Diesmal ein typischer Tagebuch-Eintrag, um meine spontanen Eindrücke von der IAFFE-Konferenz in Berlin festzuhalten (IAFFE = International Association for Feminist Economics). Es sind ungefähr 370 Ökonominnen (darunter auch einige Männer) dort, von überall auf der Welt. Ich werde meine verschiedenen Erkenntnisse nach und nach hier verbloggen. Nur zur Sicherheit: Es sind keine Berichte von den Veranstaltungen, ich schreib bloß hier auf, was mir persönlich wichtig erschien oder zu denken gab.
Zum Eröffnungspanel über „Gender Equality in Europa“ kam ich etwas zu spät, ich hörte aber noch den Beitrag von Sylvia Walby (UNESCO Chair of Gender Research), die sagte, dass der Finanzmarkt dringend (wieder) mehr politisch reguliert werden müsse. „Finance“ sei die Ursache der Krise, die sich dann auf die Realwirtschaft, die Steuerpolitik und zuletzt auf die Demokratie selber ausgebreitet hat. Sie forderte uns auf, uns stärker mit Finanzpolitik zu beschäftigen. Die käme zwar immer „geschlechtsneutral“ daher (geht ja nur um Zahlen), sei aber in Wahrheit zutiefst „gegendered“. Finanzkrisen seien nicht einfach „Realität“, sondern ein „soziales Konstrukt“, ein Narrativ. (Dazu passt gut ein Artikel von Carolin Ehmke von heute).
Krise sei dabei aber nicht nur schlimm: „In the moment of crisis, all things become possible“. Zum Beispiel, lass mal träumen: „Gender Balance“ würde nicht länger nur als quotierte Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen verstanden, sondern in den Zielbeschreibungen aller europäischen Institutionen drin stehen. Es wäre Bestandteil von Effizienzdefinitionen (alles, was keine Gender Equality hervorbringt, ist ineffizient), Gender Budgeting (also die Evaluation der Auswirkungen sämtlicher (Finanz-)Entscheidungen in Bezug auf Geschlecht) wäre obligatorisch. Jedenfalls sei es sinnlos, davon zu sprechen, dass es einen Zusammenhang von Krise und Gender gäbe, da „Gender“ im Zentrum der Krise steht.
Allerdings, die Europäische Union. So wie sie sich in letzter Zeit benommen hat, kann man ja kaum noch glauben, dass sie solche „großen issues“ überhaupt bewältigen könnte. Anderseits, fragte Walby: „Wenn nicht mal Syriza die EU als Projekt aufgegeben hat, wieso sollten wir das tun?“ Klar ist, dass es bei einem feministisch-ökonomischen Blick auf Europa nicht bloß um „Gender- und Gleichstellungsgesetze“ gehen kann, sondern um alles gehen muss, und speziell und vor allem eben auch um die europäische Finanz- und Steuerpolitik.
Der zweite Vortrag, den ich hörte, war der von Daniela Bankier, „Head of Unit Gender Equality bei der Europäischen Kommission“. Sie war, wie es wahrscheinlich zu ihrem Job gehört, relativ enthusiastisch über den in der EU erreichten Grad an Gender Equality. Es gebe natürlich auch Defizite, Gender Pay Gap und so weiter (variiert zwischen 7 und 30 Prozent in den verschiedenen Ländern), aber keinen Backlash aufgrund der Krisen in den letzten Jahren. Das ist wahrscheinlich zutreffend, was die „Gender Equality“ betrifft, aber das Problematische an der Entwicklung spielt sich halt auch nicht entlang der Linie Frauen/Männer ab, sondern an der Linie Arm/Reich.
Aufgeschrieben habe ich mir von ihr noch den Satz „Good politics can be effective!“ – den muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Zu sagen, dass Politik möglicherweise wirksam sein kann, ist heute offenbar schon eine steile These.
Überhaupt war das wohl das Resumée aus dem ersten Panel: Die Erwartung, dass tatsächlich Politik gemacht wird, dass in Europa politische Ziele und Werte diskutiert und umgesetzt werden.
Das hatte ich ja neulich schon auf Facebook geschrieben: Die „linke“ These, dass es keine Politik mehr gebe, sondern die Wirtschaft heutzutage alles bestimme (und die Politik nur deren Handlanger sei), halte ich für eine falsche Analyse, oder vielleicht war sie zu Schröder/Blair Zeiten mal richtig, heute – spätestens seit der Bankenrettung – ist sie es nicht mehr. Das war auch der Fehler von Varoufakis, zu glauben, in der europäischen Debatte gehe es darum, irgendwie eine vernünftige Lösung für ein ökonomisches Problem zu finden. Es geht um Politik, um Macht, um Besitzstandwahrung von Eliten.
Die Frage ist also, ob es mit der Europäischen Union nochmal gelingt, eine sinnvolle Politik zu machen. Das Dilemma ist: Es gibt kaum Grund zur Hoffnung, allerdings ist auch keine andere politische Ebene außer Europa denkbar. Daher gibt es wohl kaum eine andere Möglichkeit, als auf europäischer Ebene weiter zu machen. Vielleicht muss der Anstoß dazu tatsächlich aus „der Wirtschaft“ kommen; die feministischen Ökonominnen jedenfalls scheinen dafür schonmal gute Bündnispartnerinnen zu sein.
„Es geht um Politik, um Macht, um Besitzstandwahrung von Eliten.“
Ich denke, dass dies nicht wenige Menschen in Europa auch so verstehen. Die Kommentare zur Petition, die Schäubles Rücktritt
fordert zeigen eine Art europäisches Bewusstsein, welches in der
vorherrschenden Politik von Finanztechnokratie nicht spürbar ist:
https://www.change.org/p/wolfgang-sch%C3%A4uble-bundesregierung-treten-sie-zur%C3%BCck-sie-verspielen-die-zukunft-europas?recruiter=118078750&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&sharecordion_display=control
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