Eva Ilouz hat mit „Warum Liebe weh tut“ ein gutes Buch geschrieben. Von daher gleich mal der Appell: Lest es.
Klargestellt werden muss aber (und Eva Illouz stellt das mehrfach klar, aber ich betone es hier auch nochmal, weil es in den meisten Artikeln, die ich zum Erscheinen dieses Buches gelesen habe, bezeichnenderweise NICHT klargestellt wird): Das Buch handelt nur von einer bestimmte Variante der Liebe, und zwar von der heterosexuellen Mittelschichts-Liebe mit implizitem Kinderwunsch.
Leider ist es genau jene Liebe, die sich mit einer unerträglichen Penetranz in den Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung schiebt und so tut, als wäre sie die Liebe schlechthin. Alle anderen Arten von Lieben – zwischen zwei Männern, zwischen zwei Frauen, zwischen Menschen ohne gutbürgerlichen Hintergrund, zwischen mehr als zwei Menschen, zwischen Menschen ohne Familienlebens- und Kinderwunsch, zwischen Menschen aus anderen Kulturen als der westeuropäischen, ganz zu schweigen von der Liebe zwischen Eltern und Kindern, zwischen Menschen, die keinen Sex miteinander haben, oder der Liebe von Menschen zur Welt oder zu Gott oder zum Frieden – sind hier nicht im Blick.
Deshalb finde ich den Buchtitel auch problematisch. Denn Liebe tut nicht weh. DieseArt von Liebe tut weh. (Auch nicht immer, aber mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit.) Warum, beschreibt Illouz in dem Buch.
Ihre Grundthese ist: All das, was derzeit die Liebe zwischen Frauen und Männern mit Mittelschichts-Ambitionen so kompliziert macht, ist kein psychologisches Defizit der Beteiligten, sondern eine logische Konsequenz gegebener sozialer Muster. Die Negativfolie, vor der sie das verhandelt, ist die Psychologisierung der westlichen Kultur, gegen die sie auch schon in ihren anderen Büchern angeschrieben hat. Also etwa die Rede von der angeblichen „Bindungsangst“ vieler Männer, oder von dem fehlenden „Selbstbewusstsein“ vieler Frauen. Die These lautet, dass diese durchaus real vorzufindenden Haltungen keineswegs „natürliche“ Eigenschaften der Geschlechter sind (wie Evolutionstheorien gerne behaupten), aber auch keine individuellen Defizite oder Deformationen, die aus Erlebnissen in frühester Kindheit resultieren. Also auch nichts, worüber man mit Hilfe von Ratgeberbüchern oder Therapiesitzungen hinwegkommen kann.
Die Ursache für den Klassiker in der heterosexuellen Problemkiste – Bindungsangst versus übergroße Anhänglichkeit – resultiert ihrer Ansicht nach vielmehr aus der Tatsache, dass der „Heiratsmarkt“ heute nicht mehr nach starren sozialen Codes reguliert ist: Alle möglichen Paarkonstellationen sind erlaubt, jedenfalls im Prinzip, Unterschiede in Bezug auf soziale Schicht, Religions- oder Nationalitätszugehörigkeit, Bildungsstand und so weiter sind kein Hinderungsgrund der Paarbildung mehr. Das hat zur Folge, dass die Auswahl möglicher Partner und Partnerinnen extrem gestiegen ist. Weitere Faktoren begünstigen das: örtliche Mobilität und Internet.
Auch ist es gesellschaftlich akzeptiert, dass Partnerschaften zeitlich begrenzt sind, das heißt, dass sie enden, sobald einer oder eine der beiden keine Lust mehr hat. Und schließlich besteht der Anspruch auf Autonomie oder Authentizität, das heißt, Verbindlichkeit ist nicht mehr per se eine Tugend, sondern nur, wenn sie auch dauerhaft von den entsprechenden „Gefühlen“ begleitet ist. Anders gesagt: Wer mit jemandem zusammen ist, ohne weiterhin so richtig verliebt zu sein, gilt irgendwie als dämlich.
