Für eine Politikwissenschaftlerin war die Serie Lost ja nochmal ein besonderes Vergnügen. Und zwar wegen der Namenswahl: Lauter mehr oder weniger subtile Anspielungen auf berühmte Personen der Ideengeschichte.
Warum eigentlich hieß Locke genauso wie sein realer Vorgänger, nämlich John, während der Vorname von Hume nicht David, sondern Desmond war? Köstlich amüsierte ich mich auch darüber, dass der notorische Frauenfeind Rousseau hier als Frau in Erscheinung tritt, die auch noch dessen notorische Idealisierung der „unberührten Natur“ und des „edlen Wilden“ aufs Schönste konterkariert. Und sehr lustig war es natürlich, als plötzlich Mikhail Bakunin auf der Insel auftauchte.
Eine Frage allerdings blieb offen: Wer ist Kate Austen?
Zuerst dachte ich an Jane Austen, aber Freckles und die britische Schriftstellerin kamen in meinem Kopf nicht ernsthaft zusammen. Auch Wikipedia, wo es ansonsten eine detaillierte Übersicht über die Namensgebung der Serie gibt, ließ mich im Bezug auf Kate Austen im Stich.
Bis ich dann gestern bei der Lektüre von Emma Goldmans Autobiografie auf diesen Namen stieß: Auf Seite 226 erzählt die berühmte amerikanische Anarchistin von ihrem Besuch bei einer Genossin namens Kate Austen, die mit ihrem Mann und ihren Kindern in einem winzigen Kaff in Massachusetts lebte. Ihre Artikel, schreibt Goldman, „zeigten, dass sie logisch denken konnte, gut Bescheid wusste und eine revolutionäre Ader hatte, ihre Briefe dagegen waren herzlich und empfindsam.“
Eine Woche verbrachte Goldman damals bei Kate Austen und ihrer Familie und lernte einiges über das Leben der amerikanischen Farmer und Farmerinnen. Kate organisierte damals Vortragsabende für Emma, die sehr gut besucht waren. Aus vielen Meilen im Umkreis kamen die Farmer zu Fuß, was für den großen Einfluss Austens in ihrer Gegend sprach, wie Goldman kommentierte. Nur an einem Punkt sei Kate Austen bei den Farmerinnen nicht gut angekommen, und zwar „in der Frage der Sexualität“. Goldman schreibt:
„Was würdest du tun, wenn dein Mann sich in eine andere Frau verliebt?“ hatte eine Farmerfrau einmal gefragt. „Würdest du ihn verlassen?“ „Wenn er mich immer noch liebt, nein“, hatte Kate ohne zu zögern geantwortet. „Und würdest du die Frau hassen?“ „Nicht, wenn sie ein guter Mensch wäre und Sam wirklich liebte.“ Die Nachbarin hatte gesagt, wenn sie Kate nicht so gut kennen würde, würde sie sie für unmoralisch oder verrückt halten. Sie war überzeugt, dass Kate ihren Mann wohl nicht liebte, sonst würde sie ihn nicht mit einer anderen teilen wollen. „Der Witz an der Sache ist“, fügte Kate hinzu, „dass der Mann dieser Nachbarin ein bekannter Schürzenjäger ist und sie es nicht einmal merkt.“
Noch irgendwelche Zweifel, dass wir es hier mit einer würdigen Vorlage für die weibliche Lost-Hauptfigur zu tun haben? Ich denke nicht. Zwar hat meine Internet-Recherche dann ergeben, dass Kate Austen, die Anarchistin, in den USA als „Austin“ bekannt ist. Aber das sehe ich jetzt mal nicht so eng.
Emma Goldman: Gelebtes Leben. Autobiografie, Nautilus, Hamburg 2010, 34,90 Euro, unglaubliche 926 Seiten.
Interessante Überlegungen, das F-Wort betreffend: Ich überlege gerade, ob ich mich mit dem Terminus Post-Feministin identifizieren kann… aber wahrscheinlich ist der auch schon von den falschen besetzt. http://twentyfirstcenturycat.wordpress.com/
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@Eva Herold – Post-Feministin gefällt mir persönlich überhaupt nicht, weil das immer so klingt, als sei Feminismus „überholt“ bzw. „von gestern“. Das finde ich nun überhaupt nicht. Ich halte „Feminismus“ (im Sinne von: weibliche Freiheit leben) nicht für ein historisches Phänomen, sondern für eine Praxis, die immer und jederzeit notwendig ist, war und sein wird (auch nach der Emanzipation). Daher hat mir der Spruch „I’ll be a post-feminist in post-patriarchy“ noch nie besonders gut gefallen. Ich brauche kein Patriarchat, um die Existenz von „Feminismus“ zu rechtfertigen…
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Schon klar. Nur: richtige Gedanken, in einer falschen Welt. Als Journalistin und Werbetexterin bin ich bei dieser Frage mehr an der Außenwirkung interessiert: Welches Bild vermittle ich den weniger Nachdenklichen? Lasse ich sie die für BILD schreibende Alice Schwarzer assoziieren? Die Erfolgfrauen 2.0 (mehr dazu in der neuen GAZETTE, erscheint am 15. Dezember)? Schublade auf, Schublade zu, danke sehr. Neuer Vorschlag: Neo-Feministin. Ja, auch kein unverbrauchtes Wort, aber der Anklang an Neo-Faschisten hat wenigstens was Gefährliches.
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@Eva – Neo-Feministin. Darüber denke ich mal nach.
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