Dynamik des Hasses

„Im nächsten Schritt wendeten sich Verbündete und befreundete Organisationen von uns ab. Nicht, weil sie glaubten, wir hätten etwas falsch gemacht. Im Gegenteil: Sie sagten uns offen, dass sie um die toxischen Tendenzen auch innerhalb der feministischen Bewegung wüssten, ebenso um die Dynamiken auf Social Media. Sie versicherten uns, dass wir lediglich eine Projektionsfläche seien. Und trotzdem könnten sie nicht mehr mit uns zusammenarbeiten. Die Angst, dass sich der Hass auch gegen sie richten würde, war zu groß.“

Lest diesen Text von Kristina Lunz.

Wenn wir über Hass und Hetze im Internet sprechen, dann müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen. („Wir“ = Die Leute, die sich irgendwie als links/feministisch/antirassistisch verstehen).

Ich kann die Dynamiken, die Kristina hier beschreibt, aus eigener Erfahrung bestätigen. Wenn auch natürlich sehr viel kleiner skaliert. Über mich ging vor einigen Jahren mal das Gerücht herum, ich sei „transphob“. Es gab zwar keine wirklichen Belege dafür, allerdings tatsächlich einige Dinge, die ich anders sah als die Aktivist:innen, die diese Behauptung in die Welt setzten. Aber das Argumentieren war schnell zu Ende.

Was mich betrübte oder schockierte war nicht dieser Sachverhalt selbst, harte, auch ungerechte Kritik ist okay und hat einen Platz in der politischen Debatte.

Sondern – genau wie Kristina es beschreibt – die Dynamik, die das auslöste. Die Energie, die Leute aufbrachten, um Verlage, Institutionen etc., die mit mir zusammenarbeiteten, darüber zu informieren, dass sie praktisch kurz vor dem Faschismus stehen, wenn sie weiter mit mir zusammenarbeiten. Die Akribie, mit der sie meine Internetposts in die Vergangenheit nach inkriminierenden Aussagen durchsuchten. Am meisten aber erschreckte mich, wie schnell einige große und vermeintlich linke/feministische Accounts die Vorwürfe weiter verbreiteten, ohne auch nur einmal mit mir in Kontakt zu treten. Billige Credibility, das analysiert Kristina ganz genau richtig.

Ich hatte am Ende zum Glück genug Unterstützung, um mich zu behaupten, was auch daran liegt, dass meine hauptsächliche Base nicht im Internet ist und daher viele meiner Kontakte und Netzwerke von all dem gar nichts mitbekommen haben. Aber bis heute (das ist fast 10 Jahre her) bekomme ich manchmal unsichere Mails von Leuten, die fragen „Hey, ich habe da und da gelesen, du bist transphob, wie kommen die darauf?“

Dass wir (linke, feministische Leute) es nicht schaffen, inhaltliche Differenzen und Konflikte auszudiskutieren ohne darüber in gegenseitige Feindschaft zu verfallen und dem/der Gegner*in alles nur erdenklich Böse zu unterstellen, ist wirklich ein Problem. Vielleicht das größte Problem, angesichts der Bedrohung von Rechtsextrem, die wir derzeit erleben. Das Problem ist nicht nur, dass wir auf diese Weise keine gemeinsame Aktionen hinkriegen, sondern auch und vor allem, dass wir unsere Stärke, Kampfeslust und Kreativität verlieren, wenn alle sich ständig selbst beschränken, aus Angst, womöglich etwas zu sagen, das bestimmte reichweitenstarke Leute „falsch“ finden können.

Diese Debattenkultur führt zu Konformismus, und Konformismus ist der Sargnagel des Feminismus.

(PS Thus said: Ich würde das Phänomen nicht Lynchjustiz nennen, angesichts der Geschichte von rassistischen Lynchmobs in den USA, mit denen ich mich grade etwas intensiver beschäftigt habe. Ich seh da doch noch auch qualitative Unterschiede. Aber das ist ein anderes Thema)

2 Antworten

  1. Ich nenne so was die „Shitstormisierung“ der Debatten in den Socialen Medien. Schrecklich.

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  2. Ganz starker und wichtiger Artikel von Dir. Es schreibt Dir eine Frau, die für viele nur eine SBGG-Frau ist. Ich liebe deine differenzierte intellektuelle Meinung zu den Dingen, die Geschlecht betreffen und damit politisch sind. Lese und höre Dich seit 2014. Mach weiter und wir brauchen Intellektuelle wie Dich. Wir, das sind die, die durch Debatten und Ergebnisoffenheit weiter kommen wollen. Die anderen bleiben am Bahnhof der Erkenntnis zurück, aber das wollen sie auch so. Wir steigen an diesem Bahnhof nicht aus , sondern fahren weiter. Es ist für viele so, wie wenn der Zug nicht mehr vom Bahnhof rausfahren kann, weil da eine Wand ist. Debatten müssen ohne Wände geführt werden. Hass sind Wände, die zu nichts führen.

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Foto: Heike Rost

Antje Schrupp

Ich bin Journalistin und Politikwissenschaftlerin und lebe in Frankfurt am Main. Mein Thema ist besonders weibliche politische Ideengeschichte. Im Sommer 2025 erschien mein neues Buch „Unter allen Umständen frei“ über revolutionären Feminismus am Ende des 19. Jahrhunderts – Victoria Woodhull, Lucy Parsons und Emma Goldman.

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