„Jede macht was sie will“ ist noch nicht alles

In den letzten Tagen habe ich nur eher nebenbei Diskussionen auf Twitter unter dem Hasthag #EMMAistfuermich mitverfolgt – für alle, die nicht bei Twitter sind: Unter diesem Schlagwort hat die Zeitschrift Emma Leserinnen aufgefordert, etwas Positives über Emma zu schreiben, aber recht schnell wurde dabei vor allem Kritik geäußert.

Unter den kritischen Tweets ist mir vor allem ein Tenor aufgefallen, den ich anfangs gut fand, zu dem mir im Lauf der Zeit aber dann doch Bedenken kamen: nämlich die Kritik an feministischem Paternalismus und „Eine gute Feministin ist so und so“, verbunden mit dem Plädoyer für die individuelle Freiheit jeder Frau, sich und ihren Feminismus so oder so zu definieren, wie sie eben will.

Es stimmt: An EMMA war schon immer problematisch, dass Alice Schwarzer sehr klar definiert, was ihrer Ansicht nach feministisch ist und was nicht, und dass sie Frauen mit anderen Ansichten als quasi vom Patriarchat gekauft diffamiert anstatt sie einer ernsthaften Auseinandersetzung würdig zu erweisen.

Aber die Haltung „Soll halt jede machen und meinen was sie will“ ist nicht das Ziel feministischer Politik, sondern lediglich ihr Anfang.

Ihr Anfang deshalb, weil die Vorstellung, dass Frauen machen, was sie wollen – und nicht, was sie nach Ansicht von Männern oder aufgrund der Natur oder laut dem Willen Gottes tun sollen – tatsächlich die symbolische Revolution ist, die der Feminismus gebracht hat. Weibliche Souveränität und weibliche Subjektivität war in Zeiten vor der Frauenbewegung nicht vorgesehen, nicht einmal denkbar. Frauen, die damals (was natürlich vorkam) souverän waren und ihren Subjektstatus behaupteten, taten das der herrschenden symbolischen Ordnung zufolge obwohl sie Frauen waren, markierten also sozusagen die Ausnahme, die die Regel bestätigte.

Heute nicht mehr. Dass Frauen als souveräne Subjekte und Individuen gelten und nicht als Repräsentantinnen ihres Geschlechts, dass sie also für ihr Handeln keine anderen Begründungen brauchen als „Weil ich das so will“, wird von immer mehr Frauen eingefordert, und zwar – wie die aktuelle Debatte zeigt – auch gegen einen „paternalistischen“ Feminismus, der zwar die Inhalte dessen, was Frauen sollen, verändert hat, aber eben nicht die Struktur des Arguments, wonach Frauen eben doch irgendetwas sollen, nur eben was anderes als das Patriarchat sagt.

Aber dieses Verständnis von Frausein hat sich noch nicht überall durchgesetzt, sitzt noch etwas unsicher im Sattel. Nicht nur die Emma ist dieser alten symbolischen Ordnung noch verhaftet, wonach Frauen eine spezielle Kategorie Menschsein mit gemeinsamen Interessen, Ansichten, Erfordernissen sind, die sich objektiv – also ohne konkrete weibliche Subjekte dazu befragen zu müssen – deduzieren lassen. Die alte Ordnung zeigt sich auch weiterhin in Form von gesellschaftlichen Ansprüchen an Frauen, sich irgendwie für die Allgemeinheit nützlich zu machen (sie sollen Kinder kriegen, sie sollen ihre Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen und so weiter). Und auch in anderen feministischen Diskursen ist diese Rhetorik noch vorzufinden, zum Beispiel in dem Argument, mehr Frauen in Führungspositionen seien gut für den Unternehmenserfolg. Das Argument „Ich will mehr Frauen in Entscheidungspositionen“ scheint für sich genommen („Weil ich das will“) noch nicht ausreichend legitimiert, es muss noch eine Begründung dazu, die die Nützlichkeit dieses weiblichen Wollens für die Allgemeinheit beweist.

Insofern ist es gut, wenn Frauen ihre Souveränität und Subjektivität gegen sämtliche Sollens-Ansprüche behaupten, egal von wem sie kommen. Ja, jede soll machen, was sie will. Frauen können sich nicht gegenseitig repräsentieren und vertreten, weil sie Unterschiedliches wollen und sind, und weil sich aus der Tatsache ihres Frauseins keine Normen und Ansprüche an eine einzelne Frau ableiten lassen: Das ist der Kern der weiblichen Freiheit.

Aber, wie gesagt, damit fängt der Feminismus erst an. Weibliche Souveränität ist nicht der Zweck, dem der Feminismus dient, sondern die Vorbedingung dafür, dass es eine feministische Bewegung überhaupt geben kann als politische Bewegung. Die Haltung des „Ich tue das, was ich will“ ist der Ausgangspunkt für eine Politik der Frauen, nicht ihr Ziel. Ihr Ziel ist die Gestaltung der Welt.

Zur Politik und zur Weltgestaltung aber gehört der Austausch über unterschiedliche Ansichten, Differenzen und Meinungen zwingend dazu. Also konkret: Freie und souveräne weibliche Subjekte reden miteinander, sie streiten, sie argumentieren, sie teilen Erfahrungen, bringen Argumente, versuchen die andere zu überzeugen und lernen von der anderen.

