Was verlorengeht, wenn das Internet normal wird

Wenn ich Freundinnen, die nicht dort sind, in den vergangenen Jahren von Twitter und von Facebook erzählt habe und davon, warum ich dort so gerne bin, habe ich immer gesagt, dass man dort interessante Leute treffen kann, außerhalb der eigenen „Filterbubble“. Andere Strömungen des Feminismus zum Beispiel. Leute mit anderen Interessen, aus anderen Szenen, mit anderen Zugängen zu Themen, aus anderen Kulturen. Dass die Hürden, mit „anderen“ in Kontakt und Austausch zu kommen, nicht so hoch sind wie im Meatspace.

Aber ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das noch stimmt. Ich beobachte in letzter Zeit, dass sich die Szenen wieder mehr separieren. Das ist ja auch schon verschiedentlich von anderen diskutiert worden – ich habe mir die Links nicht gemerkt, aber das Thema ist jedenfalls schon länger virulent: Dass sich um Blogs engere Communities bilden, dass der Austausch doch wieder mehr unter „Gleichgesinnten“ geschieht, dass sich die Kommunikation ausdifferenziert, dass das Interesse an „anderen“, die Bereitschaft, sich auf deren Sichtweisen einzulassen, und das Interesse für das, was sie zu sagen haben, nachlässt.

Ich bedaure das, aber ich glaube, es ist einfach eine Konsequenz davon, dass das Internet und vor allem die sozialen Medien normaler werden.

Als ich mich Anfang 2009 auf Twitter und Facebook anmeldete, kannte ich da praktisch niemanden. Ich war neugierig, suchte Anschluss an Debatten und Szenen, und lernte ziemlich schnell interessante Leute kennen – Leute, die ich außerhalb des Internet vermutlich nie kennengelernt hätte. Eine kleine Gemeinsamkeit (wie zum Beispiel „Feministin sein“) genügte schon, um das Interesse aneinander zu wecken und einen Austausch in Gang zu bringen.

Wer sich heute auf Facebook anmeldet – und eingeschränkt stimmt das, glaube ich, auch für Twitter und andere Plattformen – trifft da hingegen gleich einen ganzen Haufen von Leuten aus dem eigenen Leben, aus der eigenen politischen Szene, aus dem eigenen Arbeitsumfeld. Die Notwendigkeit, sich auf die Suche nach „anderen“ zu machen, ist nicht mehr gegeben. Und entsprechend geringer ist auch die Bereitschaft, Leuten, die nicht genau auf die eigene Linie passen, überhaupt großartig Aufmerksamkeit zu widmen oder gar Kompromisse zu machen.

Ich merke das an mir selber: War es 2009 noch so, dass es fast keine Überschneidungen gab zwischen den Menschen, mit denen ich außerhalb des Internet zu tun hatte, und denen, mit denen ich im Internet kommunizierte, so sind die Mehrheitsverhältnisse inzwischen ganz anders. Vor allem wenn ich Facebook aufmache, sind da heute dieselben Leute, die ich auch treffe, wenn ich ins Büro gehe oder auf ein Treffen mit meinen feministischen Freundinnen. Aber auch auf Twitter sind inzwischen viel mehr aus meinen „Szenen“ – es sind zwar immer noch die meisten Menschen, die ich kenne, nicht auf Twitter, aber inzwischen sind genügend Menschen dort, die die meisten Dinge so ähnlich sehen wie ich, die in ähnlichen Kontexten zuhause sind und so weiter.

Und einerseits freut mich das, ich habe ja selber dauernd mir den Mund fusselig geredet, dass sie doch bitte hierherkommen sollen. Aber andererseits ist es eben auch schade.

Ich selber habe eine ganze Reihe von Blogs inzwischen wieder aus meinem Feedreader geschmissen, weil sie thematisch zu weit von meinem Interesse weg sind oder weil ich keine Geduld mehr habe, mich auf Standpunkte einzulassen, die ich kritisch sehe – es sind eben heute genügend andere Blogs da, die mir näher liegen. Hätte ich 2009 meine Internetlektüre so rigide ausgewählt, wie ich es heute tue, hätte ich nicht viel zum Lesen gehabt.

Vermutlich ist diese Entwicklung unausweichlich – das Internet ist ja letztlich nur ein Medium, und Medien nutzen wir, um mit Menschen zu kommunizieren, mit denen wir kommunizieren wollen. Außer eben wenn ein Medium sehr neu ist, dann nimmt man, wen man kriegen kann.

Die frühen Jahre der sozialen Medien waren wohl eine außergewöhnliche Sondersituation: Da trafen sich Menschen, die Lust hatten auf dieses Medium, das Medium als solches war schon etwas Verbindendes. Man kommunizierte mit denen, die eben da waren, mit anderen ging es ja nicht. Daher kam diese anfängliche Offenheit, diese szeneübergreifenden Kontakte und Beziehungen. Ich bin extrem dankbar dafür, dass ich das miterlebt habe, denn manche, nein: viele dieser Menschen sind mir inzwischen sehr wichtig geworden, und ich glaube (hoffe jedenfalls), dass ein Großteil dieser Beziehungen auch über die Normalisierung des Internet hinaus erhalten bleiben.

Aber ich vermute, dass da nicht viele mehr dazukommen werden. Das Internet sortiert sich gerade, we are going back to normal. Und das finde ich durchaus schade, aber ich fürchte, es ist nicht zu ändern. Ich habe mir allerdings vorgenommen, diesen Spirit aus der Erinnerung an „damals“ noch so lange wie möglich am Leben zu halten.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

40 Gedanken zu “Was verlorengeht, wenn das Internet normal wird

  1. Ja. Ich bin seit 1996 „hier“. Da hat sich einiges verändert. Man denke nur an dieses Wahnsinnsprojekt namens „Wikipedia“ – im 03 erklärte man uns für verrückt… und jetzt ist es so was von Nullerjahre und damit schon uncoo. Oder das Usenet, das kennt heute kein Mensch mehr bzw. ich kenne keine Menschen mehr, die das überhaupt kennen… ach herrjeh!

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  2. Mh, der Beitrag stimmt mich nachdenklich. Empfinde ich das ähnlich? Oder ganz anders? Sind es vielleicht auch nur Phasen? Ich habe eine sehr heterogene „Filterbubble“. Z.T. lese ich dort Meinungen, die absolut konträr zu meinen eigenen sind. Und muss oft schlucken. Lasse das aber manchmal einfach so stehen und nehme dadurch wahr, dass ein Bild eines virtuellen Gegenübers dadurch gewandelt wird. Es ist ja auch nur „mein“ Bild. In Zeiten vor Facebook, Twitter und Co. gab es auch schon Foren und Communities im Internet – sie kamen und gingen. Aber ich kam und ging auch – vielleicht weil auch andere Dinge mich beschäftigt haben und sich nur meine Einstellung geändert hat. Ist das „Internet“ nicht schon länger „Alltag“? Ich mag Alltag… Danke für diesen Blog-Beitrag – er bietet viele Anregungen über meinen Konsum und meine „Produktion“ im Netz noch mal tiefer nachzudenken 🙂

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  3. @filzflausch – Ja, du hast recht, zu „Lesen“ gibt es immer noch viel Konträres, ich dachte beim Schreiben eher an Verbindungen, die über einfach nur Lesen hinausgehen. Also kontinuierliche Debatten, Vertrauen, eventuell sogar mal ein Treffen in der Kneipe, sowas.

