(Herzlichen Dank für die Transkription an Magdalena Cichon!)
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A: Aufnahme gestartet …
B: … und Wecker gestartet.
A: Hallo Benni!
B: Hallo Antje!
A: Da sind wir wieder mit dem Podcast „Besondere Umstände“, streng terminiert auf eine Stunde auch gegen den Protest unserer Hörerinnen und Hörer … aber wir finden das gut.
B: Ich hab mir grad gedacht, das ist sogar gut, weil das die prinzipielle Offenheit einer Debatte betont.
A: Ja genau, und die Illusion ableugnet, dass man jemals überhaupt an ein Ende kommen kann. – Okay. Geht’s dir gut? Neues Jahr, neues Glück …
B: Ja. … Wir haben das letzte Mal einen großen Cliffhanger gehabt, weil wir uns über Facebook gestritten hatten – weil ich da irgendwie rausgegangen bin, ganz empört, und waren dann hängengeblieben bei der Frage, dass du …
A: Du bist aus Facebook ganz empört rausgegangen, nicht aus unserem Podcast!
B: Jaja, selbstverständlich.
A: Das hörte sich jetzt ein bisschen so an, aber wir können uns gerne wieder weiter streiten, und du kannst gerne rausgehen …
B: Nein. – Wir waren stehengeblieben bei der Frage, dass du, glaube ich, zuletzt sozusagen das Fass aufgemacht hast, das Wichtige seien die Beziehungen und die würde man kappen, wenn man sich daraus entfernt. Gebe ich das richtig wieder?
A: Ja genau. Man kann zu bestimmten Leuten, die eben nur bei Facebook sind und nicht bei anderen sozialen Netzen, nur über Facebook Kontakt halten. (Außer offline.) Das war das eine, und dann hatten wir uns noch über die Frage gestritten: Versucht Facebook Beziehungen zu kapitalisieren und auszubeuten, zu korrumpieren – und meiner Meinung nach versucht es das natürlich, aber das wird nicht gelingen, weil wirkliche Beziehungen, so wie ich sie verstehe, nicht kapitalisierbar und nicht korrumpierbar sind. Beziehungsweise ist es wichtig, quasi als Gegenstrategie zu diesem Versuch von Facebook, das in den Kapitalismus einzuverleiben, muss man sich bewusst machen, wie Beziehungen funktionieren und sie bewusst pflegen. Das finde ich eine bessere Gegenstrategie als aus Facebook rauszugehen.
B: Okay. – Ich würde dem entgegenhalten, dass Beziehungen, sobald sie medial vermittelt sind – und das sind sie ja immer –, immer zu einem gewissen Grad korrumpiert sind und dass ich natürlich immer abwäge: wo sind sie mehr korrumpiert und wo weniger – also ich kann ja zum Beispiel auch sagen, die Beziehung zu dem BILD-Zeitungsredakteur ist mir wichtiger, als die BILD-Zeitung nicht zu lesen. Um jetzt mal ein absurdes Beispiel zu nennen.
A: Du hast zum BILD-Zeitungsredakteur keine Beziehung.
B: In dem Moment, in dem ich einen Artikel von ihm lese, habe ich natürlich eine – sehr einseitige und extrem korrumpierte – Form von Beziehung.
A: Was verstehst du denn eigentlich unter „korrumpiert“ im Zusammenhang mit Beziehungen?
B: … Dass sie eben nicht mehr eigentlich eine menschliche Beziehung sind, sondern eine, die irgendwelchen Sachzwängen, äußeren Zwängen dient.
A: Ist das nicht notwendigerweise Teil einer Beziehung? Gibt es denn dann nicht korrumpierte Beziehungen?
B: Nee, gibt’s nicht, genau.
A: Auch außerhalb der Medien gibt es die ja nicht.
B: Ich wollte mich jetzt erst mal auf diese Medienfrage kaprizieren, weil – meiner Meinung nach – in dem Moment, in dem ich ein Medium nutze, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten und zu pflegen, dieses Medium durch seine Art, wie es gestaltet ist, immer auch eine bestimmte Form von Korruption reinbringt, die ich in einem anderen Medium nicht hätte. Jedes Medium hat bestimmte Arten, bestimmte Formen von Korruption zu fördern und andere nicht. Der Witz ist halt, dass ich mich in dieser Frage, ob ich ein Medium benutze, immer notwendigerweise irgendwann entscheiden muss: Bringt mir das jetzt mehr für die Beziehungspflege oder korrumpiert es diese Beziehung mehr, wenn ich das benutze? An diesem Punkt, als Facebook gesagt hat, ab sofort, wenn ihr sieben Euro bezahlt (oder so), dann werdet ihr mehr gelesen von euren Freunden – da habe ich gesagt, das ist mir zu krass. Und da ist es auch schon zu krass, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt, ganz unabhängig davon, ob jetzt meine Freunde – es kamen dann viele Antworten wie: die, die sowas machen, denen folge ich ja sofort nicht mehr. … Das wiederum finde ich dann krass, denn wenn jetzt jemand meint, er muss halt irgendeine super wichtige Nachricht jetzt verbreiten und ist bereit, dafür sieben Euro zu bezahlen – den dafür zu bestrafen, finde ich krasser, als Facebook dafür zu bestrafen.
A: Das sehe ich auch so. Aber: Facebook übernimmt doch nur Logiken aus dem normalen Beziehungsleben und überträgt das in seine Struktur. Das Problem, dass Beziehungen – ich würde das gar nicht korrupt nennen, denn dann würde es ja nur korrupte Beziehungen geben, und das mag ich nicht. Ich finde, die Gefahr, sie instrumentell einzusetzen oder bestimmte Machtverhältnisse hineinspielen zu lassen oder Leute auszunutzen für die eigenen Zwecke – also was in diesem diffusen „korrupt“ drin ist –, gehört untrennbar zu jeder Art von Beziehung dazu und es ist auch außerhalb von Facebook wichtig, sich das klarzumachen und damit umzugehen. Ich verstehe die neue Qualität nicht, die Facebook da hinzubringt.
B: Die neue Qualität kommt zum Beispiel dadurch hinzu, dass Facebook droht, in dieser Frage zu einem Monopolisten zu werden in der Tendenz, wie ein großer Teil von Beziehung über Facebook vermittelt wird.
