Ciswissenschaft und Transpolitik

Diese Woche war ich bei einem Kongress über Transsexualität und hörte zwei Professoren, die (in Bezug auf Beheimatung im bestehenden System) so dermaßen Cis waren, dass es fast schon einer Karikatur ähnelt.

Kurzfassung: Die Wissenschaft hat nun festgestellt, dass Transsexualität normal ist. Normal nicht etwa deshalb, weil wir in politischen Auseinandersetzungen eine Kultur hervorgebracht hätten, die sich von den Zumutungen traditioneller Geschlechterkonzepte befreit hat. Nein, normal, weil Transsexualität nun (offenbar) die höchstmöglichen Weihen erhalten hat, die die bestehende symbolische Ordnung zu vergeben hat: Ihre Entstehung ist naturwissenschaftlich herzuleiten, man kann also experimentell-biologisch beweisen, dass es sie gibt. Die Betroffenen „bilden sich das nicht nur ein“. Tadaa!

Der erste Professor begann bei den Genen und dem Testosteron, das der Körper bei xy-Menschen im Embryonenstadium ausschüttet und bei xx-Menschen nicht. Dieses Testosteron bewirke eine Maskulinisierung des Embryos, allerdings auf komplexen Wegen und in unterschiedlichen Abschnitten, sodass es durchaus vorkomme, dass zwar der Körper maskulinisiert sei, nicht jedoch das Gehirn. Voilà Transsexualität.

Als xx-Mensch und Feministin bin ich darauf trainiert, jedes Sich-Zur-Normsetzen von xy-Menschen rigoros aufzudecken. Also fragte ich den Professor, wie denn seine Theorie die Existenz von Transmännern erkläre, da bei ihnen doch – als xx-Personen – im Embryonalstadium kein Testosteron ausgeschüttet worden sei, folglich auch ihr Gehirn, jedenfalls auf dem von ihm beschriebenen Wege, nicht maskulinisiert worden sein könne. Er nicht_antwortete mit dem Hinweis, das sei eben alles sehr komplex. Bullshit. Vielleicht war ihm auch diese kleine Lücke in seiner Theorie bisher noch gar nicht aufgefallen; es kommt ja häufiger vor, dass xy-Männer nur über sich selber und ihresgleichen nachdenken.

Jedenfalls: Die Theorie dieses Professors liefert eine Erklärung höchstens für Transweiblichkeit, nicht aber für Transmännlichkeit. Was ich nun wiederum ganz interessant finde: Sind eventuell Transweiblichkeit und Transmännlichkeit zwei völlig unterschiedliche Phänomene mit unterschiedlichen Ursachen? Für mich als feministische Cisfrau klingt das plausibel. Denn ich erlebe das „Trans“ in beiden Fällen sehr unterschiedlich: In Transfrauen erkenne ich im Allgemeinen „normale“ Frauen (soweit es in Bezug auf Frausein überhaupt sinnvoll ist, von Normalität zu reden). In Transmännern hingegen sehe ich nicht „normale Männer“. Sondern die von ihnen überschrittene Grenze, auf die sich das „Trans“ bezieht, ist eben genau nicht die hin zu den üblichen Männlichkeiten, sondern die hin zu einer anderen Art von Männlichkeit. Auf einer bestimmten Ebene sehe ich deshalb Transmänner, im Unterschied zu Cis-Männern, als „meinesgleichen“. Weshalb mir auch einleuchtet, dass in queerfeministischen Kontexten die Geschlechtergrenze nicht zwischen Frauen und Männern gezogen wird, sondern zwischen „Frauen*Lesben*Trans“ und „Cis-Typen“.

(PS: Analog finde ich übrigens auch, dass Schwulsein und Lesbischsein zwei unterschiedliche Angelegenheiten sind und nicht bloß die männliche oder weibliche Variante von „Homosexualität“).

Aber zurück zum Kongress. Der zweite Professor erläuterte die Unterschiede zwischen Männergehirnen und Frauengehirnen, die bekanntlich dazu führen, dass Frauen harmoniedüdelig und Männer aggressiv sind, und – oh Wunder – die Gehirne von Transfrauen sehen aus wie die von xx-Menschen und die von Transmännern wie die von xy-Menschen. Nun jaaaa. Der Professor wusste offenbar selber, auf welch dünnem Eis er hier wandelte und betonte immer wieder (ohne sich allerdings ein paar Seitenhiebe auf den Feminismus, der die biologischen Grenzen des Geschlechts bekanntlich einfach ignorieren will, verkneifen zu können), dass diese Unterschiede zwischen Männer- und Frauengehirnen letztlich nur winzig klein seien. Andererseits war seine These ja, dass sie das Phänomen der Transsexualität erklären sollen, also können sie so klein dann ja auch wieder nicht sein. Männliche Logik? (scnr).

Ich sehe ja irgendwie ein, dass solche „Adelungsprozesse“ von Seiten des Mainstreams durchaus ambivalent zu sehen sind. Wenn die Wissenschaft plötzlich ganz normal findet, was sie bis gestern noch, mit gleicher Verve, vollkommen unnormal fand, könnte dieses Umdenken konkrete Verbesserungen bei Gesetzen etc. möglich machen. Aber der Jubel sollte doch, finde ich zumindest, nicht allzu ungebrochen sein.

9783837921700In der Pause traf ich zufällig eine Bekannte, und wir lästerten nicht nur ein bisschen über diese merkwürdige Vorstellung der Männer, sie könnten Phänomene verstehen, indem sie die Ursachen davon aufdecken, sondern sie überredete mich auch, das autobiografische Buch „Die transzendierte Frau“ von Jean Lessenich zu kaufen. Weil ich mich darin prompt während der folgenden zwei Vorträge festlas, kann ich nicht sagen, ob der Kongress ebenso merkwürdig weiter ging.

Aber ich empfehle euch das Buch wärmstens (Psychosozial-Verlag, Gießen 2012). Die Autorin erforscht nicht die Ursachen von Transsexualität, um diese dann in den Griff zu bekommen, sondern erzählt von einem komplexen Phänomen, wobei sie genau nach jener Art und Weise vorgeht, die feministische Erkenntnis ausmacht: Von sich selbst ausgehend die Welt verstehen und den Ereignissen eine freie, eigene Bedeutung geben, die Sinn vermittelt. Nebenbei ist das Buch auch historisch sehr interessant, ein Stückchen deutsche Kulturgeschichte seit den 50er Jahren. Frankfurt kommt auch drin vor.

PS: Und falls es doch eine auf Genetik gründende Erklärung für Transmännlichkeit gibt, würde mich die interessieren, diesbezügliche Hinweise gerne in die Kommentare, danke!

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

62 Gedanken zu “Ciswissenschaft und Transpolitik

  1. Es gibt in der Tat auch Untersuchungen zu Transmännlichkeit und auch da spielt wohl der Hormonspiegel zu einer bestimmten Zeit der Embryonalentwicklung. Auch bei der Homosexualität spielt das eine Rolle.
    Natürlich ist man damit noch nicht am Ende der Suche. Denn es ist auch interessant, wie es wiederum dazu kommt.
    Dennoch ist es eine wichtige Erkenntnis, nämlich dass Transsexualität und Homosexualität angeboren ist und nicht über falsche Erziehung oder Umgang erworben wird.
    Ich denke, es wird nicht nur eine Ursache geben. Bei Homosexualität etwa steigt die Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl der Söhne, die eine Frau bereits geboren hat. Man vermutet, dass hier das Immunsystem der Mutter eine Rolle spielt.
    Das wiederum kann für viele andere Fälle nicht die Ursache sein, schließlich kommt es auch bei Erstgeboren vor.
    Bei eineiigen Zwillingen liegt die Wahrscheinlichkeit, das der andere Zwilling homosexuell ist, wenn es der eine ist, zwischen 50% bis 70%. Bei zweieiigen Zwillingen liegt es deutlich niedriger, aber immer noch bei 20%.
    Eineiige Zwillinge teilen sich 100% des Erbguts. Das spricht dafür, dass es nicht alleine das Erbgut (bzw. seine Methylisierung) direkt ist. Vielleicht liegt der Hormonspiegel in solchen Fällen haarscharf an Grenze.
    Aber das ganze ist viel zu Komplex, um es hier als Kommentar mal schnell darzustellen.

    Die Überheblichkeit gegenüber Wissenschaft kann ich nicht verstehen. Das Argument, dass es ja nur kleine Unterschiede im Gehirn gebe zwischen Frauen und Männern und woher daraus die „großen“ Unterschiede kommen sollen: Wer sagt, dass die Unterschiede groß sein müssten, um erhebliche Auswirkungen zu haben? Es gibt viel kleinere Unterschiede im Gehirn von Menschen, die große Unterschiede in ihrem Leben ausmachen: kleine Hirnverletzungen können wesentliche Teile einer Persönlichkeit verändern, kleine Fehlbildungen Ursache schwerer Behinderungen sein usw.
    Dass sich Gehirne von Männern und Frauen im Durchschnitt unterscheiden, ist meiner Meinung nach durchaus bemerkenswert und relevant. Niemand kann anatomisch ein Gehirn eines Chinesen von dem eines Deutschen unterscheiden, oder das Gehirn einer Chinesin von dem einer Deutschen. Aber das Gehirn eines Mannes von dem einer Frau, das geht mit hoher Wahrscheinlichkeit. Und diese (durchschnittlichen) Unterschiede sollen keine Auswirkungen haben, und sie haben sich evolutionär nur zur Gaudi herausgebildet? Naja, das halte ich für extrem unwahrscheinlich.

    Wissenschaft (im Sinne von Naturwissenschaft) ist nicht „männlich“ oder „cis-männlich“ in dem Sinne, dass es die (cis)-„männliche“ Art von Erkenntnisgewinn wäre. Es ist eine sehr erfolgreiche Methode der Menschen, Erkenntnisse über unsere Realität zu gewinnen, ich würde sagen, die erfolgreichste, die die Menschen bisher entwickelt haben.

    Like

  2. Mir fällt es nicht so leicht Transfrauen als „normale“ Frauen zu sehen. Ich finde dort meist eine übertriebene Form von Frausein, oder erkenn ich nur die? Denkst du, dass es öfter passiert, dass Transfrauen als „normale“ Frauen gelten, während Transmänner, die anderen Männer sind?

    Like

  3. @Belana – naja, wenn ich mir Heidi Klum etc. anschaue, dann kann ich einer übertriebenen Art, das Frausein darzustellen, nichts speziell transweibliches sehen. Machen cis doch genauso.

    Wie das generell gesehen wird, keine Ahnung. Jean Lessenich schreibt, dass Transweiblichkeit es bzgl. gesellschaftlicher Anerkennung deshalb besonders schwer hat, weil die „Aufgabe“ des Privilegs, Mann zu sein, dieses Privileg tendenziell untergräbt. D.h. in einer androzentrischen Gesellschaft ist es für viele leichter, zu akzeptieren, warum „Frauen Männer sein wollen“, als andersrum.

    Like

  4. @erdbeerbäumle – ich schrieb ja, mich würden diese genetischen Ursachen tatsächlich interessieren, also wenn du einen Link hast.

    Wir hatten das Thema wissenschaftskritik hier ja schon öfter. Ich bestreite auch gar nicht, dass Frauen- und Männergehirne sich im Schnitt unterscheiden, aber das muss ja nicht bedeuten, dass Ursache und Wirkung hier er klar zusammenhängen. Meine Kritik bezog sich darauf, dass diese Art Wissenschaft glaubt, dass sie hätte etwas verstanden, wenn sie die Ursache von etwas kennt. Das ist ihr Kurzschluss.

