(Herzlichen Dank für die Transkription an Hanna Lemke!)
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A: Guten Morgen, Benni!
B: Guten Morgen.
A: Guten Morgen, Eva!
E: Guten Morgen!
A: Wir haben einen Gast! Ganz besondere Umstände heute bei den besonderen Umständen. Ja, wir hatten schon länger auf unserer Liste stehen, dass wir mal Gäste haben, oder ob wir sie haben wollen oder nicht, dass wir darüber diskutieren, und manchmal erledigen sich ja Diskussionen einfach durch den Gang der Ereignisse, weil jetzt haben wir einen Gast und damit brauchen wir da drüber ja nicht mehr nachzudenken, ob wir welche haben wollen. Schön, dass du–
E: Ja, ihr könnt das ja hinterher evaluieren, ob das eine gute Erfahrung war.
A: Joah … Jaja.
E: Ich bin dann schuld, wenn ihr dann keine mehr wollt.
A: Genau. Eva ist aus Berlin zu Besuch bei Benni, und dann haben wir am Sonntag zusammen gegrillt, was ihr ja vielleicht alle auf Twitter schon gesehen habt oder auf Facebook, im Regen, und dann haben wir spontan gesagt, kann sie doch auch heute mit podcasten. Schön, dass du da so fröhlich reingesprungen bist in den Vorschlag. Ja, wir kennen uns über das Internet.
E: Ja. Ich bin ein großer Fan von diesem Podcast.
A: Ja, erzähl mehr!
E: Ja, keine Ahnung, ich habe den irgendwann gefunden und ich war tatsächlich– am Anfang, glaube ich, mochte ich einfach nur, wie nett das ist, wie ihr miteinander redet, das hat mich am Anfang mehr interessiert als die Themen, ehrlich gesagt.
B: Mehr als was?
E: Mehr als die Themen.
B: Ah.
E: Ja. Also, manchmal war’s so, einfach so witzig. Genau. Und dann fand ich’s aber tatsächlich auch gut, weil ich das echt wenig hab in meinem Umfeld, dass man über komplizierte politische Sachen so zugänglich und normal reden kann, also „normal“ ist natürlich auch ein kompliziertes Konstrukt, aber so, dass ich da Lust hätte mitzureden, das passiert so selten irgendwie.
A: Hm.
E: Ja, genau, das fand ich – dann habe ich alle Folgen nachgehört von Anfang an, tatsächlich.
A: Ach ja? Ach so, du bist gar nicht von Anfang an dabei, bist du später reingekommen?
E: Ich bin später reingekommen und hab dann aber alle nachgehört.
A: Cool.
E: Hmhm.
B: Tja. Solche Leute wünscht man sich sehr.
A: Genau. Kann man nur zur Nachahmung empfehlen. Ich muss noch mal kurz da drauf gucken, ob der auch wirklich aufnimmt, aber warum nicht, ja klar. Okay, sorry. Wir haben sowieso, das will ich noch mal kurz dazwischenschieben, unser Hoster vom Podcast ist zurzeit kaputt, also der ist nicht erreichbar seit einer Woche, und seit einer Woche wird versprochen, dass es bald-bald wieder läuft, aber momentan läuft es nicht. Also jetzt ist Freitag morgen, und falls wir das erst später irgendwann hochladen können, ist also eure historische Kompetenz gefragt, falls wir irgendwas sagen, was dann schon überholt ist.
B: Freitag, der 25. Juli 2014 – wer weiß, wie lang es dauert.
A: Ja, haha genau, morgens um elf Uhr …
B: Sternzeit …
A: Genau. Aber wir sind ja nicht so die Livestreamer, wir reden ja nur über Themen, die langfristig von Bedeutung sind, die man dann eben rückwirkend, nach Monaten noch mit Gewinn nachhören kann. Ja, willst du sonst noch was von dir erzählen, das die Leute wissen sollen, oder …
E: Hm … nö.
A: Bist du eigentlich so mehr …
E: Mein Twitter-Handle könnte ich noch sagen, communeva, ich hab auch einen Blog, der ist im Moment etwas unterfüttert, also nicht unterfüttert, wie nennt man das?, also ich hab ihn ein bisschen schleifen lassen.
B: Das Schicksal so vieler Blogs …
E: Ja.
B: Alle außer Antje schreiben nie in ihre Blogs eigentlich, ist manchmal mein Gefühl.
E: Ja, ich schreib da auch tatsächlich immer nur rein, wenn’s irgendwas gibt, was ich ganz dringend loswerden muss, und in letzter Zeit bin ich’s glaube ich immer auf anderen Wegen schon losgeworden, und dann waren die Themen überholt und dann wollte ich da nicht mehr noch mal das rückwirkend irgendwie zusammensammeln, das fand ich dann auch blöd.
A: Ja. Wobei wir uns ja jetzt kürzlich noch auf einer Mailingliste begegnet sind, das soll vielleicht demnächst einen feministischen Blog über Sexualität geben, und da habe ich zufällig gesehen, dass du auch da „Hallo“ gerufen hast, also vielleicht gibt es ja in Zukunft noch mehr gemeinsame Projekte, wo wir zusammen auftreten. Ja, und das könnte vielleicht auch schon unser erstes Thema sein, die ganze Frage mit der Sexualität und der Prostitution. Ich wollte mich gerne hier erst mal so zur Einleitung noch mal ein bisschen in liebevoller Umgebung sozusagen ausweinen, weil ich in den vergangenen Wochen doch wieder heftige Debatten führen musste über das Thema Prostitution, weil – das habt ihr ja vielleicht mitbekommen – das Gunda-Werner-Institut, was die feministische Unterabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung ist, hat ein neues Blogprojekt gestartet eben zum Thema Prostitution, pro, contra, hoch, runter und so weiter. Und da habe ich auch einen Beitrag geschrieben, wie hieß er, irgendwie Dienstleistung, ist Prostitution eine Dienstleistung oder das Recht auf sexuellen Egoismus, und meine Position dazu ist ja nicht neu, ich bin der Meinung, Prostitution ist nicht einfach eine ganz normale Sache wie jede andere Arbeit. Deswegen benutze ich auch nicht das Wort Sexarbeit so gerne – manchmal benutze ich’s ja auch, aber ich habe wirklich manchmal Schwierigkeiten zu vermitteln, dass ich der Ansicht bin, dass man Prostitution problematisch finden kann, aber trotzdem dagegen sein kann, dass sie verboten wird, also gesetzlich reglementiert. Ich bin der Meinung, Themen, die die menschliche Sexualität berühren, und dazu gehört zum Beispiel der Tausch von sexuellen Dienstleistungen gegen irgendetwas, meinetwegen auch gegen Geld, aber auch so Sachen wie Leihmutterschaft oder Abtreibung, das sind Sachen, die den Gesetzgeber schlichtweg nix angehen, weil das die Leute selber aushandeln müssen. Und die Bedingungen, wie das ausgehandelt wird, da drüber kann man aber trotzdem diskutieren. Und wie gesagt, nachdem ich das mal niedergeschrieben habe auch in diesem Blog von der Heinrich-Böll-Stiftung, gab’s dann wirklich massive Kritik, sowohl auf Facebook als auch auf Twitter, gegen mich von Leuten, Frauen, fast nur Frauen, ja, das waren tatsächlich nur Frauen, die eben das ganz unmöglich finden, weil man Prostitution unbedingt verbieten muss. Und, ich weiß es nicht, das System haben wir ja hier schon öfter gehabt, diese Rechtsstaats-Gläubigkeit deutscher Linker oder Feministinnen und so, und das … Ich fand jetzt ja lustig, dass ihr beide von diesen ganzen Debatten gar nichts mitgekriegt habt, das ist dann ja immer so, wenn man selber so heftig in was involviert ist, denkt man, alle anderen müssen das doch auch irgendwie mitkriegen, aber das – ich find’s wirklich sehr ärgerlich und das betrifft natürlich auch die Art und Weise, wie so diskutiert wird, ich finde das eigentlich, ich finde es einfach … Ich diskutiere total gerne, wenn Argumente ausgetauscht werden, aber wenn ich den Eindruck habe, Leute interessieren sich überhaupt nicht für die Argumente und wollen nur ihre Position verkaufen … Ja gut, das wollte ich halt hier noch mal gesagt haben. Zum Thema Sexualität, ich glaube, du siehst das ein bisschen anders, gell, du bist bei den Pro-Sexarbeiterinnen.
E: Weiß ich nicht, ich habe mit Sexarbeiterinnen nicht so richtig viel zu tun, ich hab allerdings – hast du das nicht auch schon mal gemacht? – ich habe mir schon mal überlegt, ob ich das nicht machen würde im Zweifelsfall oder nicht.
A: Ja sicher, ja.
E: Und ich würde es nicht komplett ausschließen jedenfalls. Und diese Diskussion habe ich wirklich nicht mitgekriegt, weil mit so, weiß ich nicht, wie nennt man das, Emma-Feministinnen habe ich echt nichts zu tun, meine Bubble ist auch sehr klein. Brauche immer ganz viel so safe space, da gibt’s dann solche Leute nicht. Aber naja, eher so aus dieser queeren Richtung habe ich halt zum Beispiel – als du da ein bisschen mehr gesehen warst – das ganz andersrum mitgekriegt sozusagen, also dass es eher so eine Aufregung gab, wenn da jetzt die Expertinnen reden sollen, was hast du denn dann da verloren, und kannst du überhaupt mit der Sexarbeiterin darüber diskutieren, ob das jetzt okay ist, was sie macht, oder so.
A: Ja genau …
E: Das ist noch mal eine ganz andere Perspektive.
A: Ja gut, ich finde, jeder Mensch kann politisch über alle Phänomene sprechen. Sexarbeit ist nichts, was nur Sexarbeiterinnen was angeht, sondern was da natürlich mitverhandelt wird, sind Geschlechterverhältnisse, Vorstellungen von Sexualität, wie man darüber redet. Also zum Beispiel die gesetzliche Reglementierung von Sexarbeit betrifft ja alle, die betrifft ja das Bild, was wir von Sex haben, von Liebe haben, von Beziehungen haben, von Arbeit haben, und mein Zugang zu dem Thema ist ja vor allen Dingen der ökonomische, ich bewerte das überhaupt nicht moralisch. Ich könnte mir natürlich, wenn ich in der entsprechenden Situation wäre, auch vorstellen, mit Sex Geld zu verdienen, klar, und ich bin auch der Meinung, dass die allermeisten, die das tun, es aus ökonomischen Gründen tun. Es gibt sicher auch welche, die machen das aus Spaß oder weil sie das gut finden, aber der Hauptgrund dafür, dass Frauen Sexarbeit machen, ist, dass es für sie Arbeit ist, also dass sie damit Geld verdienen wollen und müssen und – ja okay, das ist natürlich jetzt hier das falsche Forum –, die Kritik, die dann von den Emma-Feministinnen, wenn man so will, kam, ist, dass sie behauptet haben, in dem Moment, wo ich das erlauben will, zementiere ich diese ökonomischen Ausbeutungsverhältnisse, und das hat mich auf die Palme gebracht, weil es einfach völlig unlogisch ist. Aber das können wir ja jetzt hier nicht diskutieren, weil natürlich von euch niemand dieser Ansicht ist. Also ich bin nicht der Meinung, dass nur Sexarbeiterinnen über dieses Thema reden dürfen. Natürlich müssen sie mitreden, aber …
E: Ja, das finde ich auch nicht, aber im Zweifelsfall wissen die halt besser, was da tatsächlich passiert, als wir jetzt, die das nicht tun, sondern uns höchstens mal überlegen, wie das wäre, das zu tun …
A: Ja natürlich, klar.
E: … und auch, aus welchen Motiven Frauen das machen, das ist ja so ein bisschen, okay, da gibt’s irgendwelche Umfragen dazu, wen man jetzt da erwischt, ob man da jetzt die richtigen Leute gefragt hat, also das finde ich auch so ein bisschen spekulativ, dann zu sagen, hm, also, das machen die alle nur aus ökonomischen Gründen oder aus Not oder so, dann hat das schon irgendwie so einen Impetus von: Und dann muss man sie vielleicht doch retten oder so …
A: Ja, der wird dann gleich da mit reingelesen. Aber wenn jemand sagt, ich gehe jeden Tag ins Büro, um Geld zu verdienen, hat ja auch niemand den Impuls, mich da raus zu retten. Gerade bei dem Missy-Roundtable war ja noch eine Sozialarbeiterin dabei, und ich finde immer bei so einer Diskussion wichtig, dass man die Argumente der Gegenseite oder der anderen Meinung erst nimmt, und das versuche ich auch zu tun. Und was die Sexarbeiterin da in dem Missy-Magazin-Gespräch erzählt hat, das konnte ich auch alles nachvollziehen und da bin ich auch gar nicht anderer Meinung gewesen, aber diese Sozialarbeiterin, die darüber geforscht hat, die dann die Auffassung vertreten hat zum Beispiel – und da kommen wir vielleicht tatsächlich ein bisschen mehr zu dem Thema Sexualität generell – die hat die Auffassung vertreten, dass Sexarbeit auch deshalb gut ist, weil ja vor allen Dingen die Frauen, die normalen, nicht sexarbeitenden Frauen, so lasch sind im Bett und das nicht richtig gut machen. Und da war sie der Meinung, dass Sexarbeiterinnen dann auch den anderen, normalen Frauen ein bisschen Kurse geben können, wie man dabei mehr Spaß haben kann und so weiter. Und da denke ich mir dann schon, nein, my Lady, das finde ich nicht. Da bin ich dann tatsächlich auf der Seite der Emma-Feministinnen, teilweise, dass wir eine Kultur haben seit den 68ern, seit dieser sexuellen Befreiungssache, die das Bild von Sexualität sehr an männlichen Vorstellungen von Sexualität ausgerichtet hat, gegen die kämpfe ich, seit ich sozusagen das erste Mal einen Mann geküsst habe. Männer sind großartig darin, das würde ich jetzt mal aufgrund meiner Erfahrungen mit ihnen im Bett sagen, ihre eigenen Bedürfnisse für sehr, sehr wichtig zu halten – um’s mal etwas vornehm auszudrücken. Und ich finde, dass man deswegen nicht diese Art, was Männer sich an Sexualität wünschen – und wenn man sich die Werbung im Prostitutionsgewerbe anschaut, dann ist das doch sehr auch symbolisch darauf ausgerichtet, die Wünsche von Männern zu befriedigen, das ist jetzt halt auch das, womit da Geld verdient wird. Aber ich finde das als Leitbild für Sexualität vollkommen falsch. Aber da drüber kann man dann eben diskutieren, ich finde, da drüber sollte man mehr diskutieren als über diese blöde Verbotsfrage oder Erlaubnisfrage oder …
E: Ja … Ich hab da immer so ein Kippbild im Kopf irgendwie, also einerseits, weiß ich nicht, wenn ich das Thema mit meiner Real-Life-Umgebung, also mit Freundinnen oder so rede ich ja da auch durchaus häufiger drüber, dann gibt’s immer so ein, oder auch in den Medien gibt’s immer so ein Bild zurück von irgendwie, die Frauen, also so ein bisschen was diese Sozialarbeiterin da auch gesagt hat, die Frauen wissen gar nicht so genau, was sie da eigentlich selber wollen, oder haben da nicht so viel Spaß. Aber in meiner Internetumgebung, also wenn ich da über das Thema mehr schreibe, dann finde ich ganz viele Leute, Frauen, für die ist das alles, was für mich so großartige, neue Entdeckungen sind, ist das irgendwie alles so alt, und alle machen BDSM und alle sind auf FetLife angemeldet. Also da gibt’s so ein Riesenspektrum von Sachen, die mal so tabuisiert waren, die jetzt alle abfeiern, und das kippt immer zwischen dieser alten, irgendwie sehr sittlichen Vorstellung, dass man da nicht drüber redet und so … Ich hab letztens mal ein Buch gelesen, wie hieß das, das hatte so einen blöden Titel, „Was Frauen wollen“ oder so, von einem Journalisten von der New York Times, der hat Studien aus amerikanischer Sexualforschung zusammengestellt. Teilweise ist das ziemlich blöd, auf Kleinerdrei gab’s eine Rezension dazu, die hat das ganz gut zusammengefasst, bei der immer dann die Forscherin erst mal beschreibt, wie die aussehen, und das ist alles sehr, und auch dass er da als Mann so kommt und dann die weibliche Sexualität erklärt, ist auch so ein bisschen doof. Aber jedenfalls gab’s da auch so eine Studie, dass tatsächlich Frauen schlechter sagen konnten, was sie erregt. Also bei den Männern hat sozusagen die körperliche Reaktion und die Aussage, ob sie das jetzt gut finden oder nicht, mehr übereingestimmt als bei den Frauen. Die Frauen haben quasi auf alles reagiert, also da gab’s irgendwie so verschiedene Videos, die Frauen haben auch auf die vögelnden Affen reagiert, und haben aber gesagt, das Einzige, das sie jetzt wirklich angesprochen hat, wäre das heterosexuelle Pärchen gewesen, wenn sie heterosexuell waren. Und die Männer haben tatsächlich nur auf die Sachen reagiert, also jetzt statistisch gesehen, wo sie auch gesagt haben, dass sie das gut finden.