A: Neeein, das stimmt doch überhaupt nicht! – Erstmal sind immer noch ganz viele Leute nicht bei Facebook – bei Jüngeren ist das vielleicht anders –; die Leute, die bei Facebook sind, wissen ziemlich genau um die Gefahren, und ich glaube nicht, dass sie sich in Bezug auf ihre Beziehungspflege in bei den Menschen, die ihnen wirklich wichtig sind, alleine auf Facebook verlassen. Facebook ist ein Tool. Und das funktioniert für viele.
B: Gerade für die „schwachen“ Bindungen ist es gerade relativ monopolartig. Wenn man das überhaupt online macht. Viele machen es ja gar nicht. Deswegen muss ich daran einen höheren Anspruch stellen als an irgendein Tool, das ich nur mit fünf Leuten benutze, weil bestimmte … naja, das mit der Plattformneutralität und so … In dem Moment, in dem etwas ein allgemein benutztes Tool ist, muss ich auch in einem gewissen Sinn politische Anforderungen daran stellen, die nicht mehr nur ein beliebiges Tool sind. Und da hat Facebook aus völlig nachvollziehbaren Gründen – natürlich müssen die, jetzt, wo sie Aktiengesellschaft sind, Geld verdienen und versuchen, aus den absurdesten Ecken noch Geld rauszupressen – und ich will, dass sie damit scheitern! Dazu trage ich mein kleines Scherflein bei, indem ich da weggehe.
A: Es ist wahrscheinlich eine Frage der Prioritäten. Ich kenne einfach zu viele Leute, die sich diesen Möglichkeiten des Internets und der Art und Weise, dort Beziehungen zu pflegen oder zumindest aufrechtzuerhalten – eben gerade diese Erfahrung, dass man schwache Kontakte haben kann und dass die wichtig sind –, dass Leute diese Erfahrung überhaupt nicht machen, weil sie die Hürde vor diesem Medium Internet überhaupt haben. Die Hürde, etwas ins Internet reinzuschreiben. Wenn du schwache Kontakte haben willst im Internet, musst du selber etwas von dir preisgeben. Ganz viele haben da eine große Scheu. Mir wäre auch lieber, die würden alle anfangen zu bloggen oder zu Twitter gehen oder zu einer noch besseren Plattform, aber ich stelle fest: das tun sie nicht. Wenn sie überhaupt irgendwo hingehen, gehen sie zu Facebook. In meiner Prioritätensetzung ist es mir lieber, Facebook scheitert nicht, und dafür kommen Leute, die bisher vor dieser Hürde stehend über Facebook dann ins Internet, als das andere. Ich glaube, dass die, die das nicht nutzen, unterschätzen, wie wichtig es ist, die Kompetenzen auch zu haben, die dazugehören, schwache Kontakte zu pflegen. Da gibt es eine Sprache zu lernen, da gibt es Benimmregeln zu lernen – diese Erfahrungen müssen Leute machen, und ich finde es gefährlich, wenn sie das nicht machen.
B: Das hast du das letzte Mal schon stark gemacht, diese Vorstellung von Facebook als Einstiegsdroge. Ich würde es halt eher als Ausstiegsdroge sehen, weil es genau verhindert, bestimmte Erfahrungen zu machen.
A: Das stimmt doch nicht. Man macht die Erfahrung, man kann was ins Netz schreiben und kriegt Reaktionen. Ganz banal. Das ist ja vielen Leuten gar nicht bekannt. Neulich habe ich auf Twitter geschrieben, dass ich Vanillepudding koche, und es gab in den Kommentaren eine kleine Diskussion über das Kochen von Vanillepudding, und dann fragte unten drunter eine: „Nur mal eine Verständnisfrage – ist das hier jetzt bloggen?“
B: Bei Facebook?
A: Ja genau. Die schrieb das auf Facebook. Und das war eine Gelegenheit, zu erklären, dass Bloggen eigentlich was anderes ist undsoweiter. Für viele ist dieser ganze Bereich sozialer Medien ein diffuser Wust an Nebel. Ich finde es ja auch nicht gut, aber faktisch funktioniert Facebook eben. Dort bleiben die Leute, gerade weil sie diese Einstiegshürde nicht haben, die es bei allen anderen gibt.
B: Das würde ich aber gar nicht sagen. Meiner Beobachtung nach ist diese Einstiegshürde für Facebook gar nicht niedriger als für alles andere. Facebook hat sich einfach durchgesetzt, weil alle da sind. Die sind aber nicht da, weil Facebook besonders gut ist.
A: Nein, aber sie sind da. Einstiegshürde bedeutet doch zum Beispiel auch, ich gehe irgendwohin und kenne da niemand. Das ist die Einstiegshürde bei Twitter. Abgesehen davon, dass man Twitter ja auch wirklich kennen muss, wie man sich da verhält, aber ich finde, das ist eine Einstiegshürde. Und bei Facebook ist diese Hürde weg, weil inzwischen jeder, der da hingeht, zwanzig Leute kennt. Das kannst du jetzt gut finden oder nicht, aber so ist das.
B: Das ist auch der Grund, weswegen ich da eine Zeitlang war – ich nenne es einfach sozialen Druck. Bei mir war es so: Ich habe einen neuen Job gehabt, und da waren alle bei Facebook. Aber ich finde das eher ein bisschen beängstigend, bestimmte Tools nutzen zu müssen, weil man sonst aus bestimmten Zusammenhängen tendenziell ausgeschlossen wird. – Na gut, ich würde sagen, lassen wir das mal stehen.
A: Genau, das ist ja diese Sache: Du musst in deinem Beziehungsleben immer mit Tools zurechtkommen, die die Gesellschaft gerade bereitstellt.
B: Gerade in der Phase, in der wir gerade sind, in der sich das enorm schnell verändert, ist es doch wichtig, was dann hinten rauskommt. Und wenn dann hinten nur so’n blödes Facebook rauskommt, bei dem es meiner Meinung nach nicht weitergeht, sodass dann die Leute, nur weil sie bei Facebook sind, automatisch auch anfangen zu bloggen …
A: Ja nicht automatisch.
B: Nicht mal in der Tendenz. Meiner Meinung nach hat das einfach nichts miteinander zu tun.
A: Wir können ja eine Wette abschließen und gucken, wie es in fünf Jahren geworden ist.
B: Genau. Wenn wir in fünf Jahren noch „Besondere Umstände“ machen …
A: Aber sicher!
B: … greifen wir das Thema nochmal auf.
A: Die Zeit vergeht so unglaublich schnell, da sind fünf Jahre nix, hab ich den Eindruck. – Gehen wir doch weiter zum nächsten Thema. Du hast das Buch von Diotima gelesen. … Wie heißt es denn überhaupt gleich noch? „Macht und Politik sind nicht dasselbe“?
