Der Krieg als Teil des Männlichkeitsproblems

Die Debatten um den Krieg in der Ukraine fordern nicht nur die traditionelle Friedensbewegung heraus, sondern auch den Feminismus. Es ist kein Zufall, dass gerade Alice Schwarzer und ihre Zeitschrift Emma Appelle für einen schnellen Waffenstillstand und Verhandlungen veröffentlichen und dafür viel Applaus bekommen. Frauenbewegung und Pazifismus gelten gewissermaßen als natürliche Verbündete, Krieg wird als inhärent männlich und patriarchal betrachtet. Da aber die russische Seite in diesem Krieg nicht nur eindeutig der Aggressor ist, sondern auch mit ungeheuerlicher Brutalität vorgeht und sämtliche internationalen Gepflogenheiten missachtet, sind simple Friedensappelle keine Option. Trotzdem kann eine genauere Analyse der Verwobenheit von Kriegskultur und Männlichkeitskonstruktionen dabei weiterhelfen, das Unbehagen vieler Feminist*innen an der gegenwärtigen Debatte zu verstehen. Im Mailänder Frauenbuchladen gab es kürzlich eine Veranstaltung „Der Krieg als Teil des Männlichkeitsproblems“, die ich per Livestream mitverfolgt habe (sehr fantastisch, dass sowas inzwischen möglich ist, Corona sei Dank). Ich fand die Debatten interessant, und die daraus folgenden Gedanken habe ich in einen Text über „Krieg und Männlichkeit“ gegossen, der gestern

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Verschenkte Gelegenheit: Gescheiterter Versuch, Lucy Parsons zu verstehen

Lucy Parsons war eine wichtige Aktivistin des US-Amerikanischen Anarchismus über sieben (!) Jahrzehnte hinweg, und ich bin froh, dass Edition Nautilus dieses Buch herausgebracht hat. Denn es ist wirklich überfällig, dass Parsons auch in Deutschland etwas bekannter wird. Aber leider, leider ist das Buch wirklich schlecht. Die Autorin findet überhaupt keinen Zugang zu ihrer Protagonistin und nimmt sie nicht ernst. Schon auf den ersten Seiten der Einleitung urteilt sie, dass Parsons sich „täuschte“, wenn sie der Meinung war, die Öffentlichkeit habe kein Auskunftsrecht über ihr Privatleben, dass sie Dinge „nicht verstand“, wichtige Fakten „ignorierte“, dass sie zu „Einschüchterung und Drohung“ praktizierte, nennt sie „schrill“, weist ihr (vermeintliche) Widersprüchlichkeiten nach, rügt sie dafür, ihre Mutter verlassen und ihre Kinder instrumentalisiert zu haben. Das alles schon auf den ersten drei (!) Seiten. Ich bin nicht der Meinung, dass man der eigenen Protagonistin nicht kritisch begegnen darf, aber ich habe noch nie eine Biografie gelesen, wo die Autorin so urteilend und wertend mit

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Abtreibungen als öffentliches moralisches Gut

Sophie Lewis wieder mal großartig an der Front der Debatten über eine Ethik des Schwangerwerdenkönnens! „Das erzwungene Gebären lässt sich meiner Meinung nach am besten als die physiologisch invasivste Form des Zwangs zur Care-Arbeit verstehen. … Zu leugnen, dass eine Abtreibung etwas Lebendiges tötet, gibt den Befürworter*innen erzwungener Schwangerschaften nur Boden unter den Füßen und zwingt Abtreibungsbefürworter*innen zu bizarren Verrenkungen aus Euphemismus, Entschuldigung und Selbstsabotage. Abtreibung tötet, aber im Gegensatz zu den allermeisten Formen des Tötens ist sie eine unverzichtbare Technologie für die kollektiven Gestaltung des guten Lebens. Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Tötungen sind Abtreibungen, ebenso wie Antibiotika, ein öffentliches moralisches Gut. Wenn der Humanismus diese zentrale, banale Realität der jahrtausendealten Praktiken unserer Spezies nicht berücksichtigen kann, dann müssen Schwangerschaftskommunist*innen mit dem Humanismus brechen…. Ich bitte darum, dass unsere kollektive Vorstellungskraft in den kommenden Jahren ein wenig Zeit darauf verwendet, darüber zu spekulieren, was – neben dem Recht, private Entscheidungen über die Schwangerschaft zu treffen, oder dem Recht

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Jubiläumsjahr zu Margarete Susman – ein Rückblick mit Links

Die jüdische Religionsphilosophin und politische Autorin Margarete Susman war eine so vielseitige Denkerin, dass es kaum möglich ist, sie auf den Punkt zu bringen. Sie war Lyrikerin und Dichterin, anarchistische Sozialistin und Revolutionärin, Feministin und Differenzdenkerin, Vermittlerin im christlich-jüdischen Dialog, Vordenkerin der jüdischen Renaissance, Protagonistin der europäischen Idee, Überlebende und Interpretin der Shoah. Es stimmt, was sie als Titel für ihre 1964 erschienene Autobiografie gewählt hat: »Ich habe viele Leben gelebt.« Ihr 150. Geburtstag in diesem Jahr war für mich der Anlass (schon in der Vorbereitung), mich intensiv mit ihr zu befassen. Jetzt geht das Jahr zu Ende, und ich möchte hier kurz den Sack vorläufig zubinden, inklusive Linkliste. Besonders empfehlen möchte ich euch ein halbstündiges Gespräch mit Catherine Newmark bei Deutschlandfunk Kultur. Wir sprachen über Susmans Differenzdenken und heutige Identitätsdebatten. Ebenso einen Text, den ich für Publik Forum geschrieben habe (Ihr müsst euch mit Daten anmelden, um ihn als Probeabo lesen zu können): Margarete Susman – Anders denken. Von

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Zum 80. Geburtstag von Alice Schwarzer

Nachdem es jetzt rum ist, auch noch meine 3 Cent zu Alice Schwarzer. Die Erzählung ging ja hauptsächlich darum, ob man ihr dankbar sein soll oder nicht. Die einen sagen aus bekannten Gründen Ja, die anderen aus ebenso bekannten Gründen nein. Oder, als Kompromiss: Was sie früher gemacht hat, war gut, dann wurde es schlecht. Oder, wenn man eine Kontinuität sucht: Sie war eine persönlich schwierige Frau, man konnte schwer mit ihr zusammenarbeiten. Ich würde es ja besser gefunden haben, wenn man sich inhaltlich mit ihren Positionen auseinandergesetzt hätte. Denn die Frage ist doch nicht, ob man ihr dankbar ist oder nicht, sondern ob – wo und wo nicht – man mit ihr übereinstimmt. Für mich kann ich sagen, dass ich als junge Frau am Anfang meiner feministischen Politisierung (mit Anfang 20, also Mitte der 1980er) von Alice Schwarzer gelernt habe, die krasse patriarchale Struktur unserer Kultur zu sehen. Das Ausmaß zu erkennen, in dem die Welt männlich dominiert ist,

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