Warum gibt es überhaupt noch Drecksarbeit?

Veröffentlicht in:  in: Hans Jörg Fehle, Andrea Langenbacher (Hg): Dass die Welt wohnlich für alle wird. Klartexte, Anfragen, Perpektiven Ina Praetorius zum 65. Geburtstag, Grünewald 2021.


Ich gebe es zu: Ich putze nicht gerne. Deshalb bin ich immer skeptisch gewesen gegenüber feministischen Versuchen, der sogenannten Drecksarbeit etwas Positives abzugewinnen.

Es stimmt natürlich, dass viel von der Verachtung und Abwertung dieser Arbeit auf eine symbolische (Un)-Ordnung zurückzuführen ist, die das Putzen, Waschen, Aufräumen, Unkrautjäten abgewertet hat. Dass es ein Problem ist, dass die traditionellen volkswirtschaftlichen Theorien sich auf einen kleinen, den geldvermittelten Teil der Wirtschaft beschränkt haben und damit den Löwenanteil der Ökonomie unsichtbar macht. Es stimmt wohl, dass in einem Paradigma, in dem der Grundsatz „Wirtschaft ist Care“ gilt, vieles anders wäre, sowohl was die materielle als auch die immaterielle Anerkennung dieser Tätigkeiten betrifft.

Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch in einer solchen Gesellschaft nicht allzu gerne putzen, waschen, aufräumen, Unkrautjäten und so weiter würde. Selbst mit feministisch gewendetem Bewusstsein machen mir diese Arbeiten keinen Spaß, und ich glaube nicht, dass das nur daran liegt, dass ich einer patriarchalen Indoktrination noch nicht vollständig entkommen bin. Meine ideale Welt ist, wenn ich ehrlich bin, nicht eine, in der Menschen mit Fröhlichkeit und Wertschätzung das erledigen, was wir heute als „Dreckarbeit“ bezeichnen, sondern eine, in der es diese Arbeiten gar nicht mehr gibt.

Warum ist es bei uns nicht längst so wie im Raumschiff Enterprise, wo ein Großteil der heutigen Drecksarbeit aufgrund von technologischen Erfindungen gar nicht mehr anfällt? Auf der Enterprise sind alle Oberflächen selbstreinigend, das Essen kommt fertig zubereitet aus einem Replikator. In das umgekehrte Pendant, den Desintegrator, stellt man anschließend die Reste und das dreckige Geschirr. Replikatoren beziehungsweise Desintegratoren funktionieren so, dass sie Materie in Moleküle zerlegen oder neu zusammensetzen. Das perfekte Recycling! Neue Rezepte kann man einfach hineinprogrammieren – als Information zur erwünschen Zusammensetzung der Gerichte. Auch jedes andere aus Materie bestehende Ding kann man mithilfe dieser Technologie „entsorgen“ (was für ein schönes Wort) oder herstellen. Replikatoren bedeuten, dass es weder Mangel noch Müll gibt.

Eine Illusion? Geht nicht? Naja, vielleicht. Aber wer hätte in den 1960er Jahren, als die Enterprise erstmals ins Fernsehen kam, geglaubt, dass wir nur vierzig Jahre tatsächlich alle mit iPads und mobilen Geräten herumlaufen würden, von denen wir ablesen, wie morgen das Wetter wird und was hinter der nächsten Kurve liegt? Was erfunden wird und was nicht, das hängt immer auch davon ab, woran man forscht, von welcher Utopie man sich leiten lässt. Und ich habe schon oft Leute gehört, die sagen, wie schön es wäre, wenn endlich jemand das Beamen erfinden würde. Nun, ich finde, Replikatoren wären wichtiger.

Ich schlage deshalb vor, auf dem Weg in eine postpatriarchale Freiheit noch einmal genauer darüber nachzudenken, ob Versuche, bestimmte Arbeiten mit Hilfe von Technologie in ihrer alltäglichen Notwendigkeit überflüssig zu machen, nicht doch eine größere Rolle in feministischen Care-Debatten spielen sollten. Um Missverständnisse zu vermeiden: Dieser Text ist kein Plädoyer für einen Kurswechsel in der feministischen Debatte zum Thema. Ich will nicht unsere Überlegungen zum inhärenten Wert der Carearbeit über den Haufen werfen. Ich will nur nicht bei ihnen stehen bleiben, sondern von diesen Erkenntnissen und Analysen ausgehend noch weitere Möglichkeiten suchen.