B: Genau. Und du hast es übersetzt …
A: … zusammen mit Dorothee Markert, genau. Diotima sind italienische Feministinnen, falls das jemand nicht weiß. Und? Wie fandest du es?
B: Ich fand es einerseits interessant – ich war vor allen Dingen überrascht, wie viel ich davon schon kannte aus deinem Blog –, insbesondere … du hast ja so ein Netz von Koryphäen, auf die du dich immer beziehst, Hannah Arendt und Simone Weil und so, deine Lieblingsphilosophinnen. Dass es bei denen so völlig identisch ist, das war mir so nicht klar. Für mich war es vorher so: Antje hat Diotima, Hannah Arendt und Simone Weil. Dass aber die Diotima-Leute das auch so sagen – was da jetzt auch immer zuerst da war, das weiß ich nicht.
A: Sagen wir mal: Diotima und ich sind dieselbe Generation, während Hannah Arendt und Simone Weil schon tot sind.
B: Ja, aber dass euer theoretisches Beziehungsnetz sehr ähnlich ist, war mir so nicht klar. – Ich finde auch diese begriffliche Trennung zwischen Macht und Politik nachvollziehbar, das gibt’s ja auch an anderen Stellen – ich würde es so ähnlich sehen bei Holloway, der hat das instrumentelle Macht und kreative Macht genannt und gegenübergestellt. Da gibt es verschiedene Begriffsgeschichten. Macht auf jeden Fall Sinn, das begrifflich zu trennen. Was mich ein bisschen enttäuscht hat, war, dass sie sehr viel darüber gesprochen haben, wie Macht zwischen Menschen funktioniert und in Institutionen und so, aber alles, was man strukturelle Macht nennen könnte, ein bisschen unterbelichtet ist. Das kommt dann so ein bisschen rein, wenn sie von „symbolischer Ordnung“ sprechen. Das ist glaube ich ihre Vorstellung, wie sowas funktioniert, und das ist mir zu wenig. – Da geht‘s glaube ich darum: Was hat man für einen Begriff von „Gesellschaft“? Mein Eindruck ist ein bisschen, die haben so einen Begriff von „Gesellschaft“ als Kooperationen von Kooperationen oder so … im Prinzip nur ein Mehr von zwischenmenschlichen Beziehungen. Dann gibt es noch das Symbolische, was schon ein bisschen mehr ist als nur diese direkte Ebene. Mir ist das aber zu wenig, weil man zum Beispiel so etwas wie Kapitalismus so nicht verstehen kann. Weil das mehr ist als eine symbolische Ordnung. Das hat mir ein bisschen an der Analyseebene gefehlt. Deswegen fand ich, sie stoßen oft ein bisschen an Grenzen.
Was man auch gemerkt hat – da war ja diese Analyse drin über die Bewegung mit diesem Flughafen … mit der Militärbasis. Das fand ich ganz interessant, wie sie das so geschildert haben, aber auch da hatte man das Gefühl, es sind nur die bösen Mächtigen, die es uns jetzt aufdrücken. Das stimmt natürlich irgendwie, aber es gibt halt schon auch noch eine Ebene von einer Sachzwanglogik, die da einfach exekutiert wird. Dass du die Köpfe austauschst und es bleibt aber dasselbe. – Dann kommt immer nur die symbolische Ordnung, die man halt stürzen müsste, und für mich ist das halt mehr als nur Symbolik. Für mich ist da schon auch eine materielle Ebene drin. Das ist das eine – und dann, im Detail, was ich nicht nachvollziehen kann, ist diese – das geht mir auch in deinem Blog immer so, dass sie halt vom Ende des Patriarchats reden, das find ich ein bisschen … das kommt meiner Meinung nach auch genau daher, dass sie halt – wenn man das Patriarchat nur als symbolische Ordnung versteht, dann ist vielleicht einfach – zumindest in bestimmten Szenen – nicht mehr da oder so. Ich find‘s aber interessant zu sehen, wo es dann vielleicht doch noch da ist. Obwohl es eigentlich alle irgendwie einsehen, dass es blöd ist, und nicht mehr dran glauben und am Ende komischerweise dann doch die Frauen immer zu Hause sind und die Kinder hüten.
A: Ja genau. Die Frage ist: Wer handelt – oder: aus welcher Position heraus mache ich Politik? Gehe ich aus von mir selbst und meinen Handlungsmöglichkeiten und interessiert mich an der Politik die Frage: Was kann ich tun und was soll ich tun? Oder nehme ich eine Perspektive von außen ein und analysiere das große Ganze? Symbolische Ordnung ist im Prinzip das Raster, innerhalb dessen wir überhaupt nur denken können. Die Wichtigkeit davon ist, dass in den herkömmlichen klassischen linken politischen Bewegungen, sowohl Kommunismus als auch Feminismus, die Bedeutung davon nicht groß genug eingeschätzt wurde. Es ist ein Unterschied, ob ich als Frau in patriarchalen Strukturen lebe und die auch selber glaube – also wenn ich selber glaube, Frauen sind dümmer und Frauen sind weniger wert undsoweiter – und auch alle anderen das glauben und diese symbolische Ordnung, diese Bedeutung von Frausein als Minderwertigkeit einfach nicht nur überall da ist, sondern auch in meinem eigenen Kopf – oder ob ich diese symbolische Ordnung ändere, ob ich weiß: Ich bin frei, Frauen sind frei, Frauen sind klug, Frauen sind wasauchimmer – und dann innerhalb derselben Umgebung handle. Das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Das war für mich das Befreiende und das, weshalb ich mich politisch mit den Italienerinnen verbündet habe: Weil das für mich eine Befreiung ist. Ich handle nicht mehr vom Opferstatus aus, sondern als eine, die angesichts widriger Umstände – und die widrigen Umstände sind der Kapitalismus, die patriarchalischen Strukturen, die es noch gibt, die dummen Leute um mich herum, Machtverhältnisse … – angesichts dieser Umstände handle ich aber souverän. Ich bin nicht deren Opfer. Und diese andere Haltung von politischen Akteuren ist tatsächlich das Andere. Kann sein, dass dann die Analyse von Strukturen etwas unterbleibt, aber ich glaube das gar nicht, weil Strukturen – also entweder sie sind Machtverhältnisse, Institutionen mit … Macht definieren die Diotimas ja als Strukturen, die es erlauben, dass Personen ihre eigenen Ansichten durchsetzen ohne auf das Begehren der anderen Rücksicht nehmen zu müssen. Das ist Macht, so wie sie es definieren. Entweder man hat es mit Machtstrukturen zu tun, mit Chefs, Vorstandsvorsitzenden … das ist ja Gesellschaftsstruktur.
