Weil ich zur Buchmesse einer Mitarbeiterin des Passagen-Verlages eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert habe, wurde ich mit einem Büchlein beschenkt: Alain Badious „Lob der Liebe“.
Darin fand ich einen Gedanken, den ich interessant finde und hier festhalten will:
Was ist die Welt, wenn man sie zu zweit und nicht alleine erfährt? Was ist das für eine Welt, die ausgehend vom Unterschied und nicht von der Identität erforscht, praktiziert und gelebt wird? (S. 27).
Und weiter:
Denn sie und ich, wir sind Teil dieses einzigen Subjekts, dieses Liebessubjekts, das die Entfaltung der Welt durch das Prisma unseres Unterschieds sieht, sodass diese Welt sich ereignet und geboren wird, anstatt nur das zu sein, was meinen persönlichen Blick erfüllt. (S. 29).
Liebe ist also nicht eine „Verschmelzung“, ein „Einswerden“, aber auch nicht einfach nur eine Beziehung der Differenz zueinander, eine Art und Weise, sich zu einem oder einer Anderen in Beziehung zu setzen, sondern sie ist ein – wie Badiou es formuliert – „Wahrheitsverfahren“: Indem wir die Welt aus der Perspektive des Unterschieds betrachten und auf gewisse Weise damit hervorbringen, erkennen wir eine Wahrheit, die dem einzelnen Individuum, das die Welt nur aus seiner eigenen Perspektive betrachtet, verborgen bleibt.
Diesen Gedanken finde ich sehr wichtig (wobei Badiou meines Erachtens sich ziemlich deutlich aus dem Denken von Hannah Arendt bedient, die er aber nicht zitiert).
An einem anderen Punkt bin ich mit Badiou nicht einverstanden, und zwar dort, wo er darauf besteht, die Liebe klar von der Politik zu trennen. Sein Argument ist:
In der Liebe können eine Begegnung, eine Erklärung und eine Treue den absoluten Unterschied, der zwischen zwei Individuen besteht – immerhin einer der größten Unterschiede, die man sich vorstellen kann, weil es ein unendlicher Unterschied ist –, in eine schöpferische Existenz verwandeln. In der Politik kann nichts dergleichen mit den grundlegenden Widersprüchen geschehen. Das bedeutet, es gibt tatsächlich Erzfeinde. (S. 51f)
Und weiter:
Das politische Problem ist die Kontrolle des Hasses und nicht der Liebe. Der Hass ist eine Leidenschaft, die fast unvermeidlich die Frage des Feindes aufwirft. Wir werden also sagen: In der Politik, wo es Feinde gibt, ist die Kontrolle, ja die Beseitigung jeder Wirkung des Hasses eine der Aufgaben der Organisation, wie auch immer sie aussieht. (S. 60).
Das fand ich nun sehr verblüffend, weil Badiou hier bis in die Wortwahl hinein bestätigt, was Annarosa Buttarelli in ihrem Text „Souveräninnen“ (in dem Band von Diotima: Macht und Politik sind nicht dasselbe) schreibt. Sie bezieht sich dabei auf die Arbeiten von Nicole Loraux (La Cité divisée, Paris 1997), die die Entstehung der athenischen Demokratie untersucht hat: Sie sei ein Versuch gewesen, den Hass des Bürgerkrieges einzuhegen und vergessen zu machen:
Am Ursprung des demokratischen Zusammenlebens steht der Hass. (S. 178)
Buttarelli ist der Auffassung – und ich sehe das auch so – dass diese Herleitung der Demokratie aus dem Hass irrational ist und von Frauen nicht geteilt wird. Als Wurzel der Politik sieht sie vielmehr die „Liebe zur Realität“ – und interessanterweise benutzt sie an dieser Stelle genau jenes Wort, das laut Badiou (und man kann wohl sagen: Laut dem überwiegenden Teil der männlichen Theoretiker des Politischen) mit Politik eben gerade nicht vermengt werden darf: Liebe.
Möglicherweise hängt diese unterschiedliche Einschätzung auch noch mit einem anderen Punkt zusammen, nämlich Badious Ablehnung jeglichen Transzendenzbezugs:
Man muss zeigen, dass es in Wirklichkeit sicherlich eine universelle Macht der Liebe gibt, dass diese aber einfach unsere Möglichkeit ist, eine positive, bejahende und schöpferische Erfahrung des Unterschieds zu machen. Der Andere ja, aber ohne den „Ganz-Anderen“, ohne den „Großen Anderen“ der Transzendenz. (S. 57)
Tatsächlich bin ich der Ansicht, dass in dem Moment, wo Liebe nicht in einer Transzendenz verankert wird, sondern als rein innerweltliche „schöpferische Erfahrung“ gesehen wird, sie vielleicht tatsächlich nicht ausreicht, um im Bereich des Politischen eine relevante Rolle zu spielen.
Vielleicht können die Menschen, wenn sie auf sich selbst gestellt sind, tatsächlich nicht dem ewigen Kreislauf des Hasses entkommen, und vielleicht können sie dann nicht anders, als in politischen Gegnern „Feinde“ zu sehen, die man unmöglich lieben kann, sondern die man bekämpfen muss. Und vielleicht brauchen die Menschen (die Männer?) die demokratischen Strukturen tatsächlich vor allem deshalb, um zu verhindern, dass sie sich ständig gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Aber damit kann ich mich nicht zufrieden geben. Buttarelli schreibt:
Man müsste die Demokratie auf der Basis des Konfliktes neu gründen, ohne Blutvergießen und also auf der Basis der Zuneigung, der menschlichen Sensibilität. … Offensichtlich besteht das Problem auch in diesem Fall darin, das Wort „Konflikt“ für männliche Ohren quasi zu „entlauben“ oder ihm eine neue Bedeutung zu geben, denn sie haben es nur in seiner extremen Bedeutung gehört und gebraucht, nämlich der des brudermordenden Kampfes, den man mit dem Ziel führt, den anderen zu unterdrücken. (S. 180)