A: Also ich glaube ja tatsächlich, dass die Frage, was Frauen erregt, überhaupt noch nicht ausdiskutiert ist, und ich vermute halt, wenn wir sie in Parallelisierung zu dem, was Männer erregt, diskutieren, dann kommen wir da auch nicht so wirklich weiter, weil meine Vermutung ist ja – also um es etwas sehr radikal zu sagen –, dass allein das Konzept von Sexualität als solcher schon ein männliches Konzept ist. Also meiner Meinung nach, um es mal ganz krass zu sagen, gibt es Sexualität nicht. Es gibt keinen Sinn, dieses Wort zu benutzen, weil es aus meinem persönlichen Erleben nichts bezeichnet, was sich sinnvollerweise von dem Rest abgrenzen kann. Also ich wüsste nicht…
E: Wie dem Rest, was?
A: Dem Rest meines Lebens. Also ich wüsste nicht sozusagen, welchen Teil meines Lebens ich unter diesen Begriff „Sexualität“ sinnvollerweise packen kann, im Unterschied zu dem Rest, also wenn ich jemanden küsse, wenn ich masturbiere, wenn ich mit jemandem schlafe, wenn ich mit jemandem schlafe, den ich grade kennengelernt hab und in den ich verliebt bin oder den ich schon seit zehn Jahren kenne und in den ich nicht mehr verliebt bin, wenn ich Sex hab, weil ich mich grad gestritten und wieder versöhnt hab, wenn ich auf dem Sofa lieg und kuschel, wenn ich Händchen haltend am Strand entlanglaufe, und und und und und und und – diese ganzen Sachen, die passen nicht unter einen Begriff, also das sind so verschiedene Situationen, dass ich nicht weiß, warum man die unter einem Wort fassen sollte. Ich finde tatsächlich, ich würde zumindest mal die Frage stellen, was haben die gemeinsam, um es zu rechtfertigen, dass man da einen Begriff drüberklebt?
E: Das ist ja schon jetzt eine sehr radikale These …
A: Ja. Und auf der anderen Seite diese Einschränkung, also eines meiner Erleuchtungserlebnisse in dem Zusammenhang hatte ich gehabt so, als ich so, weiß ich nicht, Anfang zwanzig war. Ich hatte immer Probleme mit dem, was Alice Schwarzer so schön Penetrationssex nennt, das ist, finde ich nämlich, eine sehr spezielle Untergruppe, das hat mir nie Spaß gemacht. Und ich hatte dann tatsächlich ganz ohne feministisches Umfeld mit meinen damaligen Freunden schon ausgehandelt, dass es diese Art Sex bei mir halt nicht gibt. Also später habe ich dann schon auch Vorteile davon gesehen, aber mit zwanzig hat mir das keinen Spaß gemacht und ich hatte das auch durchgesetzt, dass es das nicht gibt –, und dann waren wir in einem Theaterstück, da ging’s um AIDS, das war ja grad neu, und der ganze Plot dieses Theaterstücks ging darum, dass da ein Paar war, das sich sehr liebte, und einer war jetzt HIV-positiv, und dann konnten sie nicht mehr reinstecken oder irgend so was. Und dann war das ein ganz großes Drama, weil jetzt können sie ja gar keinen Sex mehr haben. Und ich saß da in diesem Theaterstück und meinte, fällt euch nichts anderes ein als Reinstecken, oder was? Könnt ihr jetzt keinen Sex mehr haben?
B: Jetzt hast du das Wort aber selber auch benutzt, ne.
A: Ja, ich meine, klar, es ist natürlich auch schwierig …
B: Gibt’s nicht so was wie, also weil du sprichst ja oft von Begehren und so, und gibt’s nicht so was wie Begehren des Körpers, oder kann man das nicht unter Sexualität fassen?
E: Hunger haben.
B: Ja okay, vielleicht, stimmt, gibt auch noch andere körperliche Bedürfnisse, stimmt. Ich ziehe zurück.
E: So war’s jetzt nicht gedacht!
A: Auf Klo müssen, ja, und nicht können, und dann endlich, das ist doch auch wie ein Orgasmus! Ich persönlich bin ja der Meinung, dass auch intellektuelle Erkenntnisse die Qualität von einem Orgasmus haben können.
E: Ja, ich würde das eigentlich auch so sehen, also dass da so mehr Ganzheitlichkeit irgendwie auch gut wäre. Aber ich glaube schon, dass es trotzdem Sinn macht, Sexualität als Kategorie für bestimmte körperliche Interaktionen beizubehalten. Aber tatsächlich wird das ja oft sehr eng gefasst, das gefällt mir auch nicht. Aber das, weiß ich nicht, das erlebe ich jetzt inzwischen zumindest, das liegt vielleicht auch einfach nur daran, dass ich inzwischen andere Leute kenne als früher auf dem Dorf, bestimmt, aber inzwischen kenne ich auf jeden Fall relativ viele Leute, wenn ich mit denen über Sex rede, dass die dann irgendwie auch so einen weiten Begriff haben und jetzt nicht sagen, das ist nur Reinstecken.
A: Ja gut, aber zum Beispiel so was wie das Erleben von einer stillenden Mutter, viele Mütter beschreiben diese körperliche Erfahrung, wenn das Kind an der Brust trinkt, auch wie eine sexuelle Erfahrung. Wenn wir das zulassen würden, sind wir aber im Bereich von Sex–
E: Freud kommt in meinen Kopf …
A: Ich glaub nicht, dass das nur Freud ist. Das ist ja tatsächlich, ich meine, da nuckelt einer an deiner Brustwarze. Ich meine, das ist ja sogar im Kerngeschäft der üblichen Sexualität, wo sich das abspielt. Aber wenn wir das zulassen würden, und ich bin der Meinung, man sollte, wenn man über weibliche Sexualität redet, das ernst nehmen, zu sagen, das sind vergleichbare Empfindungen, dann hat man aber das Problem mit der Pädophilie. Und das ist meiner Meinung nach auch eine Folge davon, dass wir – jetzt begebe ich mich auf ganz, ganz großes Glatteis, hoffentlich hört das niemand – also meiner Meinung nach ist diese Notwendigkeit, ganz strikt zu trennen zwischen Sex unter Erwachsenen und Sex mit Kindern, was wir ja jetzt, heute erst haben, was ja in den 80ern noch nicht so war, wo ja vor allen Dingen Männer geschrieben haben, man kann doch auch wunderbar Sex mit Kindern haben, manche sagen das ja heute noch. Und jetzt haben wir diese strikte Trennung, also die Beziehungen zu Kindern haben überhaupt keine sexuelle Komponente, das ist, glaube ich, eine Unterscheidung, die aus weiblicher Sicht wirklich keinen Sinn hat. Weil du kannst die Beziehungen, die körperlichen Beziehungen zu Kindern meiner Meinung nach nicht trennen, so da gibt es keine strikte …
E: Ja dafür gibt’s dann ja diesen Begriff von Zärtlichkeit, das ist ja dann auch mit Kindern okay, und Sex nicht.
A: Ah ja. So, ne.
E: Hmhm. Aber ich finde, das ist auch ein Problem tatsächlich. Ich hab ja auch mal als Erzieherin gearbeitet, und das war tatsächlich eine meiner größten Herausforderungen, wie man damit umgeht, also auch als Frau. Typischerweise kennt man das ja immer, dass jetzt irgendwie, sollen ja immer mehr Männer in die Kitas kommen und so, und denen wird dann aber immer unterstellt, dass sie irgendwie jetzt da den Kindern gegenüber übergriffig werden könnten, wie auch immer. Aber tatsächlich, wenn du kleine Kinder hast, bist du die ganze Zeit mit deren Genitalien beschäftigt irgendwie, also weil du sie wickeln musst, das braucht einen liebevollen Umgang trotzdem, und natürlich ist das nicht wie Sex unter Erwachsenen, und ich würde das auch wirklich ungern unter Sex fassen, also das widerstrebt mir total.
A: Ja, genau.
E: Da gibt’s so ganz krasse innere Barrieren. Aber trotzdem, so eine Art, dann da auch körperlich liebevoll zu sein, ist trotzdem irgendwie gut und wichtig. Und dann gibt’s ja auch noch, was die Kinder dann untereinander machen und wie man da wiederum als erwachsene Person darauf reagiert.
A: Ja eben. Wenn wir den Begriff Sex gar nicht hätten, müsstest du dir die Frage ja nicht mehr stellen. Zärtlichkeit mit einer Person, in die ich verliebt bin, kann extrem hocherotisch sein, da kann ich einen Orgasmus von kriegen.
E: Ja.
A: Also das ist doch nicht zu trennen. Ina Praetorius hat geschrieben, man sollte, wenn Wörter problematisch sind, einfach versuchen, mal eine Zeit lang auf sie zu verzichten und ohne sie über das Thema zu reden. Und vielleicht wäre das ja was, was man einfach mal ausprobieren könnte, wir reden über diesen Komplex ohne das Wort Sex.
E: Jetzt?
A: Nein, generell. Das ist ja nicht mit einem mal Podcasten, sondern so als kulturelles Projekt, ja, wir versuchen, über–
B: Das hat aber schon mit dem Feminismus nicht geklappt, also das sehe ich jetzt nicht …
A: Ja, hahaha, ja. Feminismus ist halt wichtiger als Sex. Den braucht man! Nee, ich weiß es nicht. Und da sind mir tatsächlich die EMMA-Feministinnen, um sie mal so zu nennen, in dem Punkt sympathisch, dass sie gerade diese Konzepte von Sexualität, die es gibt, sehr viel radikaler infrage gestellt haben und stellen. Und auch in der Frauenbewegung der 70er Jahre, diese Diskussion um klitoralen und vaginalen Orgasmus und den G-Punkt, ob es den gibt oder nicht, die waren konkreter.
E: Aber das gibt’s doch jetzt wieder, oder nicht?
A: Ja? Hm, weiß ich nicht, da bin ich aus dem Alter raus. Aber die ganze Kultur, also von den sexualisiert angezogenen Mädchen und Barbiepuppen bis hin zu großen Teilen dieser sehr sexpositiven Debatte, ist mir zu affirmativ auf was, was ich persönlich als männlichen Anspruch an Sexualität erlebe. Natürlich weiß ich, dass es bestimmt viele Frauen gibt, die das auch klasse finden und so weiter, aber ich bin nicht überzeugt, dass das sexuelle Begehren bei Frauen und Männern dasselbe ist. Bin ich nicht von überzeugt. Also es widerspricht einfach meiner gesamten Erfahrung. Jetzt kann es natürlich sein, dass meine gesamte Erfahrung durch falsche Erziehung völlig verseucht ist und ich nur zu verklemmt bin, aber ich glaub’s einfach nicht. Ich glaube nicht, dass Frauen und Männer dasselbe sexuelle Begehren haben.
B: Haben oder haben sollten?
A: Haben.
B: Ja, das zweifelt glaube ich niemand an, oder?
E: Echt?
A: Doch.
E: Wie ist das denn fundamental unterschiedlich, also ich bin mir jetzt da nicht so sicher. Ich wollte noch eben sagen, findest du nicht diesen Sexbegriff irgendwie aber wichtig, gerade wenn es um so was mit Kindern geht, um das eben das abzugrenzen, was nicht in Ordnung ist? Also da an der Stelle ist es doch total sinnvoll, einen zu haben.
A: Ich glaube, dass das nicht funktioniert, weil so, wie du’s geschildert hast, also man muss mit Kindern zärtlich sein.
E: Ja, aber eben nicht sexuell.
A: Ja, aber ich versteh den Unterschied nicht, wo ist der Unterschied? Also das ist eine Proklamation meiner Meinung nach, das ist keine Beschreibung der Realität. Was ist der Unterschied, da müsste man drüber arbeiten, was ist es, das man mit Kindern nicht machen darf?
E: Eigene Bedürfnisse befriedigen an der Stelle, also ab einem bestimmten Punkt zumindest.
