Öffentliches Denken oder warum ich Zeugs ins Internet stelle

Neulich fühlte ich mich kurzzeitig ertappt, weil ich in einer Kolumne von Menschen las, die durch die Gegend laufen und alles daraufhin „scannen“, ob es vielleicht brauchbar ist für ein Posting auf Facebook, Instagram, Twitter. Das mache ich nämlich auch oft: dass ich Erlebnisse und Dinge, die mir auffallen, gleich im Kopf „übersetze“ in ein Foto, in einen Tweet, in einen Blogpost. Erwischt! Ich bin ja gar nicht mehr richtig im Leben! Ich missbrauche das richtige Leben für meine mediale Selbstdarstellung im Internet! Stimmt diese Erzählung? Wenn ich über meine eigene Praxis dazu nachdenke, dann würde ich es eher so beschreiben, dass Social Media für mich einen „Abflusskanal“ bildet für die Sachen, die mir durch den Kopf gehen. Mir fällt etwas auf, mich wundert etwas, ich habe einen Gedanken, eine Idee, eine Frage – und ab damit ins Internet. Mache ich das wegen der Likes? Ist das Narzissmus? Ich glaube nicht, dass das das Hauptmotiv ist, auch wenn ich nicht

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Das dumme Gerede von Zensur

Dem Journalisten Jürgen Domian wird „angst und bange“ um die Meinungsfreiheit, weil Facebook – versehentlich, wie der Konzern inzwischen mitgeteilt hat – einige seiner Posts gelöscht hat. Unheilsschwanger fragt er in die Runde seiner über 70.000 Facebook-Fans: „So etwas darf man nicht mehr schreiben? Hier schon übt Facebook Zensur aus?“ Und natürlich wurde Domians demokratiebesorger Aufschrei massenweise in den Netzwerken herumgereicht und auch jede Menge Zeitungen haben es wiederholt: Facebook übt Zensur aus! Mir hingegen wird angst und bange, weil offenbar selbst professionelle Journalist_innen nicht mehr wissen, was Zensur eigentlich ist: Nämlich ein von staatlicher Seite unter Strafandrohung verhängtes Verbot, bestimmte Ansichten und Meinungen öffentlich zu äußern. Stephan Urbach hat das kürzlich schon in seinem Blog dankenswerterweise klargestellt. Es kann doch eigentlich nicht so schwer sein, den Unterschied zu verstehen zwischen der Weigerung eines Seitenbetreibers, bestimmte Ansichten auf seiner Plattform zu verbreiten, und einem generellen Verbot, diese Ansichten überhaupt öffentlich äußern zu dürfen. Es vergeht kaum eine Woche, wo mir selbst nicht auch Zensur

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Euer Facebook-Gejammere nervt!

Seit geraumer Zeit ärgere ich mich über das Facebook-Gejammere dieser „Netzgemeinde“. Der gefühlt fünfttrillionste Artikel mit der Überschrift „Facebook nervt“ von Maik Söhler aus der heutigen taz ist jetzt mal der Anlass, darüber zu bloggen. Der Hauptgrund, der von den Facebook-Verächterinnen vorgebracht wird, ist natürlich die Bevormundung dieser Plattform. Alle drei Tage werden wieder irgendwelche Einstellungen verändert, man hat keinerlei Kontrolle (haha) über das, was einer so in die Timeline gespült wird. Undurchsichtige Algorithmen schreiben mir vor, was ich lesen soll, lauter langweiliges Zeug kommt da oder – oh Göttin! – Werbung, die ich nicht bestellt habe. Die Daten gehören sowieso Herrn Zuckerberg, alles was ich bei Facebook poste, wird überwacht, ausgenutzt und im Zweifelsfall gegen mich verwendet. Und dann diese ganzen Poesiealbumssprüche. Ja, das stimmt alles. Und ja, es gibt viele schönere Orte im Internet, zum Beispiel Blogs oder Twitter oder noch irgendwelche anderen Seiten, die noch viel nerdiger und selbstbestimmter und unüberwachter sind. Und das ist gut so, und es

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Was ist „Verletzung der Privatsphäre“?