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  4. damals 2009, wie das klingt. ich bin ja schon länger im netz, ich sage manchmal: »damals 2002, die blogger, aber dann kam ja facebook. jetzt ist nichts mehr, wie es war.«

    alles halb so wild.

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  5. Stellte kürzlich im Gespräch mit Freunden auch fest, dass bei uns eine gewisse Differenzierung stattgefunden hat. Während man vor einiger Zeit noch denselben Leuten auf Twitter folgte und dieselben Blogs las, ist die Überschneidung heute viel geringer. Die unterschiedlichen Interessen sind heute stärker vertreten und das Medium als solches ist nicht mehr Identifikation genug.

    Ab und an frage ich mich, ob mit der ›Normalisierung‹ des Internets der Ton rauer geworden ist. Der Ton in einigen Debatten – in meinem Fall oft auf Facebook – scheint weniger am Austausch, sondern im Stile der ›Talkshows‹ mehr am Ausdruck der eigenen Meinung interessiert zu sein. Und um seine eigene Meinung zu schreiben ist es nicht zwingend nötig den Artikel oder die Kommentare zu lesen …

    Ich genieße die Unterschiedlichkeiten der Menschen von denen ich lese immer noch sehr, auch wenn ich derzeit mehr zum lesen als zum schreiben komme.

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  6. Mh, also bei mir ergeben sich nach wie vor viele Kontakte (beruflich, privat, Studium) über das Internet. Eigentlich sogar mehr als früher. Ich muss mal darüber nachdenken, ob ich mich vielleicht früher anders verhalten habe und die „Normalität“ des Internets jetzt eher vom Virtuellen ins „Real Life“ lasse…

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  7. Ich habe diese Theorie, dass es für viele Leute einen Punkt gibt, an dem sie das Internet nicht nur als existierende Technologie sondern als Sphäre für sich selbst entdecken. Und das die Jahre seitdem diese Faszination nicht schmälern, man sich aber automatisch seinen eigenen Einstieg als die schönste Zeit erinnert.
    Für mich waren das damals um 2000ff. der Aufstieg der Blogs. Wunderschöne Zeit, wäre gerne noch mal da. Aber ich war natürlich nicht der erste, da gab es schon Leute, die sich die Webforenlandschaft zurückwünschten. Und davor die AOL-Liebhaber. Und davor natürlich die Usenetmenschen, die immer noch über den Eternal September grummeln. Jede dieser Erweiterungen wurde wohl als Normalisierung eines vorher anarchischen Raumes empfunden.
    Zwei Dinge helfen mir: Einmal: Es gibt tausende Mikrowelten im Netz, außerhalb des hell- oder dunkelblauen Normalen, in denen man immer wieder was Neues findet. Und ich weiß inzwischen, dass meine Lust, diese neuen Welten zu erforschen, in Wellen kommt. Manchmal surfe ich, manchmal paddele ich.

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  8. Ich bin ungefähr seit 2001 im Internet zuhause. Facebook und Twitter sind, glaube ich, beide jünger. Damals mischte ich gerne auf Herr-der-Ringe-Foren mit und genoss es, dort sehr unterschiedliche Menschen zu treffen.

    Ich weiß nicht, ob sich seit 2001 das Internet verändert hat, oder auch, ob sich seit 2008 Twitter verändert hat. Vielleicht habe auch ich mich verändert. Ich habe verschiedene Menschen und verschiedene Positionen kennengelernt, ich habe gemerkt, mit welchen Positionen ich nicht so viel anfangen kann, aber ich habe auch ein paar coole Leute vom Gegenstandpunkt, der ehemaligen Marxistischen Gruppe kennengelernt. Ich weiß zwar noch nicht, was ich von ihrer Position halten soll, aber ich bin immer noch neugierig.

    Meine Lebenssituation hat sich ebenfalls verändert, so dass ich keine Kraft und keine Zeit mehr zu sehr anstrengenden Debatten habe. Ich breche früher ab, wenn ich merke, dass die Diskussion unangenehm wird. Ich versuche nicht mehr, Menschen zu verändern.

    Ich glaube, was sich noch seit 2008 verändert hat, ist der Niedergang der Piratenpartei. Damals war sie neu, und viele waren neugierig, weil sie einen linken Habitus zu haben schien, und erst nach einer Weile wurde klar: so links sind sie gar nicht, und außerdem wissen sie nicht, was sie wollen. Ich glaube, durch die Piratenpartei sind viele Menschen aufeinander getroffen, die sich vorher nicht kannten.

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  9. Mir kommt es manchmal auch so vor, dass man aufgrund der vielen Austauschmöglichkeiten mit Gleichgesinnten oft wie in einer Blase lebt, weil man dann total erstaunt in der Zeitung liest, dass in großen Massen ganz andere Meinungen vertreten werden. Schade finde ich, dass man oft zu wenig Zeit hat (oder sich zu wenig Zeit nimmt), sich tatsächlich auszutauschen – und diese fehlt einem eben auch beim „stöbern“ in anderen Blogs und vor allem dann, wenn sie nicht direkt ein „eigenes“ Thema ansprechen.

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  10. Ich stimme dir zu, es ist eine „normale“ Entwicklung und der Zauber der Frühzeit des Netzes ist verflogen. Auf FB und Twitter bin ich erst relativ spät richtig aktiv geworden, im Netz aber schon seit 1997 und das war schon aufregend, plötzlich mit Menschen buchstäblich in der ganzen Welt preiswert (ja, war damals noch Thema) kommunizieren zu können. Dieser Pioniergeist ist heute nur noch an den Rändern des Netzes zu spüren, wenn es um die Fragen geht, wohin sich das entwickelt.