B: Nee, das ist noch eine Stufe drunter. Also für mich gibt es drei Ebenen …
A: Es gibt eben die Macht, die institutionellen Strukturen – und die symbolische Ordnung, der Rahmen dessen, was wir denken können, weil wir es uns erschlossen haben oder eben nicht erschlossen haben. So ist unser Denken oder unsere Vorstellungskraft, wie was sein könnte, festgelegt. Was brauchst du dazwischen noch?
B: Man braucht noch das, was sich nicht ändern lässt einfach nur durch anderes Denken. Ich kann beliebig anders denken, dass der Kapitalismus komplett sinnlos ist und nur Leiden erzeugt und ich brauch den nicht und so weiter – das ändert aber nichts daran, dass ich arbeiten gehen muss und konsumiere und ihn damit auch erhalte. Und das ist eine materielle Gewalt, die strukturell ist auf einer Ebene, die nicht durch rein symbolische … ich kann mich nicht da rausdenken. Natürlich habe ich eine andere Haltung dazu …
A: Dann machst du doch auch andere Sachen.
B: Ich mach dann andere Sachen, aber bestimmte Sachen kann ich nicht anders machen.
A: So ist das Leben! Du kannst nicht alles machen. Wenn‘s draußen regnet, dann kann ich nicht ins Schwimmbad gehen.
B: Meiner Meinung nach ist das eben nicht nur das Leben, sondern es ist eine bestimmte Form von Struktur, die zu analysieren Sinn macht, weil man dann zum Beispiel merkt, dass es eben nicht nur darauf ankommt, die Mächtigen auszutauschen oder andere Institutionen zu schaffen, sondern dass sich die Art, wie wir unser Leben produzieren und reproduzieren, komplett ändern muss. Die Größe der Herausforderung wird dann überhaupt erst klar. Dass es nicht nur darum geht, Neues denken zu können, sondern auch, neue Arten des Lebens überhaupt erschaffen zu können – was noch schwieriger ist.
A: Die Praxis, die sie vorschlagen, ist ja die Politik der Beziehungen. Der Vorschlag in dem Buch ist ja ganz klar, dass es nicht darum geht, innerhalb der Institutionen Machtpositionen auszutauschen. Sondern es ist eine Analyse, warum diese Art von machtbasierter Institutionen prinzipiell nicht das ist, was die Frauen wollen – in Bezug auf Denkerinnen, die wir schon hatten, die andere Arten vorgeschlagen hatten, wie gesellschaftliche Prozesse Form annehmen. Also Nicht-Macht-Institutionen. Die These des Buches geht aus von der Beobachtung, dass die Frauenbewegung bisher zwei gegensätzliche Positionen hatte – die einen haben gesagt: Wir müssen Macht innerhalb der Institutionen übernehmen, Quoten und Frauen in Führungspositionen und so, und die anderen sagten: Wir müssen uns da ganz rausziehen und machen autonome Projekte, wir wollen mit der bösen Macht nichts zu tun haben. Dieser Gegenüberstellung stellen sie eine dritte Alternative entgegen und sagen: Wir können innerhalb von Machtinstitutionen handeln, ohne uns der Logik der Macht zu unterwerfen. Und das ist das, was sie überlegen, also zum Beispiel: Wie kann ich innerhalb einer Institution Abteilungsleiterin sein, also institutionelle Macht ausüben, ohne mich aber der Logik dieser Macht zu unterwerfen? Das Thema des Buches ist es, auszukundschaften, wie das gehen könnte. Diese Art des Handelns ist ja nicht individuell. Es ist nicht die These, zu sagen: Ich denke mir was anders auf der symbolischen Ebene und dann mach ich das einfach. Fast nichts, was wir uns ausdenken, können wir einfach machen, weil zwischen dem Ausdenken und dem Machen steht die Welt, stehen die anderen Leute, stehen die Verhältnisse, so, wie sie sind. Das ist immer so. Die Praxis, die sie dann vorschlagen, ist die Politik der Beziehungen mit anderen, die ähnliche Sachen wollen, und dann im Austausch miteinander Praktiken zu erfinden. Ich glaube, dass ich gerade gut finde, dass sie nicht diese große alternative Vision haben, weil mich genau das an den linken Männern immer stört: Sie kritisieren den Kapitalismus und analysieren ihn auch gut und sagen, die Alternative ist der Sozialismus. Und das ist ja immer das, wo es dann nicht mehr funktioniert, wenn man die Alternative vorschreibt. Ich glaube, was man machen kann, ist, ausgehend von der Situation, so wie sie ist, experimentelle Praktiken erfinden – und wo wir hinwollen, werden wir ja dann noch rausfinden. Das ist ja nichts, was ich als Buchautorin den anderen vorschlagen kann.
B: Damit bin ich völlig d’accord, aber ich würde halt noch sagen, dass diese Politik der Beziehungen notwendig an eine Grenze kommt und auch nicht in irgendeiner fernen Zukunft, sondern ganz konkret, und zwar dann, wenn man sich bestimmte Dynamiken, die sich aus Sachzwängen, die größer sind als nur symbolische, nicht klarmacht, notwendig ergeben. Ich find das richtig und so, man soll das auch tun, Experimente super und so, nur gibt es halt bestimmte Formen von Experimenten, deren Sinnlosigkeit man nur versteht, wenn man einen Blick für diese Analyseebene, dieses Strukturelle, hat.
A: Ich versteh‘s immer noch nicht. Hast du ein Beispiel?
B: Zum Beispiel … Tauschringe. Das ist was, das kann man sich ganz toll auf dieser Beziehungsebene vorstellen und das machen auch Leute und so, nur in der Praxis ist es halt – nach allem, was ich mitgekriegt hab – ein ziemliches Elend. Das hat halt genau damit zu tun, dass man aus dieser Logik des Tausches nicht aussteigt. Daraus kann man natürlich nicht einfach so durch Beschluss oder durch eine neue symbolische Ordnung aussteigen. Man kann zumindest verstehen, dass es nicht wahnsinnig viel Sinn macht, seine ganze Energie in so einen Tauschring zu stecken, sondern dass es vielleicht besser wäre, zu überlegen, wie man ohne Tausch Kooperation organisieren kann, in Experimenten undsoweiter. Deswegen sage ich, es ist wichtig, diese zusätzliche Ebene zu haben. Darunter kann man natürlich sinnvoll Sachen machen, nur mir fehlt das an diesem Ansatz.