Eine der wesentlichen Erkenntnisse des feministischen Care-Diskurses in den vergangenen vierzig Jahren war die Verknüpfung von ökonomischen Theorien und gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Während die klassischen ökonomischen Theorien implizit von der Annahme eines geschlechtslosen (in Wahrheit aber freien, weißen, männlichen) homo oekonomicus ausgingen, thematisierten Feministinnen die Logiken der (nicht nur geschlechtsspezifischen) Arbeitsteilung: Unbezahlte und schlecht bezahlte Arbeit unterscheidet sich nicht nur entlang von Machtstrukturen, die etwa über den Staat oder den Privatbesitz an Produktionsmitteln wirken. Sie unterscheiden sich auch entlang von demografischen Kategorien, die Menschen in verschiedene „Sorten“ einteilen: entlang der Geschlechterdifferenz, aber auch in Form von rassistischen oder kulturimperialistischen Unterscheidungen, die dabei in aller Regel auch „intersektional“ miteinander verwoben sind. Das heißt, Arbeit wird Menschen nicht nur aufgrund ihrer tatsächlichen individuellen Fähigkeiten oder aufgrund ihrer sozialen Position im Rahmen ökonomischer Machtdynamiken zugeordnet, sondern auch aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft.

Diese Zuschreibungen gehen letzten Endes auf die reproduktive Differenz zurück und die Vorstellung, dass Menschen, die Kinder geboren haben, anschließend auch dafür zuständig sein sollen, sie zu versorgen und großzuziehen.[1] Diese Herleitung von Care-Verpflichtungen aus einer biologischen Tatsache macht es plausibel, auch in anderen Fällen bestimmten Menschen eine natürliche, quasi biologische Zuständigkeit für bestimmte Arbeiten zuzuschreiben.

Im Wesentlichen gingen unsere bisherigen feministischen Überlegungen von der Annahme aus, dass dieses hierarchische Konzept von Arbeitsteilung entlang demografischer Kriterien den Zweck hatte, dass sich die „oben“ angesiedelten Menschen (die „alten weißen Männer“ aus der heutigen Debatte) der Notwendigkeit entziehen können, diese Arbeiten selbst zu tun oder zumindest angemessen zu vergüten und in ihre Berechnungen einzukalkulieren: Wenn man behauptet, dass bestimmte Arbeiten „natürlicherweise“ in die Zuständigkeit von Frauen, von Kolonisierten, von irgendwie „Anderen“ fallen, dann ist das eine Legitimation dafür, diese Arbeiten in volkswirtschaftlichen Theorien und in der Politik nicht zu berücksichtigen. Feministische Ökonominnen haben im Detail analysiert, inwiefern die patriarchale, bürgerliche, eurozentrische Gesellschaft auf der unsichtbaren Grundlage von Patriarchat und Kolonialismus beruht, auf der (nicht mit eingechneten) Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Arbeitskraft „anderer“ Menschen. Kapitalismus funktioniert nur unter der Voraussetzung der Nicht-Anerkennung seiner (vermeintlich) „natürlichen“ Grundlagen.

Dieser Zusammenhang wird meist zugespitzt so beschrieben: Weil die weißen, bürgerlichen Männer diese Arbeiten nicht selbst tun wollten beziehungsweise von ihrer Unsichtbarmachung und Entwertung profitierten, deshalb werten sie sie ab und schieben sie bestimmten, als anders und inferior definierten Menschengruppen zu. Die These die ich mit diesem Text zur Diskussion stellen möchte, lautet, dass es vielleicht auch anders herum sein könnte: dass die weiße, bürgerliche Gesellschaft solche als „niedrig“ betrachteten Arbeiten braucht, damit sie durch die Zuweisung dieser Tätigkeiten an bestimmte Menschen einen Teil der Bevölkerung in einer untergeordneten sozialen Position halten kann. Das würde erklären, warum die Roboterisierung und Mechanisierung dieser Tätigkeiten bislang nicht konsequent vorangetrieben wird. Es würde auch erklären, warum weder der Aufstieg einiger ehemals Marginalisierter in die Kategorie der „Gleichen“ (wie zum Beispiel die Emanzipation weißer, bürgerlicher Frauen oder der kulturelle Aufstieg Schwarzer Akademiker*innen in die obere Mittelschicht) noch die Automatisierung von bestimmten Care-Arbeiten (etwa mit Erfindung der Waschmaschine oder von Haushalts-Elektrogeräten) das Problem aus der Welt schaffen konnten. Weder das Phänomen der „Anderen“ noch das der „Drecksarbeit“ ist nachhaltig weniger geworden.