A: Das halte ich für nicht realistisch, weil du bist ein Mensch mit eigenen Bedürfnissen, und eine Beziehung – und ich bin der Meinung, dass das auch für die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern gilt – funktioniert nur dann, wenn die Bedürfnisse beider im Austausch sind. Die Erwachsenen sind ja keine Maschinen, die nur versorgende Dienstleistungen an den Kindern vollbringen. Und natürlich, Mütter bringen ihr eigenes Begehren in die Beziehung zu den Kindern rein, ganz krass, auch oft zu krass, da wird’s ja auch nicht diskutiert, weil man ja denkt, Mütter können das mysteriöserweise per Natur von alleine. Aber ich glaube, dass das nicht geht, ich glaube, dass das eine Illusion ist, und deswegen muss man an diesem Unterschied arbeiten. Und zu sagen, Sex mit Kindern ist nicht erlaubt, vermeidet diese Diskussion. Weil alle so tun, als wüssten sie, was dann damit gemeint ist, aber mir ist es nicht einsichtig, wenn ich ein Kind im Arm hab und mit dem schmuse …
E: Aber du würdest ja auch sagen, dass irgendwas nicht erlaubt ist, was ist denn das dann?
A: Ja, irgendwas ist nicht erlaubt, aber was genau? Es ist vielleicht nicht erlaubt, die Ungleichheit zu vergessen, die daraus resultiert, dass ich erwachsen bin und die andere das Kind. Man darf nicht so tun, als wären wir gleich. Ich hab mehr Verantwortung als das Kind. Vielleicht hab ich, naja, nicht die ganze, aber deutlich mehr Verantwortung. Wenn was Schlechtes dabei rauskommt, bin ich dran schuld, und nicht das Kind. Das sind jetzt nur mal so rausge …
E: Heikel auf jeden Fall. Also weil ich will auch nicht dahin kommen, dass wir sagen, okay, dann kann man erst mal probieren, wenn was Schlechtes bei rauskommt, dann lassen wir’s, aber …
A: Nein, klar.
E: Also ich find schon, dass es da auch schon bevor irgendwas passiert im Kopf so einen Punkt gibt, wo das kippt, also ja irgendwie so, die andere Person als gleich … Aber gut, in diesem männlichen Bild von Sexualität sind ja auch nicht beide gleich. Da gibt’s ja auch ganz klar eine Person, die was macht, und eine Person, mit der was gemacht wird. Oder die dazu da ist, bestimmte Vorstellungen zu bedienen oder bestimmte Erregungen zu erzeugen und die andere Person hat die dann irgendwie, also, das ist ja auch da schon problematisch. Aber das stimmt natürlich, wenn man das so weiterdiskutiert, dann macht’s mehr Sinn.
A: Lösungen hab ich auch nicht, das ist halt nur meine Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie das normalerweise debattiert wird. Gut, vielleicht ist ja dieses neue Blogprojekt mal ein Anlass, dass ich mir das mit der, das ist bisher ja auch nur so eine spontane Idee–
E: Kannst dann über das mit den Kindern schreiben.
A: Naja gut, darüber kann ich jetzt noch nicht schreiben, weil ich selber da wirklich keine Erfahrungen habe, ich hab ja keine Kinder und nur sehr selten was mit welchen zu tun. Ich denke, da müsste man tatsächlich Erfahrungsaustausch betreiben zwischen Leuten, die eng mit kleinen Kindern zu tun haben. Aber die Frage ist, unter welchem Vorzeichen führt man diesen Erfahrungsaustausch. Keine Ahnung, weil ich finde auch diesen Generalverdacht gegen Männer problematisch. Das ist ja auch ein völlig parallel laufendes Ding, auf der einen Seite gibt es den, auf der anderen Seite sollen sie unbedingt Erzieher werden, aber das ist überhaupt nicht gelöst. Ich weiß zum Beispiel bei dem Krippenausbau, dass es manche Leute gibt, die sagen, da sollen keine Männer eingestellt werden, das macht alles nur kompliziert. Aber das ist so unter der Decke, offen sagt das natürlich niemand.
E: Aber offen sagen ist total wieder den Stereotypen bedient, ne. Ich war mal bei so einer Männer-in-Kitas-Konferenz, und auch die Leute, die dann die Männer eingestellt haben, haben dann gesagt, ja wir müssen die einstellen, weil jemand muss ja mit den Kindern Fußball spielen, oder jemand muss ja was reparieren können, oder die Frauen, die machen ja immer dann nur so Zickenterror im Team, und wenn da mal ein Mann reinkommt, dann wird’s ein bisschen vernünftiger, die Kommunikation. Und das haben die wirklich alle so gesagt, also das waren die Hauptargumente. Zumindest in dieser Studie, und da dachte ich auch so, krass. Dafür machen wir das dann.
A: Wie schrecklich.
E: Und dann gab’s tatsächlich auch Männer, die von diesen Erfahrungen erzählt haben, und teilweise fanden die das halt gut irgendwie, und teilweise haben die auch gesagt, ja aber ich mag kein Fußballspielen, jetzt muss ich das hier die ganze Zeit, das ist total blöd.
A: Ja aber auch gerade diese speziell sexuelle Sache, das ist ja inzwischen doch tatsächlich auch bei Vätern schon, auch Väter sind ja sogar schon unter Verdacht, wenn die mit ihren Kindern zu sehr schmusen und so. Und das finde ich ganz fatal, weil natürlich müssen Erwachsene mit Kindern schmusen, das ist ein ganz wesentlicher Teil. Und wenn man jetzt aus Angst vor dieser ganzen Pädophiliesache das unterlässt und Kinder nur noch irgendwie …
B: Ja, diese Tabuisierung nimmt ja so ganz schräge Formen teilweise an, also bis hin dass dann kleine Mädchen im Kindergartenalter einen Bikini anziehen müssen, was sie eher noch mehr sexualisiert. Aber sie können ja nicht nackt sein, das wär ja ganz schlimm, ja, solche Sachen, das ist … Also ich glaub einfach, das droht halt immer zu kippen von dem, also früher, oder sagen wir so: in dieser Welle aus den 70ern war halt, cool, wir machen jetzt ganz viel neue Arten von Sex, und warum nicht auch mit Kindern, wenn die mögen. Und dann hat man jetzt irgendwann gemerkt, war vielleicht doch nicht so eine gute Idee, das gibt da durchaus problematische Aspekte, aber es kippt jetzt auch wieder in so eine ganz krasse Tabuisierung, die auch wieder so eine ganz schwierige Unterdrückung dann erzeugt und so.
E: Also was dann bei dem Kind ankommt, ist dann halt auch die Frage. Also wenn du das Kind dann nur so ganz distanziert anfasst und das dann irgendwelche Bedürfnisse ausdrückt, auf die du nicht eingehst, so körperlicher Art, da bleibt ja auch ein ganz komischer Eindruck zurück, und der ist dann ja total prägend auch für das Leben. Und dann sind wir wieder dabei, wo in den 70ern gesagt wurde, das müssen wir anders machen und das geht so nicht.
B: Ja, oder dass das dann überschwappt auf die Tabuisierung von Sexualität zwischen Kindern, die es ja auch gibt, die dann auf einmal auch nicht mehr existieren darf und so, und wo so eine, ja das ist, naja. Schwierig.
A: Ja, aber vielleicht ist das ja einfach jetzt mal als offenes Thema in den Raum geworfen und alle Leute, die das jetzt hören, fangen an, Studien dazu zu machen. Ja, ich glaub, dass man das auch noch nicht sagen kann, aber ich bin ja der Meinung, dass sozusagen die Unterscheidung, Sex ist nicht erlaubt, da nicht weiterhilft. Also weil Sex gibt’s ja nicht.
E: Und wieso ist jetzt männliches und weibliches Begehren so fundamental unterschiedlich? Ist es nicht auch so gesellschaftlich bedingt dadurch, dass es diese Rollenzuweisungen gibt von der begehrenden Person und der begehrten Person? Und wenn man sich selber immer mit der begehrten Person identifiziert, natürlich begehrt man dann auch anders, aber–
A: Nein. Das glaube ich nicht, dass das es ist. Also ich glaube, dass es bestimmt kulturell hergestellt ist –
E: Warum nicht?
A: Weil ich mich immer in der Rolle der begehrenden Person gesehen habe. Also ich selber war die begehrende Person, aber ich hab was anderes begehrt als die Männer, mit denen ich dann zu tun hatte. Seit dem Moment, wo ich sexuell aktiv wurde, gab’s diesen Konflikt zwischen mir und Männern über das, was dann sozusagen vonstatten gehen soll, und auch über die Modalitäten, in denen es vonstatten gehen soll. Dieser Unterschied ist sicher anerzogen oder kulturell hervorgebracht, das ist ja trotzdem real. Aber der Grund ist nicht, dass ich mich nicht in der Rolle der Begehrenden gesehen hätte.
E: Ja. Ich hab ja jetzt auch nicht von dir gesprochen, sondern mehr so allgemein, glaube ich, hat das doch durchaus einen ganz großen Effekt, nicht?
A: Ich bezweifle, dass alle Frauen nicht begehren. Ich glaube, was ich da dagegen hab, ist die Vorstellung, dass wenn Menschen nur dazu ermutigt werden, ihr Begehren auszuleben sexuell, dann kommt dabei ein Mann raus, und wenn sie davon abgehalten werden, kommt dabei eine Frau raus oder das, was sie sexuell bevorzugt. Und das glaube ich nicht. Sondern ich glaube, dass das, was wir uns unter Sexualität vorstellen, sehr von einem männlichen Blick auf dieses Thema geprägt ist, und dass wir noch überhaupt gar keine Vorstellung davon haben, was Frauen machen würden, wenn sie mal Kinofilme über Sex machen würden. Gut, feministische Pornos oder so, das gibt’s, aber die sind doch einfach noch sehr stark orientiert an den männlichen, und Porno ist ein männliches Genre. Und natürlich kann man da jetzt Frauensicht-Perspektiven reinbringen, aber die Existenz des Genres Porno ist eine männliche Veranstaltung. Weil das einfach von Männern erfunden wurde für ihre Klientel oder für ihre Konstruktion von sich selbst und so weiter. Und ich bin dafür, dass wir über weibliche Sexualität reden und das alles vergessen – ich meine, das kann man natürlich nicht so einfach vergessen, weil man hat’s ja im Kopf, aber uns zumindest aktiv nicht daran orientieren, sondern nur an dem, was wir selber tatsächlich auch erfahren und erleben.
E: Na ja klar, das finde ich auch gut. Was ich meinte, ist so was wie, keine Ahnung, du kriegst dein ganzes Leben lang beigebracht, dass es zum Beispiel darauf ankommt, dass du attraktiv aussiehst. Das ist ja für Frauen, also jetzt inzwischen auch mehr für Männer, aber das war ja immer so ein Ding: Die Frau muss attraktiv aussehen, damit der Mann das gut findet und dann Lust hat, mit ihr ins Bett zu gehen. Und das hat natürlich Auswirkungen, also alle, die ich kenne, mit denen ich darüber geredet habe, machen sich beim Sex Sorgen darüber, dass sie nicht gut genug aussehen, selbst wenn sie das eigentlich total reflektiert haben, ist das so ein Gedanke, der immer mal wieder kommt. Also den man sich total schlecht abtrainieren kann. So ’ne Sachen meine ich. Natürlich kann man das blöd finden, aber man kann’s halt nicht ausschalten. Also das ist jetzt nur ein Beispiel für diese Symptomatik, aber wenn man das halt so lernt, und man lernt ja eben Sex, keine Ahnung, irgendwie so, bei mir gibt es auch schon total viel aus den Medien oder wie überhaupt so Geschlechterbilder verhandelt werden und so, das nimmt man ja alles da mit rein, und natürlich auch, wie da das Frauenbild ist. Also ich habe immer das eher so wahrgenommen tatsächlich, dass dieses ‚Frauen wollen mehr Zärtlichkeit und weniger Penetration und mehr Beziehung und weniger Casual Sex’ oder so, dass das eher aus diesen Stereotypen kommt. Also ich habe mich nie so erlebt. Aber ich hab mich halt auch oft mit dieser männlichen Rolle identifiziert, das war dann irgendwie leichter.
A: Ja, ich weiß nicht, das ist voll interessant. Also zum Beispiel ich hab’s anders erlebt, ich glaube, die 80er waren auch anders, ich hatte nie den Eindruck, ich muss mich schön machen, um Männern zu gefallen, mein Problem war immer, dass Männer was von mir wollten sexuell, obwohl ich gar nicht mich attraktiv gemacht hab. Also ich habe immer sozusagen versucht, möglichst auch noch irgendwie schlampelig auszusehen. Ich wäre damals wahrscheinlich, wenn ich Muslimin gewesen wäre, begeisterte Burkaträgerin geworden. Mir haben zum Beispiel Männer gesagt, ja wenn du dich so anziehst, dann musst du dich doch nicht wundern, wenn ich mit dir ins Bett will. Oder auch, wenn man mit ihnen im Bett war, und dann aber an einem bestimmten Punkt nicht mehr fortsetzen wollte, dann bin ich nicht vergewaltigt worden, aber sie haben dann so Sachen gesagt wie: Du kannst das doch nicht machen, jetzt bis hier und jetzt Schluss, was macht das denn mit mir als armen Mann! Eher so was. Also ich hab immer eigentlich versucht, Männer möglichst nicht zu reizen, um weil ich ständig mit der Erwartung konfrontiert war, wenn ich falsche Versprechungen mache, und sei es nur durch mein Verhalten, dann sind sie – also die waren nicht aggressiv, das waren die Männer damals ja irgendwie weniger, sondern die waren dann immer so getroffen, weißt du, denen ging’s dann so schlecht, und ich war daran schuld.
E: Ja, kenn ich.
A: Weißt du, keiner dieser Männer hat sich überlegt, was will ich denn eigentlich? Und das ist meiner Meinung nach das, was das alles verbindet, diese verschiedenen Zeiten, vom Schlabberlook zu den Highheels und so weiter, dass die Frage, was will denn eigentlich die Frau sexuell, mit der ich es jetzt zu tun habe, das ist was – Anwesende ausgenommen –, das fragen sich Männer nie, und zwar weder die einen noch die anderen. Ich bin ja auch gegen Consent als Maßstab – naja, da wird ja immer so getan, Sex ist toll, wenn nur alle Consent gegeben haben. Find ich nicht. Sex ist dann toll, wenn alle dran Spaß haben. Und zwar positiven Spaß. Und wenn alle, die sich am Sex beteiligen, sich dafür interessieren, woran die anderen Spaß haben. Aktiv, ja. Und ich finde, es sollte kein Sex stattfinden, wo jemand nur mitmacht, weil sie nicht Nein gesagt hat.
E: Das ist doch nicht der Sinn von Consent, oder?
A: Doch, Consent ist, dass du sagst: Ja, mach ich. Aber Consent heißt nicht, dass du auch wirklich Spaß dran hast. Du kannst ja auch sagen, ja mach ich, wenn du mir hundert Euro gibst.
E: Ach so. Und das willst du nicht? Für dich nicht, oder soll das niemand machen?
A: Das soll niemand machen, aber ich will es nicht per Gesetz verbieten. Also ich finde das falsch, wenn das gemacht wird.
