Wer immer etwas über die Frauenbewegung in Berlin (aber eigentlich auch darüber hinaus in ganz Deutschland) wissen will, sollte sich dieses Buch besorgen. Annett Gröschner hat mit viel Aufmerksamkeit fürs Detail die Geschichte aufgeschrieben, von der preußischen Berlinerin (beginnend bei der Ersten Frauenbewegung), über die Westberlinerin und die Ostberlinerin bis zur Hauptstädter*in nach 1989. Dabei schafft sie eine gute Balance aus Darstellung der Fakten (vieler, vieler Fakten) und deren Interpretation und Einordnung in einer größere Erzählung und den Kontext der jeweiligen zeitgenössischen Debatten. Besonders interessant sind auch die vielen O-Töne von Protagonistinnen, die ihre Sicht der Dinge erzählen. Sehr wohltuend und sehr notwendig in Zeiten, wo Feminismus wieder En Vogue ist, gerade auch bei jüngeren Frauen, die Darstellung der Geschichte der Frauenbewegung aber oft holzschnittartig auf wenige Big Names und Big Dates reduziert wird. Unbedingt lesenswert! Und keinesfalls nur für Berlinerinnen! Und ganz groß auch die zahlreichen Abbildungen von zeithistorischen Plakaten und Flyern… (Disclaimer: Im letzten Kapitel wird ab und
Früher und noch früher
„Das Hauptproblem besteht natürlich darin, dass erfolgreiche Revolutionen so selten sind“
Gelesen: Den kürzlich erst veröffentlichten Text „Die Freiheit, frei zu sein“ von Hannah Arendt, der wohl um 1966 oder 1967 entstand. Sie schreibt darin über Revolutionen und die Frage, was und wer sie warum macht. Dabei wählt sie auffällig oft – eigentlich dauernd – die Formulierung: „Die Männer der Revolution“. Die Französische Revolution, schreibt Arendt, scheiterte, weil die „Männer der Revolution“ mit der Idee von der Gleichheit aller Menschen sehr viel mehr eingeläutet hatten als nur, wie sie dachten, einen Wandel der Regierungsform. Die Frauen mit ihrem Marsch auf Versaille (le peuple) hätten vielmehr sichtbar gemacht, dass Freiheit nur möglich ist, wenn Menschen auch die Freiheit haben, frei zu sein. Oders anders: Es reicht nicht, keine Furcht (vor denen da oben) zu haben, man braucht auch was zum Essen. Damit hoben die Frauen, le peuple, die Idee der Revolution auf ein neues Level: auf das der sozialen Verhältnisse. Die Französische Revolution ist an der Größe dieser Aufgabe gescheitert, aber die
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Beziehungsweise Revolution – müsst ihr lesen!
Was ist mit der Revolution? Gibt es die noch, oder ist das Projekt abgesagt? Was ist zu beachten, wenn man sich im politischen Engagement nicht von der Idee verabschieden möchte, es könnte auch einmal eine grundsätzliche Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse geben, die zu mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr… Ja, die Sache mit der Brüderlichkeit. Die wurde doch sehr vernachlässigt. Tonnen von Büchern sind geschrieben worden, die sich umfassend mit den Fragen der Freiheit oder der Gleichheit oder von beidem in ihrem Wechselverhältnis beschäftigen. Aber keine über die Brüderlichkeit. Die Brüderlichkeit spielt in linker Theorie keine Rolle. Es ist fast lustig, aber eigentlich auch naheliegend, dass ausgerechnet eine Feministin jetzt den Anfang macht, um diese Lücke zu schließen. Schließlich hat sich der Feminismus mit Beziehungen und „Beziehungsweisen“ ausgiebigst beschäftigt, aber das aus naheliegenden Gründen nicht unter der Überschrift „Brüderlichkeit“. Und damit eben auch nicht unter der Überschrift der Revolution. Adamczaks These ist, dass alle drei Aspekte notwendig sind, um Revolutionen gelingen zu
