Die weibliche Pflicht zu lieben, von Andreas Capellanus bis Eliott Rodger

„Ich bin der perfekte Mann, und ihr schmeißt euch trotzdem an diese ganzen anderen dämlichen Typen ran“ – so begründete Eliott Rodger seine Wut auf Frauen, bevor er sechs Menschen tötete. Dass das nicht einfach die Tat eines „Verrückten“ war, sondern im Kontext einer bestimmten Kultur geschieht, die Männern beibringt, dass sie – unter bestimmten Voraussetzungen – einen „Anspruch“ auf die Zuwendung von Frauen haben, wurde auf verschiedenen feministischen Blogs bereits gesagt, zum Beispiel hier auf Kleinerdrei, dort stehen auch weitere interessante Links.

Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, noch etwas genauer hinzuschauen. Denn die Art und Weise, wie sich dieser Anspruch konstituiert, ist komplex. Es ist ja keineswegs so, dass immer alle Männer einen Anspruch auf Sex (oder Zuwendung) aller Frauen hätten. Das Ganze ist vielmehr eingebettet in ein fest kulturell verankertes Geschlechterarrangement, das genau festlegt, welche Männer wann und warum einen Anspruch auf die Zuwendung welcher Frauen haben – und wann nicht.

Diese Konstruktion von sexuellen Verpflichtungen zwischen Frauen und Männern geht ungefähr ins 12. Jahrhundert zurück – ein Jahrhundert, in dem generell viel über dieses Thema geschrieben und experimentiert wurde. Damals entstand die Vorstellung, dass Frauen dadurch, dass sie bestimmten Männern ihre „Gunst“ erweisen, ein Qualitätsurteil über diese Männer sprechen. Das heißt: Frauen lieben nicht einfach nur so, sondern ihre Aufgabe ist es, aus einer Vielzahl von Bewerbern den „Besten“ auszuwählen.

Das „Grundlagenwerk“ dazu ist ein dreibändiges Epos „Über die Liebe“ von Andreas Capellanus. Er schreibt: „Die Frau muss sorgfältig untersuchen, ob der um ihre Liebe Werbende auch würdig ist, geliebt zu werden, und wenn sie ihn ganz und gar würdig findet, darf sie ihm keinesfalls ihre Liebe vorenthalten, es sei denn, sie ist durch die Liebe zu einem anderen Mann gebunden.“ (S. 37) und: Frauen „sind dringend gehalten, dafür zu sorgen, dass sie die Herzen der Guten bei ihren guten Taten erhalten und jeden entsprechend seinen Verdiensten belohnen. Denn was immer die Menschen an Gutem tun und sagen, sie pflegen alles dem Lob der Frauen zuliebe zu tun und es in ihrem Dienst zu vollbringen, damit sie sich der Belohnung durch sie rühmen können.“ (S. 109)

Capellanus unterscheidet in seinem Buch drei Klassen von Frauen: Diejenigen, die sich jedem Bewerber hingegeben, diejenigen, die alle Bewerber abweisen, auch die würdigen, und diejenigen, die sorgfältig prüfen und dann den Richtigen wählen (S. 64). Nur die letzten verhalten sich richtig, wobei laut Capellanus aber diejenigen Frauen, die alle Bewerber abweisen, noch schlechter sind als diejenigen, die sich allen hingeben. Auch viele Minnelieder folgen dieser Logik, sie erklären zum Beispiel lang und breit die Vorzüge des Sängers, die doch zu der ganz zweifelsfreien Schlussfolgerung führen, dass die Angebetete ihm ihre Gunst schenken muss.

Das Motiv findet sich auch in all den vielen Märchen, in denen die Prinzessin die Trophäe des Turniersiegers oder Drachentöters ist: Während der Prinz sich aussucht, welche Frau er haben will und dann um sie kämpft, muss die Prinzessin den Sieger nehmen, auch wenn ihr ein anderer vielleicht besser gefällt. Das Märchen vom Froschkönig macht das schön anschaulich: Die Prinzessin darf ihrem Ekelgefühl nicht folgen, sie muss den Frosch küssen, solange er in Wirklichkeit der Prinz ist (Ergänzung: In der Variante der Gebrüder Grimm tut sie es aber nicht, sondern schmeißt ihn an die Wand, mehr dazu in den Kommentaren). Die Gegengeschichte wird im Aschenputtel erzählt: Der Prinz setzt alles in Bewegung, um die Frau zu finden, die er will, auch wenn sie nicht unter den anerkannten Bewerberinnen ist.