E: Ja gut, aber das ist doch jetzt den Leuten überlassen. Man kann das ja irgendwie auch sagen, okay, ich mach jetzt mit, und es macht mir keinen Spaß, und genau deswegen macht es mir Spaß.
A: Ja klar, kann man machen, aber ich finde, damit unterstützt man eine Kultur, die es sich zur Tradition gemacht hat, im Zusammenhang mit Sex das weibliche Begehren für unwichtig zu halten. Und zwar nicht das Begehren, ich will irgendwas machen, ich bin aktiv an der Gestaltung der Situation beteiligt, sondern das weibliche Begehren im Sinne von: Was macht der Frau sexuell Spaß?
E: Okay, aber dann würde ich da eine Erweiterung zu Consent dazunehmen und nicht sagen, Consent ist falsch. Weil das, finde ich, ist so eine minimale Grundbedingung, dass halt alle das okay finden, was da jetzt passiert.
A: Ja, ohne Consent ist sowieso indiskutabel. Aber Consent selber reicht überhaupt noch nicht aus, das ist noch nix. Das ist ja das Mindeste, klar, Consent, aber es hat nichts …
E: Aber dann ist es ja auch so ein bisschen, wie viel Spaß muss es dann machen, damit es jetzt irgendwie, also das ist ja auch Quatsch, da willst du ja auch nicht drum konkurrieren, ob du jetzt den …
A: Ja gut, weiß ich nicht. Ich will ja noch nichts sagen, ich finde nur, dass man über solche Sachen reden muss. Aber das ist auch so eine Argumentationsfigur, die ich in letzter Zeit öfter höre, zu sagen, ja, Sex muss ja gar nicht so viel Spaß machen.
E: Aber ist doch auch okay.
A: Ja, aber da reagier ich halt ein bisschen angepisst drauf, weil mir das die Männer immer erzählt haben, weil ich drauf bestanden habe, nö, ich mache das nur, wenn es mir richtig viel Spaß macht. Ja und dann sagten sie aber, ach, ich muss doch mal, und kannst du doch mal mitmachen, auch wenn es dir nicht so viel Spaß macht – nein, kann ich nicht. Und das setzt sich aber so, inzwischen wabert das so, als wär das völlig normal, dass man eben auch mal Sex macht, ohne dass es einem Spaß macht. Ich will ja gar nicht ausschließen, dass das auch mal vorkommen kann, aber als Horizont ist mir das, ach ich weiß nicht …
E: Ja, aber gut, das ist dann ja dein Anspruch.
A: Benni sagt gar nix.
E: Ja, wenn Leute sagen, ich mach das aus anderen Gründen, auch wenn das jetzt nicht so viel Spaß macht, und ich finde das aber richtig, dann sollen sie das bitte machen. Also ich würde da überhaupt niemandem sagen, aus welchen Gründen sie jetzt Sex haben sollen. Hauptsache, sie finden es so okay, wie sie es machen. Das Einzige, was mich stört, ist, wenn sie es nicht so okay finden oder wenn es halt jemand ist, mit dem ich jetzt Sex habe, dann natürlich habe ich da andere Ansprüche dran, aber wenn es mich nicht betrifft, dann denke ich, na ja …
A: Na ja, das mit dem Nichtbetreffen ist halt so eine Sache. Ich glaube nicht da dran, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo einzelne Leute was machen, ohne dass andere davon betroffen sind. Und wenn alle anderen Frauen außer mir finden, das ist doch völlig okay, wenn man mal mit einem schläft, damit der nicht so rumjammert, auch wenn man selber keinen Spaß dran hat, dann wird da natürlich auch eine gewisse Erwartungshaltung erzeugt, mit der ich unter Umständen selber dann auch konfrontiert sein kann. Natürlich will ich niemandem was vorschreiben – ich kann ja auch gar niemandem was vorschreiben, das ist mir wichtig. Ich kann ja niemandem was vorschreiben, weil ich kein Gesetz dazu will. Ich will das eben nicht vorschreiben, aber ich will drüber reden, und ich will, das ist dasselbe wie beim Kopftuch oder so. Ich bin der Meinung, es ist falsch, wenn Frauen Kopftücher tragen als Ausdruck ihrer Religiosität. Ich finde, das ist eine frauenfeindliche Bestimmung im Islam, aber ich bin natürlich dagegen, das zu verbieten. Aber wenn jetzt meine muslimische Freundin morgen anfangen würde, Kopftuch zu tragen, das glaubst du aber, dass ich mit ihr da drüber diskutieren würde. Nicht, um ihr was vorzuschreiben, sondern weil über Sachen zu diskutieren, wo man unterschiedlicher Ansicht ist, doch völlig normal ist.
E: Ja, als gesellschaftlichen Anspruch und als feministisches Thema finde ich es auch falsch zu sagen, die Frauen müssen halt mal irgendwie, auch wenn sie keine Lust haben, das ist ja großer Blödsinn. Aber wenn einzelne Frauen trotzdem sagen, ich will das aber so, dann sollen sie das trotzdem. Also ich glaub, da sind wir auf einer Linie eigentlich, also ich will es halt nicht verbieten.
A: Nee, verbieten ist doch auch nicht der Punkt. Aber ich find’s auch blödsinnig, wenn sie in Highheels rumlaufen–
E: Aber auch nicht irgendwie so bewerten–
A: Doch bewerten! Das grassiert auch so rum, dass man ständig nix mehr bewerten darf. Politik, politische Debatte besteht darin, dass man Urteile fällt, dass man auch Sachen bewertet, und natürlich, da wird auch wieder vermischt, die Macht – also ich bewerte was, verbiete es, ja. Und das ist auch ein Problem, wenn ich in der Machtposition bin, dann ist es gefährlich, wenn ich was bewerte. Aber wenn wir die Macht mal beiseite lassen, dann müssen wir uns gegenseitig bewerten, sonst gibt’s doch gar nichts, worüber wir uns …
E: Ja okay, aber so eine wertschätzende Grundhaltung muss auf jeden Fall da sein. Und ich kann nicht sagen, meine Maßstäbe, wie ich das gerne hätte im Bett, das soll jetzt für alle gelten. Und ich kann auch nicht beanspruchen, dass ich das verstehen kann letztendlich, wie das bei anderen Leuten ist, weil ich bin nicht die anderen Leute und ich bin da auch nicht dabei, und deswegen kann ich es letztendlich nicht so richtig bewerten. Ich kann mich darüber austauschen, was da für Ideen da drin sind oder was da auch für gesellschaftliche Prinzipien mit reingehen oder so, darüber kann ich diskutieren, die kann ich auch bewerten, aber einzelne Personen bewerten finde ich jetzt irgendwie ungünstig.
A: Ja, ich würd sagen, ich muss mich dafür interessieren, was sie sagen. Also ich muss, wenn ich darüber rede, das Risiko eingehen, dass am Ende die mich überzeugen und nicht ich sie. Eine Diskussion bedeutet, dass das Ende offen ist, da kommen zwei Leute mit unterschiedlichen Erfahrungen, Meinungen und so weiter, die diskutieren, und wenn das eine wirkliche Diskussion ist, kann man nicht sagen, wie es am Ende ausgeht. Ich würde sagen, man muss, wenn man das macht, die Bereitschaft haben, selber sich auch infrage stellen zu lassen. Nur dann ist das interessant, und dieses, das ist mir nur so aufgefallen, ‚Ich will ja nicht werten’, das steht ja in jedem zweiten Tweet inzwischen drin, ich will ja nicht werten, ich will das ja nicht bewerten, warum? Warum eigentlich nicht? Abgesehen davon, dass viele, die das schreiben, am Ende es ja doch bewerten und nur so tun, als würden sie es nicht bewerten.
E: Ja, vielleicht kann man nicht sagen letztendlich, man darf nicht bewerten. Aber ich finde, da gibt es so eine Grundidee dahinter, die ich auf jeden Fall gut finde, dass Leute, die auch verletzlich sind mit ihren Ansichten, dass man da einen vorsichtigen Umgang auf jeden Fall haben sollte.
A: Ich finde ja auch, dass Streiten eigentlich eine Art von Ernstnehmen ist.
E: Kommt auf die Art des Streits an, ne?
A: Ja, genau. Also wenn ich einer Position widerspreche, dann habe ich sie ja wahrgenommen und ich nehme sie auch als Diskussionsfigur ernst. Was gerade marginalisierte Erfahrungen, Perspektiven und Positionen angeht, finde ich jetzt im öffentlichen Diskurs das größere Problem, dass sie überhaupt nicht wahrgenommen und ernstgenommen werden, sondern aus dem Diskurs ausgeschlossen werden.
E: Ja, oder jemand, der nicht betroffen ist, urteilt so von außen da drüber und sagt, das ist jetzt so.
A: Ja. Das ist ja auch eine Art, das auszuschließen.
E: Ja. Man kann sich für die Positionen auf die eine und auf die andere Art nicht interessieren, finde ich. Also einmal, indem man sagt, ich kann es auch so, ohne dich anzuhören, wie das eigentlich jetzt wirklich für dich ist, kann ich jetzt sagen, ob das gut ist oder schlecht, was du machst. Oder ich kann sagen, ja mach doch, wie du denkst, und dann nehme ich dich auch nicht ernst und muss mich auch nicht damit auseinandersetzen.
A: Genau.
E: Ich muss jetzt mal aufs Klo, ihr könnt jetzt wieder über die serious Sachen reden.
B: Ja, oder wir machen eine kurze Pause.
A: Genau. Das schneiden wir nachher raus.
E: Das sagst du ganz oft, und dann schneidest du es doch nicht raus übrigens.
A: Ja?
E: Es gibt mehrere Stellen, wo du sagst, das schneiden wir nachher raus, die man aber hören kann.
A: Ah ja? Ja, das ist ja, weil wir auch …
E: Weil ihr es euch anders überlegt habt oder so.
A: Ja. Machen wir weiter? Anderes Thema.
B: Komplett unpassender Übergang.
A: Genau. Benni, sag du doch mal was.
B: Nee, du wolltest unbedingt.
A: Ja, ich bin der Meinung, dass wir auch über das Thema Gaza sprechen sollten. Wie ist denn so der Anteil in euren Timelines?
B: Fifty-fifty.
A: Ja? Und bei deinem?
E: Bei mir ist überhaupt der Gaza-Anteil nicht so hoch.
A: Ah ja?
E: Ja. Ich hab mehr so eine Freizeit-Timeline, keine Politik-Timeline.
A: Ich würd sagen, bei mir ist es eher siebzig zu dreißig für Israel.
B: Ja, wahrscheinlich auch. Aber das liegt an Einzelpersonen. Also ich hab einen, der gibt eins zu eins den IDF-Feed wieder.
A: Was ist das?
B: Israel Defense Force. Die israelische Armee.
A: Ach so.
B: Der postet das eins zu eins halt immer in seine Timeline rein. Das ist natürlich ein relativ großer Anteil, aber ich glaube, wenn es nach Leuten geht, ist es ungefähr fifty-fifty.
A: Ja, genau. Bei mir sind auch ein paar in der Timeline, die versuchen, das Motto „Das Gegenteil ist genauso falsch“ auch da anzubringen. Also irgendwie ist ja dieses Thema, wer ist mehr schuld und wer ist mehr Opfer, das wird immer so gegenübergestellt, als würde sich das gegenseitig ausschließen, die sind– Ähm, ich bin jetzt echt entkräftet nach diesem ganzen …
E: Nach dem vielen Sex.
A: Nach dem vielen Sex.
E: Tschuldigung. Ich musste das jetzt noch mal sagen.
B: Ja, du hattest ein starkes Bedürfnis, dazu was zu sagen. Was genau eigentlich?
A: Ich hatte das Bedürfnis zu sagen, das, was mir in der Diskussion ein bisschen zu wenig gesagt wird oder analysiert wird, ist, dass das Problem von Palästina und der Palästinenserinnen und Palästinenser ist, dass sie seit sechs Jahrzehnten einfach immer grottenschlechte Anführer haben. Und dass sozusagen diese Ungerechtigkeiten, die von israelischer Seite unbestreitbar da passiert sind von Anfang an, dass die einfach über Jahrzehnte nicht in der Lage waren, irgendwie angemessen realistisch-strategisch darauf zu reagieren. Sondern mir kommt es so vor, als wären die einfach nicht in der Lage, eine vernünftige politische Repräsentanz für die Anliegen der palästinensischen Leute zu finden. Und dass das mit ein ganz großer Faktor ist in dieser total verfahrenen Situation – bei allen anderen Faktoren, die ja auch beredet werden. Ich muss die ganze Zeit, seit das diskutiert wird, an eine Begegnung denken, die ich Mitte der 80er im Studentenwohnheim hatte, wo auf meinem Stock auch ein Palästinenser wohnte, der sehr nett war und der eines Tages in die Küche kam, als ich zusammen mit einer Freundin – ich habe damals Theologie studiert – Altes Testament machte, und wir redeten irgendwas über Israel, wo der dann dazwischenfuhr: „Ihr dürft nicht über Israel reden, Israel gibt es nicht.“ Ich war damals neunzehn oder so was und wusste gar nicht, wovon der redet, da ich vom Palästina-Konflikt keine Ahnung hatte, aber das war dann so ganz klar, Israel gibt es nicht, und die einzige Lösung ist, Israel wird zerstört. Und damals hab ich mir sofort gesagt, das kannst du ja meinen, aber das ist so dermaßen jenseits von jeder realistischen Option – da war der aber völlig von überzeugt. Und dann hab ich 1992 meinen Abschluss gemacht und bin geprüft worden über den Palästina-Konflikt, weil ich Politikwissenschaft studiert hab, und ich musste in der Prüfung auch etwas aus dem Bereich Internationale Beziehungen wählen und dann hab ich mich da mit dem Palästina-Konflikt bis Anfang der 90er beschäftigt. Und da gibt es ja, habt ihr bestimmt gesehen, diese Landkarte, diese vier Zeiten, wo man sieht, dass die palästinensischen Gebiete immer kleiner werden und jetzt sind es nur noch so kleine Punkte. Und das war tatsächlich so, es gab immer einen Vorschlag von der UNO oder von irgendwo, irgendwelchen Friedenskonferenzen, und die Palästinenser haben gesagt, oder ihre Anführer haben gesagt, nein. Beim ersten haben sie gesagt, nein, Israel muss ganz wieder weg, beim zweiten haben sie gesagt, nein, das ist uns nicht genug, also die wollten sozusagen immer dann, haben immer nicht zugestimmt, um den davorgehenden Vorschlag zu haben, und so haben sie praktisch bewirkt, dass es immer weniger wurde, und jetzt–
B: Ja, diese Karte ist aber auch total gefälscht, ne, das weißt du schon, die da überall kursiert.