    Ich stelle mir daher immer wieder die Frage: Was nützt (es) mir und was nicht? Aktuell beschäftigen mich drei Entwicklungen: zum einen die Bedeutungsverschiebung von der Homepage zu Blogs (wo nicht kommentiert werden kann, ist es langweilig), die zunehmende Bilderflut (die meisten Klicks und so weiter bekomme ich für Fotos, die ich poste, auf dem Hintergrund der medialen Schlachten in Israel/Gaza/Ostukraine beobachte ich das mit Bauchschmerzen) und die Erfahrung, dass Twitter wunderbar geeignet ist für kollegiale Unterstützung im Alltag (meine_n Kolleg_in sehe ich maximal einmal in der Woche bei der Dienstbesprechung, aber wenn ich einen Tweet absetze: „Habe diese Woche drei Beerdigungen“, dann weiß ich um das Mitwissen und -fühlen anderer Pfarrer_innen im Netz, ob sie das direkt zum Ausdruck bringen oder nicht, denn ich empfinde es umgekehrt genauso).

    Abgesehen davon lerne ich immer noch interessante Menschen über Social Media kennen, das ist immer wieder wunderbar. Es kommt nicht mehr so oft vor wie früher, aber es kommt noch vor.
    Andererseits habe ich ein „stabiles“ Netzwerk, mit denen ich schon lange im Kontakt stehe, ohne sie je „live“ gesehen zu haben. Diese Dauerhaftigkeit ist auch eine schöne Erfahrung. Wenn ich im Herbst die Stelle wechsle, dann kenne ich in meinem neuen Wirkungsfeld schon etliche Menschen über Social Media und bin gespannt, wie sie „in echt“ so sind.

    Also, das Netz möchte ich nicht mehr missen, aber es ist eine ständige Herausforderung, Sinn und Unsinn abzuwägen. 🙂

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  11. Man muss die Vielfalt pflegen. Alles andere ist langweilig und bringt einen nur scheinbar voran.

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  12. Irgendwie habe ich FB und (noch weniger Twitter) oder gar Blogs mit „dem Internet“ gleichgesetzt. Insofern gab es schon immer separierte Communities, z.B. Foren zu allem möglichem.

    Für viele (auch unter 30) dürfte das Lesen von regelmäßige Lesen von Blogs oder das Folgen von Twitter bis heute nicht ’normal‘ (im Sinne von alltäglich) sein. Gerade Twitter frisst enorm viel Zeit…

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  13. Miriam Meckel hat relativ früh vor Filterbubbles gewarnt (hab leider auch grad keinen Link) – davor, dass nicht nur neue Leute, auch neue Dinge und andere Informationen schwieriger zu finden sind,

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  14. @Eva Herold – Hm, ja, aber die Filterbubble-Theorie fand ich nie so wirklich überzeugend, weil meiner Ansicht und Erfahrung nach die Filterbubbles eher ein Problem der nicht-Internetwelt sind. Es ist generell so, dass Menschen sich vorwiegend unter ihresgleichen bewegen, und das Internet hat – vielleicht nur für eine Weile – dieses Muster etwas durchbrochen. Und gerade die „schwachen Kontakte“ auf Facebook spülen mir immer noch mehr „außerhalb der Filterbubble“-Informationen ins Sichtfeld als das vor den Sozialen Medien je passiert ist.

    Aber dieser positive Aspekt der Anfangsjahre schwächt sich halt jetzt deutlich ab, jedenfalls auf der Beziehungsebene.

    @all – (wobei ich hier von Sozialen Medien schrieb, speziell Twitter und Facebook. Das Web 1.0 mit Homepages und E-Mail war ja nicht anders als die Zeit „vor dem Internet“, ob ich mir eine unkommentierbare und unverbreitbare Information auf dem Bildschirm oder auf Papier anschaue, ist ja egal. Mir ging es, was mir aber jetzt durch die Diskussion erst so klar wird, speziell um den Beziehungsaspekt, nicht um den Informationsaspekt der Web 2.0-Kommunikation.

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  15. Meine Wahrnehmung ist auch, dass es früher mehr „We agree to disagree“ gab. Heute ist das bekämpfen von abweichenden Meinungen wesentlich aggressiver geworden, und das nicht nur bei Themen, die von politischen und sozialen Wirrköpfen gepachtet sind. Daher kommt wahrscheinlich auch der Trend, die eigene Filterbubble enger und dichter zu zurren.

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  16. Das „Unnormale“ kann ich wenigstens weiterhin suchen; aber dass zum neuen Normalen gehört, dass ich mit meinen mir Nahen immer weniger in wirklich fragenden Austausch komme, ist für mich hier der zweite Verlust, -der erste kam, als das mailen seinen besonderen Wert verlor, weil dann alles schneller gehen konnte/musste. Trotzdem: ich pflege heute noch beides auf meine Weise und beobachte mit einem lachenden Auge die weiteren Entwicklungen und sage mir, die Welt spinnnnnnt.

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  17. Hallo,
    ich mische im Internet mit, seit ich mit einem 300-Baud-Modem Mailboxen anrufen konnte. Die waren relativ schnell vernetzt, Zerberus-Net, Fido-Net, Kurze Nachrichten, weil man quasi jedes Bit per Telefonrechnung bezahlen musste.
    Immer bildeten sich thematische Grüppchen, die vor allem durch den Reiz der neuen Technik zusammen gehalten wurden, obwohl sie inhaltlich teilweise total konträre Auffassungen vertraten. Was sind da manchmal die Fetzen geflogen – aber man konnte voneinander lernen, wenn man wollte.

    Solange man eine bestimmte kritische Zahl nicht überschreitet, geht es auch gut.
    Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man begreifen muss: Ich habe Grenzen. Ich kann nicht alles lesen, ich kann auch nicht auf alles reagieren, ich muss sortieren, ich muss Prioritäten setzen. Wer es zu spät merkt, kann enorm Lebenszeit vergeuden, verlieren – und sie kommt nicht zurück.

    Das Internet selber, auch Blogs und Twitter und was es da inzwischen fast unüberschaubar alles gibt, ist ein fantastisches Medium, um Grenzen zu überwinden, um andere Meinungen kennen zu lernen, um Neues zu erfahren.
    Und gleichzeitig ist es ein Medium, das die Zeit immer schneller takten lässt, das einen in eine Sucht nach Infos treiben kann, die im schlimmsten Falle vom „wirklichen“ Leben fern hält.
    Es ist eine Medium, in dem man Manipulationen leicht hinterfragen kann und in dem man in ungeahntem Maße manipuliert werden kann.

    Und wie so oft ist jede und jeder einzelne angehalten, kritisch zu hinterfragen, ob er sich in diesen Zeitstrudel der Nachrichten und immer schnelleren Kommunikation hineinziehen lässt, oder ob er oder sie eine Form des Umgangs findet, die den eigenen Grenzen gerecht wird. Unbegrenzte Freiheit gibt es nicht. Die einzelnen Akteure sind jeweils begrenzt und stehen einem exponentiell wachsenden Kommunikationsmarkt gegenüber.
    Da geht es nicht anders, als sich seine Nischen zu suchen.
    Und trotzdem ist niemand gehindert, immer wieder mal (oder gezielt und regelmäßig) aus seinen Nischen auszubrechen und zu schauen, was es sonst noch so gibt auf der Welt – und im täglichen Leben.
    Letztlich sind auch die Neuentwicklungen des Internets jeweils solche Nischen, die aber durch die eigene Dynamik wachsen, unüberschaubar werden, bis sich neue Nischen bilden oder gezielt initiiert werden: Eine ständige fraktale exponentiell verlaufende Dynamik.