Die Attentatskritikerin. Oder: Vom Elend des männlichen Revoluzzertums (wieder mal)
Lou Marin: Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2016, 262 Seiten, 16,90 Euro. Man ist nach der Lektüre des Buches ein bisschen versucht, das Ganze mit „noch ein Beispiel dafür, wie toxische Männlichkeit freiheitliche Bewegungen zerstört“ zu überschreiben. Diesmal geht es um das libertär-anarchistische Milieu in Frankreich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und speziell um eine seiner Protagonistinnen, nämlich Rirette Maîtrejean (1887-1968). Und irgendwie schließt es inhaltlich auch ein bisschen an die Propaganda der Tat an, über die ich kürzlich erst schrieb. Attentatskritikerin ist jedenfalls eine originelle Personenbeschreibung. Ich fand das Buch auch deshalb spannend, weil es zu einer Zeit spielt, in der der Anarchismus zumindest in Frankreich noch einen sehr starken ideengeschichtlichen Einfluss auf die Arbeiterbewegung hatte. Vor der bolschewistischen Revolution in Russland, an deren Ende sich das Linkssein in Europa ja immer mehr auf Marxismus-Leninismus kaprizierte und alternative Ideen des Sozialismus an den Rand gedrängt wurden. Rirette Maîtrejean (ihr Geburtsname war Anna Henriette Estorges) hatte mit 16
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Ein paar Anmerkungen zu den Suffragetten
Gestern Abend hab ich den Film gesehen, und möchte dazu ein paar Anmerkungen machen. Ich finde ihn nicht rundum gelungen, und warum, dazu schreibe ich hier die wichtigsten Punkte auf (die im Prinzip nicht nur diesen Film betreffen, sondern mich in historischen Darstellungen der Frauenbewegung häufiger stören). Der Slogan „Taten statt Worte“ gefällt mir nicht, denn Worte sind auch Taten. Eigentlich ging es ja um die Frage der Militanz, aber genau deren Pro und Contra wird in dem Film meiner Meinung nach nicht wirklich ernstgenommen. Sondern es wird irgendwie darauf gesetzt, dass wir Zuschauerinnen sowieso auch finden, dass „Taten besser sind als Worte“. Das Verhältnis der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zu den Arbeiterinnen wird doch arg idealisiert. Es gab dazu ziemlich viele Konflikte, etwa zu der Frage, warum die bürgerliche Frauenbewegung ihre Aktionen allein auf das Wahlrecht fokussiert, so als würden Klassenunterschiede damit quasi von alleine verschwinden. Dass hier im Film die Arbeiterinnen und Bürgerlichen so völlig smoothly Hand in Hand arbeiteten,
Gemeinschaftlicher Luxus: das Erbe der Pariser Kommune
Die Pariser Kommune (1871) ist vor allem für ihr Scheitern bekannt geworden, für die militärischen Auseinandersetzungen, die Barrikaden und natürlich das Blutbad, als französische Regierungstruppen Zehntausende innerhalb von einer Woche niedergemetzelt haben. Mir hat das schon bei der Arbeit an meiner Diss missfallen, wo ich mich mit der Kommune beschäftigte, weil zwei der vier Frauen, deren politische Ideen ich dabei untersuchte, Aktivistinnen der Kommune waren, nämlich Elisabeth Dmitrieff und André Léo. Es war ziemlich mühsam, hinter all den Schilderungen von Schlachten zu den politischen Ideen durchzudringen, die die Kommunard_innen bewegten, und erst recht zu denen, die sich mit dem Geschlechterverhältnis beschäftigten. Deshalb habe ich sehr gerne das neue Buch „Communal Luxury: The Political Imaginary of the Paris Commune“ von Kristin Ross gelesen, in dem sie die Kommune einbettet in einen breiteren Diskurs über das gute Leben, über Visionen von einer gerechten und freien Gesellschaft (auch wenn sie sich leider nicht mit den Ideen von Frauen beschäftigt, sondern sich sehr auf die männlichen Protagonisten beschränkt). Sie beginnt ihre Erzählung bei der Vorgeschichte
