Als 1975 der spanische Diktator Francisco Franco starb, bedeutete das das Ende einer langen Ära, in der jegliche linke Opposition illegal gewesen war. Folterungen, politische Morde und Repression hatten vier Jahrzehnte lange nicht nur jede politische Kritik, sondern auch jeden Ausdruck persönlicher Freiheit, Feminismus, Homosexualität, Queerness jeder Art unmöglich gemacht. Ein Dokumentarfilm von Luis E. Herrero zeigt jetzt die Aufbruchstimmung jener ersten Jahre. Im Mittelpunkt steht dabei die anarchistische Gewerkschaft CNT (Confederacion Nacional del Trabajo), die für eine kurze Zeit lang „in Mode“ kam und Hunderttausende hinter sich versammelte. Zu sehen sind Originalaufnahmen ihrer Kongresse und Treffen und Interviews mit damaligen Aktivist*innen. Dabei wird spürbar, wie schwierig es war, zwei verschiedene Gruppierungen miteinander ins Gespräch zu bringen: Die alten Kämpferinnen, die noch den spanischen Bürgerkrieg erlebt hatten, und eine neue Generation junger Menschen, die von den Ideen und Ausdrucksformen der Flower-Power und Studentinnenbewegungen der „68er“ inspiriert waren. Ich fand allerdings beim Anschauen des Films, dass gerade diese Kombination einen gewissen
Anarchismus
Ein Film über den Anarchismus im Schweizer Jura
Offenbar gibt es einen neuen Film über die anarchistischen Gruppen im Schweizer Jura im 19. Jahrhundert. In meiner Diss geht es viel um diese anarchistischen Uhrmacher, und ich bin damals sogar nach St. Imier gefahren, um das zu erforschen. Daher interessiert mich dieser Film natürlich sehr, und ich hoffe, dass ich ihn irgendwo sehen kann, auch wenn ich nicht in Berlin wohne. Natürlich interessiert mich auch die Darstellung des Geschlechterverhältnisses. Soweit ich es aus den verfügbaren Quellen belegen kann, waren die Sektionen dort von Männern dominiert. Mir ist keine einzige Frau namentlich bekannt, und ich habe in den Quellen gesucht (und kann es im Vergleich mit anderen Regionen Europas, wo es Sektionen der Internationale gab und es anders war, vergleichen). Es ist natürlich schön, dass der Film die Frauen in dieser „Szene“, die es ja mit Sicherheit gab, sichtbar machen will, aber die Grenze dazu, sich die eigene anarchistisch-patriarchalische Vergangenheit schönzureden, ist natürlich ein schmaler Grat. Und noch eine Frage
Erbrecht abschaffen!
Angeblich leben wir ja in einer Gesellschaft, in der alle die gleichen Chancen haben, in der es gerecht zugeht, in der das Individuum zählt und nicht der Clan, zu dem jemand gehört – schön und gut, aber was dem vollkommen entgegensteht, ist das Erbrecht. Seit ich im Rahmen meiner Dissertation vor 30 Jahren realisierte, dass im 19. Jahrhundert die Abschaffung des Erbrechts eine zentrale Forderung anarchistischer Gruppen war und vor allem auch Feministinnen das unterstützten (weil das damalige Erbrecht meist auch noch patriarchal war und männliche Nachkommen bevorzugte), geht mir das nicht mehr aus dem Kopf. Also warum es sich so gehalten hat. Und warum die Linken sich so auf das Privateigentum an Produktionsmitteln kaprizieren, statt so etwas viel einfacheres, logischeres, praktischeres wie die Abschaffung des Erbrechts anzustreben. Und warum dieses Clan-Familien-Denken sich so hartnäckig hält. Ich schreib das immer mal hier und da hin, meistens mit wenig Resonanz, weil die Linken sind alle marxistisch eingenordet (Marx war schon im
Besondere Umstände: Episode Corona 2
Anarchismus und Epidemien, Sozialsysteme, Wissenschaft, Klima: Darüber sprachen Benni und ich heute in der Episode „Corona 2“ von unserem Podcast Besondere Umstände. Hier anhören!