Dies aber bringt nach Illouz‘ Analyse für Frauen, die einen Mann suchen, mit dem sie zusammen Kinder haben können, „Wettbewerbsnachteile“ mit sich. Und zwar schon rein zeitlich, weil Frauen, anders als Männer, nur ein begrenztes Zeitfenster haben, in dem sie diesen Kinderwunsch verwirklichen können. Daher haben sie ein höheres Interesse, sich relativ schnell verbindlich festzulegen, die Männer hingegen nicht. Im Gegenteil: Männer, die sich zu früh binden, vermindern in dieser Ökonomie (tatsächlich parallelisiert Illouz ihre Analyse mit der von Marx im Bezug auf das Kapital) ihre Optionen. Denn jede Bindung an eine bestimmte Frau kann sich als Hindernis erweisen, sobald sich später noch eine bessere Möglichkeit der Partnerinnenwahl ergibt.
Die Methode, die Illouz anwendet, um ihre Schlussfolgerungen zu belegen, ist der Vergleich mit Liebesmustern aus dem 19. Jahrhundert. An diesem Vergleich zeigt sie, was neu ist am heutigen Liebeskummer und wie er sich von dem Liebesleid früherer Zeiten unterscheidet – denn dass die Liebe kompliziert ist und neben Freude auch Leiden mit sich bringt, ist ja wiederum nichts Neues. Nur die Art und Weise ist neu.
Nur ein Beispiel: Wenn früher ein Mann seine Frau verlassen hat oder anders herum, so war man allgemein (die beiden Beteiligten ebenso wie ihr soziales Umfeld) der Ansicht, dass er oder sie Schuld am Scheitern der Beziehung trägt. Heute suchen die Verlassenen tendenziell die Schuld bei sich selbst, denn sie müssen ja irgendeinen Fehler gemacht haben, weshalb sie verlassen wurden. Sie waren nicht „gut genug“. Zur Trauer über die verlorene Liebesbeziehung gesellt sich also der Selbstzweifel. Liebeskummer im Quadrat sozusagen.
Diese Vergleiche – die natürlich, was Illouz explizit betont, nicht bedeuten, dass die Verhältnisse damals besser gewesen wären, es geht nur darum, kategoriale Unterschiede herauszuarbeiten – fand ich extrem interessant. Denn im Allgemeinen sehen wir die Entwicklung gerade aus der Perspektive von Frauen als rein positiv an und blicken mit einem leicht mitleidsvollen Gestus auf die „armen Frauen“ damals im Patriarchat herab. Aber Illouz zeigt eindrücklich, dass zum Beispiel der Selbstwert einer Frau im 19. Jahrhundert sehr viel weniger als heute davon abhing, wie gut oder nicht ein Verehrer sie fand. Wenn aus einer Liaison nichts wurde, hatte das viele Gründe, es war kein Qualitätsurteil über das innerste Selbst einer Person.
Das bedeutete auch, dass Menschen, und gerade auch Frauen, ihre Liebesgefühle teilweise ungehemmter ausleben konnten als heute. Viele Romane des 19. Jahrhunderts erzählen davon, wie Frauen Männer lieben und Männer Frauen, obwohl sie „nichts davon haben“, oder wie sie auch dann an ihrer Liebe festhalten, wenn die geliebten Personen sich nicht so benehmen, wie sie das sollten. Heute hingegen wird von gerade von Frauen, die emanzipiert sein wollen, erwartet, dass sie nur Männer lieben, die bestimmten Mindeststandards entsprechen, also zum Beispiel nicht fremdgehen oder sich nicht sonstwie „falsch“ verhalten (der Klassiker dieses Vorwurfs geht an Simone de Beauvoir: Warum ist sie bei Sartre geblieben, obwohl der ständig andere Frauen hatte? Die nahe liegende Antwort, dass Sartre vermutlich ein ziemlich interessanter Gesprächspartner war, dem frau daher anderes hat durchgehen lassen, gilt als „unfeministisch“).
