Kindes Adolf Hitler und dessen späteren Gedanken und Taten herzustellen versucht. Auch der Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke wirft (unter Verwendung originaler historischer Erziehungspraktiken, wie sie auch in Katharina Rutschkys Werk „Schwarze Pädagogik“ dokumentiert sind) die Frage auf, inwieweit der Nationalsozialismus gerade durch die Erziehung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ermöglicht wurde.

    Ich habe mich bislang nicht mit der NS-Erziehung und ihren Besonderheiten beschäftigt, erkenne aber beim Lesen des von dir verlinkten Artikels keine andere „Qualität“ im Vergleich zu historisch früheren Erziehungspraktiken. Im Gegenteil wirken die Beispiele auf mich deckungsgleich. Und so vermute ich – vorerst -, dass der Unterschied zwischen NS-Erziehung und „klassisch“ bürgerlich-patriarchalischer Erziehung nicht in der Erziehungsmethode („wie“ und „was“) lag, sondern vor allem im Erziehungsziel („warum“), also im Bereich des Ideologisch-Kognitiven (Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, …). Für die konkrete Kleinkinderziehung im Dritten Reich dürfte das aber nur implizit einen Unterschied gemacht haben: Das Kind in den 1930er Jahren wurde zwar aus anderen/“neuen“ Gründen misshandelt als früher, aber die Erfahrung des Eingesperrtseins/Auf-Erbsen-Kniens/Geschlagen-Werdens war altbekannt.

    Auf jeden Fall eine spannende Frage, der sich weiter nachzugehen lohnt!

    Viele Grüße und Danke für die Anregung
    Dominik

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  4. Erst einmal ein Buchtipp: Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind von Sigrid Chamberlain. Sie untersucht ebenfalls das Buch von Johanna Haarer und stellt ebenfalls fest, dass Johanna Haarer Tipps gibt, wie man eine Bindung zwischen Mutter und Kind vermeidet. Sie diskutiert auch an einigen Beispielen, welche Folgen das haben kann, vermeidet es aber, von Traumata zu sprechen.
    Mein Eindruck ist der, dass der Traumabegriff zur Zeit erstens inflationär und zweitens auf problematische Weise benutzt wird, nach dem Motto: jemand hat etwas Schreckliches erlebt und jetzt ist er traumatisiert. Das ist erstens mechanistisch und zweitens werden die gesamten Begleitumstände vernachlässigt. Insofern hat Katrin Einert auf jeden Fall Recht, wenn sie daraufhin weist, dass es nicht unbedingt die Bombennächte waren, die die Kinder traumatisierten, sondern dass die Art und Weise, wie die jeweiligen Bezugspersonen die Kinder trösteten, eine wichtige Rolle spielte. Es gibt keinen Automatismus: Bomben -> Traumatisierung. Ob man die Spätfolgen der NS-Erziehung unbedingt als Trauma bezeichnen sollte, weiß ich nicht. Es wäre, glaube ich, besser, sie inhaltlich zu beschreiben. Aber auch wenn Erziehung einen großen Einfluss hat, ist sie doch nicht Schicksal, das auf ewig prägt.

    Ein weiteres Problem besteht darin, dass wir mit dieser Diskussion unweigerlich in die Diskussion um deutsche Schuld und deutsches Leid hineingeraten. Die Bombardierungen deutscher Städte, die den Betroffenen auf jeden Fall eine Menge Leid brauchten, werden leider oft auch benutzt, um deutsches Leid gegen anderes Leid und deutsche Verbrechen gegen andere Verbrechen (?) aufzurechnen, wobei gerne vergessen wird, dass Rotterdam, Warschau, Coventry und viele andere Städte noch vor Hamburg, Hannover oder Dresden zerstört wurden. Wenn Katrin Einart sagt, nicht die Bomben, sondern die NS-Erziehung habe die Menschen traumatisiert, dann weist sie die Schuld wieder den Deutschen zu.

    (Ich bin mir ehrlich gesagt auch nicht sicher, ob wirklich ein großer Teil der alten Menschen traumatisiert ist. Manche sind ziemlich komisch, und ich gehe mittlerweile auch davon aus, dass sie die NS-Zeit nicht verarbeitet haben und immer noch Dinge sagen wie „du musst verstehen, die Juden waren auch komisch“, aber das heißt nicht, dass sie traumatisiert sind, sondern dass sie die Täterschaft der Deutschen nicht begriffen haben.)

    Zu deinen Punkten.

