Eine wunderschöne Rede

Diese Rede ist schon von allen geteilt worden, aber noch nicht von mir! (Und auf Facebook hab ich auch das Video, kriege es aber irgendwie nicht hier rüber) Es ist wunderschön, dass heute auch solche Reden gehalten werden! Noch schöner wäre freilich, wenn kluge Frauen wie Carolin Emcke keine Reden mehr halten müssten, in denen sie das Offensichtliche sagen. Wenn sie Reden halten könnten, die nicht an „die anderen“ gerichtet sind, sondern mit denen sie uns – dich und mich – zum Nachdenken, Umdenken, Hinterfragen bringen könnten. Erst dann wäre es wirklich auch „unsere“ Welt: Wenn wir bei solchen Reden nicht entweder nur begeistert nicken oder nur verärgert facepalmen müssten. Sondern wenn uns dabei Sachen durch den Kopf gingen wie „So habe ich das noch nie gesehen“, „da muss ich mal drüber nachdenken“ oder „ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie da recht hat“. (Das wäre jedenfalls so ungefähr meine Vorstellung vom Paradies). Update: Im Anschluss stellte sich mir noch eine

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Die Attentatskritikerin. Oder: Vom Elend des männlichen Revoluzzertums (wieder mal)

Lou Marin: Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2016, 262 Seiten, 16,90 Euro. Man ist nach der Lektüre des Buches ein bisschen versucht, das Ganze mit „noch ein Beispiel dafür, wie toxische Männlichkeit freiheitliche Bewegungen zerstört“ zu überschreiben. Diesmal geht es um das libertär-anarchistische Milieu in Frankreich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und speziell um eine seiner Protagonistinnen, nämlich Rirette Maîtrejean (1887-1968). Und irgendwie schließt es inhaltlich auch ein bisschen an die Propaganda der Tat an, über die ich kürzlich erst schrieb. Attentatskritikerin ist jedenfalls eine originelle Personenbeschreibung. Ich fand das Buch auch deshalb spannend, weil es zu einer Zeit spielt, in der der Anarchismus zumindest in Frankreich noch einen sehr starken ideengeschichtlichen Einfluss auf die Arbeiterbewegung hatte. Vor der bolschewistischen Revolution in Russland, an deren Ende sich das Linkssein in Europa ja immer mehr auf Marxismus-Leninismus kaprizierte und alternative Ideen des Sozialismus an den Rand gedrängt wurden. Rirette Maîtrejean (ihr Geburtsname war Anna Henriette Estorges) hatte mit 16

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Gesetz, Freiheit und Anarchismus bei Margarete Susman

Vor einiger Zeit entdeckte ich über ein Buch von Elisa Klapheck die jüdische politische Denkerin Margarete Susman (1872-1966). Während ich in ihren Ausführungen zum Denken der Differenz viel Vertrautes fand (hier bloggte ich darüber), so enthielten ihre Überlegungen zum „Gesetz“ für mich völlig neue Aspekte. Hier ein erster Versuch, das zu verschriftlichen. Ideengeschichtlich fühle ich mich Susman ziemlich nahe, wir sind beide Anarchistinnen, Feministinnen und religiös – eine Kombination, die ja nicht besonders oft vorkommt. Susmans Anliegen ist es, jüdische Philosophietraditionen für eine moderne und säkulare Welt fruchtbar zu machen, und es ist spannend, wie sie das mit dem Begriff des „Gesetzes“ angeht. Das „Gesetz“ ist bei Susman natürlich nicht das „positive Recht“, also die jeweils in einem Staat gültigen Gesetze, sondern es ist die Tora, das Gesetz Gottes, das dem jüdischen Volk offenbart wurde. Dieses Gesetz ist im Judentum nicht fix, sondern Gegenstand permanenter Diskussion und Auslegung, aber es ist verbindlich und unhintergehbar. Die angeblich so starre und unbarmherzige

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Simone Weils Plädoyer für die Abschaffung der politischen Parteien

Dass jemand ernsthaft die Abschaffung der politischen Parteien fordert, erscheint uns heute völlig absurd, denn wir haben uns angewöhnt, die Existenz von Parteien als Vorbedingung für jedes demokratische Gemeinwesen anzusehen. Genau das hat aber Simone Weil in einer kleinen Schrift getan, die erst kürzlich aus Anlass ihres 100. Geburtstages auf Deutsch erschienen ist – verfasst hat sie sie kurz vor ihrem Tod im Jahr 1943. Wie kommt sie nun auf diese Idee? Zunächst einmal ruft sie in Erinnerung (auch das machen sich normalerweise die Wenigsten klar), dass die Demokratie kein Selbstzweck ist, sondern lediglich ein Mittel zum Zweck, der nämlich darin besteht, Gerechtigkeit und das Gute in einer menschlichen Gesellschaft hervorzubringen. Dabei beruft sie sich auf Rousseau und dessen Begriff des Gemeinwillens, der keineswegs besagt, dass der Gemeinwillen per se besser wäre als ein Einzelwille (etwa eines absolutistischen Herrschers): Ein Wille, der ungerecht, aber der gesamten Nation gemein ist, wäre in Rousseaus Augen – und er lag richtig – dem

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