    Demgegenüber steht der Mensch: Mensch zu sein bedeutet, begrenzt zu sein:
    „Auch der Stärkste ist schwach, unfertig, auf andere angewiesen: Das Defizitäre gehört in die Definition des Humanum.“ (Ulrich Bach)
    http://www.ulrich-bach.de/html/wenige_zitate.html
    Mit dieser Begrenztheit müssen wir leben lernen, auch in der Welt der Blogger, Twitter und des Internets.

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  18. @Antje Schrupp schreibt: 5. August 2014 um 09:01
    „Aber dieser positive Aspekt der Anfangsjahre schwächt sich halt jetzt deutlich ab, jedenfalls auf der Beziehungsebene.“
    Nö, das mag in den sozialmedia sein, denn mit „Krumen und Brocken“ füttert man auf Dauer auch keine Beziehungen.

    „Das Internet sortiert sich gerade“ –
    Nein Antje Schrupp, „das Internet“ kann das gar nicht, es hat weder Arme noch Beine noch einen Kopf dazu.
    Das ist wie mit den „berühmten“ (berüchtigten) Kriegen, die angeblich „ausbrachen“:
    Nicht ein einziger Krieg „brach (selber) aus“ – es waren jedesmal konkrete Menschen, die das taten, und ohne die es keinen Krieg gegeben hätte (siehe gerade bei den Publikationen zum aktuellen Jahrestag zum Ausbruch des 1. Weltkrieges).

    Es ist also nicht das Internet, das „sich sortiert“, es sind – du hast es längst erahnt – die User und ihre (jeweilige) Community:

    User werden denkfaul und träge, scheuen sich, anderen zu zu hören und sich mit anderen Sichten in der Community zu beschäftigen, wo dann immer ein oder mehrere Gurus den Ton angeben und man nicht unbedingt gegen deren Sicht anecken möchte, weder mit deutlichen Fragen noch mit Widerspruch, weil das dann angeblich blogharmonie sei.

    Auf Anhieb kann ich dir mindestens 6 solche blogs nennen, in denen der bloginhaber sich äußert (oft nicht uninteressant, ja sogar intelligent und spritzig) – aber niemand (mehr) dort mit Hinterfragungen oder Gegenansichten kommentiert, weil diese User alle nach und nach ausgesperrt oder weggeekelt wurden.

    Und zu genau diesem Vorgang meinst du:
    „Ich bedaure das, aber ich glaube, es ist einfach eine Konsequenz davon, dass das Internet und vor allem die sozialen Medien normaler werden.“
    Das sehe ich völlig anders, es hat mit Normalisierung nicht die Bohne zu tun, sondern mit Routine, und zwar mit der Art von Routine, die die Fähigkeiten und analytischen sprich aufbauenden Sichtweisen beschränkt: Negative Routine.
    Negative Routine ist ein Übel und kein Normal.

    So gesehen usern die User nach einem kurzen Ausflug in die freie Welt zurück in ihre heimischen Brütereien in den altbekannten teils vermufften Nestern, um sich der Mühe des Nachdenkens, der Auseinandersetzung und der eigenen Veränderung zu ersparen und in gegenseitiger Zustimmung zu was auch immer zu „wärmen“. Manche bezeichnen das als sogenannte Trollvernichtung, in der Annahme, sie würden sich nicht amputieren sondern einen großen „Reinheitsgefallen“ erweisen.

    Kurz:
    Da „sortiert sich“ eben kein „Internet“!

    Was heißt:
    Es wird auch nicht „normal“. Es sind die User, und die werden nicht „normal“ (was sehr schön wäre), sondern verfallen eben in negative Routine – bis auf die Ausnahmen (wie z.B. deine Themen) und alle Neubeginner, die für die erforderliche ständige Bewegung im Internet trotz der mitgeschleppten Bagage sorgen und damit nicht aufhören – und das, liebe Antje Schrupp, ist auch eine Art Routine, es ist die positive, und damit DAS Normal von Internet!
    Alles was in diese Richtung treibt, ist normal dafür.

    Und mit dieser (!) real dominierenden Normalität geht wohl nicht das verloren, was du befürchtest, sondern es wird damit erst hervorgebracht und gepflegt – allerdings nicht von denen, die eh ihren blog schon wieder zurückgeschaltet haben in den geistigen Stillstand, in die Separierung, die ich daher bestenfalls als die Redundanz des Internets aber nicht als dessen Normalität (an)erkennen kann, will und werde.

    Es soll da einen blog von einer Antje Schrupp geben, schau mal rein, da triffst du noch alle:
    Den flotten, heißen, nachdenklichen, laut oder leise provozierenden blogtext und ebensolche Kommentatoren, gleich ob jeweils passend oder eher nicht, und gelegentlich auch mal die versehentlich oder probeweise von dir für die neue „Internetnormalität“ gehaltene Internetredundanz, die zwar nichts mehr bewirkt, aber eben auch (zumindest anderen) nicht schadet.

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  19. @CCM – Das stimmt einerseits, ist aber nur die Hälfte. Vielleicht eine Frage der Szene oder des Publikums: Während manche viel, schnell und undifferenziert kommentieren, sind andere sehr zurückhaltend beim Kommentieren. Und ihre Kommentare fehlen dann, um die Debatte zu bereichern, aber du kannst eben nur die einen weglöschen und nicht die anderen herbeizaubern. Und wenn die „Sortierung des Internet“ zu mehr Abgrenzung führt, wie meine These ist, dann führt es auch zu weniger hilfreichen und interessanten Kommentaren auf Blogs der „anderen“.

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  20. @Antje Schrupp
    „Und wenn die “Sortierung des Internet” zu mehr Abgrenzung führt, wie meine These ist, dann führt es auch zu weniger hilfreichen und interessanten Kommentaren auf Blogs der “anderen”.“ – ja, aber nur dann, nur wenn deine These so (!) zutrifft.
    Immerhin sprichst du nun von „Sortierung des Internets“ – ich setze mal fort: „durch die User und communitys“, und dagegen rede ich nicht an, da kann ich dir nur beipflichten, nicht jedoch in der Bewertung, die du daraus folgerst.