    3. Wenn ich Mütter und Väter auf Spielplätzen oder in Cafés beobachte, habe ich nicht den Eindruck, dass sie Kindern besonders viel Freiraum gewähren. Mein Eindruck ist der, dass sie sich gegenüber ihren Kindern meistens recht unreflektiert verhalten, das kann mal mehr, mal weniger Freiraum sein. Ich müsste sie mal mit Eltern „mit Migrationshintergrund“ vergleichen (ins Ausland fahren, um eine Studie anzustellen, kann ich nicht), aber ich würde jetzt aus dem Bauch heraus nicht sagen, dass „biodeutsche“ Eltern liebevoller mit ihren Kindern umgehen als eingewanderte Eltern, die nicht von irgendeiner NS-Vergangenheit belastet sind.

    1. Ich glaube, dass die Verweigerung von Bindung tatsächlich typisch für die NS-Zeit ist. Die Erziehung vorher war auch nicht unbedingt freiheitlich, aber sie war eben auch nicht bindungsfeindlich.

    Vielleicht darf man die Schuld auch nicht nur bei Johanna Haarers Buch sehen. Erstens muss man auch die Traumatisierung vieler Eltern sehen, die sie daran hinderte, liebevoller Eltern zu sein, aber möglicherweise muss man auch hier mit dem Begriff „Traumatisierung“ vorsichtig sein: Vielfach war es auch die nicht begriffene Schuld, die daher abgewehrt werden musste, oder der Verlust der Phantasie von eigener Stärke und Größe, die nicht verarbeitet wurde.

    Psychologie der NS-Zeit ist ein kompliziertes Gebiet. Ich habe es erst angekratzt, und ich denke, dass man vor allem gegenüber einfachen Erklärungen vorsichtig sein muss.

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  5. Danke für eure Ideen!

    Mir kam gerade noch ein Gedanke zum Unterschied NS-Pädagogik und „normal“ autoritär-patriarchale Pädagogik: In letzter gibt es ja klar unterschiedliche Zuweisungen an Mütter und Väter: Die Väter müssen hart durchgreifen, die Mütter können auch mal liebevoll sein. In der Literatur des 19. Jahrhunderts ist das oft ein Vorwurf an die Frauen, sie wären zu emotional und zu nachgiebig (heute hört man den auch immer mal wieder), das Gegenstück dazu ist das: „Warte nur bis dein Vater nach Hause kommt“. Vielleicht war das Besondere am NS, dass gerade auch von Müttern diese HÄrte und Unnachgiebigkeit verlangt wurde? Haarers Buch richtet sich ja dezidiert an die Mütter.

    Ebenfalls in dem Zusammenhang: Das Zuhausebleibenmüssen und nicht Erwerbsarbeiten der Mütter wurde ja im 19. Jahrhundert und heute auch wieder mit den Bedürfnissen der Kinder nach ihrer Zuwendung und der Notwendigkeit einer engen Bindung begründet. Wendet man jedoch konsequent die Nazi-Pädagogik an, so wäre das gar nicht nötig, denn wenn die Mutter den Kindern eh keine große Aufmerksamkeit widmen soll, könnte sie ja auch erwerbsabreitn oder sonstwas machen. Meine Idee: Vielleicht war die Geschlechtertrennungs im öffentlichen Leben des NS so gesichert, dass man die Bedürfnisse der Kinder auf Zuwendung und Zeit ihrer Mütter gar nicht mehr als Argument brauchte?

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  6. Ich möchte das hier auch noch verlinken. Karin Bergstermann, die sich intensiv mit der Geschichte der Säuglingspflege (und allgemein Erziehungsstilen) im 19. und 20. Jahrhundert befasst, hat einen Artikel darüber geschrieben, wann denn „diese“ Erziehung genau anfing, die hier kritisiert wird. Und sie kommt zum Schluss: Sie hat sich parallel entwickelt im viktorianischen Zeitalter (GB) bzw. im dt. Kaiserreich. Von dort an wird alles für schlecht gehalten, was heute unter „Bindungsfördrung“ läuft und davon abgeraten: Kuscheln, Trösten, auf den Arm nehmen,….

