Wie verändert das Internet die Gesellschaft? Unsere Vorstellungen von Privatsphäre, den öffentlichen Diskurs, das Publizieren zum Beispiel?
Momentan beobachte ich in Netzdiskussionen öfter mal so eine gewisse Enttäuschung darüber, dass sich nach den euphorischen Hoffnungen des Anfangs doch nicht allzu viel verändert hat. Dass zum Beispiel Blogs nicht das gebracht haben, was man sich von ihnen versprochen hat. Manche meinen, sie hätten ihr Potenzial schon ausgereizt und mehr als das bisschen, was jetzt da ist, kommt nicht mehr. Die Revolution ist ausgeblieben, wie schade.
Ich glaube, dass das eine ziemliche Binnenperspektive ist, die daher rührt, dass die Geschwindigkeiten „im Internet“ und „außerhalb des Internet“ sich sehr unterschiedlich darstellen.
Wer selber seit zehn Jahren, also einer gefühlten Ewigkeit, bloggt oder zumindest Blogs liest, mag das für eine lange Zeit halten. Kulturell gesehen ist es aber eine sehr kurze Zeit. Kulturelle Muster und Gewohnheiten ändern sich in der Breite nicht so schnell, wie eine neue App hipp wird und dann wieder überholt ist. Dass eine technische Möglichkeit – wie etwa die Blogsoftware – schon vor 10, 15 Jahren erfunden wurde, bedeutet nicht, dass sie auch bereits in einem Ausmaß genutzt wird, die ihr wirkliches gesellschaftsveränderndes Potenzial erschließt.
Was wir hier im Internet oft vergessen, ist, dass „das Internet“ für viele, sehr viele Menschen immer noch nicht wirklich zum Lebensalltag gehört. Und damit meine ich nicht jenes Viertel der Bevölkerung, das noch immer überhaupt kein Internet nutzt, nicht mal zum Googeln oder zum Mails schreiben.
Sondern ich meine damit, dass das Internet auch für die allermeisten von denen, die es inzwischen ganz selbstverständlich als technisches Hilfs- und Kommunikationsmittel nutzen, noch immer lediglich ein Gerät ist, das Dinge einfacher macht, die früher umständlich waren – das Einkaufen, das Briefeschreiben, das Sich Informieren. Aber es ist nichts, was die eigenen Lebensgewohnheiten und Perspektiven grundlegend verändert hätte, also nichts, mit dem man Dinge macht, die früher überhaupt gar nicht möglich waren. Wie eben Bloggen zum Beispiel oder Beziehungen in der Breite und dem Mix von Nähe und Ferne zu führen, wie sie durch soziale Netzwerke geführt werden können.
Ich glaube, inzwischen ist der hauptsächliche Grund für die unterschiedliche Internetnutzungs-Intensität zwischen älteren und jüngeren Menschen nicht mehr, dass die Älteren mehr mit technischen Hürden zu kämpfen haben. Das spielt bestimmt noch eine gewisse eine Rolle, aber was den „Ersatz“ für früher umständliche Dinge angeht, haben die meisten ja inzwischen durchaus gelernt, mit dem Internet souverän umzugehen.
Ein wichtigerer Grund für die seltenere Internetnutzung Älterer ist meiner Ansicht nach, dass das Leben der Älteren einfach schon voll ist mit anderen Dingen – und ist nicht „Keine Zeit“ der am häufigsten genannte Grund dafür, wenn man sie fragt, warum sie so selten „im Internet“ sind?
Ältere Menschen haben schon Hobbies, sie sind schon in Vereinen, sie haben freundschaftliche und private und politische Verpflichtungen übernommen, die alle noch in die Zeit zurückreichen, als es kein Internet gab. Und diese Verpflichtungen müssten sie kappen, wenn sie sich Zeit zum Bloggen nehmen wollten oder zum Podcasten oder um Videos für Youtube zu drehen.
Die Jüngeren hingegen haben das Internet schon in dem Moment in ihre Entscheidungsfindung einkalkuliert, als sie überhaupt erst damit anfingen, ihr Leben mit Aktivitäten zu befüllen. Für sie standen all die Optionen bereits zur Verfügung, und entsprechend ist das Internet und seine Optionen nichts zusätzliches, sondern ein Bestandteil ihrer Aktivitäten.
Um es in einem vereinfachten Bild zu sagen: Wer heute jung ist, hat die Wahl, ob sie ihre kreativen Ambitionen in einem Videokanal bei Youtube ausleben möchte oder ob lieber Theater spielen. Ob sie Musik in einer Band und mit Liveauftritten machen will, oder ob sie – alleine oder mit anderen – ihre Musik am Computer nicht nur mixen, sondern auch veröffentlichen will.
Jüngere haben von Anfang an die Wahl, ob sie sich politisch in einer Bürgerinitiative oder einer Frauengruppe mit regelmäßigen wöchentlichen Treffen engagieren möchten, oder ob sie lieber ein Blog (mit)schreiben oder irgendeine Art internetbasierten Aktivismus wählen.