    @ CCM schreibt: 5. August 2014 um 11:58
    packt es brisant:
    „Und alles beginnt und endet mit dem Moderieren von Kommentaren.“
    Was natürlich, so gebe ich Antje Schrupp recht, keine „herbeizaubern“ kann.
    Nur wie sollte es dann gehen? Provozieren halte ich für wirkungsvoller als mit dem „stillen Stil“ abzuwarten. Es muß gerüttelt werden, um zu aktivieren zum Schreiben, und das geht sowohl sanft wie polternd, geschliffen wie roh, ein- wie aufladend, wissend und fragend, eben: Stöckchen hinhalten (oder wegziehen) …
    Eine Frage wohl doch des Moderierens, das „angeln“ von Kommentatoren

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  21. Hm, ich sehe da einen Widerspruch, der sich für mich in diesem Satz kristallisiert:

    „Ich selber habe eine ganze Reihe von Blogs inzwischen wieder aus meinem Feedreader geschmissen, weil sie thematisch zu weit von meinem Interesse weg sind oder weil ich keine Geduld mehr habe, mich auf Standpunkte einzulassen, die ich kritisch sehe – es sind eben heute genügend andere Blogs da, die mir näher liegen.“

    Nicht die Möglichkeit, andere Meinungen und andere Zirkel zu finden, reduziert sich, sondern die Bereitschaft, sich auf andere Standpunkte einzulassen, auch wenn man sie kritisch sieht. Gerade der Reiz, sich mit Menschen aus ganz anderen Lebenswelten zu vernetzen, ist doch das tolle an Blogs, Twitter, Facebook etc. Ich ziehe jedenfalls viel Spannendes für mich daraus und würde nie jemanden blocken oder entfolgen, nur weil mir seine Meinung nicht passt (schlechtes Benehmen ist sehr wohl ein Grund). Ist nicht gerade die für jeden erreichbare Meinungsvielfalt das, was am Internet so reizvoll ist?Gerade Beiträge, die ich selbst kritisch sehe, regen doch dazu an, sich mit dem eigenen Standpunkt auseinander zu setzen. Daran kann ich mich reiben.

    Die User und Communitys sind dagegen mehr denn je dabei, sich abzugrenzen, Gräben zu schaufeln, andere niederzumachen oder als Trolle abzuqualifizieren. Da sortiert sich nichts, da wird sortiert. Szeneübergreifende Kontakte? Bloß nicht. Und auch Du schreibst, Du hättest das Netz gerne genutzt, um andere Strömungen kennenzulernen – andere Strömungen des Feminismus. Ist das nicht von vornherein eine Einschränkung? Feminismus ja, aber bitte nichts Nicht-Feministisches? Wohl nirgends beobachte ich diese Abrenzung gegenüber anderen Einstellungen so sehr wie bei den Feministinnen im Netz.
    Ich zähle ich übrigens nicht zu den Feminstinnen, bin und bleibe aber eine treue Leserin Deiner Texte.

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  22. Ich hatte das schon so verstanden, dass es dir um das Web 2.0 geht. Was ich meinte: Auch in Foren wurde und wird bis heute diskutiert und Kontakte geschlossen. Nur diese Communities waren schon immer segregiert – in vielen Aspekten macht sie das bis heute so angenehm.

    (Für mich war FB im Wesentlichen eine Erweiterung des ‚echten Lebens‘ und viel weniger Internet, als Message Boards und co., aber vielleicht ist das Geschmackssache.)

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  23. @Pyrolim schreibt: 5. August 2014 um 17:57
    „Nicht die Möglichkeit, andere Meinungen und andere Zirkel zu finden, reduziert sich, sondern die Bereitschaft, sich auf andere Standpunkte einzulassen, auch wenn man sie kritisch sieht.“
    und:
    „Die User und Communitys sind dagegen mehr denn je dabei, sich abzugrenzen, Gräben zu schaufeln, andere niederzumachen oder als Trolle abzuqualifizieren. Da sortiert sich nichts, da wird sortiert. Szeneübergreifende Kontakte? Bloß nicht.“

    @Pyrolim, du sprichst mir aus dem Herzen. Besonders deine Frage nach „szeneübergreifende Kontakte“ und Gespräche sind die eigentliche Basis zum einen für TOLERANZ, die wir alle vorgeben, notfalls einklagen zu wollen (oder was wollen Feme sonst???), und zum anderen für die richtige Wahl und Plazierung eigener Argumente, was nur geht, wenn ich geübt und sachlich im Bilde bin, wie die Gegenargumente aussehen und gehändelt werden …
    Denke, es lohnt sich, darüber nachzudenken, tief und engagiert.
    Wer das nicht will oder nicht fertig bringt, die sachliche neugierige übergreifende Auseinandersetzung, taugt auch nicht zur Vertretung bzw. Durchsetzung eigener (Toleranz-?)Ideen, woher sollte er das sonst bekommen?

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  24. Neben der vielfach hier beschriebenen Tendenz, sich in Mini-Bubbles von Gleichgesinnten zurück zu ziehen und alles andere auszuschließen (=ja, besonders beim „Netzfeminismus“ verbreitet, aber nicht nur da) sehe ich auch den traurigen Trend in Richtung bloßen Konsumierens.

    Wenn – wie etwa gestern – ein Blogartikel von mir dreimal soviele Besucher wie sonst bekommt, bringt das in aller Regel nicht einen einzigen Kommentar einer „neuen“ Person.

    Aber das gilt auch für Bloggende selbst: da beschweren sich manche über keine/zu wenige Kommentare – und wenn ich dann hinsurfe und sehr substanziell eine gute „halbe Seite“ oder gar mehr dazu schreibe, kommt nichts zurück. Kommentare sind bei solchen Blogs einfach wie „Likes“, die man sammelt und sich ans Revers heftet – nicht etwa Einstiege in Gespräche über das Artikelthema (wie es bei Dir hier so wunderbar funktioniert!).

    Im Netz bin ich seit 1996 und erlebte da auch diesen Niedergang von anfänglicher Offenheit für nahezu jeden hin zu Selbstbestätigungsrunden einerseits und immer aggressiver werdenden „Massendiskussionen“ auf FB und G+ andrerseits. Twitter kann ich noch immer schlecht einschätzen, da ich das zu chaotisch nutze: als Infoschleuder und Quelle, aber auch zur Beobachtung von Gruppenprozessen und gelegentlich für spontane Dialoge mit „irgendwem“.
    Da gerate ich oft völlig ohne Absicht mir „irgendwem“ aneinander, weil ich per 140 Zeichen gar nicht verstehe, was das Gegenüber eigentlich meint, bzw. in welchem Kontext der Tweet zu verstehen wäre.

    Andrerseits ist es so auch das „letzte Medium“, das mich noch in intensiveren Kontakt mit Fremden bringt, was mich manchmal staunen lässt: Heute Nacht hatte ich z.B. eine ernsthafte (!) Diskussion mit männlichen Wesen, die – aus eigener Betroffenheit – einer Frau das Recht auf Abtreitung absprechen wollten. Ich wusste gar nicht, dass es sowas 2014 noch gibt – und nehme es als Anlass, demnächst darüber zu bloggen.