Vor diesem Hintergrund erklären sich auch noch andere Aspekte unserer Geschlechterkonstruktionen. Zum Beispiel die Pflicht für Frauen, ihre generelle Attraktivität sicherzustellen – denn als Trophäe kann sie ja nicht dienen, wenn sie von Männern für unattraktiv gehalten wird. Für Männer wiederum bedeutet das, wenn sie von einer Frau abgewiesen werden, dann ist das nicht einfach nur ein subjektives Urteil dieser Frau (in dem Sinne, dass diese eine Frau sie halt nicht attraktiv findet), sondern es ist gleichbedeutend mit einem allgemeinen, objektiven Urteil über ihren Wert und ihre Männlichkeit. Männer können es sich nicht leisten, von Frauen abgewiesen zu werden, nicht weil sie dann keinen Sex haben, sondern weil sie dann im allgemeinen Männer-Ranking nach unten rutschen.

In gewisser Weise kann man in all dem durchaus einen „Zivilisierungsprozess“ sehen. Denn es wurde mit diesem Arrangement auch festgelegt, dass Männer Frauen nicht einfach so vergewaltigen dürfen, zumindest „freie“, gleich- oder höhergestellte Frauen nicht. „Niedrigere“ Frauen, also etwa Dienstmädchen oder Bauerstöchter durften auch nach dieser Logik weiter vergewaltigt werden, denn sie hatten eben diese Fähigkeit, männliche Qualität zu erkennen, nicht.

Aber dem Urteil einer gleich- oder höhergestellten Frau über seine Qualität hatte sich ein Mann zu fügen. Diejenigen, die Rodger jetzt als „krank“ beschreiben, weisen also durchaus mit Recht darauf hin, dass er in bestimmter Hinsicht von diesem Arrangement der Geschlechterbeziehungen abwich. Er hielt sich ja gerade nicht an die Logik, dass Männer ihr „Gutsein“ dadurch beweisen, dass sie von Frauen attraktiv gefunden werden, sondern erkannte das Urteil der Frauen nicht an.

Dass er sich selbst gleichzeitig aber diesem Arrangement verpflichtet fühlt, zeigt seine Begründung, in der er uns in Erinnerung ruft, dass Frauen laut dieser Logik eben nur solange vor Übergriffen geschützt sind, wie sie den „Besten“ dann auch wirklich nehmen.

Deshalb habe ich ein bisschen Bauchschmerzen, wenn in der Debatte manchmal gesagt wird, Männer müssten sich Frauen gegenüber respektvoll verhalten, wenn sie für diese interessant sein wollen. Denn das Begehren der Frauen ist ja frei, es ist Ausdruck dessen, was sie subjektiv wollen und eben NICHT ein Qualitätsurteil über die Gutheit oder Männlichkeit oder Gewinnerhaftigkeit des betreffenden Mannes. Aber leider gibt es das Ganze inzwischen auch in der emanzipatorisch gewendeter Variante: Demnach dürfen sich emanzipierte Frauen nicht mit moralisch zweifelhaften Männern abgeben, zum Beispiel nicht mit einem Mann zusammenbleiben, der sie betrogen hat oder der keinen Handschlag im Haushalt tut. Die moderne Frau muss sich einen Mann aussuchen, der es „wert“ ist, der vor ihren feministischen Freundinnen bestehen kann, bestimmt nicht darf es ein „Macho“ sein. Aber das ist nur dasselbe in Grün.

Die Wahrheit ist: Frauen begehren wen sie wollen. Oder, wie es Franziska von Reventlov schon 1912 in einem Roman schrieb: „Die wertvolle Frau, die sooft und unbegreiflicher Weise ihr Gefühl an unwürdige Objekte verschwendet, und der wertvolle Mann, der ungeliebt beiseite steht, die ganze Litanei…. Und ich habe mich so redlich bemüht, Ihnen plausibel zu machen, dass innerer Wert gar nichts mit erotischer Attraktion zu tun hat. Wenn jemand gefällt, frage ich doch den Teufel danach, wie es mit seinem inneren Wert bestellt ist.“ (S. 15)

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

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