Es ist deshalb auch (und gerade) unter den Bedingungen weiblicher Freiheit notwendig und sogar wünschenswert, dass Frauen sich gegenseitig kritisieren, dass sie aussprechen, wenn sie die Lebensentwürfe und Ansichten anderer Frauen problematisch oder rundheraus falsch finden, ja, dass sie Urteile fällen, auch über das Handeln anderer. Wenn dieser Austausch auf der Ebene der Begegnung zweier freier Subjekte stattfindet, ist Kritik nicht paternalistisch oder bevormundend, sondern schlicht und einfach ganz normale politische Debatte.

Aber weil wir uns momentan in einer Übergangszeit befinden, in der freie weibliche Subjektivität zwar schon vorhanden ist, aber noch nicht selbstverständlich, sondern immer wieder auch gefährdet ist, geschieht es oft, dass die Szenarien verwechselt werden. Wenn eine Frau das Handeln einer anderen beurteilt – zum Beispiel sagt: Ich finde es nicht richtig, was du machst – dann kann das in der alten Ordnung als Bevormundung gelesen werden, während es in der neuen Ordnung eine politische Auseinandersetzung ist. Zu sagen „Ich finde es nicht richtig, was du machst“, wird in der alten Ordnung übersetzt mit „Du darfst das nicht machen, du sollst etwas anderes machen.“ In der neuen Ordnung bedeutet es aber: „Es gibt einen Konflikt zwischen dir und mir in Bezug darauf, wie wir die gemeinsame Welt gestalten.“

Dass Menschen darüber streiten, wie die Welt sein soll, welche ethischen Maßstäbe gelten sollen, welche Übereinkünfte sie treffen, welche Handlungsweisen akzeptabel sind und welche nicht, ist Bestandteil jeder Kultur. Es gibt keine Kultur, in der alle alles machen dürfen. Eine Welt, in der sich über solche Themen nicht ausgetauscht würde, in der Menschen also nicht ihr jeweiliges Handeln gegenseitig beurteilen, wäre eine diktatorische Welt.

Deshalb kann weibliche Subjektivität und Souveränität sich nicht damit begnügen, ihre eigene Anerkennung einzuklagen. Sondern sobald sie existiert, ist ihr Urteil über die Welt gefordert, und damit wird sie unweigerlich in Konflikt mit anderen weiblichen Subjekten geraten.

Denn worum es dem Feminismus geht ist nicht das Verhältnis von Frauen und Männern (oder sonstigen Genders). Der Kern des Feminismus ist das Verhältnis der Frauen zur Welt.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

34 Gedanken zu “„Jede macht was sie will“ ist noch nicht alles

  1. An Antje Schrupp!
    „Der Kern des Feminismus ist das Verhältnis der Frauen zur Welt.“
    Vielleicht könnten Sie mal erklären, was Sie exakt damit meinen.

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  2. Zu sagen „Ich finde es nicht richtig, was du machst“, wird in der alten Ordnung übersetzt mit „Du darfst das nicht machen, du sollst etwas anderes machen.“ In der neuen Ordnung bedeutet es aber: „Es gibt einen Konflikt zwischen dir und mir in Bezug darauf, wie wir die gemeinsame Welt gestalten.“

    Hat das wirklich etwas mit alter oder neuer Ordnung zu tun oder etwas damit, wie wir unsere Beziehung sehen, und zwar von beiden Seiten? Fühlt Alice Schwarzer sich als die Übermutter, die Frauen sagen kann, was sie tun und lassen dürfen? Und wird sie von Frauen als eine solche (Möchtegern-)Übermutter angesehen? Wenn dies der Fall ist, dann fürchte ich, geht es tatsächlich erst mal um Beziehungsklärung. Wenn Alice Schwarzer nicht mehr die (Möchtegern-)Übermutter ist, kann man darüber diskutieren, was man von dem hält, was sie sagt, nach dem Motto „das und das findet sie gut mit den und den Argumenten, und ich finde es nicht gut, weil ihre Argumente falsch sind und weil ich gute Gegenargumente habe“ statt „sie schreibt uns vor, was wir denken sollen!“

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  3. @susanna14 – Ja, da hast du völlig recht, man kann auch Schwarzers Interventionen einfach „Auf Augenhöhe“ lesen, also als Differenz. Es kommt nur dann nicht zu einem weiteren Austausch, weil sie keine Argumente zulässt auf Seiten derer, die ihrer Ansicht nach „falsch“ liegen. Das sieht man ja auch wieder an der ätzend-polemischen Art und Weise, wie in Emma auf diese Twitterdiskussionen reagiert wurde (http://www.emma.de/artikel/emmaistfuermich-318013), wo sie sich mal wieder als Opfer stilisieren. Aber das ist typisch – nicht nur für Emma, sondern für eine bestimmte Art „feministischer“, oder auch generell „Linker“ Debatten, wo andere Ansichten gleichgesetzt werden mit „Im Bett mit dem Klassenfeind“. Insofern ist diese Emma-Reaktion geradezu Schulbuchmäßig, aber gut. Vom Prinzip her hast du recht, wir müssen das Spiel ja nicht mitspielen und können Emma_Schwarzer einfach als das sehen, was sie ist: Eine mit einer anderen Meinung.