    Like

  5. Ich bin ja von diesen ganzen biologischen Begründungen nicht überzeugt. Vor nicht einmal einem Jahr haben wir uns auf dem Queer-Treffen der Studienstiftung des Deutschen Volkes mit genau dem Thema und den verschiedenen biologischen Theorien beschäftigt; heraus kam recht deutlich, dass es bestenfalls Tendenzen gibt, aber niemand sie wirklich versteht. Dass sich eineiige Zwillinge trotz exakt gleichem Erbgut und exakt gleicher Versorgung im Uterus unterschiedlich verhalten, zeigt doch deutlich, dass wir nicht umhin kommen auch auf die sozialen Aspekte zu schauen.

    Und wenn ich von Männer- und Frauengehirnen lese: die Unterschiede stellt man dort soweit ich weiß höchstens im statistischen Mittel fest. Bei den meisten Gehirnen kann aber zwischen cis Männern und cis Frauen kein Unterschied festgestellt werden; es gibt eben nicht prototypische Männer- und Frauenhirne, sondern die Hirnstruktur liegt jeweils in einem Spektrum und die Überschneidungsbereiche sind sehr groß. Und bei Kindern sind die Unterschiede sowieso noch nicht wirklich da, was einfach nahe legt, dass bei dem komplexen Gebilde „Gehirn“ auch andere Dinge eine Rolle spielen können. Ich sehe keinen Grund, diese unterschiedlichen Verknüpfungen des Gehirns auf Biologie zu schieben und bin daher bei diesen monokausal biologischen Begründungen immer sehr skeptisch.

    Ich hasse auch das komplette „born this way“-Narrativ. Was, wenn ich nun trans bin, aber mein Gehirn nicht so eindeutig „anders“ ist? Und was ist überhaupt mit nichtbinären Geschlechtsidentitäten, die von diesen Forschern einfach ausgeblendet werden? Wieso meinen Menschen, uns nur dann respektieren zu können, wenn wir biologisch entsprechend determiniert sein sollten? Und wird das nicht am Ende nur dazu führen, dass man uns therapieren oder durch Eugenik versuchen wird, uns und unsere Normabweichung auszulöschen?

    Wie du ganz richtig schreibst, Antje: hier wird versucht, ein Phänomen menschlicher Kultur auf einen biologischen Grund zu schieben und den Grund für ein „Anderssein“ innerhalb eines sehr cissigen (und geschlechterbinären) Weltbildes zu erklären – ohne dabei Betroffenen zuzuhören und den viel wichtigeren Punkt des *Erlebens* von Trans-Sein zu behandeln.

    Und genau das sehe ich als die typische Hochnäsigkeit von weißen, cis-männlichen Naturwissenschaftlern, wie ich sie dauernd erlebe. Kann man halt auch einfach drauf verzichten und diesen Menschen vielleicht nicht zuhören, bis sie mal *uns* zuhören, wa?

    Like

  6. Auch für manche trans*Menschen kann es hilfreich sein, wenn sie wissenschaftliche Belege zur Hand haben, mit denen sie sich erklären können. Dabei ist es aber sicherlich immer eine wichtige Frage, wer an dieser Forschung beteiligt ist.
    Zudem würde ich nicht sagen, dass die Einteilung in FLT*I und Männer Transmänner grundsätzlich der ersten Gruppe zuteilen will. Das wäre auch reichlich unangemessen, würde doch dabei der sonst so wichtige Punkt der Selbstzuschreibung und -definition außer acht gelassen. Und Transmänner in eine eigene Kategorie von Männlichkeit zu sortieren erkennt nicht an, dass auch sie „richtige“ Männer sind und nicht nur umgewandelte Frauen.

    Like

  7. „Er nicht_antwortete mit dem Hinweis, das sei eben alles sehr komplex. Bullshit. (..) es kommt ja häufiger vor, dass xy-Männer nur über sich selber und ihresgleichen nachdenken.“

    Na toll. Da bekennt sich ein Wissenschaftler zu den (kognitiven, methodischen?) Grenzen seiner Erkenntnisfähigkeit und im Gegenzug bekommt er vorgehalten, er kapriziere sich bloß auf das ihn Betreffende. Während ein paar Absätze später das „von sich ausgehen“ als begrüßenswerter Ansatz propagiert wird. Was denn jetzt?

    Like

  8. @BB-7 – Die Frage ist halt, was man unter „richtiger“ Männlichkeit versteht. Wenn damit der gesamte patriarchale Mist mitgemeint ist, der in einer traditionellen Vorstellung von „richtiger Männlichkeit“ mit enthalten ist, dann wäre Transmännlichkeit, die sich von dieser nur dadurch unterscheidet, dass die betreffende Person mit xx-Chromosomen geboren ist, natürlich möglich, aber sozusagen feministisch uninteressant. Ich verlange ja letztlich auch von Cis-Männern, dass sie sich von dieser patriarchalen Männlichkeitsvorstellung verabschieden, ansonsten sind sie meine politischen Gegner.

    Like

  9. @Papdopoulos – nee, er bekommt von mir vorgehalten, dass er meine Frage nicht beantwortet hat. Er hat eine Theorie, die nur in Bezug auf xy-Menschen etwas erklärt, als allgemeine Erklärung für alle Menschen ausgegeben. Das ist genau nicht „von sich selbst ausgehen“, sondern „sich selbst zur allgemeinen Norm erklären“.

    Like

  10. Wir wissen heute doch auch, dass das Gehirn extrem flexibel ist und die Verbindungen zwischen Neuronen stark werden, die häufig benutzt werden. Die Verbindungen, die nicht verwendet werden, werden irgendwann abgebaut.
    Nur so ist es doch auch möglich, dass z.B. bei Schlaganfallpatienten mit Lähmungen bisher nicht genutzte Gehirnregionen aktiviert werden, die die Funktion der abgestorbenen übernehmen. Oder Patienten mit Cochlear oder Netzhautimplantaten damit das Hören bzw. Sehen lernen können.
    Woher will man wissen, ob diese kleinen Unterschiede in Männer- und Frauenhirnen (die mich, ehrlich, auch nicht überzeugen, weil ich die Analysen der MRI basierten Neurobiologie hochproblematisch finde – siehe Gehirnaktivität toter Lachs) nicht flexibel durch das „doing Gender“ erst im Laufe des Lebens entstehen?
    Ich gebe da Nantanji recht: Die Unterscheidung zwischen angeboren und erworben bzw. das Zusammenspiel von Genen und sozialen Umständen ist sehr komplex und nur schwierig wenn nicht unmöglich zu trennen.
    Dieses „Testosteron im Mutterleib“ zur Erklärung für Unterschiede halte ich für eine Modeerscheinung wie „Frauengehirne sind kleiner als Männergehirne“.

    Like

  11. Interessant, dass diese wissenschaftliche Erkenntnis erst jetzt kommt! Ich dachte, es wäre lange schon klar (zumindest hoch wahrscheinlich und plausibel), dass die nicht-eindeutig-binären Geschlechter (inkl. Homosexualität) auf unterschiedlichen stofflichen Prozessen während der Schwangerschaft basieren.

    Wobei ich denke, dass das Spektrum dessen, was als „Abweichung“ bezeichnet wird oder werden könnte, sehr viel breiter ist – nur wird das mangels Notwendigkeit nicht entsprechend benannt. Auch ohne lesbisch oder trans zu sein, kann frau (und mann!) deutlich vom „Normalen“ abweichen – wobei das hochwahrscheinlich sowohl stofflich-materielle als auch soziale Gründe hat/haben kann – in einer Mischung, die wir nicht wirklich kennen.

    Erziehung alleine kann es m.E. nicht sein, die einen Teil der Frauen und Männer zur Ablehnung, Rebellion oder Ignoranz gegenüber der angebotenen Geschlechtsrolle führt. Diese These aus den 60gern/70gern wurde nicht nur wissenschaftlich, sondern vor allem durch die Erfahrung vieler „bewegter“ Mütter widerlegt, die wirklich viel unternahmen, um ihr Kind geschlechtsneutral zu erziehen – bei einem nicht gerade kleinen Teil der Kinder jedoch definitiv ohne Erfolg.

    Ich schreibe das als eine, die immer schon mit vielen Aspekten von „typischer Weiblichkeit“ nichts anfangen konnte, im mitmenschlichen Kontakt sogar immer mal wieder davon genervt ist (Stichwort harmoniedüdelig, viel Lebenszeit fürs Selbststyling etc.). Obwohl es mich nie wirklich in der Selbstentfaltung gestört hat, hab ich mich durchaus öfter mal gefragt, warum ich eigentlich in mancher Hinsicht „gefühlt anders“ bin als viele Frauen, die ich kennen lernte. Und dennoch nicht die Bohne lesbisch oder trans… 🙂

    Immer wieder kocht dieser uralte philosophische Streit (Gene oder Erziehung? Stoffliches oder Soziales? Materie oder Geist?) wieder hoch – nun am Thema Trans, was diesselbe Frage bzgl. „CIS“-Geschlechtern erneut virulent werden lässt. Kommen wir denn nie darüber hinaus?

    Wenn die Wissenschaft erkennt, dass psychische Verschiedenheiten auch eine „angeborene“ stoffliche Dimension haben, ist das m.E. gut für die soziale Akzeptanz dieser Variationen menschlicher Identitäten. Die Furcht, dass solche Erkenntnisse Menschen zu sehr determinieren, muss man nicht teilen, denn die Wissenschaft hat ja auch ganz andere Dinge entdeckt: Etwa die Epigenetik, die untersucht, warum sich nicht alles genetisch Ererbte auch im Leben auswirkt, aber auch feststellt, dass sogar „Erfahrungen/erworbene Eigenschaften“ der Eltern epi-genetisch vererbbar sind.
    Warum sollten im übrigen die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft, der Psychologie und Sozialwissenschaften durch den Blick auf die stoffliche Basis genichtet werden? Nach wie vor wirkt Umwelt und Erziehung sehr wesentlich an unserer Selbstwerdung mit – etwas, das wir auch leicht aus dem Rückblick auf eigenes Erleben verifizieren können.

    Viel wesentlicher als den Streit über die stofflichen/nichtstofflichen Herleitungen von „Abweichungen“ finde ich die Frage, warum das Abweichen von einer Mehrheit eigentlich so ein Problem darstellt. Klar, ein/e Psychopath/in ist ohne Frage eine hoch problematische Abweichung von der Norm der friedlich-leben-Wollenden, aber XYZ/viele Geschlechter? Wen störts und warum?

    Die Natur ist aus krummem Holz, es gibt weder perfekte Kreise noch perfekte Binaritäten, sondern immer Bandbreiten, Varianten im Feld des Übergangs zwischen der einen und der anderen „klaren“ Ausprägung.

    Warum zum Teufel begreifen wir die Formenvielfalt nicht einfach als interessant und schön? Insbesondere beim Thema Geschlecht sollte das EIGENTLICH EINFACH sein, weil niemandem geschadet wird und niemand leiden müsste.

