Beim Aufräumen meiner alten Dateien bin ich auf dieses Interview hier gestoßen, das irgendwer im vergangenen November mit mir gemacht hat, das aber offenbar noch nicht erschienen ist und – normalerweise bin ich ja nicht so unorganisiert – inzwischen habe ich vergessen, welche Redaktion das war. Da ich es aber ganz gut finde, stelle ich es jetzt einfach mal hier in den Blog:
Was muss sich ändern, damit die Vereinbarkeit für Frauen wahr werden kann?
Zuerst einmal muss man klarstellen, dass die „Vereinbarkeit“ kein spezielles Frauenproblem ist, sondern ein gesellschaftliches Problem, das alle betrifft. Auch Väter und Menschen, die selber keine Kinder haben. Menschen, die Kinder versorgen und betreuen, dürfen nicht länger als Sonderfall betrachtet werden, sondern es muss ganz normal sein, Kinder zu haben und gleichzeitig alles mögliche andere zu machen. Die derzeitige Form der Erwerbsarbeit ist ja auch nicht nur mit der Kinderbetreuung unvereinbar, sondern ebenso mit anderen Pflege- und Fürsorgearbeiten, aber auch mit ehrenamtlichem oder politischem Engagement oder mit den natürlichen Ruhebedürfnissen vieler Menschen. Es muss alles flexibler werden. Es muss zum Beispiel möglich sein, dass man – aus welchen Gründen auch immer – mal für ein, zwei Jahre aus dem Berufsleben aussteigt oder qualifizierte Teilzeitmöglichkeiten hat. Nicht nur für Mütter oder Väter. Ansonsten sind die Notwendigkeiten im Detail ja längst bekannt: Arbeiten auch von zuhause aus, Führungspositionen in Teilzeit, effektivere und kürzere Sitzungskultur, Kinder müssen auch mal mitgebracht werden können, flächendeckende, qualitativ hochwertige und kostenlose öffentliche Kinderbetreuung ab null Jahren. Vor allem auch mehr Kreativität im Einzelfall, man kann nicht alle Probleme, die sich in dem Zusammenhang stellen, immer generell und für alle gleich regeln.
Gibt es positive Signale aus der Wirtschaft, dass ein Umdenken in den Betrieben stattfindet?
Das ist auch von Fall zu Fall verschieden. Dort, wo qualifizierte Fachkräfte fehlen, gibt es Anstrengungen, weil man es sich nicht leisten kann, junge Mitarbeiterinnen, die Mütter werden, zu verlieren. Im Großen und Ganzen ist es mit dem Umdenken aber noch nicht weit her. Der Vollzeitmitarbeiter mit ständiger Verfügbarkeit, der Bereitschaft zu vielen Überstunden und ständiger Präsenz vor Ort ist noch immer die Norm.
Was tun die erwerbstätigen Väter?
Die erwerbstätigen Väter kann man nicht über einen Kamm scheren. Es gibt inzwischen einige, die darauf drängen, Zeit für ihre Kinder zu haben und sich um Stundenreduzierung bemühen oder Erziehungszeiten nehmen. Das sind aber noch wenige. Andere erhöhen sogar ihre Stunden, wenn ihre Frauen Kinder kriegen, teils aus wirtschaftlichen Gründen, weil die Angst vor Arbeitslosigkeit dann noch größer ist. Im Schnitt ist es immer noch so, dass im Zweifelsfall die Mütter bei ihrer beruflichen Laufbahn Kompromisse machen und nicht die Väter. Ganz schwierig ist es für Menschen mit geringem Einkommen. Die müssen heute, egal ob Frau oder Mann, Vollzeit arbeiten, um über die Runden zu kommen. Sie haben keinen finanziellen Spielraum, um Stunden zu reduzieren, und sie können sich auch keine Putzfrauen oder Babysitter leisten, die sie entlasten.
Sie haben von dem Begriff Erwerbsarbeitsmythos gesprochen, was meinen Sie damit?
