Nachdem es jetzt rum ist, auch noch meine 3 Cent zu Alice Schwarzer. Die Erzählung ging ja hauptsächlich darum, ob man ihr dankbar sein soll oder nicht. Die einen sagen aus bekannten Gründen Ja, die anderen aus ebenso bekannten Gründen nein. Oder, als Kompromiss: Was sie früher gemacht hat, war gut, dann wurde es schlecht. Oder, wenn man eine Kontinuität sucht: Sie war eine persönlich schwierige Frau, man konnte schwer mit ihr zusammenarbeiten. Ich würde es ja besser gefunden haben, wenn man sich inhaltlich mit ihren Positionen auseinandergesetzt hätte. Denn die Frage ist doch nicht, ob man ihr dankbar ist oder nicht, sondern ob – wo und wo nicht – man mit ihr übereinstimmt. Für mich kann ich sagen, dass ich als junge Frau am Anfang meiner feministischen Politisierung (mit Anfang 20, also Mitte der 1980er) von Alice Schwarzer gelernt habe, die krasse patriarchale Struktur unserer Kultur zu sehen. Das Ausmaß zu erkennen, in dem die Welt männlich dominiert ist,
Früher und noch früher
Spanien: Anarchismus nach der Diktatur
Als 1975 der spanische Diktator Francisco Franco starb, bedeutete das das Ende einer langen Ära, in der jegliche linke Opposition illegal gewesen war. Folterungen, politische Morde und Repression hatten vier Jahrzehnte lange nicht nur jede politische Kritik, sondern auch jeden Ausdruck persönlicher Freiheit, Feminismus, Homosexualität, Queerness jeder Art unmöglich gemacht. Ein Dokumentarfilm von Luis E. Herrero zeigt jetzt die Aufbruchstimmung jener ersten Jahre. Im Mittelpunkt steht dabei die anarchistische Gewerkschaft CNT (Confederacion Nacional del Trabajo), die für eine kurze Zeit lang „in Mode“ kam und Hunderttausende hinter sich versammelte. Zu sehen sind Originalaufnahmen ihrer Kongresse und Treffen und Interviews mit damaligen Aktivist*innen. Dabei wird spürbar, wie schwierig es war, zwei verschiedene Gruppierungen miteinander ins Gespräch zu bringen: Die alten Kämpferinnen, die noch den spanischen Bürgerkrieg erlebt hatten, und eine neue Generation junger Menschen, die von den Ideen und Ausdrucksformen der Flower-Power und Studentinnenbewegungen der „68er“ inspiriert waren. Ich fand allerdings beim Anschauen des Films, dass gerade diese Kombination einen gewissen
Gab es in der Steinzeit schon Frauen und Männer?
Heute sah ich diese interessante Arte-Dokumentation mit dem etwas merkwürdigen Titel „Geschlechterkonflikt – Frauenbilder der Geschichte“: Sehr empfehlenswert, schaut sie euch dieser Tage an, sie ist nur noch bis zum 5. April in der Mediathek verfügbar! Es geht dabei um neue archäologische Erkenntnisse über die Geschlechterverhältnisse in der Steinzeit und im Neolithikum. Im 19. Jahrhundert haben ja bekanntlich bürgerliche männliche Forscher aus Europa mehr oder weniger alle Funde aus früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden (Höhlenmalereien, Grabbeigaben, Figurinen und so weiter) durch die Brille ihrer eigenen normativen Geschlechterordnung interpretiert. Ein Skelett mit Waffe im Grab musste männlich sein, weil Frauen tragen ja keine Waffen. Feministische Kritikerinnen haben schon seit den 1970er Jahren diesen unwissenschaftlichen Blick kritisiert, und inzwischen lässt auch wissenschaftlich beweisen, dass die Wahrheit ganz anders aussah: Die Person in dem prächtigen Wikingergrab war eine Frau, viele Höhlenmalereien stammen von Frauen und so weiter. Generell scheint in der Steinzeit „Geschlechteregalität“ geherrscht zu haben: Frauen und Männer haben dasselbe gegessen, wurden in