A: Ja, ich habe sie mir nicht genauer angeguckt, aber es stimmt natürlich schon, dass die Palästina zugeschlagenen Anteile oder die Teile, über die Palästina sozusagen verfügen kann in irgendeiner Weise, tatsächlich schrumpfen und dass jeder neue UNO-Vorschlag schlechter für die Palästinenser ausgesehen hat. Oder jeder Krieg, der dann geführt wurde, den Israel wieder gewonnen hat–
B: Das fängt ja an damit, dass dieses ursprüngliche britische Mandatsgebiet geteilt wurde in sozusagen einen Israel-Teil und einen Palästina-Teil, dummerweise war dieser Palästina-Teil dann halt Jordanien. Also ganz Jordanien war ja ursprünglich dasselbe britische Mandatsgebiet, und das wird bei diesen Karten zum Beispiel schon mal komplett weggelassen. Und ein großer Teil des Problems ist ja auch, dass diese ganzen palästinensischen Flüchtlinge, wo ja auch die palästinensische Verhandlungsseite immer ganz streng drauf beharrt, dass die auf jeden Fall wieder zurückkommen müssen, inzwischen in der dritten Generation oder so, und die alle in den umliegenden Ländern leben und dort halt keine Staatsbürgerrechte kriegen, also die umliegenden Länder sind auch gar nicht daran interessiert, das irgendwie zu lösen, weil sie natürlich – also oder waren in der Vergangenheit nie interessiert, weil dieser äußere Feind natürlich auch immer prima sie legitimieren konnte, ihre despotischen Herrschaften da aufrecht zu erhalten und so. Das ist schon verfahren natürlich, ja. Ich weiß auch nicht, ob es das bringt, also oft wird das ja dann alles immer sehr historisch diskutiert, ob man da wirklich weiterkommt, die Leute gehen da ja bis zu den Kreuzzügen zurück und so, das ist alles so ein bisschen absurd, ja, das ist alles so hoch aufgeladen. Was mir momentan eigentlich hauptsächlich wichtig ist – also dieses von hier reden über diesen Konflikt und da irgendwie die bessere Lösung haben, das bringt nicht so viel, das stimmt, denke ich –, und was glaube ich momentan wichtig ist, ist, dass es halt hier gerade schon krasse antisemitische Ausfälle gibt, in Frankreich noch krasser als in Deutschland, aber hier auch, und da muss man schon irgendwie die Notbremse ziehen, und da finde ich es schon erschreckend, wie wenig handlungsfähig die Linke dem gegenüber ist, weil es halt da große Fraktionen gibt, die das irgendwie scheinbar cool finden.
A: Ja.
B: Und das ist was, was hier passiert, und da kann man sich zu verhalten, und alles andere kann man vielleicht auch diskutieren. Also sicher müssen da auch Kräfte von außen irgendwie, weil wenn es die nicht gäbe, wäre es wahrscheinlich, oder ich weiß es nicht, aber da sehe ich mich überhaupt nicht in der Rolle, gerade als Deutscher, ich identifizier mich ja sonst nicht damit, aber in dem Fall finde ich, kann man das einfach nicht machen.
A: Ja. Ja gut, so eine Sache, mit der ich sozusagen konfrontiert bin in meiner Filterbubble, ist, dass da auch viele Muslime sind, die sozusagen uns, die wir da so dazwischenstehen, also einerseits gegen Antisemitismus und auch gegen bestimmte Strategien der palästinensischen Führung sind, auf der anderen Seite gesagt bekommen, jetzt, wo dieser massive Bodenangriff von Israel ist, dürfen wir nicht länger neutral sein. Also, dein Vorschlag ist ja sozusagen, eine eher neutrale Position einzunehmen und beide Seiten zu würdigen, aber an mich wird die Aufforderung herangetragen, diese Neutralität aufzugeben.
B: Ja, die wird von beiden Seiten herangetragen, also an mich von beiden Seiten. Aber ich bin auch nicht neutral, muss ich ehrlich sagen, wenn es jetzt konkret der militärische Konflikt zwischen Hamas und Israel ist, bin ich natürlich auf der Seite von Israel, wenn ich mich entscheiden muss. Also das sind einfach, das sind ja ganz unmögliche Leute, diese Hamastypen, in jeder Beziehung. Und da ist mir tatsächlich so eine zwar irgendwie ziemlich rechte israelische Regierung noch lieber.
A: Ja.
B: Aber das heißt ja nicht, dass die Zivilisten, die dabei draufgehen, dass man das nicht total scheiße findet und so. Aber wenn ich genötigt werde, mich zu entscheiden, dann auf jeden Fall auf die Seite. Wichtiger finde ich wie gesagt, hierzulande aufzupassen, dass nicht noch Synagogen angezündet werden, weil das steht ja gerade im Raum, also es gab ja hier eine Demo, in Frankfurt, wo dann noch aus dem Polizeiwagen antisemitische Parolen gerufen wurden und so, also das sind schon krasse Zustände, finde ich.
A: Gut, ich frag mich jetzt natürlich, was ist die Strategie, die Israel verfolgt. Momentan halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass wir vielleicht in fünf Jahren hier sitzen, und Gaza gibt es nicht mehr, weil die die Strategie verfolgen, die Leute da auch noch nach Jordanien oder wohin, weil was will Israel erreichen, das ist mir auch nicht klar. Jetzt mit der Bodenoffensive.
B: Also die Fans, die israelsolidarische Timeline von mir, die sagt – und ein Stück weit kann ich das nachvollziehen –, es gibt keinen Verhandlungspartner oder so, weil die wollen uns nur ausrotten, das ist deren Ziel, und es geht nur darum, alle paar Jahre da mal draufzuhauen, damit es nicht immer schlimmer wird. Und die immer größere Raketen kriegen und immer gefährlicher werden, und diese Tunnel müssen halt weg, weil die sonst da uns angreifen und so. Also das ist sozusagen die direkte militärische Logik auf israelischer Seite. Was auffällig ist, finde ich, dass sie dafür erstaunlich viele Opfer in Kauf nehmen, auch auf eigener Seite, jetzt gar nicht die palästinensischen Zivilisten oder Hamasleute, sondern tatsächlich auf eigener Seite nehmen sie ja mehr Opfer in Kauf, als sie jetzt direkt vorher durch diesen Raketenbeschuss hatten. Aber ich weiß nicht, ob man da von hier aus irgendwie was zu sagen kann.
A: Ich hab halt tatsächlich viele muslimische Leute in meiner Timeline, durch den ganzen interreligiösen Dialog und so weiter, und den zerreißt es auch. Es gibt ja zum Beispiel diesen Rat der Religionen in Frankfurt, der findet zu keiner Stellungnahme, bisher ist davon nichts zu hören. Und ich hab halt einige Mitglieder aus dem Rat der Religionen auch in meiner Timeline, und die machen jetzt auch eine Pro-Palästina-Demo demnächst hier und so was. Das ist dann halt tatsächlich auf der Ebene der persönlichen Beziehungen schon noch mal ein bisschen schwieriger. Klar, politisch teile ich die Analyse von dir völlig, und deswegen habe ich auch angefangen, wenn ich mit denen rede und erkläre, warum sozusagen ihr Ansatz falsch ist, dann versuche ich zu sagen, also die palästinensische Führung, da muss es anfangen bei einer Veränderung. Da sind meiner Meinung nach auch tatsächlich alle Muslime und die muslimischen Communitys gefragt, nicht nur, dass sie sich vom Antisemitismus distanzieren, das finde ich gar nicht mal so sehr nur ein Problem der Muslime, weil es hat sich ja bei diesem CDU-Typ, der dann auch auf seiner Facebook-Seite gepostet hat, Juden sind scheiße, ich glaub tatsächlich in dem Wortlaut, irgendwie so ein CDU-Politiker – es gibt diesen antisemitischen Bodensatz eben in der deutschen Gesellschaft nach wie vor auch, also das ist kein Problem der Muslime. Was ein Problem der Muslime ist, ist tatsächlich, dass sie durch dieses Feindbild Israel seit Jahrzehnten nicht dazu kommen, eine vernünftige Strategie zu entwickeln, was sie machen wollen da. Und dauernd diese Hamas zu unterstützen, das ist einfach nichts.
B: Ja, wobei tatsächlich deren Unterstützung wohl ziemlich geschrumpft ist, also die sind ja gewählt worden mal, aber es gab jetzt Umfragen letztens – es gibt ja natürlich seitdem keine Wahlen mehr, die sind ja nicht blöd –, aber es gibt wohl Umfragen inzwischen, dass 80 Prozent der Bewohner im Gazastreifen die überhaupt nicht mehr unterstützen. Also die sind eigentlich total isoliert und halten sich durch Gewalt an der Macht, auch intern. Aber jetzt sind alle wieder solidarisch, weil es gegen den äußeren Feind geht, deswegen ist es natürlich in deren Interessen, diese Raketen zu schießen, weil irgendwann müssen die reagieren, und dann haben sie wieder einen gemeinsamen Feind, und alle sind wieder hinter ihnen her …
A: Ja genau. Und da könnte man doch von hier aus auch mal was dagegen sagen, ja, also ich finde dann schon, warum viele Muslime in Deutschland das dann mitmachen, dieses blöde Spiel der Hamas, das ist das, was ich halt falsch finde von denen. Also dass sie zu leichtfertig sich da von der Hamas vor den Karren spannen lassen.
B: Das ist halt Nationalismus, der funktioniert halt im Zweifel.
A: Aber das sind doch gar keine Palästinenser, das sind doch Türken, oder der Erdogan zum Beispiel, das sind doch die Türkei.
B: Ach so, die meinst du jetzt, okay.
A: Das sind keine Palästinenser, die da irgendwie aufgrund ihrer Familiengeschichte möglicherweise konkret involviert sind, das sind überwiegend türkische Leute, die das bei Facebook schreiben.
B: Ja, gut. Das ist aber schon so ein identitäres Ding in der ganzen Region, also von Marokko bis Iran, ‚Israel ist böse’ ist da sozusagen gesellschaftlicher Konsens, glaube ich.
A: Ja, okay. Ich glaube, mehr können wir dazu tatsächlich nicht sagen, aber ja. Furchtbar. Vielleicht sollten wir es belassen dabei. Wir haben noch ein Thema. Benni erträgt Irrationalität nicht, steht auf unserer Liste.
B: Passt ja irgendwie.
A: Das passt ja irgendwie auch dazu, ja.
B: Ja, ach ich hatte einfach in der letzten Zeit so ein Gefühl, dass unheimlich viel total wirres Zeug auf einmal so eine Öffentlichkeitsschwelle erreicht oder sich teilweise auch hegemonial durchsetzt, also Sachen wie Verschwörungstheorien oder Homöopathie oder solche Sachen …
A: Was, die Kügelchen, die da drüben bei mir auf dem Tisch stehen?
- Jaja, können wir uns gerne drüber streiten. Also Sachen, die – also mir geht es nicht darum, dass nicht auch Gefühle wichtig sind zum Denken oder so was, ja, gar nicht –, sondern diese unglaubliche Fähigkeit von Menschen, Fakten zu ignorieren und auch Argumenten nicht zugänglich zu sein, und genau dieses, was du vorhin meintest, eine Diskussion besteht halt darin, das auch ernst zu nehmen, was der andere sagt, und ich nehme irgendwie so subjektiv wahr, dass das immer schlechter funktioniert. Das hat vielleicht was mit dem Internet zu tun, dass halt diese Filterfunktionen immer mehr wegfallen, wo früher Redaktionen vielleicht dann eher mal gesagt haben, lass mal den komischen Verschwörungsquatsch jetzt weg oder so. Aber auf ganz persönlichen Ebenen ist mir das auch begegnet, und mir wurde das irgendwann einfach so zu viel. Also ich reagier vielleicht selber auf eine Art, also vielleicht nicht irrational, aber zumindest unsachlich, weil ich dann auch wütend werde, und das macht mich richtig wütend, dieses Ignorieren, also diese Ignoranz einfach.
E: Naja, was ist denn Ignoranz?
B: Naja, wie ich gesagt habe, jemand sagt irgendeine bescheuerte These, dann sagst du, ja, ist aber nicht so, weil Fakt A, B, C – egal, ja.
E: Das sagen die ja nicht, egal.
B: Doch. Sie reagieren nicht drauf, oder sie erfinden dann halt irgendwas, oder die böse Pharmaindustrie, oder es gibt dann immer so schöne Ableitungsdiskussionen. Auch mit diesen Maskus gibt es diese Diskussionen immer, im Internet, die sind ja auch so völlig … Du hast halt immer das Gefühl, du redest so gegen eine Wand, und es findet überhaupt kein Kontakt mehr statt.
A: Jaja.
B: Und ja, du würdest wahrscheinlich sagen, das liegt gar nicht so sehr an der Irrationalität, sondern an der Beziehung, die ich da habe …
A: Ich wollt’s gerade sagen!
B: Aber für mich ist das schon ein wichtiger Punkt, also diese Abwehr, weil ich kenne das auch von Leuten, mit denen ich auf der Beziehungsebene das super hinkriege und so, die aber trotzdem in der Lage sind, dann einfach Fakten zu ignorieren. Und ich finde schon, da fehlt so was wie Vernunft, so ein Mindestmaß irgendwie, das regt mich halt schon auf, wenn Leuten das so ganz abgeht.
A: Bei evangelischen Gottesdiensten wird immer am Ende der Predigt, die ja eine vernünftige Rede ist, gesagt, der Friede Gottes …
B: Das ist ja wieder so ein Punkt für sich, wenn du mich fragst, aber gut–
A und E: … der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, Amen.
A: Das sind ja ganz ungeahnte Koalitionen, woher weißt denn du das, gehst du in die Kirche?
E: Nee, nicht mehr viel, aber früher sehr.
A: Die alten Sätze bleiben hängen.
E: Ja, ich hab auch viele Freundinnen, die was mit Theologie machen.
A: Echt?
E: Ich hab während dem Studium in einer christlichen WG gewohnt.
A: Ach echt?
E: Ja, wir haben immer so Andachten gemacht.
A: In der WG?
E: In der WG, das war cool.
A: Echt?
E: Ja. Das ist tatsächlich mein einziger Bezugspunkt zu diesem ganzen Kirche-Religion-Spiritualitätsding, diese Kontakte, die ich da hab aus dieser WG, und dem Kreis, wo die dazugehören. Also ich war einmal im Jahr mit denen weg, das sind auch die Gründer_innen der WG, die haben damals so was versucht zu vereinen mit Studentenleben und kommunitärem Leben, und dann haben die sich gestritten und gespalten, und diese eine Gruppierung, der gehört halt das Haus, und da haben wir als Studenten drin gewohnt und die hatten mit uns gar nix zu tun, und dann haben wir das wieder neu angeknüpft, und die sind total toll. Das sind so lauter alte Leute, die sehr unterschiedliche Bezüge haben auch zum Glauben und sich seit 40 Jahren darum streiten, aber irgendwie auf so eine ganz liebevolle Art, und mit diesen Andachten, das finde ich immer ganz gut, weil da kann man sich immer wieder drin zusammenfinden, auch wenn man gestritten hat, weil das relativ meinungsstandpunktsneutral ist, also nicht so ganz neutral, aber wo man sich so wiederfinden kann. Da fahr ich immer einmal im Jahr hin, das ist ganz toll. Im Kloster.