    Like

  12. Da gehe ich in jedem Punkt mit, Natanji. Du nimmst vieles vorweg, was ich gerade schreiben wollte.

    „Ich hasse auch das komplette “born this way”-Narrativ. […] Wieso meinen Menschen, uns nur dann respektieren zu können, wenn wir biologisch entsprechend determiniert sein sollten?“

    Auch das kann ich nur dick unterstreichen. Mich ärgert schon diese rein defensive Argumentation. Als müsste ich beweisen, dass ich auch bei größter Antrengung wirklich gar nicht anders könne als schwul zu sein, um die „Erlaubnis“ zu einem Leben zu bekommen, das auf rein freiwilliger Basis offenbar ethisch nicht zu rechtfertigen wäre. Ich will doch nicht nur deswegen schwul leben dürfen, weil mir Mutter Natur eine Entschuldigung schreibt: „Er kann leider nicht an der Heteronormativität teilnehmen, weil er genetisch unabkömmlich ist.“ Mein schwules Leben ist keine Frage der artgerechten Haltung.

    Vor allem ärgert mich, das wir uns mit jedem Zugeständnis an ein biologisches Primat auf eine höchst zweifelhafte Philosophie einlassen. Es gab immer wieder Ethiken und Ideologien, die sich vor allem auf (vermeintliche!) biologische Festlegungen konzentrierten. Und dann gibt es andere, die vor allem die Freiheit des Menschen betonen, sein Leben selbst zu gestalten und zu verantworten. Die ersteren haben sich in der Geschichte nicht gerade als die menschenfreundlichsten erwiesen.

    Like

  13. Female to male scheint deutlich seltener zu sein, deswegen gibt es vermutlich weniger Studien dazu (man braucht ja möglichst viele Teilnehmer, und zwar noch nicht hormonell behandelte). Es gibt Studien, die zeigen, dass sich FtM früher behandeln lassen, was es vermutlich weiter erschwert.

    Klicke, um auf RAMETTI%20ET%20AL%202011.PDF zuzugreifen

    http://www.fertstert.org/article/S0015-0282(07)01228-9/fulltext

    http://www.cakeworld.info/transsexualism/what-is/brain-similarities
    („In both types of transsexuals, the differences with respect to their biological sex are located in the right hemisphere.“)

    https://repo.lib.semmelweis.hu/bitstream/handle/123456789/70/regional_grey_matter.pdf?sequence=1

    Klicke, um auf Cereb.-Cortex-2013-Zubiaurre-Elorza-2855-62.pdf zuzugreifen

    Like

  14. „diese merkwürdige Vorstellung der Männer, sie könnten Phänomene verstehen, indem sie die Ursachen davon aufdecken“

    umgekehrt wird man halt gar nichts verstehen, wenn man die Ursachen nicht versteht. Sicherlich ist Ursachensuche nicht die einzige Möglichkeit zu Erkenntnis zu gelangen. Ebenso sicher ist sie aber unverzichtbar. Und zum Glück sehen das durchaus auch viele Frauen so. Ich finde es auch bedenklich wie Du die sehr problematische Zuschreibung von Naturwissenschaft zu Männlichkeit hier förderst. Die Ursache(!) dieser gesellschaftlichen Zuschreibung liegt ja wohl viel weniger in einer irgendwie anderen Erkenntnisart von Frauen sondern viel mehr in der gesellschaftlichen Zuweisung von Chancen und Ansehen.

    Like

  15. Also Finks Argumentation finde ich nun wirklich seltsam! Man kann sich wissenschaftliche Wahrheit nicht nach Belieben AUSSUCHEN, sondern allenfalls im Einzelfall behaupten, dass eine Studie oder ein Experiment falsch durchgeführt wurde, ein Ansatz bzw. die Bewertungen von Ergebnissen falsch seien, etc. usw.

    Außerdem: gefühlte 1000 Jahre haben schwule Menschen berichtet, dass sie es sich eben nicht aussuchen konnten, sondern sich als schwul ERLEBTEN. Es also grade nicht ihre freie Entscheidung gewesen war. (ich hab mir meine Hetero-Existenz ja auch nicht ausgesucht). Ob da nun „die Natur“ oder „die Erziehung“ (bei Psychoanalytikern war ja mal die Mutterbeziehung als Ursache gängig) die „wahre“ Ursache ist, spielt doch dann angesichts dieser existenziellen Geworfenheit gar keine Rolle!

    ABER: natürlich kann mensch auch aus freier Entscheidung schwul leben. Ich bin in den 70gern jung gewesen, da war die Idee, es seien sowieso alle im Grunde bisexuell gang und gäbe. Und es gab nicht wenige feministische „Bewegungslesben“, die sich frei für Frauen als Liebespartnerinnen entschieden haben, weil sie sich nicht mit Männern zusammen tun wollten.

    Like

  16. @Benni – Da widerspreche ich dir und halte die Zuschreibung zur (real existierenden) Naturwissenschaft als männlich aufrecht. Natürlich ist es keine irgendwie andere Erkenntisart von Frauen (wenn, wäre es sowieso eine andere Erkenntnisart von Männern /scnr), aber es ist die Folge eines von Männern (für Männer) entworfenen dualistischen Weltbildes von Subjekt/Objekt usw. usw. in das auch der Geschlechterdualismus Männlich/Weiblich bereits eingebaut war. Es ist sehr viel mehr hierbei im Spiel als die „gesellschaftliche Zuweisung von Chancen und Ansehen“. Sondern es ist tatsächlich eine Verzerrung in der Wahrnehmung, die insofern von mir als „männliche“ Wahrnehmung qualifiziert wird, als sie tatsächlich ein als „männlich“ konstruiertes Subjekt voraussetzt. Einen Forscher, der deshalb männlich ist, weil er sich eines Großteils der menschlichen Realität entledigt hat (die es als „weiblich“ aus dem eigenen Horizont ausgelagert hat). Und insofern: Aber sicher kann man Sachen verstehen, ohne ihre Ursachen zu kennen!

    (Ich schreib’s mal auf die Liste für unseren nächsten Podcast)

    Like

  17. Wie wäre es denn mit einem evolutionären Blick auf die Entwicklung von Erkenntnissystemen? Es ist ja nicht so ganz abwegig, auch bei sich „durchsetzenden“ Technologien davon auszugehen, dass sie schlicht in höherem Maße überlebensfähig sind. Womöglich ist die „männliche“ Naturwissenschaft schlicht die VHS-Kassette unter den Erkenntnissystemen, aber sie hat sich ob ihrer Robustheit/Anpassungsfähigkeit/Leistungsfähigkeit gegen Video 2000 und Konsorten durchgesetzt, die nicht das Subjekt/Objekt-Schema verfolgen. (analog übrigens zum Kapitalismus)

    Like

  18. zu ClaudiaBerlin: Ich argumentiere nicht gegen die wissenschaftliche Behauptung des „Angeborenseins“ sexueller Orientierungen und Identitäten. Ich widerspreche lediglich der Annahme, der wissenschaftliche Nachweis eines Angeborenseins, somit einer Wahl-Unfreiheit sei die beste oder sogar die einzige Möglichkeit, um gesellschaftliche Akzteptanz und Rechte einzufordern.

    Die wissenschaftliche / biologische Argumentation funktioniert zweifellos und ist in sich stimmig. Aber sie ist nicht das Wichtigste, was wir anführen können, wenn es darum geht, die Freiheit jedes Menschen einzufordern, das ihm gemäße Leben zu führen. Diese Freiheit beinhaltet eben auch Dinge, für die wir uns tatsächlich selbst entscheiden und nicht nur Dinge, die die Biologie für uns festlegt. Warum also nicht gleich ganz auf der rein ethischen statt auf der biologischen Schiene argumentieren? Denn auch diese Schiene ist in sich stimmig und überzeugend. Für eine ethische Akzeptanzargumentation benötige ich keine Hilfsleistungen der Biologie.

    Und ich glaube sogar, dass diese Hilsleistungen vom wichtigsten Punkt, der ethischen Diskussion, sogar ablenken können, weil sie eben nicht von Freiheit und Verantwortung sprechen, sondern nur von Festlegungen und (oftmals nur vermeintlichen) Unfreiheiten.

    Folgen wir der biologischen Argumentation, dann müssen wir queeren Menschen allein deswegen akzeptiert werden, weil wir nun mal nicht anders sein können, als wir sind. Das heißt im Grunde: weil wir unfrei sind. Die Frage der Akzeptanz und der Rechte wird damit einer ethischen Bewertung enthoben. Das ist einerseits in Ordnung, weil diese ethische Bewertung eigentlich wirklich niemandem zusteht. Homosexualität oder Transsexualität als psychische Anlagen ethisch abzulehnen ist etwa so sinnvoll wie den blauen Himmel abzulehnen.

    Andererseits glaube ich, dass sich die Einsicht, z.b. Homo- und Transsexualität nicht abwerten zu können oder zu müssen, langfristig nur über eine wirklich ethische Diskussion einstellen wird und nicht über eine Diskussion der biologischen Unfreiheit. Nur weil etwas in der Natur angelegt ist, muss das ja noch lange nicht heißen, dass es auch immer ethisch gut ist. Dieses Argument wird von Kritiker*innen durchaus zu recht angebracht. Denken wir z.B. an Aggressionen: Die sind biologisch angelegt, dürfen und müssen aber trotzdem bewertet und geregelt, notfalls sanktioniert werden. Da muss eben doch eine ethische Diskussion her, an deren Ende die schlichte und klare Erkenntnis stehen würde, dass die allermeisten sexuellen Bedürfnisse und Identitäten niemandem schaden und deswegen auch nicht abgewertet oder diskriminiert werden dürfen.

    Das Hauptargument kann also in meinen Augen nicht sein: „Die können nicht anders, deshalb müssen wir ihr Verhalten notgedrungen billigen (obwohl wir das eigentlich immer noch falsch finden)“, sondern „Verhalten, das nicht schadet, darf nicht abgewertet oder sanktioniert werden.“

    Like

  19. @Papadopoulos – Nun ja, ich glaube, sie können auch einfach nur in höherem Maße gewalttätig sein. Ich glaube nicht daran, dass sich im Lauf der Geschichte automatisch das Bessere durchsetzt. Schön wär’s 🙂

    Like

  20. Nicht „besser“, sondern „erfolgreicher“. Die Evolution tickt eben nicht nach moralischen, sondern nach utilitaristischen Mechanismen. Insofern ist „gewalttätig“ womöglich realitätsnäher.

    Like

  21. @Erdbeerbaeumle: Es stimmt nicht, dass es deutlich mehr „MtF“ als „FtM“ trans Personen gibt; woher nimmst du das? Mein Google-Fu spuckt Studien aus, die von einem Verhältnis 1 : 1,5 sprechen.

    @Fink: vielen Dank für deine Beiträge, das hast du supertoll ausgeführt. Ich musste bei deiner „Entschuldigung der Mutter Natur“ laut lachen. 😀

    Like

  22. „Der zweite Professor erläuterte die Unterschiede zwischen Männergehirnen und Frauengehirnen, die bekanntlich dazu führen, dass Frauen harmoniedüdelig und Männer aggressiv sind“

    Oh. Das ist aber alter Stoff. Vielleicht hast Du da einfach Vortragende erwischt, die ein bissl angestaubt sind und (leider) dem alten feministischen Feindbild „die Naturwissenschaften“ entsprechen. Schade.
    „Die Naturwissenschaften“ haben natürlich auch selbst mit dran Schuld, weil sich ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen manchmal immer noch so benehmen, als gäbe es so etwas wie finale Erklärungen und „die Lösung“ für Problem xyz.
    Das mag manchmal so sein, aber eigentlich ist doch mittlerweile eher Konsens, dass alles dauernd anders ist als man es noch vor kurzem dachte, und man daher etwas vorsichtiger wird mit sogenannten Fakten.
    Eigentlich finde ich es total spannend, allen unseren „Funktionen“ sowohl naturwissenschaftlich als auch philosophisch, gesellschaftlich auf die Spur zu kommen.
    Immer unter der Prämisse des Vorläufigen und Unvollständigen, es werden immer nur Ideen und Annahmen bleiben.
    Ich habe irgendwo mal in einem Naturwissenschafts-Podcast einen Biologen davon reden hören, dass es zunehmend gewünscht wird, die starre Trennung von Geistes,- und Naturwissenschaften aufzulösen und die Forschungsfragen und deren Ergebnisse viel breiter zu diskutieren. Dazu würde dann eben auch gehören, dass man das reale Erleben von Menschen anhört, ernst nimmt und mit einbezieht.