    Ich zitiere Bergstermann:
    „Im Deutschen Kaiserreich (1871-1918) kam dann der endgültige Umschwung. Der Ton in den Erziehungsratgebern änderte sich zu dieser Zeit drastisch. Er wird gebieterisch und distanziert. Begriffe wie „Affenliebe“ und „Tyrann“, die später Johanna Haarer benutzt, fallen auch jetzt schon. […]
    Es stimmt, dass solche Ansichten dem menschenverachtenden Weltbild der Nazis entsprachen. Sie haben diesen Erziehungsstil unterstützt und zementiert. Seine Verbreitung wurde politisch gefördert. Mütterberatungsstellen, Krankenhäuser und Ämter händigten Schriften an junge Mütter aus und verbreiteten die aus heutiger Sicht fürchterlichen Pflege- und Erziehungsregeln. Das hat mit Sicherheit noch bis heute Einfluss auf die deutsche Kinderfeindlichkeit. Doch auch in anderen Ländern kämpfen Mütter gegen das, was hierzulande häufig als NS-Erziehung bezeichnet wird, denn der Ursprung liegt eben nicht bei Haarer und den Nazis.“
    (Karin Bergstermann, „Die Haarer ist schuld!“ http://www.bergstermann.de/saeuglingspflege/die-haarer-ist-schuld/ )

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  7. Über die Geschlechterpolitik der NS-Zeit gibt es viele Mythen. Ich habe vor ein paar Wochen einen Vortrag von Sebastian Winter gehört, der dieses Thema erforscht hat und festgestellt hat, dass Frauen und Mütter in der NS-Zeit eben keine Heimchen am Herd und nicht zuständig für Emotionalität und Wärme waren, sondern dass sie auf ihre Weise für den Führer und das Vaterland kämpften, etwa, indem sie kleine Soldaten großzogen, aber auch, indem sie Jobs übernahmen, die dem Vaterland angeblich nützten – selbst im Krieg in der „Etappe“ und auch beim Völkermord.

    (Ich habe Sebastian Winter in RL gehört und kenne den Vortrag bei Soundcloud noch nicht, aber ich vermute, er erzählt dort Ähnliches.)

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  8. Aber auch da wäre es interessant zu sehen, welches Menschenideal, welches Frauen- und welches Männerideal sich hinter diesen Erziehungsvorstellungen verbirgt.

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  9. @susanne14, ja, einverstanden. Und darüber hinaus aber das Menschenbild allgemein, bzw. das Bild, das die Menschen von Kindern hatten und was das Ziel von Erziehung war: Ist der Mensch bei seiner Geburt gut und wird durch die Umstände/Kultur/Erziehung „böse gemacht“ (vergl. Rousseau und sein „edler Wilder“) oder ist er grundsätzlich böse und muss durch Erziehung „gut“ gemacht werden.
    Und spätestens hier käme wohl das Menschenbild ins Spiel, das die verschiedenen Religiösen Strömungen verbreiten. Gibt es beispielsweise grundsätzliche Unterschiede zwischen „katholischer Erziehung“ und „evangelischer Erziehung“?

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  10. Ich glaube, dass es schon eine Kontinuität gibt, die wirksam ist, unterschwellig. Sie besteht weniger in den konkreten „Erziehungsanleitungen“, als in der ungeheuren Aufladung der „Mutterschaft“ in Deutschland. Die gibt es so in anderen europäisch-patriarchalen Ländern nicht. Sie ist aber auch keine „Errungenschaft“ der Nazi-Propaganda, sondern ein Erbe des deutschen Idealismus, von den Nazis verquickt mit bösartigster schwarzer Pädagogik. Von dieser Idee, dass die „Mutter an allem schuld“ ist oder – positiv – gewendet, die Mutter das „gute Kind“ schafft, kann sich keine Frau aus deutschem Kulturraum ganz lösen. Sie steckt einfach zu tief in allen Erzählungen drin. Die MUTTER ist zuständig für das „Gelingen“ des Kindes (auch in den Augen vieler Väter). Wo dieses Gefühl weiter wirksam ist, gibt es allerhöchstens die Illusion von Freiheit. Denn es kommt bei den „fürsorglichen“ Mütter heutzutage eben doch noch darauf an, alles „richtig“ zu machen. Was fehlt ist das Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes, in seine Einzigartigkeit und Unverfügbarkeit. Es wird vielmehr (auch) „unter Müttern“ ein solches Vertrauen als Vernachlässigung/Gleichgültigkeit gebrandmarkt. Jedenfalls war es vor Jahren, als meine Kinder klein waren, noch so.

