Von sich selbst ausgehen und die „anderen“

arbogast
Wir sind das: Ina Praetorius, Michaela Moser, Ursula Knecht, Andrea Trenkwalder-Egger (hinten), Caroline Krüger, ich, Dorothee Markert, Cornelia Roth und Anne Claire Mulder (vorne, jeweils von links nach rechts).

Ende August veranstalte ich, wie einige wohl schon mitbekommen haben, zusammen mit acht Freundinnen eine „Denkumenta“, einen Kongress zum Weiterdenken am ABC des guten Lebens. Ich habe die Organisation der Anmeldungen übernommen und stelle fest: Die dort hinkommen werden, sind alle ziemlich ähnlich wie wir selbst: Weiße Frauen zwischen 40 und 70. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel: Es sind auch einige Männer dabei, auch einige jüngere und einige ältere Frauen. Aber die meisten sind wie wir.

Überraschung? Nein, so ist das immer: Die demografische Zusammensetzung derjenigen, die etwas initiieren, spiegelt sich ziemlich genau in der demografischen Zusammensetzung derjenigen wieder, die sich für die initiierte Sache interessieren und daran beteiligen möchten.

So ist es ja nicht nur bei uns, sondern auch bei Wikipedia, um nur ein sehr offensichtliches Beispiel zu nennen 🙂

Als wir uns im März zur Progammplanung trafen, hat sich das schon abgezeichnet, denn auch diejenigen, die auf unseren „Call for Contributions“ geantwortet hatten und sich mit eigenen Beiträgen am Programm beteiligen, passen in unser demografisches Profil. Wir haben dann kurz darüber gesprochen, ob wir vielleicht aktiv gegensteuern sollten: Gezielt jüngere Frauen ansprechen? Männer ansprechen? Women/Men of Colour? Oder andere „andere“? Sollen wir versuchen, uns zu „diversifizieren“?

Schnell war uns klar, dass das Quatsch ist. Und zwar aus zwei Gründen.

Erstens sind wir durchaus „diversifiziert“. Wir sind religiös oder atheistisch, Heteras oder Lesben, haben mehr oder weniger Geld, sind Mütter oder nicht. Ganz abgesehen von den unterschiedlichen Meinungen, die uns viel Stoff zur Diskussion bieten. Es ist ein Fehler, zu glauben, Frauen zwischen 40 und 70 seien eine irgendwie homogene Gruppe.

Zweitens würde es ohnehin nicht funktionieren. Wir haben, indem wir bei der Vorbereitung von uns selbst ausgingen und dem, was uns interessiert, den Rahmen unweigerlich bereits abgesteckt. Wir können nicht von „anderen“ verlangen, dass sie sich für unsere Anliegen interessieren – wir können nur offen und einladend sein für diejenigen, die es von sich aus tun. Sie sind herzlich willkommen. Wir werden dafür sorgen, dass es auch für sie ein angenehmes und interessantes Treffen wird. Weil es uns ja ausgesprochen freut, wenn sich „andere“ für unsere Themen interessieren und den Austausch mit uns suchen.

Aber all das wird selbstverständlich nichts daran ändern, dass dieser Kongress einer sein wird, der von den Perspektiven, Interessen und Themen von „Leuten wie uns“ dominiert wird.

Wenn wir mit „anderen“ ins Gespräch und in Austausch kommen wollen, dann geht das nicht, indem wir sie dazu einzuladen, „bei uns mitzumachen“. Dann müsste die ganze Veranstaltung ganz von vorne anders geplant werden. Wir könnten dann nicht darauf warten, dass die „anderen“ zu uns kommen, sondern wir müssten zu ihnen gehen, Beziehungen aufbauen, uns für ihre Themen interessieren.

Daraus könnten sich dann neue Projekte und Initiativen entwickeln, die wir gemeinsam anstoßen, und von denen wir allein gar nicht wissen können, wie sie aussehen. Jedenfalls würden sie ganz anders aussehen, als das, was wir selbst uns vorstellen.

Vielleicht machen wir das später noch mal. Als Einzelne machen wir das schon jetzt, in diversen anderen Projekten.

Aber diesmal nicht, diesmal denken wir an unseren Themen weiter, ausgehend von uns selbst, in all unserer Unterschiedlichkeit. Und ohne uns einzubilden, wir wären der Nabel der Welt und unsere Erfahrungen und Ansichten der Maßstab für alle. Das ist der Schlüssel.

Ich schreibe das hier auf, weil es mir schon länger im Kopf herum geht, und weil ich mit der Frage: „Wie erreichen wir die anderen?“ sehr oft konfrontiert bin. Meistens fragen Leute: „Wie erreichen wir die Frauen?“ – Oft wird auch gefragt: „Wie erreichen wir die Jüngeren?“. Mein Rat ist: Vergesst es, ihr „erreicht“ sie nicht. Euer Vorhaben, das eigene Angebot für „andere“ attraktiv zu machen, ist zum Scheitern verurteilt. Weil schon die dahinter stehende Denkweise falsch ist.