    @Antje & @Benni:
    „Ich schreib’s mal auf die Liste für unseren nächsten Podcast“
    Oh ja, bitte! Das würde mich sehr interessieren!

    Like

  23. Die Frage ist doch, ob ein Teil im Gehirn, der einen Menschen dazu bringt, „sich als …“ zu identifizieren, diesen Menschen zu einem weiblichen Menschen macht.

    Genauer gesagt: Es ist die Frage, was ein weiblicher Mensch ist. Ist es einer mit weiblichen Organen und weiblicher Biologie? Oder ist es einer mit beliebiger Biologie, von dem wir annehmen, dass in seinem Gehirn ein Bereich seine „Weiblichkeit“ ausmacht und dieser Mensch sich deshalb von den an Frauen adressierten gesellschaftlichen Konventionen angesprochen fühlt – egal, wie diese aussehen mögen.

    Die Frage ist also: Was ist das Geschlecht? Sind es die Geschlechtsorgane? Oder ist es etwas in Gehirn?
    (Wenn es etwas im Gehirn ist, wie verhält es sich mit dem Geschlecht von Lebewesen ohne Gehirn?)

    Nehmen wir an, wir definieren das Geschlecht als etwas im Gehirn, was uns selbstverständlich freisteht, dann benötigen wir eine neue Bezeichnung für Menschen mit ehemals als weiblichen bzw. männlichen bezeichneten Organen.

    Like

  24. @Vanuatu – ja, für letztes erwäge ich gerade (bzw. hab das in diesem Blogpost ja auch schon ausprobiert) xx-Menschen und xy-Menschen, wie wäre das?

    Like

  25. Ich finde diese Bezeichnungen sehr doof bzw. irreführend. Wer hat schon tatsächlich seine Chromosomen mal testen lassen? Die lassen sich an Geschlechtsteilen halt nicht ablesen.

    Like

  26. Ich weiß nicht, ob Frauen, die gerade einen kurzes Stück auf dem Weg zu Freiheit und gleichen Rechten zurückgelegt haben, nun ihre Selbstbezeichung, Sichtbarkeit und (icht nur sprachliche) Identität aufgeben sollten, weil es einige Menschen gibt, die zweifelsohne den selben Anspruch auf gleiche Rechte und Freiheit, jedoch nicht unbedingt Anspruch auf die Bezeichung Frau haben – mit allen Folgen, die eine solche Begriffsaneignung mit sich bringt.

    Für Menschen mit weiblichen bzw. männiichen Reproduktionssystemen existieren Begriffe. Für Transpersonen ebenfalls. Dabei kann man es belassen.

    Like

  27. @Natanji – Was wäre dein Vorschlag? Inhaltlich geht es mir dabei darum, eine Bezeichnung zu haben für Menschen, die (im Verlauf ihres Leben) möglicherweise schwanger werden können (oder konnten), und für Menschen, die sicher niemals schwanger werden können/konnten. Diese Unterscheidung ist praktisch und politisch bedeutsam, und sie lässt sich eben durchaus mit sehr großer Wahrscheinlichkeit anhand der Genitalien treffen. In einem älteren Blogpost habe ich dafür ja Frauen* und Männer* (mit Sternchen) vorgeschlagen. Aber alles andere Praktikable wäre mir auch recht.

    Like

  28. Das ist jetzt ein schwieriger Kommentar, weil du mich als transfeminine Person dabei glaube ich mit der eigentlichen Frage nach sowas bereits triffst. Ich führe das jetzt mal aus, ok?

    Also: Ziehst du die Grenze wirklich beim „schwanger werden können“? Weil wenn es auf „Gebährfähigkeit“ ankommt, kann man diese Menschen halt „gebährfähige Menschen“ nennen. Durch deine Ausweitung auf die Vergangenheit und Zukunft schließt du aber zusätzlich aber Menschen ein, die diese Gebährfähigkeit gar nicht in diesem Moment haben. Das frage ich mich erst einmal: warum denn?

    Ich vermute du willst auf ne politische Kategorie heraus, auf irgendeine gemeinsam erlebte Diskriminierung. Ich wäre bei sowas sehr vorsichtig: Machst du damit nicht wieder die gleiche Kategorie vom „Geschlecht Frau“ auf, wie sie früher verstanden wurde? Ich kenne diese Denkweise leider von TERFs, deswegen bin ich da vielleicht etwas übersensibel: so ein bisschen nach „trans Personen haben die Welt kompliziert gemacht, ich will wieder die binärgeteilte Welt zurück“ wirkt das aber schon, das will ich mal ganz offen sagen. :/

    Für mich wichtig: wenn du das so versuchst von Geschlecht zu entkoppeln, dann ist Gebährfähigkeit nichts Identitäres und dann ist ja vielleicht auch okay, dass sich das im Laufe des Lebens (gewollt oder ungewollt) ändert. Eine Person, die nicht (mehr) gebährfähig ist, ist ja auch logischerweise nicht von gewissen Problemen und Diskriminierungen qua der eigentlichen Fähigkeit betroffen, ne?

    Well. Vielleicht irgendwie doch, denn vielleicht geht es den diskriminierenden Leuten am Ende gar nicht um die Gebährfähigkeit, sondern um das Geschlecht der Leute, wie außenstehende es *lesen*. Niemand checkt vor der Diskriminierung deinen Chromosomensatz oder ob du einen Uterus hast, du weißt wie ich das meine.

    Du *spürst* aber – das hast du schon oben beschrieben – zu trans Männern eine Art besondere Verbindung und die willst du in Worte fassen. Da soll ein „wir“ entstehen, verstehe ich dich da richtig? Und trans Frauen sollen explizit nicht in dieser Kategorie sein, wenn ich das richtig verstehe? Falls dem so ist, frage ich mich halt wirklich: *warum*? In meinen Augen ist diese Kategorisierung an sich schon eine, die dazu da ist um wieder neue Ausschlüsse und ein falsches „wir“ zu schaffen, das wir längst hinter uns gelassen haben.

    Das Problem lautet in meinen Augen „Misogynie“ und von dieser können cis Frauen betroffen sein, aber eben auch trans Personen jeglicher couleur (nicht nut trans Frauen, auch trans Männer). Ich weiß, dass die Abwertung der Frau in der 2. Welle von vielen Menschen am Uterus-haben/gehabt haben festgemacht wurde, but again: I think we’ve moved past that idea. Eine cis Frau, die noch vor ihrer Geschlechtsreife ihren Uterus verliert, passt in die Kategorie die du gerade schaffst ja nicht rein – vermutlich würdest du sie aber drin haben wollen, und vermutlich ist sie ganz ähnlich von Diskriminierung betroffen.

    Like

  29. @Natanji – In Punkto Gebärfähigkeit beziehe ich Vergangenheit und Zukunft deshalb ein, weil zusammen mit der Gebärfähigkeit immer auch die Notwendigkeit kommt, entscheiden zu müssen, ob man diese Möglichkeit realisiert (oder versucht zu realisieren). Daher bevorzuge ich auch „Schwangerwerdenkönnen“ statt „Gebärenkönnen“, denn eine Schwangerschaft bedeutet nicht automatisch auch eine Geburt, aber sie bedeutet automatisch, dass die schwangere Person entscheiden muss, ob sie das Kind austrägt oder nicht. Schwangerwerdenkönnen ist auch eine mögliche Folge von Vergewaltigungen, selbst wenn die Person nie vorhatte, schwanger zu werden. Das Schwangerwerdenkönnen betrifft auch zum Beispiel mich als über 50-Jährige, weil ich bis zum Lebensende mit meiner Entscheidung leben muss, diese eventuelle Möglichkeit des Schwangerwerdenkönnens nicht realisiert zu haben. Möglicherweise kann ich gar nicht schwanger werden, das weiß ich nicht, weil ich es nie ausprobiert habe. Aber im Unterschied zu anderen hätte ich es ausprobieren können und muss nun damit leben, es nicht getan zu haben. Das heißt, es geht mir nicht um die realen Vorgänge Schwangerschaft/Geburt allein, sondern um die Position, die sich daraus ergibt, möglicherweise schwanger werden zu können /gekonnt zu haben. Diese Entscheidung betrifft Transmänner unter Umständen noch einmal verstärkt, weil sie ja zum Beispiel entscheiden müssen, ob sie mit körperlich geschlechtsangleichenden Maßnahmen diese mögliche Fähigkeit des Schwangerwerdens beenden – oder nicht. Diese Positionierung (ein Mensch zu sein, der potenziell schwanger werden kann, geworden ist oder gekonnt hätte) ändert sich auch nicht im Lauf des Lebens.

    Das heißt also, es geht mir NICHT in erster Linie um eine gemeinsam erlebte Diskriminierung. Obwohl auch das ein Faktor ist, denn Personen, die möglicherweise schwanger werden können, sind ja allerlei gesellschaftlichen Reglementierungen unterworfen, die ausschließlich sie betreffen, wie etwa Abtreibungsverbote, unnötig schwerer Zugang zu Verhütungsmitteln, Prekäre Geburtsbegleitung (Stichwort Hebammen), rechtliche Verfügungsgewalt anderer Personen über die von ihnen geborenen Kinder, fehlende gesellschaftliche Solidarität mit Müttern bzw. deren prekäre materielle Absicherung usw.usw. Das alles sind Strukturen, die Personen, die schwanger werden können, unmittelbar betreffen und Personen, die nicht schwanger werden können, eben nicht (es sei denn über den „Umweg“ einer Beziehung zu einer Schwangerwerdenkönnenden).

    Was das „Zusammenfassen in Kategorien“ betrifft, so hat das Thema der Geschlechterdifferenz eben zwei Komponenten: Eine faktische und eine symbolische. Die faktische betrifft eben Menschen die schwanger werden können oder nicht. Die symbolische betrifft Frauen und Männer (und andere Geschlechter). Beide sind nicht deckungsgleich, aber eben auch nicht unabhängig voneinander. Die symbolischen Zuschreibungen an männlich und weiblich hängen ja offensichtlich zu großen Teilen mit der Frage der Gebärfähigkeit zusammen (Arbeitsverbote für Frauen, die Zuweisung von Care-Arbeiten an sie usw.usw.). Es geht also nicht darum, mit wem ich mich verbunden „fühle“. Ich BIN mit Transfrauen darin verbunden, dass sie symbolischen Zuschreibungen und Diskriminierungen qua Frausein ausgesetzt sind. Ich BIN mit allen Personen, die schwanger werden können/gekonnt haben, in genau dieser Positionierung und den daraus resultierenden Problemen und Verantwortlichkeiten verbunden. Und „wir“ alle drei – Cisfrauen, Transfrauen, Transmänner – unterscheiden uns darin von Cismännern, dass wir nicht ungebrochen die Position des „Normal-Männlichen“ einnehmen können, so wie es in der patriarchalen symbolischen Ordnung vorgegeben ist. Und die feministischen unter uns wollen das hoffentlich auch nicht.