A: Toll, ja. Also ich finde diesen Satz nämlich wirklich gut, weil natürlich, was wir Menschen miteinander bereden, und das, finde ich auch, sollte rational sein, das sollte vernünftig argumentierbar sein. Man kann vielleicht auch nicht über alles reden, aber wenn man drüber redet, sollte man vernünftig über was reden, aber es gibt eben noch dieses andere, ja. Der Wille Gottes ist höher …
B: Ja, um die Ebene geht’s mir nicht.
A: Ja, ich glaube, es geht ja darum, dass die Grenze da nicht klar ist, ich diskutiere aber nicht so oft mit irrationalen Leuten. Also dieser Streit, von dem ich vorhin geredet habe, die würden ja von sich nicht sagen, dass es irrational ist, was sie sagen, die finden ja meine Begründungen … Also meine Nachfrage an dich: Sind das Leute oder sind das Sachen, die sich selber bewusst, sozusagen offensiv als irrational darstellen?
B: Nee, natürlich nicht.
A: Na eben. Sondern sie beanspruchen ja für sich selber, dass sie rational sind. Aber sind’s nicht, weil sie völlige logische Löcher haben, ne?
E: Mir missfällt das ja so ein bisschen, dieses rational-Wort.
A: Ja?
E: Total, ja. Weil das postuliert immer so einen Unterschied zwischen Verstand und subjektiven Gefühlen, und der Verstand ist dann objektiv, als ob man sich auf dieser Ebene unterhalten könnte, und das hätte damit gar nichts zu tun, also so funktioniert es halt nicht, niemand kann objektiv denken. Alle haben da einen emotionalen Bezug dazu, wenn du jemanden davon überzeugen willst, dass Homöopathie blöd ist, dann hast du da auch einen emotionalen Bezug dazu, und die Person, die das gut findet, halt auch. Und dann geht’s halt nicht nur um Argumente, sondern dann geht’s auch um so eine gewisse Identifikation, und das ist halt emotional, und Argumente spielen da auch eine Rolle, oder es gibt vielleicht auch eine Form von Argumenten, die halt nicht als solche gewertet wird oder so, wenn man postuliert, es gebe den rationalen Verstand, der so gefühlsfrei denken kann.
B: Nee, da geht’s mir wirklich gar nicht … Also letztens hab ich ja auch mal getwittert sozusagen, es gab ja im 20. Jahrhundert in der Philosophie auch ganz viel Wissenschaftskritik und Aufklärungskritik, und das ist ja alles superwichtig, ja, und natürlich sind Gefühle fürs Denken wichtig und so, nur…
E: Das ist überhaupt kein Unterschied, man kann gar nicht sagen, das eine sind Gefühle und das andere sind …
B: Ja, meinetwegen auch das. Das kann ich alles mitnehmen, nur wenn daraus folgt, so eine Ignoranz und Dummheit, oder wie du sagen würdest: Beziehungslosigkeit … Und tatsächlich ist es also gerade in dieser Homöopathie-Diskussion, ja, nehme ich das viel, oder diese Alternativmedizin so ein bisschen weitere Diskussion, da kann man das so ein bisschen nachverfolgen. Also es gab ja dann auch in den 70ern und 80ern so viel Kritik an Medizin und dem medizinischen Apparat und dass darüber sozusagen das ganzheitliche Betrachten von Gesundheitsproblemen irgendwie, oder gibt’s ja heute auch noch, so …
E: Ja, das ist auch schon wieder relativ weg, oder? Medizin funktioniert ja immer noch nicht so … Tschuldigung, du warst noch nicht fertig.
B: Jein, ja so, und das ist alles richtig gewesen.
A: Reinquatschen ist hier völlig in Ordnung.
B: Mein Punkt ist, das ist alles richtig gewesen, aber inzwischen ist mein Eindruck, diese ganze Kritik wird nur noch als Vehikel für kompletten Irrsinn gebraucht, das wird dann sozusagen, die Pharmaindustrie ist eh alles gelogen, die haben ja nur ihr Profitinteresse, und die komische Spinnerin von nebenan, die meint irgendwie mit Handauflegen mir den Schnupfen heilen zu können, die kann ja genauso recht haben. Also wo jegliche Maßstäbe verlorengehen, also so ein Relativismus, der so umfassend ist, so gewisse wissenschaftliche Standards bei solchen Sachen finde ich einfach wichtig.
A: Ah, ich meine, das ist auch wieder so ein heikles Thema, weil ich esse diese Globulis ja auch und bilde mir ein, sie helfen mir. Nicht, dass ich das irgendwo verteidigen würde, aber ich höre jetzt auch nicht auf, die zu nehmen; wenn ich mir das nur einbilde, dass sie mir helfen, ist mir das auch recht, natürlich nicht, wenn ich das Bein gebrochen habe oder so. Also ich hab eine sehr affine Position dazu, weil Victoria Woodhull, von der ich gerade ein T-Shirt anhabe – kleine Werbepause, deren Biographie es jetzt auch als eBook gibt, trallala –, die war ja auch Wunderheilerin. Manchmal brauchen Leute heutzutage vielleicht, um gesund zu werden, einfach mal jemanden, der ihnen eine Hand auflegt. Weil vielleicht ist es gar nicht mehr, was sie krank gemacht hat, dass niemand sie anfasst, also jetzt mal ganz banal, ja. Also es ist ja, Krankheit, klar, das könnte man dann ja auch wieder rational erklären. Ich würde da einfach auch ein bisschen gelassener sein und sagen, na wenn es den Leuten hilft oder wenn es ihnen Spaß macht, so what. Es gibt ja viele, die sich gerade im Bereich Homöopathie sehr aufregen auch in meiner Timeline. Ich kann das nachvollziehen, aber ich kann das eigentlich nicht verstehen, weil das tut ja jetzt auch keinem weh.
B: Doch, ich finde das schon sehr fragwürdig, dass also zum Beispiel bei uns an der Schule das irgendwie selbstverständlich ist, dass diese Globulis auch den Kindern verabreicht werden. Für mich hat das den Charakter einer religiösen Handlung, und ich möchte nicht, dass irgendwelche religiösen Handlungen an meinen Kindern vollzogen werden. Also das finde ich total schwierig. Man wird komisch angeguckt, wenn man sagt, nee, das halte ich aber für Quatsch, dann muss ich mich rechtfertigen für was, was für mich total selbstverständlich ist, weil das so allgegenwärtig ist in so einer gewissen Szene halt. Oder ganz zu schweigen von irgendwelchen Verschwörungstheoretikern …
A: Was sind denn momentan so die aktuellen Verschwörungstheorien?
B: Na, es gab ja diese Montagsdemos, das hast du bestimmt mitgekriegt.
A: Ach so, ja.
B: Und wie die FED an allem schuld ist.
A: Ja, ich bin aber auch ein Fan von Verschwörungstheorien seit Akte X.
B: Ja, ich auch, ich schon seit Illuminatus, also das ist nicht der Punkt. Als Fiktion ist das ja wunderbar, und natürlich gibt es auch Verschwörungen, und man soll auch Theorien darüber aufstellen, aber dieses geschlossene Weltbild, das da halt zutage kommt … Natürlich ist es so, wie du eben gesagt hast, Argumente sind immer nur eine von vielen Sachen, um sich zu einigen, und ich bin halt wahrscheinlich jemand, für den das wichtiger ist als für andere, und dann bin ich halt oft frustriert, wenn ich mit meinen Argumenten komme, und die Leute einfach nur mit den Achseln zucken: Ist mir egal, ja. Klar, das ist natürlich ein bisschen so eine Ohnmachtsposition, in der ich mich dann sehe, und die finde ich frustrierend, und das macht mich wütend.
A: Ja, aber vielleicht ist das auch tatsächlich was, was sich ändert. Kennst du Paul Feyerabend? So ein Philosoph, der hat das eben analysiert, dass eigentlich jede Gesellschaft auf Glaubenssystemen beruht, und seiner Ansicht nach ist auch das wissenschaftliche Weltbild ein Glaubenssystem …
E: Ja! Sehr gut!
A: … und das aber hier sozusagen im Westen lange Zeit das extrem hegemoniale war. Also auch zusammen mit der Säkularisierung, und Religion ist ja nun auch Privatvergnügen, Folklore, und Geld darf’s nur geben … Das wissenschaftliche Weltbild ist sozusagen das hegemoniale und ich glaube tatsächlich, dass das kippt und dass wir mehr Kompetenz darin brauchen, mit Leuten aus anderen Weltbildern zu reden. Und das bedeutet, die Anhänger der wissenschaftlichen Weltanschauung müssen lernen, mit irrationalen Leuten zu reden, und ich stelle fest, dass das euch oft sehr schwerfällt, und mir fällt das relativ leicht, weil ich interreligiös und interkulturell sehr interessiert bin. Ein ganz banales Beispiel: Ich war vor einiger Zeit auf einem Geburtstag eingeladen, da war ein Mann aus Ghana auch als Gast. Und der erzählte dann von irgendwelchen Wundererscheinungen, Wunderheilungen, die er eben zu Hause in Ghana erlebt hat, und die da völlig normal sind, und er hat das so erzählt, als wäre das das normalste von der Welt, dass irgendwie Leute von den Toten auferstehen oder Felsblöcke sich über Nacht verschieben oder so was, und ich hab gemerkt, die anderen am Tisch wissen gar nicht, wie sie mit dem reden sollen, weil es war so, er war nicht gewöhnt …
E: Als irre wahrgenommen zu werden …
A: Und ich habe mich wunderbar mit ihm unterhalten. Ich kann das glauben. Ich kann glauben, dass das für ihn Wahrheit ist. Und ich denke mir mal, das ist jetzt ein krasser Fall, aber das ist eine soziale Kompetenz, die wir mehr brauchen, dass wir mit Leuten reden, die andere Wahrheitsvorstellungen haben.
B: Ja, das ist mir zu postmodern, sorry, da kann ich nicht mit. Ich habe schon den Anspruch, also natürlich haben Leute unterschiedliche Wahrheitssysteme, und Wahrheit ist irgendwie auch immer relativ und wird konstruiert und all das, aber ich glaube trotzdem, dass das möglich ist, Erkenntnis. Weil die Konsequenz ist ja, es gibt so was wie Erkenntnis gar nicht mehr, und das glaube ich halt nicht, also da hört es für mich auf. Es gibt natürlich Möglichkeiten, mit Hilfe von wissenschaftlichen Methoden zum Beispiel, Dinge herauszufinden, die ich vorher nicht wusste. Und es gibt die Möglichkeit, mit Logik, also auf mathematischer Ebene zum Beispiel, Dinge herauszufinden, die ich vorher nicht wusste. Also ich kann einen mathematischen Beweis führen und krieg dann Dinge raus, die einfach wahr sind. In der Mathematik ist es für mich ganz offensichtlich, dass es Wahrheit gibt, weil ich arbeite innerhalb eines Axiomensystems, das ich mir selber setze, aber auch in der Naturwissenschaft kann ich noch Erkenntnisse gewinnen, die vielleicht nicht absolut sind, die ich irgendwann vielleicht wieder verbessern muss, aber die auf jeden Fall besser sind als vorher. Und genau das geht halt mit irgendeinem beliebigen Glaubenssystem nicht. Da glaube ich halt mal das, mal das, und …
A: Das stimmt nicht, das ist die Außenwahrnehmung, die du hast. Die Leute, die in diesem Glaubenssystem drin sind, die empfinden das nicht so, dass sie mal das und mal das glauben, sondern die haben in sich eine Logik. Ich würde dir zustimmen, zu sagen, in dem Moment, wo es unlogisch wird, da kann man nicht mehr diskutieren, aber was du sozusagen für logisch hältst – also zum Beispiel dieser Mann aus Ghana, mit dem ich mich da wirklich nett unterhalten habe, der war völlig logisch davon überzeugt, dass es Magie gibt. Also die Unlogik fängt da an, wo man innerhalb des Systems Widersprüche hat und man sich die Sachen schönredet. Und das ist der Punkt, wo bei mir das dann austickt, wo ich dann den Eindruck habe, jemand ist von was völlig überzeugt, und das ist das Wichtigste, und dann wird dann argumentiert, je nachdem, wie man es gebrauchen kann. Und dann wird mal logisch, mal unlogisch, mal mit Verweis auf das eine, mal auf das andere Axiom, immer so hingemuschelt, dass die Position, die man von Anfang an hatte, die richtige ist. Das macht mich ärgerlich. Aber wenn jemand innerhalb von seinem System logisch bleibt, dann kann ich versuchen, dieses System zu verstehen. Und dann kann ich auch mit ihm darüber reden, dann muss ich überlegen, was meint der zum Beispiel mit: Magie gibt es oder Magie funktioniert. Dann kann ich nicht sagen: Aber wissenschaftlich ist erwiesen, dass es das nicht geben kann. Dann reden wir aneinander vorbei, weil wir in zwei verschiedenen Sachen sind.
B: Ja, das ist jetzt aber überhaupt keine Antwort auf mein Argument gewesen gerade. Tschuldigung, das ist genau das jetzt. Weil ich hab gesagt, dass mit dem, was du ein Glaubenssystem nennst, was ich nicht so nenne, nämlich diese wissenschaftliche Methode, dass man damit wirkliche Erkenntnisse finden kann. Dass ich aber, wenn ich einfach sage: Das war Magie, dann hat das meinetwegen irgendeine innere Logik, gesellschaftliche Akzeptanz, was auch immer, aber es sind keine Erkenntnisse.
A: Natürlich sind das Erkenntnisse!
E: Ich finde, alleine wenn du sagst, die wissenschaftliche Methode, beweist du damit schon, dass das ein Glaubenssystem ist. Weil das gibt es nicht, die wissenschaftliche Methode, was soll denn das sein. Es gibt vielleicht verschiedene wissenschaftliche Methoden, die zu unterschiedlichen Zwecken in unterschiedlichen Bereichen angewendet werden, und es gibt in diesem akademischen Bereich lauter Leute, die sich gegenseitig absprechen, wissenschaftlich zu sein …
B: Ja, ich rede nur auf dieser naturwissenschaftlichen Ebene gerade.
E: Ja genau, und das ist aber auch schon das Problem! Natürlich, dass diese Rationalitätsanhänger immer glauben, Naturwissenschaft müsste der Maßstab sein, wie die Welt funktioniert.