In ihrem Artikel „Nicht der Rede wert[2] setzt sich Dorothee Markert bereits im November 2017 kritisch mit traditionellen feministischen Überlegungen bezüglich von Carearbeit auseinander. Wie viele von uns hatte auch sie lange die These vertreten, dass die mangelnde Wertschätzung für die Carearbeit der Grund dafür sei, dass sie so schlecht bezahlt, unsichtbar und unbeliebt ist. Die Forderungen, die wir ausgehend von dieser Analyse aufgestellt haben, sind größtenteils inzwischen im Mainstream angekommen: Viele würden inzwischen zustimmen, dass diese Arbeiten als gesellschaftlich notwendig und wichtig anzuerkennen sind, dass sie besser abgesichert und bezahlt werden müssen, dass das Gefälle zwischen verschiedenen Arten von angeblich wichtiger und erfüllender und angeblich unwichtiger und nicht erfüllender Arbeit abgebaut werden müsste. Die Corona-Krise hat noch einmal besonders eindrücklich die Widersprüchlichkeit einer Politik sichtbar gemacht, die einerseits die Bedeutung und „Systemrelevanz“ der Care-Arbeiten betont, andererseits aber im Fall einer Krise genau diesen Bereichen der Wirtschaft erneut am wenigsten staatliche und gesellschaftliche, materielle Unterstützung zukommen lässt.

Vor diesem theoretischen Hintergrund – also der Annahme, dass Care-Arbeiten keineswegs minderwertig und „Drecksarbeit“ sind, sondern im Gegenteil wichtig und bedeutend und infolgedessen auch wertgeschätzt und gut bezahlt sein müssen – wäre eine Arbeitsteilung in Bezug auf diese Arbeiten unproblematisch. Denn für die dann dafür zuständigen (oder zuständig erklärten) Menschen wären damit keine materiellen oder sozialen Nachteile mehr verbunden: Putzen, Waschen, Kochen, Aufräumen würde als Erwerbsarbeit wie jede andere auch angemessen bezahlt und gesellschaftlich anerkannt werden. Wäre es nicht schön, die Menschen könnten in Vielfalt je nach Begabung und Vorlieben wählen, welcher Art von Arbeit sie nachgehen möchten und welcher nicht?

Dorothee Markert stellt sich in ihrem Artikel allerdings ihren eigenen Erfahrungen, die dieses Modell in Frage stellen. Nachdem sie in den Ruhestand gegangen war, hatte sie im eigenen Haushalt vermehrt (auch für andere) diese Care-Arbeiten übernommen – Putzen, Waschen, Kochen, Aufräumen –, doch obwohl sie mit einem feministischen Bewusstsein über den Wert dieser Arbeiten an die Sache heranging, machte sie das auf eine gewisse Weise unglücklich. Sie empfand diese Tätigkeiten nicht gleichermaßen erfüllend wie zum Beispiel das Übersetzen eines Textes italienischer Philosophinnen ins Deutsche. Hätte also Hannah Arendt vielleicht doch recht mit ihrer Unterscheidung in der Vita Activa, wo sie menschliche Tätigkeiten in drei Kategorien aufteilt und die alltäglich wiederkehrenden Care-Arbeiten in die gewissermaßen „unterste“ Kategorie, nämlich das Arbeiten einordnet, nicht aber in die Kategorien Herstellen beziehungsweise Handeln?[3]