Die Älteren hingegen hatten diese Wahl nicht. Als sie ihre kreative oder politische „Laufbahn“ vor zwanzig, dreißig Jahren begannen, gab es das Internet noch nicht. Sie sind also mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit in einer Theatergruppe oder in einer Band oder in einer Bürgerinitiative aktiv. Wollten sie nun anfangen, einen youtube-Kanal zu befüllen oder zu bloggen, dann müssten sie entweder ihrer langjährigen Theater-AG, Frauengruppe oder Bürgerinitiative den Rücken kehren – oder die Zeit käme noch oben drauf.
Die Älteren haben also tatsächlich weniger Zeit fürs Internet, weil ihr Leben biografiebedingt einfach schon mit anderen Aktivitäten angefüllt ist.
Das bedeutet: Wir können heute noch gar nicht wissen, was sich kulturell durch das Internet wirklich verändert. Wir wissen nicht, ob Bürgerinitiativen mit wöchentlichen Treffen in Zukunft aussterben werden, oder ob sie eine Renaissance erleben, weil die Leute merken, dass man im Internet eh nicht vernünftig politisch arbeiten kann, oder ob sich beides nebeneinander etabliert und am Ende sogar gegenseitig befruchtet. Wir können darüber spekulieren, und das ist auch durchaus interessant, aber wissen können wir es nicht, niemand kann es wissen.
Wie es sein wird mit der Gesellschaft und dem Internet, das wird sich erst dann zeigen, wenn wirklich alle von Anfang an die freie Wahl hatten, in welcher Weise sie das Internet in ihre alltäglichen Aktivitäten und Lebensbezüge integrieren wollen, also in frühestens zehn oder zwanzig Jahren. Und vermutlich müssen wir sogar noch etwas länger warten, weil die jetzt Jungen zwar schon für sich selbst die freie Wahl haben, aber noch immer mit Eltern und Lehrer_innen konfrontiert sind, die diese Wahl nicht hatten. Sie können also in dieser Hinsicht nicht von den Erfahrungen der Erwachsenen profitieren, sondern müssen sich alles selber ausdenken, oder sogar noch skeptische und verständnislose Widerstände überwinden. Und natürlich machen sie dabei Fehler und drehen überflüssige kulturelle Schleifen.
Den wirklichen Impact des Internet auf die menschliche Gesellschaft werden wir vermutlich erst dann sehen, wenn die Kinder der jetzt Jungen erwachsen sind. Denn sie werden die erste Generation sein, für die nicht nur das Internet etwas Selbstverständliches ist, sondern die auch bereits Eltern und Lehrer_innen hatten, für die das Internet selbstverständlich war.
Schade, irgendwie, dass das noch so lange dauert, aber anderseits auch wieder schön. Jedenfalls gibt es keinen Grund, so ungeduldig zu sein.
Unbestritten: Wir sind die erste Generation, die in vollem Umfang mit diesem neuen Ding konfrontiert wird, und so richtig wird das alles erst durchschlagen, wenn die heutigen Kinder erwachsen sind. Kulturell gesehen. Andererseits ist das Internet ja nur ein Teil von all dem. Von der Informationsrevolution. Die grade unsere Gesellschaft härter umkrempelt als es Dampfmaschine, Eisenbahn und Telegraph zusammen konnten. Diese Revolution bringt uns in massive soziale, politische, kulturelle, wirtschaftliche Probleme, die wir nicht lösen können, weil wir sie nicht sehen. Nicht verstehen. Wir müssen das lernen, während wir die ersten Riesenfehler machen. Echt, das Internet ist nur ein Teil. Die Information ist bereits überall. Blogs und Social Networks sind nur so ne Nische. Und richtig fies wird erst auch erst in ein paar Jahren, wenn zu den Revolutionsproblemen unsere kollektiven Fehlentscheidungen kommen. Möge die Macht mit uns sein. Doch, das wär gut. Und keine Ungeduld bitte. Wenn sich nichts bewegt, kann es auch daran liegen, dass wir auf trocknende Farbe starren, und die Action schon eine Ecke weiter ist.
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Absolut Deiner Meinung. Und „wir“ tun uns in der Wertung und Einschätzung auch schwer, weil wir eben nicht mit dem Internet aufgewachsen sind und daher schon eine ganz andere Betrachtungsweise haben, als ich es zum beispiel bei meinen Kindern (10 und 14) erlebe. Unsere Bilder und Betrachtungen sind da immer noch etwas sperrig(er). Wir reden ja noch vom Internet. Auf die idee käme meine tochter gar nicht. Die macht. Manchmal mit Hilfe des Internetes, manchmal ohne, da ist für sie gar keine Schwelle. Wir „gehen“ ja auch noch ins Internet. Ein etwas kruder vergleich, den ich immer anwende (und vergleiche müssen hinken dürfen ;-)): ich steh ja auch nicht morgens auf und sage zu meiner Frau: ich geh mal ans Wasserwerk, geh Du schon mal in den Stromkreislauf und mach bitte Kaffee.
(Wobei ich aus vielen Gründen das nie sagen würde, auch nicht anders, aber das ist ja nur ein Vergleich ;-))
Und zur Frage der Ungeduld: wir dürfen uns als Netzafine eben nur nicht zu wichtig nehmen, vor allem, was die aus dem Netz abgelesenen Meinungsbilder angeht.
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