    „Back to normal“ wie du es beschreibst, ist für mich jedenfalls ein Verlust. Da beisst die Maus keinen Faden ab…

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  25. @Claudia – Über den Zusammenhang zwischen Blogaufrufen und Kommentaren wundere ich mich auch schon lange, aber jedenfalls gibt es keine Parallelität im Anstieg. Sondern bei manchen Themen wird sofort loskommentiert, bei anderen nicht. Ich glaube, es liegt auch am Charakter des Themas, ist es etwas, wozu man ohne großes Vorwissen eine Meinung haben kann (Frauen- und Männerbratwürste) oder ein Thema, zu dem viele der Mitlesenden schon eine Meinung haben (Sexismus, Piraten), oder ist es ein neuer Gedanke oder eine bisher für viele unbekannte Perspektive. Dazu wird dann wenig kommentiert, aber das finde ich eigentlich gar nicht schlimm, ich bilde mir dann ein, ich hätte die Leute zum Nachdenken gebracht, aber das kann natürlich auch Wunschtraum sein :))

    Deinen Wunsch nach Kommentaren habe ich übrigens gestern mitbekommen, aber ich war den ganzen Tag unterwegs, sodass ich deinen Text noch nicht mal lesen konnte bisher…

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  26. @Claudia Was die Blogkommentare angeht, so setzt sich das fort: Ich erlebe oft, dass ich einen Kommentar bekomme, ihn beantworte, und dann . . . nichts mehr. Mancher Kommentator kommt offenbar nie zum Blog zurück oder nutzt nicht die Nachrichten-Funktion für weitere Kommentare. Oft reißt die Kommunikation also sehr schnell ab. So jedenfalls meine Erfahrung.
    @Michaela Danke für Deine Zustimmung. Ja, nur wer offen und neugierig ist, kann sich neue Horizonte öffnen, in dem er zuhört und nicht gleich abblockt, auch wenn ihm – oder ihr – mal etwas nicht passt. Im Übrigen ist es mit anderen Sichtweisen wie mit dem halbvollen und dem halbleeren Glas. Ich kann das Gute darin sehen oder wenigstens das Interessante oder Bedenkenswerte, ich kann aber auch gezielt danach suchen, womit mich der andere beleidigt haben könnte oder was ich als Angriff sehe oder sehen will. So kann Toleranz nie funktionieren.

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  27. Es gab Zeiten, als ich noch aktiver im Netz war als jetzt, vor allem, als ich noch mehr im Fandom aktiv war. Dort entspannen sich manchmal sehr heftige Diskussionen, die über hundert Kommentare lang waren, meistens zwischen mir und einer anderen Frau geführt wurden und bei denen ich hoffte, dass noch ein paar andere Leute sie lasen, weil ich genau wusste, dass ich die andere Frau nicht überzeugen kann, sondern sie bestenfalls argumentativ in die Enge treiben kann. (Ich weiß, es ist natürlich schöner, wenn man sich gegenseitig inspiriert und voneinander lernt, aber es gibt auch Positionen, da kann ich nur widersprechen.) Irgendwann merkte ich, dass ich mit meiner Zeit und meinen Kräften besser haushalten muss. Das ist ein Grund, weswegen ich Kommentare meistens einmal beantworte und den nächsten Kommentar dann nicht mehr und warum ich manchmal froh bin, keine Kommentare zu beantworten.

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  28. @Pyrolim schreibt: 6. August 2014 um 13:55
    “ Im Übrigen ist es mit anderen Sichtweisen wie mit dem halbvollen und dem halbleeren Glas. Ich kann das Gute darin sehen oder wenigstens das Interessante oder Bedenkenswerte, ich kann aber auch gezielt danach suchen, womit mich der andere beleidigt haben könnte oder was ich als Angriff sehe oder sehen will. So kann Toleranz nie funktionieren“
    Wieso eigentlich nicht?
    Wer gezielt danach sucht, womit er beleidigt worden sein könnte, ist doch schon wieder draußen, hat sich damit doch schon vom Thema verabschiedet und anderes im Sinn, warum auch immer.
    Ich würde sagen, mit der Beleidigung ist das wie mit der Würde:
    Als mal ein junges Mädel bei mir vorbeischaute und unter bitterlichem Weinen erzählte, ein vormaliger Freund hätte ihr „ihre Würde genommen“, mußt ich ihr sagen, daß das nicht so ist, daß das gar nicht geht, denn Würde kann man nicht „nehmen“, die ist kein „Greifbares“, Würde kann man nur selber VERSCHENKEN, und da sie mir bestätigte, daß sie dies nicht tat, wußte sie, daß sie ihre Würde behalten hatte.
    Nun das so mit der Beleidigung: Dazu gehören immer zwei, einer der es möchte oder tut, und einer der gemeint ist und das erkennt – oder eben nicht – erkennt, weil er sich nicht als beleigungsfähig einschätzt.
    Mag etwas intellektuelles Zeug sein, aber das ist das andere Wortspiel vom „normal werdenden Internet“ (was ich bestreite im hier immer wieder servierten Kontext) auch nur, denn immerhin dürfte deutlich sein, daß wir ein Gespräch hatten, wäührend manch andereR nur etwas gesagt hat.
    Meinen Horizont muß ich schon selber öffnen, da interessiert e mich die Bohne, ob mich dabei eventuell vielleicht jemand mit einer ganz gerissenen Wortschöpfung oder -Wendung beleidigen möchte. Und das mit dem halbvollen Glas (oder halbleer) ist aus „meiner Sicht“ keine „Ansichtsfrage“ sondern wohl mehr eine Stanpunktfrage.
    Und während ich für jede andere Ansicht offen bin, bin ich das keinesfalls im gleichen Maße und von vornherein bei der Frage der Standpunkte – Was ich sehe und wo ich stehe halte ich gern auseinander und unterscheidbar, damit es nicht ausversehen verwechselt wird und damit nur noch Nurkonsumieren zuläßt.
    Nun gut:L Ja, das Internet „wird normal“: Die Gesprächsbereiten finden schneller zueinander, und die, die es nicht sind, freuen sich über die nun im Netz eingerichteten Wärmestuben.