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  4. „Fühlt Alice Schwarzer sich als die Übermutter, die Frauen sagen kann, was sie tun und lassen dürfen?“

    Mal davon abgesehen, wie Frau Schwarzer sich fühlt. Das wissen wir nicht und es steht auch nicht zur Debatte.

    Welche aktuelle feministische Gruppierung sagt Frauen nicht, was sie tun und lassen sollen?
    Beispielsweise Mädchenmannschaft & Co. sagen (nicht nur) Frauen wie sie zu reden und zu schreiben haben wenn sie feministisch, links, queer und „zugehörig“ sein wollen. Sie definieren das „Geschlecht“ gemäß ihren Ansichten, also wer überhaupt „Frau“ ist.
    Sie wollen Identitäten, Meinungsäußerungen, Verhaltensweisen und Moral reglementieren.

    Das ist auch ganz normal, alle politischen Strömungen wollen auf die Gesellschaft einwirken, um ihre Ziele und Werte durchzusetzen.

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  5. @HorstSabine – Eine Meinung zu vertreten ist nicht dasselbe, wie andere regulieren zu wollen. Wer eine Meinung, ein Urteil vertritt, will andere überzeugen, das ist was anderes als regulieren. Und das ist es auch, wonach ich den Wert einer politischen Strömung bestimmen würde: Will sie andere überzeugen, oder will sie etwas „durchsetzen“, auch gegen den Willen anderer.

    Es ist allerdings epidemisch, dass Feministinnen, die ihre Meinung vertreten, unterstellt wird, dass sie diese Meinung allen anderen aufdrücken wollten. Das ist auch eine Folge dieser langen Tradition, über die ich in meinem Blogpost ja schrieb, dass ein Frau, die ihre subjektiven Ansichten vertritt, die sich für das einsetzt, was sie will, in der symbolischen Ordnung nicht vorgesehen war.

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  6. Ich tue mich mit der Emma und speziell Alice Schwarzer auch extrem schwer. Einerseits sehe ich die „historischen“ Verdienste und die Gefahr, bei Kritk mit den falschen Leuten (im schlimmsten Fall Jörg Kachelmann) ein Bündnis einzugehen. Andererseits finde ich Schwarzer (und, was ja kein Zufall ist, Emma würde ich gleichsetzen) politisch inakzeptabel. Deinen Erklärungsansatz mit der alten und neuen Ordnung finde ich schon mal ein ganz gutes Instrument (Natürlich müssen auch „weiße“ Frauen Kritik an der Selbstrepräsentation der „schwarzen“ Frau Beyoncé oder wem auch immer üben können, es kommt halt drauf an, wie), würde doch aber sagen, Emma ist noch zu hunderprozent in der alten Ordnung verhaftet. Ich finde auch, dass eine intersektionale Betrachtung aufschlussreich ist: Emma ist das Blatt der weißen, (klein)bürgerlichen (je nachdem, wie mensch es definiert, auch konservativen) Frau. Das ist jetzt auch keine originelle, neue Entdeckung, aber der meiner Meinung nach häufig sehr offensichtliche Rassismus von Frau Schwarzer macht mich einfach unglaublich wütend.

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  7. @Antje
    Habe mir jetzt endlich den Artikel durchgelesen und bin gleich hängengeblieben, als behauptet wurde, man versuche, EMMA den Mund zu verbieten. Ich glaube, das ist weder links noch feministisch, sondern typisch deutsch. Ich fühle mich vor allem an Martin Walsers Paulskirchenrede erinnert, der vor Kühnheit zitternd das Holocaustmahnmal eine Schande nannte. Das Muster ist immer das gleiche: Man sagt etwas, was Kritik hervorruft – manchmal weiß man schon vorher, dass es Kritik hervorrufen wird – und dann behauptet man, die Kritik sei ein Versuch, einem den Mund zu verbieten. Bei Walser war es etwas anders, weil er tatsächlich viel Unterstützung bekam („endlich mal einer, der sich zu sagen traut, was viele denken“) – aber ich glaube, dieses Phänomen ist typisch für Diskussionen über die NS-Zeit, bei denen es tatsächlich viele gefühlte Tabus gibt. Alice Schwarzer bekam keine Zustimmung à la „endlich sagt es eine“, auch wenn sie es sich gewünscht haben mag.

    Ich fürchte, hierzulande haben viele noch nicht begriffen, dass Meinungsfreiheit auch bedeutet, dass man für das, was man sagt, kritisiert werden darf, und dass das nicht gleichbedeutend mit Zensur ist. Andererseits habe ich in englischsprachigen Kontexten manchmal ähnliches erlebt.

