Benni Bärmann und ich haben nach langer Zeit mal wieder gepodcastet. Episode 13 von „Besondere Umstände“ geht über: die Grünen, Parteipolitik im allgemeinen und Angela Merkel im besonderen. – Blockupy, Hamburg, die Eigentumsfrage und Gewalt bei Demonstrationen (21:25) – Soziokratie und Konsens (44:20). Listen and enjoy!
Dass ihr weiterhin den Rechtsstaat abschaffen wollt, betrübt mich natürlich sehr, vor allem, weil gerade im Zusammenhang mit Demonstrationen und politischen Aktionen viele Linke sich gut mit ihren Rechten auskennen und die Vorteile des Rechtsstaates gerne für sich nutzen (zB Aussageverweigerung). Das Gute am Rechtsstaat ist, dass man nicht von ihm überzeugt sein muss, um seine Möglichkeiten für sich nutzen zu dürfen…sei es, wie es sei.
Zu der „Rechnung“ im Sinne von „wer ist bereit, mehr zu bezahlen, um zu Gewinnen“ brennt es mir auch unter den Nägeln. Zum einen – wer zahlt den Preis? Die Demonstranten auf der einen Seite und der Staat auf der anderen Seite, könnte man meinen. Ich finde aber, dass nicht nur der Staat, sondern auch und vor allem der betroffene Polizist den Preis bezahlt. Davon ist er ja auch als Privatperson und Mensch betroffen. Und wirklich ausgesucht hat er sich die Situation nicht, oder denkt ihr, dass die Polizisten sich aus Freude an Straßenschlachten zu den Demonstrationen begegnen? Ich finde es bedenklich, die Gesundheit anderer Menschen über deren Kopf hinweg zum Gegenstand einer Rechnung zu machen. Was sagt man denn einem Kind, dessen Vater man mit einer Steinplatte verdroschen hat?
Den zweiten Punkt, den ich kritisch ist, dass Antje Schrupp sich die Videos von den Straßenkämpfen nicht ansieht, weil sie diese Bilder „nicht sehen kann/ will“ (ich finde die genaue Formulierung gerade nicht), aber gleichzeitig diese Art der Konfliktaustragung befürwortet oder zumindest ernsthaft in Erwägung zieht. Ich finde, der Mensch kann nur das mit gutem Gewissen befürworten und vor sich verantworten, was er auch in der Realität ansehen kann (ich sage nicht, dass man alles selbst machen können muss, aber man muss es sich zumindest ansehen können). Egal ob es um Straßenkämpfe, Krieg, Abtreibung, Beschneidung oder Viehschlachtung geht – um eine ehrliche Entscheidung zu treffen, muss man sich in der Praxis ansehen, was die Umsetzung der eigenen Position „anrichtet“ und währenddessen sagen können „ja, ich kann es verantworten, das zu unterstützen“
(oh oh, schon so spät. Ich hoffe ich habe nichts durcheinandergebracht oder euch falsch verstanden)
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@Wilhelm Helm – Nun ja, der Ausgangspunkt waren ja hier Fälle, wo die Polizei auf Anweisung von Regierenden gerade rechtsstaatliche Prinzipien unterlaufen hat, indem rechtmäßig angemeldete und genehmigte Demonstrationen gewaltsam verhindert wurden. Von daher was der Rechtsstaat in dieser Situation quasi schon „abgeschafft“.
Zum zweiten: dass für mich eine Grenze des zu fordernden „Preises“ bei der Gefährdung von Menschenleben liegt, sage ich, glaube ich, auch im Podcast. Um die Auswirkungen von Gewalt vorstellen zu können, muss ich keine Videos sehen.
Das politische Thema hier ist das staatliche Gewaltmonopol bzw. auch inwiefern eine martialische Aufrüstung der Polizei eine Eskalation von Gewalt provoziert. In Frankfurt war ich selber dabei und habe es mit eigenen Augen gesehen, ich fand dieses massive Auftreten vermummter und bis an die Zähne bewaffneter Hundertschaften, die eine legitim und legale Demonstration mit blanker Gewalt verhindern, durchaus beängstigend.