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  11. Die Grundüberlegung „gut“ (Kind soll in erster Linie wachsen und sich entfalten dürfen) oder „böse“ (Kind muss mit allen verfügbaren Mitteln gezähmt und gebrochen werden) ist sehr berühmt, aber ich weiß nicht, ob sie wirklich die entscheidende ist. Ich bin etwas „out of touch“ mit der aktuellen pädagogischen Diskussion, aber ich vermute, dass diese Frage mittlerweile nicht mehr wichtig ist, da klar ist, dass die Wahrheit in der Mitte liegt: Kinder können nicht einfach wachsen und sich entfalten, sondern brauchen Kontakt zu anderen Menschen, um sich entwickeln zu können, und diese Menschen vermitteln ihnen eben auch die Regeln des Zusammenlebens, die jeweils von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich sind. Die Art und Weise, wie diese Regeln vermittelt werden, ist untrennbar verbunden mit dem Inhalt dieser Regeln. Sie hängt auch zusammen mit der Art und Weise, wie Regeln unter Erwachsenen durchgesetzt werden und mit der Art und Weise, wie Erwachsene sich selbst disziplinieren.

    Okay, das ist jetzt gewagt. Es wäre interessant, dies auf die heutige Zeit anzuwenden, aber das überlasse ich anderen. In Bezug auf das Kaiserreich und das späte viktorianische Zeitalter (Frankreich wäre bestimmt auch interessant) würde ich tatsächlich nicht irgendwelche religiösen Ideale, sondern den aufkommenden Sozialdarwinismus vermuten, also die Idee, dass die Stärksten überleben und dass die Schwachen kein Recht zu leben haben. Härte und Durchsetzungsvermögen, nicht Beziehungsfähigkeit wären dann die Ideale: auf für Kleinkinder, auch für Mädchen und Frauen.

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  12. Doch, die erste Trennung ist in der Pädagogik nach wie vor präsent. Nicht in Form von „gut“ und „böse“, aber in Form von „sozial“ und „unsozial“.
    Also die Frage: Ist das Kind
    a) grundsätzlich unsozial und muss durch Massnahmen und Sanktionen wie Belohnungen und Strafen sozial gemacht werden (Motivation von aussen), dieser Ansicht nach müssen Grenzen gesetzt und verteidigt werden, damit das Kind nicht zum „Tyrannen“ wird und die „Herrschaft“ in der Familie an sich reisst, das Kind muss diszipliniert werden (freundlicher als früher, aber immer noch); In dieser Richtung finden wir all die Schlaflernprogramme etc. und immer wieder die „Angst vor dem kindlichen Tyrannen“. Hier finden wir Autoren wie Winterhoff und Bueb, oder Kast-Zahn und all die Ratgeberliteratur, die lehrt, wie man ein Kind dazu bringt, dieses und jenes zu tun, obwohl es dies nicht will.
    Oder ist das Kind
    b) grundsätzlich sozial, d.h. es hat die intrinsische Motivation mit der Gemeinschaft zu kooperieren, Teil von ihr zu sein und ihre Regeln zu erlernen. In dieser Ansicht reicht es, dem Kind die Regeln vorzuleben und ggf. Grenzen aufzuzeigen, und darauf zu vertrauen, dass es auch ohne Sanktionen (die über die natürlichen Konsequenzen einer Handlung hinausgehen) die Regeln der Gemeinschaft lernen wird. Hierher gehört u.a. Jesper Juul, der ja sehr medienpräsent ist, Herbert Renz-Polster, Remo Largo,…

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  13. Das Bild der deutschen übermutter wurde von der preußischen Kaiserin (weiß den Namen jetzt nicht genau) erschaffen. Die Schuldfrage bzw Problematik von Freud verfestigt. Also haben die deutschen es irgendwie immer noch im Urin *g*

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  14. Ich glaube, daß während der „Tausend Jahre“ nur eine bestimmte Schicht von Müttern und Vätern ein besonderes Erziehungsziel hatte und demgemäß einen besonderen Erziehungsstil ausprägte; man werfe z.B. einen Blick auf die Wagner-Familie. Der – m.E. weit größere – Rest, mußte notgedrungen seine Kinder so erziehen, daß möglichst wenig Aufwand anfiel. Man bedenke, daß damals die Kinderzahl generell größer war und in der Arbeiter- und kleinen Beamtenschaft (furchtbare und seltsame Wortzusammensetzung, aber ihr wißt schon, was gemeint ist) die Einkommmen sehr niedrig und die Wohnungen sehr klein waren (sehr schön beschrieben z.B. bei Lisa Tetzner in den ersten beiden Bänden der „Erlebnisse und Abenteuer der Kinder aus Nr. 67“). Das alles verschlechterte sich noch, wenn die Väter eingezogen wurden und die Mütter allein die Familie ernähren mußten. Die staatlichen Ersatzleistungen für das fehlende Einkommen des Vaters reichten bei weitem nicht hin.