Dieser Mythos bedeutet, dass nur, wer erwerbstätig ist, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist. Dabei wird übersehen, dass auch die anderen Arbeiten im Haus- und Fürsorgebereich eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung haben. Bei der Pflege beginnt man das jetzt langsam, zu verstehen. Die gesellschaftliche Wichtigkeit von Arbeiten hängt nicht daran, ob sie bezahlt werden. Manche bezahlte Arbeit dreht sich nur um den Profit und nicht um das Allgemeinwohl.
Was ist mit den Vätern? Beobachten Sie ein Umdenken?
Das Umdenken besteht wohl darin, dass Väter nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, dass die Versorgung der Kinder im Alltag die Aufgabe der Mütter ist. Sie sehen sich heute selbst auch in der Pflicht. Der Wunsch von Frauen, auch mit Kindern erwerbstätig zu sein, gilt auch nicht mehr per se als egoistisch. An der Umsetzung hapert es aber noch gewaltig, aus den oben genannten Gründen. Den Preis bezahlen dann die Frauen. Sie verdienen weniger Geld und sind nach dem geänderten Unterhaltsrecht ja auch durch die Ehe nicht mehr wirtschaftlich abgesichert.
Ist Teilzeitarbeit für alle die Lösung?
Ja, das finde ich schon. Wobei ich auch hier nicht für eine Standardlösung bin. Es wird immer Leute geben, die so sehr in ihrem Beruf aufgehen, dass sie gerne 50 oder 60 Wochenstunden arbeiten, und das ist auch okay. Andererseits wird es immer auch Leute geben, die sich lieber anderweitig engagieren und bereit sind, dafür auf materielles Einkommen zu verzichten. Vielleicht wollen sie nicht nur ein oder zwei, sondern vier oder fünf Kinder haben. Oder sie verschreiben sich ganz einem Ehrenamt, oder sie machen Kunst, mit der sie kaum etwas verdienen. Auch das sollte möglich sein. Deshalb bin ich für ein leistungsunabhängiges Grundeinkommen, das allen Menschen, egal was sie tun, das materielle Lebensminimum sichert. Im Schnitt finde ich aber, das Lohnniveau sollte so sein, dass man mit dreißig Wochenarbeitsstunden gut leben kann, also deutlich mehr als das blanke Existenzminimum hat. Das ist auch gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, dass die alte Hausfrauenehe ja auch darauf basierte, dass vierzig Wochenstunden Erwerbsarbeit genug sind, um den Unterhalt von zwei Erwachsenen sicherzustellen.
Was ist typisch deutsch am Mutterbild hierzulande im Vergleich zu Frankreich oder Skandinavien?
Typisch deutsch im Vergleich zu Frankreich ist ein gewisses Misstrauen gegenüber staatlicher Kinderbetreuung. Das sind zum Teil auch noch Folgen der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Man will das hier eher in der Verantwortung der Familie sehen, während es in Frankreich keine gesellschaftlichen Vorbehalte gegen Kinderkrippen oder Tagesmütter gibt. Ein anderer Unterschied zu Frankreich sind die starken Bemühungen, auch Männer in die Kindererziehung einzubeziehen. In Frankreich ist es noch allgemeine Ansicht, dass dafür die Frauen zuständig sind – und die Männer nicht. Von Skandinavien unterscheidet uns das Verständnis vom Sozialstaat. In Deutschland soll der Sozialstaat nur für „Sonderfälle“ greifen, also dann einspringen, wenn die Einzelnen es selbst nicht geregelt kriegen. In Skandinavien gibt es hingegen ein starkes Bewusstsein dafür, dass staatliche Unterstützung im Zweifelsfall für alle da ist, weshalb man auch bereit ist, höhere Steuern zu zahlen. Daraus ergibt sich natürlich ein viel größerer Handlungsspielraum des Staates, unter anderem eben auch für die öffentliche Kinderbetreuung. Erzieherinnen werden zum Beispiel viel besser bezahlt als hier. Und die Gesellschaften der skandinavischen Länder sind generell egalitärer, weshalb auch weniger Unterschiede zwischen Frauen und Männern – und damit zwischen Müttern und Vätern – gemacht werden.

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