Rue Virginie Barbet in Genf
Aus Genf wurde mir gerade folgendes Foto zugeschickt: Dort gibt es jetzt eine Rue Virginie Barbet! – Die Benennung erfolgte im Rahmen der Aktion 100elles.ch, bei der 100 Straßen in Genf nach Frauen benannt wurden! Virginie Barbet war eine der vier Frauen in der Ersten Internationale, über die ich 1999 meine Dissertation geschrieben habe. Das Kapitel über sie wurde später von einem kleinen anarchistischen Verlag ins Französische übersetzt und als Büchlein herausgebracht, und dieses wiederum wird jetzt in dem Begleittext zur Aktion 100elles.ch als Quelle angegeben. Nun sage noch jemand, wissenschaftliches Arbeiten wäre „nur akademisch“, ha! Update: Gerade ruft mir auf Twitter jemand zu, dass die Aktion nur temporär ist und die Schilder im Juni 2020 wieder ab kommen. Wie blöd ist das denn! Virginie Barbet auf der Seite 100elles Ein Text von mir über Virginie Barbet
Die zornigen Töchter Berlins
Wer immer etwas über die Frauenbewegung in Berlin (aber eigentlich auch darüber hinaus in ganz Deutschland) wissen will, sollte sich dieses Buch besorgen. Annett Gröschner hat mit viel Aufmerksamkeit fürs Detail die Geschichte aufgeschrieben, von der preußischen Berlinerin (beginnend bei der Ersten Frauenbewegung), über die Westberlinerin und die Ostberlinerin bis zur Hauptstädter*in nach 1989. Dabei schafft sie eine gute Balance aus Darstellung der Fakten (vieler, vieler Fakten) und deren Interpretation und Einordnung in einer größere Erzählung und den Kontext der jeweiligen zeitgenössischen Debatten. Besonders interessant sind auch die vielen O-Töne von Protagonistinnen, die ihre Sicht der Dinge erzählen. Sehr wohltuend und sehr notwendig in Zeiten, wo Feminismus wieder En Vogue ist, gerade auch bei jüngeren Frauen, die Darstellung der Geschichte der Frauenbewegung aber oft holzschnittartig auf wenige Big Names und Big Dates reduziert wird. Unbedingt lesenswert! Und keinesfalls nur für Berlinerinnen! Und ganz groß auch die zahlreichen Abbildungen von zeithistorischen Plakaten und Flyern… (Disclaimer: Im letzten Kapitel wird ab und
„Das Hauptproblem besteht natürlich darin, dass erfolgreiche Revolutionen so selten sind“
Gelesen: Den kürzlich erst veröffentlichten Text „Die Freiheit, frei zu sein“ von Hannah Arendt, der wohl um 1966 oder 1967 entstand. Sie schreibt darin über Revolutionen und die Frage, was und wer sie warum macht. Dabei wählt sie auffällig oft – eigentlich dauernd – die Formulierung: „Die Männer der Revolution“. Die Französische Revolution, schreibt Arendt, scheiterte, weil die „Männer der Revolution“ mit der Idee von der Gleichheit aller Menschen sehr viel mehr eingeläutet hatten als nur, wie sie dachten, einen Wandel der Regierungsform. Die Frauen mit ihrem Marsch auf Versaille (le peuple) hätten vielmehr sichtbar gemacht, dass Freiheit nur möglich ist, wenn Menschen auch die Freiheit haben, frei zu sein. Oders anders: Es reicht nicht, keine Furcht (vor denen da oben) zu haben, man braucht auch was zum Essen. Damit hoben die Frauen, le peuple, die Idee der Revolution auf ein neues Level: auf das der sozialen Verhältnisse. Die Französische Revolution ist an der Größe dieser Aufgabe gescheitert, aber die
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Beziehungsweise Revolution – müsst ihr lesen!