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  8. Meine Freiheit als Frau umfasst aber auch, bestimmte Debatten einfach nicht mehr führen zu wollen. Als ich in den 90ern studierte, wurde mir von der linken Feministinnentruppe quasi vorgeworfen, männerdominiert zu sein, weil ich nicht lesbisch war, eine schöne Verkehrung dessen, wofür LGBT für mich eigentlich stehen sollte. Und nein, ich will als Frau auch und gerade mit Frauen eben nicht darüber streiten (müssen), welche Formen von Sexualität sie akzeptabel finden. völlig Pappe, ob es dabei um gleichgeschlechtliche Liebe, BDSM oder Porno geht (um mal die Themen rauszufischen, bei denen Alice/EMMA nach wie vor meinen die Deutungshoheit zu haben, vorbei am realen Leben und Erleben anderer). Feminismus ist auch, die Debatten nicht wieder und wieder mit Leuten zu führen, die es mit ein bisschen scharfem Nachdenken wirklich besser wissen dürften. Feminismus ist auch, dass mir meine Lebenszeit für den Scheiß einfach zu wertvoll ist.

    Zum Thema Mund verbieten: Die EMMA kann gerne behaupten, was immer ihre Redaktion gerade für relevant hält. Ich habe aber zum Glück die Freiheit, das schlicht zu ignorieren.

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  9. An EMMA war schon immer problematisch, dass Alice Schwarzer sehr klar definiert, was ihrer Ansicht nach feministisch ist und was nicht, und dass sie Frauen mit anderen Ansichten als quasi vom Patriarchat gekauft diffamiert anstatt sie einer ernsthaften Auseinandersetzung würdig zu erweisen.

    Das haben Ideologien so an sich.

    Manche linke Feministin geht ähnlich mit Naturwissenschaftlerinnen um: Wir sind angeblich vom Patriarchat geblendet und verplempern unsere Zeit mit Dingen, die nur sozial konstruiert sind.

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  10. @Irene: Was Sie da bezüglich der Haltung linker Feministinnen bezüglich Naturwissenschaften schreiben halte ich für antifeministische Propaganda. Harald Martenstein bläst zum Beispiel ins selbe Horn. Mir, als linker Feministin sind diese naturwissenschaftsfeindlichen Feministinnen zumindest noch nicht untergekommen. Hätten Sie eine Quelle? Naturwissenschafts- und allgemein wissenschaftkritisches Denken in einem Sinne von „nicht alles als objektiv gegeben hinnehmen“ ist hingegen integraler Bestandteil vieler Denkrichtungen in den Gender Studies. Das finde ich aber auch gut.

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  11. @Horst Sabine:
    „Welche aktuelle feministische Gruppierung sagt Frauen nicht, was sie tun und lassen sollen?
    Beispielsweise Mädchenmannschaft & Co. sagen (nicht nur) Frauen wie sie zu reden und zu schreiben haben wenn sie feministisch, links, queer und “zugehörig” sein wollen. Sie definieren das “Geschlecht” gemäß ihren Ansichten, also wer überhaupt “Frau” ist.
    Sie wollen Identitäten, Meinungsäußerungen, Verhaltensweisen und Moral reglementieren.“

    Wollen sie das wirklich?
    Ich bin mir da nicht so sicher und habe es selbst eigentlich nie so aufgefasst. Allerdings habe ich dort nur gelesen, nicht kommentiert.
    Ich habe vieles bei denen anfangs erstmal überhaupt nicht verstanden, weil mir das ganze so abstrakt und abgehoben erschien (vor allen Dingen sprachlich) und es so weit weg von meiner Alltagswelt schien. Musste ich quasi zur Nachhilfe, kannte ich einfach so nicht.
    Aber ich hatte nie den Eindruck, dass man mich reglementieren wollte/will oder mir eine bestimmte Moral aufdrücken oder sowas.
    Ohne die Mädchenmannschaft hätte ich von den spezifischen Problemen und Interessen verschiedener Gruppen von Menschen nie was gehört – also eine Horizonterweiterung, und es hat mich zu einigem Nachdenken und Lesen und Fragen und sowas animiert.

    Für mich ist EMMA immer schon polemisch aufgetreten, sicherlich auch klar kalkuliert und mit Marketingstrategie, aber ich habe auch hier nie für mich selbst das Gefühl gehabt, „die“ wollen „mir“ irgendwie sagen was und wie Feminismus ist oder was Frauen sollen.
    So viel Autorität habe ich diesem Magazin einfach nie eingeräumt, auch wenn sie sicher prägend waren und sind.
    Aber tatsächlich sind sie heute eben eine unter vielen Positionen, und die Aktion mit dem Hashtag und auch die Reaktion der EMMA auf die kritischen Töne haben vielleicht dazu beigetragen, das Profil von EMMA nochmal zu schärfen, sie haben eben nochmal richtig dick und fett gezeigt, was „sie“ unter Feminismus verstehen – und ich habe einmal mehr gemerkt, dass das nicht „meiner“ ist.

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  12. Ich denke wie bei so vielem kann man auch bei feministischen (Zeit-)Schriften das herausnehmen, was einem bereichert und anderes wegfallen lassen. Es gibt kein Gesetz, dass man mit einer anderen Person oder gar einer weltanschaulichen Strömung bis hin zum letzten Punkt und Komma derselben Meinung sein muss.
    Ich glaube, was das betrifft haben wir Schweizerinnen Euch Deutschen etwas voraus. Denn wir sind es gewohnt, bei einem Thema am selben Strick zu ziehen und ein halbes Jahr später, im nächsten Abstimmungskampf, wieder auf gegnerischen Seiten zu stehen. Und einander trotzdem zu respektieren!
    Gegenseitiger Respekt ist etwas, was mir in dieser innerfeministischen Debatte fehlt, denn ohne ihn wird sie immer auf einer persönlichen Ebene stecken bleiben, statt auf die Sachebene zu wechseln. Ohne Letzteres wird dieser Diskurs aber weitere 20 oder 30 Jahre auf derselben Stelle treten – „Schwarzer ist böse“ ist ja nun wirklich kein neues „Argument“ in der Querelle.