Arendt schlägt das Putzen, Kochen, Aufräumen und so weiter jenen Tätigkeiten zu, die am wenigsten mit dem Verfolgen menschlicher Projekte zu tun haben. Von feministischer Seite ist sie dafür viel kritisiert worden, und ich denke nach wie vor, dass diese Kritik teilweise berechtigt ist. Dass Kuchenbacken „Arbeit“ sein soll, weil der Kuchen beim Aufessen wieder verzehrt wird, das Bauen eines Stuhles aber „Herstellen“, erscheint nicht restlos plausibel, denn auch der Stuhl geht ja irgendwann kaputt, sein Verbrauch dauert nur länger als der des Kuchens. Aber in einer anderen Hinsicht ist vielleicht an Arendts Unterscheidung doch etwas Wahres dran. Was, wenn diese Arbeiten tatsächlich langweiliger, weniger befriedigend, redundanter und damit auch einfach unangenehmer wären als andere?

Markert nimmt in ihrem Artikel ihre Erfahrung (die, wie ich am Anfang des Artikels schrieb, eben auch meine und die vieler Menschen ist) ernst und kommt zu dem Schluss: „Während ich früher für eine Aufteilung von Care-Arbeiten nach Vorlieben plädiert habe, sehe ich nun die Gefahr, dass dabei wieder all die Tätigkeiten, die nicht der Rede wert sind, bei den einen Menschen und die interessanteren bei den anderen landen könnten. Ich denke, dass wir eine gleichmäßige und gerechte Beteiligung aller Menschen an den unerquicklichen, unsichtbaren und unbeliebtesten Care-Arbeiten anstreben sollten, um die Verbindung dieser Tätigkeiten mit einem Oben und Unten, mit Sich-bedienen-Lassen und (Be)Dienen aufzubrechen. Denn ich finde, dass es keinem Menschen zusteht, solche Tätigkeiten komplett zu verweigern, und dass es keinem Menschen zuzumuten ist, ausschließlich solche Arbeiten zu verrichten, bei denen sein oder ihr kreatives und sinnstiftendes Potential keine Chance auf Entfaltung hat. Auch dann nicht, wenn die Bezahlung dafür gut genug wäre, was bis jetzt kaum irgendwo der Fall ist. Ich denke, wir sollten zudem einen neuen Anlauf nehmen, um über weitere Möglichkeiten nachzudenken, möglichst viele dieser Tätigkeiten zu ‚vergesellschaften‘, mit all dem Wissen über Care-Arbeit im Gepäck, das wir inzwischen erarbeitet haben.“

Als ich Dorothees Artikel zum ersten Mal gelesen habe, war ich von ihrer Analyse ein bisschen peinlich berührt, ich fühlte mich gewissermaßen „erwischt“. Denn ich muss zugeben, dass zumindest ein Grund dafür, warum ich für mehr gesellschaftliche Anerkennung, Bezahlung, Wertschätzung dieser Arbeiten eintrete, tatsächlich auch darin begründet ist, diese Arbeiten mit gutem Gewissen delegieren zu können. Gleichzeitig möchte ich aber meinem Wunsch, von diesen Arbeiten „befreit“ zu werden, auch nicht vorschnell aufgeben, auch wenn ich einsehe, dass gute Bezahlung und materielle Absicherung keine Legitimation per se sind, um Care-Arbeiten, die man theoretisch selbst erledigen könnte, anderen zuzuweisen.

Aber warum nicht konsequenter auf Roboterisieren und Technisieren setzen? Warum machen wir uns nicht in Richtung „Raumschiff Enterprise“ auf, wo überhaupt kein Mensch mehr diese Arbeiten machen muss? Schließlich sind wir durch die Industrialisierung schon weit gekommen mit all den Staubsaugern, Elektroherden und so weiter. Oder, neuerdings, den Robot-Rasenmähern. Warum ging es in vielen Bereichen aber irgendwann nicht weiter? Man kann das traditionell mit Kapitalismus erklären – menschliche Arbeitskräfte sind billiger, deshalb lohnt es sich nicht, in diese Richtung zu forschen. Oder man kann es fortschrittkritisch erklären – manche Arbeiten lassen sich nicht automatisieren, und mit der Maschine wird es nie so gut wie wenn Mutti selbst es macht. Beides spielt sicherlich eine Rolle. Dass Kostenkalkulation in Bezug auf Profitabilität ein Faktor ist, liegt auf der Hand. Und auch die Technologiefeindlichkeit spielt sicher ebenfalls eine Rolle, denn sogar auf der Enterprise sagt in regelmäßigen Abständen irgendjemand, dass „natürliches“ Essen, also solches, das nicht aus dem Replikator kommt, sondern „wirklich aus der Natur“ ja doch besser schmecke.

