Was ist „Verletzung der Privatsphäre“?

In der Papier-Sonntaz gibt es (leider nicht online) einen Artikel von Johannes Gestert mit dem Titel „Die Enthüllung“, der sich kritisch mit der Gesichtserkennung bei  Facebook auseinandersetzt.

Darin gibt es einen Absatz, der meines Erachtens sehr deutlich den kulturellen Konflikt zeigt, um den es meiner Meinung nach beim Stichwort „Privatsphäre“ geht:

Der Fotograf Wolfram Hahn hat für ein Fotoprojekt junge Leute über ihre Onlineprofile befragt. Manche fanden ihn unverschämt, als er sie auf ihre Bilder ansprach. Als würde er in ihre Privatsphäre eindringen. Dabei stand alles im Netz.

Die Vorannahme hinter dieser Argumentation ist: Wenn etwas im Netz steht, dann kann es nicht mehr privat sein, dann kann jeder alles mit diesen Daten machen. Es wird so dargestellt, als sei das Rechts- und Unrechtsempfinden der hier zitierten Jugendlichen dumm und naiv. Wenn ihr das Zeug ins Netz stellt, dürft ihr euch nicht beschweren, wenn andere das entgegen euren Intentionen verwenden.

Dies Argumentation ist aber unsinnig, sobald man sie etwa aus dem Netz heraus in die analoge Welt überträgt. Dann würde sie nämlich sinngemäß bedeuten: Du veranstaltest eine Party und lässt dabei auch fremde Leute in dein Haus. Dann musst du dich auch nicht wundern, wenn die deinen Weinkeller austrinken.

Im analogen Leben gibt es durchaus ein Bewusstsein dafür, dass man nicht alles, was man machen kann, auch machen darf. Dass nicht alles, wozu man Zugang hat, einem auch gehört und beliebig verwendet werden darf. Warum sollte das im Internet nicht möglich sein? Warum soll die Erwartung der Jugendlichen, dass ein Fotograf versteht, dass private Fotos, die in einem sozialen Netzwerk gepostet werden, nicht dazu gedacht sind, für seine professionellen Projekte verwendet zu werden, falsch sein? Und wie kommt er dazu, diejenigen, die ihn auf seine ungehörigen Übergriffe hinweisen, für naiv und dumm zu erklären?

Das eigentliche Problem liegt vielleicht darin, dass wir dieses Bewusstsein davon, dass sich manches eben „nicht gehört“, selbst wenn kein Polizist dabei steht, der das verhindert, auch im analogen Leben zunehmend verlieren. Und das wiederum führt dazu, dass viele dieser Jugendlichen, die da angepisst reagieren, wenn jemand ihre im Netz zugänglichen Dateien entgegen ihrer offensichtlichen Intention verwendet, selbst auch eher skrupellos sind, wenn es sich um die Daten anderer handelt.

Aber. Die Lösung kann nicht sein, überall Zäune zu bauen und Polizisten hinzustellen, bei privaten Parties einen Türsteher zu engagieren, der von allen Gästen erstmal eine Unterlassungserklärung bezüglich des Weinkellers unterschreiben lässt, oder sonstwelche „Zugangsbeschränkungen“ zu installieren. Sondern nur, dass wir das entsprechende zivilisatorische Bewusstsein stärken – indem wir uns bemühen, nicht übergriffig zu sein und auch andere darauf hinweisen, wenn sie die grundlegende Maxime jeder Kultur missachten: Dass man schlicht und ergreifend nicht alles tun darf, was man tun kann.

Dazu habe ich ja auch früher schonmal gebloggt.


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Ich bin Journalistin und Politologin, Jahrgang 1964, und lebe in Frankfurt am Main.

18 Gedanken zu “Was ist „Verletzung der Privatsphäre“?

  1. Das eigentliche Problem liegt vielleicht darin, dass wir dieses Bewusstsein davon, dass sich manches eben „nicht gehört“, selbst wenn kein Polizist dabei steht, der das verhindert, auch im analogen Leben zunehmend verlieren.

    Der Satz hat mich überrascht. Hast du tatsächlich den Eindruck, dass ein solcher Prozess stattfindet?