A: Ich habe noch nicht so ganz verstanden, was dir fehlt, weil der Tauschring, der glaubt, eine Alternative zum Kapitalismus zu haben, aber dennoch in der Logik des Tauschs verbleibt – das ist ja tatsächlich ein Problem der Arbeit an der symbolischen Ordnung. Das kommt ja daher, dass Tausch alles, was Menschen miteinander machen, als Oberbegriff überdeckt. Das ist doch ein Denkfehler, oder?
B: Nee.
A: Also würd ich jetzt sagen. Das ist zu kurz gedacht.
B: Ja, es ist natürlich zu kurz gedacht, aber nicht in dem Sinne, dass man einfach nur … dass der Tausch als Grundsystem unsere gesamte Gesellschaft durchzieht, ist ja nicht nur eine symbolische Frage, sondern eine, die materiell unser Leben bestimmt, was aber auch bedeutet, dass ich durch eine reine Denkleistung da nicht komplett aussteigen kann.
A: Ich finde, das ist ein ganz gutes Beispiel. Natürlich kann man durch eine reine Denkleistung nie aus irgendwas aussteigen, sondern die Idee ist ja, dass verändertes Denken dazu führt, dass man dann auch anders handelt. Wenn ich zum Beispiel die Logik des Tauschs als die einzige Möglichkeit, mit Menschen Güter zu verteilen, nicht mehr habe, dann kann das dazu führen, dass ich entweder eine andere Art Projekt aufbaue, es kann aber auch sein, dass ich innerhalb einer Firma oder innerhalb der Machtstrukturen auf einmal anders handle – meinen Möglichkeiten entsprechend. Aber wenn ich die Grundprämisse „Tausch ist das einzig Mögliche“ nicht mehr in meinem Kopf habe, dann werde ich anders handeln, egal, wo ich bin. Auch wenn ich vielleicht in irgendeinem Konzern eine Managementposition habe. Der Hintergrund ist ja auch, dass die Frauenbewegung sehr viel an der symbolischen Ordnung gearbeitet hat; wir haben ja ganz viel gedacht, ganz viel geschrieben, auch ganz viel an uns selbst gearbeitet, aber es ist im Moment ein bisschen die Frustration da, dass es nicht gelingt, das gesamtgesellschaftlich etwas größer zu verankern. Deshalb ja der Wunsch, zu sagen: wir wollen raus, wir wollen in die Institutionen rein, wir wollen in die Strukturen rein, aber ohne dass wir uns da korrumpieren lassen. Ohne dass wir uns da an diese Sachzwänge anpassen. Und da ist zum Beispiel eine praktische Forderung, zu sagen: Wo sind deine wichtigen Beziehungen? Wenn ich in die Institution reingehe – liefere ich mich da auch beziehungsmäßig mit Haut und Haar aus? Oder hab ich meine eigentlich wichtigen politischen Beziehungen woanders und trage dieses andere Denken bewusst in die Institution rein? Gehe ich in die Institution, um sie zu verändern und was kann ich dagegen tun, in diesen Sog reinzukommen? Ich glaube ja – um das mal auszuweiten auf die politischen Bewegungen generell –, dass die gesamte Linke an der Umsetzung dieser Frage scheitert. Ich hätte ja gern noch über das Thema diskutiert: „Warum schreiben linke Männer immer so viele Hauptwörter in ihre Texte?“ Das hängt schon ein bisschen damit zusammen, dass da immer die Analyse der Strukturen sehr groß dimensioniert ist, aber wir haben diese Strukturen schon totanalysiert. Nur verändert sich nichts. Was generell fehlt, ist eine genauere Aufmerksamkeit dafür: Was kann ich denn tun? Und es ist nicht wahr, dass ich nichts tun kann. Es ist nicht wahr, dass sich erst die Machtverhältnisse verändert haben müssen, bevor ich was tun kann, sondern wer, wenn nicht wir, die wir was tun, werden denn die Machtverhältnisse verändern?
B: Das ist ja alles richtig. Der Witz ist, es gibt ja beides. Es gibt die Strukturen, die die Menschen bestimmen, und es gibt die Menschen, die die Strukturen machen. Das ist ja so ein klassisches dialektisches Verhältnis. Mir geht‘s nur darum, dass in diesem Diotima-Ansatz meiner Meinung nach die Seite „Die Menschen machen die Strukturen“ überbetont wird und die andere so ein bisschen weggewischt wird als „naja, das gucken wir uns jetzt nicht an.“ Wie du das grad erzählt hast, ist das natürlich nachvollziehbar, das so zu machen, aus so ner linken Geschichte heraus, dass einen traditionelle Linke oft diese Strukturen überbetont hat bis hin dazu, dass alles eine historische Gesetzmäßigkeit hat, der man nur folgen muss oder so ein Schwachsinn. Klar, da macht es natürlich total Sinn, diese andere Seite zu betonen. Ich will nur sagen: Das darf aber eben nicht so weit gehen, dass man nur noch die andere Seite sieht und die Strukturen nicht mehr. Meine Wahrnehmung von dem Buch war einfach, dass es so ein bisschen in diese Richtung kippt. Das ist eigentlich alles. Womit die Richtung nicht falsch wird, aber man muss es glaube ich immer beides sehen.
A: Ich glaube, das ist auch eine Reaktion auf diesen Foucault-Enthusiasmus. Bei den klassischen Linken war das ja so ein bisschen, sagen wir mal, auch Selbstüberschätzung, also: „Das sind die falschen Strukturen und wir bringen euch die richtigen.“ Dann gab es aber noch diese ganze postmoderne Diskussion und Foucault, der gezeigt hat – in Kritik an dieser Selbstüberschätzung des linken Subjekts –, wie sehr man eigentlich als einzelner Mensch immer mit den Machtstrukturen gerade in Bezug auf die symbolische Ordnung verwoben ist. Daraus ist in Teilen der linken Bewegung so ein bisschen ein klaustrophobischer Moment geworden, nach dem Motto: Wir können ja gar nichts machen, denn jedes einzelne unserer Begehren ist schon korrupt, weil wir in dieser Macht verwoben, die eben nicht nur in den Strukturen ist, sondern auch die Personen durchzieht … das ist, was Foucault sagt. Ich verstehe die Absicht, aber ich hab diese Position, gegen die er sich auflehnt, eh nie geteilt. Und ich finde schon, dass man jetzt gegen Foucault auch wieder betonen müsste, dass diese Auslieferung nicht total ist; dass wir nicht dauernd uns selbst und unseren eigenen Wünschen misstrauen müssen. Sondern ich bin überzeugt, dass die Wünsche von Menschen positive Impulse sind und dass man sich selber auch ein bisschen mehr vertrauen kann, sowohl in Bezug auf das, was man selber möchte, als auch in Bezug auf das, was man selber tun kann. Das ist der Aspekt, der mir daraus wichtig ist: so ein bisschen mehr Optimismus in die linke Politik reinzubringen!