Ich will also nicht in Abrede stellen, dass es viele Gründe geben mag, warum die Automatisierung der Drecksarbeit nicht weiter vorangekommen ist. Aber es gibt meiner Ansicht nach noch einen weiteren Faktor, der bisher kaum im Blick ist. Dorothee beginnt ihren Artikel mit dem Hinweis auf eine internationale Studie der US-amerikanischen Wissenschaftsakademie, die zu dem Ergebnis kam, dass Menschen mit ihrem Leben signifikant zufriedener sind, wenn sie andere Menschen dafür bezahlen, ihnen die Hausarbeit abzunehmen.[4] Dieses Ergebnis kann man einerseits so interpretieren, dass Menschen deshalb zufriedener sind, weil sie diese unangenehmen Arbeiten nun nicht selbst machen müssen. Aber es ist auch eine andere Erklärung denkbar: Dass Menschen es einfach genießen, wenn sie andere „unter sich“ haben, und dass genau das sie „zufrieden“ macht. Zumindest in einer Gesellschaft, in der Hierarchien, Rankings, Wettkämpfe, Kategorien von Besser und Schlechter allgegenwärtig sind und Kinder dies bereits in der Schule als Ordnungsprinzip lernen. Da ist es naheliegend, dass Menschen eine Befriedigung daraus ziehen, mit Menschen zu interagieren, die sozial unter ihnen stehen – so wie die von Reese Witherspoon verkörperte Figur der Elena Richardson aus der neuen Amazon-Prime-Miniserie „Little Fires Everywhere“.

Die Zufriedenheit derer, die Hausarbeit an andere gegen Bezahlung delegieren, muss also nicht notwendigerweise aus der Befreiung von bestimmten Tätigkeiten als solche abgeleitet werden. Sie kann auch aus der Befriedigung über die dadurch erlebte soziale Hierarchie resultieren, bei der man sich eben durch den Akt der Delegation „oben“ fühlen kann. Diese Dynamik könnte auch erklären, warum Rassismus als grundlegende Struktur weißer bürgerlicher Gesellschaften so persistent ist. In ihrem Buch „These Truths“ über die Geschichte der USA schildert die Historikerin Jill Lepore, wie prägend die Idee einer „White Supremacy“, also einer naturgegebenen Überlegenheit der „weißen Rasse“ für die Entwicklung der Vereinigten Staaten war.[5] Und auch die Netflix-Dokumentation „13th“ schildert eindrücklich, wie jede Verbesserung der sozialen und rechtlichen Stellung für Schwarze Menschen einen riesigen Backlash zur Folge hatte: Nach der Abschaffung der Sklaverei am Ende des Bürgerkriegs mit dem 13. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung folgte die Gründung der KuKluxKlan und die gesellschaftliche Apartheid der Jim Crow-Gesetze. Nach der Aufhebung der Segregation im Lauf der 1960er Jahre folgte die massenhafte Krimininalisierung vor allem Schwarzer (junger) Männer, von denen ein Drittel schon mal im Gefängnis war. Und nach der erfolgreichen Amtszeit des ersten Schwarzen Präsidenten bezog dann Donald Trump das Weiße Haus.