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  2. @ke – Hm. Schwarzfahren. Steuerhinterziehung. Müll irgendwohin werfen. Ich überlege aber grade, ob es vielleicht auch damit zusammen hängt, dass das Empfinden über das, was richtig und falsch ist, und das, was verboten und erlaubt ist, auseinanderfällt.

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  3. Vielleicht bin ich mit 25 zu jung, um mich an die Zeiten erinnern zu können, wo es das alles noch nicht gab. 😉

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  4. Der Fotograf Wolfram Hahn hat für ein Fotoprojekt junge Leute über ihre Onlineprofile befragt. Manche fanden ihn unverschämt, als er sie auf ihre Bilder ansprach. Als würde er in ihre Privatsphäre eindringen. Dabei stand alles im Netz.

    der widerspruch an der sache nicht das verhalten des fotografen, sondern das der jugendlichen, denen offenbar das wesen von onlinedaten nicht ganz klar ist. wenn sie etwas öffentlich machen, dann ist es nicht mehr privat. das ist ein fakt. man kann sich dann nicht mehr aussuchen geschweige denn kontrollieren, was mit den daten geschieht, auch wenn sich das eine oder andere möglicherweise nicht gehört. allerdings hat der fotograf die jugendlichen ja gefragt, sich also nicht einfach der fotos bemächtigt.

    besonders delikat ist, dass gerade jugendliche (ob die betreffenden dazu gehören, ist zwar unklar) sich oftmals einen feuchten dreck um urheberrecht und lizenzen scheren, musik und filme einfach downladen oder fremde fotos in die welt verschicken.

    Die Vorannahme hinter dieser Argumentation ist: Wenn etwas im Netz steht, dann kann es nicht mehr privat sein, dann kann jeder alles mit diesen Daten machen.

    erstes stimmt auch. was öffentlich ist, ist nicht privat, denn öffentlich und privat sind quasi antagonisten. dennoch darf man natürlich nicht alles mit öffentlich zugänglichen daten machen. dazu gibt es lizenzbestimmungen und nutzungsrechte. da der herr hahn die leute gefragt hat, war sein verhalten völlig korrekt.

    Dies Argumentation ist aber unsinnig, sobald man sie etwa aus dem Netz heraus in die analoge Welt überträgt. Dann würde sie nämlich sinngemäß bedeuten: Du veranstaltest eine Party und lässt dabei auch fremde Leute in dein Haus. Dann musst du dich auch nicht wundern, wenn die deinen Weinkeller austrinken.

    nein, unsinnig ist diese analogie. facebook ist kein privates haus, über dessen zugang der besitzer die kontrolle hat und wo er ggf in den keller gehen und nachsehen oder unerwünschte gäste hinausbitten kann. facebook ist öffentlich zugänglicher virtueller raum, wobei die virtuellen gäste mit ihrem verhalten nicht „sichtbar“ sind. passender wäre als vergleich: wenn jemand sein eigentum unbeaufsichtigt in den öffentlichen raum stellt, muss er damit rechnen, dass dinge entwendet werden, denn es verfügen leider nicht alle über das nötige zivilisatorische bewusstsein, die sachen stehen zu lassen.
    allerdings kann man im grunde gar keinen vergleich zwischen facebook und realem leben herstellen, da es für die virtuellen bedingungen kein reales äquivalent gibt.

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  5. Hm. Das Grundprinzip/das Grundmissverständnis, das hier angesprochen wird, ist ja nicht neu. Und es zeigt,wie wichtig es ist,zu differenzieren zwischen dem Empfinden/Wunsch nach Privatsphäre und den faktischen Bedingungen. Nun habe ich den Beitrag nicht gelesen,aber wenn die Fotos von Facebook stammen,würden die Vermarktungsrechte an den Bildern schon längst dieser Firma übertragen. Da hilft dann auch keine Norm aus der offline Welt, dass man bei Tisch im Restaurant das Gespräch am Nachbartisch überhört. Wichtig ist nicht nur die interpersonalen Regeln zu reflektieren,sondern im Netz auch immer die Plattformen mitzudenken.

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  6. Was ich vergaß: Das Beispiel mit den Tischsitten hatte Danah Boyd vor ca. zwei Jahren auf einer Podiumsdiskussion eingebracht. Passt zu dem hier angesprochen Vergleich. Nicht, dass ich.mich mit fremden Federn schmücken wollte. Viele Grüße, Nie7

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  7. Ich stimme Dir zu, Antje. Das Problem dabei ist unter anderem auch, das die Art unseres Miteinander sich durch technische Möglichkeiten schneller, weit weit schneller entwickelt, als unsere soziale Kultur. Da kommen wir mit Gewohnheiten und gelerntem nicht mehr hinterher und werden immer hinter her hinken.