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  13. @onkelmaike
    kann ich mit dienen: feministische Naturwissenschaftskritik gab es schon zuhauf, als ich jung war, etwa von Carolyn Merchant oder Elvira Scheich. Ich habe keine Lust mehr, sie aus dem Regal zu holen, aber wenn ich jetzt nach zwanzig Jahren mich daran erinnere, ohne nachzulesen, würde ich sagen, dass das Hauptproblem darin bestand, dass zu viel mit Analogien argumentiert wurde. (Gedacht als Anregung für diejenigen, die diese Bücher zur Hand nehmen, nicht als autoritäre Meinungsäußerung.)

    Was den heutigen Konstruktivismus im Gefolge von Judith Butler anbelangt, so würde ich sagen, dass sie weit übers Ziel hinausschießt. Seit der Antike besteht Wissenschaft darin, dass man überprüft, welche überkommenen Ansichten über die Welt um uns herum nun stimmen oder nicht und nicht einfach alles als wahr oder „objektiv“ hinnimmt. Aber wenn man gleich alles für konstruiert hält und der gegenständlichen Welt keine eigene Realität mehr zugesteht, dann geht diese kritische Wirkung verloren. Es kann dann zum Beispiel in einer Diskussion nicht mehr darum gehen, wer recht hat (in dem Sinn, dass die eigenen Behauptungen mit irgendeiner Wirklichkeit übereinstimmen), sondern nur noch darum, wer seine eigenen Konstruktionen durchsetzen kann.

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  14. hä, die Mädchenmannschaft definiert Frau??? Das machen sie doch überhaupt nicht! Je länger ich die lese um so weniger stellt sich eine einheitliche Definition ein.

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  15. Nur mal so, weil jetzt zu dem Thema lauter weitere Kommentare eingehen, die ich aber nicht freischalte: Wir diskutieren hier nicht über die Mädchenmannschaft und auch sonst nicht über irgendwelche anderen Leute, sondern über die Themen, über die ich hier blogge. #justsaying

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  16. Es ist vermutlich alles noch viel komplizierter! Es sind nicht nur zwei Generationen Frauen, die sich um den richtigen Weg balgen. Es sind mindestens drei. Wobei die dritte gar nicht selber redet sondern (angeblich) reden lässt bzw. lieber schweigt.

    Schon klar, in einer „Übergangszeit“ kann es leicht zu Verwechslungen kommen. Das Künftige und das Gewesene regieren dem gerade Aktuellen nach Kräften in den Text. Wenn eine Frau das Handeln einer anderen beurteilt, dann kann das nicht nur als Bevormundung gelesen werden (was es womöglich sogar manchmal ist), sondern auch als Stellvertreter-Äußerung. Einer Kopftuch tragenden Frau von heute, die Lebsnstilfragen stellt, wird dann zum Beispiel nicht nur unterstellt, sie sei von gestern und gar nicht emanzipiert, sondern auch, dass sie nur „Sprachrohr“ ist und irgendwelcher Männer ihr die Worte in den Mund getackert haben. Sie würde, heißt es, so, wie noch die Ur-Ur-Urgroßmutter, das Wort des Mannes für naturgesetzlich halten und nicht mal selber denken.

    Es wird also nicht nur der Konflikt Frau vs. Frau thematisiert, sondern auch noch der mit Leuten, die angeblich reden lassen. Und dann beweis‘ mal eine, dass es die nicht gibt! Wer nicht mal selber sprechen will, in dem Fall ist es ausnahmsweise mal DER Mann, der kann auch nichts erklären, gerade rücken oder kritisieren. Das ist für Menschen, die zu gerne Macht ausüben, verdammt verlockend, fürchte ich.

    Vielleicht, dass Frauen sich zunächst erst einmal darin einig werden müssten, dass sie für Nicht-Beteiligte nicht sprechen können. Ein Mensch, eine Stimme wäre meiner Ansicht nach ein guter Anfang, wenn man den „Konflikt […] in Bezug darauf, wie wir die gemeinsame Welt gestalten“ sollen, schöpferisch austragen will. Was Leute, die nur virtuell sind, vielleicht wollen oder nicht, kann schließlich niemand wissen. Es macht deswegen auch gar keinen Sinn, sich darüber die Augen auszukratzen, statt sich nach Neuem umzusehen.

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  17. Hallo Antje,

    wie immer finde ich in deinem Text Punkte wieder, die mich an der ursprünglichen Debatte unter dem Hashtag gestört haben. Ich kann mit der Emma nicht viel anfangen und denke auch, dass sie in der alten symbolischen Ordnung verhaftet ist und wir mittlerweile eine neue aufbauen. Ich weiß aber nicht, ob ich in dieser neuen Ordnung Urteile über die Lebensentwürfe anderer Frauen fällen und diese öffentlich aussprechen möchte. Und es ist nicht falsch verstandene Solidarität, die mich davon abhielte, das zu tun, sondern die Frage, ob es nötig oder sinnvoll ist. Ist das nicht eher ein Verhalten, das zur alten Ordnung gehört? Oder zur Übergangsphase von der alten in die neue Ordnung?