    Like

  30. Hey, danke, daas du das erklärt hast und viel davon verstehe ich und kann ihm zustimmen (obgleich ich die Unterteilung in „faktisch“ und „symbolisch“ unglücklich finde, weil die symbolische Zuteilung ja nicht weniger faktische Auswirkungen hat).

    Auf einer gewissen Ebene interessiert mich noch, was mit deiner Einteilung passiert, sobald Uterustransplantationen weiträumig möglich werden. Dann wäre im Prinzip jeder Mensch in der Lage, diese Entscheidung pro oder gegen eigenes Schwangerwerden zu treffen. Aber ich will hier eigentlich deine Einteilung nicht großartig angreifen; ich verstehe nun viel besser die Motivation dahinter und fühle mich weniger berührt durch sowas.

    Zu den Vorschlägen, die du suchst: ich finde es einfach ungünstig, das an körperliche Merkmale zu binden, die dann doch wieder nicht das aussagen was du meinst. „Schwangerschaftsfähige“ oder „Uterus-Menschen“ wäre da genauso falsch wie „XY-Menschen“, alles wo du körperliche Merkmale nennst wird wieder Leute ausschließen. Vielleicht dann lieber ein ganz neues Wort erfinden…? Oder aus dem Lateinischen was ableiten, sowas wie „Pario-Menschen“ für die von dir gesuchte Kategorie?

    Like

  31. „Der zweite Professor erläuterte die Unterschiede zwischen Männergehirnen und Frauengehirnen, die bekanntlich dazu führen, dass Frauen harmoniedüdelig und Männer aggressiv sind“

    Es gibt viele, denen eine solche Argumentation bestens ins Konzept passt. Wenn Frauen wegen eines vermeintlich „weiblichen“ Gehirns „so“ sind, erübrigen sich alle Bemühungen, das Gender „Frau“ von Stereotypen zu befreien. Dann kann die gesamte Emanzipation in die Tonne.

    Man sollte dies dringend bedenken, es gibt handfestes politisches Interesse an der Existenz eines „weiblichen“ Gehirns.

    (Abgesehen davon wurde erst kürzlich eine Metastudie veröffentlicht, die keine Unterschiede dingfest machen konnte.)

    Like

  32. @Natanji – „Pariomenschen“ ja, aber dann müssen wir die Nicht-Parios auch symbolisch markieren! _

    PS: Wenn Uterustransplantation irgendwannmal Standard ist, stellt sich die Frage nicht mehr so, da hast du recht. Wir brauchen also sozusagen nur eine Bezeichnung für die Übergangszeit bis dahin :))

    Like

  33. @Blaumeise:
    „(Abgesehen davon wurde erst kürzlich eine Metastudie veröffentlicht, die keine Unterschiede dingfest machen konnte.)“

    Ja. Bin sehr gespannt wann das mal in den Common Sense Eingang findet…

    Like

  34. @Blaumeise: hast du einen Link zu der Metastudie? Und ja, ich denke das gleiche und bin darum vorsichtig. Diese Unterscheidung von Eigenschaften nach Biologie hat einfach nen ziemlich krass patriarchalen (und kolonialistischen) Hintergrund, den eins *immer* mit betrachten sollte.

    @Antje: Ja, klar, da müsste eins sich noch ein Wort ausdenken. Ich denke, da können wir alle viel ausprobieren und einfach mal gucken, was so angenommen wird. Eine witzige Idee fände ich Pario vs. Parino… (wie „PariNO“). Das hat auch beides einen hübsches Klang. ^^

    Ich bin übrigens noch unschlüssig, ob es wirklich um eine weite Verfügbarkeit von Uterustransplantationen geht. Die eigene Beschäftigung mit dem Thema Schwangerschaft – unabhängig von der eigentlichen Umsetzung – ist ja etwas, was Menschen unabhängig von der tatsächlichen Möglichkeit sehr stark im Kopf sein kann und wenn ich dich richtig verstanden habe, geht es dir eben um diese psychische Komponente und nicht über die körperliche Fähigkeit (die du ja z.B. gar nicht ausgetestet hast, wie du sagst). Eine trans Frau kann sich ganz enorm mit dem Thema beschäftigen und z.B. heute schon auf medizinische Fortschritte während ihrer Lebzeit hoffen, sich entscheiden ob sie an experimentellen Verfahren zur Transplantation teilnehmen will, sich entscheiden ob sie selbst in der Richtung forschen möchte, undundund. Ich will nur anmerken, dass die Grenze da in meinen Augen schon heute auch eine fließende ist – genauso wie es klar ist, dass cis Typen demgegenüber recht klar abgegrenzt sind, was ich absolut unterstützte.

    Like

  35. “ und wir lästerten nicht nur ein bisschen über diese merkwürdige Vorstellung der Männer, sie könnten Phänomene verstehen, indem sie die Ursachen davon aufdecken“

    Ja voll merkwürdig…omg

    Was soll daran merkwürdig sein? Das ist doch die normalste Herangehensweise an ein „Problem“.

    Like

  36. @Blaumeise: ich habe nicht das Gefühl, dass es ein politisches Interesse an der Existenz eines „weiblichen“ Gehirns gibt. Es gibt eher ein politisches und vor allem wirtschaftliches Interesse, dass Frauen ein männliches Gehirn haben. Es wäre zumindest einfach praktisch in einer Welt, in der Schwangerwerdenkönnen wenig wert ist und damit der Wert von Frauen wie der von Männern gemessen wird: an der Erwerbsarbeit.

    Like

  37. @Natanji: manchen Studien sprechen von 1:2, andere von 1:10 bei den Teilnehmern. Viele Studien schreiben, dass sie FtM nicht berücksichtigen konnten, weil es zu wenige Teilnehmer gab. Ob es insgesamt weniger gibt, sich weniger melden oder es daher kommt, dass sich FtM deutlich früher zu einer Behandlung entschließen, kann man kaum entscheiden.

    Like

  38. @Blaumeise:
    Ich bin dem Link zu der Studie gefolgt, und erfreulicher Weise wird dort deutlich sorgältiger formuliert als im Zeit-Artikel!

    Zitat
    „Menschliche Gehirne lassen sich nicht einfach in männlich und weiblich einteilen. Obwohl Unterschiede bestehen, besitzen die meisten Menschen ein Mosaik aus weiblichen und männlichen Anteilen.“
    Au weia. Super Beispiel für die Macht kultureller Zuschreibung (nämlich der Annahme, es gäbe tatsächlich „männliche/weibliche“ Anteile in Gehirnen). Oder es ist einfach nur schlumpig übersetzt worden. Was auch nicht schön ist.
    Im Abstract steht:
    „humans and human brains are comprised of unique “mosaics” of features, some more common in females compared with males, some more common in males compared with females, and some common in both females and males.“
    Hier schreibt niemand von „male“ features oder „female features“ sondern „features“ die in Vergleichen mal hier, mal dort, stärker ausgeprägt erscheinen, insgesamt jedoch keine belastbare Unterscheidung in „male“ oder „female brain“ nahelegen.

    Ich weiss, kann man furchtbar wortklauberisch finden.
    Aber wenn schon mal „die Wissenschaft“ mit einer solchen Studie daher kommt und mit falschen, veralteten Annahmen und Zuschreibungen aufräumen will, dann sollte man sie wenigstens korrekt rüberbringen.

    Like

  39. „ich habe nicht das Gefühl, dass es ein politisches Interesse an der Existenz eines “weiblichen” Gehirns gibt.“

    Dein Gefühl in allen Ehren.
    Aber schau dir die Erwerbsarbeit mal genau an: Auch da sind für Frauen stereotype Rollen vorgesehen, „Frauenberufe“, Pflege, Kinder, Putzen, Hilfs- und Assistenztätigkeiten. Begründet wird dies explizit oder implizit mit der vermeintlich natürlichen Eignung von Frauen für diese Bereiche bzw. mit ihrer Nichteignung für Technisches, Führung und stereotyp „Männliches“.
    Die Aufteilung in „weibliche“ und „männliche“ Tätigkeitsfelder würde von der Exitenz eines „weiblichen“ Gehirns legitimiert werden.
    Und daran haben diejenigen ein politisches Interesse, die davon profitieren.

    Abgesehen davon müssten diejenigen Frauen, die keine stereotypen Verhaltensweisen an den Tag legen, sich fragen (lassen), ob mit ihrem Gehirn etwas nicht in Ordnung ist.

    Like

  40. @Vanuatu
    Ich kann nicht sehen, wo Frauenberufe mit „weiblichen Gehirn“ legitimiert werden. Es ist nicht nötig, denn Männer und Frauen streben von ganz alleine in die typischen Berufe. Männer und Frauen streben übrigens umso mehr in „typische“ Berufe, je mehr wirtschaftliche Freiheit sie haben.
    Niemand hindert Frauen daran, z. Bsp. technische Berufe zu ergreifen, und Männer könnten ebenfalls typische Frauenberufe ergreifen, wenn sie wollen.

    Ich sehe auch nicht, wo das „politische“ Interesse liegen soll. Vielleicht dass man den Bauberufen keine Leute abzieht? Oder meinst du, dass man die Pflegeberufe vor den Männern schützen möchte?

    Und Putzen zum Beispiel ist keineswegs nur ein Frauenberuf. Der Männeranteil liegt bei 30%, Tendenz steigend. Es fällt Dir vielleicht nicht so auf, weil Männer seltener Büros putzen als Frauen, aber teilweise schon die Mehrheit stellen bei der Fensterreinigung, Reinigung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Bahnhöfen, Gebäudereinigung, Straßenreinigung. Würde man Müllabfuhr und Kanalreinigung sowie die Schädlingsbekämpfung dazurechnen zum Putzen, dann würde der Anteil noch höher liegen. Da Männer viel häufiger Vollzeit arbeiten, liegt man, was Arbeitszeit angeht, vielleicht schon bei 50% – leider kann ich dazu nichts finden.

    Like

  41. @Carola Das Gehirn ist keineswegs so flexibel, wie das bei dir klingt. Es ist durch die Gene bereits hochgradig strukturiert und besteht aus vielen spezialisierten Einheiten.

    Das Beispiel der Patienten mit Cochlear oder Netzhautimplantaten ist kein gutes Beispiel. Denn man muss das Implantat sehr wohl an den Hörnerv bzw. den Sehnerv andocken, und dann landen die Signale bei den richtigen Neuronen im Gehirn, die dafür schon strukturiert sind. Keineswegs könnte man die irgendwo andocken.

    Ein gutes Sachbuch, das den aktuellen Wissensstand zum Gehirn wiedergibt, ist „HOW THE MIND WORKS“ von Steven Pinker.

    Zwischen Angeborenem und Erlerntem zu Unterscheiden ist durchaus möglich, zum Beispiel dadurch, dass man Menschen untersucht, bei denen bestimmte Teile des Gehirns geschädigt sind. Gerade auch an Patienten mit Schlaganfall.

    Was schwieriger ist, ist zu Ergründen, woher die Varianz einer Eigenschaften kommt, etwa warum ist ein Mensch besser in Mathe als ein anderer. Warum jemand introvertierter oder abergläubischer ist usw. Was ist von dieser Varianz von der Umgebung beeinflusst, was angeboren? Das untersucht man zum Beispiel durch die Zwillingsforschung.

    Like

  42. „Ich kann nicht sehen, wo Frauenberufe mit “weiblichen Gehirn” legitimiert werden. Es ist nicht nötig, denn Männer und Frauen streben von ganz alleine in die typischen Berufe.“

    Und woran liegt das deiner Meinung nach?