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„dass für mich eine Grenze des zu fordernden “Preises” bei der Gefährdung von Menschenleben liegt, sage ich, glaube ich, auch im Podcast.“
das stimmt, nur finde ich diese Grenze zu hoch angesetzt. Auch wenn es „nur“ um Verletzungen geht, ist für mich die Grenze überschritten. Ganz abgesehen von der Frage, ob ein solches Vorgehen demokratisch ist, denn auf diese Weise könnte auch eine kleine, aber entschlossene Minderheit politische Ziele mit Gewalt durchsetzen.
„Um die Auswirkungen von Gewalt vorstellen zu können, muss ich keine Videos sehen.“
gerade weil Sie davon überzeugt sind, es sich vorstellen zu können, finde ich es halt etwas widersprüchlich. Wenn Sie es befürworten und sich die Auswirkungen auch angemessen vorstellen können, müsste es doch eigentlich problemlos möglich sein, sich die entsprechenden Bilder anzuschauen. Das ist schon irgendwo bemerkenswert, oder sehen Sie überhaupt keinen Widerspruch darin?
„Das politische Thema hier ist das staatliche Gewaltmonopol bzw. auch inwiefern eine martialische Aufrüstung der Polizei eine Eskalation von Gewalt provoziert.“
die Sichtweise der Polizei wird naturgemäß eine andere sein. Wenn sie in der Vergangenheit angegriffen wurden, werden sie beim nächsten mal entsprechend besser geschützt auftreten. Den Begriff „Eskalation“ sehe ich kritisch, weil es eine Substantivierung ist und damit sprachlich ein Ding, obwohl die jeweiligen Personen es eigentlich tun.. Ich finde, es gibt so etwas wie Eskalation gar nicht, sondern nur Menschen, die eskalieren – und dabei aus freien Stücken handeln. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn eine Demonstration gestoppt würde, an der ich teilnehme, aber im in Bezug auf Hamburg frage ich mich halt, ob die Situation den DemonstrantInnen nicht gerade recht kam – wenn die Demo einfach stattfinden kann, gäbe es ja keinen Grund, um „Kosten“ bei der Gegenseite zu verursachen. Die ganze Idee des zu fordernden Preises beruht ja von Anfang an darauf, dass Gewalt entsteht. Und das ist keine legitime Intention, um auf eine Demo zu gehen, finde ich.
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Hallo, diesmal wäre ich ja wirklich gern dabei gewesen. Seit der dekumenta habe ich mich intensiv mit der Sozikratie beschäftigt. Und ich habe mich auch gefragt woher der Abgrenzunswille zu Konsens ist. Konsenverfahren zeichnen sich eigentlich dadurch aus, es eben nicht zu einer Veto-Situation kommt. Da stimme ich Benny zu, ich kenne Konsens so wie er es beschreibt. Denn das heißt das schwere Bedenken nicht gehört wurden und das kann in der Soziokratie auch vorkommen. Für mich ist der wesentlich Unterschied, klare Struktur, auch durch die Kreisorganisation und das die Gruppe sich immer ihrer gemeinsamen Ziele bewußt sein muss und das ist gerade beim zusammen leben im Alltag nicht immer so präsent. Was ich kritisch sehe, dass es eventuell nicht geht aus einem Bauchgefühl heraus gegen etwas zu sein. Der Intuition wird da wenig Raum und Wichtigkeit gegeben, wenn nur sachlich argumentiert werden soll. Bin gespannt ob Ihr das Thema noch vertiefen werdet.
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Mir scheint, als sagst Du, Antje »consent« (also das englische Wort für Billigung, Einverständnis, Zustimmung) statt Konsens während Dein Gegenüber immer das Wort Konsens benutzt. Für mich haben die zwei Worte sehr, sehr unterschiedliche Bedeutungen, aber vielleicht habe ich Dich nur akustisch falsch verstanden.
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@Wilhelm: „oder denkt ihr, dass die Polizisten sich aus Freude an Straßenschlachten zu den Demonstrationen begegnen?“
Viele Ja. Ist bitter, ist aber so.
Ansonsten: Du sagst „Rechtsstaat“ meinst aber „Gewaltmonopol“.