    Das bezieht sich jetzt auf diesen Absatz in deinem Text:

    „Es ist deshalb auch (und gerade) unter den Bedingungen weiblicher Freiheit notwendig und sogar wünschenswert, dass Frauen sich gegenseitig kritisieren, dass sie aussprechen, wenn sie die Lebensentwürfe und Ansichten anderer Frauen problematisch oder rundheraus falsch finden, ja, dass sie Urteile fällen, auch über das Handeln anderer. Wenn dieser Austausch auf der Ebene der Begegnung zweier freier Subjekte stattfindet, ist Kritik nicht paternalistisch oder bevormundend, sondern schlicht und einfach ganz normale politische Debatte.“

    auf dem ich jetzt eine Weile herumgedacht habe. Ich tue mich schwer mit diesen Sätzen, weil ich nicht finde, dass Urteile fällen über das Handeln und die Lebensentwürfe anderer etwas ist, das zur politischen Debatte notwendig dazugehört und diese erst zu einer normalen Debatte machen würde. Könnten wir nicht als Subjekte souverän über unser Verhältnis zur Welt streiten, unsere Konflikte austragen, unsere Übereinkünfte treffen und unsere gemeinsame Lebenswelt gestalten, ohne die Lebensentwürfe anderer zu kritisieren und für falsch zu halten?

    Fragt sich nachdenklich,

    doncish

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  18. @doncish – hm, wie trennst du dann „Übereinkünfte treffen, gemeinsame Lebenswelt gestalten“ und „persönliche Lebensentwürfe anderer nicht beurteilen“? Es gibt imho kaum einen persönlichen Lebensentwurf, der nicht irgendwie auch die gemeinsame Lebenswelt betrifft, und sei es in seinem Einfluss auf die symbolische Ordnung, auf die letztlich jegliche Äußerung einwirkt, wenn sie nicht im privaten Kämmerlein hinter verschlossener Tür stattfindet. Nehmen wir mal so eine Debatte wie die über die Heteroperformance von Mann-Frau-Paaren, die sich in der Öffentlichkeit demonstrativ küssen und so weiter. Die Kritik daran wird ja oft einfach belächelt, aber ich finde diese Debatte äußerst interessant, weil einerseits „geht das doch niemanden etwas an“, andererseits aber eben doch, weil es auf die symbolische Ordnung zurückwirkt, weshalb es dann eben doch alle betrifft und nicht einfach „Privatsache“ ist. Na klar, man könnte hier unterscheiden zwischen „Ich kritisiere ihren öffentlichen Auftritt, nicht aber die Hetero-Lebensform als solche“, aber das finde ich nicht eindeutig. Denn zur Hetero-Lebensform „Romantische Zweierbeziehung“ gehört eben die öffentliche Darstellung als Paar durchaus dazu.

    Also ich gebe dir recht, dass Urteile über die Lebensformen anderer heikel sind, aber ich sehe nicht, wie wir einen politischen Diskurs über die gemeinsame Weltgestaltung führen können, ohne jemals welche zu fällen.

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  19. @susanna,
    Danke für die Tips. Muss ich mir mal anschauen. Ich hoffe, dass ich zumindest mit der Annahme recht gehe, dass die beiden Damen keine Repräsentantinnen aktueller, sondern älterer Debatten/feministischer Strömung sind?
    Natürlich neige ich dazu, eher die Leute wahrzunehmen, die die Sachen sagen, die mir gefallen (ich glaube, dass das alle ein Bisschen machen), und da muss ich eben sagen, dass es m. E. zunehmend Naturwissenschaftler_innen gibt, die naturwissenschaftliche und genderwissenschaftliche Perspektiven zusammen bringen (z. B. Birgit Schmitz oder Heinz-Jürgen Voss).

    Deine Butler-Kritik empfinde ich als verkürzt, wenngleich sie natürlich einen wichtigen Punkt trifft. Ich fürchte aber, dies kann ich in so einem Kommentar nicht differenziert dargelegen. Vielleicht soviel: Es geht Butler, denk ich, nicht ums Recht haben, sondern darum, dass Menschen verschiedener „Identitäten“ gleichberechtigt leben können. Wie das erreicht werden kann, dazu äußert sie sich zumindest. (So verstehe ich sie zumindest.) Deine Aussage zur Wissenschaft „Seit der Antike..“, finde ich auch verkürzt. Wissenschaftsverständnisse und -theorien divergieren (seit der Antike?) zumindest schon lange – auch hier gibt es Positionen, die von reaktionär bis fortschrittlich reichen. Unter Reaktionär würde ich zum Beispiel diejenigen Wissenschaftlerinnen fassen, die beispielsweise den Sozialwissenschaften die Wissenschaftlichkeit absprechen (davon gibts ja einige).

