Worüber unterhalten sich zwei graue Boxen?

Ende Mai war ich bei der Konferenz „Bended Realities“ in Offenbach und habe über „Die Sehnsucht nach dem Ende des biologischen Körpers“ gesprochen. Hier ist das Video:

Irgendwo in der Mitte stelle ich eine steile These auf, nämlich die, dass jegliche menschliche Kommunikation an Körperlichkeit gebunden ist, dass unser Denken und unsere Interessen und Themen untrennbar vermischt sind mit der Tatsache, dass wir körperlich individualisierte Wesen sind, und ich behaupte, dass zwei graue Boxen nichts hätten, worüber sie sich unterhalten können.

Leider gab es im Anschluss an den Vortrag keine Diskussion, aber meine Spione im Publikum sagten mir hinterher, dass es dazu wohl einigen Widerspruch gegeben hätte. Deshalb würde mich jetzt hier auch eure Meinung interessieren:

Glaubt ihr, zwei graue Boxen (womit ich meine: Körper, deren Körperlichkeit völlig irrelevant ist und nur die Funktion hat, Behältnis für Gedanken zu sein) hätten Gesprächsthemen, die sie interessieren? Und wenn ja, welche?

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

7 Gedanken zu “Worüber unterhalten sich zwei graue Boxen?

  1. Nein, körperlose Wesen hätten keine Interessen, also auch kein Thema. Interessen hat nur, wer eine bedingte Existenz hat, limitiertes körperliches Leben – und gleichzeitig den Wunsch, dieses Leben möglichst lange und gut zu leben.

    Roboter, denen man „künstliche Intelligenz“ einbauen will, sind und bleiben nichts als Programm-gesteuerte Maschinen. Es wird mittels Sensoren eine Art „Wahrnehmung“ kreiert – und wenn sie dann auch noch per Programm den Auftrag haben, von A nach B zu kommen, mag es sein, dass sie sich über den Weg dahin austauschen und ihre Wahrnehmungen vergleichen (sofern Kommunikationsmöglichkeiten ebenfalls eingebaut sind). Mehr ist nicht möglich, auch wenn man das zu einiger Komplexität steigern kann.

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  2. Das Wichtige ist dabei die Sinneswahrnehmung. Diese braucht nicht nur funktionierende Sensoren. Das allein wäre heutzutage technisch kein Problem. Es braucht zur Wahrnehmung auch ein Verarbeitungssystem. Das übernimmt beim Menschen das Gehirn. Computer sind zwar schneller, aber noch fehlen ihnen wesentliche Eigenschaften eines menschlichen Gehirns. So zum Beispiel die Flexibilität, die es ermöglicht, dass nach einem Ausfall (Schlaganfall) die dadurch beeinträchtigten Funktionen zumindest teilweise von anderen Teilen des Gehirns übernommen werden.

    Aber das Entscheidende auch zur Ausbildung eines Bewußtseins ist beim menschlichen Gehirn, dass dieses über Jahre hinweg zusammen mit den Sensoren wächst und „ausgebaut“ wird. Genau deswegen wird auch eine „Kopftransplantation“, wie sie vor kurzem durch die Medien geisterte, scheitern: Das Gehirn passt ncht zum Körper. Es wäre denkbar, dass das menschliche Gehirn tatsächlich in der Lage wäre, sich dem über einen längeren Zeitraum hinweg anzupassen. Aber ich gehe davon aus, dass ein Gehirn ohne die vertrauten Sensoren zuerst einmal eine Art „Reset“ macht, weil die Erinnerungen nicht zu den aktuellen Meldungen der Sensoren passen. Dummerweise ist ein erwachsenes Gehirn aber längst nicht mehr so gut in der Lage, Neues zu lernen.

    Damit zwei graue Boxen ein Bewußtsein entwickeln und ähnlich wie Menschen kommunizieren, müssten sie eine Art „Kindheit“ gehabt haben. Kinder entwickeln (erst) ungefähr im Alter von drei Jahren ein Bewußtsein, ein Konzept vom „ich“ und der Beziehung zu Anderen und dem Rest der Welt, und damit auch ein biographisches Gedächtnis. (Deswegen können wir uns an Ereignisse aus den ersten drei Lebensjahren später kaum noch erinnern.) Und damit die grauen Boxen bei einer Unterhaltung auch ein gemeinsames Thema (und eine gemeinsame Sprache!) finden, wäre es hilfreich, wenn sie ihre Kindheit zusammen oder zumindest unter ähnlichen Umständen verbracht hätten…

