Die Schuld der Menschenhändler. Die Schuld einer repressiven Familienideologie.

Hier ein krasser Bericht des Deutschlandfunks über Babyhandel in Nigeria. Junge Frauen werden dort entführt, vergewaltigt, damit sie schwanger werden, und die Babies dann verkauft, an kinderlose Paare in Nigeria oder im Ausland.

Ich finde es allerdings zu kurz gegriffen, das Problem nur bei den skrupellosen Menschenhändlern zu sehen. In dem Bericht wird auch klar, dass diese Form der Versklavung von Menschen, die schwanger werden können, nur aufgrund einer repressiven Ideologie rund um das Thema Reproduktion überhaupt möglich ist:

Kinderlosigkeit ist ein Stigma, Adoption aber auch nicht akzeptiert, Frauen, die außerhalb einer Ehe mit einem Mann schwanger werden, werden aus ihren Familien und der Gesellschaft ausgeschlossen, sodass manche von ihnen „freiwillig“ in diese Babyhandels-Häuser gehen.

Ja, die Menschenhändler, die aus der Not von ungewollt Schwangeren und ungewollt Kinderlosen ein skrupelloses Geschäftsmodell machen, sind schuld. Ebenso schuld sind aber alle, die ein bestimmtes Familien- und Reproduktionsmodell als verbindlich für alle propagieren, die Schwangerschaften außerhalb von heterosexuellen Ehen bestrafen, die Abtreibungen verbieten, verhindern, stigmatisieren, die Adoptionen und andere Formen von nicht-normativer Elternschaft ablehnen und so weiter. Shame on you all!

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

6 Gedanken zu “Die Schuld der Menschenhändler. Die Schuld einer repressiven Familienideologie.

  1. In diese Reihe von Menschenhandel reiht sich ein, was damals in Argentinien geschah mit Kindern von Frauen, die unter der Militärdiktatur im Gefängnis entbanden. Stichwort die Großmütter der Plaza de Mayo. Ebenfalls, was in Spanien geschah, wo unverheiratete Frauen (oder Frauen, denen „man nicht zutraute“, Kinder auf eine bestimmte Art und Weise systemkonform zu erziehen) ihre Neugeborenen Babies – meist in katholischen Krankenhäusern und von Nonnen – gestohlen bekamen. Man erzählte den Frauen ihre Kinder seien bei der Geburt gestorben…. auch diese wurden verkauft….
    Was den „Fluch der Unfruchtbarkeit“ angeht… da hat z.B. die Anthropologin Francoise Heritier (Masculin/Feminin. la pensee de la difference….) vor Jahren geschrieben, dass in Afrika Unfruchtbarkeit i.A. Frauen zugeschrieben wird. (Wobei wir immer bedenken müssen, dass „Afrika“ ein ganz vielfältiger Kontinent ist, mit ganz unterschiedlichen Bräuchen) So darf / durfte eine verheiratete Frau die einfach nicht schwanger wurde, durchaus fremd gehen. Wurde sie dann schwanger, galt das Kind als das ihres Ehemannes. Geheiratet wurde in manchen Ethnien erst wenn eine Frau bewiesen hatte, dass sie schwanger werden konnte. (Die Idee vom Verbot vorehelichen Verkehrs, sowie auch anderer sexueller Praktiken, wie des Zusammenschlafens eines Paares im gleichen Bett / Haus wurde erst durch die christlichen Missionare nach Afrika importiert. Dort (Massai) wohnten Paare nicht zusammen. Dadurch wurde vermieden, dass Frauen zu schnell hintereinander schwanger wurden und damit Muttersterblichkeit bekämpft……. so dann auch die Theologin Rosemary Redford Ruether.) Nach F. Heritier musste eine Frau zumindest mal schwanger werden, um als vollwertiges Mitglied ihrer Gesellschaft zu gelten. Die Schwangerschaft konnte ruhig in einer Fehlgeburt enden. Aber so hatte sie bewiesen, dass sie zumindest schwanger werden konnte. Starb sie, durfte sie nicht in der Erde begraben werden, weil man befürchtete, sie würde ihre Unfruchtbarkeit auf die Erde übertragen und somit große natürliche Katastrophen verursachen. Die verstorbene „unfruchtbare“ Frau wurde entweder mit Steinen beschwert in einen Fluss geworfen oder auf einem Baum aufgehängt, damit ihre Leiche von Tieren aufgefressen wurde…..