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  29. Meinst Du nicht (@Antje) dass es schlicht und einfach ganz typische Abnutzungs,-und Gewöhnungserscheinungen sind, die Du da schilderst?
    Dass man sich nach der dreihundertsiebenundzwanzigsten Debatte und dem fünfundneunzigsten Kommentar-Schlagabtausch auch mal irgendwann fragt, ob das alles noch so Laune macht…das liegt m.Mng. aber nicht an „dem Internet“ sondern an uns, die wir da dauernd reinschreien und denken es könnte vielleicht jemanden interssieren…und manchmal, ping, da interessiert’s auch und man kloppt sich verbal oder schlägt sich geegnseitig auf die Schultern, weil man sich so schön „empowert“ (ohne dieses Internet würde ich dieses Wort gar nicht kennen)…
    „mein“ Internet ist doch so, wie ich es mir mache.
    Wenn Du die Blogs aus Deinem Feedreader wirfst, weil es nach einer Weile einfach klar ist, dass man eben keine Überschneidungen oder überhaupt interessante Sachen dort findet (und auch keinen Bock mehr auf Auseinandersetzung an eben dieser Stelle hat, weil es manchmal ja wirklich nix bringt ausser Stresspusteln), dann ist das doch nix anderes als wenn Du gelegentlich Deine Bücher ausmistest oder Du merkst, dass alte Verbindungen doch nicht mehr so tragen wie sie es mal taten und es löst sich langsam auf…
    Aber anderes formiert sich neu, warum sollte das im Internet anders ablaufen als im „“reallife““?
    Blogs löschen oder Kontakte entfolgen (aufräumen?), das ist doch wie Ballast abwerfen – und das macht wieder Platz für neues, Blogs, Gedanken, Austausch…

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  30. @Sternenguckerin – Ja, das was jetzt passiert, ist normal und genauso wie im Reallife, und vielleicht kann es auf Dauer auch gar nicht anders sein. Ich bilde mir aber ein, dass es vor fünf Jahren anders war. So wie wenn man plötzlich auf einer kleinen Insel ist und da sind nur fünf Bücher. Die wird man alle lesen, ganz egal, was drinsteht. So in der Art .)

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  31. @claudiafhain:
    Abtreibung: Zumindest in Deutschland gibt es kein „Recht auf Auftreibung“.

    Zur Erinnerung:
    § 218 StGB
    „Schwangerschaftsabbruch

    (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.

    (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
    1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder
    2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.

    (3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

    (4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.“

    §218a erläutert, wann Abtreibung straffrei bleibt.
    Straffrei heißt aber nicht, dass es ein Recht darauf gibt, sondern dass es das Recht eben nicht gibt, dass die Tat aber trotzdem nicht bestraft wird.

    Generell ist man ja z.B. der Meinung, dass die kath. Kirche „dagegen“ ist und die ev. Kirche „dafür“. Richtig ist aber, dass beide Kirchen „dagegen“ sind. Wobei die ev. Kirche hinter der rechtlichen Regelung steht und darin den besten Weg sieht, Betroffenen zur Seite zu stehen.

    So ist nun mal auch 2014 noch die Rechtslage, an der sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern wird.

    Sorry, das war hier nicht Thema und sollte vielleicht besser in Deinem Blog diskutiert werden. Sag mal bitte Bescheid, wenn der angedachte Beitrag online ist.

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  32. @Pyrolim: „Nicht die Möglichkeit, andere Meinungen zu finden,…reduziert sich“ – ich verstehe diesen Blogpost so nicht. Sondern es geht aus meiner Sicht vielmehr darum, dass es mehr geworden ist. Keine Reduktion von Meinungen, sondern eine Vermehrung- von Leuten, die zu Themen schreiben, die einen interessieren – und v.a. vorwärtsbringen. Dadurch sinkt die Bereitschaft, sich auf anderes, was einen aus eigener Sicht nicht voranbringt, einzulassen. Es kostet schließlich Lebenszeit.

    Es geht ja, so wie ich Antje verstehe, nicht um irgendwelche Meinungen zu Thema XY, sondern es geht um fruchtbare Debatten zu bestimmten Themen (siehe Kategorienliste). Es geht um ein Vorwärtsdrängen/-gehen. Und es geht in dem Artikel um Beziehungen, die sich aus und durch die Debatten ergeben (könnten) – im realen Leben. Nur wenn sich das inzwischen verquickt hat – und man darüberhinaus sowieso schon viele Leute kennt – dann, und da würde ich denken, spielen auch Alter und Lebenserfahrung eine Rolle – will eine nicht mehr jede/n treffen.

    Und, btw: was soll jemand, die sich mit Gedanken zu einer postpatriachalen Ordnung beschäftigt – und das lebt (soweit ich das einschätzen kann), mit einer Haltung, die nicht feministisch ist – und das ablehnt. Nicht mal Genderschreibweise ist für dich ein Thema. Und sexuelle Vielfalt – da bist du es, die gerne, zumindest sprachlich, Grenzen festlegt (habe mal ein wenig von dir gelesen).

    „Ihr Journalisten“ könnt das ja so machen, aber es muss eine ja nicht interessieren. Ich denke, ihr Journalisten seid da im Verzug und habt Nachholbedarf. Nicht umgekehrt.

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  33. @Antje:

    “ …So wie wenn man plötzlich auf einer kleinen Insel ist und da sind nur fünf Bücher. Die wird man alle lesen, ganz egal, was drinsteht. So in der Art .) “

    Das klingt aber jetzt doch sehr nach Filterbubble 🙂

    Der Unterschied zur kleinen Insel mit nur fünf Büchern ist ja nun mal der, dass Du in den Netzwerken vor lauter Möglichkeiten und Vielfalt gar nicht weisst wo Du anfangen sollst 🙂

    Bei mir gibt’s immer Phasen wo mich ein Thema packt, dann hänge ich mich rein und suche allles aus allen Richtungen und diskutiere auch mal, wenn ich mir einbilde ich könnte wahlweise was lernen oder (sehr viel seltener) etwas korrigieren oder (m)eine Sichtweise oder Erfahrung einbringen.
    Die Intensivste Netz-Erfahrung war die Recherche und dann auch Diskussionen rund um meine esoterisch-anthroposophische Schulzeit und die damit verbundene Prägung, die ich komplett auf den Kopf gestellt und hinterfragt und letztlich auch abgelegt habe, soweit mir das möglich war und ist.
    Als ich meine Netz-Aktivitäten und Recherchen zu dem Thema begonnen habe, sass ich noch kuschelig rosa-verpackt in meiner Filterbubble und habe erst im Netz gelernt, dass mein Skeptizismus, den ich mir einbildete zu besitzen, in Wirklichkeit keiner war sondern indoktrinierte Weltanschauung.
    Das war nicht so einfach, weil mir ausserdem im „reallife“ von etlichen alten Bekannten kräftiger Gegenwind entgegen kam, als ich anfing, alles mögliche zu hinterfragen und auch zu kritisieren. Da durfte ich mir dann gerne mal anhören, wie schlimm ja dieses Internet ist, man sähe ja wie es mich beeinflusst usw. … Dass die Anthr.selbst sehr geschickt und effektiv im Netz agieren wird dabei geflissentlich übersehen 🙂
    Das soll hier allerdings kein Anthro-Bashing werden, alles liebe Menschen und meine ältesten Freundschaften stammen aus dieser Zeit. Ausserdem findet sowas ja überall statt, nicht nur bei den Waldis.
    Aber seit ich begonnen habe, offen Kritik zu üben oder meine Zweifel zu äussern, habe ich durch die teilweise knallharten und agressiven Reaktionen (im Netz aber auch ausserhalb) begriffen, wie eng diese Welt ist (ich korrigiere: sein kann) , und dass ich es mir lange gar nicht erlaubt habe, mal über den Tellerrand zu schauen.
    Insofern finde ich das Filterbubble-Phänomen durchaus sehr zutreffend, man merkt nur selbst manchmal gar nicht, wie rasch die Welt um einen herum wieder klein und eng wird, wenn man es nicht permanent hinterfragt.
    Was natürlich anstrengend und nicht so flauschig ist 🙂