B: Alles sehr nachvollziehbar.
A: Also vielleicht können wir … falls das da anknüpft – ich hab als ein weiteres Thema aufgeschrieben: Wie ging es dem Feminismus im Netz 2012? Du bist ja so ein bisschen wohlwollender Beobachter von außen in Bezug auf Netzfeminismus … Es gibt momentan eine kleine Diskussion darüber: War 2012 ein ganz schlechtes Jahr für den Netzfeminismus oder war es eigentlich ein ganz gutes Jahr? Wie hast du das wahrgenommen?
B: Ich hab vor allem – aber das ist glaube ich ein Allgemeinplatz inzwischen – wahrgenommen, dass es vor diesem Jahr noch sowas wie einen Netzfeminismus gab in dem Sinne, dass man eine gemeinsame Identität gefühlt hat, obwohl man unterschiedlicher Meinung ist. Dadurch, dass man dieselben Tools benutzt, hatte man eine gemeinsame Identität. Ich glaube, das ist so ein bisschen weg. Da gab es sehr viele Streitereien inzwischen, und auch ziemlich bösartige Geschichten, die ich nur so am Rand mitgekriegt hab. Das letzte war jetzt diese Geschichte beim CCC, wo dann schon immer sehr unversöhnliche Positionen im Netz aufeinander getroffen sind. Diese gemeinsame Identität ist, glaube ich, zerstört oder zumindest angeknackst. Ich weiß aber gar nicht, ob das gut oder schlecht ist. Das ist glaube ich einfach eine natürliche Entwicklung.
A: Es sind ja ein paar Artikel geschrieben worden, die das negativ sehen. Katrin Rönicke hatte einen und Vera Bunse auch auf Carta. Ich bin eigentlich der Meinung, dass 2012 ein gutes Jahr für den Netzfeminismus war, weil es doch inzwischen klar ist, dass man um feministische Themen im Netz nicht mehr herumkommt. Auch dass der CCC überhaupt diese Diskussion hatte. 2011 gab‘s die nicht. Warum nicht? Das zeigt doch, dass es inzwischen mainstreamig geworden ist, dass man irgendwas mit diesen Frauen … irgendwie muss man dieses Thema angehen. Das geht nicht mehr so ohne weiteres durch, auch in netzpolitischen Szenen. Die Piratenpartei hat total viel Feminismus gemacht im Jahr 2012, und ich glaube ja, dass die Streitigkeiten – es gab ja diesen Streit um die Mädchenmannschaft, der jetzt auch in der EMMA groß nochmal aufgegriffen wurde, wobei ich die EMMA nicht gelesen hab … du liest sie auch nicht, oder? Die EMMA hat auch einen Artikel über Netzfeminismus. Der ist ja viel diskutiert und kommentiert worden, auch die Frage um Critical Whiteness in Zusammenhang mit dem Jubiläum der Mädchenmannschaft und die Frage der Slut Walks. Diese Streitigkeiten machen ein Thema natürlich auch wichtig. Ich finde, wenn man sich über etwas streitet, dann geraten die beiden Positionen, die sich da streiten, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Nichts ist doch besser für weitgehende Aufmerksamkeit, als wenn zwei verschiedene feministische Positionen sich streiten, weil dann fragen alle: Bin ich mehr für die Seite oder bin ich mehr für die Seite? Aber niemand fragt mehr: Bin ich überhaupt für Feminismus? Verstehst du?
B: Das ist ja auch der Plan hinter unserem Podcast.
A: Ja, stimmt!
B: Ich glaube, die Herausforderung ist, dass man versucht, dabei noch irgendwie freundlich miteinander umzugehen. Und das ist halt teilweise gescheitert. Da sind schon ziemliche Schlachten geschlagen worden. Ich krieg‘s ja nur rein virtuell mit, deswegen weiß ich nicht, wie sehr das … aber ich hatte schon den Eindruck, dass da sehr viele Leute verletzt sind auch auf eine Art, die Beziehungen zerstört hat. Das ist natürlich schon eher negativ zu sehen.
A: Ich glaube, dass das auch was mit symbolischer Ordnung zu tun hat, weil die symbolische Ordnung, die über alldem schwebt, ist: Frauen müssen miteinander solidarisch sein, Frauen dürfen sich nicht streiten. Wenn Frauen unterschiedliche miteinander unvereinbare politische Ansichten haben, dann ist das eine ganz schreckliche Katastrophe. Ich versteh gar nicht, warum. Die ganze männliche Politik besteht darin, dass Männer miteinander unvereinbare politische Positionen haben. Okay, man sollte jetzt nicht so weit gehen und deshalb innerhalb des Feminismus Krieg führen, das ist es natürlich nicht, aber ich fand, so krass waren die Auseinandersetzungen auch gar nicht. Die Verletzungen kamen glaube ich tatsächlich daher, dass die Erwartungen an feministische Solidarität falsche sind.
B: Überhöhte.