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  2. das ist aber eine sehr weite, quasi uferlose Vorstelllung von Schuld. Nach der Logik ist ja jeder für alles verantwortlich. Hast du schon mal Alkohol getrunken? Dann trägst du zu einem gesellschaftlichen Klima bei, in dem Alkohol positiv besetzt ist. Suchtkranke und Verkehrstote gehen also auch auf dein Konto. Aber wenn jeder ohnehin an allem Schuld ist, dann ist Schuld auch irgendwie egal…
    Stattdessen sollte man mehr darüber nachdenken, dass gesellschaftlicher Druck keine Ausrede für Fehlverhalten ist. Wenn man einem solchen Druck ausgesetzt ist, muss man ihn eben aushalten. Und akzeptieren, dass man nicht alle Anforderungen der Gesellschaft erfüllen kann. Hier kann eine wichtige Eigenschaft helfen, nämlich Nonkonformismus. Die gefährlichsten Menschen waren schließlich schon immer die, die die schlimmsten Taten begehen, nur um „dazuzugehören“ und sich dabei auch noch „sozial“ oder „kommunikativ“ vorkommen.

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  3. Liebe Frau Schrupp,
    das ist eine sehr weite Handhabung von „ebenso schuld“ – wollen Sie ernsthaft jemanden, der bestimmte Adoptionen „ablehnt“ (womit noch nicht gesagt ist, dass er mehr dagegen tut als diese Meinung für sich zu haben) mit Menschenhändlern und anderen finsteren Gestalten auf die gleiche Stufe der Schuld stellen?
    Mit der Aufzählung ist auch mehr oder weniger alles erschlagen, was auf der Welt aus Ihrer Sicht zu diesem Thema abzulehnen ist. Wo würde z.B. in Europa „Schwangerschaft außerhalb heterosexueller Ehen“ „bestraft“. Und was ist das überhaupt? Schwangere Frauen in unverheirateten Hetero-Paaren? Ledige Schwangere ganz allgemein? Lesbische Schwangere? Und was heißt „bestraft“?
    Vieles hängt tatsächlich mit vielem zusammen, aber so wird meiner Meinung nach doch zu Vieles zu gleich gemacht.

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  4. @Osmin – Es geht ja in dem Beispiel um Nigeria, und da werden diese „ungehörigen“ Schwangerschaften tatsächlich handfest „bestraft“. Die Ideologie dazu kommt aus Europa. Das heißt ja, hierzulande werden unverheiratet Schwangere oft nicht mehr bestraft (benachteiligt allerdings schon), aber diese Vorstellungen führen in Nigeria halt zu Schlimmeren und sind daher mit ursächlich für diese Gewalttaten.

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  5. @Antje Schrupp – Danke für die Antwort! Dass die repressive Ideologie in Nigeria „aus Europa“ kommt, kann ich nicht nachvollziehen. Für ihre christlichen Anteile trifft das sicher zu, für ihre islamischen nicht (für mich liegen Mekka und Medina ebenso wenig in Europa wie Kairo, Rihad oder Teheran) und der genuin afrikanische Teil solcher Ideologie ist auch von ziemlich schlechten Eltern. Dass in Afrika alles Schlechte aus Europa kommen soll sehe ich als eine versuchte ideologische Wiedergutmachung des Kolonialismus, in der die Afrikaner (wer immer das sein mag) am Ende auf eigene Rechnung und Verantwortung überhaupt nichts zuwege bringen, weder Gutes noch Schlechtes.
    Ich bin gerne dabei, repressive Geschlechterideologie zu kritisieren und zu attackieren, aber ich möchte dabei keine ideologisch begründeten Ausnahmen machen. Für die unterdrückten Menschen fühlt sich Stigmatisierung durch den Mullah oder den Heiler nicht besser an als durch den Bischof oder evangelikalen Prediger. Mögen Sie alle dahin gehen, wo ungeniessbarer Pfeffer wächst.
    Ein glückliches neues Jahr wünsche ich Ihnen! Die Mutlosigkeit kann ich Ihnen sehr nachfühlen, aber nützt ja nix….Viel Energie zum Weitermachen!

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