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  15. Mir kommt es so vor, als gäbe es oft nur ein „entweder oder“, also entweder starre Regeln mit Disziplin oder der totale Freiraum – dabei brauchen Kinder beides, zum einen Grenzen und Regeln und zum ander Freiraum, um sich zu entfalten.
    Zu dem Thema „Deutsche Mütter“ muss ich sagen, dass ich oft beobachte, dass sich Mütter teilweise hart und dogmatisch bekämpfen, diejenigen, die sich komplett dem Kind widmen können bekämpfen die „Karrieristinnen“ und umgekehrt. Als wäre das deutsche Wort Rabenmutter an die Zeit mit dem Kind gekoppelt (dabei kommt es ja nicht auf die Quantität an sondern die Qualität…)

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  16. Ich muss sagen, so etwas wie eine autoritäre Erziehung kannte ich überhaupt nicht. Ich wurde vorwiegend von meinem Vater „erzogen,“obwohl das Wort “ erzogen “ eigentlich am falschen Platze ist. Ich hatte einen sehr liebevollen Vater, der meine Persönlichkeit von klein auf achtete und fördere, indem er mir schon früh sagte, ich glaube, ich war fünf, dass ich die gleichen Recht aber auch Pflichten hätte wie jeder Junge.

    Das hat natürlich auch zu Schwierigkeiten geführt, weil ich es mit jedem Jungen anlegte und später mit den meisten Männern.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nur wenig Männer eine selbstbewusste Frau an ihrer Seite haben wollen und es Menschen generell sehr schwer haben, die sich selbst treu bleiben und sich nicht prostituieren, gleich, in welcher Form.
    Das ist meine Erfahrung.

    Trotzdem hatte ich das große Glück, einige Menschen und Männer in meinem Leben zu treffen, die mich so akzeptierten, wie ich war und ich bin wahrlich nicht pflegeleicht. Aber das will ich auch gar nicht sein.

    Ein sehr gutes Buch über die Entwicklung und Erziehung einer Persönlichkeit kann man bei Arno Grün finden in „Der Wahnsinn der Normalität.“
    Auch heute hört man leider immer noch: Warte, bis Papa nach Hause kommt, dann wirst du was erleben.“

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  17. Das Zuhausebleibenmüssen und nicht Erwerbsarbeiten der Mütter wurde ja im 19. Jahrhundert und heute auch wieder mit den Bedürfnissen der Kinder nach ihrer Zuwendung und der Notwendigkeit einer engen Bindung begründet.

    Damals dürfte das eine Minderheit gewesen sein, die sich das leisten konnte. Jetzt könnt ihr natürlich speziell übers Bürgertum diskutieren, weil das die Erziehungsideale geprägt hat. Aber halt nicht die Realität. Im 19. Jahrhundert waren die Geburtenraten hoch und die Bevölkerung arm. Arbeiter konnten sich keine Hausfrau leisten, und auf dem Bauernhof mussten sowieso alle mit anpacken, die konnten. Wenn man einen Hof hatte – es gab auch sehr arme Landbevölkerung, die dann zur Industriearbeit in die Städte flüchtete.

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  18. Gerade auch im Zusammenhang mit der auffallenden Korrelation in Europa zwischen niedrigen Geburtenraten und faschistischer Vergangenheit finde ich das interessant.

    Ich bin mittlerweile skeptisch, ob das nicht überinterpretiert wird. Frankreich und Großbritannien haben z.B. deutlich mehr Zuwanderer in der Bevölkerung als Italien und Griechenland, das wäre auch eine Erklärung.

    (Der Link zu Instagram funktioniert anscheinend nur eingeloggt.)

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  19. @Irene – Zu der Geburtenrate: Die Zuwanderung in England und Frankfurt spielt nur eine kleine Rolle, nach ein bis zwei Generationen haben sie die Geburtenzahlen der Migrantinnen denen des Einwanderungslandes angepasst. Eine kleine Rolle spielen sie, aber auch die „bio-Französinnen“ und „Bio-Engländerinnen“ haben im Schnitt mehr Kinder.