    Dazu kommt, das wir im „anfassbarem Raum“ diese Kultur auch immer mehr verlieren (und das schon vor dem Internet). Und es ist nicht mehr das „für den einzelnen “ erlaubt, oder sagen wir besser flapsig „drin“, was nach Gesetz erlaubt ist, sondern es ist das „drin“, bei dem mich keiner erwischt oder wo es mir egal ist, wenn mich jemand erwischt. Und immer öfters werden Regelahndungen schon als Eingriff in die „Privatsphäre“ gesehen, schau Dir nur jede beliebige Kommentarseite zu einem beliebigen Artikel über Tempo-Radargeräte an.

    Das miteinander ist in der Tat schwieriger geworden und ich finde, es könnte uns nur noch eine Art „weniger ist mehr“ Mentalität retten. Auch beim echaufieren, wenn andere dann doch einmal über griffig wurden, wie der von Dir genannte Autor, weil er mit seinem „weniger ist mehr“ hier nicht klar kam. Was ich persönlich sehr sehr verständlich finde… ich denke ja auch:; hängt Eure Fotos nicht von aussen sichtbar an eine Schaufensterscheibe in der Fußgängerzone, wenn da keiner drüber reden darf.

    Umgekehrt achte ich aber auch drauf, was ich anderen über dritte aus meinem FB-Kreis erzähle.

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  8. Das Problem ist halt das Vertrauensverhältnis, das ich z.B. mit meinem Handy habe. Da telefoniere, chatte und schreibe Mails mit meinen Freunden. Das alles ist für niemand sonst zugänglich. Benutze ich eine Facebook-App auf dem gleichen Handy, ist alles öffentlich, was ich nicht besonders schütze. Weiß ich das nicht, fühle ich mich hintergangen, wenn jemand dies liest. Mal bewege ich mich im geschützten Freundeskreis, mal nicht, obwohl ich immer das gleiche Gerät benutze. Da hilft nur Medienkompetenz, aber keine allgemeine „was sich so gehört“-Einstellung.

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  9. ,,besonders delikat ist, dass gerade jugendliche (ob die betreffenden dazu gehören, ist zwar unklar) sich oftmals einen feuchten dreck um urheberrecht und lizenzen scheren, musik und filme einfach downladen oder fremde fotos in die welt verschicken.“

    Jugend-Bashing?
    Die Jugendlichen leben mal wieder sorglos vor sich hin und pfeifen auf rechtliche Anordnungen,während der Rest der Welt Sorgen und Kummer hat? Und dann wundern die Kids sich auch noch, wenn auf Facebook ….!
    Ich habe das Gefühl, es geht dem Fotografen nur drum, die Fehler der Jugend genüsslich vor die Kamera zu zerren und den anständigen ,,Rest der Welt“ mitkichern zu lassen. Fotos vom Komasaufen? Wie unanständig. In Deutschland wird eine enorme Bierzeltkultur zelebriert, mit Alt und Jung und Manager und Arbeiter, aber wehe, die Jungen haben den Spaß außerhalb. Wir nehmen das bierernst.
    (,,Aber von Bier hat doch keiner geredet.“ – ,,Mir doch egal. Trotzdem Heuchelei.“)

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  10. Auch wenn der Fotograf vielleicht unsensibel reagiert, dennoch vermisse ich gerade bei facebook-usern das Bewusstsein, welche Infos sie da allen frei verfügbar präsentieren, mittlerweile kann man da ganze Profile erstellen… der wahn von facebook tut da noch sein übliches, z.B. durch Joggingschuhe die genau festhalten und übertragen, wo die Person sich gerade befindet…