Die „anderen“ – und das gilt, so behaupte ich, generell und ist auf alle möglichen Situationen anwendbar – sind keine „Zielgruppe“, die „erreicht“ werden muss, sondern sie sind ein Gegenüber. Wer mit ihnen den Austausch sucht, darf nicht versuchen, sie irgendwie „anzulocken“, sondern muss hingehen. Also nicht fragen: „Wie kann ich es erreichen, dass sie sich für mich interessieren?“ sondern fragen: „Interessiere ich mich denn überhaupt für sie? Und wenn ja: Warum gehe ich dann nicht zu ihren Veranstaltungen?“

Und beides schließt sich ja auch gar nicht aus. Man kann an dem einen Wochenende das Eigene machen (was Offenheit für „andere“, die sich dafür interessieren, meiner Ansicht nach sowieso beinhalten sollte), und an dem anderen Wochenende sucht man den Austausch mit anderen, die aus anderen Kontexten kommen und andere Themen haben.

Wobei das Ereignis, das wirklich „alle“ umfasst, vermutlich erst noch erfunden werden muss. Und wahrscheinlich auch ziemlich langweilig wäre. Wichtig ist nämlich nicht, nach Universalität zu streben, sondern sich in jeder gegebenen Situation der eigenen Position und Perspektive bewusst zu sein. Und nicht den Anspruch zu erheben, für andere zu sprechen.

PS:
Wenn Ihr zur Denkumenta kommen wollt, ein paar Plätze sind noch frei.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

8 Gedanken zu “Von sich selbst ausgehen und die „anderen“

  1. Hi Antje, ich kann Deine Argumentation absolut nachvollziehen und finde sie durchgehend richtig. Jetzt kommt das Aber: Wäre das nicht auch eine Top-Argumentation für Veranstalter von Konferenzen, auf denen zu wenig Frauen sprechen?

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  2. @Pong Paarka – Ja, wäre es. allerdings müssten sie dann auch verstehen, dass sie nur die männliche Sicht auf das Thema vertreten, dass sie also keine Konferenz machen, die für alle relevant ist. Und dass sie sich über weibliches Desinteresse nicht wundern müssen. Sie haben eben keine Allgemeingültigkeit. Leider ist das nicht der Fall, vor allem in den Medien werden Männerveranstaltungen regelmäßig als allgemeine Veranstaltungen dargestellt und nur gefragt, was mit den Frauen falsch ist,dass sie das nicht ebenso toll finden.

    Das betrifft auch zum Beispiel die Förderung. Eine privat finanzierte Konferenz (so wie unsere) braucht keine ausgewogene Zusammensetzung. Wer dafür öffentliche Gelder bekommt, schon (jedenfalls unterm Strich, nicht bei jeder einzelnen Veranstaltung). Ebenso wenn der Veranstalter ein öffentlich geförderte Organisation ist, also Parteien, ARD, Unis usw.

    Deshalb bin ich auch nicht so sehr für Quoten als vielmehr für Gender Budgeting, dass also bei allen öffentlichen Geldern nachgewiesen werden muss, dass sie Frauen und Männern gleichermaßen zugute kommen.

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  3. Liebe Antje,
    ich bin da nicht klar. Einerseits leuchtet mir Deine Sichtweise ein, andererseits habe ein intensives Gefühl, jetzt sei es dringend dran, in Beziehung zu jüngeren Frauen zu treten, die interessiert sein könnten, ebenso zu Männern, die interessiert sein könnten. Mein Eindruck ist, dass unnötige Vorurteile im Spiel sind zwischen jüngeren und älteren feministischen und postpatriarchalen Frauen und auf andere Weise auch zwischen Frauen und Männern hier im Land, insbesondere älteren Jahrgangs. So dass bei Überschreiten der Vorurteile die Karten anders gemischt werden und ganz neue Differenzen und Fragen entstehen. Und dass dafür die Zeit jetzt allmählich dran ist, nicht grundsätzlich und immer. Im Gespräch mit Frauen und Männern of colour ist die Notwendigkeit zwar fast größer, aber da kommt es mir komplizierter vor, müsste sich die Begegnung mehr ergeben.
    Herzlich Cornelia

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  4. @Cornelia – Was spricht denn dagegen, mit jüngeren Frauen oder mit Männern in Beziehung zu treten? Dagegen richtet sich mein Post doch gar nicht. Was ich sagen wollte, ist: Wenn man mit „anderen“ in Beziehung treten will, dann funktioniert das nicht so, dass man selbst ein Programm ausarbeitet und die anderen dann zur Teilnahme „einlädt“. Sondern dann muss man die Aktionen gleich vonvornehein gemeinsam planen.

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  5. Da gebe ich Dir völlig recht. Mein Thema ist das „in Beziehung treten“ – und wie es dazu kommen kann. Und zum miteinander Sprechen durch vorgefertigte Meinungen vom Andern und durch kulturelle Barrieren hindurch.

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  6. Manchmal gelingt das „in Beziehung treten“ durch Poesie (Gedicht/Betrachtung)-Objekte,Musik-Sozialem.Auf dem Campingplatz beim Zelten-Wohnmobile,das Wohnen auf dem Campingplatz beobachten und betrachten.Den Menschen dahinter hervorheben,herauslocken,wertschätzen,hinsetzen,einladen,in Gespräch kommen,Möglichkeiten und das Gute sehen,Wahrnehmen,beim sich Verabschieden dabei sein….Den Platz-Besitzer als Glied in der Kette nicht vergessen,auch er oder sie hat eine Lebensgeschichte und ist nicht nur Dienstleister und Abfalleimer.Uebrigens,wir waren die ältesten (Frauen) mit Zelt auf dem Platz und hatten nur das nötigste dabei für 9 Tagen.Normalerweise haben in unserem Alter viele ein Wohnmobil mit Reiseerfahrungen.

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