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  3. “ und wenn sie dann auch noch per Programm den Auftrag haben, von A nach B zu kommen, mag es sein, dass sie sich über den Weg dahin austauschen und ihre Wahrnehmungen vergleichen.“ Das erscheint mir treffend zu beschreiben, wie kontaktlose (monologisierende) Kommunikation durchaus auch zwischen Menschen geschieht: eine „Kommunikation“ ohne innere Beteiligung, ohne Veränderungspotential – und ich denke, damit auch mit reduziertem sinnlichen Körperbezug. Den Körper auf messbare Vergleichswerte zu reduzieren und sich darüber „auszutauschen“, macht ja gerade die Quantified Self Technologie vor.
    Wobei die Frage zu der Kommunikation der zwei grauen Boxen letztlich theoretisch bleibt, denn es gibt sie nicht. Menschliche Kommunikation ist immer körperbezogen, selbst wenn sie im digitalen Chatroom oder in virtuellen Räumen geschieht. Die Rolle, die dabei die mehr oder weniger bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers (auch in Resonanz auf körperlose virtuelle Wörter oder Bilder) spielt, bestimmt die Art des Verlaufes einer auch virtuellen Kommunikation, würde ich sagen.

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  4. Fragen hängen ohne Zweifel von Bedingtheit ab. Ich habe das Video jetzt nicht gesehen, daher nur eine abstrakte Antwort auf eine abstrakte Frage: natürlich gibt es Fragen, die von individualisierter Körperlichkeit völlig zu abstrahieren sind, aber nicht vom eigenen Dasein.

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  5. Bereits lassen sich Körper virtualisieren und über die Eigenheiten dieser virtuellen Erscheinungen lässt sich ebenso herrlich debattieren wie über echte Leiber, und ganze Industrien leben schon heute vom Angebot, diese virtuellen Körper der SpielerInnen auf jede erdenkliche Art zu modiziferen. Das lässt sich jeden Tag mehr oder weniger in den diversen Online-Spielen beobachten.

    Die direkte Erfahrung einer Körperlichkeit lässt sich langfristig vielleicht ebenso virtualisieren – und die dann wählbare, veränderbare Körperlichkeit wäre sicher ganz und gar nicht das selbe wie eine nichtvorhandene!

    Ob diese Wahl jedoch eine gänzlich ‚freie‘ wäre oder nicht etwa ebenfalls den Gesetzen eines „virtuellen Körpermarktes“ unterläge, das ist eine andere Frage.

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  6. @endolex
    Wenn der Körper schon im „echten“ „Leben“ egal wäre, warum sollte er im virtuellen von Interesse sein?
    Nagut, wenn alle gleich wären könnte der Wunsch entstehen sich zu unterscheiden (Kleidung, Besitz, Inteligenz, Macht), aber dieser Wunsch kann auch nur auftreten wenn sich jede Box als etwas individuelles wahrnäme.
    Es müsste also irgendwelche immanenten unterschiede geben (z.B. Alter), die dann zu verschiedenen aber ähnlichen Erfahrungen führen (siehe @gondlir), über welche dann kommuniziert werden könnte.

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  7. @Christoph: Ich glaube einfach dass eine (mehr oder weniger) frei wählbare Körperlichkeit nicht gleichbedeutend ist mit einem Wegfall ihrer Bedeutung. Selbst wenn es sich so verhielte, dass sich alle menschliche Kommunikation nur auf Körperliches bezieht (was ich ebenfalls bezweifle), wären es dann eben virtuelle, selbst gewählte Erscheinungen, über die sich sprechen ließe.

    Ob diese Virtualisierung nun reine Software ist oder (was ich eher glaube) ebenfalls die Möglichkeit beinhaltet, wahl- und wechselweise Maschinen verschiedenster Bauart und Zweck zu ‚bewohnen‘ (denn ohne Einfluss auf die materielle ‚Außenwelt‘ ist eh kein Überleben gesichert, und der Wunsch diesen Einfluß nehmen zu können und mehr vom Universum zu entdecken wird auch so einer Box nicht abhanden kommen):
    Körperlichkeit hört nicht auf, von Bedeutung zu sein, nur weil es irgendwann vielleicht einmal keine rein biologische und leichter veränderbare Körperlichkeit ist.

    Und nur zur Sicherheit über meinen Standpunkt: Ob und wie sehr erstrebenswert all diese Möglichkeiten sind, ob sie mehr Freiheiten eröffnen oder sie im Gegenteil die meisten Wesen sogar noch mehr einschränken als bisher – das ist keine Frage der Technologie selbst und ihrer Möglichkeiten. Das hängt immer davon ab, wie Menschen miteinander leben wollen, und wo und wie sich Macht konzentriert und äußert.

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