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  20. @Antje:
    Du hast geschrieben:
    „Unter den kritischen Tweets ist mir vor allem ein Tenor aufgefallen, den ich anfangs gut fand, zu dem mir im Lauf der Zeit aber dann doch Bedenken kamen: nämlich die Kritik an feministischem Paternalismus und „Eine gute Feministin ist so und so“, verbunden mit dem Plädoyer für die individuelle Freiheit jeder Frau, sich und ihren Feminismus so oder so zu definieren, wie sie eben will.“

    Ich glaube, ich verstehe Deine Bedenken in diesem Zusammenhang nicht so richtig.
    Dieses „jede wie sie will“ steht für mich als etwas symbolisches im Raum, und ich würde es auch nicht nur als Anfangs-Impuls für feministisches Agieren betrachten. „Jede wie sie will“ betrachte ich als Prozess, bei dem sich immer wieder neue Gruppen bilden und Leute, die ähnliches wollen zusammenfinden oder sich trennen, wenn sie merken, dass ihr „wollen“ nicht mehr übereinstimmt.
    Ich habe das im Zusammenhang mit dieser Hashtag-Aktion als etwas gelesen, was als (leicht überspitzter) Gegenentwurf für das aufgefasst werden kann, was die EMMA repräsentiert.
    Nämlich eine spezifische Vorstellung dessen, was Frauen „wollen sollen“ – eben nicht jede wie sie will (wie gesagt – nicht wörtlich gemeint natürlich).
    Manchmal muss man dann eben genau das mal wieder laut rufen, weil es sonst unter die Räder kommt. Find ich.

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  21. @onkelmaikeNatürlich kann ich nicht besonders differenziert argumentieren, wenn ich versuche, Butler in einem Satz zu kritisieren. Das hatte ich auch nicht vor, innerhalb eines Satzes. Ich bin auch noch nicht an dem Punkt, an dem ich sie wirklich fundiert kritisieren kann, was ich genannt habe, ist der Punkt, an dem ich anfangen würde, wenn ich versuchen würde, eine wirklich fundierte Kritik zu schreiben. Erstens bin ich der Überzeugung, dass es eine äußere Realität gibt, die die Konstruktionen begrenzt, und zweitens bin ich der Meinung, dass es nicht politisch progressiv ist, die Vorstellung, dass es so etwas wie wahr und falsch oder auch normativ richtig und falsch aufzugeben, weil man dann nichts mehr kritisieren kann. Judith Butler möchte nicht recht haben, sondern möchte, dass alle gleichberechtigt nebeneinander her leben – dann kann sie aber, sagen wir mal, auch keine Konservativen in den USA kritisieren. Deren Lebensweise ist halt, andersartiges nicht zu kritisieren.
    Kleiner Literaturtipp noch:

    Okay, das reicht erst mal. Ich muss ohnehin hoffen, dass unsere Diskussion nicht von Antje als offtopic eingeordnet wird.

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  22. @Anke Ich glaube, dein Kommentar hat mir geholfen, in Worte zu fassen, warum Alice Schwarzer bevormundend wirkt. Wenn ich sage: deinen Lebensentwurf finde ich aus diesem oder jenem Grund problematisch, kann die andere antworten, aus welchen Gründen sie gerade diesen Lebensentwurf gewählt hat. Wenn ich aber sage, dein Lebensentwurf zeigt, dass dein Denken von patriarchalen Strukturen durchseucht ist, muss die andere erst einmal beweisen, dass dies nicht der Fall ist, und das ist ziemlich schwierig, da ich ihr mit meiner Behauptung von vornherein abgesprochen habe, dass man ihre Gedanken überhaupt ernst nehmen kann.

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  23. @Irene: Was Sie da bezüglich der Haltung linker Feministinnen bezüglich Naturwissenschaften schreiben halte ich für antifeministische Propaganda. Harald Martenstein bläst zum Beispiel ins selbe Horn. Mir, als linker Feministin sind diese naturwissenschaftsfeindlichen Feministinnen zumindest noch nicht untergekommen. Hätten Sie eine Quelle?

    Den theoretischen Aspekt hat Susanna schon gut erklärt. Mir ging es aber nicht so sehr darum, sondern um das (kulturelle oder vulgäre?), was an der Basis einer Szene dabei rauskommt. Ein Misstrauen, dass ich mit Martenstein unter einer Decke stecken könnte, passt auch irgendwie dazu.

    Ich könnte jetzt andere Beispiele auflisten, die ich irgendwo erlebt habe, aber wozu. Das käme womöglich wie eine Liste von Kränkungen oder Vorwürfen rüber oder es würde irgendwer eine falsche Gesinnung drin suchen 😉

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  24. Welches ist denn nun die Martenstein-Aufreger-Kolumne, die ich gelesen haben muss? Mein Lieblingstext von ihm ist die Kokainsteuer, aber die hilft uns hier nicht weiter.

    Ich schreibe übrigens Patientenratgeber über Hormone (Schilddrüse). Beim Stichwort Hormone denken Feministinnen und Ökofrauen zuerst an Schädliches, zum Beispiel an die mittlerweile wackelnde Hormonersatztherapie mit Östrogen / Gestagen oder an irgendwelche Thesen von vor 100 Jahren. Deshalb sind Hormone in der Szene schlechter angesehen als Martenstein.