    Zu den Arbeitern im 19. Jahrhundert: Gerade unter der Arbeiterschaft war die Forderung nach einem Verbot der Frauenerwerbsarbeit groß, und zwar mit genau dieser Begründung. Es war auch ein Versucht, sich zu „verbürgerlichen“. Dass das in der Realität nur bei der „Arbeiteraristorkatie“ geklappt hat, steht auf einem anderen Blatt, aber der Wunsch danach war groß (und das war einer der Hauptstreitpunkte zwischen männlicher Arbeiterbewegung und Frauenbewegung im 19. Jahrhundert).

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  20. „Der Aufbau einer liebevollen Beziehung zwischen Eltern und Kindern soll verhindert werden, wobei die Kindererziehung selbstverständlich Aufgabe der Mutter ist.“ (Wiki)

    Dies scheint ein wichtiger Punkt zu sein. Das Bürgertum war den Nationalsozialisten verhasst, da es sich nicht so leicht beeinflussen und von den neuen Ideen begeistern ließ.

    Besteht nun aber keine enge Bindung zwischen Eltern und Kind mehr, so ist es viel einfacher die Kinder im staatlichen Sinne zu formen. „Erziehungsziel war nach Haarer schon bei Kleinkindern die Vorbereitung auf die Unterwerfung unter die NS-Gemeinschaft beziehungsweise die Gleichschaltung im Sinne von deren Ideologie.“

    Staatlichen Einfluß auf die Kindererziehung sehe ich deshalb zwiespältig. Berufsbedingt musste ich meine drei Kinder in den Kindergarten geben. Leider entsprechen viele Erzieherinnen nicht dem erträumten Idealbild. Auch sind die Gruppenstärken meiner Meinung nach zu groß. Es wäre mir deshalb lieber gewesen, wenn ich meine Kinder etwas länger zu Hause behalten hätte können.

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  21. @Katharina Vielen Dank für deine Antwort. Ich habe gerade eine lange Antwort entworfen, dann aber gemerkt, dass sie zu weit vom Thema abführt. Vielleicht so viel: Sozial ist nicht das gleiche wie gut. Kinder streben gute Beziehungen mit ihren Eltern und dem Rest der Umgebung an, aber das heißt noch lange nicht, dass sie gut sind. Wahrscheinlich werde ich demnächst darüber bloggen.

    Noch etwas zur NS-Pädagogik. Ich lese zur Zeit ein Volk, ein Reich, ein Führer“> von George L. Mosse über die Geschichte des völkischen Denkens und bin gerade beim Kapitel über die Erziehung im Kaiserreich angelangt. Dort wird erklärt, dass gerade die Reformpädagogik sehr stark vom völkischen Denken beeinflusst gewesen sei. Die Reformpädagogik hat eigentlich den Ruf, den Kindern viele Freiräume zu lassen. (Nur durch die Skandale an der Odenwaldschule hat dieser Ruf etwas gelitten.) Aber vielleicht ist das alles ein wenig komplizierter.

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  22. Schon klar, dass „gut/böse“ und „sozial/unsozial“ nicht das Gleiche sind. Es würde den Rahmen hier sprengen (und OT ist es sowieso), noch jedes einzelne verwendete Konzept zu definieren. Ich definierte bei meinen Aussagen „gut“ im Sinne von „dem entsprechend was die jeweilige Bezugsgruppe als ‚gut‘ definiert“ womit es deckungsgleich mit „sozial“ im Sinne von „strebt danach, die Regeln/Normen der jeweiligen Bezugsgruppe zu verinnerlichen und sich danach zu richten“.
    Wie dem auch sei, ich würde mich sehr auf einen Artikel aus Deiner Tastatur freuen.