A: Überhöhte. Ich finde, wenn ein Projekt wie zum Beispiel die Mädchenmannschaft sich aufspaltet oder wenn die sich trennen, weil sie politische Positionen beziehen, die nicht miteinander vereinbar sind – und das ist so –, ob ich jetzt sage, ich will ein Portal machen, das frauenemanzipatorische Themen innerhalb der bestehenden Rahmenverhältnisse aufgreift und damit möglichst viele der Frauen in Deutschland erreicht, dann ist das etwas anderes, als wenn ich sage, ich will ein Portal machen, das grundsätzliche, sehr radikale feministische Kritik an den Verhältnissen übt und dabei auch andere Sachen wie Rassismus oder so mit einbezieht, auch wenn das nur kleine Gruppen interessiert. Das sind einfach zwei unterschiedliche Projekte, die im Einzelfall eben auch nicht miteinander vereinbar sind. Und das kann man doch auch sagen. Also wo ist das Problem? Man sich auch drüber streiten: Was wäre jetzt wichtiger zu tun? Aber ich kann da keine Katastrophe drin sehen, dass es diese beiden Positionen innerhalb des Feminismus gibt. Die Männer können das wirklich gut, dass die sich in der Öffentlichkeit total heftig gegenseitig ankacken und dann hinterher doch miteinander ein Bier trinken gehen. Zum Beispiel habe ich den Podcast gehört, wo Sascha Lobo bei „Wir müssen reden“ war. Der hat da vielleicht seine Gastgeber niedergemacht in ihrem eigenen Podcast, dass mir echt der Atem stockte. Das können Frauen nicht. Bei denen geht so ein unterhalb der Gürtellinie kräftigst sich gegenseitig anmachen immer emotional rein. Das finde ich bis zu einem gewissen Punkt auch gut, aber … ab einem gewissen Punkt finde ich es dann nicht gut, nämlich dann, wenn man dadurch handlungsunfähig wird. Wenn dann Sachen einfach absterben oder Frauen sich aus der politischen Diskussion rausziehen, weil sie sich und ihre eigenen Gefühle schützen wollen, weil sie das so sehr an sich ranlassen. Ich hab auch den Eindruck, dass ich da mit der Zeit abgebrühter werde. Anfangs im Netz oder anfangs, als ich gebloggt hab, war ich auch oft noch ganz emotional getroffen, wenn jemand … böse war mit mir. Inzwischen habe ich, glaube ich, ein dickeres Fell. Ich weiß gar nicht so recht, ob das Gewöhnung ist.
B: Ja, ich glaub, das bleibt nicht aus.
A: Das dicke Fell?
B: Ja. Netzdiskussionen sind, glaube, ich allgemein härter als sie sonst üblicherweise geführt werden. Innerhalb dieser netzfeministischen Diskussion spielt ja genau diese Frage schon immer eine sehr große Rolle, weil gerade in dieser Nerdszene ja immer viel kommt: „Musst halt ein dickes Fell mitbringen, wenn du dich hier aufhalten willst und das ist halt so“, und umgekehrt da ja schon immer so ein Anspruch kommt – ein berechtigter Anspruch –, nee, es muss auch möglich sein, Räume zu schaffen, wo so ein dickes Fell eben nicht nötig ist und man sich trotzdem unterhalten kann. Man könnte natürlich jetzt sagen, das dicke Fell, damit bist du jetzt schon Opfer des Patriarchats geworden – nee, nicht Opfer, sondern Täter sogar!
A: Täter! – Nein, ich glaube, dass es anders ist. Das stimmt natürlich mit den Diskussionen. Ich glaube ja, dass der Diskussionsstil einfach unterschiedlich ist. Das ist so ein Stammtischstil, den Männer mögen und Frauen nicht, auch dieses sportliche … dieser Tonfall. Ich glaub, das ist eine kulturelle Differenz. Das Interessante in Bezug auf die Verletzungen in den verschiedenen Fraktionen des Feminismus im Netz war ja, dass die einzelnen Tweets oder die einzelnen Texte überhaupt nicht so sehr in diesem sarkastischen Tonfall waren. Die Texte und die Tweets waren überwiegend sachlich, nett formuliert. Die waren schon innerhalb der „weiblichen Kultur“, wenn ich das unter Anführungsstrichen sagen darf, aber von ihrer Bedeutung her gingen sie natürlich doch ans Eingemachte. Man kann ja auch auf höfliche Weise sehr verletzende Dinge sagen. Deswegen erklärt sich das nicht nur aus der Gesprächskultur – sage ich jetzt: „Mit Verlaub, was Sie erzählen, ist totale Scheiße“, oder sage ich: „Ich finde das völlig falsch, was du sagst“. Das ist ein ganz anderer Tonfall, aber die Spitze geht genauso tief rein, wenn man es auf der Beziehungsebene sieht. Ich denke ja, das hat damit zu tun: Im Feminismus gab es schon immer diese unversöhnlichen Fraktionen. Vor dem Internet haben die sich nur schön fein säuberlich getrennt in ihre verschiedenen Zentren, Zirkel und Räume, und da haben auch immer die einen mit den anderen nicht geredet undsoweiter, weil man war ihnen nicht dauernd ausgesetzt in der gemeinsamen Öffentlichkeit. Und die Konflikte etwa zwischen Lesben und Matriarchatsfrauen in den siebziger Jahren waren mindestens so krass und auch auf persönlichen Ebenen ausgetragen, mit Intrigen und Kram, wie das. Viel mehr, würde ich sagen, als das, was heute ist. Aber wir müssen halt innerhalb des Internets lernen, dass wir in derselben Öffentlichkeit sind.
B: Ich glaube, genau das differenziert sich halt aus. Mit diesem Streit geht natürlich einher, dass die Leute ihre Filterbubbles anpassen und dann eben die Öffentlichkeiten sich auch weiter ausdifferenzieren. Bisher war es so: Es gab halt eine kleine Gruppe, eine überschaubare Anzahl von Leuten, die sich mit dem Thema befasst haben, das sind mehr geworden, und jetzt spaltet sich das halt auf, und damit geht natürlich diese gemeinsame Öffentlichkeit ein Stück weit verloren. Vielleicht müsste man sich jetzt vornehmen, Orte zu schaffen, wo man diese gemeinsame Öffentlichkeit bewusst wiederherstellt. Wäre sozusagen ein logischer Schritt.
A: Ich weiß nicht, ob die wirklich verlorengeht. Ich zum Beispiel habe alle Fraktionen noch in meiner Timeline. Ich interessiere mich nämlich für alle diese Positionen. Auch wenn ich mit manchen eben dann nicht einverstanden bin oder doch einverstanden bin, aber – das heißt, die gemeinsame Öffentlichkeit gibt es noch auf Seiten derer, die nach wie vor alle diese verschiedenen Fraktionen abonnieren können. Das wäre mal eine interessante Frage, inwiefern die Filterbubbles wirklich so abgeschottet sind, dass die voneinander nichts mehr mitkriegen.
B: Das weiß ich nicht.
A: Man muss ja nicht unbedingt miteinander reden, aber man kann ja dennoch lesen, was die anderen schreiben. Ich glaube, darüber nachzudenken: Ist es wirklich so schlimm, dass es andere feministische Positionen gibt, die ich inhaltlich gar nicht teile? Oder stärkt das unterm Strich die Bedeutung von FeminismusTM als Sicht auf die Welt generell? Und wenn das so wäre, müsste man den anderen ja nicht mehr so böse sein, sondern dann könnte man sagen, okay, die erzählen zwar falsche Sachen, aber unterm Strich gibt mir gerade die Tatsache, dass sie falsche Sachen erzählen, die Möglichkeit, meine Sachen auch zu erzählen. Ich glaube ja nicht, dass sich so viele Leute wirklich für Critical Whiteness interessieren, wie jetzt Texte über das Thema gelesen wurden. Und natürlich war die Kontroverse der Grund dafür, warum die Texte gelesen wurden, warum man sich überhaupt damit auseinandersetzt. Diese Art, sich gegenseitig aufzuschaukeln in der jeweiligen Bedeutung … Ich bin mal gespannt, wie 2013 für den Netzfeminismus wird!