„Irrationale“ Liebe wird heute nicht mehr als Ausdruck von besonders großer Hingabe oder gar Liebesfähigkeit gesehen, sondern sie wird pathologisiert. Es muss dann therapeutisch geklärt werden, warum hier noch geliebt wird, obwohl doch die objektiven Argumente dagegen sprechen. Das hängt natürlich mit der heutigen Überforderung der Liebe zusammen, damit, dass die Wahl des Liebespartners zum zentralen Lebensprojekt gemacht wird, und die liebende Frau keine anderen Stützpfeiler hat (Familie, Gesellschaft, Stand), die ihren Wert definieren. Umso wichtiger ist es, nur „den Richtigen“ zu lieben – was den oben geschilderten Konflikt mit dem kurzen Zeitfenster einer möglichen Mutterschaft natürlich noch einmal verschärft.
Was ist in so einer Situation zu tun? Der nahe liegendste Schritt ist natürlich, andere Liebeskonzepte jenseits der bürgerlichen Mann-Frau-Kind-Konstellation zu stärken. Natürlich können sich ähnliche Liebesprobleme auch in homosexuellen Konstellationen oder bei heterosexuellen Frauen ohne Kinderwunsch bemerkbar machen, doch hier sind sie gewissermaßen nur „symbolisch erzeugt“, insofern die Agierenden implizit denselben Bildern nacheifern, die eigentlich nur für die heterosexuelle Normliebe Sinn ergeben.
Aber hier ist die Chance größer, alternative Liebeserzählungen zu schreiben. Ein Weg, der mir persönlich gut gefällt, ist der einer Renaissance der irrational Liebenden – also die Befreiung der Liebe aus der Zweckrationalität, den „richtigen“ Partner, die „richtige“ Partnerin zu finden. Nein, ich denke, freie Menschen lieben wen immer sie lieben, und sei das auch ganz und gar unpassend. Das können sie, weil sie um der Liebe wegen lieben und nicht, um durch die Anerkennung des Geliebten ihr eigenes Selbstwertgefühl zu stärken. Ihr Selbstwertgefühl bekommen freie Liebende anderswo her, aus ihrem Ort im Leben. Aus der Gesamtheit dessen, was sie tun, aus ihren vielfältigen Beziehungsnetzen. Deshalb sind sie auch so richtig uneigennützig traurig, wenn sie verlassen werden. Aber nicht am Boden und in ihrem Innersten zerstört.
Und was machen die Frauen, die nicht nur symbolisch betroffen sind, sondern real, weil es eben nun einmal eine Tatsache ist, dass sie jetzt (oder in den nächsten zehn Jahren) Kinder kriegen müssen und daher nicht ewig auf Mister Right warten können? Ich finde – und Eva Illouz hat das in irgendeinem Interview auch gesagt, das ich aber jetzt grade nicht mehr finde – sie sollten ihren Kinderwunsch von der Sehnsucht nach einer romantischen Liebe trennen. Sie sollten Kinder kriegen, wann immer sie wollen, unabhängig davon, ob sie einen Mann haben, der das auch will. Wenn ja, ist gut, wenn nein muss das nicht Kinderlosigkeit bedeuten. Ganz abgesehen davon, dass ja auch ein Mann, der heute noch will, das in drei Jahren schon ganz anders sehen und andersrum, dass ein Mann, der erst einmal kein Vater werden wollte, das dann doch ganz gut findet, wenn das Kind erst einmal da ist.
Vielleicht muss das ja nicht so bleiben. Vielleicht gelingt es uns ja irgendwann wieder, Liebe mit Verbindlichkeit zusammen zu denken, ohne die starren sozialen Gerüste, die das im 19. Jahrhundert noch bewerkstelligen konnte. Zum problematischen Aspekt der „Autonomieerwartungen“, die mit heutigen Liebesbeziehungen verknüpft sind, hat Illouz auch ein interessantes Kapitel geschrieben, auf das ich vielleicht später nochmal zurückkomme.
Aber der erste Schritt ist es, dieses soziale Dilemma anzuerkennen und auszusprechen und nicht mit rosaroter Romantik-Kitsch-Soße zuzukleistern. Damit die Menschen, die daran scheitern, das nicht länger als individuelles Versagen deuten.
Eva Illouz: Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung. Suhrkamp 2011.