    Like

  43. @Erdbeerbaemle Vor zwanzig Jahren hätte ich dir soziologische Studien nennen können, die aufzeigt, wie Mädchen und Jungen eben doch in bestimmte Berufe gedrängt werden. Mittlerweile habe ich eine gewisse praktische Anschauung gewonnen, wie Jungen und Mädchen, die nicht Abitur machen, am Ende der zehnten Klasse ihre Berufslaufbahn wählen. Sie wählen nicht frei, weil sie in diesem Alter überhaupt noch nicht in der Lage sind, die vorhandenen Möglichkeiten zu sichten, sich ein Bild ihrer eigenen Fähigkeiten und Interessen zu machen und sich womöglich zu überlegen: „Ich habe zwar noch nie einen Schraubenzieher in der Hand gehabt, weil das immer mein Vater gemacht hat, aber vielleicht habe ich gar nicht zwei linke Hände, wie ich immer geglaubt habe, sondern müsste das einfach einmal ausprobieren.“ Eine junge Frau meiner Bekanntschaft, die selbst in einen typischen Frauenjob (Büro) hineingerutscht ist, stellt jetzt, nachdem sie von zuhause ausgezogen ist, fest, dass sie durchaus mit einem Akkuschrauber umgehen und Ikea-Montageanleitungen entziffern kann. Jetzt hat sie aber schon ihren Beruf. Ihr Bruder hat auch nie einen Schraubenzieher in der Hand gehabt, bevor er seine Ausbildung begann, aber bei ihm war die Erwartung selbstverständlich, dass er eine handwerkliche Lehre bewältigen kann.

    Like

  44. Ihre Entstehung ist naturwissenschaftlich herzuleiten, man kann also experimentell-biologisch beweisen, dass es sie gibt. Die Betroffenen „bilden sich das nicht nur ein“. Tadaa!

    Das erinnert mich an die Haltung mancher Ärzte zu Symptomen, die nicht in ihrem Fachbuch stehen („das kann gar nicht von der Schilddrüse kommen“). Aber diese Beschränkung auf den eigenen Horizont ist ja keine naturwissenschaftliche Methodik, die könnte fast überall vorkommen.

    Wissenschaften mit dem Narzissmus ihrer Vertreter gleichzusetzen oder mit deren Karikatur, erscheint also recht bequem, aber das machst ja nicht nur du so, das ist ein Szene-Habitus. Der Feminismus leidet an einer Nichtkommunikation mit Naturwissenschaftlerinnen. Als Studentin, die sich mit Naturschutz befasste, erwähnte ich vor gut 20 Jahren im Gespräch mit einer Theologiestudentin den Begriff „natürliche Vegetation“. Sie belehrte mich, „Natur“ sei nur ein Konstrukt, damit war das Thema für sie erledigt. Da war ich baff. Sie hätte mich ja auch fragen können, was man darunter versteht, und ich hätte gleich Beispiele liefern können, dass es dafür verschiedene Definitionen gibt. Aber dann hätte sie ja was von mir gelernt, obwohl ich aus einer niederen Kaste stamme. 😉

    Und so ähnlich sieht der Nicht-Dialog zwischen feministischen Sozialwissenschaftlierinnen und Naturwissenschaftlerinnen bis heute aus: Die Feministin betrachtet die Naturwissenschaftlerin als Opfer, das im Dustern männlicher Konstrukte herumirrt, oder als Komplizin des Patriarchats.

    Like

  45. @Irene – ja, vermutlich wäre da mehr Dialog wünschenswert. Leider hat keine Naturwissenschaftlerin bei dieser Konferenz gesprochen, über die ich hier geschrieben habe. Nach außen hin, also dort, wo Laiinnen wie ich etwas mitbekommen, wird das Konzept Naturwissenschaft leider immer noch oft von solchen Männern vertreten, die dann jedes negative Vorurteil bestätigen.

    Ein Teil davon ist natürlich auch, dass Naturwissenschaftler oft die Erkenntnispotenziale anderer Wissenschaften gar nicht anerkennen, sondern das als „weichen Pillepalle“ abtun, und zwar wieder verstärkt, seit Universitäten Drittmittel einwerfen müssen, was naturwissenschaftlichen Fächern leichter fällt.

    Aber du hast recht, wir sollten versuchen, diese Spirale öfter mal zu durchbrechen.

    Like

  46. Ein Teil davon ist natürlich auch, dass Naturwissenschaftler oft die Erkenntnispotenziale anderer Wissenschaften gar nicht anerkennen, sondern das als “weichen Pillepalle” abtun

    Ich habe schon Leute sagen hören, dass Theologie und BWL nicht an die Uni gehören, aber da ist auch ein Soziologe drunter. Das sind halt so Privatmeinungen. Und an der Uni ist es Konkurrenz, bei der alle Fachrichtungen mitspielen, um den eigenen Vorteil zu sichern. Lobbyismus machen auch viele, die Gender Studies lassen sich gern von den Grünen protegieren. Sowas nur den Naturwissenschaften zuzuschreiben und sich seit 20 Jahren in der Retourkutsche zu verrennen, ist doch keine gute Idee.

    Im Uni-Alltag fand ich die naturwissenschaftlichen Profs übrigens recht hemdsärmlig, die schwebten weniger durch die heiligen Hallen als mancher Geisteswissenschaftler in seinem feinen Tuch. Kein Wunder, wenn man zusammen durchs Gelände latscht und im Wald Brotzeit macht. Auch die Sprache ist nicht so gedrechselt und das System durchlässiger für Bildungsaufsteiger (Ingenieurfächer sind da übrigens führend).

    (Das Ding mit dem Konstrukt boomt jetzt seit 25 Jahren und vielleicht sind ja die jüngsten Zuspitzungen des Netzfeminismus – alles ist kackscheiße und vom bösen weißen Mann lanciert – das letzte Aufbäumen vor einem Paradigmenwechsel?)

    Like

  47. @Antje & @Irene

    „…Ein Teil davon ist natürlich auch, dass Naturwissenschaftler oft die Erkenntnispotenziale anderer Wissenschaften gar nicht anerkennen, sondern das als “weichen Pillepalle” abtun, …“

    Da sind doch alle super drin, im Pflegen der geliebten Feindbilder.
    Bei „weichem Pillepalle“ fehlt jetzt eigentlich nur noch „weicher = weiblicher Pillepalle“ 😉
    Weil dann passt ja der Schuh auch schön anders herum.
    Also das Klischee, Naturwissenschaft sei „kalt, hart, abstrakt, viel zu rational, ergo = männlich“ und das alles wird zusammengepackt und für ungut erklärt. Hat man (Frau…) ja so gelernt, und wenn man das immer weiter so sehen *will*, dann ist es natürlich nix mit dem Neu-Lernen…sehr schade.
    Daher: Der Aufruf zu mehr Dialog, der ist enorm wichtig!

    Ich habe es ja schon öfter mal getippt, es gibt Bestrebungen, viel stärker interdisziplinär zu arbeiten, weil es ja nichts neues ist, dass man besser mit als gegeneinander arbeiten kann und weiter kommt.
    Jede (natur,-) wissenschaftliche Fragestellung entsteht ja innerhalb bestimmter kultur – und geisteswissenschaftlicher Stimmung und Prägung.
    Und „Kultur“ mit allem was man als dazu gehörig betrachtet, beinhaltet (und nutzt!) auch immer den momentan verfügbaren Stand der Kenntnis über die Funktionsweisen der Natur, z.B. in Form von Technologie, Medizin, Kommunikationsmöglichkeiten…
    Es gibt das eine nicht losgelöst vom anderen, und diese Ansicht haben (auch) Naturwissenschaftler/innen, und auch nicht erst seit neulich.

    „Aber du hast recht, wir sollten versuchen, diese Spirale öfter mal zu durchbrechen. “
    Oh ja, das wünsche ich mir auch sehr.

    Like

  48. @Vanuatu
    Das ist kompliziert. Es gibt auch viele Berufe, wo sich das ändern kann, abhängig zum Beispiel, welche alternative Berufe zur Auswahl stehen, wie diese bezahlt werden. Und es hängt auch davon ab, was gefühlsmäßig am besten passt.

    Zur Zeit sehen wir zum Beispiel in Süddeutschland, dass Männer wieder vermehrt in den Einzehalndel gehen, es ist inzwischen keine Seltenheit, wenn alle Kassen bei Aldi mit Männern besetzt sind. Man kann nur spekulieren, was die Ursachen sind. Da mag es eine Rolle spielen, dass in arabischen Ländern Handwerksberufe wie Klempner oder Maler (noch) als sozial niedrig stehend betrachtet werden. Außerdem ist der Lohnunterschied nicht mehr groß genug, um die größere Belastung solcher Berufe aufzuwiegen. Solche Berufe verursachen auch höhere Kosten, z.Bsp. sind Berufsunfähigkeitsversicherungen viel teurer (und das sagt, nebenbei, was über das Risiko von Berufe aus).

    Aber es spielt sicher auch eine Rolle, dass in der unteren Hälfte der Bevölkerung Lohnunterschiede an Bedeutung verloren haben. Früher war es für junge Männer wichtig, möglichst schnell möglichst hohe Einkommen zu erzielen. Die Menschen haben früher geheiratet und früher Kinder bekommen. Der Partnermarkt war schnell leer gefegt, könnte man sagen. Ob man dann früher stirbt und langfristig seine Gesundheit ruiniert, war dann nachrangig. Heute überwiegen für Männer die Nachteile.

    Immer mehr Ausbildungsplätze im Handwerk bleiben unbesetzt, und obwohl diese rein vom Bruttolohn betrachtet tendenziell besser bezahlt werden, strömen Frauen nun nicht in diese Berufe. Den meisten Frauen dürfte einfach klar sein, dass sie nicht so toll sind, wie es propagiert wird. In den USA müssen immer mehr Frauen aus den unteren Schichten solche Berufe ausüben, und dort sinkt die durchschnittliche Lebenserwartung der Nicht-Akademikerinnen erheblich.

    Insgesamt zeigen Untersuchungen, dass Männer deutlich flexibler sind bei der Berufswahl. Frauen finden dagegen von vornherein weniger Berufe als Männer attraktiv.

    Man konnte dies auch bei der Wahl des Studiums in Schweden sehen, als es Quoten gab (ab 2003 bis glaube ich 2010): das unterrepräsentierte Geschlecht in einem Studiengang hatte Vorrang. Doch das führte nicht dazu, dass Frauen nun in technische Studiengänge strömten. Frauen blieben viel mehr bei ihren Lieblingsstudiengängen wie Medizin, Psychologie usw., wo sie eine große Mehrheit der Studenten stellten. 2009 waren daher mehr als 95% aller „Quotenopfer“ Frauen, weil es zwar Männer gab, die Medizin studieren wollten, aber kaum Frauen, die nun Ingenieur werden wollten.

    Frauen stellen die Mehrheit bei den Lehramtsstudiengängen, etwa in Medizin, Germanistik, Biologie. Jura und BWL sind so 50:50. Bei MINT-fächern dominieren die Männer (letzteres ist nicht immer so offensichtlich, man muss die Lehramtstudenten rausrechnen). Teilweise vermelden die Unis eine Zunahme des Frauenanteils in der Informatik, doch auch da sollte man vorsichtig sein. Wenn man genauer hinschaut, haben die Hochschulen Studiengänge wie Medieninformatik eingeführt oder „soziale“ Zweige geschaffen, die den hohen Frauenanteil zu verantworten haben. Ich bezweifle, dass die Absolventen dieser Studiengänge wirklich Chancen auf klassische, gut bezahlte Informatikerjobs haben. Hochschulen müssen also zu solchen Tricks greifen, um Frauen in diese Studiengänge zu locken. Untersuchungen zeigen, dass Girls-Days dagegen junge Frauen vom Studium technischen Fächer oder technischer Ausbildungsberufen eher abschrecken. Eine Bekannte von mir, die sich damit beruflich beschäftigt, erzählte, dass die Frauen diese Berufe danach als langweiliger und uninteressanter bewerten als vorher, und dass viele sogar glauben, dass ihre Chance sinkt, einmal Kinder zu haben.