Der Wunsch, in einer Gesellschaft mit sozialen Hierarchien zu leben und selbst dabei „oben“ zu stehen – oder zumindest höher als andere – ist vermutlich stärker ausgeprägt, als wir es uns eingestehen mögen. Und dieser Wunsch ist nicht nur, wie klassische linke Theorien annehmen, von einer ökonomischen Notwendigkeit getrieben, sondern auch kultureller Art: Rassismus und Patriarchat sind nicht nur wirtschaftlich bequem für Weiße und Männer, sie sind auch identitätsstiftend und eine mögliche Form, reale gesellschaftliche Konflikte zu kanalisieren und damit nicht austragen zu müssen. Aus diesem Grund greifen auch die ent-persönlichten Lösungen, die die traditionellen linken Theorien in Bezug auf Care anbieten – vor allem die Überführung unbezahlter (Haus)Arbeit in bezahlte Care-Arbeits-Berufe – zu kurz. Es steht mehr auf dem Spiel als nur Geld.

In Gesellschaften, deren Traditionen auf Konzepten von Gleichheit und Gerechtigkeit gründen (das Christentum, die Menschenrechte) ist es schwer, soziale Hierarchien, die auf demografischen Zuschreibungen beruhen, aufrechtzuerhalten. Auch Rassisten sagen heute von sich, sie seien in Bezug auf Hautfarbe „farbenblind“, und selbst die größten Frauenhasser beginnen ihre Tiraden mit der Beteuerung, dass sie selbstverständlich für Emanzipation und Gleichberechtigung wären. Im Rahmen einer symbolischen Ordnung, in der Gleichheit als Gründungsmythos der eigenen „Zivilisation“ so stark verankert ist wie in der westlich-europäischen, müssen soziale Hierarchien gewisserweise einen Umweg nehmen. Die These, die ich hier zur Diskussion stellen möchte, ist, dass die Zuweisung bestimmter Arbeiten genau diese Funktion erfüllt, soziale Hierarchien zu markieren, aber quasi „geschlechtsneutral“ und „farbenblind“.

Ich denke, dass Dorothee Markert Recht hat, wenn sie im Anschluss an Hannah Arendt darauf hinweist, dass bestimmte repetitive Tätigkeiten tatsächlich inhärent langweilig und weniger interessant sind als andere, also eben wirklich „Drecksarbeit“. Genau deshalb eignen sie sich so gut dazu, soziale Hierarchien festzuklopfen. Solche Hierarchien machen sich nämlich nicht in erster Linie am Geld fest, das für eine bestimmte Arbeit bezahlt wird. Das sieht man zum Beispiel am breiten Spektrum von Kultur- und Medienschaffenden, die häufig ebenfalls für sehr wenig Geld oder ganz umsonst arbeiten, ohne dass damit aber eine soziale Abwertung ihrer Person einherginge. Kultur- und Medienschaffende ziehen eine intrinsische Befriedigung aus dem, was sie tun. Es wird nicht nur von ihnen selbst für sinnvoll erachtet, sondern auch von anderen und es erlaubt ihnen auch tatsächlich, einen Einfluss in der Welt auszuüben.

Schlechte Bezahlung macht eine Tätigkeit noch lange nicht zur „Drecksarbeit“, sehr wohl aber macht „Drecksarbeit“ diejenigen, die sie ausüben müssen (weil sie keine anderen Möglichkeiten haben, ihren Lebensunterhalt zu sichern), zu sozial niedriger gestellten Personen. Und möglicherweise ist genau diese Dynamik einer der Gründe, warum es solche Arbeiten heutzutage überhaupt noch gibt.


[1] Vgl. Antje Schrupp (2019) Schwangerwerdenkönnen, Ulrike Helmer Verlag, sowie dies. : „Care, Corona und eine Politik der Beziehungen“ in Beziehungsweise Weiterdenken, 5.4.2020 http://www.bzw-weiterdenken.de/2020/04/care-corona-und-eine-politik-der-beziehungen/

[2] Dorothee Markert: Nicht der Rede wert. In Beziehungsweise Weiterdenken, 28.22.2017.  http://www.bzw-weiterdenken.de/2017/11/nicht-der-rede-wert/

[3] Hannah Arendt (1981) Vita Activa oder Vom Tätigen Leben, Piper (Erstveröff. 1958).

[4] Ashley V. Whillans u.a.: Buying time promotes happiness, Juli 2017, https://www.pnas.org/content/114/32/8523.full

[5] Jill Lepore: Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, C.H. Beck, 2019.