Was ist mit der Revolution? Gibt es die noch, oder ist das Projekt abgesagt? Was ist zu beachten, wenn man sich im politischen Engagement nicht von der Idee verabschieden möchte, es könnte auch einmal eine grundsätzliche Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse geben, die zu mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr… Ja, die Sache mit der Brüderlichkeit. Die wurde doch sehr vernachlässigt. Tonnen von Büchern sind geschrieben worden, die sich umfassend mit den Fragen der Freiheit oder der Gleichheit oder von beidem in ihrem Wechselverhältnis beschäftigen. Aber keine über die Brüderlichkeit. Die Brüderlichkeit spielt in linker Theorie keine Rolle. Es ist fast lustig, aber eigentlich auch naheliegend, dass ausgerechnet eine Feministin jetzt den Anfang macht, um diese Lücke zu schließen. Schließlich hat sich der Feminismus mit Beziehungen und „Beziehungsweisen“ ausgiebigst beschäftigt, aber das aus naheliegenden Gründen nicht unter der Überschrift „Brüderlichkeit“. Und damit eben auch nicht unter der Überschrift der Revolution. Adamczaks These ist, dass alle drei Aspekte notwendig sind, um Revolutionen gelingen zu
Die Attentatskritikerin. Oder: Vom Elend des männlichen Revoluzzertums (wieder mal)
Lou Marin: Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2016, 262 Seiten, 16,90 Euro. Man ist nach der Lektüre des Buches ein bisschen versucht, das Ganze mit „noch ein Beispiel dafür, wie toxische Männlichkeit freiheitliche Bewegungen zerstört“ zu überschreiben. Diesmal geht es um das libertär-anarchistische Milieu in Frankreich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und speziell um eine seiner Protagonistinnen, nämlich Rirette Maîtrejean (1887-1968). Und irgendwie schließt es inhaltlich auch ein bisschen an die Propaganda der Tat an, über die ich kürzlich erst schrieb. Attentatskritikerin ist jedenfalls eine originelle Personenbeschreibung. Ich fand das Buch auch deshalb spannend, weil es zu einer Zeit spielt, in der der Anarchismus zumindest in Frankreich noch einen sehr starken ideengeschichtlichen Einfluss auf die Arbeiterbewegung hatte. Vor der bolschewistischen Revolution in Russland, an deren Ende sich das Linkssein in Europa ja immer mehr auf Marxismus-Leninismus kaprizierte und alternative Ideen des Sozialismus an den Rand gedrängt wurden. Rirette Maîtrejean (ihr Geburtsname war Anna Henriette Estorges) hatte mit 16
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Ein paar Anmerkungen zu den Suffragetten
Gestern Abend hab ich den Film gesehen, und möchte dazu ein paar Anmerkungen machen. Ich finde ihn nicht rundum gelungen, und warum, dazu schreibe ich hier die wichtigsten Punkte auf (die im Prinzip nicht nur diesen Film betreffen, sondern mich in historischen Darstellungen der Frauenbewegung häufiger stören). Der Slogan „Taten statt Worte“ gefällt mir nicht, denn Worte sind auch Taten. Eigentlich ging es ja um die Frage der Militanz, aber genau deren Pro und Contra wird in dem Film meiner Meinung nach nicht wirklich ernstgenommen. Sondern es wird irgendwie darauf gesetzt, dass wir Zuschauerinnen sowieso auch finden, dass „Taten besser sind als Worte“. Das Verhältnis der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zu den Arbeiterinnen wird doch arg idealisiert. Es gab dazu ziemlich viele Konflikte, etwa zu der Frage, warum die bürgerliche Frauenbewegung ihre Aktionen allein auf das Wahlrecht fokussiert, so als würden Klassenunterschiede damit quasi von alleine verschwinden. Dass hier im Film die Arbeiterinnen und Bürgerlichen so völlig smoothly Hand in Hand arbeiteten,