Brace for Impact. Ein kleiner Mutlosigkeits-Rant.

Ich finde nach wie vor die Frage der strukturellen Ineffizienz der repräsentativen Demokratie eines der wichtigsten Themen der Zeit. Ein weiterer Baustein dabei ist das Phänomen der verzögerten Auswirkung von politischen Maßnahmen, die dazu führt, dass in dem Moment, wo die Gesellschaft ein Problem als dringlich erkennt, der Schaden bereits eingetroffen ist und eigentlich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Klimawandel ist nur ein Beispiel: Hätte man auf das, was in den 1980ern bereits gewusst wurde, rational und vernünftig reagiert, wären die notwendigen Maßnahmen nicht sozial gravierend gewesen.

Anderes Beispiel ist der Notstand in der Pflege und im zwischenmenschlichen „Kümmern“ generell. Hätte man irgendwie auf das reagiert, was Feministinnen vor zwanzig, dreißig Jahren zur notwendige Care Revolution gesagt haben, gäbe es heute das Problem nicht. In konkreteren Figuren: die unsägliche Idee der Fallpauschalen, deren katastrophale Auswirkungen heute erst sichtbar werden in Form von nicht mehr wirklich gut gewährleisteter Versorgung im Krankenhaus.

Ebenso das Unterschätzen von rassistischem und rechtsnationalem Gedankengut, das seit Ende der Achtziger Jahre diskutiert wird, aber zu keinerlei Aktionen führte, bis wir es jetzt als parlamentarische Kraft vor der Nase haben, institutionalisiert. Und eine Gesellschaft, in der die Spaltung zwischen Menschen mit „deutschem Privilegienhintergrund“ und „ancient Migrationshintergrund“ sich teilweise verfestigt hat.

Oder, weiteres Beispiel: Der demografische Wandel, über den es in Deutschland vor 15 Jahren eine große von Frank Schirrmacher ausgelöste Diskussion gab, an der ich mich auch mit einem Buch beteiligt habe – aber nichts von dem vielen Vernünftigen, das man damals leicht hätte machen können, ist in Angriff genommen worden, und heute merkt man das Desaster schon eein bisschen, aber in 10, 15 Jahren aber in werden wir die katastrophale Quittung bekommen, spätestens.

Und dann noch all die Dinge, die jetzt erst eingetütet werden, wie etwa ein US-Präsident wie Donald Trump oder das Brexit-Drama. Viele denken ja momentan: Ja, okay, Trump ist irgendwie uncool, aber mein Leben geht ja doch weiter wie bisher. Nur: In zwanzig, dreißig Jahren wird das, was unter seiner Ägide nun beschlossen wird, mit einer unfassbaren Wucht soziale Verwerfungen nach sich ziehen. Aber dann ist es eben zu spät.

Dieser Mechanismus macht mich wirklich ratlos. Nicht in dem Sinne, dass ich ihn mir nicht erklären kann, es ist ja leicht zu verstehen, warum sich das so abspielt, speziell für Leute aus meiner Generation, die ja die vergangenen dreißig Jahre bereits aktiv miterlebt und mitgestaltet haben.

Nur: Was kann man tun? Ich sehe das Engagement, die Artikel, die geschrieben werden, die Demonstrationen, die Versuche, die Neuanfänge. Aber ehrlich gesagt, je länger desto mehr beschleicht mich ein Defätismus der Art, mir zu sagen: Das nützt leider alles nichts.

Brace for Impact.

Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

7 Gedanken zu “Brace for Impact. Ein kleiner Mutlosigkeits-Rant.

  1. Vielleicht müssen mehr Menschen in die Politik, die die Probleme erkennen und selber an den Entscheidungen mitwirken, die wichtig sind, statt andere zu motivieren, diese Entscheidungen zu treffen.
    Die Partei ist fast (!) egal. Hauptsache, die Entscheidungen werden getroffen.