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  11. Für mich geht es bei der Diskussion um Privatsphäre darum zu klären wer für wen Entscheidungen trifft.
    Ich persönlich möchte selbst entscheiden, welcher Person, welcher Firma oder allgemeiner, welcher Institution ich Daten, also Wissen über mich anvertrauen will. Anvertrauen deswegen weil ich finde, dass es für mich ein gewisses Vertrauen für mich braucht um Daten rauszugeben. Das ist einer der Gründe warum ich kein Facebook, kein *VZ oder so benutze.
    Ausnahmen waren dabei myspace (was für meine Tätigkeit bei einem Webradio für unglaublich hilfreich war) und google+. Dass ich bei google+ bin hat was damit zu tun, dass ich google meine Mails anvertraut habe, also ein Grundvertrauen (oder ein Grundausgeliefertsein) eh schon vorhanden war und ich den Dienst ausprobieren wollte. Aber ganz klar, ich treffe hier die Entscheidung wer wann Daten von mir bekommt. So lange ich keine Person bin, bei der es Gründe gibt diese Möglichkeiten einzuschränken (wie Personen besonderen öffentlichen Interesses, wie PolitikerInnen u.ä.), soll das bitte auch so bleiben.

    Ich weiß aber, dass Personen Bilder von mir bei FaceBook eingestellt haben/hatten. Und das finde ich ein ziemliches No-Go, weil sie es ohne meine Zustimmung taten. Ich weiß auch, dass es Personen gab, die meine Mailadresse an FaceBook weitergegeben haben und sicher sind da noch einige weitere Daten, zu deren Weitergabe ich nicht zugestimmt habe.
    Das Problem was ich damit habe ist, dass meine Entscheidung, dass ich bestimmte Daten an bestimmte Institutionen nicht weitergeben möchte, nicht respektiert und damit die Entscheidung ungültig gemacht wird. Diese Institution hat plötzlich Zugriff auf Daten über mich, obwohl ich das nicht möchte. Es wird mir damit Entscheidungsmacht (über mich) entzogen.

    Nun ist das für mich ein relativ kleines Problem, da ich mich in einer durchaus privelivierten Position befinde. Ich bin in einer Position in der es mir sozusagen egal sein könnte. Aber diese Positionen besitzen viele eben nicht. Und was mit bestimmten Daten passieren, angerichtet werden kann ist an den Daten selbst ja garnicht abzusehen. So können Fotos, die für mich total harmlos sind, für andere Personen ein massives Problem darstellen. Mir fallen viele (durchaus stereotype) Konstellationen ein, in denen Menschen Schaden (bis hin zu körperlichem Schaden) drohen könnte, auch wenn es das Bild (oder eben das entsprechende Datum) nicht offensichtlich zeigt. Das Problem ist, dass Personen die diese Daten öffentlich machen, weder direkt noch indirekt eine Verantwortung erkennen, diese zugesprochen bekommen oder eben an negativen Konsequenzen beteiligt werden. Ja ich glaube, vieles passiert dabei mit Leichtsinn oder unter Ignoranz gegenüber möglichen Konsequenzen. Und das halte ich für ein Problem.

    Für mich ist also die „Verletzung der Privatsphäre“ das Veröffentlichen von Daten, der die betroffene Person nicht zugestimmt hat. Dass diese Daten dann eingesehen und benutzt werden, dagegen kann im Netz (glücklicher und unglücklicherweise) kaum jemand etwas unternehmen.

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  12. @gendalus – Das sehe ich ganz genauso. Ich denke nur, dass das ein Gebiet ist, bei dem man eine entsprechende Kultur, d.h. ein Bewusstsein schaffen muss, was sich gehört und was nicht, und dass man das eher nicht mit Gesetzen regeln kann.

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  13. Liebe Frau Schrupp, wie kommen sie eigentlich darauf zu behaupten, ich hätte irgend etwas unerlaubt verwendet? Alle Fotos, sogenannte Profilfotos, dessentwegen ich die Personen angesprochen hatte, waren öffentlich zugänglich. Ich habe also keine privaten Bereiche überschritten. Darüber hinaus habe ich alle Protagonisten der Serie genau über mein Vorhaben informiert. Ich habe niemanden für meine Arbeit „benutzt“. Auch habe ich niemanden für „dumm“ erklärt. Wo haben sie das gelesen?

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  14. Hallo Herr Hahn, in meinem Blogpost ging es nicht um Sie, sondern um eine verbreitete Argumentationsfigur. Der Satz in der taz über Sie war nur der Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Der Vorwurf, die Jugendlichen würden als „dumm und naiv“ dargestellt werden, richtet sich dementsprechend auch an die taz, nicht an Sie.

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