    Pflegeberufen würden dagegen vermutlich häufiger von Männern ergriffen, aber es gibt einfach praktische Hürden. Nach §2 SGB XI soll der Wunsch „gleichgeschlechtlicher Pflege“ nach Möglichkeit berücksichtigt werden, und viele alte Menschen und ihre Verwandte wünschen das auch. Da etwa der Anteil der pflegebedürftigen Frauen in Heimen ca. 75% beträgt, wird der Anteil der Männer in der Altenpflege solange nicht über 25% hinausgehen, wie man noch genug Frauen findet. Da Männer viel häufiger Vollzeit arbeiten, wird der Männeranteil sogar tendenziell deutlich niedriger liegen.

    Zur Zeit liegt er etwa so bei 15%. Da wirkt vielleicht noch nach, dass Männer bis in die 70er Jahre an Pflegeschulen nicht aufgenommen wurden. Inzwischen liegt der Anteil der Männer in der Ausbildung an manchen Pflegeschulen bei teilweise 45%. Ob er diese Höhe auch dann nach und nach im Pflegeheim erreicht, hängt aber meines Erachtens davon ab, dass der Bedarf mit Frauen nicht gedeckt werden kann und zu Pflegende damit akzeptieren müssen, nicht gleichgeschlechtlich gepflegt zu werden.

    Die unterschiedliche Berufswahl hängt also meines Erachtens davon ab, dass im Durchschnitt Männer- und Frauengehirne sich unterscheiden, und Männer und Frauen unterschiedliche Präferenzen für bestimmte Aspekte des Lebens haben. Welche Berufe sie dann ergreifen, hängt dann von vielen Bedingungen ab. Wie weit sie ausgelebt werden können, hängt stark von den wirtschaftlichen Zwängen ab.

    Wie gesagt ist der Anteil der Frauen in Biologie hoch, auch in der evolutionären Verhaltenspsychologie. Und viele wichtige Erkenntnisse der letzten 30 Jahre in diesem Bereich wurden von weiblichen Forschern gewonnen. Insofern finde ich es ein bisschen amüsant, dass Antje das so als Männerwissenschaft abtut. Das erlebe ich oft. Ich glaube, das macht es einfacher, das als irrelevant abzutun, weil die Botschaft nicht gefällt.

    Like

  49. Yey! Dann müssen wir vielleicht bald nicht mehr zum Psychiater sondern zum Neurologen um als das erkannt zu werden, was wir sind. Das ist ja viel besser. Spaß beiseite!

    Wie im zweiten Absatz so treffend dargestellt, ist unsere Gesellschaft dahingehend paradox, dass einfach jeder Aspekt menschlichen Lebens vergesellschaftet ist und die wissenschaftliche Hegemonie trotzdem darauf beharrt, Menschen nicht als gesellschaftliche Wesen sondern als Natur zu erklären. Was neue Erkenntnisse dabei bewirken ist letztendlich keine gesellschaftliche Veränderung in dem Sinne, dass sie den Menschen eine Emanzipation von Naturalismen ermöglicht. Die Grenze wird nur neu gezogen.

    In diesem konkreten Fall bedeutet das Folgendes. Früher war die Vorstellung hegemonial, dass Menschen keine Frauen sein können, wenn sie beispielsweise xy-Chromosome haben. Was alleine von daher ziemlich absurd ist, dass die allermeisten Menschen niemals in ihrem Leben ihren Chromosomensatz testen lassen und es absolut keine verlässlichen Studien darüber gibt, wieviele Cismänner beispielsweise xx-Chromosome haben. In Zukunft mag es vielleicht die Vorstellung werden, dass das Geschlecht eines Menschen am Gehirn ablesbar ist, was übrigens mitnichten eine neue Theorie ist.

    Ändern an den gesellschaftlichen Missverhältnissen, die durch solche antigesellschaftliche Wissenschaft entstehen, wird sich dadurch gar nichts. Es bleibt die wissenschaftliche Hegemonie, die bestimmt wer die Menschen sind. Die muss nicht mal unbedingt aktuell sein. Es hält sich ja auch beispielsweise hartnäckig die Theorie von Zweigeschlechtlichkeit obwohl diese von Biologen seit Jahrzehnten widerlegt worden ist. Ob ein Neurologe oder ein Psychiater in Zukunft bestimmt, wer ich bin, ist mir letztendlich ziemlich egal. Schön wäre es, wenn Identität auf einer gesellschaftlichen Ebene verhandelt wird, die erkennt, dass sie eine gesellschaftliche Ebene ist und keine naturwissenschaftliche.

    Und genau dieses andauernde Rückbeziehen auf die Natur ist der Punkt an dem es für Menschen, die nicht der Norm entsprechen, happig wird. Es wird sich andauernd darüber beschwert, dass queere Politik identitär sei. Und dabei völlig vergessen wird, dass es einzig und allein der autoritären Identitätspolitik des Mainstreams zuzuschreiben ist, dass queere Menschen ihre Identitäten verteidigen müssen, weil ihnen diese gestohlen werden. Das ist, als würde mensch einem Dieb, der klaut, weil er nichts hat, Raffgierigkeit und kapitalistische Ideologie unterstellen. Das Identitäre in der Mehrheitsgesellschaft wird gar nicht mehr als solches erkannt sondern zur menschlichen Natur erhoben.

    Es gibt beispielsweise für Leute, die trans sind und binär (also Mann oder Frau), dann genau zwei Möglichkeiten sich zu verhalten. Entweder sie suchen notgedrungen die Bestätigung ihrer Identität mit den hegemonialen Erklärungsmustern hinzukriegen – also beispielsweise mit genau so einer Theorie wie die der zwei besagten Wissenschaftler. Oder sie verhalten sich dazu queer, bestehen also darauf, dass die vorherrschenden wissenschaftlichen Erklärungen ihrer Identität falsch sind und sie nicht in das hegemoniale Geschlechterkonzept passen.

    Grob gesagt halten wir also entweder die Klappe und passen uns an. Oder wir gestehen uns ein, dass wir unerwünscht ist und reagieren darauf politisch. Deswegen ist es für mich auch immer ein besonderer Schmerz zu sehen, wenn Cisleute den Begriff queer einfach nicht verstehen beziehungsweise seine Existenzberechtigung für Theoriebildung aberkennen. Denn Cisleute haben immer ein großes Stück mehr die Wahl ob sie die gesellschaftlich vorherrschende Geschlechtertheorie annehmen oder nicht. Für Transleute ist das nur möglich, wenn sie dafür eingestehen, dass sie gestört sind – ob nun physisch oder psychisch.

    Somit ist es auch kein Wunder, dass Transleute, die passen, also von anderen Leuten als dem Geschlecht zugehörig wahrgenommen werden, als das sie sich selbst auch wahrnehmen, in der Regel mit allen Mitteln zu verhindern versuchen, dass Leute herausbekommen, dass sie trans sind. Weil Transsexualität mit dem praktizierten wissenschaftlichen Ansatz zwar erklärbar gemacht werden kann. Aber überhaupt die gesellschaftliche Notwendigkeit, das irgendwie wissenschaftlich erklären zu müssen, davon zeugt, dass es weiterhin als Störung gelten wird.

    Für Transleute ist die Frage ob mensch die vorherrschende Theorie akzeptiert oder nicht sehr viel komplizierter. Denn queere Konzepte zu verwerfen bedeutet für uns einen schmerzhaften Anpassungsprozess. Und damit mich niemand falsch versteht, damit meine ich nicht körperliche Veränderungen, diese wünschen sich meiner Erfahrung nach Transleute unabhängig davon ob sie sich als queer verstehen nicht oder eben schon. Sondern einen gedanklichen Prozess, in dem mensch zugesteht, quasi nicht zu existieren beziehungsweise eine unerwünschte Anormalität zu sein. Beziehungsweise die Hoffnung auf besagte wissenschaftliche Theorien, die die eigene Existenzberechtigung endlich untermauern.

    Like

  50. Och Erdbeerbaeumle; kommst du jetzt wirklich mit EvoPsch an? Das ist in meinen Augen in weiten Teilen – insbesondere denen, die sich mit angeblichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern befassen – eine ganz krasse Pseudowissenschaft ähnlich der Astrologie: klar macht das dahinter stehende Weltbild in sich Sinn, aber konkrete Hinweise und insbesondere eine wissenschaftliche Testbarkeit gibt es nicht. Die Argumente sind bestenfalls philosphischer Natur, erheben aber allzu oft den Anspruch mehr zu sein als reine Gedankenexperimente (die sie sind).

    Die Methodik ist nun mal wirklich äußerst zweifelhaft: aus einer gewissen Vorstellung über die Gesellschaftsstruktur in früheren Zeiten sollen dann für heute irgendwelche Ergebnisse geschlossen werden. Was wir über frühere Zeiten zu wissen meinen, ist aber wieder auf Basis der aktuellen gesellschatlichen Lage entstanden – somit kommt es notwendigerweise zu Zirkelschlüssen. Inzwischen ist ja klar, dass z.B. Frauen ebenfalls Jäger waren und nicht nur Sammler, was mit medizinischen Tests an den Knochenfunden verifiziert werden könnte – die gleiche Gebeine aber immer als „männlich“ eingestuft worden waren, weil Grabbeigaben Jagdwerkzeug waren.

    Es ist auch wurscht, ob Frauen oder Männer diese Ergebnisse veröffentlichen. EvoPsych ist genausowenig ein Gebiet wie andere Wissenschaften in Bezug auf geschlechterparitätische Besetzung. Es geht um systematische Probleme wie eine Wissenschaft gedacht wird, nicht um den persönlichen Vorwurf einer Befangenheit.

    Evolutionäre Psychologie kann als Disziplin einfach komplett in die Tonne kippen, bis diese junge Disziplin mal ihren ganzen alten Zirkelschluss-Mist abgelegt hat und eine vernünftige, *nachprüfbare* Methodik gefunden hat. Ohne Reproduzierbarkeit/Testbarkeit der Ergebnisse ist es nicht mehr als ein Gedankenspiel.

    Like

  51. „dass im Durchschnitt Männer- und Frauengehirne sich unterscheiden“

    Abgesehen davon, dass es dafür keine Evidenzen gibt, bedeutet diese Auffassung nichts anderes, als dass man gesellschafltiche Rollen und Verhältnisse für biologisch begründet und nicht änderbar hält.

    Wer das vertritt, hat meistens handfestes Interesse an unveränderten Verhältnissen und Rollenbildern. Entweder weil er als Mann von seiner Stellung profitiert, oder als Frau davon profitiert, in der zweiten Reihe verharren zu können.

    Like

  52. @Vanuatu
    Man hat sehr viele Beweise.
    Und keineswegs folgt daraus, dass Rollen nicht veränderbar sind. Und daraus folgt auch nicht, dass die Zivilisation nicht keinen großen Einfluss hätte. Wie viel Druck die Zivilisation dabei ausüben kann, hängt davon ab, wie leicht sich das Individuum dem entziehen kann.