In der Papier-Sonntaz gibt es (leider nicht online) einen Artikel von Johannes Gestert mit dem Titel „Die Enthüllung“, der sich kritisch mit der Gesichtserkennung bei  Facebook auseinandersetzt. Darin gibt es einen Absatz, der meines Erachtens sehr deutlich den kulturellen Konflikt zeigt, um den es meiner Meinung nach beim Stichwort „Privatsphäre“ geht: Der Fotograf Wolfram Hahn hat für ein Fotoprojekt junge Leute über ihre Onlineprofile befragt. Manche fanden ihn unverschämt, als er sie auf ihre Bilder ansprach. Als würde er in ihre Privatsphäre eindringen. Dabei stand alles im Netz. Die Vorannahme hinter dieser Argumentation ist: Wenn etwas im Netz steht, dann kann es nicht mehr privat sein, dann kann jeder alles mit diesen Daten machen. Es wird so dargestellt, als sei das Rechts- und Unrechtsempfinden der hier zitierten Jugendlichen dumm und naiv. Wenn ihr das Zeug ins Netz stellt, dürft ihr euch nicht beschweren, wenn andere das entgegen euren Intentionen verwenden. Dies Argumentation ist aber unsinnig, sobald man sie etwa aus

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Farewell für meine „schwachen Freundinnen“

Es passiert immer mal wieder, aber jetzt zum Jahreswechsel ist es gleich zweimal passiert: Facebook-Freundinnen haben sich aus dem Netzwerk verabschiedet. Und ich bin darüber ein bisschen traurig. Ja, sie haben ihre Post- und E-Mail-Adressen hinterlassen, und ich könnte ihnen schreiben, aber derart war unsere Beziehung eigentlich nicht. Wir kannten uns nicht wirklich gut, sondern nur „aus dem Internet“. Ich freute mich über ihre gelegentlichen Kommentare zu meinen Postings. Ein Jahr oder sogar etwas länger hatte ich ein kleines bisschen Anteil an ihrem Leben und Denken, nichts arg Intensives, aber ausreichend, um einen Eindruck von ihnen als Personen, als Menschen zu haben. Ja, sie waren mir ein bisschen ans Herz gewachsen. Und jetzt sind sie weg. Und ich merke, wie die sozialen Netzwerke mich eingesponnen haben in ein Beziehungsgewebe, das es vorher so nicht gegeben hat. Denn wären die beiden „wirkliche“ Freundinnen gewesen, also Menschen, mit denen ich sowieso und unabhängig vom Internet eine Beziehung habe, dann wäre ich über

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Das Ende der Heuchelei

Seit einiger Zeit läuft eine interessante Debatte über Eifersucht in Zeiten sozialer Netzwerke. Viel davon handelt direkt von der Liebe im klassischen Sinne, aber der Aspekt, der mich beschäftigt, ist der etwas breitere Blick auf Beziehungen allgemein. Denn die Öffentlichkeit unserer Beziehungsstrukturen ist, so glaube ich, eine ziemliche Herausforderung und möglicherweise „gefährlicher“ als die Verfügbarkeit von Daten allgemein. „Gefährlich“ allerdings in einem produktiven Sinne – nämlich so, dass es uns dazu zwingt, unsere sozialen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu verändern. Zu verbessern, wie ich meine. Wir sind alle ziemlich komplexe Persönlichkeiten mit einer wechselhaften Geschichte, was normalerweise dazu führt, dass wir in sehr vielfältigen, unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Beziehungsnetzen zuhause sind: Die Eltern, Geschwister und Cousinen, die alten Schulkameraden, die Arbeitskolleginnen und Kunden, die Leute aus diversen politischen Projekten, die näher und ferner stehenden Bekannten, die Nachbarinnen, die im Laufe des Lebens angesammelten Freundinnen und Freunde. Sie alle kennen uns tendenziell aus einer bestimmten Rolle, in jeder dieser Beziehungsnetze sind wir

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