B: Nein. Ich würde nie sagen, dass man mit naturwissenschaftlichen Methoden gesellschaftliche Phänomene verstehen kann zum Beispiel. Das ist tatsächlich ein Fehler, den viele Szientisten, so nenn ich sie jetzt mal, machen, dass sie diese Methode auf Felder anwenden, wo sie nicht funktioniert. Schon in der Biologie wird’s manchmal fragwürdig, und sobald du irgendwie zum Menschen kommst, sowieso. Alles richtig, aber trotzdem gibt es so was – also Naturwissenschaft funktioniert halt, ich stell Hypothesen auf und mach Experimente und überprüfe die und so weiter, ja, das kennen wir alle, und der Punkt ist, dass man damit wirklich Erkenntnisse kriegen kann über Dinge, die halt dann für mich erst mal wahr sind. Und das hat einen anderen Stellenwert als irgendein beliebiges Glaubenssystem. Weil es auch ganz anders funktioniert, weil es sich selbst infrage stellt. Weil ich jederzeit das ja widerlegen kann, während alle anderen Glaubenssysteme ja darauf beruhen, dass es halt so sein muss, weil das ist so.
A: Ja, das ist das, was die Naturwissenschaftler immer den anderen Glaubenssystemen vorwerfen, aber das stimmt ja gar nicht. Also zum Beispiel wenn jemand sagt, in meinem Dorf gab’s einen Magier und der konnte zaubern und so weiter, dann kann man an diese Information natürlich naturwissenschaftlich rangehen, man könnte ein Team dahinschicken, das versucht, diese Zauberei – das haben ja die Szientisten gemacht seit dem 19. Jahrhundert, dass sie versucht haben, solche Phänomene zu erforschen.
B: Und oh Wunder, es hat niemand was entdeckt.
A: Ja genau. Weil das einfach die völlig falsche Ebene ist, an das Phänomen ranzugehen. Wenn ich sage, das ist Magie, dann sage ich damit ja, es bewegt sich nicht mehr im naturwissenschaftlichen Bereich.
B: Ja, aber ich hab den Anspruch, dass ich irgendeinen Effekt erreiche mit einer Handlung. Wenn jetzt aber ich mir das angucke und stelle fest, den Effekt gibt’s gar nicht, und dann beharrt derjenige trotzdem darauf, dass es das gibt …
E: Das ist aber Quatsch! Also wenn du mit Leuten diskutierst, die Homöopathie gut finden, dann sagen die ja nicht, den Effekt gibt’s nicht. Sondern du sprichst ihnen den Effekt ab, weil du da an irgendwelche Studien glaubst, da gibt’s ja auch sehr unterschiedliche zu …
B: Nee, gibt’s eigentlich nicht …
E: Pst, darf ich ausreden? Und aber das nützt denen gar nichts, weil sie damit bestimmte Erfahrungen haben, und das ist dann in dem Moment, wenn’s mir hilft, ist es mir vielleicht auch egal, warum es mir jetzt hilft, wenn mir das jetzt näher liegt und zu mir passt, dann finde ich das halt besser als irgendwas, wofür es irgendeine tolle Erklärung gibt, die ich aber entweder nicht nachvollziehen kann oder wo es mir halt nichts bringt oder weniger bringt.
B: Ja, aber das ist ein Absolutsetzen von der eigenen Erfahrung, die Erkenntnisse verhindert.
E: Ja, ich seh schon deinen Punkt.
B: Also ich kann da nicht mehr mitgehen.
E: Ja, das ist halt die Frage, wozu das dann gut ist. Also auf beiden Seiten. Ich finde, an deiner Stelle wäre es zielführender, sich zu fragen, was das für die Person jetzt bringt, als zu sagen, wie kann ich’s erklären.
B: Nein, weil es ja aus meiner Perspektive – also wenn wir beim Homöopathie-Beispiel bleiben, angenommen, ich könnte jetzt diesen Effekt nachweisen und meinetwegen sogar erklären, dann wäre das ja super, weil dann gäb’s ja eine ganz tolle Möglichkeit, ohne viele Nebenwirkungen ganz viele Krankheiten zu heilen. Deswegen ist mein Interesse natürlich: Cool, lass uns das probieren. Dummerweise zeigt sich halt, dass es diesen Effekt nicht gibt. Und dass es halt ein Placebo-Effekt ist.
- Also ich könnte mir auch vorstellen, dass diese homöopathischen Medikamente als solche jetzt nicht besonders gut funktionieren im Vergleich zu anders, klassisch-wissenschaftlich entwickelten Medikamenten, aber trotzdem, dieses System der Homöopathie – ich war auch ein paarmal bei einer Homöopathin – das ist halt anders. Immer, wenn ich zum Arzt gehe, hab ich das Gefühl, der schmeißt mich nach zwei Minuten wieder raus, hat sich nichts angeguckt, im besten Fall lacht der mich noch aus, weil ich da komme mit meinen Wehwehchen. Wenn ich zu der Homöopathin gehe, die will halt wissen, wie es mir geht, die will wissen, wie es in meiner Beziehung läuft, die will alles Mögliche von mir wissen, da gehe ich schon alleine deswegen mit einem besseren Gefühl raus, weil ich das Gefühl habe, von der Person werde ich ernst genommen. Das ist was, was fehlt, und dann bedient die ein reales Bedürfnis, dem du auch nicht widersprechen würdest.
B: Genau. Aber das Problem ist, dass diese realen Bedürfnisse, die in der klassischen Medizin nicht behandelt werden, weil sie halt zu mechanistisch ist und auch zu sehr von Kosten, zu kapitalistisch und industrialistisch und alles richtig, ja, das wird da nicht bedient, und jetzt gibt’s halt diese komischen Homöopathen, die das dann so scheinbar bedienen, aber die Leute im Endeffekt halt mit Placebos füttern, und es wäre viel besser, wenn man sozusagen wissenschaftlich sehen könnte: Ja, wir sind nicht gut darin, die Leute ernst zu nehmen, aber das ist aber wichtig für ihren Heilungserfolg, ja, lass uns das verbessern.
A: Ja, hindert euch niemand doch da dran. Macht das doch mal. Und wenn das so weit ist, dann ist vielleicht keine Nachfrage mehr für die Homöopathie da. Vielleicht hat Homöopathie ja auch den Zweck, zu viel Medizin zu verhindern, weil wir müssen auch …
B: Nein, sie hat den Zweck, genau diese Verbesserung, weißt du, diese ganzen schulmedizinischen Abläufe, die sind froh, dass es die Homöopathie gibt, weil sie sich nämlich genau dann mit ihren eigenen Problemen nicht auseinandersetzen müssen.
A: Ja gut, vielleicht. Aber ich meine, du kannst ja den Leuten, die jetzt krank sind und jetzt was wollen, denen kannst du ja nicht sagen, vielleicht hat sich ja die Schulmedizin in dreißig Jahren verändert. Es ist einfach ein konkurrierendes System sozusagen, eine konkurrierende Art, das zu sehen. Neulich hat mir einer erzählt von einem Buch, dass untersucht wurde, dass die Schulmedizin unter dem Strich mehr Schaden anrichtet als Positives. Wenn du dir zum Beispiel die Keime anguckst, die man sich im Krankenhaus holen kann, die Fehldiagnosen, die ökonomischen Indikationen, dass Leuten zum Beispiel Zeug verkauft wird, weil man da dran Geld verdienen kann und nicht, weil sie das brauchen, also der Grad der Irrationalität im Medizinbereich, weiß nicht, ob sich das wirklich viel gibt …
B: Doch, immer noch. Also bis in die 20er Jahre war es tatsächlich so, du bist zum Arzt gegangen, und es war sozusagen nicht besser als wenn du nicht hingegangen bist. Statistisch gesehen. Es gab natürlich damals auch gute Ärzte, die man sich leisten musste, und dann war das besser. Aber statistisch gesehen war das nicht so. Inzwischen ist es aber definitiv so, dass es Sinn macht, zum Arzt zu gehen.
A: Ja, aber nur wegen dem Penicillin, was sie erfunden haben. Und das haben sie inzwischen mit ihrer massenweisen Anwendung so verhunzt, dass wir bald keine Antibiotika mehr haben. Das Penicillin war eine wirklich super Erfindung der Schulmedizin und der Naturwissenschaft. Ich mach meinen Kotau, das war eine geniale Sache. Nur dieselbe Art, wie sie das anwenden, führt dazu, dass wir wahrscheinlich demnächst keine Antibiotika mehr haben, weil sie sie ruiniert haben. Und jetzt kann ich sagen, jeder Mensch, der anstatt zum Arzt zu gehen und sich für einen Schnupfen ein Antibiotikum verschreiben zu lassen, sich stattdessen bei der Homöopathin drei Kügelchen holt, rettet uns das Antibiotikum noch eine Stunde länger. Und da kann ich sagen, ich bin froh, dass die Leute nicht mehr zum Hausarzt gehen und sich die Antibiotika reinschieben lassen, die nämlich verschrieben werden, obwohl man sie gar nicht braucht.
B: Ja, aber hab ich behauptet, dass …
A: Globulis sind besser! Unterm Strich besser für die Gesellschaft. Das ist ein System, was sich gegenseitig ergänzt, aber das ist entstanden, also diese Alternativmedizin ist eine direkte Herausentwicklung aus diesem Defizit, und es ist gut, dass es die gibt.
B: Nee, es ist eben nicht gut, weil es dazu führt, dass, na gut, ich habe es schon mal gesagt, dass sie sich darin wohl fühlen können weiter. Ja, die können behaupten, wir sind die Wissenschaft, was sie gar nicht sind oft, also gerade zum Beispiel Hausärzte, die wegen jedem Scheiß Antibiotika verschreiben, handeln ja unwissenschaftlich, weil sie ja wissen, dass das schlecht ist, oder wissen könnten, aber jetzt gibt es halt sozusagen diesen alternativen Bereich, der zu 90 Prozent einfach Bullshit ist, weil die Leute irgendwas nehmen, oder irgendjemand behauptet irgendwas, und es gibt überhaupt keine Kriterien, und das macht es halt überhaupt nicht besser, sondern das führt nur dazu, dass …
E: Das ist doch nicht 90 Prozent Bullshit.
B: Doch.
E: Nee, die Globulis sind vielleicht 90 Prozent Bullshit.
B: Die Globulis sind 100 Prozent Bullshit. Da wurden ganz umfassende Studien gemacht, und es gibt so ein paar Effekte bei Akupunktur, und es gibt vielleicht noch einzwei andere Sachen, wo man Effekte feststellen kann, Kräuter und so was können natürlich eine Wirkung haben, aber das allermeiste andere ist halt einfach Quatsch und ist halt Quacksalberei, die es auch schon immer gab und die einfach gefährlich ist. Also wenn jemand behauptet, ich habe hier einen Wundertrank, der heilt dich, und der heilt aber nicht, sondern im besten Fall schadet der nicht, dann ist das doch ein Problem.
E: Aber du mischst dauernd Sachen durcheinander jetzt.
B: Nee, ihr mischt dauernd Sachen durcheinander.
E: Ja, aber du auch. Also auf der einen Seite hast du jetzt, und das teile ich ja total, dass du sagst, die Wissenschaft hält sich nicht an ihre eigenen Standards und müsste sich mal mehr hinterfragen, das hast du am Anfang noch anders postuliert, und ausgegangen bist du ja eigentlich davon, dass du gesagt hast, die Leute sollen keine Globulis nehmen. Oder sollen dir nicht sagen, dass das eine gute Idee sei, oder sollen zumindest deinem Kind keine geben. Und das sind ja aber zwei verschiedene Sachen. Weil Globulis zu nehmen oder überhaupt zu einem Homöopathen gehen finde ich jetzt nicht komplett irrational, weil da gute Sachen dabei sind, die in der Schulmedizin nicht da sind.
B: Ich hab das probiert tatsächlich sogar, also wir waren mit meinem Sohn die ersten Jahre bei einem Kinderarzt, der auch Homöopathie gemacht hat, und die Überlegung war tatsächlich so ein bisschen, naja der verschreibt nicht immer gleich Antibiotika, wie viele andere, und das ist vielleicht auch gar nicht schlecht, wenn der so ein bisschen so die Symptome sich genauer anguckt und so. Was ich in der Praxis erlebt habe, war aber nur – okay, das ist auch wieder nur ein Beispiel, ich will das jetzt gar nicht verabsolutieren – aber auch da, also der hat sich irgendwelche komischen Tabellen angeguckt, wo er sich irgendwelche Globulis ausgerechnet hat, und das war genauso mechanistisch wie alles andere auch. Wir haben natürlich immer das Zeug, was er ihm verschrieben hat, ihm gar nicht gegeben, weil das sowieso sinnlos ist …
A: Na, das ist natürlich die richtige Haltung, um an die Sache ranzugehen!
B: Wir haben den so genommen, wenn er was Richtiges verschreibt, dann ist es was Ernstes, dann muss er das auch nehmen, wenn er Globuli verschreibt, dann ist es okay, er heilt sich selber, regt euch nicht so auf. Und ich dachte, das ist eine ganz sinnvolle Herangehensweise, aber meine Erfahrung da zeigt, dass das auch nicht funktioniert, das ist einfach nur …
E: Ja gut, aufgrund von Einzelerfahrungen kannst du ja jetzt so nicht diskutieren.
B: Ach ja, das geht auf einmal nicht mehr, bei der anderen Seite ist das immer erlaubt, Einzelerfahrungen anzubringen.
A: Du musst ja dein Kind nicht zum Globulisten schicken, ich war überhaupt noch nie bei einem.
E: Ich hab total tolle Erfahrungen mit dieser Heilpraktikerin gemacht, das war so eine moderne Hexe, die war super. Die hat nur sehr viel Geld genommen immer. Aber das hat ja meine Mutter bezahlt, weil die daran glaubt und deswegen wollte, dass ich da unbedingt hingehe.
A: Ja. Und es hat ja nicht geschadet, siehste.
B: Wer weiß?
A: Ich kriege das ja manchmal mit bei diesen Diskussionen über Gott, da kriege ich ja auch immer die Irrationalität vorgeworfen. Aber es ist einfach so, ich glaube, es gibt Erkenntnisebenen, wo Naturwissenschaft einfach die falsche Art ist, da heranzugehen, wenn man sie verstehen will. Du musst sie natürlich nicht verstehen wollen.
B: Es gibt doch noch was zwischen Naturwissenschaft und Hexerei. Tschuldigung, also …
A: Ja, aber du musst versuchen, das zu verstehen, und zwar nicht mit naturwissenschaftlichen Kriterien. Möglicherweise gibt es das.
B: Ja, das schließe ich doch überhaupt nicht aus.