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Silencing the Queen: die Domestizierung der Frauengeschichte
Schon vor einiger Zeit habe ich dieses Buch über „Geschlechtergerechtigkeit: Herausforderung der Religionen“ gelesen und versäumt, gleich darüber zu bloggen, sondern mir nur Notizen auf dem Handy gemacht. Zwischenzeitlich habe ich das Handy leider in einem Wasserbad versenkt, sodass die Notizen nun weg sind und ich mich nicht mehr an vieles erinnere, außer dass ich die Aufsätze insgesamt für einen Tagungs-Sammelband ziemlich gut und interessant fand. Aber ein Gedanke ist mir geblieben, den ich hier notiere (und nicht drüben im Gottblog), weil dieser Mechanismus für eine androzentrische Geschichtsschreibung generell typisch ist und nicht nur speziell für die Geschichte der Religionen. Er stammt von der Berliner Judaistik-Professorin Tal Ilan und sie stellt ihn an den Anfang ihres Aufsatzes „Biblische Frauen in Schrift und Tradition in jüdischer Perspektive“. Sie schreibt: Einer der wichtigsten Erträge langjähriger Erforschung der Darstellung von Frauen und Gender in der Literatur hat mit Rezeption zu tun: Gleichgültig, ob es sich um einen heiligen oder profanen, einen literarischen oder einen Rechtstext
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Lesben und die Frauenbewegung
Hurra, hurra, die zweite Auflage von unserem Comic „Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext“ ist da – und mittendrin zwei zusätzliche Seiten, in denen wir explizit noch mal die wichtige Bedeutung von Lesben vor allem in der so genannten „zweiten Welle“ anreißen. Auf diese Leerstelle hatten mich einige Freundinnen nach Erscheinen des Comics aufmerksam gemacht – dafür ihnen an dieser Stelle herzlichen Dank. Von den vielen Theoretikerinnen, die sich dabei nennen ließen, habe ich Monique Wittig und Adrienne Rich ausgewählt, weil sie zwei der bekanntesten Formulierungen dazu in die Welt gesetzt haben: Wittig die radikale These „Lesben sind keine Frauen“ und Rich die Idee eines „lesbischen Kontinuums“, das nicht nur gleichgeschlechtlich liebende Frauen umfasst, sondern alle. Aber seht selbst (Der Link führt zu dem pdf der neuen zwei Seiten, die im gedruckten Buch an der entsprechenden Stelle eingefügt wurden. Denn wir wollen sie ja auch nicht denen vorenthalten, die sich das Buch bereits in der 1. Auflage gekauft haben – vielleicht könnt Ihr
Ein paar Jahrtausende auf 88 Seiten
In diesem Jahr hat mich ein Projekt beschäftigt, das jetzt kurz vor der Vollendung steht: Zusammen mit der Zeichnerin Patu habe ich einen Comic zur Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext gemacht. Von Adam und Eva bis fast heute auf 88 Seiten dieses Thema abzuhandeln (und das auch noch mit lauter Bildern dazwischen, hehe), ist natürlich ein bisschen wahnsinnig. Aber es hat ungeheuren Spaß gemacht. Hier ist schonmal ein Coverentwurf: Ich freue mich darauf, wenn das Buch erscheint, was wahrscheinlich im Frühjahr ist. Beim Auswählen dessen, was in der reichhaltigen Geschichte des Feminismus wichtig und unwichtig ist, was in so einem Buch erwähnt werden soll und was nicht, war mir ständig präsent, dass das, was ich da mache, letztlich frustrierend ist, weil das allermeiste nicht vorkommt. Das was wichtig ist, ist nicht unbedingt dasselbe wie das, was bekannt ist (und daher in so einem Buch erwartet wird). Natürlich habe ich versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden, aber die Auswahl ist mindestens so