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  23. “….ich glaube aber, dass die NS-Ideologie der Pädagogik doch noch einmal eine andere Qualität hatte als “nur” die bürgerlich-patriarchale. Was meint Ihr?”
    Ich gehe davon aus, dass die ‘Pädagogik der NS-Ideologie’ ohne die gesellschaftlich akzeptierten jahrhundertealten Erziehungsmethoden wie sie K.Rutschky u. A.Miller mit dem Begriff ‘schwarze Pädagogik’ ins Bewußtsein gehoben haben, gar nicht erst zustande gekommen wäre. Die NS-Ideologie fiel somit auf einen bereits ‘furchtbar fruchtbaren (Mutter)Boden’. Die andere Qualität von NS-Erziehung zielte somit auf die bewusst-unbewusste Abrichtung des Kindes zum ‘neuen arischen Menschen’. Dass es dazu vieler williger Vollstrecker/innen bedurfte ist uns allen hinlänglich bekannt: Gleichschaltung aller Verbände, Institutionen, Organisationen….
    Die NS-Ideologie bediente sich des patriarchalen Muttermythos von der stets opferbereiten Mutter und überhöhte diesen noch mit national aufgeladenem Pathos: Frauen waren aufgerufen dem Führer und Vaterland ein Kind zu schenken. “Die deutsche Mutter” wurde dann ab dem vierten Kind mit dem Mutterkreuz geehrt. Gibt es eigentlich Untersuchungen darüber, ob sich Mütter im Nationalsozialismus bewusst waren, dass ‘ihr Führer’ die Mutter-Verehrung vor allem für die “Kanonenfutter-Produktion’‘ benötigte?
    Auch wenn der hier alljährlich gefeierte Muttertag nicht seine
    Wurzeln im Nationalsozialismus hat, sondern von diesem ebenfalls instrumentalisiert wurde, stellt sich mir die Frage, wieso es dieses Mutterfeiertagsgedöns bedarf und welchen Zwecken (außer der Konsum-Profitsteigerung) das noch dient?

    Ich stimme Antje ganz und gar zu, wenn sie sagt: “…wie fatal es ist, Kindererziehungsmethoden für Privatsache zu halten”. Bewusst ist mir das, seitdem ich mich mit
    “Erziehung nach Auschwitz” auseinander gesetzt habe. Der erste Satz darin lautet: “Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.”
    Und weiter heißt es bei Adorno:
    “Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung geht. Man spricht vom drohenden Rückfall in
    die Barbarei. Aber er droht nicht, Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen,
    die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen.”

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  24. Das NS-Regime basierte eher auf charismatischer als auf autoritärer Herrschaft. Insofern glaube ich, dass auch die autoritäre Pädagogik ihren Zenit in jener Zeit bereits überschritten hatte, man also weit vor Haarer ansetzen muss.
    Man denke z.B. an den Film „Die Feuerzangenbowle“, in dem gerade nicht ein autoritärer Erziehungsstil propagiert wird.
    Auch in meiner eigenen Familiengeschichte wurden die „1000 Jahre“ nicht als finster empfunden, was das angeht (die weiter zurückliegende Epoche dagegen sehr wohl).

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  25. Ich vermute, man kann die NS-Herrschaft nicht so einfach mit Stichworten wie „charismatisch“ oder „autoritär“ fassen, vor allem, weil man bei „autoritär“ dann auch nachschlagen müsste, was Adorno und das Institut für Sozialforschung unter autoritärem Charakter verstanden haben. (Ich glaube, es war Max Weber, der von „charismatischer Herrschaft“ sprach und sie der „traditionellen“ und der „rationalen“ Herrschaft entgegensetzte, also nicht der „autoritären“ Herrschaft.)

    Was man, glaube ich, sagen kann: Hitler war erfolgreich, weil er mit seinen Botschaften einen großen Teil der Bevölkerung ansprach und an schon vorhandene Einstellungen anknüpfte. Es war nicht so, dass er den Menschen etwas aufgedrängt hätte, was ihren vorherigen Positionen völlig zuwider war. Dies gilt nicht für alle gleichermaßen, zum Beispiel standen Kommunisten und Sozialdemokraten tatsächlich in Gegnerschaft zu den Nazis und natürlich waren auch keine Bündnisse zwischen Juden und Nazis möglich (wenn jemand eines weiß: merkwürdige Ausnahmen gibt es immer), aber vor allem die Konservativen hatten teilten viele Ansichten mit der NSDAP und sahen diese eher als Konkurrenten als als Gegner. Wenn jemand bei den Nazis nicht mitmachte, weil ihm diese zu sehr Massenbewegung und zu wenig elität waren, so ist er deswegen noch lange kein guter Mensch (Ernst Jünger…)

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  26. @Ute Ich habe erst jetzt deinen Kommentar wahrgenommen und möchte dir einen Link zu einem Vortrag von Sebastian Winter schicken. https://soundcloud.com/kritische-wissenschaften/07-winter-geschlechter-und-sexualitatsentwurfe-im-volkischen-antisemitismus Ich habe diesen speziellen Vortrag allerdings nicht gehört, dafür habe ich ihn vor einer Weile live gehört, und er hat über ein ähnliches Thema geredet. Die Mutterrolle in der NS-Zeit war nicht einfach das Heimchen am Herd, sondern Frauen wollten genau wie die Männer ihren Beitrag zum Sieg leisten, und dazu gehörte eben auch das Gebären von künftigen Soldaten.