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  2. Liebe Antje, es macht mich kirre, wenn du jetzt auch noch ratlos bist.

    Dein Optimismus war mir die ganzen Jahre immer ein Rätsel, dennoch habe ich ihn sehr genossen. Egal wie pessimistisch die Rahmenbedingungen waren, Antje sah immer das Licht am Ende des Tunnels, die Sonne am Horizont oder die Retter:innen in der Not.

    Deshalb hoffe ich doch sehr, dass dieser Rant nur ein Rant bleibt, dass sich der Pessimismus wieder in gewohnte Bezirke zurückzieht und Platz macht für den ureigenen Antje-Optimismus.

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  3. @Sammelmappe sagt: 30. November 2019 um 18:46

    > Liebe Antje, es macht mich kirre, wenn du jetzt auch noch ratlos bist. Dein Optimismus war mir die ganzen Jahre immer ein Rätsel, … Immerhin hat heute die SPD nicht die allerschlimmste Variante von Parteivorsitz gewählt <

    Wieso eigentlich? Abgesehen davon, dass ja noch nicht "gewählt" sondern nur der Vorschlag gewählt wurde, ist nichts demokratischer, als Demokratie, dies nicht zu sehen oder nicht zu wollen und auf nicht berücksichtigte eigene Sichtweisen zu verweisen ist weitaus schädlicher, als eine demokratisch gesicherte scheinbare Schwächlichkeit – das sollte auch rückwirkend mal auf alte (Nicht)Entscheidungen bezogen werden, denn: Das ist die Sicht vom Ganzen auf das Ganze, dass sich zu erhalten hat.

    Gelebte Toleranz schliesst Akzeptanz von Anderem ein, auch wenn es nicht meins ist.

    Alles andere ist nicht wissen, sondern hoffen auf "dass sich der Pessimismus wieder in gewohnte Bezirke zurückzieht", da dieses Denken mit ungewohnten Bezirken noch nie zurechtkam, die warme Windel des "Pessimismus in / aus gewohnten Bezirken" offenbar bestimmender wirkt als das Ganze

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  4. @Antje Schrupp sagt: 1. Dezember 2019 um 01:16
    > Immerhin hat heute die SPD nicht die allerschlimmste Variante von Parteivorsitz gewählt Immerhin hat heute die SPD nicht die allerschlimmste Variante von Parteivorsitz gewählt <
    Ja, nur wieso, demokratische Vorgänge unterwerfen sich nicht moralischen Kategorien wie "schlimm", sie sind als demokratische schlicht zu akzeptieren

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  5. Same.
    Ich berate als Expertin für räumliche Planung Kommunen, vorwiegend im ländlichen Raum. Die strukturelle Ineffizienz der repräsentativen Demokratie ist Folge der Inkompetenz der Repräsentanten. ‚Die Strukturen‘ sind zu schwach, wurden auch geschwächt. Selbst wenn Handlungsmöglichkeiten leicht erkennbar sind, braucht es einen hohen Input, um grundlegendes Verständnis zu bilden, und das immer wieder, nach jeder Wahlperiode neu.

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  6. Liebe Antje!
    Vielleicht eine kleine Aufmunterung.
    Zum Klimawandel:
    Ich habe auch etwas Positives zu Trump gehört, was dich vielleicht ein bisschen tröstet:
    Trump könnte sogar gut gewesen sein. Warum? Weil er die Leute aufgerüttelt hat. Sie haben gesehen, daß die da oben nichts tun, um eine Katastrophe zu verhindern. Durch sein Nichtstun, um die Klimaerwärmung aufzuhalten, haben die Leute erst so richtig Angst bekommen. Und Angst ist in diesem Fall was Gutes. Ohne Trump wäre z.B. Greta Thunberg wahrscheinlich/vielleicht nicht so engagiert.
    Vielleicht ist Trump in diesem Sinn langfristig sogar gut. Vielleicht auch für andere Dinge.
    Liebe Grüße!

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