    Insofern schätze ich, man verliert in den sozialen Medien und im Netz nur etwas, wenn man sich das selbst so „bastelt“.
    Dass man sich aber auch mal positioniert und Kontakte, Diskussionen oder Themen beendet oder verlässt, weil es einfach nicht weiter geht oder ein Punkt erreicht ist, wo es anfängt zur Belastung zu werden (das ist mir z. B. so ergangen), ja, dann zieht man sich eben auch mal wieder zurück dorthin, wo es warm und kuschelig ist…bis es wieder langweilig wird und man von der Insel mit den fünf Büchern runter muss:-)

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  34. @onlinemeier schreibt: 7. August 2014 um 09:05
    „Keine Reduktion von Meinungen, sondern eine Vermehrung- von Leuten, die zu Themen schreiben, die einen interessieren – und v.a. vorwärtsbringen. Dadurch sinkt die Bereitschaft, sich auf anderes, was einen aus eigener Sicht nicht voranbringt, einzulassen. Es kostet schließlich Lebenszeit.“
    Ja, so würde ich das unterstreichen, bernie ecclestone fand wohl diesen Aspekt „Lebenszeit“ / „Nichtvoranbringendes“ sogar so wichtig, daß ihm das viele Millionen wert war.
    Bis auf eine Kleinigkeit:
    „Es geht um ein Vorwärtsdrängen/-gehen.“ – Wer weiß denn schon vorher genau, was bzw. wo „vorwärts“ ist?
    Außerdem soll es im richtigen Leben vorkommen, daß sich „vorn“ auch mal völlig ändert.

    Daher würde ich hier nicht die indifferenten Klisches „vorwärts“ und „rückwärts“ nutzen, sondern auf „Bewegung“ orientieren, auf geistige / gedankliche, weil erst effektiv Offenheit ermöglicht, und „vorwärts“ schon wieder eine nicht abschätzbare bzw. auf deren tatsächliche Berechtigung vorab unklassifizierbare Begrenzung ist.

    Weiter meints du:
    „Und, btw: was soll jemand, die sich mit Gedanken zu einer postpatriachalen Ordnung beschäftigt – und das lebt (soweit ich das einschätzen kann), mit einer Haltung, die nicht feministisch ist – und das ablehnt.“
    Diese Feststellung kann ich zwar nicht beurteilen, aber andererseits verstehe ich auch deren Notwendigkeit nicht ganz:
    Ich bin schon zufrieden, wenn sich mit postpatriarchialer Ordnung beschäftigt wird, das ist die Bewegung, die erforderlich ist und „weiter“ (ob „vorwärts“ wird sich zeigen) bringt, weil diese so nicht als Thema oder als Feminismus sondern als zu bearbeitendes Problem in den Fokus gestellt wird.

    Ach ja, es soll außer dem Feminismus auch noch andere interessierte und brauchbare „postpatriarchale Ordnungen“ geben, wieso also eventuell fehlende feministische Fahnen gleich als Mangel klassifizieren?

    Denn eines dürfte feststehen:
    Wenn der Feminismus allein stark genug wäre, eine taugliche und fröhlich lebbare postpatriarchale Ordnung zu schaffen, dann hätten wir sie längst, will sagen, da werden wohl nicht nur ein sondern ein paar weitere Verbündete gebraucht.
    Und potentielle Verbündete begrüßt man in der Regel freundlich in der Runde.
    Dies nicht so zu erkennen, kann Feminismus zur beschränkten und beschränkenden Angelegenheit werden lassen, oder er reduziert sich selbst vor der Gesellschaft auf den reinen Austausch der patriarchalen gegen eine ebenso beengte matriarchale Ordnung mit gleichen Mängeln umgekehrter Poligkeit.

    Und last not least:
    Wer „etwas nicht lebt“ bekundet damit nicht, daß er das „ablehnt“, das wäre klein klein in schwarz-weiß, und unsere Welt ist doch so bunt, weshalb auch das Internet davon (von der gleichen bunten Gesellschaft) gerprägt wird, und da weder durch „Normalisierung“ noch durch anderes Bewegungen „etwas verloren geht“, wie halt ich das mal so sehe.
    Daraus ergäbe sich natürlich eine völlig andere Bewertung, wer wo „in Verzug“ sei und wer warum „Nachholebedarf“ haben könnte, was damit auch mit der fröhlichen pauschalisierten Zuweisung auf „ihr Journalisten“ weder er- noch klärbar ist.

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  35. @onlinemeier @Michaela Nur ganz kurz und auf die Schnelle: Weil jemand etwas nicht schreibt – wie wir Journalisten – heißt noch lange nicht, dass er oder sie es nicht lebt. Das der Art der Texte – nicht dem Inhalt – zu schließen, ist schon sehr gewagt. Sprache allein macht noch keine Haltung. Da das Thema sehr komplex ist, werde ich mich dazu später noch ausführlich äußern. Jetzt reicht die Zeit nicht dafür.

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  36. @Pyrolim schreibt: 7. August 2014 um 14:14
    Eigentlich dachte ich, genau das zum Ausdruck gebracht zu haben, so sehe ich das natürlich.
    Lediglich mein Rückstand gegenüber @onlinemeier („… habe einiges von Ihnen gelesen …“) bewog mich zur Zurückhaltung von Schlußfolgerungen.
    Es ist gut möglich, daß auf diese Weise das hier wegen des kürzesten Denkweges dabei so gesehen wird.
    Das ist der berühmte Unterschied zwischen einem Metzger und einem Chirurgen: Der eine „zerteilt“ in dies und das, der andere „seziert“ etwas genauer zwecks Wiederverwendung, oder auch die rechts-links Methode: Bist du nicht links, kannst du nur rechts sein, da die große Palette dazwischen nicht für möglich erachtet wird, da nicht geübt, nicht gewohnt oder nur so eingeübt.
    Das kommt sicher schon mal vor, ist wohl aber nicht zu verwechseln mit dem „Normalwerden des Internets“.

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