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Ich stimme Wilhelm zu dass die Aufmachung der Polizei ihre Gründe hauptsächlich in der Vergangenheit hat (sprich auf entsprechender Erfahrung beruht) und nicht in der Zukunft (sprich dem Vorhaben, hier und jetzt rumzuprügeln). In dem Zusammenhang liegt glaube ich auch das zentrale Problem. Anke schreibt oben, die Polizei würde „eine legitim und legale Demonstration mit blanker Gewalt verhindern“. Das Problem mit der Gewalt tritt aber erst richtig an der Stelle auf, wo die Demonstrantenseite der Meinung ist, diese legitime und legale Demonstration hier und jetzt auch gegen die Polizei durchsetzen zu dürfen. Und das ist ein klares und eindeutiges Nein. Wenn die Polizei sagt „das war’s, geht nach Hause“, dann geht man nach Hause – und ruft von dort einen Anwalt an, um gegen dieses Unrecht zu klagen. Aber es gibt keinerlei Recht, physisch gegen die Polizei vorzugehen. Jedenfalls nicht solange wir kein neues Ermächtigungsgesetz haben und Art. 20 Abs. 4 GG greift, aber davon sind wir Lichtjahre entfernt.
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(Ich habe in meinem vorhergehenden Kommentar glaube ich Anke geschrieben, meinte aber natürlich Antje. Ich bitte um Entschuldigung.)
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Zitat Andi: „Das Problem mit der Gewalt tritt aber erst richtig an der Stelle auf, wo die Demonstrantenseite der Meinung ist, diese legitime und legale Demonstration hier und jetzt auch gegen die Polizei durchsetzen zu dürfen. Und das ist ein klares und eindeutiges Nein.“
Eigentlich gehört hier ein klares und eindeutiges Ja hin. Wenn Polizisten Gesetze brechen, ist es mein Recht als Bürger, diesem Rechtsbruch ebenso entgegenzutreten wie jedem anderen Rechtsbruch auch. Wenn Polizisten gewalttätig gegen wehrlose Menschen werden, dürfte ich (auch mittels Gewalt) eingreifen; nennt sich Nothilfe. Wenn Polizisten gesetzeswidrig eine legale Demonstration angreifen oder spreengen, kann man sich dem entgegenstellen und sein legitimes Recht durchsetzen. Alles andere ist erbärmlicher Untertanengeist, würdig gerade mal eines Diedrich Heßlings.
BTW, was soll auch schon eine nachträgliche Klage bringen? Dann stellt irgend ein Gericht zig Jahre später fest, dass die Polizei hatte Unrecht hatte. Keine Folgen, weder für einzelne Personen noch für die Institution „Polizei“. Da ist es sinnvoller, erbaulicher und vermutlicher auch emanzipatorisch wertvoller, sich derweil im Kirschkernweitspucken zu üben…
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„Wenn Polizisten gewalttätig gegen wehrlose Menschen werden, dürfte ich (auch mittels Gewalt) eingreifen; nennt sich Nothilfe.“
die Gewalt der Polizei müsste dazu rechtswidrig sein. Die Polizei darf Demos auflösen, wenn die öffentliche Ordnung in Gefahr ist und darf diese Auflösung dann auch durchsetzen. In diesem Fall wäre der Angriff nicht rechtswidrig und Gegengewalt wäre damit nicht durch Notwehr/Nothilfe gerechtfertigt. Ob die Auflösung rechtens war (also ob die öffentliche Ordnung gefährdet war), weiß ich nicht, dazu müsste man das Verhalten der Demonstrantinnen und Demonstranten heranziehen. Bei den ganzen demolierten Autos usw. halte ich es für gut möglich, dass die Auflösung in Ordnung geht, aber das ist nur meine persönliche Spekulation aus der Ferne…
„Wenn Polizisten gesetzeswidrig eine legale Demonstration angreifen oder spreengen, kann man sich dem entgegenstellen und sein legitimes Recht durchsetzen.“
Die einzelnen Polizistinnen können kaum beurteilen, ob die Auflösung rechtmäßig ist und dürfen/müssen sich m. M. n. auf die Einschätzung der Vorgesetzen verlassen. Auch wenn ein Verwaltungsgericht später zu dem Ergebnis käme, dass die Auflösung rechtswidrig war, befänden sich die Polizisten im Moment der Auflösung im Irrtum und gegen Irrende gibt es nur ein eingeschränktes Notwehrrecht.
Auch kann sich Notwehr nur gegen die Angreifer richten, Sachbeschädigungen an Schaufenstern, Autos, Verkehrsschildern usw. sind also von vornherein nicht durch Notwehr gerechtfertigt.
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