Frage an meine anarchistischen Kontakte:
Ich denke gerade darüber nach, wie in einer herrschaftsfreien Gesellschaft notwendige Verhaltensänderungen – wie etwa bei einer Virus-Epidemie – in kurzer Zeit umgesetzt werden können. Die Problemlage ist ja folgende: Um eine Epidemie zu bekämpfen, ist es notwendig, sehr schnell zu handeln, denn jeder Tag Verzögerung vergrößert das Problem exponenziell. Herrschaftsfreie Entscheidungsprozesse brauchen jedoch – anders als machtpolitische oder gewaltförmige – Zeit, und manchmal kommen gar keine zustande, weil es keine Einigung gibt. Nun ist es aber bei einer Epidemie so, dass das schädliche Verhalten einer einzigen Person hunderte oder tausende andere gefährden kann. Die „normale“ anarchistische Option, nämlich sich im Fall von unterschiedlichen Auffassungen einfach zu trennen oder zwei verschiedene Projekte zu machen, die sich gegenseitig in Ruhe lassen, oder eben geduldig weiter zu diskutieren, bis man sich geeinigt hat – das alles geht nicht. Allerdings sehen wir zurzeit, dass die herrschaftsförmige Art, das zu organisieren – Regierungsentscheidungen von oben und Polizei, die das umsetzt – auch nur kurzfristig
Besondere Umstände, Episode 35 – Corona-Edition
Eva, Benni und ich haben endlich mal wieder gepodcastet – und zum ersten Mal haben wir uns dabei nicht gegenüber gesessen, sondern jede am eigenen Bildschirm. Nu ja, ging auch irgendwie, Thema war natürlich Corona. Aber hört selbst. Ebenfalls sehenswert (und im Podcast von Benni erwähnt) das Youtube Erklär-Video von MaiLab. Seht euch das an!
„Das Hauptproblem besteht natürlich darin, dass erfolgreiche Revolutionen so selten sind“
Gelesen: Den kürzlich erst veröffentlichten Text „Die Freiheit, frei zu sein“ von Hannah Arendt, der wohl um 1966 oder 1967 entstand. Sie schreibt darin über Revolutionen und die Frage, was und wer sie warum macht. Dabei wählt sie auffällig oft – eigentlich dauernd – die Formulierung: „Die Männer der Revolution“. Die Französische Revolution, schreibt Arendt, scheiterte, weil die „Männer der Revolution“ mit der Idee von der Gleichheit aller Menschen sehr viel mehr eingeläutet hatten als nur, wie sie dachten, einen Wandel der Regierungsform. Die Frauen mit ihrem Marsch auf Versaille (le peuple) hätten vielmehr sichtbar gemacht, dass Freiheit nur möglich ist, wenn Menschen auch die Freiheit haben, frei zu sein. Oders anders: Es reicht nicht, keine Furcht (vor denen da oben) zu haben, man braucht auch was zum Essen. Damit hoben die Frauen, le peuple, die Idee der Revolution auf ein neues Level: auf das der sozialen Verhältnisse. Die Französische Revolution ist an der Größe dieser Aufgabe gescheitert, aber die
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Zur Arte-Dokumentation über Anarchismus
Gestern Teil 1 dieser Arte-Doku über Anarchismus gesehen (nur noch 2 Tage in der Mediathek!) Meine Kurz-Rezension: Alles in allem ganz okay, außer *dass es wieder komplett aus einer männlichen Perspektive erzählt wird – anders ließe sich ja nicht behaupten, Proudhon hätte jegliche Form von Herrschaft abschaffen wollen, die von Männern über Frauen wollte er nämlich ganz dezidiert bekräftigen). Frauen kommen nur am Rande vor, analytisch spielt das Thema keinerlei Rolle. Verschenkt. Unter den haufenweise Experten, die uns den Anarchismus erklären, ist auch nur eine einzige Frau, immerhin die großartige Marianne Enckell. *dass richtige Fehler drin sind – zum Beispiel wird wieder mal das nicht aus der Welt zu schaffende Gerücht behauptet, Frauen hätten in der Pariser Kommune wählen dürfen. *und dass ich das Label „Anarchismus“ generell für die Zeit vor dem 1. Weltkrieg schwierig finde, weil es alles umfasst, was nicht marxistisch ist. Dadurch verschwinden wichtige Differenzierungen. Bakunin wird zum Beispiel als Nachfolger von Proudhon in der Internationale bezeichnet, das
Die Attentatskritikerin. Oder: Vom Elend des männlichen Revoluzzertums (wieder mal)
Lou Marin: Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2016, 262 Seiten, 16,90 Euro. Man ist nach der Lektüre des Buches ein bisschen versucht, das Ganze mit „noch ein Beispiel dafür, wie toxische Männlichkeit freiheitliche Bewegungen zerstört“ zu überschreiben. Diesmal geht es um das libertär-anarchistische Milieu in Frankreich in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und speziell um eine seiner Protagonistinnen, nämlich Rirette Maîtrejean (1887-1968). Und irgendwie schließt es inhaltlich auch ein bisschen an die Propaganda der Tat an, über die ich kürzlich erst schrieb. Attentatskritikerin ist jedenfalls eine originelle Personenbeschreibung. Ich fand das Buch auch deshalb spannend, weil es zu einer Zeit spielt, in der der Anarchismus zumindest in Frankreich noch einen sehr starken ideengeschichtlichen Einfluss auf die Arbeiterbewegung hatte. Vor der bolschewistischen Revolution in Russland, an deren Ende sich das Linkssein in Europa ja immer mehr auf Marxismus-Leninismus kaprizierte und alternative Ideen des Sozialismus an den Rand gedrängt wurden. Rirette Maîtrejean (ihr Geburtsname war Anna Henriette Estorges) hatte mit 16
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