E: Das sind doch unterschiedliche Sachen, oder? Das eine ist Menschen verstehen …
B: Also ihr stellt mich in eine Ecke gerade, das finde ich ziemlich fies, ich würde die ganze Welt mit Naturwissenschaft erklären wollen. Das habe ich nie behauptet.
A: Du hast zum Beispiel gesagt, wenn jemand erzählt, bei mir zu Hause in Ghana gibt es Magie, da war dann deine Reaktion drauf, ja die Sachen hat man naturwissenschaftlich untersucht und sie funktionieren nicht. Und das ist aber die falsche Herangehensweise…
B: Nee, finde ich nicht! Weil die Naturwissenschaft hat einen Bereich, in dem sie in der Lage ist, Aussagen zu machen. Und zwar alles, wo man draufgucken kann, Experimente machen kann und so weiter, da gibt es dann sicherlich auch noch das ein oder andere Problem, aber im Großen und Ganzen funktioniert es. Auch rein vom Pragmatischen, was man sieht, da oben fliegt ein Flugzeug gerade, ja, das würde sonst nicht fliegen, wenn Leute nicht mal Experimente gemacht hätten. Und Leute, die in diesem Bereich sagen – also die nicht sagen, okay, wir haben ein gesellschaftliches Problem, das wir lösen müssen, wie machen wir das, in dem Bereich gibt’s ganz viele Sachen, über die man reden kann, auch da gibt’s Kriterien, die man anlegen kann – aber jemand, der sagt, ich kann Berge versetzen, ich kann Tote wieder erwecken und so weiter, das ist einfach überprüfbarer Quatsch.
E: Ich muss euch mal kurz verlassen.
A: Ja, ich glaube, wir werden auch das hier nicht mehr zu Ende diskutieren. Das ist die falsche … Also ich denk dann immer an die Leute, die mir sagen, aber Gott gibt es doch nicht. Ich kann ja diese Systeme auch nicht verstehen. Ich kann jetzt ja nicht sagen, wenn mir da einer erzählt, bei mir im Dorf gibt’s einen Zauberer und da geht man immer hin, da kann ich nicht sagen, ich würde das verstehen. Aber ich würde auch nie sagen, das ist Quatsch, weil die Naturwissenschaft hat gezeigt, dass es keine Zauberer gibt. Ich denk dann eben immer als Beispiel da dran, wenn ich sage, zum Beispiel wenn ein gutes Gespräch geführt wurde, dann sage ich, das war jetzt der heilige Geist. Und dann sagen Leute zu mir, der heilige Geist existiert gar nicht. Dann weiß ich nur, die haben jetzt nicht verstanden, was ich sagen wollte. Und ich glaube, dass dieser Versuch, Sachen naturwissenschaftlich zu erklären, die nicht gemeint sind, naturwissenschaftlich erklärt zu werden, einfach ein Aneinandervorbeireden ist, und auch wenn wir das jetzt zum Beispiel schon versuchen zu rationalisieren, die Homöopathie wirkt als Placebo, oder wirkt als Reaktion auf ein Defizit der Schulmedizin und so weiter, dann ist das ja auch schon wieder der Versuch, das zu rationalisieren. Das kann man auch machen, das versuche ich ja beim Reden über Gott, aber man findet da nicht den Punkt. Und tja, ganz ehrlich, die Rationalität ist weltweit auf dem Rückzug.
B: Ja, das ist schlimm! Das ist genau der Punkt!
A: Aber dadurch, dass man schreit, das ist schlimm, das ist schlimm, wird man diesen Rückzug ja nicht aufhalten.
B: Weiß ich nicht.
A: Und je fundamentalistischer die Naturwissenschaftleristen sind …
B: Das ist eben genau kein Fundamentalismus. Der Vorwurf allein, der ist fundamentalistisch. Tschuldigung. Jeder ernstzunehmende Wissenschaftler ist jederzeit bereit, wissenschaftliche Erkenntnisse infrage zu stellen. Und das genau ist der Unterschied.
A: Nur mit seinen eigenen wissenschaftlichen Methoden.
B: Überprüfbar.
A: Ja, das ist ja die naturwissenschaftliche …
B: Ja, wenn jemand einfach nur behauptet, das ist halt Magie, und du hast nicht Recht, dann ist das halt …
A: Das ist doch reine Polemik!
E: Nach der Definition sind ja 90 Prozent aller Wissenschaftler_innen dann nicht ernst zu nehmen. Also niemand von denen, das ist doch auch nur so ein Machtding, das nervt mich auch total. Niemand von denen ist wirklich bereit, die eigenen Positionen zu revidieren.
B: Wie gesagt, die ganze Wissenschaftskritik des 20. Jahrhunderts gerne genommen, das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass es umschlägt in irgendwas, was antiaufklärerisch ist, was gefährlich ist meiner Meinung nach, weil es auch Diskussionen unmöglich macht, weil es Politik unmöglich macht in letzter Instanz …
A: Nein, Politik ist immer möglich. Natürlich nicht, wenn man sozusagen …
B: Ja, Machtpolitik. Aber die Politik, von der du redest immer, die ist genau nicht mehr möglich, wenn die Leute einfach in ihrem Wolkenkuckucksheim hängen und nicht mehr miteinander reden können.
A: Du behauptest ja nur, alle, die sich nicht der wissenschaftlichen Methode unterwerfen, haben …
B: Was heißt denn unterwerfen?
A: Ja, unterwerfen, das ist das, was du verlangst.
B: Nein! Tschuldigung, das ist polemisch.
A: Doch, du sagst, wenn ich Magie praktiziere, muss ich zulassen, dass ein Naturwissenschaftler kommt und einen wissenschaftlichen Versuch macht, um zu überprüfen, ob meine Magie funktioniert.
B: Muss ich natürlich nicht, er kann ja machen, was er will, aber ich muss ihn halt nicht mehr ernst nehmen.
A: Also sagst du, wenn ich will, nehmen wir mal an, ich wäre die Magierin, wenn ich von dir ernstgenommen werden will, muss ich mich deiner naturwissenschaftlichen Methode zunächst einmal unterwerfen. Sonst nimmst du mich nicht ernst.
B: Was heißt denn unterwerfen? Ich möchte, wenn jemand eine Behauptung aufstellt, möchte ich in der Lage sein, sie zu überprüfen. Das ist erst mal alles. Und wenn sich jemand dem verweigert, dann verweigert er sich jeder Diskussion.
A: Nein. Wenn ich sage, Gott liebt mich, und dann sagst du, beweis das mal naturwissenschaftlich, dann verweigerst du dich ja.
B: Da würde ich ja jederzeit sagen, meinetwegen, kannst du behaupten, ist jetzt kein Problem. Weil das ist ja eine Behauptung, die nicht überprüfbar ist. Aber es gibt eben Behauptungen, die sind überprüfbar, und Leute, die sich dann weigern, diese Überprüfung zur Kenntnis zu nehmen und weiter darauf beharren, dass Homöopathie mehr als nur Placebo-Effekt ist, die kann ich nicht mehr ernst nehmen.
A: Ich glaube tatsächlich, so kommen wir nicht mehr weiter. Ich les bis zum nächsten Mal „Wider den Methodenzwang“ von Paul Feyerabend, der kann das viel besser erklären. Wir drehen uns jetzt im Kreis. Aber das Buch empfehl ich dir auch sehr.
E: Vielleicht auch mal gucken, wo das Sinn macht, was zu überprüfen, und wo es Sinn macht, was zu verstehen.
A: Ja genau. Das ist ein toller Satz. Das schreib ich mir gerade auf. Das ist toll.
B: Wie kann ich denn was verstehen…
E: Ich hab jetzt ne Wahrheit gesagt, guck mal.
A: Ja.
B: Was meinst du dann mit verstehen in dem Satz? Also, das ist ja auch erst mal nur ein Wort. Was genau ist dann verstehen?
E: Naja, verstehen ist was, was zwischen Menschen passiert, so erst mal. Also du sagst ja, ich komm dann mit meiner Methode, keine Ahnung, mit meinem Lineal und mess das aus, und das ist manchmal, glaube ich, sinnvoll, aber in so einer Diskussion, wo Leute verschiedene Methoden für den gleichen Zweck haben wollen, ist es unter Umständen dringender, die Position erst mal richtig zu verstehen. Und wenn ich von Anfang an sage, das ist Blödsinn, was du da sagst, dann kann ich es nicht verstehen.
B: Aber das, was die Homöopathen doch machen, ist doch, die stellen eine Behauptung auf: Das wirkt. Und sie stellen sich aber nicht der Tatsache, dass es einfach nicht wirkt. Das ignorieren die einfach, ja.
A: Das können wir jetzt nicht wirklich diskutieren, weil wir niemanden haben, der wirklich Homöopath ist. Wir sind ja nur so Hobby- …
E: Sympathisanten.
A: Ja, also wir haben ja keine Ahnung davon. Genauso wie wir nicht wirklich über Magie reden können, weil wir keine Magierinnen hier sitzen haben. Von daher sind wir ja alle ein bisschen im selben Boot, aber ich bleib dabei: Du bist der Meinung, dass wer sich nicht deiner Methode oder Erkenntnis unterwirft, nicht ein würdiger Gesprächspartner von dir ist, und das finde ich problematisch. Und das kann man aber schlecht ausfechten, weil wir ja letzten Endes beide dieselbe Erkenntnismethode anwenden wie du sie anwendest. Wir sind nur nicht der Meinung, dass sie die einzig mögliche ist.
B: Entschuldigung, ich werde richtig sauer gerade. Weil du stellst mich dauernd in eine Ecke, in der ich nicht bin. Ich habe nie behauptet, dass die naturwissenschaftliche Methode die einzige der Erkenntnis ist. Ich hab nur gesagt, dass in bestimmten Bereichen – Physik, Chemie und so weiter, also in relativ eingeschränkten Bereichen –, dass da Aussagen möglich sind, und dass die von Leuten infrage gestellt werden, und dass die sich dann diesen Aussagen stellen müssen, weil die überlegen sind, in diesem Bereich, in diesem eingeschränkten naturwissenschaftlichen Bereich ist die naturwissenschaftliche Methode konkurrenzlos. Und so was wie Magie und so, das kann man behaupten, dann muss es halt überprüft werden …
A: Ja, aber das ist doch das, das unterstelle ich dir doch nicht, du sagst es doch. Wenn jemand behauptet, Magie zu machen, dann muss es überprüft werden.
B: Ja natürlich!
A: Ja, das meinte ich aber.
B: Aber deswegen sag ich doch nicht, dass alle Erkenntnis nur naturwissenschaftlich möglich ist.
A: Aber es geht um genau diese Erkenntnisse, wo Leute was behaupten, wo deine naturwissenschaftliche Methode zu einem anderen Ergebnis kommt. Das ist der Punkt.
E: Und das aber auch nicht der Kernbereich von Naturwissenschaft ist.
B: Natürlich. Wenn jemand behauptet, er erweckt einen Toten zum Leben, wenn der wirklich vorher tot war und hinterher wirklich lebt, dann wäre das sehr interessant, diese Methode zu kennen, die würden wir gerne alle haben. Aber einfach nur die Behauptung als solche ist eine Rieseneffekthascherei und gefährlich, richtig gefährlich.
A: Ja, vielleicht lassen wir es dabei. Wenn wir es nicht dabei lassen, können wir über Tabus reden. Viele dieser magischen Kulturen kennen Tabus. Und die werden von den Naturwissenschaftlern nicht akzeptiert, weil es keine vernünftigen Begründungen gibt für das Tabu. Weil da ist es nicht eine positive Behauptung, ich kann zaubern und Tote zum Leben erwecken, sondern das Tabu bedeutet, man darf irgendetwas nicht tun. Und da waren ja viele Konflikte vor allen Dingen drum, dass aus der naturwissenschaftlichen Sicht gesagt wurde, dieses Tabu ist Quatsch, da gibt’s keine vernünftige Erklärung für, wir dürfen das alles. Also so, ja.
B: Das ist doch jetzt ein ganz anderes Thema.
A: Nein. Also weiß ich nicht, das fiel mit jetzt ein, ob sozusagen diese …
B: Das ist doch ein gesellschaftliches Thema. In dem Moment, wo jemand ein Tabu in seiner Gesellschaft hat, und ich halt herkomme und sag, nee, ich hab das nicht, und deswegen setze ich mich einfach drüber weg, dann ist das natürlich respektlos und was weiß ich alles. Da gibt’s natürlich viele Argumente dagegen, das nicht zu tun, aber das hat doch nichts damit zu tun, dass grundsätzlich, wenn ich hingehen würde, nur mal als Gedankenexperiment, das Tabu verletze, und ich dann nicht vom Blitz getroffen werde, dass das trotzdem einen Erkenntniswert hat.
A: Ja, aber das ist halt eine banale Erkenntnis.
B: Nee, wieso?
A: Na, weil es auf einer anderen Ebene diskutiert ist.
B: Das ist genau auf der Ebene diskutiert, auf der es behauptet wird. Das Tabu sagt, wenn du auf diesen Berg gehst, wird dich er Blitz treffen oder deine Verwandten werden verflucht bis ins dritte Glied oder was auch immer.
A: Ja, aber das hat doch nur den Zweck, na, ich weiß es nicht. Das kann doch auch zum Beispiel als Metapher gemeint sein, um zu zeigen, wie schrecklich schlimm es ist. Das ist doch eine Interpretation, das als …
B: Das ist ja auch okay, dagegen hab ich gar nichts. Wenn ich sage, als Metapher kannst du das meinen, aber wirklich ist es nicht wahr, dann wird der Typ mir sagen, nee, es ist aber wirklich wahr.
A: Ja, weil das für ihn auch wirklich wahr ist. Weil er nicht die wissenschaftliche Methode zur Feststellung von Wahrheit zugrunde legt. Du willst sozusagen die Leute dazu zwingen, das, was sie sagen, als Märchen zu titulieren, das sie ja gerne aus folkloristischen Gründen glauben können, aber die wirkliche Wahrheit, die ist bei dir.
B: In bestimmten Bereichen sehe ich das so, ja.
A: Ja, dann sind wir uns ja immerhin darüber einig.
B: Agree to disagree.
A: Sollen wir es dabei bewenden lassen?
E: Wir haben jetzt schon ganz schön lang auf jeden Fall.
A: Wir haben jetzt schon ganz schön lang.
B: Du wolltest doch auch noch an den Badesee.
A: Ich will auch noch ins Schwimmbad, genau. Es war aber schön mit dir, Eva! Wenn du mal wieder in Frankfurt bist, melde dich.
E: Oha, gerne.
A: Auch wenn wir dann vielleicht Themen suchen sollten, wo wir nicht immer zwei zu eins sind.
E: Ja, das wird schwierig.
A: Okay, dann tschüss.
E: Tschüss.
B: Tschau.