Haben wir noch ein Thema? Ja. Stigmergie. Da hat gestern Stefan Meretz in eurem keimform-Blog was zu geschrieben, und ich fand das sehr interessant. Das war ja ein Wort, das du letztes Mal schon einbringen wolltest in die Diskussion.
B: Vorletztes Mal.
A: Vorletztes Mal schon? In welchem Zusammenhang war das damals? Also was ist Stigmergie?
B: Stigmergie ist eine Organisationsform, die darauf basiert, dass man Hinweise hinterlässt, was getan werden soll. Nicht klassischerweise: Entweder setzen sich alle zusammen und beschließen jetzt gemeinsam, was getan wird, oder es gibt halt einen Chef, der sagt, was getan wird, sondern ich stelle fest, es gibt halt einen Mangel, was getan werden soll, also hinterlasse ich irgendwo einen Hinweis, der es anderen ermöglicht, etwas zu tun, was auch wirklich mindestens einem ein Anliegen ist. Klassische Beispiele sind die roten Links in der Wikipedia, wo hinterlassen wird: Okay, hier könnte man eigentlich einen Artikel drüber schreiben, ich mach‘s jetzt aber grad nicht, weil ich gerade ein anderes Thema bearbeite. Dann wurden ja auch Statistiken gebildet, welche Begriffe am häufigsten rot verlinkt wurden, und dann gab es durchaus Leute, die genau das zum Anlass genommen haben, so einen Artikel zu schreiben. Oder bei freien Softwareprojekten gibt‘s halt immer so To-do-Listen, wo drinsteht: Das könnte mal getan werden, falls es irgendjemand gibt, der Lust drauf hat. Das wäre was, was dem Projekt als Ganzem hilfreich ist.
Interessant daran ist halt, dass es eine Organisationsform ist, die einerseits nicht hierarchisch ist, aber andererseits auch die Lähmungen vermeidet, die entstehen, wenn sich alle einig werden müssen, was halt in größeren Gruppen nicht mehr funktioniert.
A: Ja, find ich gut.
B: Und auf jeden Fall ist das ein ganz wichtiges Ding für … wie man in Zukunft alles organisieren sollte. Nicht dass jetzt unbedingt alles auf die Weise organisiert werden wird, das glaube ich nicht, aber ich halte das durchaus für ein Prinzip, was zumindest so wichtig wird, dass es hegemoniale Bedeutung hat, dass es sozusagen normal ist, Dinge so zu machen und eben nicht mehr über andere Arten.
A: Das setzt halt diese Vernetztheit voraus, die Möglichkeit, dass viele nichthierarchisch miteinander kommunizieren können. Warum es mir gut gefallen hat, war, um auf das Diotima-Buch zurückzukommen: Es ist ja genau der Versuch, eine Zwischenstufe, eine dritte Alternative zu haben zwischen Macht auf der einen Seite – also dem Reingehen in Machtverhältnisse – und dem Sichrausziehen aus Machtverhältnissen. Das ist ja eine pragmatische Art, mit Ungleichheit umzugehen, mit der Ungleichheit zum Beispiel, dass manche manche Sachen können und andere können sie nicht; mit der Ungleichheit, dass manche Zeit und Ressourcen für etwas haben und andere haben sie nicht; und auch mit der Ungleichheit, dass manche das wollen und andere das wollen. Ich hab natürlich sofort an das Stichwort „Begehren“ gedacht. Dahinter steht ja: Diejenigen, die eine Art Aufforderung, etwas zu tun, hinterlassen – dahinter steckt ja ein Begehren, wenn du so willst: Ich will gerne, dass es diesen Artikel bei Wikipedia gibt; und das Begehren spielt aber auch auf Seiten derjenigen eine Rolle, die dann irgendwo hinkommen und überlegen: Was will ich jetzt? Wozu habe ich jetzt eigentlich Lust? Von daher glaube ich, dass das dasselbe Prinzip – hier geht es ja um die Organisation von Arbeit, oder? Oder um die Verteilung von Projekten oder sowas. Aber ich glaube, dass das auch in Bezug auf politisches Handeln zum Beispiel stimmt. Also die Frage: Was will ich denn überhaupt verändern? Ich könnte zum Beispiel hinterlassen, was mir nicht gefällt an der Politik oder was ich finde, das mal geändert werden sollte, also zum Beispiel das Urheberrecht, und dann könnten andere kommen und sagen, wir machen das. Oder: Ich hab da die und die Idee dazu. Auch in Bezug auf politisches Handeln sehe ich diese Weise, zum Beispiel dass erstmal nicht die Frage ist, wie ist das System, wie ist die Struktur, was muss geändert werden, sondern dass ich eher davon ausgehe, was will ich denn ändern, was stört mich denn. Und wo find ich Leute, die das vielleicht auch stört oder die mir dabei helfen könnten, das, was mich stört, zu verändern – wofür ich selber die Ressourcen hab.
Hat das schonmal jemand durchdacht, Stigmergie und … na gut, eigentlich hat der Stefan Meretz das ja in Bezug … nee, der hat das auch –
B: Der hat das – der Artikel ist gar nicht von ihm. Der hat den nur übersetzt. Ich weiß jetzt auch nicht, wie der Original- …
A: Werden wir alles auch verlinken. Aber da ging es auch eher um die Organisation von Produktionsprozessen?
B: Glaub schon.
A: Was heißt „Stigmergie“ eigentlich?
B: Wörtlich? Ich hab keinen blassen Schimmer.
A: Ich denke immer, ein „Stigma“. Hat das damit was zu tun?
B: Glaub nicht.
A: Oder woher kommt das?
B: Können wir ja auch verlinken.
A: Genau. Stigmergie. – Bist du dir sicher, dass du deinen Wecker gestellt hast?
W: PIEPPIEPPIEP!!
(*** – – – Allgemeine Heiterkeit – – – ***)
A: Hab ich die Stunde schon im Blut! Stigmergie wird verlinkt!
B: Sensationell!