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  27. @Susanne – Danke für den Link zum Vortrag, der hervorhebt, dass Frauen und Männer sich auf der Einstellungsebene hinsichtlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus..
    nicht groß unterscheiden. Auf der Handlungsebene schon.

    Was mir auch wieder deutlich wurde ist, dass es nicht reicht die
    historischen Verbrechen und Barbareien im Geschichtsunterricht partikular zu betrachten, was nicht heißen soll von ‚ deutscher Schuld und Verantwortung‘ abzulenken.
    Ich halte es für notwendig und wichtig dass auch Kinder und Heranwachsende entsprechend ihrer Entwicklung Aufklärungswissen vermittelt wird über die Mechanismen individueller, wie kollektiver Verführbarkeit. Sebastian Winter
    erwähnte das massenpsychologische Phänomen bei dem Menschen kollektiv verschmelzen, sich als Einheit fühlen,
    (Fußball, Love-Parade..), welches sich der Nationalsozialismus
    zur Formung seines „reinen Volkskörpers“ zu nutze machte.

    Und ja: Dass Frauen im Nationalsozialismus ebenfalls ihren Beitrag zum Sieg leisten wollten zeigt eine Magda Göbbels
    durch die Ermordung ihrer Kinder im Führerbunker.

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  28. Es ist relativ einfach, sich auf eine besonders böse/ autoritäre („schwarze“) Pädagik einzuschießen. Dass der Erziehungs- und generell menschliche Umgangsstil im Nationalsozialismus (aber nicht nur dort, auch im deutschen Kaiserreich beispielsweise schon, siehe „Der Untertan“ von Heinrich Mann) das Amalgam für das politische System abgab ist wenig überraschend. Doch auch im heutigen, vermeintlichen „anything goes“-Zeitalter (freilich eine Wortblase, ein Mythos) ist der Umgang miteinander sooo freiheitlich ja nun nicht, wie sich tatsächlich auf jedem Spielplatz beobachten lässt. Die Kriterien haben sich eher verschoben: heute gibt es, analog zur individualisierten Leistungsgesellschaft, eben vor allem einen immsenen Leistungs- und Erwartungsdruck, der an die kleinen Menschen („Kinder“) herangetragen wird. Was aber ist daran „frei“? Letztendlich ist JEDE Erziehung einengend (auch die antiautoritäre, man soll halt z.B. nur „kritisch“ sein wollen) – und, wie Ekkehard von Braunmühl schon 1984 in der zeitschrift „Schwarzer Faden“ äusserte: „Jede Erziehung ist staatserhaltend“! Und da hat der globale Wettbewerbsstaat (von wegen Exportweltmeister und so) eben andere Bedürfnisse als der NS-Staat. Nun bekommen wir von früh an eingeimpft dass wir uns permanent selbst optimieren müssen, „das Beste für unser Land“ tun sollen etc., und das sollen wir denn auch „wollen“. O.k., das ist sicher besser als die körperliche Misshandlung als Regelfall (das elterliche „Züchtigungsrecht“ wurde im übrigen in der BRD erst im Jahr 2000 abgeschafft!). Doch Selbsbestimmung und freie Entfaltung werden zwar heute oft verbal ausgegeben, sind aber faktisch keineswegs das Erziehungsziel. Dies nur als kleine Anregung, die Debatte vielleicht etwas weiter zu fassen und nicht zu verengen auf einen Erziehungsstil (der indessen in gewisser Weise zumindest „ehrlich“ war), gegen den ein breiter Konsens Ablehung artikuliert. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis auf die völkische Grundierung der weithin für „demokratisch“ befundenen Reformpädagogik sehr hilfreich. Manchmal müssen wir eben etwas gemauer hinter die Fassaden blicken. Die gesellschaftliche Zurichtung findet heute zwar verdeckter statt, aber sie ist gerade darum eher noch „effektiver“.

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  29. @Ziegelbrenner – Danke für den Kommentar und den Hinweis
    „etwas genauer hinter die Fassaden“ zu blicken. Denke mal, dass dies gerade in Antjes Blog geschieht, eben aus dem Grunde, auf den du ja auch verweist, dass es gilt „die gesellschaftlichen Zurichtungen“ zu erkennen, die das gute Leben aller Menschen“ verunmöglicht.

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