    Wenn ich einmal im Jahr einen Kommentar zu einem Hormonthema in ein feministisches Blog schreibe, wird der entweder nicht freigeschaltet oder nicht beantwortet. Alles was nicht in die Schublade „Hormone = nur sozial konstruiert und fertig“ passt, scheint eher Irritation und Ablehnung auszulösen. Irgendwie kann der sozialwissenschaftlich dominierte Feminismus nichts mit Frauen anfangen, die sich auf biologische Themen einlassen.

    Ich könnte jetzt rumstressen mit „checkt mal euer Privileg, wenn ihr Hormone als Konstrukt von patriarchalen Spinnern abtut, ein Mensch mit Diabetes / Schilddrüsenkrankheit / hormonsensitivem Brustkrebs kann das nicht, voll kackscheiße“. Damit wäre ich zwar rhetorisch in der Szene angekommen, aber das bringt ja nix, wenn der inhaltliche Austausch ausbleibt. Den will ich aber gar niemand aufdrängen und finde in der Selbsthilfe sowieso interessantere Möglichkeiten.

    P.S. Wenn die Ikone Butler auch irgendeine chronische Krankheit hätte und vielleicht sogar in Israel entwickelte Medikamente bräuchte, wäre alles anders gekommen mit dem körperlosen Genderdings. 😀

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  25. Danke für den sachlichen Artikel.

    Meinen Punkt finde ich allerdings nicht:
    Ich finde es unsäglich, wie Alice Schwarzer/ EMMA gegen (weibliche) Prostituierte hetzt. Ich habe beruflich einige kennen gelernt, zwei davon kennen wir beide, auch vor Jahren schon, als das ProstG in Planung war und ich mich infolge dessen näher mit der Diskussion befasst habe.

    Prostitutierten wird von EMMA ihr Entscheidungsfähigkeit über ihr Tun und damit ihr Erwachsensein, ihr Menschsein abgesprochen. Auf der Titelseite steht: „Andrea, 30 Euro“. Damit meint EMMA nicht den Stundenlohn, sondern vermutlich den für 1/4 h oder maximal einer halben Stunde. Ich könnte dagegen mehrere Putzfrauen oder Bauhelfer setzen: „Katja, 3 EUR“, „Sven, 5 EUR“. Oder einen Proktologen: Prof. Dr. XY, 30 EUR Popo-Eingriff. Das kommt sicher dem Preis und der Dienstleistung von Andrea am nächsten.

    EMMA kreidet aber nicht nur den vermeintlich niedrigen Verdienst an, sondern sie suggeriert auch, dass man für 30 EUR Andrea kaufen kann. Sie kann bis heute nicht erklären, wieso man den Proktologen, der für 30 EUR eine Darmspiegelung vornimmt und genau das gleiche macht, nicht für 30 EUR kauft. Nur bei Frauen soll das so sein. Und nur bei Prostituierten.

    Wenn eine Anwältin eine Stunde lang jemanden berät und seine Fragen für Betrag x beantwortet, warum wird die dann nicht auch gekauft? Sie kann auch nicht privat twittern in der Zeit, nicht einmal privat denken, ihr ganzes Sein steht für eine Stunde nur diesem Mandanten zur Verfügung. Wo ist der Unterschied?

    Das wäre alles lächerlich, wenn Alice Schwarzer damit nicht gehört würde und junge naive Mädchen wie ich sie etwa bei den Störenfriedas vermute, dazu verleitet, ebenfalls sich prostituierende Frauen als quasi zu Betreuende zu behandeln.

    Bürgerliche Frauen ahnen vermutlich sowieso, dass es (auch) ihre Männer sind, die diese Dienste in Anspruch nehmen und freuen sich dass sie unter dem Deckmantel Opferschutz und gar Menschenhandel die berufliche Existenz ihrer Konkurrentinnen vernichten können. Die Idee, dass Sexualität – aus welchen Gründen auch immer – auschließlich Gewalt und Leid bedeutet (siehe Störenfriedas), nährt EMMA mit ihren haltlosen Unterstellungen.

    Ich finde das nicht nur bedauerlich, sondern gefährlich. Die Gesellschaft hat m.E. noch gar nicht damit begonnen, sich mit Sexualität auseinander zu setzen. Die Prostituierten berichten davon, dass die männiche Kundschaft Wünsche artikuliert und Szenen inszenieren möchte, die voller Lust, Erotik und verspielter Zärtlichkeit sind. Wann fangen Frauen damit an?

    Meine Mutter hat mir zum Thema Sex sinngemäß gesagt: „Da musst Du als Frau leider durch, wenn Du einen Mann haben willst. Am besten Du trinkts ordentlich Rotwein vorher, dann geht es schnell vorbei.“ Ich habe das tatsächlich gemacht, ich hatte tatsächlich Null Erwartung für mich. Was ich wollen könnte, dass ich überhaupt etwas wollen könnte, darum ging es nie. Bei EMMA übrigens auch nicht.

    Das wäre für mich die eigentiche Frage. Dass Frauen lernen, sexuelle Wünsche zu haben, zu formulieren und zu fordern. Ich denke, dann könnten sie sich mit den Männern und allen anderen auch endlich auf Augenhöhe treffen. Bislang können das nur die Prostituierten. Und – dem Äußeren nach – Beyoncé und die anderen sexy Girls, mit denen ich nie hätte spielen dürfen.

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