    Die Zivilisation als Sammlung von Ideen (also alle Vorstellungen, Techniken, Rituale usw) in unseren Gehirnen ist eine Information, die sich im großen und ganzen Unabhängig von den Genen „fortpflanzt“. Jede Idee oder Gruppe von Ideen (z.Bsp. eine bestimmte Religion, Bambuskörbe flechten, Weizen anbauen) unterliegt ebenfalls einem evolutionären Prozess, aber erst mal unabhängig dem, dem unsere Gene unterliegen. Sie sind genauso egoistisch wie unsere Gene in dem Sinne, dass sie nur an ihrem eigenen Fortbestand „interessiert“ sind und nicht an ihrem Träger ans sich. Der Selektionsprozess ist anders als bei Genen, teilweise eher wie Viren. Vor allem aber eben nicht auf Ebene des Individuums.

    Gruppen von Menschen teilen solche Ideen. Lange Zeit war das in erster Linie nur die Gruppe, in der die Menschen lebten, denn das weitergeben der Ideen war aufwändig.
    Wenn diese Ideen für die Gruppe nützlich sind in dem Sinne, dass sich die Gruppe der Träger dadurch gegenüber anderen Gruppen mit anderen Ideen ausbreitet, dann tragen immer mehr Leute die Idee. Deswegen können Gruppen sehr grausam zu ihren Mitgliedern sein, aus Sicht ihrer Zivilisation ist das solange gut, wie dadurch die Zivilisation erhalten bleibt und als Gruppe gegen andere Gruppen Vorteile erringt. Sie können auch schlecht sein, dann verschwindet die Gruppe und damit deren Zivilisation.

    Den Druck, den eine Zivilisation auf ihre Individuen ausüben kann, hängt wie gesagt davon ab, wie sehr sie bestrafen kann. Bestrafen heißt, sie aus der Fortpflanzung ausschließen. Jäger-Sammler-Gesellschaften in der Vergangenheit und ebenso noch existierende haben hohe Todesraten durch Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen (für die Vergangenheit zeigen das Massengräber, die man findet, für aktuelle ist es inzwischen vielfach belegt), zwischen 1/3 bis 2/3 aller Männer starben bzw. sterben durch Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen. D.h. der Druck durch die Gruppe ist sehr stark: es genügt, ein Mitglied zu verstoßen, um ihn effektiv dem Tod zu weihen.

    Das wiederum hat natürlich Auswirkungen auf die Gene, aus deren Sicht das einfach Umweltbedingungen sind. Wer zu starken Widerstand leistet, der kann seine Gene nicht weitergeben, und wir stammen einfach nicht von diesen Leuten ab. Und Gene, die uns weniger egoistisch machen und gehorsamer der Gruppenregeln gegenüber, werden begünstigt.

    Dieser Prozess hat uns soweit „hingezüchtet“, dass wir heute mit wenigen % der Bevölkerung einen riesigen Staat kontrollieren können. Das kann wie jetzt relativ gut für das Individuum sein, es kann aber auch sehr schlecht sein.

    Und deshalb wäre ich als Frau sehr vorsichtig, denn tatsächlich baut diese Zivilisation Druck auf, nämlich dass möglichst viele Frauen Vollzeit arbeiten und keine Kinder haben. Sie tut das nicht bewusst oder mit Plan, es folgt einfach aus der Logik der Effizienz. In den USA, die Vorreiter auch unserer Entwicklung sind, haben immer mehr Akademikerinnen keine Kinder. Dennoch hat die Gruppe der Akademikerinnen mehr Kinder als der Durchschnitt aller Frauen. Denn die, die Kinder haben, haben besonders viele. Das ist effizient für eine Gesellschaft, die im großen und ganzen nur 2 Kinder pro Frau benötigt. Man kann sich fragen, warum das bei männlichen Akademikern (und selbst bei männlichen Nicht-Akademikern) nicht so ist. Da begünstigen viele Mechanismen, dass es am effizientesten ist, wenn möglichst viele Männer gleich viele, nämlich genau den Durchschnitt zwei Kinder haben.

    Es würde jetzt viel zu weit führen, wenn ich die zahlreichen Mechanismen darlegen würden, die dazu führen. Aber die individuellen, meines Erachtens existierenden, unterschiedlichen biologischen Präferenzen von Männern und Frauen folgen, auch wenn sie sehr gering erscheinen im Einzelfall, spielen eine wichtige Rolle.

    @Natanji
    Ich glaube, du hast Dich nie ernsthaft mit evolutionärer Entwicklungspsychologie beschäftigt, oder wenn dann nur extrem voreingenommen.

    Was das mit den Frauen und Jägern angeht: ob Frauen bei der Großwildjagd beteiligt waren, wird in der modernen evolutionären Entwicklungspsychologie so nicht diskutiert, vielleicht in populärwissenschaftllichen Zeitungen und Büchern.

    Unabhängig davon glaube ich, dass du auch da Wunschdenken unterliegst, denn es ist schon sehr erstaunlich, dass in keiner aktuellen Jäger- und Sammlergesellschaft Frauen bei Großwildjagd teilnehmen (aber durchaus dabei sein können) – nicht verwunderlich, denn es wäre eher unklug, das zu tun. Vielleicht kennst du ja eine Jäger-Sammler-Kultur, ich habe von keiner gehört. Auch in den Jäger-Sammler-Kulturen, auf die die Europäer gestoßen sind wie die Aborigines, den Maori oder den Inuits, nichts ist bekannt davon, dass sich Frauen an den gefährlichen Jagden beteiligt haben.

    Ich persönlich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass die Evolution ausgerechnet beim Menschen, dessen Gehirn 25% der Energie verbraucht, aber nur so 4% oder weniger seiner Körpermasse ausmacht, die Evolution keine geschlechtsspezifischen Einfluss genommen hat, wo sie das am ganzen restlichen Körper aber getan hat. Und dass sich Männer- und Frauengehirne auch anatomisch im Durchschnitt deutlich unterscheiden, und das alles soll überhaupt keinen Unterschied ausmachen? Und die Unterschiede, die in der durchschnittlichen Verteilung der Variationen bestimmter Persönlichkeitsmerkmale und -Eigenschaften durch zahlreiche ausgeklügelte Experimente zwischen den Geschlechtern gefunden werden, nicht aber zwischen Menschen gleichen Geschlechts aus verschiedenen Kulturen? Einfach eine große Verschwörung irregeleiteter Frauen und Männer? Sicher machen die auch Fehler oder sind nicht alle neutral, es sind Menschen. Aber alle, alle in die gleiche Richtung, und dauernd?

    Die meisten Variationen (zum Beispiel bei der Sprachfertigkeit, Angst, Aggressivität, ob wir mehr single-minded sind oder nicht, usw. usw.) sind normalverteilt, weil sie von vielen Genen abhängen. Man findet dann, dass die Kurve der Frauen und der Männer leicht verschoben sind oder bei einem die Kurve flacher ist. Natürlich sind diese Variationen absolut gesehen meist klein, jeder gesunde Mensch ist super sprachbegabt verglichen mit jedem anderen bekannten Lebewesen. Vielleicht würde ein Außerirdischer die Unterschiede gar nicht wahrnehmen. Innerhalb unserer Gesellschaft können sie aber für das Individuum sehr relevant sein.
    Andere Eigenschaften sind nicht normalverteilt, aber auch unterschiedlich häufig bei Männern und Frauen, wie etwa ADHS oder Autismus.

    Aber ich denke, ich kann dich nicht überzeugen, du mich aber auch nicht :-).

    Like

  53. Antje Schrupp, so gerne ich Ihre Blogs und Kommentare sonst lese, so sehr staune ich über diesen Beitrag.
    Einerseits sprechen Sie ständig von Transsexualität. Dies ist ein Begriff, der von Trans*Personen in der Regel abgelehnt wird. a) Er ist pathologisierend (weil dem medizinischen Fachjargon entnommen), b) verleitet er zur Annahme, Trans* hätte etwas mit Sexualität zu tun. Stattdessen ist Trans* eine Frage der Geschlechtsidentätit, deshalb ist meistens von Transidentität oder einfach nur Trans* die Rede (vgl. Medienguide auf Transgender Network Switzerland).
    Andereseits impliziert Ihre Aussage, Trans*Männer seien „nicht normale“ Männer, Transfrauen aber seien „normale“ Frauen, dass Sie jeder Person ansehen, ob sie cis oder trans* ist. Einem Mann, den Sie nicht (oder versehentlich) als trans* identifizieren, schreiben Sie eine andere Mentalität zu – oder wie soll ich Ihre Aussage verstehen?
    GLG,
    Senata

    Like

  54. @Senata – Hm, also ich kenne viele, die den Begriff Transsexualität für sich verwenden, möglicherweise sind das eher Ältere, es ändert sich ja auch immer mal, wie Begriffe verwendet werden. Und ich dachte auch, Transgender und Transsexualität wären teilweise verschiedene Dinge.

    Zu meiner Aussage, Transmänner seien nicht „normale“ Männer: Das ist natürlich eine politische Aussage, der eine bestimmte Betrachtung dessen zugrunde liegt, was ein „normaler“ Mann ist, nämlich jenes Wesen, das vom Feminismus gerade für sein „Sich-zu-Norm-Setzen“ immer kritisiert wurde. Das hat ja nichts mit Zuschreibungen zu bestimmten Personen zu tun. Es gibt vermutlich auch Transmänner, die für sich in Anspruch nehmen, genauso „normal-doof“ zu sein, wie die feministisch abgelehnten „normalen Cis-Männer“, aber die wären dann eben genau das von mir Bekämpfte und keine potenziellen Allies (genauso wenig eben wie Cis-Männer Allies sein können, solange sich nicht von der patriarchalen „Normalmännlichkeit“ distanzieren).

    Das hat also sowieso alles nur etwas mit dem Selbstverständnis der jeweiligen Personen zu tun, und überhaupt nichts damit, was ich jemandem zuschreibe oder gar mit dem, was ich jemandem „ansehe“. Für mich ist Geschlecht eine bewusste Positionierung. In der patriarchalen Geschlechterordnung, die ich kritisiere, ist die Existenz des „Normalmannes“ ein zentrales Problem, also die Tatsache, dass Männer sich als menschliche Norm gesetzt haben, demgegenüber das Weibliche (und anderes „andere“) als Abweichung_defizitär angesehen wurde. Anders als manche anderen Feministinnen, die Transmänner umstandslos als Teil genau dieses Problems betrachten (also als Affirmation dieses schädlichen Männlichkeitsdingens) sage ich, dass sie dieses überschreiten und daher eher auf der Seite „Queer versus normal“ stehen (können, wenn sie das wollen), als auf der Seite „Normalmännlich versus Weiblich_et_al“. Ist das irgendwie verständlich?

    Like

  55. Empfehlen kann ich das Buch von Christina Schieferdecker, Vorstand im Verein Aktions Transsexualität und Menschenrecht e.V.. Ab sofort ist im Buchhandel das Buch „Was ist Geschlecht?“ erhältlich. Es fasst den Wissensstand zu dieser Frage zusammen und kommt zum Ergebnis, das Menschen ein gesundes Wissen über ihr Geschlecht besitzen.

    Like

Datenschutzhinweis: Die Kommentarangaben und die Mailadresse werden an Automattic, USA (die Wordpress-Entwickler) übermittelt. Details hierzu in der Datenschutzerklärung (Link links). Sie können gerne Pseudonyme und anonyme Angaben hinterlassen.